Botschafter des Heils in Christo BdH 1876

01/25/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Inhaltsverzeichnis des 
Jahrgangs 1876 
Der gegenwärtige Dienst Jesu 5 
Gnade und Wahrheit 13 
„Kommet her zu mir" — „Gehet von mir" .. . 18 
Die Entscheidung für Christum 20 
Die Auserwählung 28 
Das Hohepriestertum Christi 39 
Die Sachwalterschaft Christi 55 
Nichts als Freude 68 
Der Zustand der Seele nach dem Tode ... . 73 
Lobt den Herrn . 83 
„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben" .. . 85 
Die Hoffnung des Gläubigen 93 
Paulus in dem Briefe an die Philipper ... . 106 
Der erste Tag der Woche 108 
Die Morgenstunden der Heiligen Schrift ... . 110 
Gedanken über das Kommen des Herrn ... . 113 
Gedanken, gesammelt aus Vorträgen von G. V. W. 206 
Die Schriftstellen sind nach der bekannten Übersetzung 
der „Elberfelder Bibel" angeführt 
Der gegenwärtige Dienst Jesu 
Die Mitteilung in Joh. 13, daß der Herr während des 
Abendessens aufstand und Seinen Jüngern die Füße wusch, 
ist sehr köstlich und bezeichnend. Sie zeigt dem geöffneten 
Glaubensauge, was der Herr in Seiner Liebe gegenwär -
t i g für die Seinen tut. Was Petrus in jenem Augenblick 
nicht wußte, aber „hernach" verstehen sollte, das verstehen 
wir jetzt durch die Macht und Belehrung des Heiligen Geistes, 
und in dem Maße wie wir mit ganze m Herzen die in 
dieser Handlung dargestellte Gnade Christi ergreifen, erfreuen 
wir uns unserer gegenwärtigen Stellung als solche, welche 
Sein sind in dieser Welt. 
Für Jesum war die Stunde gekommen, daß Er „aus dieser 
Welt zum Vater gehen sollte". Er sieht im Geist das Werk, 
welches Er nach dem Willen des Vaters auf der Erde tun 
sollte, schon vollbracht. Das Kreuz liegt hinter Ihm. Die 
Jünger hatten an der rührenden Gedächtnisfeier Seiner Liebe 
teilgenommen — einer Liebe, die stärker ist als der Tod und 
die viele Wasser nicht auszulöschen vermögen. Der Verräter 
stand im Begriff, sein finsteres und schreckliches Werk zu 
vollenden, wodurch zugleich jede Verbindung des Herrn mit 
dieser Welt abgebrochen wurde, während Er die Seinen als 
die Gegenstände Seiner Liebe in dieser Welt zurückließ. Ihnen sollte dieselbe Liebe bleiben, womit Jesus sie geliebt hatte, als Er Selbst noch in der Welt war. „Er liebte sie bis ans 
Ende", durch alle Zeiten hindurch und in allen Umständen. 
Das waren die Gefühle des Herzens Jesu im Blick auf Seine Jünger, die mit Ihm zu Tische lagen. _Zugleich empfand Er 
auch, daß alle ihre Segnungen von Ihm abhingen. Er wußte, 
daß"der. Vater Ihm alle s in die Hände gegeben hatte. Das 
Werk ihrer Erlösung, das der Vater Ihm aufgetragen hatte, 
hatte Er in wahrhaft vollkommener Weise vollbracht, so daß 
Seine Liebe in dieser Hinsicht kein Betätigungsfeld mehr 
fand. Das Abendessen war der Ausdruck hierfür. Aber das 
war nicht alles, was in Seine Hände gegeben war. Wie_ Er 
„von Gott ausgegangen war und zu Gott hinging", also 
wollte Er auch die Seinen zu Gott hinführen, damit sie mit 
Ihm in derselben Gemeinschaft und Herrlichkeit sein sollten, 
in welche Er einzutreten im Begriff stand. Das waren die 

tiefen und mächtigen Gedanken der Liebe und göttlichen 
Absichten mit den Seinen, welche das Herz Jesu erfüllten. 
Aber wie sollte Er ihnen begreiflich machen, was Seine Liebe 
nunmehr für sie tun wollte, wenn sie Ihn nicht mehr sehen 
und hören konnten? Wie konnte Er sie fühlen lassen, daß 
Er ihnen blieb und daß ihre Segnungen auch fernerhin nur 
von Ihm abhingen in der Wirksamkeit einer unveränderlichen Liebe? Er hatte ihnen ein bleibendes Gedenken daran 
hinterlassen, daß er in Seiner Liebe für sie starb, und an 
diese Liebe bis in den Tod sollten sie beim Anblick des gebrochenen Brotes und des ausgegossenen Weins durch Seine 
Worte: „Das ist mein Leib — für euch gegeben", und: „Das 
ist mein Blut — für euch vergossen", stets erinnert werden. 
Aber in welcher Weise sollte Er ihnen eine bleibende Darstellung von jener Liebe geben, die nun ihre Verbindung 
mit Ihm an jenem Platze verwirklichen sollte, den Er jetzt 
für sie einnehmen wollte? „Er steht vom Abendessen auf 
und legt die Oberkleider ab, und er nahm ein leinenes Tuch 
und umgürtete sich. Dann gießt er Wasser in das Waschbecken und fing an, die Füße der Jünger zu waschen und 
mit dem leinenen Tuch abzutrocknen, mit welchem er umgürtet war" (V. 4. 5). 
Welch ein Anblick mußte es für die staunenden Jünger 
sein, als der Herr, Dessen Macht sie oft bezeugt, Dessen 
Herrlichkeit sie auf dem Berge der Verklärung gesehen und 
Den sie als den Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, 
erkannt hatten, Sich zu dem niedrigsten Dienst, zum Waschen 
ihrer Füße, herabließ! Deshalb wohl rief Petrus, als der 
Heiland niederkniete, um seine Füße zu waschen, mit ablehnendem Eifer aus: „Herr, du wäschest mein e Füße?" 
Aber so sehr er den Herrn auch liebte, so begriff er doch 
wenig von dem Geheimnis der Liebe, die von der Höhe der 
göttlichen und himmlischen Herrlichkeit herabgekommen war, 
um ihm zu dienen. Er verstand noch nicht, wie nötig das 
alles für ihn war, was jene Liebe für ihn getan hatte und 
noch tun wollte und wie tief Sich der Herr herablassen, wie 
fortdauernd diese Liebe sein mußte. Der Herr muß ihm sagen: „Was ich tue, weißt du jetzt nicht; du wirst es aber 
hernach verstehen". Doch diese Belehrung genügte dem feurigen Jünger nicht. In seiner Unwissenheit sah er nur eine 
Herabwürdigung seines Herrn in Dessen Handlung, die er 
für seine Person nicht dulden konnte. Deshalb ruft er aus: 
..Du sollst nimmermehr mein e Füße waschen". Weder 

fühlte, noch kannte er die Notwendigkeit dieser Erniedrigung 
und er suchte den Herrn daran zu hindern, so wie er es 
einst im Blick auf das Kreuz getan und sich den Tadel des 
Herrn zugezogen hatte: „Geh hinter mich, Satan! du bist 
mir ein Ärgernis; denn du sinnest nicht auf das, was Gottes, 
sondern auf das, was der Menschen ist". Dort war Petrus 
das Werkzeug Satans, indem er sich zwischen den Herrn 
und jenes Werk stellen wollte, wodurch Gott verherrlicht und 
der Sünder gerettet werden sollte. Das war mehr als Unwissenheit, und daher die Schärfe jenes Tadels. Hier wollte 
er sich in einem unverständigen Eifer für die Ehre des Herrn 
zwischen diesen und seine eigene Segnung stellen, weshalb 
der Herr ihn schlicht belehrt: „Wenn ich dich nicht wasche, 
so_hast du kein Teil mit mir", — d. h. er hätte die himmlischer^ Segnungen, in die der Herr jetzt einzutreten im Begriff 
war, in Gemeinschaft mit Christo nicht genießen können. 
Nur durch die Ausübung der Liebe Jesu in jenem Dienst, 
der uns in der Fußwaschung dargestellt wird, können die 
Seinen während ihres Wandels in der Welt den Genuß der 
Gemeinschaft mit Ihm im Himmel haben. Deshalb zeigte 
sich Jesus Seinen Jüngern in jener köstlichen, mit dem 
Abendessen verbundenen Handlung als der umgürtete Diener, der jetzt in der Herrlichkeit stets bereit ist, ihnen zu 
dienen und ihre Füße zu waschen. Das Brechen des Brotes 
sollte sie an Den erinnern, Der auf dem Kreuze ihre Sünden 
getragen hatte. Indem sie von diesem Brote aßen und von 
diesem Kelche tranken, nährten sie sich von dem gestorbenen 
Christus und erfreuten sich jener Liebe, die alles für sie 
getan, die sie gerettet und zu Gott geführt hatte, ohne daß 
ihnen auch nur eine einzige Sünde den Eintritt in 5eine heilige Gegenwart verwehren konnte. Das leinene Tuch und das 
rG3L^VMse£_£^füJlt^3^sphbecken aber sollten ihr Glaubensaugj; jauf Ihn richten, wie Er auch gegenwärtig in Liebe mit 
ihnen "beschäftigt ist, und zwar mit .einer Liehe, die — obgleich in Herrlichkeit und außer dem Bereiche ihres natürlichen_j\uges_ausgeübt — sie auf ihrem ganzen Wege durch 
die Wüste begleitet. Ja, durch den unaufhörlichen Dienst, 
den Jesu in der Fußwaschung den Seinen erweist, befähigt 
Er sie zum Genuß Seiner Gegenwart und Seiner eigenen 
Freude. Das ist für ein Herz, welches Ihn kennt und liebt, 
der köstlichste Teil. Deshalb sagte auch Petrus, indem er 
die Kraft der Worte des Herrn: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast d u kein Teil mi t mir " zu fassen begann, 

mit einem brennenden Verlangen nach dem vollen Besitz der 
in jenen Worten angedeuteten Segnungen: „Herr, nicht meine Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt". Er 
empfand auf einmal, daß nicht allein seine Füße, sondern 
auch seine Natur und sein ganzes Wesen der Reinigung 
bedurften. So mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt, übersah er jedoch in Unwissenhei t das Werk der Gnade, 
welches der Herr bereits in ihm gewirkt hatte . Wie Tausende von Christen heute, verwechselt auch er praktisch e 
Heiligung mit vollendete r Heiligung, die Reinigung der 
Person mit der Reinigung der Wege, die Stellung mit dem 
Zustand. Der Herr zeigt bei jener Gelegenheit diesen Unterschied sehr klar. „Wer gebadet ist, hat nicht nötig sich zu 
waschen, ausgenommen die Füße, sondern ist ganz rein; und 
ihr seid rein". — Wenn jemand im Morgenlande, wo nur 
Sandalen getragen wurden, in der Frühe seinen Leib ganz 
gewaschen oder „gebadet"*) hatte, so bedurfte er vor der 
Einnahme der Abendmahlzeit nur der Reinigung seiner während des Tages durch den Wandel beschmutzten Füße. Der 
Hauswirt besorgte für seine Gäste das Wasser zum Waschen 
ihrer Füße, aber nicht zum Baden des ganzen Körpers; denn 
das würde die Unreinheit der Person vorausgesetzt haben. 
Auf diesen Gebrauch spielt der Herr in dem Tadel an den 
Pharisäer Simon für die Ihm in dieser Beziehung widerfahrene Vernachlässigung an, indem Er sagt: „Du hast mir kein 
Wasser auf mein e Füße gegeben" (Luk 7, 44). 
Die geistliche Bedeutung dieser durch das Verlangen des 
Petrus veranlaßten Erklärung des Herrn ist also sehr klar. 
Die Jünger waren bezüglich ihrer Person rein — sie waren 
wiedergeboren. Sie waren durch das Waschen der Wiedergeburt „ganz rein" und schon im Besitz eines neuen Lebens 
und einer neuen Stellung vor Gott, wie sie nicht vollkommener sein konnten. Wiedergeboren „aus Wasser und Geist", 
besaßen sie eine „göttliche Natur", kraft welcher sie hinsichtlich ihrer Person ein für allemal passend für die Gegenwart Gottes gemacht waren und folglich zu jeder Zeit ein 
Anrech t auf die Gemeinschaft mit Gott im Heiligtum 
hatten. Aber wegen des Genusses dieser Gemeinschaft und 
ihres Wandels mit Jesu im Heiligtum mußten ihre Füße von 
der Verunreinigung gesäubert werden, die sie sich auf ihrem 
*) Dieses Wort unterscheidet sich im Urtext von dem auf die Fu&waschung angewandten Wort. 

Wandel durch eine böse Welt zugezogen hatten. Und das 
geschah mittels der Anwendung des Wortes durch den Geist 
nicht auf ihre Person , sondern auf ihr Her z und Ge -
wissen , so daß sie sich infolgedessen selbst richteten und 
von allem trennten, was in ihren Gedanken und in ihrem 
Wandel mit der Natur und dem Charakter Gottes unvereinbar war. Dies allein befähigte sie, mit Jesu an den himmlischen Segnungen teilzuhaben, welche Er als Mensch für sie 
in Besitz genommen hatte. 
Es muß hier bemerkt werden, daß weder die Person noch 
die Füße mit Blu t gewaschen sind. Insoweit bedarf es der 
„Waschung mit Wasser durch das Wort". Im Blick auf die 
Stellun g ist es eine ein für allemal vollendete Handlung, 
die sich nicht wiederholt; aber hinsichtlich des Zustande s 
bedarf es einer jedesmaligen Wiederholung, sooft man sich 
irgendwie eine Verunreinigung im Wandel zugezogen hat, 
weil es sich um die praktische Gemeinschaft oder den Genuß 
handelt. Das erhellt vorbildlich die Weihung der Priester in 
Verbindung mit dem Waschbecken, wovon wir hier das 
gepriesene Gegenbild sehen: „Und Aaron und seine Söhne 
sollst du herzunahen lassen an den Eingang des Zeltes 
der Zusammenkunft und sie mit Wasser waschen" (2. Mose 
29. 4). Dann wurden ihnen die priesterlichen Kleider angezogen; es wurde Blut auf ihr rechtes Ohrläppchen, auf ihren 
Daumen und auf die große Zehe ihres rechten Fußes gegeben, und nachdem sie mit dem heiligen Salböl besprengt 
waren und man die erforderlichen Opfer dargebracht hatte, 
waren sie ein für allemal für den „priesterlichen Dienst" geheiligt. Ihre priesterliche Stellung war vollendet und somit 
ihr Anrech t zum Eintritt in das Heiligtum auf immer 
gültig. Aber ihre p r a k t i s c h e Fähigkeit zu diesem Eintritt Jünd„ zum Dienst am Altar .vor_dem Herrn erforderte 
noch etwas anderes, nämlich den täglichen Gebrauch des 
Waschbecken s : „Und Aaron und seine Söhne sollen 
ihre Hände und ihre Füße darau s waschen. Wenn sie in 
das Zelt der Zusammenkunft hineingehen, sollen sie sich mit 
Wasser waschen, daß sie nicht sterben, oder wenn sie dem 
Altar nahen zum Dienst, ein Feueropfer zu räuchern dem 
Jehova. Und sie sollen ihre Hände und ihre Füße waschen, 
daß sie nicht sterben" (2. Mose 30, 19^20). Die Annahme 
ihres priesterlichen Dienstes war verbunden mit der Waschung ihrer Personen im Wasser des Waschbeckens zur Zeit 
ihrer Weihung, während die Fähigkeit zur praktischen Aus9 
Übung dieses Dienstes, und zwar so oft sie dienten, mit der 
Waschung ihrer Hände und Füße mit Wasser aus demselben 
Waschbecken verknüpft war. 
Das Letztere nun stellt uns der Herr in der Handlung 
der Fußwaschung vor Augen. Sein gegenwärtiger Dienst in 
der Herrlichkeit trennt die Seinen in der Welt durch die 
Wirksamkeit des Wortes auf ihr Gewissen von jeder Verunreinigung, die sie sich, wiewohl sie schon Geheiligte sind, 
auf ihrem Wandel zugezogen haben, so daß sie als Priester 
mit Ihm an dem Dienst und der Anbetung Gottes innerhalb 
des Vorhangs teilhaben können. 
Alle Gläubigen sind vollkommene Priester vor Gott, wie 
wenig sie auch davon verstehen und genießen mögen. Ihre 
Leiber sind gewaschen mit reinem Wasser, besprengt mit 
dem Blute Christi und gesalbt mit dem Heiligen Geiste. 
Ihre Weihung ist eine vollendete Tatsache, und sie sind un -
widerruflic h ein „heiliges Priestertum" — die wahren 
Söhne Aarons. Um jedoch mit dem wahren Aaron, mit Christo, teilzuhaben im himmlischen Heiligtum, müssen ihre 
Füß e beständig mit dem Wasser des Waschbeckens gewaschen werden. Die Gläubigen waschen sich nicht selbst, sondern Christus wäscht ihre Füße, und zwar nach Seiner Kenntnis dessen, was der Gegenwart Gottes angemessen ist. Die 
Triebfedern dieser Handlung in Liebe und Einsicht befinden 
sich gan z un d ga r in Ihm Selbst. Unsere Errettung und 
unsere Weihung zum Priestertum sind souveräne Akte der 
Liebe Christi. Seine Hände haben alles bewirkt; Sein Name 
sei dafür gepriesen! Ebenso hängt auch unsere Gemeinschaft 
von Christo und nicht von uns selbst ab; auch sie ist ein 
souveräner Akt Seiner Liebe, die unsere Füße wäscht und 
unsere Gemeinschaft wiederherstellt. „Was ich tue, weißt du 
jetzt nicht, du wirst es aber hernach verstehen". Wenn unsere Gemeinschaft und unsere Kraft zum Dienst, nachdem wir 
sie durch unsere Nachlässigkeit verloren hatten, wieder hergestellt worden sind, so wissen wir, w e r es getan hat; wir 
aber können nur eins tun: Ihn dafür preisen. Obwohl wir 
stets „ganz rein" vor Gott sind, so fühlen wir uns doch 
ohne Seine Gemeinschaft unglücklich und haben das Bedürfnis nach Wiederherstellung — nach Reinigung unserer Füße. 
Blicken wir dann auf Jesum, so sehen wir in Ihm Den, Der, 
diesem Bedürfnis entsprechend, umgürtet ist, und daß Er 
unsere Füße wäscht, macht unsere Herzen angesichts der in 
dieser Handlung sich offenbarenden Liebe wieder glücklich 
10 
und bringt uns zu dem Bewußtsein , daß die Gemeinschaft mit Ihm wiederhergestellt ist — wir haben ein „Teil" 
mit Ihm. 
Möge unser treuer und hochgelobter Heiland, Dessen 
Dienst hinsichtlich unserer Herzen und Wege so unentbehrlich ist, unsere Herzen im demütigen Verständnis Seiner 
Gnade und Liebe bewahren! Denn je mehr wir diese Gnade 
verstehen, desto mehr werden wir zu jener Gnade geleitet, 
durch welche wir in Liebe andern dienen. Das aber führt 
uns zu einem sich unmittelbar anschließenden weiteren Gegenstand der Betrachtung, ausgedrückt in den Worten des 
Herrn: „Wenn nun ich, der Herr und der Lehrer, eure Füße 
gewaschen habe, so seid auch ihr schuldig, einander die Füße 
zu waschen". Es ist unmöglich, im Genuß der göttlichen Segnungen selbstsüchtig zu bleiben; die Glückseligkeit macht 
mitteilsam. So genügte es dem Sohn der Liebe des Vaters 
nicht, in den Segnungen jener Liebe zu bleiben; es war Ihm 
ein Bedürfnis, den Vater zu offenbaren, wie Er ihn kannte. 
Er sagte zu dem Vater im Blick auf die, welche Ihm der Vater aus der Welt gegeben hatte: „Ich habe ihnen deinen 
Namen kundgetan und werde ihn kundtun, auf daß die Liebe, womit du mich geliebt hast, in ihnen sei". Dieses ist die 
Sprache Seines Herzens — die geheime Quelle jenes gesegneten Dienstes der Liebe, den Er von den Höhen des Himmels her an den Seinen in dieser Welt ausübt. Es ist dieselbe Sprache und derselbe Dienst, wenn jener Jünger, „welchen Jesus liebte", sagt: „Was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch, auf daß auch ihr mit uns Gemeinschaft habt und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem 
Vater und mit seinem Sohne Jesus Christus. Und dieses 
schreiben wir euch, auf daß eure Freude völlig sei". — Beider 
Herzen, das des Lehrers und des Jüngers, werden durch 
denselben Beweggrund geleitet, nämlich daß andere ein „Teil 
mit mir" haben. Die Liebe findet in dem verborgenen Genuß 
der eigenen Segnungen ihre Wonne im Dienen. Die Vollkommenheit eines solchen Dienstes sehen wir in Ihm, Der 
mit Recht „Herr und Lehrer" genannt wird. Und wenn Er 
sagt: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, auf daß, gleichwie 
ich euch getan habe, auch ihr tut", so fügt Er hinzu: „Wenn 
ihr dies wisset, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut". Welche 
Glückseligkeit aber könnte mit dieser verglichen werden, die 
aus der Gemeinschaft mit Jesu in diesem heiligen Dienst 
entspringt, zu welchem Er auch uns beruft? 
11 
Es gilt, in diesem uns zur Nachahmung dargestellten 
Dienst zwei Elemente zu beachten: die Liebe, welche frei 
von Selbstsucht, alles, was wir an Segnungen Gottes besitzen, mit andern zu teilen sucht, und die Demut des Herzens, die dazu befähigt, sich den Gegenständen unserer Liebe unterzuordnen, um das Mittel zu deren Segnung zu werden. Nur insofern, als wir die Gnade Jesu, welcher uns die 
Füße wäscht, verwirklichen, sind wir zu diesem Dienst fähig. 
Die Liebe und Niedriggesinntheit, ohne die ein solcher Dienst 
unmöglich ist, kann uns nur aus Seinem Herzen durch unsere Gemeinschaft mit Ihm zufließen. Je mehr wir uns dessen 
erfreuen, was Gott in Licht und Liebe ist, wir vermögen dies 
nur, wenn unsere Füße von Christo in der obenerwähnten 
Weise gewaschen sind, desto mehr sind wir moralisch imstande, bei anderen das zu entdecken, was mit diesem Gott 
unvereinbar ist und ihre Gemeinschaft mit Ihm stört. Wir 
sehen dann in göttlicher Weise, was die Kraft der Anbetung 
und des Dienstes in ihnen schwächt, und sowohl die Liebe 
zu ihnen, als auch die Betrachtung der Herrlichkeit in ihnen, 
treibt uns an, ihnen die Füße zu waschen. Aber zugleich 
werden wir dadurch auch in dem Bewußtsein unseres Nichts 
zu Christo getrieben, um von Ihm die zu diesem Dienst notwendige Kraft und Weisheit zu erlangen. 
Nur der Gedanke an die Wiederherstellung ihrer Gemeinschaft mit Gott darf uns leiten, wenn wir ihnen mit Zittern 
und Sanftmut des Herzens nachgehen in der Liebe und Kraft 
Christi- Die SchönFTeit der Gesinnung, in welcher die Fußwaschung_ ausgeübt werden sollte, zeigt uns der Apostel sehr 
treffend in den Worten:,, Brüder, wenn auch ein Mensch von 
einem Fehltritt übereilt würde, so bringet ihr, die Geistlichen, einen solchen wiede r zurech t im Geiste der Sanftmut/indem du auf dich selbst siehst, daß nicht auch du versucht werdest" (Gal 6, 1). — Diese Gesinnung ist weit von 
dem Geiste entfernt, der nur Fehler bei anderen sucht, um 
sie zu richten, wozu wir so neigen, wenn wir nicht wachsam 
über uns selbst sind. Offenbare Fehler anderer aber haben 
wir nicht zu beschauen, sondern durch die Anwendung des 
Wortes Gottes in einer Weise beseitigen zu helfen, die den 
Eindruck gibt, daß unsere Hilfe nur von Liebe und Demut 
bestimmt ist. Es genügt nicht, daß ich das Böse in einem 
anderen kenne und das leinene Tuch und das Wasser in 
Bereitschaft zur Fußwaschung habe, sondern ich muß vor 
allem sein Vertrauen zu gewinnen und sein Herz in meiner 
12 
Gegenwart in Ruhe zu bringen suchen durch das Gefühl, daß 
die Liebe und nur die Liebe mich zu Ihm geführt habe. Er 
muß es mir abfühlen, daß ich bereit bin, mich zu seinen 
Füßen zu beugen und sie zu waschen, wenn er sich mir nur 
überlassen will. 
Wir müssen es als ein gesegnetes Vorrecht betrachten, daß 
der Herr uns berufen hat, einander die Füße zu waschen. JEs 
ist ein Dienst, den wir allen Heiligen schulden, und wir sollten darüber wachen, ihn an allen auszuüben, die Christo 
angehören. Wir bedürfen dazu nicht der besonderen Gabe 
eines Lehrers oder Hirten, sondern es ist einfach ein Dienst 
der Liebe, den ein Gläubiger dem andern nach der Ermahnung des Herrn im tagtäglichen Leben schuldet. Wenn wir 
glücklich sind im Herrn und mit Ihm wandeln, wird es bei 
uns an der Ausübung dieses Dienstes gegen andere nicht 
fehlen. Nach diesem Dienst, der durch die glänzendsten Gaben nicht ersetzt werden kann, besteht ein großes Bedürfnis 
unter den Heiligen; es ist der Dienst, der im Hause, in der 
Einsamkeit des täglichen Lebens ausgeübt wird. Hier ist der 
Platz der wahren Fußwaschung und je mehr wir Christum 
als Den kennen, Der in unserem vertraulichen Verkehr mit 
Ihm die Füße wäscht, desto mehr werden wir im vertrauten 
Umgang mit anderen Gläubigen ihnen die Füße zu waschen 
suchen. 
Möge der Herr uns helfen, daß wir einander in Liebe 
dienen! Wir werden dann erfahren, daß es nicht ein einseitiger, sondern ein gegenseitiger Dienst ist. 
13 
Gnade und Wahrheit 
„Das Gesetz wurde durch Moses gegeben; die Gnade und 
die Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden". In diesen 
wenigen aber wichtigen Worten zeigt uns der Geist Gottes 
den Wechsel oder vielmehr den Gegensatz, den die Handlungsweise Gottes gegen den Menschen durch das Kommen 
Seines Sohnes in die Welt erfahren hat. Indem er von der 
göttlichen und persönlichen Herrlichkeit Dessen redet, Der 
Seinen Platz unter den Menschen genommen hat, sagt Johannes : „Das Wort war bei Gott und das Wort war Gott . . . 
und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns". Es 
wohnte unter den Menschen, aber „voller Gnade und Wahrheit" für den Menschen. 
Mit Moses kam das Gesetz, das Aussprüche Gottes an den 
Menschen enthielt. Gott forderte darin die völlige Unterwerfung des Menschen unter dessen Autorität, während es zugleich die Grundlage der Beziehung des Menschen zu Gott 
bildete — eine Grundlage, welche den Gehorsam gegen den 
bekannten Willen Gottes zur Bedingung des Segens machte. 
Das Gesetz sagte dem Menschen, wie er sein sollte, und 
sicherte ihm nach der gerechten Regierung Gottes die Segnungen für den Fall zu, daß er die göttlichen Forderungen 
erfüllte , während es ihn aus demselben Grunde ohne 
Barmherzigkeit verdammte, wenn er auch nur in einem Punkte fehlte. Moses zeigte in seiner Rechten und Linken die 
Forderungen Gottes als ein Licht, durch welches der Mensch 
sehen konnte, wie er sein sollte. Er offenbarte die Grundsätze, nach denen Gott allein mit dem Menschen in dem 
Zustand verkehren konnte, in welchem das Gesetz ihn fand. 
In jedem Falle aber deckte dieses Licht mehr oder weniger 
nur das Böse auf, so daß nach dem Grundsatz der Regierung 
keine Segnung stattfinden konnte. Paulus erklärt uns dieses 
merkwürdige Resultat lehrhaft mit den Worten: „Denn so 
viele aus Gesetzeswerken sind, sind unter dem Fluche". Es 
bleibt also für den Menschen, insofern er zu Gott nach dem 
Grundsatz des Gesetzes in Beziehung steht, keine andere 
Aussicht, als das Gericht. Und je mehr das Licht des Gesetzes sein Herz und seine Wege beleuchtet, umso mehr sagt 
ihm sein Gewissen, daß sein Gericht gerecht ist, ohne daß 
ihm das Gesetz auch nur den entferntesten Ausweg zum 
Entrinnen zeigt. 
14 
Der Grund hierfür ist sehr klar: das Gesetz zeigt nie, was 
Gott in Sich Selbst fü r den Menschen ist, sondern was 
Gott in Seiner Autorität vom Menschen in dem Zustand 
erwartet, worin er sich befindet. Moses hatte die Aufgabe, 
Gott nicht anders als nur auf der Grundlage der menschlichen Verantwortlichkeit zu offenbaren. Weiter ging jene 
Haushaltung oder die durch Mose dargestellte Beziehung 
Gottes zu den Menschen nicht. Das Licht, welches er in bezug auf Gott und Menschen darbot, war nur eine teilweise 
und begrenzte Offenbarung, wie auch die Wahrheit, die er 
dem Menschen zum Bewußtsein brachte. Dieses beschränkte 
Maß an Wahrheit enthielt keinen Anflug von Gnade, die 
doch den durch diese Wahrheit geoffenbarten Zustand allein 
hätte heilen können. Folglich war sein Dienst ein Dienst des 
Todes und der Verdammnis; nur Elend und Seelennot bezeichneten seinen Pfad. Und wo das Gesetz auch jetzt noch 
seine Stimme hören läßt, hat es dieselben unausbleiblichen 
Folgen. 
Während der Haushaltung des Gesetzes, die mit Moses 
beginnt und endet, gab es nur Finsternis — eine Dunkelheit, 
welche durch das Licht des Gesetzes nur noch schärfer hervorgehoben wurde. Das Evangelium ist daher keine Fortsetzung oder Entwicklung der vorhergehenden Haushaltung; 
es steht zu ihr vielmehr in allen seinen Zügen in einem offenbaren Gegensatz. Es beginnt, wo das Gesetz endigt. Moses und seine Haushaltung verschwinden, um Christo Platz 
zu machen, mit Dessen Eintritt ein vollständiger Wechsel in 
der Handlungsweise Gottes mit den Menschen eingetreten 
ist. Es handelt sich hier aber nicht nur um einen Wechsel in 
der Haushaltung, auch nicht bloß darum, daß eine andere 
Person mit der Fülle der Macht und mit anderen Grundsätzen gekommen ist, um von seiten Gottes eine neue Grundlage der Beziehungen mit Gott einzuführen, sondern der 
Gekommene ist „Gott, geoffenbart im Fleische". Es ging nun 
nicht mehr um Forderungen, deren Erfüllung Gott von dem 
Menschen erwartete und deren Gerechtigkeit der Mensch anerkennen mußte, obgleich sie ihn unter die Verdammnis 
brachte, sondern Gott Selbst kam, wie Er in Sich Selbst ist, 
„voller Gnade und Wahrheit" für die, zu denen Er kam. 
Moses und seine Haushaltung mußten notwendig der Gegenwart Dessen weichen, Der in der Fülle Seiner eigenen Person kam, um Selbst mit dem Menschen zu verkehren, und 
zwar im Grundsatz nicht danach, was der Mensch für Gott 
sein sollte, sondern was Gott für den Menschen sein wollte. 
15 
Moses erwartet alles von Seiten des Menschen für Gott; 
das ist Gesetz. Mit Jesum Christum kommt alles von Seiten 
Gottes zu dem Menschen; das ist unergründliche Gnade, die 
ihrer Natur nach alles ausschließt, was sie nicht selbst ist. 
Das Gesetz fordert alles und gibt nichts; die Gnade fordert 
nichts und gibt alles. Das Gesetz wirkt Zorn, die Gnade 
wirkt Segen und nur Segen. 
Es ist daher unmöglich, daß der Mensch in einer Vermischung der Grundsätze von Gesetz und Gnade Beziehungen zu Gott erlangen kann. Können Moses und Christus die 
Herrlichkeit einer gemeinschaftlichen Haushaltung teilen? 
Kann jemand, der nur fordert und der die verdammt, welche 
seiner Forderung nicht entsprechen, zu einer wirksamen 
Übereinstimmung mit dem gelangen, der nur gibt und nichts 
als Segnungen zu spenden hat? Können Zorn und Liebe sich 
vereinen, um miteinander in Beziehung zu demselben Gegenstand treten? Unmöglich. 
Die Stelle: „Das Gesetz ist durch Moses gegeben; die 
Gnade und die Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden", hat also nicht die Bedeutung, daß durch den einen das 
Gesetz, durch den anderen Gnade und Wahrheit eingeführt 
ist, sondern enthält die Ankündigung, daß eine Handlungsweise mit dem Menschen einer anderen nach der Vollkommenheit der Wege Gottes Platz gemacht hat. Auch die Würdigkeit der beiden Personen steht beziehungsweise zueinander im Gegensatz. So sind z. B. Gnade und Wahrheit nicht 
bloß gekommen , sondern sie sind in dieser göttlichen, 
Fleisch gewordenen Person lebendig vertreten, so daß solche, 
die zu Jesu kommen, nichts anderes als „Gnade und Wahrheit" finden und sagen können: „Aus Seiner Fülle haben 
wir alle empfangen, und zwar Gnade um Gnade". 
Aber wodurch kennzeichnet sich die Gnade, welche keine 
Vermengung zuläßt? Durch die göttliche Liebe inmitten der 
Sünder — eine Liebe, die Verlorene sucht und Sich für sie 
verwendet. Das vermochte die Gnade nur in einer Welt, wo 
alle Sünder sind, deren Zustand die Tätigkeit der Liebe in 
ihrem Charakter als Gnade hervorruft. Sie fand bei dem 
Menschen nur Sünde, Haß und Elend; aber sie vergibt die 
Sünde, tilgt den Haß und heilt das Elend. Sie gab Sich sogar 
in den Tod, um alles hinwegzuräumen, was den Segnungen 
ihrer Gegenstände hindernd im Wege stand. Was unter 
den Menschen als die „Gnade" geoffenbart wurde, war 
aber zugleich auch die „Wahrheit", welche alles in seinem 
16 
wahren Zustand vor Gott offenbarte, in seinem wahren 
Verhältnis zu Gott durch die Gegenwart Christi auf einmal ins Licht stellte. Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit, 
Gott und Mensch — kurz die Wahrheit von allem ist 
in jeder Beziehung unter dem Strahl dieses Lichts enthüllt 
worden. Was der Mensch zu tun hat, beschränkt sich darauf, daß er dieses Licht — die Wahrheit annimmt. Das 
Licht wird nicht von dem Objekt verändert, auf das es 
fällt, sondern es beleuchtet einfach alle s und zeigt so seine 
wahre Gestalt. Das Gesetz bringt zwar Wahrheit, aber nicht 
„die Wahrheit", welche alles aufdeckt, was geoffenbart werden kann. Im Licht des Gesetzes sieht sich der Mensch allerdings als Übertreter, über den das Tod und Verdammnis 
bringende Gericht Gottes verhängt ist. Doch wenn er zu 
Jesus kommt, so sieht er alles , weil er zu „dem Licht" 
gekommen ist, das ihm die ganze Wahrheit zeigt. Er sieht 
nicht nur, daß er ein Übertreter, sondern daß er seiner Natur 
nach ein Sünder und Feind Gottes ist; er erblickt alle Folgen 
eines solchen Zustandes Gott und der Ewigkeit gegenüber. 
Aber er erblickt daneben auch eine Liebe, die herabgekommen ist, um ihn von alledem, was durch das Licht geoffenbart worden ist, zu befreien; denn „das Licht ist das Leben 
der Menschen". So entschwinden der Seele die Angst und 
die Schrecken des Todes und der Verdammnis, und es kehren Friede und Freude in das Herz ein. Während die Wahrheit sich ganz und gar mit dem Gewissen beschäftigt, erfüllt die Gnade das Herz und treibt alle Furcht aus, weil die 
göttliche Liebe in Tätigkeit ist, um einen Sünder zu segnen. 
Das sind die Erfahrungen dessen, der zu Jesu kommt; 
„Gnade und Wahrheit" nehmen Besitz von ihm; er findet 
Frieden mit Gott und Freude in Gott. „Gott ist die Liebe — Gott ist Licht". Das ist und war Er in Seiner Natur 
von Ewigkeit her. Und Er — die Liebe und das Licht — ist 
in Christo Jesu als „Gnade und Wahrheit" geoffenbart worden in dem Charakter, der dem Menschen, und zwar nicht 
dem unschuldigen Menschen, sondern dem Sünder angepaßt 
ist. — Das Gesetz wendet sich an Menschen, die gerecht sein 
sollten und verdammt sie; die Gnade und Wahrheit verkehrt 
mit Sündern und errettet sie. 
Geliebter Leser! Auf wen ist dein Ohr gerichtet? Auf 
Moses oder auf Christum Jesum? Moses kann dir nur das 
Gesetz und dessen schreckliche Drohungen geben; Jesus 
Christus hat für dich nur Gnade und Wahrheit mit all den 
Segnungen, welche die göttliche Liebe gewähren kann. 
77 
„Kommet her zu mir! 
„Gehet fort von mir!" 
Wie inhaltsschwer ist das Wörtchen „Komm!" das ehemals 
nach seinem unschätzbaren Wert von den Lippen Jesu ausgesprochen wurde! Es charakterisiert die derzeitigen Wege 
Gottes gegen die Welt und begegnet den Bedürfnissen dessen, der sich durch die Sünde elend und verlassen fühlt. Es 
redet von einem Gott, der die Tür vor dem Klopfen eines 
wahrhaft bekümmerten Menschen nicht verschließt, sondern 
sie vielmehr weit vor ihm öffnet, um ihn mit Freuden in 
Seine Arme zu schließen. Wie der Wind die Spreu, so verscheucht es jede Furcht, die als die Frucht der Sünde in dem 
Herzen eines jeden Nachkommen dessen wohnt, der sich 
einst vor der Gegenwart Gottes unter den Bäumen zu verbergen suchte. Es verkündigt uns einen Gott voll unendlicher Barmherzigkeit, Der dem verlorenen Sohn ungeachtet 
seiner Missetaten entgegeneilt, ihn umarmt, küßt, bekleidet 
und aufnimmt. Es ließen sich wohl Bände füllen über die 
Sprache, die dieses kleine Wort zu uns redet. Es ist da s 
mächtig e charakteristisch e Wor t vo n heu -
t e — „komm!" 
Es findet seinen Widerhall in dem Herzen, der Offenbarung, den Wegen und der Botschaft Gottes, in jener Botschaft, deren klangvolle Töne sich überall hören lassen, wo 
irgend in dem weiten Bf reich der Sünde das Evangelium der 
Gnade Gottes verkündigt wird. „Komm! komm! komm!" — 
so dringt es wie ein feierliches Echo aus den geweihten 
Räumen hernieder, wo die Engel Gottes sich freuen über 
einen Sünder, der Buße tut. ,^Wenn jemand dürstet, der 
komme zu mir und trinke!" So schallt es uns aus jenem 
kostbaren Buche entgegen, das uns allein den Willen Gottes 
offenbaren kann. Alle Wege Gottes mit dem Sünder, wie 
persönliche Ermahnungen, ein verlängertes Leben, abgewandte Gefahren, Pfade der Trübsal, flüstern im geheimen 
in flehendem Tone: „Komm!" — „Komm!" so ertönt es von 
den Lippen des Herolds heute wie immer schon seit Tagen, 
Wochen, Monden und Jahren. „Komm!" ist der gnädige 
Ruf, der vom Himmel herab in Liebe und Ernst an Alte und 
Junge, an Reiche und Arme, an Juden und Nationen, an 
Ehrbare und Lasterhafte gerichtet ist. „Kommet her zu mir 
18 
alle Mühselige und Beladend" — Alle werden eingeladen; alle sind willkommen. „Alles ist bereit, kommt . . .!" 
Wie wunderbar, daß Got t mit einer brennenden Sehnsucht Sünde r einladen kann! Wahrlich höchst wunderbar! 
Aber die einzige und alleinige Ursache ist: „Gott ist Liebe". 
— Doch wie hat der Sünder die Liebe aufgenommen? Die 
Antwort aus dem Munde Dessen, Der „wie nie ein Mensch 
geredet hat" lautet: „Ihr wollt nicht zu mir kommen, auf daß 
ihr das Leben habt". Kann es möglich sein? Kann man eine 
solche Liebe, Gottes eigene Barmherzigkeit hartnäckig von 
sich weisen? Der Herr sagt es: „Ihr wollt nicht zu mir kommen". — 
Geliebter Leser! Der Herr sagt nicht: „Ihr könn t nicht 
zu mir kommen", sondern: „Ihr woll t nicht zu mir kommen". Der Mensch besiegelt sein Urteil durch seine eigene 
vorsätzliche Verachtung der Barmherzigkeit Gottes. Welch 
eine ernste, feierliche Wahrheit! Die Tür ist geöffnet, die 
Gelegenheit gegeben, und eine treue und liebevolle Stimme 
ruft: „Komm!" Aber der Mensch antwortet darauf mit Geringschätzung und Verachtung. Sein Leben, seine Sünden 
und alle seine Wege sind eine einzige Verachtung der Barmherzigkeit Gottes. „Sie aber achteten es nicht und ginge n 
hin , der eine auf seinen Acker, der andere an seinen Handel'' — der Ruf vom Himmel verhallt im Munde. Schrecklich! 
Aber was wird aus dem Verräter? Ist er etwa der Vernichtung oder der Vertilgung anheimgegeben? O nein, ein 
weit schrecklicheres Los wartet seiner. Er, der sein Ohr dem 
einladenden Worte des Herrn gegenüber verschlossen hat, 
wird gezwungen sein, einmal ein anderes Wort zu hören, 
eine andere Wahrheit anzunehmen und die Folgen seiner 
Torheit zu ernten. Er wird zu Boden sinken vor dem markerschütternden Ton der Worte: „Geh e vo n mir! " Nachdem ihm das liebliche Wort „Komm!" oftmals vergeblich zugerufen worden ist, wird das furchtbare Wort: „Gehe von 
mir!" in sein Ohr dringen. Ach! dann wird es heißen: "Gehet von mir, Verfluchte, in das ewige Feuer!" 
O geliebter Leser! Kannst du diesen Gedanken ertragen? 
Ist es nicht entsetzlich, von Ihm zurückgewiesen zu werden, 
Der die einzige Quelle der Liebe, des Lichts und der Segnungen ist, Der mit herablassender Gnade dich ertrug, Sich 
mit großem Verlangen nach dir sehnte, dir unaufhörlich 
nachging und dir immer und immer wieder das süße Wort: 
„Komm! komm! komm!" zuflüsterte? Kannst du den Ge19 
danken an den „Wurm, der nicht stirbt" und an das „Feuer" 
das nicht erlöscht", ertragen, wo doch eine Veränderung oder 
Milderung deiner furchtbaren Lage nie mehr zu erwarten 
ist? Willst du es wagen, dem Schrecken des Wortes: „Geh 
von mir!" die Stirn zu bieten? Willst du es wagen, der entsetzlichen Finsternis, dem undurchdringlichen Dunkel, der 
unbeschreiblichen Einsamkeit, den nagenden Gewissensbissen und der unaufhörlichen Todesangst zu trotzen? 
Steh still und denk nach! Wach auf! Betrachte die ganze 
Wirklichkeit dieser Wahrheit und öffne dein Ohr der Barmherzigkeit, welche dir in diesem Augenblick noch zuruft: 
„Komm! komm! komm!" 
Die Entscheidung für Christum 
(Ruth 1) 
Das erste Kapitel des Buches Ruth stellt uns drei Charaktere beispielhaft für drei verschiedene Seelenzustände vor 
Augen. Noomi ist das traurige Beispiel für eine abtrünnige 
Seele; Orpa verkörpert den Zustand eines Menschen, der 
die Welt höher achtet als Christum, und Ruth ist das schöne 
Bild einer Seele, die Christo vor allem anderen den Vorzug 
gibt. Was ist dein Charakter, mein teurer Leser? Bist du ein 
Abtrünniger? Achtest du die Welt höher als Christum? Oder 
gibst du Christo vor allem anderen den Vorzug? 
Noomi hat die Liebe Gottes gekostet, Ihm dann aber den 
Rücken gekehrt und die Welt wieder liebgewonnen. Ihr 
gleicht, wer eine Zeitlang mit dem Herrn gewandelt und 
Seinen Namen bekannt hat, wer die Köstlichkeit Seiner Gemeinschaft genossen hat und Ihm eine Zeitlang aufrichtig 
zugeneigt zu sein schien, sich aber — anfangs unmerkbar, 
später mehr und mehr offenbar — dennoch von dem Herrn 
abgewandt hat. Ach! in einer Seele, die Christum für die 
Welt hingegeben hat, ist alles bitter. „Nennt mich nicht 
Noomi (lieblich), nennt mich Mara (bitter)", sagt sie. Darum, 
mein Leser, bist du ein solcher, so kehre um! Du fehlst dem 
Vater im Schöße Seiner Familie; du fehlst dem Heiland an 
Seiner Seite und du fehlst dem guten Hirten in Seiner Herde. Kehre um mit aufrichtigem Bekenntnis und Selbstgericht! 
Sein Herz ist gegen dich unverändert geblieben; trotz all 
20 
deiner Verirrungen liebt Er dich vollkommen; Er verlangt 
danach, dich wieder in Seiner Nähe zu sehen. 
Zehn Jahre hatte Noomi mit den ihrigen außerhalb des 
jüdischen Landes zugebracht. Sie hätte das Land ihrer Väter, 
da wo Gott bekannt war, nie verlassen sollen. Man wird einwenden, daß die Hungersnot im Lande sie zur Auswanderung gezwungen habe. Freilich waren die Umstände wider 
die Natur; aber die Natur wendet sich stets von Gott ab. 
Deshalb ist eine solche Handlungsweise töricht. Konnte Gott 
in Bethlehem nicht ihr Leben fristen? — „Bethlehem" heißt: 
„Brothaus". Konnte Gott sie dort nicht ernähren? Was erreichte sie durch ihre Auswanderung? War in Moab alles 
nach ihrem Wunsche? Nein, ein Herz, das sich vom Herrn 
abwendet und die Welt lieb gewinnt, findet nur Mühe und 
Unruhe, nicht aber Frieden. 
Noomi hatte Judäa mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen verlassen. Nach kurzer Zeit wurde das Liebste, das sie 
in der Welt besaß, von ihrer Seite hinweggerafft und ins 
Grab gelegt. Zuerst starb Elimelech, ihr Mann; kurz darauf 
folgten ihre beiden Söhne Machion und Kiljon, und „das 
Weib blieb übrig von ihren beiden Söhnen und von ihrem 
Manne" (V. 5). Das sind die Wege des Herrn. Es war, als 
hätte Er zu ihr gesagt: „Ich habe dich zu lieb, um diese Stützen, auf welche du dich lehnst, an der Seite zu lassen; ich 
werde sie hinwegnehmen, auf daß du dich allein auf mich 
stützen lernst". O gepriesen sei Sein Name! Wiewohl sie 
sich von Ihm abgewandt hatte, Er verließ sie nicht. Wenn Er 
züchtigt, so geschieht es nur zu dem Zwecke, das abtrünnige 
Herz wieder zu sich zu ziehen. 
In dieser Weise weiß die Gnade Gottes das Herz zurückzuführen. Noomi trat den Rückweg an, nicht nur weil sich 
das Gefilde Moab als eine Grabstätte für sie erwiesen hatte, 
sondern weil sie, nachdem sie in Moab alles einbüßt, vernommen hatte, daß „Jehova sein Volk besucht habe, um ihnen Brot zu geben" (V. 6). Wie gern besucht der Herr die 
Seinen! Er mag sie, wenn es nötig ist, züchtigen; aber es ist 
die Lust Seines Herzens, sie mit überströmender Freude zu 
erfüllen. Es war des Herrn Gnade, die Noomi zurückführte. 
Was brachte Petrus nach der Verleugnung seines Herrn 
zurück? Der liebevolle Blick Jesu. Kurz zuvor hatte der arme 
Jünger mit einem Schwur versichert, daß er „diesen Menschen" nicht kenne und nun ruht das Auge Jesu auf ihm, 
als wollte Er ihn fragen: „Petrus kennst du mich wirklich 
21 
nicht?" Es war kein Blick der Verachtung oder des strengen 
Verweises, obwohl Petrus ihn verdient gehabt hätte. Nein, 
es war ein Blick jener unendlich zarten und starken Liebe, 
die alle Erkenntnis weit übersteigt — ein Blick, der besagte: 
„Wenn du mich auch nicht kennst, so kenne doch ich dich, 
und meine Liebe ist nicht geschwächt". „Und Petrus ging 
hinaus und weinte bitterlich". Kein Wunder, die Gnade hatte 
sein Herz zerbrochen. Später stellte der Herr den zerknirschten Jünger wieder her, indem Er Petrus zur Verurteilung 
dessen bringt, was ihn zu Fall gebracht hat, dann aber 
schenkt Er ihm Sein volles Vertrauen wieder. Wir würden 
wohl sagen, daß ein Mensch, der so gehandelt hat, unser 
Vertrauen nicht mehr verdient. Aber der Herr handelt anders. Nachdem Er den Jünger gelehrt hat, sich selber zu richten, beschenkt Er ihn erneut mit seinem vollen Vertrauen. 
Richten wir jetzt unsere Blicke auf die beiden Personen, 
die sich bereit erklärten, der Witwe zu folgen. In dieser Beziehung begeht Noomi selbst noch auf ihrem Rückwege eine 
Torheit, die nicht wieder gutzumachen war. Anstatt ihre 
Schwiegertöchter zu dieser Reise zu ermuntern, sucht sie beide — bei Orpa mit Erfolg — zum Zurückbleiben zu bewegen. 
Die beiden jungen Frauen hatten gleichen Kummer erfahren; 
sie befanden sich in gleichen Umständen, unter gleichen Einflüssen und unter dem gleichen Zeugnis; denn aus den 
Worten Ruths geht deutlich hervor, daß Noomi mit ihnen 
über Gott und Seine Verheißungen geredet hatte. Orpa genoß dieselben Vorrechte wie Ruth und anfänglich kehrten 
sie daher auch beide der Welt den Rücken, taten den ersten 
Schritt, die Welt preiszugeben und sich dem Herrn zuzuwenden. Aber dann schieden sich ihre Wege. Orpa blieb zurück. 
Sollte nicht der eine oder andere Leser in der armen Orpa 
sein eigenes Bild sehen? Wer du auch sein magst, mein 
Freund, ich zweifle keinen Augenblick daran, daß du Stunden ernsten Nachsinnens durchlebt hast — Stunden, in denen 
du völlig von der Notwendigkeit deiner Bekehrung überzeugt 
warst. Oder hast du nie gezittert, wenn du eine Predigt über 
Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit und über das kommende Gericht angehört hast? Sicher bist du manches mal beunruhigt 
worden. Aber hast du Christum erwählt? Du magst zugegeben haben, daß es besser sei, ein Christ als ein Kind dieser 
Welt zu sein. Du magst dir deiner Sünden bewußt und beunruhigt geworden sein bei dem Gedanken, daß du es einmal mit Gott zu tun haben wirst und daß das kommende 
Gericht mit raschen Schritten herannaht. 
22 
Doch vielleicht sagst du: „O nein, ich habe kein Schuldgefühl, keine Angst vor der Zukunft, keine Besorgnis in 
bezug auf Gott und meine Seele". Sprichst du wirklich so? 
Dann, mein armer Freund, hast du noch Tage fürchterlicher 
Einsicht, schrecklicher Angst, unaussprechlicher Gewissensbisse zu erwarten, und zwar an einem Orte, wohin kein 
Hoffnungsstrahl dringt und wo Überführung, Angst und 
Gewissensqual zu spät kommen. O mein Freund! Möchtest 
du doch noch heute erwachen und zur rechten Oberzeugung 
kommen — heute, wo du noch Zeit hast, dich für Christum 
zu entscheiden! Hast du dich angesichts des Todes von Bekannten oder Freunden nie gefragt: „Was würde mit mir 
sein, wenn ich abgerufen worden wäre?" Antworte mir 
doch: Wie würde es um dich stehen, wenn du heute sterben 
müßtest? Wo würde nach einem Leben ohne Gott, ohne 
Christum, mit allen deinen Sünden auf deinem Gewissen, 
in Ewigkeit, in endlos langer Ewigkeit dein Aufenthalt sein? 
Wohin würdest du gehen, wenn Gott, nachdem du dich bisher nur mit der Welt und ihren Vergnügungen beschäftigt 
und in der Sünde gelebt hast, deinem Leben beim Lesen dieser Zeilen plötzlich ein Ende setzte? Ach! es ist sicher die 
höchste Zeit zur Umkehr. Wende dich zu Jesu! Könntest du 
einen gelegeneren Augenblick für deine Errettung abwarten? 
Ist es nicht eine dringende Notwendigkeit, dich heute für 
Christum zu entscheiden? O gewiß. Er hat dich lieb und 
möchte dich so gern erretten. Sein Name ist „Jesus" d. h. der 
Herr, Der selig macht. Er lädt dich ein, dein Vertrauen 
auf Ihn zu setzen. Willst du dein Kommen etwa bis morgen 
verschieben? O Unglückseliger! Wer bürgt dir dafür, daß du 
morgen noch Gnade finden kannst? 
Vor kurzer Zeit stand der Verfasser dieser Zeilen am 
Sterbelager eines Mannes, der am Tage zuvor noch gesund 
und wohlauf gewesen, aber binnen sechs Stunden hinweggerafft worden war, und das, mein teurer Leser, kann morgen, ja heute noch, auch mit dir der Fall sein! Ach! wenn 
du in deinen Sünden sterben würdest! Laß dich warnen, 
denke an deine arme Seele, entfliehe dem zukünftigen Zorn! 
Willst du nicht, daß der Herr dir deine Sünden vergebe? 
Willst du nicht zu der Schar der Erlösten des Herrn gehören? 
Ach! entscheide dich, entscheide dich noch heute, entscheide 
dich für Christum. 
Was war das Gefilde Moab für Noomi gewesen? Eine 
Grabstätte. Und was ist-diese Welt? Eine große Grabstätte. 
23 
Der Leichenwagen, der dir auf dem Wege begegnet, erinnert 
dich an den Tod. Du gehst einige Schritte weiter, und dein 
Blick fällt auf ein Haus mit geschlossenen Fensterläden: auch 
dort ist der Tod. Es begegnet dir ein alter Bekannter, dessen 
trüben Blicke und dessen Traueranzug dir verkünden, daß 
der Tod auch in seinem Hause teure Bande der Natur durchschnitten hat. Du kehrst in dein Haus zurück und findest 
dort einen Brief mit schwarzem Rand, und der Inhalt sagt 
dir, daß der Tod dich wieder eines Freundes beraubt hat. 
Und schließlich — einen Tag, eine Woche oder ein Jahr später — findet sich in der Zeitung unter der Zahl derer, die 
plötzlich gestorben sind, auch dei n Name . 
Welch ein Trost ist es, den Blick von dieser düsteren Szene abwenden und zu dem lebendigen Gott erheben zu können! Und welch eine herrliche Erquickung liegt in dem Wissen, daß Er, Der mich unendlich liebt, nie sterben kann! Je 
teurer mir jemand ist, desto bitterer ist mir sein Verlust, 
wenn der Tod ihn von meiner Seite reißt. Aber Er, Der für 
mich zur Rechten Gottes ist, kann nicht sterben. Er ist einmal gestorben, und zwar für mich, und nun kann mein Herz 
sich fest an Ihn klammern, ohne daß dieses Band je zerreissen wird. O mein Freund, der du erlebt hast, wie der Tod 
dir das Teuerste entriß, willst du nicht Ihn kennenlernen, 
Der die Auferstehung und das Leben ist? In Ihm ist Leben 
für die Toten, Trost für die Lebenden, Brot für die Hungernden; alles ist in Jesu, dem Einzigen, Der dir nie mehr entrissen werden kann. 
Vielleicht wendest du ein, daß doch nicht alle Gläubigen 
glücklich seien. Das ist wahr, und die Ursache ist, daß sie 
abgeirrt sind wie Noomi. Sie wollen neben Christo auch die 
Welt genießen. Sie haben zu viel von Christo, um noch 
Freude in der Welt zu finden, und sie haben zu viel von 
der Welt, um völlige Freude in Christo zu genießen. Ihre 
Doppelherzigkeit macht sie unglücklich. Doch welch traurige 
Folgen hat eine solche Unentschiedenheit! Ihr Betragen übt 
den verderblichsten Einfluß, besonders auf junge Menschen 
aus, weil sie verkünden: „Ihr braucht nicht so ganz der Welt 
zu entsagen und auf der Seite Christi zu stehen; denn das 
würde euch nur Schaden bringen". Sie gleichen der Witwe 
Noomi, die sagte: „Kehret um, meine Töchter!" Welch eine 
traurige Sprache gegenüber solchen Seelen, die im Begriff 
stehen, sich für Christum zu entscheiden! Umkehren? Wohin? Umkehren nach der Hölle, nach dem Feuersee? Umkeh24 
ren zuerst nach Moab und seinen Abgöttern und dann ins 
Verderben? Das also war der Rat einer Frau, die den lebendigen Gott kannte, und dieser Rat lautete: „Genieße von 
der Welt, soviel du kannst, und gehe dann schließlich für 
ewig verloren". Selbst der Ungläubige verachtet einen Christen, der so spricht. Ach! wenn wir der Wahrheit einen weiten Spielraum setzen, so verlieren wir alles und gewinnen 
nichts. 
Wie annehmbar hingegen schienen die Segenswünsche 
Noomis zu sein: „Jehova erweise Güte an euch" (V. 8), und: 
„Jehova gebe euch, daß ihr Ruhe findet" (V. 9). Welch ein 
Widerspruch! „Wende dich vom Herrn ab und siehe zu, daß 
du Ruhe findest". Was hätten die beiden Frauen antworten 
können? „Wir besaßen alles; aber der Tod hat es uns entrissen, und wir stehen einsam und verlassen in der Welt". 
Gerade solche Seelen bieten Gott die Aufgeschlossenheit, bei 
ihnen einzukehren und sie zu erfüllen, zu trösten und zu 
befriedigen. Daß sie es ernst meinen, ist ihren Worten zu 
entnehmen: „Wir wollen mit dir zurückkehren" (V. 10). Sie 
entschieden sich für Christum. Aber Noomi sagt: „Kehret 
um!" Wie ist das möglich? „Kehret um von Gott und wendet euch zur Welt!" — zu der Welt, in der Noomi selbst 
keine Befriedigung gefunden hatte. Die Witwe ist ein Bild 
jener unbeständigen, wankelmütigen Christen, die nicht an 
die Errettung anderer glauben können und die ihrer eigenen 
Errettung kaum gewiß sind. Deshalb sagt sie: „Wenn ihr mit 
mir geht, so verliert ihr alle Aussichten in dieser Welt (V. 
11-13); kehret daher um und der Herr gebe euch Glück und 
Ruhe in dieser Welt". Ach! bei Orpa blieben diese Worte 
nicht ohne Wirkung, und wieviele geben sich gleichen Einflüssen hin? Wie mancher denkt an den Verlust seiner 
Freunde und an den Spott seiner Bekannten und urteilt: 
„Nein, dieser Berg ist nicht zu ersteigen!" Freilich, der Pfad 
ist steil; aber auf der Höhe des Berges, am Ende des Pfades, 
zeigt sich der Glanz der Herrlichkeit, der Freude und des 
Segens bei Christo bis in alle Zeitalter. 
Bis hierher waren die beiden Frauen denselben Weg gegangen. So können auch jetzt zwei Angehörige derselben 
Familie durch das Evangelium bewogen worden sein, sich zu 
Jesum zu wenden; aber wenn die Stunde der Entscheidung 
kommt, entschließt sich der eine für Gott, der andere für die 
Welt. Wer sagt: „Ich bin nicht darauf vorbereitet; ich habe 
25 
die Kosten nicht überschlagen", der gleicht Orpa. Sie küßte 
ihre Schwiegermutter (V. 14), verabschiedete sich von ihr 
und wandte sich von Gott und Seinen Segnungen ab. Von 
diesem Augenblick an trennen sich die Wege Ruths und 
Orpas. Sie scheiden voneinander für ewige Zeiten, indem 
jeder Schritt, den sie zurücklegen, die Kluft zwischen ihnen 
erweitert. Arme Orpa! Welch ein trauriges Ende nach einem 
so herrlichen Anfang! 
Vielleicht denkt der eine oder andere, daß dieses Gemälde 
zu trübe gezeichnet sei, und er fragt: „Werde ich in der Tat 
so viel von der Welt einbüßen? werden meine Aussichten 
in diesem Leben wirklich verloren sein? In diesem Falle 
möchte ich mich doch nicht für Christum entscheiden". So 
kehrt er nach den ersten Schritten zu Gott hin zurück, wählt 
die Welt und verwirft Christum. Unglücklicher Tor! die Reize dieser Welt ziehen dich an; aber was wird das Ende sein? 
Noch eine kurze Zeit, und das Gras ist verdorrt; es wird 
morgen in den Ofen geworfen. Wie entsetzlich ist das Ende 
einer unbekehrten Seele! Die Welt und ihre Freuden sind 
in der Tat verlockend; doch sie bieten kein wirkliches Glück 
für diese Zeit, wohl aber wirkliche Qual in der Ewigkeit. Du 
verwirfst Gott in Seiner Gnade in Christo; du wählst eine 
von Gott verworfene und verurteilte Welt, um einer Ewigkeit entgegenzugehen, in die niemals ein Strahl von Hoffnung, Licht und Liebe zu dringen vermag. Das sind die 
„herrlichen" Aussichten, die die Welt dir bietet. Es sind die 
Aussichten des reichen Mannes im Evangelium, der plötzlich 
aus dem Schöße der Welt in den Feuerpfuhl geschleudert 
wird. Dein Weg endet im Tode und im ewigen Gericht. 
Mein teurer Leser, du erblickst also entweder in Orpa 
oder in Ruth dein eigenes Bild. Entweder erwählst du die 
Welt und verwirfst Christum wie Orpa, oder du sagst wie 
Ruth: „Ich kann nicht zurückbleiben, auch wenn der Weg 
rauh und steil ist; ich richte mein Auge auf das Ende des 
Weges". — Ruth ist das Bild des Gläubigen, der sonst sagt: 
„Ich will, was ich sonst auch einbüßen mag, Jesum besitzen; 
denn Er zieht mich an; Ihn muß ich haben". Alle falschen 
Vorstellungen Noomis vermögen nicht, Ruth zurückzuhalten. 
Sie sagt: „Wohin du gehst, will ich gehen, und wo du weilst, 
will ich weilen; dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist 
mein Gott" (V. 16). Wie verachtet das Volk Gottes auch sein 
mochte, ihr Blick richtete sich dennoch auf den Gott dieses 
Volkes. 
26 
Ich richte an jeden, der nach dem ewigen Leben trachtet, 
die Frage: „Wonach trachtest du?" — Antwort: „Nach Gott 
Selbst". Der Prophet Jesaias redet von Göttern, die nicht zu 
erlösen vermögen (Kap. 45), und dann zeigt er, daß Gott ein 
„gerechter Gott und Heiland" ist. Er ist ein gerechter Gott; 
Er haßt die Sünde. Er ist aber auch ein Heiland; Er hat Seinen eigenen, vielgeliebten Sohn hingegeben, um am Kreuze 
für Sünder zu sterben, „der Gerechte für die Ungerechten, 
auf daß er uns zu Gott führe". Und jetzt ist Er bereit, alle 
die durch Jesum zu Ihm kommen, selig zu machen. Er ist 
reich an Barmherzigkeit; denn Er hat Seinen eingeborenen 
Sohn nicht verschont, um uns erretten zu können. Wunderbare Gnade! Völlig befriedigt durch das Opfer Jesu, ruft 
Er jedem beunruhigten Sünder zu: „Wer an den Sohn 
glaubt, hat das ewige Leben". Er sagt nicht: „Wer an den 
Sohn glaubt, der hat das Gefühl, im Besitze des ewigen Lebens zu sein". O nein, denn dann würde Satan der Seele 
stets zuflüstern: „Du hast noch nicht das wahre Gefühl". — 
Wenn du an den Herrn Jesus glaubst, so has t du das 
ewige Leben. In dem Augenblick, wo dein Herz sagt: „Wohlan, Gott ist für mich; denn Er hat Seinen Sohn für mich in 
den Tod gegeben, um mich von allen meinen Sünden zu erlösen", — kannst du auch von Gottes Gnade sagen: „Ich bin 
errettet; ich habe das ewige Leben". 
O wie glücklich ist die Seele, die sich für Christum entschieden hat! „Als Noomi sah, daß Ruth fest darauf bestand, 
mit ihr zu gehen, ließ sie ab, ihr zuzureden" (V. 18). „Und 
sie kamen nach Bethlehem beim Beginn der Gerstenernte" 
(V. 22). Im folgenden Kapitel lesen wir, daß Ruth bis zum 
Schluß der Gersten- und Weizenernte Ähren las. Was besagt das? Alles was sie sammelte, war ihr Eigentum. Teurer 
Leser! Hat sich auch dein Herz einmal für Christum entschieden, dann ist alles dein, was Er besitzt. Jesus Christus, 
Der die Toten lebendig macht, reicht allen, die an Ihn glauben, Leben, Frieden und Freude dar; Er wird bald kommen 
und sie zu Sich nehmen in die ewige Herrlichkeit. 
Nun, mein teurer Leser, nach welcher Seite hin willst du 
dich entscheiden? Für Christus oder für die Welt? Einen Mittelweg gibt es nicht. Lege diese Betrachtung nicht weg, ohne 
dich zu entscheiden; denn wenn du noch heute abgerufen 
wirst, dann wirst du entweder zu den Feinden, den Widersachern des Herrn, oder zu den Seinen gezählt werden, die 
Ihm angehören und die Ihn bis in alle Ewigkeit loben und 
preisen werden. 
17 
Die Auserwählung 
Unter den wichtigen Lehrsätzen der christlichen Wahrheit 
steht die Lehre von der Auserwählung an hervorragender 
Stelle. Sie macht uns mit den vor Grundlegung der Welt gefaßten Ratschlüssen Gottes bekannt. „Er hat uns auserwählt 
in Christo vor Grundlegung der Welt" (Eph 1, 4). Nicht 3ie 
Schöpfung des Himmels und der Erde ist das erste, was wir*" 
von Gott erfahren; o nein, vor Grundlegung der Welt, als 
noch nichts von dem bestand, was jetzt ist, hat Gott an uns 
gedacht, hat Er uns auserwählt, uns gekannt und uns verordnet, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein. Kostbare Wahrheit! Gott ist Liebe; das ist Seine Natur, Sein 
Wesen und diese Liebe hat Er offenbaren und mitteilen 
wollen. Das beschloß Er, ehe die Welt war. Es ist in der Tat 
herrlich, als gebeugte Sünder zu Jesu gekommen zu sein 
und die reiche Barmherzigkeit Gottes erfahren zu haben; 
aber weit herrlicher ist es, wenn wir, nachdem wir im Glauben an Jesum Frieden mit Gott gefunden haben, aus dem 
Munde Gottes vernehmen, daß Er nicht erst jetzt, sondern 
vor Grundlegung der Welt an uns gedacht hat. Ja, dann lernen wir, daß die Auserwählung nicht eine Folge unseres 
Glaubens, sondern daß unser Glaube eine Folge der Auserwählung ist, ja daß sogar alle Dinge, die Erlösung, das 
Kommen Christi auf die Erde, die Schöpfung des Himmels 
und der Erde ihre Ursache in der Auserwählung Gottes vor 
Grundlegung der Welt haben. Weil Gott uns auserwählt 
hatte, wurden Himmel und Erde, wurde der Mensch geschaffen und nachdem der Mensch gefallen, war diese Auserwählung die Ursache der durch Christum vollbrachten Erlösung. 
Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, ist die Lehre 
von der Auserwählung eine unendlich trostreiche Kostbarkeit für den Christen. Er lernt daraus, daß seine ganze 
Glückseligkeit in der ewigen Liebe und den ewigen Absichten Gottes begründet liegt. Diese Erkenntnis löst ihn von 
sich selber und bringt ihn in eine engere Verbindung mit 
Gott. Sie stellt seine Füße auf einen festen, unerschütterlichen Boden; denn was ist sicherer als die ewige Liebe Gottes? Sie beseitigt alle Gedanken an eigenes Wirken und eigene Vortrefflichkeit; denn „es liegt nicht an dem Wollenden, 
noch an dem Laufenden, sondern an dem begnadigenden 
28 
Gott" (Röm 9, 16). Leider hat der Mensch diese herrliche 
Wahrheit mißbraucht und sie als einen Stein des Anstoßes 
auf den Weg des verlorenen Sünders gelegt. Nichts steht 
mehr im Widerspruch zur Schrift und zur Absicht des Heiligen Geistes als diese mißbräuchliche Anwendung. Die AuserwähJuijgjLst eine Wahrheit, die in der Versammlung Christi _gelehrt werden soll, die aber für eine an die Welt gerichtete__Predigt^ ungeeignet ist. Den verlorenen Sündern muß 
das Evangelium der Gnade Gottes in Christo verkündet werden; sie müssen an Christi statt gebeten werden, sich mit 
Gott versöhnen zu lassen. Wenn auch der Prediger des 
Evangeliums weiß, daß nur soviele glauben werden, als zum 
ewigen Leben verordnet sind, so darf er doch die Auserwählung nicht in seine Predigt einbeziehen. Tut er es, so 
schwächt er die Verkündigung der Gnade Gottes und das 
Gefühl der Verantwortlichkeit des Menschen bezüglich der 
Annahme des Evangeliums. Nie haben die Apostel so gehandelt. Sie predigten das Evangelium alle r Kreatur ; 
sie bewogen die Mensche n zu glauben. In der christlichen Wahrheit, und mithin auch in der Auserwählung aber 
unterwiesen sie nur die, welche glaubten. Also geziemt es 
sich auch jetzt. Die Lehre von der Auserwählung ist im 
I n n e r n des Hauses zur Stärkung und Tröstung der G I ä ub i_g e n am Platz. Es ist der Teufel, der ihr einen Platz 
auße r hal b des Hauses angewiesen hat zum Anstoß bekümmerter Seelen. 
Was nützt es auch, daß man mit unbekehrten Menschen 
oder mit bekümmerten, noch nicht erlösten Seelen über die 
Auserwählung redet? Die natürliche Folge einer solchen Torheit ist, daß viele sagen: „Wenn ich nur wüßte, daß ich auserwählt wäre, dann dürfte ich mir Jesum und die Erlösung 
wohl zueignen". Aber wer kann dies wissen? Wo steht in 
der Bibel, wer auserwählt ist? Nirgends. Unsere Namen stehen nicht darin. Und das wäre doch erforderlich, wenn ich 
vorher wissen müßte, ob ich ein Auserwählter sei oder nicht. 
In der Bibel aber steht, daß jeder, der an Jesum glaubt, das 
ewige Leben hat und daß alle auserwählt sind, die das Evangelium angenommen haben. Der Sünder braucht also nicht 
zu wissen, ob er auserwählt ist, um zu Jesu zu kommen; 
im Gegenteil, er darf nicht als ein Auserwählter, sondern 
muß als ein verlorener Sünder, als ein Gottloser, als ein 
Feind Gottes zu Jesu kommen. Erst dann, wenn er an Jesum 
glaubt, wird ihm gesagt, daß er auserwählt ist. Woher wuß29 
te Paulus, daß die Thessalonicher auserwählt seien? Hören 
wir seine Worte: „Wissend, von Gott geliebte Brüder, eure 
Auserwählung. Denn unser Evangelium war nicht bei euch 
im Worte allein, sondern auch in Kraft und im Heiligen 
Geiste und in großer Gewißheit. Und ihr seid unsere Nachahmer geworden und des Herrn, indem ihr das Wort aufgenommen habt in vieler Drangsal mit Freude des Heiligen 
Geistes" (1. Thess 1, 4-6). Ihre Annahme des Evangeliums 
..mit Freude des Heiligen Geistes war also für ihn Beweis 
ihrer Auserwählung. Und dieser Beweis kann auf keine andere Weise geführt werden. Wie unglücklich sind solche, die 
anstatt auf Jesum zu sehen und zu Ihm ihre Zuflucht zu 
nehmen, ihr Auge auf die Auserwählung richten! Verharren 
sie dabei, dann wird die für die Gläubigen so trostreiche 
Wahrheit durch deren Mißbrauch für sie Anlaß zu ihrem 
ewigen Verderben werden. O, daß alle Prediger des Evangeliums diese bedauernswürdige Torheit erkennen möchten, 
damit sie die Seelen nicht aufhalten und durch Lehrsätze 
verwirren, die nicht in diesen Bereich gehören. Ihre Aufgabe 
ist es, auf den einzigen Namen hinzuweisen, Der unter dem 
Himmel gegeben ist und durch Welchen wir errettet werden 
können. 
Prüfen wir jetzt, was der Heilige Geist über die Auserwählung lehrt. Wir können uns zu diesem Zweck auf zwei 
odex.dre_LStellen in den Briefen des Paulus beschränken; denn 
an wievielen Stellen des Neuen Testaments auch von Auserwählung und von Auserwähjten gesprochen wird, die L e h -
r c von der Auserwählung finden wir nur in diesen wenigen 
Stellen und zwar am ausführlichsten im ersten Kapitel des 
Jrpheserbriefes, sodann in Röm 8, 29, 30 und endlich in Röm 
9. Hier wird jedoch nur der Grundsatz der Auserwählung 
hervorgehoben um, wie wir sehen werden, den Juden ,:u 
beweisen, daß, da ihre eigene Existenz als Volk auf die Auserwählung Gottes gegründet sei, sie notwendigerweise auch 
die Auserwählung der Heiden annehmen müßten. 
In Eph 1, 4 lesen wir: „Wie er uns auserwählt hat in ihm 
vor Grundlegung der Welt, daß wir heilig und tadellos seien 
vor ihm in Liebe". Wie bereits bemerkt, geschah unsere Auserwählu_ng_vsr_.Gxu^ .sie ist der erste Gedanke im Herzen Gottes, der Plan Seiner ewigen Liebe, ehe 
die Welt war. Diesem ersten wichtigen Gedanken folgt der 
zweite: wozu er^ uns auserwählt hat, nämlich „daß wir heilig 
und tadellos seien vor ihm in Liebe". Gott wollte uns vo r 
30 
Sich , vor Seinem Angesicht haben; Er wollte uns in Seine 
Gegenwart bringen. Dazu aber mußten wir Ihm gleichen. 
Ein ehrlicher Mensch kann sich in Gesellschaft eines unehrlichen nicht behaglich fühlen; noch viel weniger kann Gott 
das in Seiner Gegenwart dulden, was im Gegensatz zu Seiner Heiligkeit steht. Wollte Er uns daher in Seine Gegenwart bringen, so mußten wir Ihm gleich sein. Christus ist es; 
Er ist persönlich das Bild des unsichtbaren Gottes. In Ihm 
sind die Liebe, die Heiligkeit, die Vollkommenheit in all 
Seinen Wegen vereinigt. Darum sind wir in Ihm auserwählt. 
Gott ist heilig in Seinem Charakter, tadellos in Seinen Wegen, 
Liebe in Seiner Natur, und wir sind in Christo auserwählt, 
daß wir heilig und tadellos seien vor Ihm in Liebe. Welch 
ein Glück! Wir sind in der Gegenwart Gottes, Ihm gleichend, 
und zwar in Christo, Der der Gegenstand und der Maßstab 
der göttlichen Liebe ist, so daß Gott all Seine Wonne in uns 
finden kann, und da wir der göttlichen Natur teilhaftig sind, 
sind wir auch fähig, von dieser Natur völlig zu genießen. 
Aber der Heilige Geist geht noch einen Schritt weiter (V. 5). 
Erfordert die heilige Gegenwart Gottes, daß wir unbedingt 
heilig, tadellos und in Liebe sind, so hätten wir als Engel 
vor Gott sein können. Wir würden damit sicher zufrieden 
gewesen sein; aber Seine Liebe wäre dadurch nicht befriedigt worden. Gott wollte nicht nur Engel vor Seinem Angesicht haben; Er wollte Kinder besitzen. Er wollte in der 
engen und innigen Beziehung eines Vaters zu uns stehen 
und mit uns, als Seinen Kindern, Gemeinschaft machen. Darum fügt der Apostel hinzu: „Nach dem Wohlgefalle n 
seine s Willens" . Das erste war — mit Ehrerbietung 
gesprochen — notwendig ; das zweite entsprang dem Bedürfnis des liebenden Herzens Gottes, Seiner herrlichen 
Wonne. „Der uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch 
Jesum Christum für sich selbst nach dem Wohlgefallen seines Willens". 
Wir erfahren also, daß Gott uns vor Grundlegung der 
Welt auserwählt hat, damit wir — in sittlicher Beziehung 
Ihm gleich — vor Seinem Angesicht stehen, und daß Er uns 
zuvorbestimmt hat, Seine Kinder zu sein. Wir sind auserwählt in Christo und Kinder durch Jesum Christum. Christus 
ist das Bild des unsichtbaren Gottes; wir tragen dieses Bild, 
da wir in Ihm auserwählt sind. Christus ist der Sohn und 
wir treten in demselben Verhältnis vor den Vater. Welch 
eine unaussprechliche Gnade! Mögen unsere Herzen mehr 
31 
befähigt werden, dieser Gnade zu vertrauen und sie zu genießen! 
Als zweite Stelle belehrt uns Röm 8, 29. 30 über die Auserwählung. Der Apostel geht hier davon aus, daß „denen, 
die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken, denen, die 
nach Vorsatz berufen sind" (V. 28). Wir sind berufen nach 
dem Vorsatz, den Gott in Sich Selbst vor Grundlegung der 
Welt gefaßt hat. „Denn welche er zuvorerkannt hat, die hat 
er auch zuvorbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern". Gott hat uns also zuvorerkannt — das will in Verbindung mit dem, was in Eph 1 gelehrt wird, besagen: Gott 
hat uns vor Grundlegung der Welt als die Seinen erkannt, 
und Er hat die, welche Er als die Seinen erkannt hat, auch 
zuvorbestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu 
sein. Das will wohl nicht besagen, daß wir bestimmt seien, 
Christo durch unseren Wandel auf der Erde gleichförmig zu 
sein. Dazu sind wir sicher berufen; wir müssen Seinen Fußtapfen nachfolgen und Ihm praktisch durch den Heiligen 
Geist mehr und mehr gleich werden. Darum aber geht es 
hier nicht. Die Vorbestimmung, dem Bilde des Sohnes Gottes gleichförmig zu sein, bezieht sich auf die Gleichförmigkeit mit Christo in der Herrlichkeit. „Wir wissen", sagt 
Johannes. ..daß, wenn PS gpoffpnbart werderT wird, wir Ihm 
gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er ist" 
(1. Joh 3, 2). Christus, das Weizenkorn, ist in die Erde gefallen und gestorben und hat in der Auferstehung Frucht 
hervorgebracht. Diese Frucht sind die Gläubigen. Sie sind 
mit Ihm verbunden; sie sind eins mit Ihm; sie sollen die 
Herrlichkeit mit Ihm teilen. Er sagt Selbst: „Die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben", und 
„ich will, daß die, welche du mir gegeben hast, auch bei mir 
seien, wo ich bin". Jetzt sind wir noch auf der Erde und 
wandeln noch in einem sterblichen, verweslichen Leibe umher; aber wenn Jesus kommt, so werden die Entschlafenen 
in Ihm auferweckt und die übriggebliebenen Lebenden verwandelt werden. Dann empfangen sie alle einen Leib, der 
Seinem verherrlichten Leib gleichförmig ist (1. Thess 4; 
Phil 2). Dann werden sie als Söhne Gottes geoffenbart sein, 
weil sie Söhne der Auferstehung sind und dann ist der Vorsatz Gottes in Erfüllung getreten; denn dann sind sie alle 
dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig. Dann wird man eine 
Familie von Brüdern sehen; denn Jesus schämt sich nicht, 
32 
uns Brüder zu nennen. Zu Maria Magdalena sagte Er nach 
Seiner Auferstehung: „Gehe hin und sage meinen Brüdern!" 
Dabei dürfen wir jedoch nicht vergessen, daß, wie herrlich 
und innig die Gemeinschaft und die gesegnete Familie Gottes auch sein mögen, unser hochgelobter Herr dennoch den 
ersten Platz einnehmen wird. Wir sind durch die Gnade Seine Brüder; aber Er ist das Haupt und der Erstgeborene vieler Brüder. 
In V. 30 finden wir_ eine Verbindung der Wege Gottes in 
der Zeit mit Seinem vor Grundlegung der Welt gefaßten 
Vorsatz. „Welche er aber zuvorbestimmt hat, diese hat er 
auch berufen, und welche er berufen hat, diese hat er auch 
gerechtfertigt; welche er aber gerechtfertigt hat, diese hat er 
auch verherrlicht". Alles wird hier unter einem göttlichen 
Gesichtspunkt und gemäß der Absicht Gottes betrachtet, 
nicht als ob die Berufung, die Rechtfertigung und die Verherrlichung bereits vollbrachte Tatsachen seien, sondern 
weil der Heilige Geist uns vorstellt, was nach Gottes Willen 
von Anfang bis zu Ende unsere herrliche Stellung ist. Es 
W3.r__der vor Grundlegung der Welt gefaßte Ratschluß Gottes, 
uns dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu machen, und 
dieseaJVQrsatz erfüllt Er durch die Berufung, Rechtfertigung 
und_ Verherrlichung der Auserwählten, so daß hier also das 
herrliche Resultat mit Gottes ewigem Vorsatze und RatschluJLyerbunden ist. 
In diesem Zusammenhang muß hervorgehoben werden, 
daß Gott Personen auserwählt hat. Dies kommt in Eph 1, 
wie auch in Röm 8 deutlich zum Ausdruck. Es steht also 
mit der Wahrheit ganz und gar im Widerspruch, wenn behauptet wird, Gott habe im voraus nur gesehen, wa s einzelne Personen sein, tun und glauben würden. Der Apostel 
sagt_durchaus nicht: „Wa s Gott zuvorerkannt hat", sondern ^ W e 1 c h e Er zuvorerkannt hat". Gott hat die Menschen zuvorerkannt und nicht nur ihren Zustand oder ihr 
Verhalten. Und in Eph 1 heißt es: „Wie er uns auserwählt 
hat in ihm vor Grundlegung der Welt, daß wir heilig und 
tadellos seien vor ihm in Liebe", nicht aber: „Daß wir heilig 
und tadellos vor Ihm in Liebe waren". 
Auch die einschlägigen Stellen in Röm 9 sind oft höchst R>öi 
verkehrt ausgelegt worden. Aus diesem Grunde müssen wir 
uns damit etwas ausführlicher beschäftigen. Was ist der 
Zweck der Belehrung des Apostels in diesem Kapitel? Er hat 
in ,den vorhergehenden Kapiteln bewiesen, daß die Juden 
33 
wie die Nationen vor Gott Sünder und dem Gericht Gottes 
verfallen seien und daß sie also beide, wollten sie errettet 
werden, aus Gnaden und keineswegs aus Gesetzeswerken 
gerechtfertigt werden müßten. Das hob den Vorrang des 
gläubigen Juden gegenüber dem gläubigen Heiden auf. Als 
Sünder standen sie gleich, aber auch, wenn sie durch die 
Gnade erlöst und mit Christo vereinigt waren. Der Einwand 
der Juden hingegen zielte dahin, daß ihnen die Verheißungen Gottes anvertraut waren und daß sie deshalb weit über 
den Gläubigen aus den Nationen stehen würden, und es 
gereichte ihnen sehr zum Anstoß, in den Nationen Mitgenossen desselben Evangeliums und derselben Vorrechte in 
Christo erblicken zu müssen. Der Apostel antwortet darauf, 
daß Israel ohne Zweifel im Besitz der Verheißungen sei, 
daß diese jedoch nicht dem Samen Abrahams nach dem Fleische, „sondern den Kindern der Verheißung" nach der Auswahl Gottes gegeben worden seien. Nicht alle aus Israel seien Israeliten, sonst hätten auch die anderen Söhne Abrahams 
Erben der Verheißung sein müssen. Doch Gott hatte gesagt: 
„In Isaak wird dir ein Same genannt werden". Bei Rebekka 
zeigte sich dies noch offenkundiger. Selbst als ihre Kinder 
noch nicht geboren waren, sagte Gott: „Der Größere wird 
dem Kleineren dienen". Damit will der Apostel sagen: „Eure 
Existenz als Volk, eure Vorrechte, die euch gegebenen Verheißungen sind auf die Auserwählung Gottes gegründet. 
Hätte Gott nicht Isaak zum Sohn der Verheißung auserkoren, dann wäre Ismael euer Stammvater geworden, und hätte 
Gott nicht Jakob über Esau erhoben, dann würdet ihr jetzt 
keine Kinder der Verheißung sein. Ist Gott ungerecht, weil 
Er die Nationen zu den Segnungen des Evangeliums beruft, 
dann war es auch ungerecht, daß er Ismael und Esau als die 
Häupter Seines Volkes verworfen, und daß Er zu Moses 
gesagt hat: „Ich werde begnadigen, wen ich begnadige, und 
werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarme". Diese aus 
2. Mose angeführten Worte, welche Gott zu einer Zeit sprach, 
als Israel das Gesetz, bevor es noch ins Lager gekommen, 
durch seinen Tanz um das goldene Kalb bereits übertreten 
hatte, zeigen deutlich, wie unberechtigt die Einwendungen 
der Juden gegen die Auserwählung der Nationen waren. 
Hätte Gott Sich damals nicht in unumschränkter Gnade Seines Volkes erbarmt, so würde Er es in Seinem Grimm in 
eine m Augenblick vernichtet haben. Wenn sich nun das 
ganze Dasein Israels, wie es die Geschichte klar beweist, #uf 
34 
den souveränen Willen Gottes stützt, so daß es nicht an dem 
Wollenden, noch an dem Laufenden, sondern allein an dem 
begnadigenden Gott liegt, dann aber müssen sie auch aus 
demselben Grund djeAuserwählung der Nationen annehmen 
und dies umso mehr, da Israel als Volk, wie der Apostel 
in dem letzten Teil dieses Kapitels beweist, Christum und 
in Ihm die Segnungen des Evangeliums verworfen hat. 
Man sieht hieraus, daß in diesem Kapitel zwar von dem 
Grundsatz der Auserwählung die Rede ist, daß es sich hier 
aberkeineswegs um unsere Auserwählung zur Seligkeit handelt wie in Eph 1 und Röm 8. Freilich enthalten die Worte 
in V. 15 und 16 die allgemeingültige wichtige Wahrheit, daß 
alles in Gott und keineswegs in uns seinen Grund hat; sie 
sind dabei auch auf uns und unsere Auserwählung anwendbar; gleichwohl enthält dieses Kapitel nicht die Lehre von 
der Auserwählung zur ewigen Herrlichkeit. Das wird noch 
deutlicher "hervortreten, wenn wir dem, was der Apostel hier 
darstellt, noch einige Bemerkungen hinzufügen. 
Um den Juden die Gerechtigkeit der Einführung der Nationen zu den Segnungen des Evangeliums zu beweisen, 
beruft sich Paulus auf den Grund ihres eigenen Bestehens 
als Volk. Dieser Grund war die Auserwählung Gottes. Gott 
hatte den Isaak über den Ismael und den Jakob über den 
Esau erhoben. War das eine Auserwählung zur Seligkeit gewesen? Keineswegs; davon war durchaus keine Rede. Isaak 
und Jakob wurden hier nicht auserwählt, um selig zu werden, sondern um die Häupter, die Stammväter des irdischen 
Volkes Gottes zu sein. „Der Größere wird dem Kleineren 
dienen". Es ist daher irreführend, wenn man diese Stelle 
zum Beweis für unser e Auserwählung anführt, diese steht 
damit in keiner Verbindung. Die ganze Beweisführung des 
Apostels würde sonst ihre Kraft verlieren. Wir wissen aus 
dem Brief an die Hebräer, daß Esau verworfen wird; das 
steht hier nicht zur Erörterung. Zudem war die Auserwählung Isaaks und Jakobs keine Auserwählung vor Grundlegung der Welt wie es die Auserwählung zur Seligkeit ist, 
sondern eine Auserwählung in der Zeit. Überall, wo von 
einer Auserwählung zur Seligkeit die Rede ist, wird von dem 
Vorsatz Gottes vorijärundlegung der Welt oder vor den 
Zeiten der Zeitalter gesprochen, während hier, wo es sich 
um die AuserwäRTung zu einem Haupte des irdischen Volkes 
Gottes handelt, vnn der Auserwählung zu einem Zeitpunkt 
die Rede ist, wo die Kinder noch im Mutterleibe waren. 
35 
Hieraus folgt selbstredend, daß die Worte: „Den Jakob 
habe ich geliebt; aber den Esau habe ich gehaßt", oft ganz 
falsch gedeutet werden. Zudem ist es beachtlich, daß diese 
Worte nicht in 1. Mose sondern im Propheten Maleachi zu 
finden sind. Im 1. Buch Mose wird nur gesagt: „Der Ältere 
wird dem Jüngeren dienen" (Kap. 25. 23). Erst nachdem 
die Nachkommen Esaus ihre Bosheit und Feindschaft gegen 
Israel in auffälliger Weise an den Tag gelegt hatten, wurde 
gesagt: „Den Jakob habe ich geliebt; aber den Esau habe 
ich gehaßt". Ebenso war es mit Pharao. Dieser Mann war 
ein Gottloser, ein Unterdrücker des Volkes Gottes und sagte 
zu Moses und Aaron: „Wer ist Jehova, auf dessen Stimme 
ich hören soll, Israel ziehen zu lassen?" Dieser gottlose 
Mann, der sich gegen Gott auf jede nur mögliche Weise auflehnte, wurde von Gott dem Gericht der Verhärtung unterworfen, so daß er schließlich in seinen Sünden umkam. Das 
geschieht auch heute noch, und so wird es in den letzten 
Tagen sein. Nachdem die Menschen die Wahrheit verworfen 
haben, wird Gott einen Geist des Irrtums senden. Das aber 
ist Gericht. Man beachte es wohl. Gott verleitet niemanden 
zur Sünde. Dies zu behaupten, würde nichts als Gotteslästerung sein. Aber wenn der Mensch die Sünde tut und liebt 
und darin verharrt, so straft Gott ihn mit dem Gericht der 
Verhärtung. 
Man hat aus diesen Worten auch die Lehre von der Verwerfung geschöpft. Doch nichts ist weiter von den Gedanken 
Gottes entfernt, als diese Lehre. Es ist der menschliche Verstand, der folgert: „Wenn Gott den einen erwählt, verwirft 
Er auch den anderen". Doch das sind menschliche Schlüsse 
und durchaus nicht die Gedanken Gottes. Wer den einen 
vor dem andern auszeichnet — und das ist hier bei Jakob 
und Esau der Fall —, bezeugt ihm zwar eine Gunst; das 
aber schließt doch keineswegs eine Verurteilung des andern 
in sich. Die Auserwählung wird in der Schrift klar gelehrt; 
über die Verwerfung finden wir in ihr kein Wort. Im Gegenteil, Gott Rat den Menschen rein, unschuldig und ohne 
Sünde geschaffen. Der Mensch ist es, der sich von Gott 
durch die Sünde losgerissen hat und der deshalb dem ewigen 
Verderben unterworfen ist. Überdies hat Gott für den sündigen, feindseligen Menschen Seinen vielgeliebten Sohn gegeben und läßt die frohe Botschaft der Vergebung und des 
Friedens durch Ihn in der Welt verkündigen und wieder ist 
es der Mensch, der den Heiland verwirft und von sich stößt 
36 
und der darum in seinen Sünden stirbt. Anstatt daß Gott 
einen einzigen Menschen, wie etliche in gotteslästerlicher 
Weise lehren, für die Verdammnis bestimmt hat, hat Er 
vielmehr alles mögliche getan, um den Menschen zu erretten und zu erlösen. Die Menschen aber sind samt und sonders in einem so schrecklich feindseligen Zustande, daß, wenn 
es keine Auserwählung gäbe, alle ohne Unterschied verloren 
gehen würden. Man hüte sich daher vor dem Versuch, Gott 
durch die Verwerfungslehre zur Ursache der ewigen Qual 
der Verlorenen zu machen und damit die Verantwortlichkeit 
des Menschen und die Gerechtigkeit Seines Gerichtes zu verneinen. Halten wir an der Schrift fest! Sie allein stellt uns 
die Wahrheit in ihrer wirklichen Bedeutung vor Augen, während alle menschlichen Auffassungen trügen und nicht selten, vielleicht ohne es zu wollen, den Boden der Wahrheit 
unterhöhlen. 
Aber — könnte man fragen — wie sind denn die Worte 
des Apostels Paulus in V. 21 zu verstehen: „Hat der Töpfer 
nicht Macht über den Ton, aus derselben Masse ein Gefäß 
zur Ehre und ein anderes zur Unehre zu machen?" Meine 
Antwort ist: „Die Macht Gottes ist unumschränkt". Wenn 
der Mensch sich gegen Gott auflehnt und Ihm das Recht 
streitig machen will, zu tun und zu lassen, was Er will, dann 
sagt der Apostel: „O Mensch, wer bist du, der du das Wort 
wider Gott nimmst? Wird das Geformte zu dem Former 
sagen: Warum hast du mich so gemacht?" Gott hat das 
Recht, souverän nach Seinem Willen zu handeln, und niemand 
ist befugt, Ihn zu beschuldigen. Dieses Recht Gottes aber 
wird hier nachdrücklich unterstrichen. Es wird aber nirgendwo gesagt, daß Gott von diesem Recht Gebrauch gemacht hat. 
Er hat das Recht zu tun, was der Töpfer tut; aber es ist die 
Frage, ob Er Sich dieses Rechtes bedient hat. Die beiden 
folgenden Verse beweisen, daß Gott, wiewohl Er das Recht 
hat, Seinen Zorn zu erzeigen und Seine Macht kundzutun, 
im Gegenteil die Gefäße des Zorns mit vieler Langmut ertragen hat. Die unterschiedliche Ausdrucksweise in den Versen 22 und 23 ist beachtenswert und für den in Rede stehenden Gesichtspunkt entscheidend. Von den Gefäßen der 
Begnadigung wird gesagt, daß Gott sie zur Herrlichkeit zuvor bereitet habe, während dies von den Gefäßen des Zorns 
nicht gesagt wird. Von diesen lesen wir, daß Er „die Gefäße 
des Zornes, zubereite t zu m Verderben , mit vieler 
Langmut ertragen", aber nicht, daß Er sie zum Verderben 
37 
zuvorbereitet habe. Während die Gefäße der Begnadigung 
von Got t Selbs t zur Herrlichkeit zuvorbereitet sind, haben die Gefäße des Zornes sic h selbs t durch ihr Verharren im Bösen sowie durch ihren Unglauben zubereitet, 
obwohl Gott sie mit vieler Langmut ertragen hat. Von einer 
Verwerfung oder Vorherbestimmung zur ewigen Verdammnis ist also durchaus keine Rede. Gott wird sicher einmal Seinen Zorn an den Kindern des Ungehorsams erweisen und 
sie in den Feuersee werfen; aber nicht Er ist schuld an ihrem 
Elend. Er wird allen den Beweis liefern, mit wieviel Geduld 
und Langmut Er sie in all ihren Sünden und Ungerechtigkeiten ertragen hat, so daß niemand auch nur ein einziges 
Wort zur Beschuldigung hervorzubringen vermögen wird. 
Gebe der Herr uns erleuchtete Augen des Verständnisses, 
daß wir die Wahrheit richtig erfassen und durch sie von allen menschlichen Gedanken und Auffassungen freigemacht 
werden! 
38 
Das Hohepriestertum Christi 
(Hebr 4, 14-16) 
Über das Hohepriestertum unseres Herrn Jesus Christus 
herrscht bei vielen Kindern Gottes eine höchst unklare Vorstellung. Das gilt sowohl für den Platz, den es einnimmt, als 
auch für die Grundlage, worauf es ruht. Man hat weder eine 
richtige Vorstellung von der Verbindung, in der das Hohepriestertum Christi mit anderen Wahrheiten, wie z. B. der 
Erlösung, steht, noch von dem, was Gott uns damit geben 
will. Folglich begreift man auch nicht, wieviel man wegen 
dieses mangelhaften Verständnisses entbehrt. Verweilen wir 
daher einige Augenblicke bei dieser wichtigen Wahrheit, um 
zu prüfen, was die Heilige Schrift darüber lehrt. 
Mit dem Hohepriestertum Christi befaßt sich der Brief an 
die Hebräer. Dieser Brief stellt uns ein erlöstes Volk von 
Pilgrimen und Fremdlingen vor Augen. Dieses Volk befindet sich nicht in Ägypten, nicht in Kanaan, sondern auf dem 
Wege durch die Wüste. Das soll jedoch nicht besagen, daß 
die hier dargestellten Gläubigen nicht gleich anderen ihren 
Platz in den himmlischen örtern haben; aber von dieser Seite werden die Kinder Gottes in dem Brief nicht betrachtet. 
Von solchen Segnungen, über die besonders im Brief an die 
Epheser, aber auch in dem an die Kolosser gesprochen wird, 
finden wir hier kein Wort. Es ist noch nicht einmal von unserer Auferstehung die Rede wie in den Briefen an die Römer und an die Philipper. 
Der Heilige Geist stellt uns in diesem Brief von Anfang 
an Christum vor Augen, wie er zur Rechten Gottes sitzt, 
und das ist einer der bezeichnenden Charakterzüge Seines 
Priestertums. Solange Christus auf der Erde war, konnte Er 
kein Priester sein. Sein Priestertum ist ausschließlich himmlisch; Er ist der Priester für ein himmlisches Volk. Der Vorhang ist zerrissen, der Himmel geöffnet und der Heilige 
Geist als Folge der Erlösung und der Verherrlichung Christi 
auf die Erde herniedergestiegen. Die Grundlage ist fest und 
durch die Tatsache gesichert, daß Christus, nachdem Er die 
Reinigung unserer Sünden bewirkt hat, nun im Himmel und 
demnach in einer lebendigen Verbindung mit der'en ist, deren Er Sich nicht schämt, sie Brüder zu heißen. Darum werden die Gläubigen, an welche dieser Brief gerichtet ist, im 
39 
dritten Kapitel „Genossen der himmlischen Berufung" genannt. Sie waren nicht nur berufen, um später den Himmel 
zu ererben, sondern Er, Der sie berief, war auf Grund einer 
vollbrachten Erlösung bereits im Himmel. Das aber ist eine 
höchst wichtige Wahrheit; denn der Platz, den unser Herr 
im Himmel einnimmt, wird hier als die Folge des vollkommenen, allgenugsamen Opfers betrachtet, das Er Selbst für 
unsere Sünden gebracht hat. Er, der Sohn Gottes, Der, 
um das Verlorene zu suchen und zu erretten, auf die Erde 
gekommen war, nahm auf Golgatha den Zorn Gottes auf 
Sich, und nachdem Er durch Sich Selbst die Reinigung unserer 
Sünden bewirkt hat, ist Er zum Himmel emporgestiegen 
und hat Sich zur Rechten Gottes gesetzt, um dort eine andere 
Wirksamkeit aufzunehmen, die auf das Zunichtemachen der 
Sünde durch das Opfer Seiner Selbst gegründet war. 
Die Anwendung des Priestertums Christi für die Gläubigen wird hierdurch klar ins Licht gestellt. Vorausgesetzt wird 
ein erlöstes Volk zu Gunsten dessen das große und durchaus 
notwendige Werk der Gnade bereits vollbracht ist. Vorausgesetzt wird weiter, daß die Gläubigen ohne irgendwelche 
Unsicherheit in diesem Werk ruhen, aber dennoch, inmitten 
vieler Schwierigkeiten, Versuchungen und Verfolgungen 
durch den Herrn bewahrt werden müssen. Die Lehre des 
Hebräerbriefes zeigt uns eindeutig, daß, bevor Christus in 
den Himmel einging um das Priestertum zu übernehmen, 
Gott alles getan hat, was bezüglich der Sünden getan werden mußte. Die mangelhafte Einsicht in diese große und 
wichtige Wahrheit ist die Ursache der Verwirrung und Finsternis, die so viele Gemüter hinsichtlich des Priestertums 
Christi beherrschen. Wenn der Gläubige nicht in dem vollbrachten Werke Christi ruht und kein gereinigtes und vollkommenes Gewissen hat, ist es selbstredend, daß er das 
Priestertum Christi als Ersatz für das Fehlende in Anspruch 
nimmt. Die wahre Gnade des Priestertums geht aber auf 
diese Weise völlig verloren; denn es geht voraus, Christum 
zu kennen und zu wissen, daß die Sünden durch Sein Blut 
vergeben sind. Solange man sich dessen nicht voll gewiß ist, 
kann von einer Zueignung des Priestertums durchaus nicht 
die Rede sein. Leider besitzen die meisten Gläubigen nicht 
viel mehr als die Hoffnung ihrer Errettung. Das Priestertum 
verliert seinen wahren Sinn, solange nicht die Erlösung in 
ihrer Einfachheit und Fülle angenommen ist; sonst wird der 
Wandel 'und das Priestertum Christi in die Waagschale ge40 
worfen, um das zu vollbringen, was der Tod am Kreuze bereits vollbracht hat. 
Eine nähere Prüfung des Hebräerbriefes wird dies noch 
deutlicher machen. Bevor der Heilige Geist Seine Belehrungen über das Priestertum aufnimmt, stellt Er uns mit der 
größten Genauigkeit und Vollständigkeit die Person des 
Herrn Jesu vor, und zwar in zwiefacher Weise: als den Sohn 
Gottes und als den Sohn des Menschen. Auf beiden Naturen beruht Sein Priestertum. Wäre Er nicht in einem Sinne, 
wie ein anderer es nicht sein kann, der Sohn Gottes gewesen, so würde Er auch nicht Hoherpriester in der Bedeutung 
dieses Briefes sein können; und wäre Er andererseits nicht 
so wesentlich wie ein anderer Mensch — jedoch in einem 
Ihm allein eigenen Charakter — der Sohn des Menschen 
gewesen, so würde es kein Priestertum geben, das für uns 
gültig wäre. Der Herr Jesus war beides; im ersten Kapitel 
sehen wir ihn als Sohn Gottes, im zweiten als den Sohn des 
Menschen. Erst am Schluß des zweiten Kapitels ist zum 
erstenmale vom Priestertum die Rede. 
Beide Kapitel stellen uns zugleich die Vollkommenheit der 
Erlösung dar. Über den Inhalt des ersten Kapitels haben wir 
bereits gesprochen. Im zweiten Kapitel lesen wir: „Denn es 
geziemte ihm, um deswillen alle Dinge und durch den alle 
Dinge sind, indem er viele Söhne zur Herrlichkeit brachte, 
den Anführer ihrer Errettung durch Leiden vollkommen zu 
machen. Denn sowohl der, welcher heiligt, als auch die, 
welche geheiligt werden, sind alle von einem; um welcher 
Ursache willen er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen". 
Das Priestertum steht daher in Beziehung zu den Geheiligten, und zwar zu ihnen allen. Christus hat durch die Gnade 
Gottes für all e — für all e Menschen — den Tod geschmeckt (V. 9). Aber sobald der Apostel von dem Priestertum redet, spricht er nicht mehr von allen, sondern nur von 
den Geheiligten — nicht mehr von dem Samen Adams, sondern von dem Samen Abrahams im geistlichen und nicht 
buchstäblichem Sinne. 
Das Priestertum Christi ist also eindeutig von Seinem 
Versöhnungswerk auf Golgatha unterschieden. Dieses dehnt 
sich über die ganze Welt aus, während jenes nur mit den 
Geheiligten in Verbindung steht. Was im Alten Testament 
durch das auf den Gnadenstuhl gesprengte Blut vorgebildet 
wurde, dehnte sich auf alle aus. Es war dabei durchaus nicht 
von denen die Rede, die sich in unmittelbarem Bereiche der 
41 
Segnungen Gottes befanden; nein, das Blut hatte einen 
grenzenlosen Wert. „Durch Gottes Gnade schmeckte er den 
Tod für alle". Aber sobald wir Christum in Seinen Tätigkeiten und in Seinen Leiden als Hoherpriester betrachten, 
sehen wir nur die, welche in einer besonderen Gnadenbeziehung zu Ihm stehen. „Weil nun die Kinder Blutes und 
Fleisches teilhaftig sind, hat auch er in gleicher Weise an 
denselben teilgenommen, auf daß er durch den Tod den zunichte machte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und alle die befreite, die durch Todesfurcht das ganze 
Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren". 
Das macht sehr deutlich, daß Christus nur für Sein erlöstes Volk, für die Geheiligten, für die Kinder ein barmherziger und treuer Hoherpriester ist. „Denn er nimmt sich 
fürwahr nicht der Engel an, sondern des Samens Abrahams 
nimmt er sich an". Nach Seinem wohlgefälligen Willen machte Er sündige Menschen zu Kindern Gottes, während die 
Engel in der Stellung bleiben, die sie von jeher einnahmen. 
„Daher mußte er den Brüdern in allem gleich werden"; denn 
sonst hätte Er kein „barmherziger und treuer Hoherpriester 
sein können. Vor Seinem Kommen in diese Welt war Christus kein Hoherpriester. Erst mußte Er „den Brüdern in allem gleich werden"; erst mußte Er am Kreuz das Erlösungswerk vollbringen, bevor von einem Hohenpriester die Rede 
sein konnte. Auch war Er während Seines Wandels auf der 
Erde kein Hoherpriester. Erst seitdem Er diese Erde verlassen hatte und zu Seinem Vater gegangen ist, kann Er als 
der Hohepriester Seines erlösten Volkes betrachtet werden 
und so sehen wir Ihn als Hohenpriester mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt. Sein Hohepriestertum ist ein Amt, das Er 
im Himmel für die bekleidet, die von der Welt abgesondert 
und zu Gott gebracht sind. 
Erst nachdem uns dies alles vorgestellt ist, finden wir am 
Ende des zweiten Kapitels Christum als Hohenpriester. Er 
ist „in den Sachen mit Gott ein barmherziger und treuer 
Hohepriester, um die Sünden des Volkes zu sühnen". Das 
erinnert uns an den großen Versöhnungstag. Dort erschien 
der Hohepriester und kein anderer, und er allein bewirkte 
die Versöhnung für das ganze Jahr. Nur einmal im Jahr 
ging er in das Allerheiligste, um das Blut der Versöhnung 
vor Gott zu bringen. Was der Hohepriester oder die Priester 
auch sonst zu tun haben mochten, welche Opfer sie auch 
täglich bringen mußten, diese Handlung — die Versöhnung 
42 
im Innern des Vorhangs — geschah nur einmal im Jahr, und 
zwar in der von Gott bestimmten Zeit. Der Hohepriester 
vertrat bei dieser Gelegenheit das Volk und opferte den 
Bock, auf den das Los Jehovas gefallen war, für die Sünden 
des Volkes. Danach brachte er das Blut in das Innere des 
Vorhangs, um „Sühnung zu tun wegen der Unreinigkeiten 
der Kinder Israel und wegen der Übertretungen nach allen 
ihren Sünden". Dann trat er aus dem Allerheiligsten heraus, 
legte seine beiden Hände auf den Kopf des noch lebendigen 
Bockes — des Bockes Asasel, der in die Wüste gesandt werden sollte — und bekannte auf ihn alle ihre Sünden und 
schließlich wurde dieser Bock in die Wüste hinausgejagt als 
ein Sinnbild dafür, daß alle Sünden hinweggetan waren 
(3. Mo 16). 
Zur Versöhnung Israels bedurfte es also zweier Böcke. Sie 
dienten dazu, die Versöhnung unter ihren beiden großen 
Gesichtspunkten vorzustellen. Die eine Handlung war der 
Ausdruck des gerechten Gerichts Gottes über die Sünde, die 
andere, die damit in Verbindung stehende Tröstung für uns, 
daß alle Sünden hinweggetan sind und nicht mehr gesehen 
werden. Beide Handlungen finden wir im Neuen Testament 
deutlich wieder, so z. B. in Röm 3 und 4, wobei der letzte 
Teil des dritten Kapitels mehr dem Lose Jehovas entspricht, 
während der Schluß des vierten Kapitels uns jenes Los vor 
Augen stellt, welches auf den Bock Asasel fiel. Das erste 
Geschehen zeigt uns, daß Gott gerecht ist und den rechtfertigt, der des Glaubens an Jesum ist; hier finden wir das 
Blut auf dem Gnadenstuhl. Im zweiten Geschehen aber sehen 
wir Christum als den, „welcher unserer Übertretungen wegen 
dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt 
worden ist"; denn Seine Dahingabe wegen unserer Sünden 
wird uns in dem fortgesandten Bock vorgebildet, der mit 
den Sünden des Volkes in die Wüste gesandt wurde. Daß 
der Bock Asasel ein Vorbild der Auferstehung sei, ist aus 
diesen Opfern nicht zu schließen. Anders verhält es sich z. 
B. bei der Opferung Isaaks oder auch bei dem Opfer, das 
ein Aussätziger zu seiner Reinigung bringen mußte; in diesem Fall mußte der lebendige Vogel, nachdem er in das Blut 
des geschlachteten Vogels getaucht worden war, auf offenem 
Felde freigelassen werden (3. Mo 14). Der Bock Asasel 
wurde zwar auch freigelassen, jedoch nur um in die Wüste, 
in ein abgesondertes, unbewohntes Land getrieben zu werden. Der Himmel aber ist kein unbewohntes Land und kann 
43 
nicht mit einer Wüste verglichen werden. Das Bild soll daher, 
wie ich glaube, das Wegtun der Sünde Israels, die Vernichtung des sichtbaren Zeugnisses ihrer Ungerechtigkeiten vorstellen. 
Das, was nun am großen Versöhnungstag geschah, ist ein 
Vorbild von dem, was Christus tat. Nachdem Er Sich Selbst 
zum Opfer hingegeben und Sein Blut zur Vergebung der 
Sünden vergossen hatte, ging Er mit diesem Blut in das 
himmlische Heiligtum und brachte es dort als der große Hohepriester Seines Volkes vor das Angesicht Gottes, um dadurch für die Sünden des Volkes Sühnung zu tun und das 
Volk mit Gott zu versöhnen. Diese Versöhnung ist eine 
ewige. „Er aber, nachdem er e i n Schlachtopfer für Sünden 
dargebracht, hat sich auf immerdar gesetzt zur Rechten Gottes" (Hebr 10, 12). „Die Summe dessen aber, was wir sagen, 
ist: Wir haben einen solchen Hohenpriester, der sich gesetzt 
hat zur Rechten des Thrones der Majestät in den Himmeln" 
(Hebr 8, 1). Eine jährliche Wiederholung der Versöhnung 
findet nicht mehr statt. Das Blut der Versöhnung ist von 
dem großen Hohenpriester in die Gegenwart Gottes gebracht 
und von Gott angenommen worden und Er, Der das Blut 
dorthin gebracht hat, hat Sich zur Rechten Gottes gesetzt . 
Dort sitzt Christus für immerdar als der Hohepriester Seines 
Volkes. Sein Blut ist im Heiligtum. Es ist nicht nur das Werk 
der Versöhnung vollbracht, sondern die Versöhnung ist auch 
angenommen. Die Geheiligten stehen kraft dieser angenommenen Versöhnung, kraft dieses Blutes in der Gegenwart 
Gottes und werden, da ihr großer Hohepriester nie Seinen 
Platz im Heiligtum verläßt, für immer dort sein. Er lebt, 
um ihren Platz in der Gegenwart Gottes zu bekleiden. 
Die Versöhnung geschah allein durch den Hohenpriester; 
sie unterschied sich von dem eigentlichen, gewöhnlichen 
Dienst des Priesters und war insofern doch eng verbunden 
mit ihm, als sie seine Grundlage bildete. Die Sühnung der 
Sünden war die erste Forderung und der Grund, auf welchem 
der Priester täglich zugunsten des Volkes vor Gott erscheinen 
konnte. 
Das führt zu einer anderen, nicht minder wichtigen Offenbarung über die Person Dessen, Dem es allein geziemt, 
ein wahrer Hoherpriester zu sein. „Denn worin er selbst 
gelitten hat, als er versucht wurde, vermag er denen zu helfen, die versucht werden". Herrliche Wahrheit! Laßt uns 
einige Augenblicke mit Andacht diesen Worten nachsinnen, 
44 
nicht so sehr weil es sich dabei um uns, sondern weil es sich 
um Ihn handelt, Dessen Herz so oft durch Seine Freunde 
wie durch Seine Feinde versucht wurde. Welch eine herzliche Zuneigung, welch eine gnädige Fürsorge, daß Er durch 
die Menschen versucht werden wollte, um denen, die versucht werden, umso besser helfen zu können! 
Was bedeutet hier das Wörtchen: „versucht?" Diese Frage 
ist von höchster Wichtigkeit; denn mancher, der sich einen 
Begriff davon gemacht hatte, ist dadurch auf schreckliche 
Irrwege geraten. Dieses Wort, dem die Bezeichnung „Geheiligte" vorausgeht, bezieht sich sicher nicht auf innere 
Neigungen zum Bösen. Kein Gedanke daran; denn die Behauptung, daß der Herr auf eine solche Weise versucht worden sei, wäre Lästerung. Überhaupt ist, wenn von dem Priestertum zu unseren Gunsten gesprochen wird, wohl von 
Schwachheiten und Versuchungen, doch keineswegs von Sünden und Übertretungen die Rede. Wie würde der Herr auch 
mit unseren Sünden Mitleid haben können, da Er doch die 
Sünde haßt? Daß das unmöglich ist, beweisen klar und eindeutig die Worte: „Da wir nun einen großen Hohenpriester 
haben, der durch die Himmel gegangen ist, Jesum, den Sohn 
Gottes, so laßt uns das Bekenntnis festhalten; denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid zu haben 
vermag mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem 
versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen 
die Sünde" (Hebr 4, 14. 15). 
Der Heilige Geist offenbart uns hier eine Wahrheit, die 
sowohl mit der Herrlichkeit Christi, als auch mit dem Bedürfnis des Gläubigen in vollem Einklang steht. Es ist sicher 
wahr, daß Christus nie eine Sünde tat; aber der Heilige 
Geist läßt uns hier eine weit herrlichere Wahrheit verstehen. 
Christus ist in allem in gleicher Weise versucht worden wie 
wir, ausgenommen die Sünde. Er hat nicht nur nie gesündigt, sondern Er hatte keine Sünde und das ist ein großer 
Unterschied. In Ihm war keine Sünde; es gab in Ihm keinen 
Anknüpfungspunkt für die Sünde. Er willigte nicht nur nie 
in die Sünde ein, nein, es gab in Ihm gar keine Sünde, in 
welche Er hätte einwilligen können. In Seiner Natur als 
Mensch wohnte nichts Böses, auf das der Teufel hätte einwirken können. Das Böse kam Ihm von außen her entgegen. 
In einer gefallenen und verderbten Welt war Er den listigen 
Anläufen des Teufels ausgesetzt. Alles was geeignet war, 
Ihm Schmerz zu bereiten, stürmte auf Ihn ein, und zwar 
45 
nicht seitens der Juden, sondern auch durch Seine Jünger. 
Am Anfang Seiner Laufbahn suchte der Teufel Ihn durch 
das, was angenehm war, zu verführen, und am Ende trachtete 
er, Ihn zum Aufstand gegen Gott zu reizen, indem er Ihm 
die unaussprechlichen Schrecken des Todes vorstellte, dem Er 
entgegenzugehen im Begriff stand. 
So ist also Christus in gleicher Weise wie wir zu allen 
Zeiten, unter allen Umständen — sei es durch Vorspiegelungen des Schmerzes oder der Freude — versucht worden und 
zwar — das dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren — in 
einem weit höheren Maße als wir. „Keine Versuchung hat 
euch ergriffen, als nur eine menschliche", sagt Paulus in 1. Kor 
10, 13. Kann das von Jesus gesagt werden? Sind wir nicht 
alle überzeugt, daß der Herr mehr als irgendein anderes 
Wesen versucht wurde und daß keine Versuchung damit zu 
vergleichen ist? Es ist sicher wahr, daß Jesus in allem, gleichwie wir, versucht worden ist; das besagt aber keineswegs, 
daß wir, wie etliche behaupten, in allem versucht werden 
gleichwie Er. Wenn wir unseren Blick auf die drei uns bekannten Versuchungen Jesu in der Wüste richten, müssen 
wir erkennen, daß wir in einer solchen Weise nie vom Teufel versucht worden sind. Unsere Versuchungen mögen denen 
des Herrn ähnlich sein, aber sie sind ihnen nie vergleichbar. 
Sind wir je vierzig Tage hindurch von dem Teufel versucht 
worden? Sicher nicht, und wir werden, wie ich glaube, auch 
nie in solche Versuchungen kommen. 
Während daher der Herr in allem versucht worden ist, 
gleichwie wir, so wurde Er dennoch in einer Weise versucht, 
die Ihm allein eigen war. Und das konnte nicht anders sein; 
denn Er war, wenn ich mich so ausdrücken darf, nicht in 
einem gewöhnlichen Sinne ein natürlicher Mensch und selbst 
nicht ein natürliches Haupt der Menschheit. Er wurde Mensch 
—das ist unstreitig wahr — aus Gnaden geboren von einem 
Weibe; aber Er war der Sohn Gottes, ja Gott Selbst und im 
Begriff, den ersten Platz in einer neuen Schöpfung einzunehmen. Er war das Gegenbild des ersten Menschen — indem sich dieser in Sünde, Er aber in Gerechtigkeit und Gnade offenbarte. Während der erste Mensch, Adam, unter den 
günstigsten Umständen fiel und sich und seinen Nachkommen den Tod brachte, blieb der zweite Mensch, Jesus Christus, Sieger in den fürchterlichsten Versuchungen, umringt 
von Tod und Elend, und nun ist Er der verherrlichte, aus 
den Toten auferstandene Mensch im Himmel. 
46 
Der Zustand, in dem Adam vor dem Fall war, erklärt uns, 
was Versuchung ist; denn die allgemeine Annahme, daß 
eine Versuchung das inwendige Böse voraussetzt, ist ganz und 
gar falsch. Wer so denkt, vermengt die Versuchung mit der 
Begierde oder Neigung zur Sünde. Adam wurde versucht, 
obwohl weder Sünden noch innere Zuneigung zum Bösen 
in ihm war, bevor er fiel. Es bedarf also nicht der Sünde für 
die Versuchung in dem hier bezeichneten Sinne. Die erste 
Versuchung trat an jemanden heran, der ohne Sünde war. 
Ebenso war es bei dem zweiten Menschen. Auch Er war 
ohne Sünde und, was noch mehr ist, als „das Heilige" geboren. Er lebte, ohne die Sünde zu kennen. Wie könnte 
daher von einer in Ihm wohnenden Neigung zur Sünde die 
Rede sein? Es war die Absicht des Teufels, die Sünde in Ihn 
hineinzubringen. Doch selbst am Ende Seines Lebens kam 
„der Fürst dieser Welt und fand nichts in Ihm". Satan entdeckte in dem „Menschen" Christus Jesus weder innere Sünde, die er hätte wecken können, noch irgendeinen Mangel 
an Gemeinschaft mit Gott oder an Abhängigkeit von Gott, 
wodurch die Sünde sich hätte festsetzen können. Wenn der 
Teufel Jesum nur dazu hätte bewegen können, Seinen eigenen Willen zu tun, so würde die Sünde existent geworden 
sein, und alles wäre verloren, jede Hoffnung entschwunden 
gewesen. Doch, Gott sei Dank! das konnte nicht geschehen; 
denn der Herr war sowohl eine göttliche Person als auch abhängiger Mensch. Christus ist ebensowohl Gott, wie es der 
Vater und der Heilige Geist ist. Seine Menschwerdung hat 
Seine Gottheit nicht im geringsten geschmälert, da Er die 
Menschheit in Seiner Person zur Vereinigung mit Gott erhob. Sowohl Seine Gottheit als auch Seine Menschheit behielten ihre ihnen eigentümlichen Eigenschaften; dennoch 
waren beide Naturen in ihrer ganzen Vortrefflichkeit in der 
Person Jesu vereinigt. So kam Jesus auf diese Erde, um Seinen Gott und Vater zu verherrlichen und uns von all unseren Sünden zu erlösen, und einen solchen Jesus haben wir 
als Hohenpriester vor Gott. 
Welch eine Kraft liegt daher in den Worten: „Worin er 
selbst gelitten hat, als er versucht wurde". Ja, Er litt. Und 
wo Er leidet, wenn Er versucht wird, da kann von keiner Neigung zur Sünde die Rede sein. Der Sünder tut seinen 
eigenen Willen; er kümmert sich nicht um den Willen 
Gottes, und das ist Sünde. Aber Jesus tat nie Seinen eigenen 
Willen. Er wollte es nie und zögerte nie einen einzigen Au47 
genblick allein Dem zu gehorchen, dem Er erklärt hatte: 
„Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott zu tun". So 
war es, bevor Er kam; so war es auch am Anfang, am Ende, 
und während Seines ganzen Lebens. Nicht einen Augenblick 
tat Er Seinen eigenen Willen. Er lebte als Diener in völliger 
Abhängigkeit von Seinem Vater. Er war — mit einem Wort 
— der vollkommene Mensch, Der Einzige, Der nur den Willen 
Gottes getan hat. Darum hat auch niemand so gelitten wie 
Er; denn nach dem Maße der Liebe und Heiligkeit leidet 
jemand mehr oder weniger, abgesehen von der Herrlichkeit, 
die Er allein besaß. 
So ist es jetzt mit den Kindern Gottes. Sie wollen nicht 
ihren eigenen, sondern den Willen Dessen tun, Den sie als 
„Vater" anrufen dürfen. Das aber ist keine Kleinigkeit in 
einer Welt, in der nur Eigenliebe herrscht und die in Übereinstimmung mit ihrem eigenen Willen lebt und handelt. 
Der Herr Jesus tat gerade das Entgegengesetzte, und so tun 
auch die, welche Ihm angehören. Petrus nennt uns „Auserwählte, nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters, durch Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und zur Blutbesprengung 
Jesu Christi". Der Gehorsam Christi wird also auch von uns 
gefordert. Er unterwarf Sich stets dem Willen des Vaters 
vollkommen. Er litt; und dieses Leiden war eine Folge der 
Versuchungen Satans gegen Den, Der die Wonne Gottes war 
und Der Sich stets weigerte, Seinen Gehorsam aufzugeben. 
Zudem litt Er, indem sich Seine Seele mit heiligem Abscheu 
gegen das Böse sträubte, das wohl nicht im Ihm war, Ihm 
aber überall von außen her begegnete. 
Die Einflüsterungen des Feindes konnten Seinen eigenen 
Willen nicht wachrufen, bewirkten aber Leiden und Betrübnis in Ihm. Er litt eben deshalb, weil Er der Heilige war. 
Darum lesen wir: „Denn worin er selbst gelitten hat, als er 
versucht wurde, vermag er denen zu helfen, die versucht 
werden". Wie beachtenswert ist es doch, daß wir als „Söhne 
Gottes" durch den Heiligen Geist in der neuen Natur zu 
demselben Gehorsam berufen sind! 
Von diesem Gesichtspunkt aus werden die Christen auf 
der Erde im Hebräerbrief betrachtet. Sie sind erlöst, geheiligt; sie sind Kinder Gottes und Christus nennt sie Seine 
Brüder. Aber zu gleicher Zeit befinden sie sich im Bereich 
der Versuchung in der Wüste. Der Psalmist erinnert die 
Kinder Israel an den „Tag der Versuchung in der Wüste". 
So ist es auch mit uns. Wir befinden uns in der Wüste und 
48 
die Jetztzeit ist der Tag der Versuchung. Wir werden versucht und vielfältig auf die Probe gestellt. Unser Gott läßt 
alles zum Guten mitwirken; denn wir durchschreiten eine 
Stätte, wo jeder Ursprung von Macht, wo jede gute und 
vollkommene Gabe, wo das Licht, das unseren Weg bescheint, von obe n kommt und nicht aus uns selbst oder 
von der uns umgebenden Welt. Es gibt nichts um uns her 
und nichts in unserer alten Natur, das uns helfen könnte. Es 
ist nur geeignet, uns zu verleiten und unsere Schritte zu 
hemmen, während der Teufel es zum Bösen verführt. Doch 
Christus weiß das; Er hat Sein wachsames Auge sowohl auf 
den Teufel, als auch auf uns gerichtet. Ein Feldherr, der 
früher in einer belagerten Stadt dem Feinde selbst die Spitze 
zu bieten hatte und ihn zum Abzug zwang, kann am besten 
die Lage seiner Freunde ermessen, die, von demselben Feind 
umzingelt, noch mit einem Verräter in der Stadt zu kämpfen 
haben. Um wieviel mehr kann daher Jesus Mitleid mit uns 
haben! Es gibt keinen größeren Irrtum als die Annahme, 
daß Jesus, um mit uns fühlen zu können, den alten Menschen in Sich gehabt haben müsse. Diese Annahme zerstört 
die moralische Herrlichkeit und Vollkommenheit der Person 
Christi und den Wert Seines Werkes samt dessen Folgen; 
ja, wir würden keinen Erlöser haben und uns im Ergebnis 
kaum vom Unglauben, der den Sohn und Sein Werk leugnet, 
unterscheiden. Es läuft fast auf eins hinaus, ob wir die Gottheit Christi leugnen oder Seine vollkommene, fleckenlose 
Menschheit untergraben; denn beides leitet zu den schrecklichsten Folgen, es beraubt uns des vollkommenen Menschen, 
Der allein kraft Seiner Vollkommenheit imstande war, unsere Sünden auf Sich zu nehmen und die Schuld zu bezahlen. 
Ich wiederhole deshalb nachdrücklich, daß Christus durchaus 
unter Versuchungen zu leiden wußte und in vollkommener 
Weise Mitleid mit uns haben kann, die wir gegen denselben 
Versucher, aber auch gegen das Fleisch in uns zu wachen haben. Sollte Sein Mitleid darum geringer sein, weil Er den 
Kampf gegen das Fleisch nicht zu bestehen hatte? Im Gegenteil, der alte Mensch beschäftigt jemanden in dieser oder 
jener Weise mit sich selbst, Er aber war ganz frei, zu lieben, 
zu dienen und zu leiden. 
Jedoch kommt Christus, wie bereits bemerkt, nur den 
Gläubigen, den Kindern Gottes, den heiligen Brüdern, die 
„der himmlischen Berufung teilhaftig sind", zu Hilfe. Sie 
sind die „Geheiligten". Das Priestertum Christi steht nur mit 
49 
den Heiligen in Verbindung. Darum gedenkt der Apostel, 
wenn er von dem Priestertum Christi spricht, mit keinem 
einzigen Worte der „Sünden". Wenn dennoch viele Christen 
meinen, daß Christus als Hoherpriester der Sünden wegen 
auftrete, die wir von Zeit zu Zeit begehen, so ist das abwegig. Die Schrift lehrt es nicht. Im Gegenteil, unser Brief 
verbindet Sein Priestertum mit der Hilfe und dem Mitleid, 
die wir erfahren, wenn wir versucht werden, wie Christus 
versucht wurde. 
Christus hat Mitleid mit unseren „Schwachheiten", keineswegs aber mit unseren Sünden. Wenn ein Gläubiger gesündigt hat, so ist von Seiten Gottes für dieses Bedürfnis eine 
andere Vorsorge getroffen worden; denn in diesem Falle ist 
Christus unser „Sachwalter bei dem Vater" (1. Joh 2). Hier 
aber ist nur von dem Hohenpriestertum Christi die Rede 
und in dieser Eigenschaft des Hohenpriestertums befaßt Er 
Sich nicht mit unseren Sünden. Als Hoherpriester beschäftigt Er Sich mit unseren „Schwachheiten". „Wir haben nicht 
einen Hohenpriester, der nicht Mitleid zu haben vermag mit 
unseren Schwachheiten, sondern der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde". 
Er sitzt nun zur Rechten Seines Vaters, und dort ist Er in 
Seiner liebreichen Sorge für mich beschäftigt, um mich zu 
unterstützen und mir zu helfen inmitten all der Leiden und 
Prüfungen, die ich durch die Menschen, durch die Welt und 
den Teufel um Seines Namens willen zu ertragen habe. Er 
ist in der Herrlichkeit; i c h bin in der Wüste, jedoch mit der 
Hoffnung, bald dort zu sein, wo Er ist, in derselben Herrlichkeit. Doch Er läßt uns — gepriesen sei Sein Name! — auch 
während unserer Pilgerschaft in der Wüste nicht allein. Er 
ist un s ein großer Hoherpriester und wir dürfen mit Freimütigkeit zu Ihm gehen, „auf daß wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe". Er kennt 
und das ist überaus köstlich — jedes Leid aus eigener Erfahrung. Er weiß, welch ein Feind Satan ist: Er kennt seine 
Schlauheit, List und Bosheit. Er, der Heilige, wurde vollkommener Mensch, wurde uns in allem gleich, ausgenommen die 
Sünde und darum kann Er in vollkommener Weise Mitgefühl 
mit uns haben, ja, mit uns leiden in unseren Schwachheiten. 
Die Wahrheit, daß Er nicht nur nicht sündigte, sondern 
ohne Sünde war, und daß Seine Versuchungen von der Sünde 
getrennt waren, findet im folgenden Kapitel (Hebr 5) eine 
nähere Erklärung. „Denn jeder aus Menschen genommene 
50 
Hohepriester wird für Menschen bestellt in den Sachen mit 
Gott". „Nun, bezieht sich das nicht auf Jesum?" fragt vielleicht jemand. „War Er nicht aus den Menschen genommen?" — Meine Antwort ist, daß der Heilige Geist hier 
keineswegs das Priestertum Christi beschreibt, sondern gerade das jüdische Priestertum kennzeichnet und zwar im Blick 
auf den Gegensatz, den dieses zu Seinem eigenen bildet. Das 
leuchtet deutlich aus den nachfolgenden Worten hervor: 
„Auf daß er sowohl Gaben als auch Schlachtopfer für 
Sünden darbringe; der Nachsicht zu haben vermag mit den 
Unwissenden und Irrenden, da auch er selbst mit Schwachheit umgeben ist; und um dieser willen muß er, wie für das 
Volk, so auch für sich selbst opfern für die Sünden". — Diese Feststellung räumt, dünkt mich, jede Schwierigkeit für den 
Gläubigen aus. Wenn der hier in Rede stehende Hohepriester nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst, 
für seine eigenen Sünden opfern muß, so kann damit Christus nicht gemeint sein. Wir zitieren weiter: „Und niemand 
nimmt sich selbst die Ehre, sondern als von Gott berufen, 
gleichwie auch Aaron. Also hat auch der Christus sich nicht 
selbst verherrlicht". Der Apostel beginnt hier mit einem 
Vergleich, jedoch nur um den Gegensatz umso schärfer hervortreten zu lassen. Allerdings verherrlichte Christus Sich 
nicht Selbst; aber Er, Der zu ihm gesagt hat: „Du bist mein 
Sohn!" Derselbe Gott setzte Ihn als Priester ein. „Du bist 
Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks". Wir 
sehen also, daß hier, wo uns die Wurzel, der Stamm und die 
Früchte vor Augen gestellt werden, das Wesen des Priestertums Christi darin besteht, daß Er nicht nur der Sohn des 
Menschen, sondern auch der Sohn Gottes war und ist. Der 
Hohepriester, von dem in den ersten Versen des fünften 
Kapitels die Rede ist, ist, wie jeder andere nur ein Kind 
Adams — ein Hoherpriester, der „Nachsicht zu haben vermag mit den Unwissenden und Irrenden", und zwar einfach 
deshalb, weil er nicht besser war. Er war, wie jeder andere, 
„mit Schwachheiten umgeben". Kein Wunder daher, daß er 
mit seinen Mitmenschen Nachsicht hatte. Doch dies alles 
bildet einen völligen Gegensatz zu der Majestät und der 
Gnade des himmlischen Hohenpriesters, Der, obwohl der eingeborne Sohn Gottes, Sich dennoch zur Menschwerdung erniedrigte, um als Sohn des Menschen hier auf der Erde zu 
wandeln. 
Das Priestertum Christi steht also, wie bereits gesagt, 
in Beziehung zu den Versuchungen und Schwachheiten derer, 
51 
die Er die Seinen nennt, die Er liebt und bis ans Ende lieben 
wird. Es dient zu ihrer Stütze, wenn sie versucht werden, 
wie Er versucht wurde, wenn sie um der Gerechtigkeit oder 
um Seines Namens willen leiden, wenn sie — mit einem 
Wort — durch irgend etwas, das nicht die Folge ihrer Sünden 
ist, geprüft werden. Wohl hat der Herr in Seiner Gnade auch 
bezüglich der Sünden Vorsorge getroffen. Er kann Sich in 
Seiner Barmherzigkeit auch mit jemanden beschäftigen, dessen Leiden eine Folge seiner eigenen Sünden sind; aber davon ist hie r nicht die Rede. Es ist sehr wichtig, die verschiedenen Unterweisungen der Heiligen Schrift nicht miteinander zu vermengen. Eine Verbindung des Hohenpriestertums Christi mit unseren Sünden und Gebrechen mag 
vielleicht mit unseren Wünschen und Gedanken mehr übereinstimmen; aber darauf kommt es nicht an. Der Gläubige 
darf sich nicht um menschliche Urteile kümmern; seine Aufgabe ist es, die Bibel zu erforschen und sich dem Urteil Gottes zu unterwerfen. Eine völlige Unterwürfigkeit unter das 
Wort wird uns allein in den Stand setzen, die Absicht und 
die Gedanken des Heiligen Geistes recht zu verstehen. 
Solange wir noch Gottlose und Sünder waren, konnte von 
Mitleid und demzufolge naturgemäß von einem Priestertum 
nicht die Rede sein. Wir bedurften damals nicht des Mitleids mit unseren Sünden, sondern eines Sühnopfers für 
unsere Sünden — eines Sühnopfers, wie nur Christus es darbringen konnte. Ein rechtlich gesinnter Mensch und vor allem ein Heiliger Gottes begehrt kein Mitleid mit seinen 
Sünden. Christus litt für uns, der Gerechte für die Ungerechten, und durch Sein kostbares Blut reinigte Er uns von 
unseren Sünden. Das war der Weg, auf welchem Gott diesem 
unserem Bedürfnis begegnete. Aber Mitleid mit unseren 
Sünden kann Er nicht haben. Jetzt jedoch, nachdem wir in 
Christo eine neue Schöpfung geworden und nicht allein im 
Blut, sondern auch im Wasser durch das Wort gewaschen 
sind — „Dieser ist es, der gekommen ist durch Wasser 
und Blut, Jesus, der Christus, nicht durch das Wasser allein, 
sondern durch das Wasser und das Blut" — jetzt, da wir 
nach Seinen eigenen Worten in Christo ganz rein und ohne 
Sünde sind, bedürfen wir nicht mehr eines Sühners für unsere Sünden sondern eines Hohenpriesters, der in allen Versuchungen, in allen Mühen und Gefahren, denen wir auf der 
Erde um Seines Namens willen ausgesetzt sind, uns vollkommen unterstützen, ja selbst mit uns leiden kann. 
52 
Und das ist es eben, was der Herr Jesus nun für uns tut. 
Er beschäftigt Sich mit einem jeden von uns persönlich . 
Er ist nicht der Hohepriester der Versammlung — das wird 
nirgendwo im Neuen Testament gesagt — nein, es ist ein 
persönlicher Segen, eine persönliche Beziehung zwischen Christo und den Seinen. Wir befinden uns in dieser Welt im 
Machtbereich des Feindes; wir durchschreiten die dürre Wüste 
als Fremdlinge und Pilger; deshalb bedürfen wir des Priestertums Christi. 
Als die Kinder Israel durch die Wüste wanderten, offenbarte sich oftmals der Hochmut des menschlichen Herzens, 
so z. B. als Korah sich gegen Moses auflehnte und erklärte, 
daß sie keines Priesters mehr bedürften, weil sie alle ein 
heiliges Volk bildeten. Die Folge war, daß eine große Plage 
unter dem Volke entstand und daß Jehova die Anstifter im 
Zorn in den Schlund der Erde warf. Kurz danach aber wird 
dem Volke in einer beachtenswerten Weise die große Wichtigkeit des Priestertums vorgestellt. Jedes Familienhaupt 
mußte für jeden Stamm einen Stab ins Heiligtum bringen. 
So auch Aaron. Als nun Moses am folgenden Morgen in das 
Zelt des Zeugnisses trat, sah er, daß der Stab Aarons Blüten 
gebracht und Früchte getragen hatte. Dieser Stab des Hohenpriesters war demzufolge das Kennzeichen des auserwählten 
Priestertums. Die Israeliten konnten nicht ohne Autorität 
sein; kein Gläubiger kann das begehren; denn nicht der 
Mensch, sondern Gott muß regieren. Aber es handelt sich 
hier nicht um die richterliche Autorität, die an den Stab des 
Moses geknüpft war und die nur Verwüstung und Gericht 
über ihre Häupter hätte bringen können. Der Stab Aarons 
hingegen war der Ausdruck der priesterlichen Gnade; er war 
der Stab der lebendigen Kraft, des Lebens nach dem Tode, 
das Früchte hervorbringt. Damit zeigt uns der Heilige Geist 
in überzeugender Weise, daß es für die Führung des Volkes 
durch die Wüste ganz anderer Mittel bedurfte als für seine 
Befreiung aus Ägypten. Als die Israeliten jenseits des Roten 
Meeres standen, waren sie zwar aus den Händen ihrer Feinde befreit; aber wer würde sie durch die Wüste geführt 
haben, wenn Gott nicht auch in dieser Beziehung Vorsorge 
getroffen hätte? Sicher niemand. Daher bedurfte es der Gnade 
des Priestertums, vorgestellt in dem blühenden Stabe Aarons; 
es bedurfte der Kraft eines endlosen Lebens (4. Mo 16 u. 17). 
So begegnet der Herr Jesus auch unseren Bedürfnissen 
während unseres mühevollen Wandels hienieden. „Er ver53 
mag völlig zu erretten, die durch ihn zu Gott nahen", und 
Er errettet sie völlig. Hier ist nicht von der Erlösung der 
Sünder, sondern von der Erlösung der Heiligen die Rede, 
von der Erlösung jener, denen, wie der Apostel sagt, „ein 
solcher Hoherpriester geziemte: heilig, unschuldig, unbefleckt, abgesondert von den Sündern, und höher als die 
Himmel geworden". Solche errettet Er, bringt sie durch alle 
Mühen und durch die Folgen der eigenen Schwachheiten hindurch, wohlbehalten ins Vaterhaus. Herrliche Wahrheit! Ja, 
unser treuer Führer, unser mitleidiger Hoherpriester wird 
uns in dieser Wüste nicht verlassen. Er leidet mit uns, die 
wir heilig, vollkommen und ohne Sünde in Ihm sind. Das 
heißt nicht, daß wir nicht sündigen, Gott bewahre uns vor 
einem solchen Irrtum! Leider willigen wir nur zu oft in die 
Versuchungen Satans ein. Daß der Herr in Seiner unendlichen Gnade auch in dieser Beziehung Vorsorge getroffen hat, 
ist bereits dargetan. Darum geht es jedoch hier nicht. Nur 
mit den Seinen und nur mit den Schwachheiten und Versuchungen, die Ihm Selbst auf dieser Erde begegnet sind, kann 
Er Mitleid haben. Der Herr schenke es uns allen, diese 
Wahrheit recht zu verstehen! 
54 
Die Sachwalterschaft Christi 
(1. Joh 2, 1. 2) 
In der Betrachtung über das Hohepriestertum Christi sind 
dessen Charakter und Zweck so deutlich wie möglich erläutert und es ist klar herausgestellt worden, daß es ausschließlich in Beziehung zu solchen steht, die durch das Werk Christi in die Gegenwart Gottes gebracht sind. Nicht für die Welt 
ist Christus Hoherpriester, sondern für die, welche geheiligt 
sind bezüglich deren Er Sich nicht schämt, sie Brüder zu 
nennen. Es ist nicht die Absicht Gottes, uns durch dieses 
Hohepriestertum in eine neue Stellung zu versetzen; Er will 
uns vielmehr in der Stellung, die wir eingenommen haben 
erhalten und uns, die wir durch das Blut Jesu bereits nahegebracht sind, unterstützen und helfen. Die Grundlage hierfür sind zwei Tatsachen. Christus hat als Hoherpriester Sein 
Blut ins Heiligtum vor Gott gebracht, um für die Sünden des 
Volkes Sühnung zu tun; dann aber hat Er Sich zur Rechten 
Gottes gesetzt. Sein Blut ist bereits vor dem Angesicht Gottes und Er sitzt als Hoherpriester zur Rechten Gottes. Es 
bedarf keiner Versöhnung mehr; sie ist geschehen und Er, 
Der sie vollbracht hat, sitzt zur Rechten Gottes. So sind wir 
also zu Gott, in die Gegenwart Gottes, in das Heiligtum, 
gebracht und diesen Platz kann ein Christ nie mehr verlieren. 
Er kann fehlen, und — wie betrübend das auch für Gott 
ist — er kann sündigen; aber der Zugang zu Gott bleibt offen. Unsere Freimütigkeit zum Eintritt ins Heiligtum kann 
uns nicht genommen werden; wir sind nahegebracht, und 
zwar für immer. Durch nichts kann uns dieser Platz streitig 
gemacht werden. Gott kann das Opfer Seines Sohnes nicht 
geringschätzen, Dessen Blut, von Ihm Selbst dargebracht, für 
immer vor Gottes Angesicht ist. 
Dennoch ist es möglich, daß jemand, der den Herrn bekannt hat, sich wieder von Ihm abwendet. Der Brief an die 
Hebräer zeigt es so klar, daß niemand es bestreiten kann. 
Der Apostel richtet eine höchst ernste Warnung an die Hebräer, die das Judentum verlassen und das Christentum angenommen hatten, und sicher bedürfen die Christen aus den 
Heiden derselben Warnung. Jedoch beachte man wohl, daß 
der Apostel nicht von einem Fallen in die Sünde, sondern 
von einem Abwenden von Christo spricht, von einem Abfall 
55 
vom Christentum. Er spricht von jemand, der den Sohn 
Gottes mit Füßen tritt, Dessen Blut für gemein achtet und 
den Geist der Gnade schmäht (Hebr 10, 29). Er hat solche 
im Auge, die, von der Neuheit und Schönheit des Christentums angezogen, sich diesem angeschlossen und die Segnungen der Gläubigen genossen hatten, ohne wirklich wiedergeboren und Kinder Gottes zu sein (Hebr 6). In jenen Tagen, wo die Frische des Christentums einen grellen Gegensatz zu dem veralteten, dürren Lehrsystem der Rabbiner und 
der eitlen Philosophie der Griechen bildete, war es kein 
Wunder, daß sich viele zum Christentum hingezogen fühlten und nach christlichen Grundsätzen zu handeln und zu 
leben trachteten. Doch solche natürliche Zuneigungen halten 
keinen Stand. Früher oder später wird der wahre Zustand 
der Herzen offenbar. Bevor jedoch solche Erscheinungen unter den Hebräern an den Tag treten konnten, wurden diese 
durch den Heiligen Geist gewarnt und auf die schrecklichen 
Folgen ihres Abfalls aufmerksam gemacht (Hebr 10). Wenn 
man jedoch durch die Gnade Gottes der neuen Natur teilhaftig geworden ist und als verlorener Sünder in Jesu eine 
ewige Erlösung gefunden hat, dann kann nicht mehr von 
einem Abfall die Rede sein; dann vermag uns nichts zu scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu, unserem 
Herrn, ist. Nur für solche ist das Hohepriestertum Christi. 
Durch Sein Blut nahegebracht, unterstützt Er sie und hilft 
Er ihnen in allen Schwierigkeiten, in allen Schwachheiten und 
Versuchungen. 
Hinzu kommt, daß Christus, der Hohepriester, Mitleid mit 
unseren Schwachheiten hat und uns hilft, wenn wir versucht 
werden. In einer Welt voller Sünde und Ungerechtigkeit, wo 
Satan noch als Fürst regiert, müssen wir leiden, weil wir Ihm 
nachzufolgen begehren, und in dieser Lage bedürfen wir Seiner Hilfe und Seines Mitgefühls. Nach dieser kurzgefaßten 
wiederholenden Klarstellung wollen wir uns nun mit dem 
zur Betrachtung stehenden Thema beschäftigen, nämlich mit der 
Fürsprach e oder Sachwalterschaf t Christi. 
Wir wissen alle, daß wir Kinder Gottes und Geheiligte in 
Christo sind und dennoch leider sündigen. „Wir alle straucheln oft" (Jak 3, 2). Das ist Sünde. Wir dürfen es nicht 
Schwachheit nennen. „Straucheln " bedeutet auch nicht 
etwa ein Mittelding zwischen Sünde und Schwachheit. Nein, 
laßt uns die Dinge bei ihren rechten Namen nennen und 
das Wort nicht durch allerlei Trugschlüsse schwächen. Wir 
56 
wollen vielmehr wahr und aufrichtig vor Gott und Menschen 
sein und vor allem nicht die Rechte Gottes gegenüber unserer bösen Natur antasten, die in dem Tode Christi gerichtet ist. 
Nun, geliebte Brüder, worin offenbart sich die Vorsorge 
Gottes, wenn wir gesündigt haben? Nicht in dem Hohenpriestertum, sondern in der Sachwalterschaft Christi. Als 
Hoherpriester kommt Er uns, wie wir gesehen haben, zu 
Hilfe, wenn wir infolge der Versuchungen leiden, die uns die 
Sünde, die Welt und der Teufel bereiten; in diesem Leiden 
hat Er Mitleid mit uns. Aber als Fürsprecher oder Sachwalter 
beginnt Seine Tätigkeit für uns, wenn wir gesündigt haben. 
Es ist höchst bedeutsam, daß wir diese beiden Offenbarungen 
der Gnade und Liebe Gottes nicht miteinander vermengen. 
Geschieht das, so verliert man die wahre Kraft und den wahren Trost aus beiden; ja, man büßt alles ein, was Gott uns 
in dieser zwiefachen Weise aus Gnaden schenken will. So 
verhält es sich mit allen Wahrheiten. Das Hohepriestertum 
Christi steht in Beziehung zu unseren Schwachheiten; Seine 
Sachwalterschaft hat es mit unseren Sünden zu tun. 
Wir dürfen nie aus den Augen verlieren, daß Christus der 
Sachwalter der Gläubigen ist. Er ist — ebensowenig wie Hoherpriester — Sachwalter für die Welt. In beiden Stellungen 
hat Er es nur mit den Gläubigen zu tun. Diese Unterscheidung ist deshalb so bedeutsam, weil hieraus erhellt, daß 
Seine Fürsprache nicht die Sühnung unserer Sünden in sich 
schließt; denn wäre diese nicht schon vollbracht, so könnten 
wir keine Gläubigen, keine Kinder Gottes, keine Heiligen 
sein. Seine Sachwalterschaft hat vielmehr den Zweck, für 
uns zu dem Vater zu reden, wenn wir als Gläubige, als 
Kinder Gottes gesündigt haben, damit unsere Beziehungen 
zu Ihm aufrechterhalten, und die praktische Gemeinschaft 
wiederhergestellt wird, die durch unsere Sünde unterbrochen ist. 
Das wird in den Schriften des Apostels Johannes behandelt. Wie Paulus uns Christum als den Hohenpriester darstellt, wenn er zu einem Volke spricht, das kraft des Blutes 
Jesu gereinigt, geheiligt und vollkommen gemacht ist, so 
stellt uns Johannes, der unsere Gemeinschaft mit dem Vater 
und Seinem Sohne Jesus Christus bezeugt, unseren Herrn 
als den Sachwalter vor Augen. Im ersten Kapitel seines ersten Briefes lehrt er uns, in welchem Verhältnis wir zu Gott 
stehen. Wir sind nicht nur in die Gegenwart Gottes gebracht, 
57 
sondern wir haben auch Gemeinschaft mit dem Vater und 
mit Seinem Sohne Jesus Christus. Wir haben ein neues Leben; wir sind der göttlichen Natur teilhaftig geworden und 
die Folge davon ist, daß wir uns der Gemeinschaft mit dem 
Vater und dem Sohne erfreuen können. Diese Gemeinschaft 
ist ein so inniges, zärtliches Verhältnis, daß sie sofort unterbrochen wird, wenn wir sündigen. Der Vater kann keine Gemeinschaft mit der Sünde haben. 
Ohne Zweifel bezeugt uns die Schrift und die eigene Erfahrung, daß Gott den gottlosen Sünder durch das Blut Jesu 
reinigen und in Seine Gegenwart bringen kann. Durch die 
Gnade sind wir berufen und durch e i n Opfer für immerdar 
vollkommen gemacht. Ja, wir sind Kinder Gottes geworden; 
wir besitzen die göttliche Natur; wir stehen in einer Beziehung zu Gott, wie sie nicht inniger sein könnte. Das alles 
bleibt ewig wahr und unverändert. Wenn aber von einer 
Gemeinschaft im praktischen Sinne die Rede ist, so verhält 
es sich ganz anders. Eine solche Gemeinschaft kann unterbrochen werden und wird unterbrochen, sobald wir sündigen. 
Es ist höchst bedeutsam, daß wir diesen Unterschied im Auge 
behalten, weil sonst unsere Sicherheit vor Gott, das Vertrauen unserer Seele und unser Genuß der Nähe Gottes in Frage 
gestellt werden. Viele bezweifeln ihre Errettung und ihren 
Anteil an Christo, weil sie nach ihrer Bekehrung Sünden bei 
sich entdecken. Andere suchen ihr Gewissen durch den Gedanken zu beruhigen, daß man, solange man in diesem Leib 
und in dieser Welt sei, nicht wandeln könne, ohn e zu sündigen. Noch andere nehmen die Sünde leicht und machen sich 
keine Unruhe darüber, weil sie sich der Vergebung und Reinigung durch das Blut Christi rühmen. Sie alle befinden sich 
im Irrtum; die Schrift belehrt uns über diesen Punkt ganz 
anders. In ihr ist keine Spur von Ungewißheit für den Gläubigen bezüglich seines Anteils an Christo zu finden. Alles 
ist fest, sicher und unveränderlich. Doch es zeigt sich in ihr 
auch keine Spur von Leichtfertigkeit gegenüber der Sünde. 
Im Gegenteil, wir sind von der Sünde erlöst; wir sind gereinigt und geheiligt, zu Gott gebracht; wir befinden uns in 
Seiner Gemeinschaft. Sollten wir nun nicht mit ganzer Seele 
Abscheu vor der Sünde fühlen? Sollten wir sie nicht meiden 
und hassen? O gewiß; kein geistlich gesinnter Christ wird 
anders denken. Die unaussprechliche Gnade Gottes besteht 
gerade in unserer Befreiung von der Sünde. Und wie könnte 
man diese Gnade wertschätzen und zugleich der Sünde ge58 
genüber gleichgültig sein! Nein, jemehr wir uns der Gnade 
Gottes erfreuen, und je sicherer wir unseres Anteils an Christo und unserer geistlichen Vorrechte sind, desto größer wird 
unsere Abscheu vor der Sünde sein. Darum schickt der Apostel Johannes, wenn er — für den Fall, daß wir gesündigt 
haben — über die Sühnung Gottes reden will, die Worte voraus : „M ein e Kinder , ic h schreib e euc h dieses , 
a u f da ß ih r nich t sündiget" . 
Ein Christ braucht nicht zu sündigen. O nein. Er kann, 
wenn er ein zartes Gewissen hat, wenn er sich selbst mißtraut und in Abhängigkeit vor Gott wandelt, durch die Gnade Gottes und durch die Kraft des Heiligen Geistes die 
Sünde hassen, vor ihr fliehen und in Gerechtigkeit und Heiligkeit leben. Nie kann er sich entschuldigen, wenn er in die 
Sünde eingewilligt hat. Er ist mit Christo der Sünde gestorben und der Macht der Sünde entrückt. Darum ist jede Sünde eine Folge des Mangels an Wachsamkeit. Das ist so sicher, daß der Apostel, wenn er sich mit den Sünden der 
Gläubigen beschäftigt, sich veranlaßt sieht, in einer ganz 
besonderen und bemerkenswerten Weise darüber zu sprechen. 
Zunächst sagt er: „Ich schreibe euch dieses, auf daß ihr nicht 
sündiget". Die Gläubigen werden ermahnt, auf Grund alles 
dessen, was im ersten Kapitel gesagt ist, nicht zu sündigen. 
Ihr tagtäglicher Wandel soll zu ihrem früheren Betragen in 
völligem Gegensatz stehen. Aber kann man denn nicht mehr 
sündigen? Zeigt sich denn überhaupt bei einem Christen 
keine Sünde mehr? Ach, leider! Wenn wir aber gesündigt 
haben, was dann? Gibt es keine Hilfe, keine göttliche Sühnung? O ja, Gott sei dafür gepriesen! „Wenn jemand gesündigt hat, so haben wir einen Sachwalter bei dem Vater, 
Jesum Christum, den Gerechten". Aber beachten wir die 
Weisheit und Genauigkeit des hier gebrauchten Ausdrucks. 
Der Apostel sagt nicht: „Wenn w i r gesündigt haben". O 
nein; das konnte er nicht sagen. Er hätte sonst die ganze 
Familie Gottes in seine Aussage einbezogen und damit den 
Eindruck erweckt, als ob alle notwendig sündigen müßten. 
Das aber setzt der Geist Gottes keineswegs voraus. Er stellt 
klar: „Ich schreibe euch dieses, auf daß ihr nich t sündiget". Daher heißt es nun: "Wenn jeman d gesündigt hat", 
wenn es jemanden gibt, — einen Gläubigen —, der gesündigt, 
in seinem Wandel versagt hat, obwohl er eines neuen Lebens 
teilhaftig und in die Gemeinschaft Gottes gebracht ist. „Wenn 
jemand gesündigt hat, so haben wir einen Sachwalter bei 
59 
dem Vater". Und wiederum ist die Ausdrucksweise beachtlich. An sich müßte es entweder heißen: „Wenn jeman d 
gesündigt hat, so hat er " oder: „Wenn wi r gesündigt haben, so haben w i r einen Sachwalter" Aber der Heilige Geist 
hält sich hieran nicht, sondern sagt mit göttlicher Genauigkeit: „Wenn jeman d gesündigt hat", weil es sich dabei 
um eine persönliche Sache handelt, die nicht vorkommen 
sollte. Und Er sagt nicht: „Er hat", sondern: „Wi r haben 
einen Sachwalter bei dem Vater", weil Christus der Sachwalter eines jeden Christen und nicht bloß des einen oder des 
andern ist. Wenn Er gesagt hätte: „E r hat", so würde das 
den Eindruck erwecken, als ob unsere Sünde die Betätigung 
des Herrn hervorrufe und Seine Sachwalterschaft erst beginne, nachdem wir gesündigt haben. Das aber ist keineswegs 
der Fall. Christus ist nicht nur stets als Hoherpriester bei 
Gott, sondern auch als Sachwalter bei dem Vater. Er ist als 
solcher für alle Gaubenden da, um in jedem Augenblick dem 
Bedürfnis zu entsprechen, das durch das Sündigen eines Gläubigen entsteht. So wird es mit göttlicher Genauigkeit durch 
die Worte ausgedrückt: „Wenn jeman d gesündigt hat — 
w i r haben einen Sachwalter bei dem Vater". 
Untersuchen wir nun, worin die Sachwalterschaft Christi 
besteht. Zunächst müssen wir unsere Aufmerksamkeit darauf 
richten, daß der Apostel nicht sagt: „Wir haben einen Sachwalter bei Gott" , sondern: „bei dem Vater" . Das zeigt 
uns, daß es sich hier nicht um Rechtfertigung, sondern um 
die Wiederherstellung der Gemeinschaft handelt, die durch 
unsere Sünde unterbrochen ist. Durch das Opfer Christi sind 
alle unsere Sünden vor dem Angesicht Gottes hinweggetan 
worden. Das Blut ist im Heiligtum und der Hohepriester 
sitzt zur Rechten Gottes. Durch das Blut sind wir nahegebracht und befinden uns in der Gegenwart Gottes. Das ist 
unveränderlich. Wir sind für immerdar vollkommen gemacht. 
Wir sind nun Kinder , und Gott ist unser Vater . Auch 
das ist unveränderlich. Niemand und nichts kann uns von 
Seiner Liebe scheiden. Wiewohl also selbst die Sünde des 
Gläubigen in seinem Wandel auf der Erde ihn nicht aus der 
Nähe Gottes vertreibt oder das zwischen Gott und ihm geknüpfte Band zerreißt, so unterbricht sie doch den Genuß 
der Gemeinschaft mit dem Vater und Seinem Sohne Jesus 
Christus. Der Vater ist ein heiliger Vater; Er kann keine 
Gemeinschaft mit der Sünde haben und Sein Kind, das gesündigt hat, nicht die Freude Seiner Gemeinschaft genießen. 
60 
Wie wird nun die durch die Sünde gestörte Gemeinschaft 
mit dem Vater wiederhergestellt? Durch die Sachwalterschaft 
Christi. 
Wie aber vollzieht sich diese Sachwalterschaft bei dem 
Vater? Zweierlei wird von Jesu gesagt. Er ist der „Gerechte". 
Des Vaters Auge kann daher mit Wohlgefallen auf Ihm 
ruhen. Er hat Gott in allem vollkommen verherrlicht. Es war 
Seine Speise, den Willen des Vaters zu tun; Sein ganzes 
Leben auf der Erde war von Anfang bis zu Ende ein lieblicher Wohlgeruch für Gott. Wenn Er daher für die Seinen, 
für Seine Brüder, die gesündigt haben, zu dem Vater spricht 
und sie vertritt, so kann der Vater Ihn annehmen. Die Meinung, daß die guten Werke Jesu statt unserer bösen Werke 
gerechnet und angenommen würden, ist folglich ganz und gar 
falsch. Sicher ist Jesus unser Stellvertreter; aber Er war das 
im Gericht am Kreuz. Als Sünder finde ich in Jesu meinen 
Stellvertreter, der für meine Sünden litt und starb, der an 
meiner Statt den Zorn Gottes trug. Aber davon ist hier nicht 
die Rede. Hier handelt es sich um den Wandel des Gläubigen und in dieser Beziehung ist Jesus nicht mein Stellvertreter, sondern mein Sachwalter. Die verwerfliche Meinung, Er 
sei für meine Sünden als Gläubiger durch Seinen guten Wandel mein Stellvertreter, vernichtet die Zartheit des Gewissens 
ganz und gar. Es wäre nämlich dann ganz gleichgültig, wie 
ich lebe und wandle. Nein; Jesus ist wohl der Gerechte und 
als solcher mein Sachwalter bei dem Vater; aber Seine persönliche Gerechtigkeit könnte mir, wie herrlich sie vor Gott 
und wie nötig sie zu meiner Hilfe auch ist, an und für sich 
nichts nützen. Er muß für mich zum Vater sprechen, damit 
die gestörte Gemeinschaft wiederhergestellt werde, und der 
Vater nimmt Sein Angesicht an, weil Er in Ihm Seine Wonne 
hat. 
Doch Jesus ist nicht nur der Gerechte; Er ist auch die 
„Sühnung für unsere Sünden". Darum können auch die 
Worte folgen: „Nicht allein aber für die unseren, sondern 
auch für die ganze Welt". Das Blut ist vor dem Thron; aus 
diesem Grunde kann das Evangelium nicht allein den Juden, 
sondern der ganzen Welt verkündigt werden. Alle n kann 
zugerufen werden, an dem Heil in Christo teilzunehmen. Für 
die Gläubigen aber gilt, daß Christus die Sühnung für ihr e 
Sünden ist, so daß diese hinweggetan sind. Auf dieser Grundlage kann Christus unser Sachwalter sein. Er ist nicht nur der 
„Gerechte", so daß Gott Sein Angesicht annehmen kann, 
61 
sondern Er ist überdies auch die Sühnung für unsere Sünden, so daß Er den Vater auf diese Sühnung, auf das Blut, 
hinweisen kann und es auf diese Weise möglich macht, die 
unterbrochene Gemeinschaft wiederherzustellen. 
Welch ein Gnade strahlt uns hier entgegen! Ich habe gesündigt, und — was die Sache noch verschlimmert — ich habe 
gegen Seine Gnade gesündigt, weil ich nicht wachsam und 
demütig im Gebet gewandelt habe. Ich habe Gott, meinen 
liebreichen Vater, entehrt. Und was sagt die Schrift? Sagt 
sie etwa: „Wenn jemand gesündigt hat, so hat er seine Segnungen eingebüßt" — oder: „so muß er aufs neue zum Heiland gehen, um das ewige Leben zu empfangen?" Nichts von 
alledem. Die Schrift sagt: „Wenn jemand gesündigt hat — 
w i r habe n eine n Sachwalte r be i de m Vater" . 
Wie unaussprechlich herrlich! Wir haben bei dem Vater jemanden, der alle unsere Angelegenheiten behandelt, der da, 
wo wir nichts ausrichten können, für uns tätig ist und der 
über jeden Fall mit dem Vater redet. Und Er ist unseres Vertrauens völlig würdig. Er hat uns so unaussprechlich geliebt, 
daß Er Sein Leben für uns dahingab. Wir können keinen besseren Sachwalter haben. Siehe, mein Bruder! Du bist über 
eine von dir begangene Sünde in großer Traurigkeit, und du 
verurteilst dich umso tiefer, je mehr du die Liebe Dessen 
kennst, gegen Den du gesündigt hast. Welch einen Trost hat 
die Gnade bereitet! Die Schrift spricht von Einem, auf Den 
du völlig vertraust, Dem du dein ganzes Herz übergeben 
hast, Der deine ganze Geschichte, den Zustand deiner Seele, 
die Gesinnung deines Herzens kennt — und Er wird dir aushelfen, zwar zu deiner Demütigung, aber zur Ehre Gottes. 
Er spricht mit dem Vater über dich, über deine Sünde, über 
deinen Fall, damit die unterbrochene Gemeinschaft wiederhergestellt werde. 
Und diese Gnade des Herrn Jesus ist — erwägen wir es 
mit Ernst — nicht eine Frucht unserer Reue oder unseres Bekenntnisses; o nein; sie ist, wenn ich mich so ausdrücken 
darf, die Frucht Seines liebenden Herzens. Der Gedanke, daß 
die Bekehrung und die Wiederherstellung der Seele eine 
Antwort auf das Gebet oder eine Folge des Bekenntnisses 
der Sünden und der Reue über das begangene Böse sei, ist 
ein großer Irrtum. Die Schrift belehrt uns ganz anders. In 
ihr nimmt Gott i n alle m den ersten Platz ein. Es ist Gott, 
Der das gute Werk im Menschen anfängt, wenn dieser sich 
fern von Gott, ohne Gott in der Welt befindet und nicht ein62 
mal daran denkt, Ihn zu suchen, und es ist Gott, Der den 
Anfang zur Rückkehr des Gläubigen in Seine Gemeinschaft 
macht, wenn dieser von Ihm abgewichen ist. Das ist Gnade. 
„Wenn jemand gesündigt hat — wir habe n einen Sachwalter bei dem Vater". So spricht der Heilige Geist; Er sagt 
nicht, wie die Menschen es wünschen: „Wir werde n einen 
Sachwalter haben , wenn wir unsere Sünden bekennen und 
bereuen". Wiewohl Petrus nach seinem Fall bitterlich weinte, 
so setzten doch nicht seine Tränen die Sachwalterschaft in 
Tätigkeit. Vielmehr waren die Tränen seiner Reue eine Folge der Fürbitte Jesu. Bevor der Fall des Jüngers geschah, hatte der Herr zu ihm gesagt: „Ich aber habe für dich gebetet, 
auf daß dein Glaube nicht aufhöre". Die Sachwalterschaft 
Jesu bringt den Gläubigen zur Reue, zum Bekenntnis und 
zur Rückkehr in die Gemeinschaft Gottes. Wir sehen von 
Anfang bis zu Ende, bei jedem Schritt und Tritt auf dem 
Wege des Lebens nichts als die Gnade Gottes. Alles findet 
seinen Ursprung in der Gnade. Der Ruhm des Menschen 
ist gänzlich und zu aller Zeit ausgeschlossen. 
Das führt uns zu einem anderen Gesichtspunkt. Christus 
ist unser Sachwalter bei dem Vater und die Folge dieser Sachwalterschaft ist das Werk der Gnade Gottes in der Seele und 
die Zurückführung der Seele in die Gemeinschaft Gottes. 
Denn es fühlt nicht nur der Vater , daß Sein Kind gesündigt hat, sondern auch ich richte mic h selbst . Auf diese 
Weise wird die Fürsprache Jesu in der Praxis wirksam. Er 
spricht für mich zum Vater und Er wirkt in meiner Seele. Er 
schlägt die Wunde, läßt mich durch den Heiligen Geist meine Sünde fühlen und bekennen und führt mich auf diese 
Weise zurück in die Gemeinschaft mit dem Vater. Wie dies 
geschieht, wird uns in den Evangelien durch eine sinnbildliche Handlung des Herrn Jesus, sowie in der Wiederherstellung des gefallenen Jüngers treffend und herrlich vor Augen 
gestellt. 
In Joh 13 lesen wir: „Als Jesus wußte, daß seine Stunde 
gekommen war, daß er aus dieser Welt zum Vater hingehen 
sollte, — da er die seinigen, die in der Welt waren, geliebt 
hatte, liebte er sie bis ans Ende". Welch ein Trost für uns! 
Er liebt uns bis ans Ende. Wenn Er diese Welt verlädt, so 
geschieht es nur, um auf eine andere Art für die Se'nen 
tätig zu sein. Auf der einen Seite sehen wir den Teufel in 
all seiner List und Bosheit dem Herrn gegenüber; er hatte es 
63 
in das Herz Judas Iskariot gegeben, daß er Jesum überlieferte. Auf der anderen Seite sehen wir den Sohn Gottes in der 
ganzen Fülle Seiner göttlichen Liebe zu den Seinen. Er geht 
nicht nur zu Gott in all der Reinheit und Majestät zurück, 
mit welcher Er von Ihm ausgegangen war, sondern mit der 
Herrlichkeit, welche der Vater Ihm jetzt gegeben hat. „Jesus, 
wissend, daß der Vater ihm alles in die Hände gegeben, und 
daß er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe, steht 
von dem Abendessen auf und legt die Oberkleider ab, und 
er nahm ein leinenes Tuch und umgürtete sich". Er war noch 
immer der Diener. Der Mensch überhebt sich und will den 
Eindruck erwecken, als ob er in der Welt etwas sei; Gott erniedrigt sich, wird ein Mensch, ja, ein Knecht, um uns von 
dem eigenen Ich und dem Teufel zu erlösen. So war und handelte Jesus, als Er hier auf der Erde wandelte; und so handelt 
Er auch jetzt noch, ja so wird er verfahren bis ans Ende, bis 
wir alle bei Ihm in Seiner Herrlichkeit sein werden. 
Jesus versetzt Sich im Evangelium des Johannes, und zwar 
vom Anfang des dreizehnten bis zum Ende des siebzehnten 
Kapitels, im Geiste in die Zeit nach Seiner Auferstehung aus 
den Toten. Er redet zu den Jüngern, als sei das Werk der 
Erlösung und Versöhnung bereits vollbracht und als stehe Er 
im Begriff, zum Vater zurückzukehren. „Als Jesus wußte, daß 
seine Stunde gekommen war, daß er aus dieser Welt zum 
Vater hingehen sollte". So beginnt das dreizehnte Kapitel, 
und in Seinem Gebet zum Vater sagt Er: „Das Werk habe 
ich vollbracht, welches du mir gegeben hast, daß ich es tun 
sollte .. . Ich bin nicht mehr in der Welt; . . . und ich 
komme zu Dir". Das kennzeichnet den Boden, auf den Er 
Sich stellte, als Er diese Worte spricht, und es macht deutlich, daß das, was Er hier sagt und tut, Bezug hat auf die 
Zeit Seines Hingangs zum Vater. Die sinnbildliche Handlung 
Jesu, das Waschen der Füße der Jünger, stellt uns Seine Tätigkeit vor, die Er, nachdem Er in die Herrlichkeit eingegangen ist, stets für die Jünger üben wird. „Was ich tue, weißt 
du jetzt nicht; du wirst es aber hernach verstehen". Wäre die 
Fußwaschung nichts weiter als ein Beweis der Erniedrigung 
und der Liebe Jesu gewesen, so hätte Er diese Worte nicht 
sagen brauchen; denn das konnten Seine Jünger gut verstehen. Aber es war eine sinnbildliche Handlung, deren geistliche Bedeutung von höchstem Wert für uns ist. Die Fußwaschung ist ein Bild von der Reinigung der gläubigen Seele 
durch das Wort Gottes. 
64 
„Wenn ich dich nicht wasche", sagt Jesus auf die Weigerung des Petrus, „so hast du kein Teil m i t mir". Er sagt 
nicht: a n mir". Petrus war ein Jünger Jesu; er war mit Jesu 
verbunden und hatte teil an Christo. Aber der Herr kehrt 
jetzt zum Himmel, in die Herrlichkeit zurück, und Er will die 
Seinen an dieser Herrlichkeit teilnehmen lassen, und zwar 
schon jetzt, während sie noch auf der Erde wandeln, durch 
Glauben, und hernach, wenn Er kommen wird, durch Schauen. Doch wir könnten unmöglich an den himmlischen Segnungen, an dem Genuß der Gemeinschaft mit dem Vater 
teilhaben, wenn wir uns verunreinigt haben, und darum muß 
Er stets unsere Füße waschen. „Wenn ich dich nicht wasche, 
so hast du kein Teil mit mir". Ernste Worte! Würden wir sie 
recht verstehen, so könnten wir nicht leichtfertig gegenüber 
der Sünde, aber auch nicht leichtfertig gegenüber unserer 
Reinigung von der Sünde sein. 
Diese Reinigung von der Sünde nun ist eine Reinigung 
durch Wasse r und nicht durch Blut . Durch das Blut Christi sind unsere Sünden aus dem Buche Gottes ausgelöscht 
und vor Seinem Angesicht hinweggetan. Christus hat Sein 
Blut vor Gott in das himmlische Heiligtum gebracht und dadurch die Sünden des Volkes gesühnt. Die ist ein für allemal 
geschehen. Er hat eine ewig e Lösung erfunden, und alle , 
die glauben, sind i n Ewigkei t vollkommen vor Gott. 
Aber es gibt auch eine Reinigung durch Wasser — eine Reinigung des ganzen Leibes und eine Reinigung der Füße. Es 
müssen nicht nur unsere Sünden ausgetilgt, sondern auch 
unsere Seelen gereinigt werden. Das geschieht beim Beginn 
unserer christlichen Laufbahn. „Es sei denn, daß jemand aus 
Wasse r und Geist geboren werde, so kann er nicht 
in das Reich Gottes eingehen". Und wodurch geschieht 
es? „Durch die Waschung mit Wasser durch das Wort" (Eph 
5, 26). Das durch den Heiligen Geist auf unsere Gewissen 
angewandte Wort Gottes bringt die Seele zur Erkenntnis der 
Sünde und wirkt in ihrer Reue über die Sünde, so daß sie 
sich mit einem Schuldbekenntnis zu Gott wendet und den 
Pfad der Sünde verläßt. Jeder Gläubige kennt das aus Erfahrung. Diese Reinigung oder Absonderung nun geschieht 
durch die Waschung des ganzen Leibes mit Wasser. Die Söhne Aarons wurden beim Beginn ihres priesterlichen Dienstes 
ganz gewaschen und waren dann ganz rein, so daß diese 
Waschung nie mehr wiederholt wurde. Hierauf anspielend 
sagt Jesus zu Petrus: „Wer gebadet ist, hat nicht nötig, sich 
65 
zu waschen, ausgenommen die Füße, sondern ist ganz rein; 
und ihr seid rein". Doch wiewohl die Söhne Aarons einmal 
ganz gebadet waren und eine solche Reinigung niemals wiederholt wurde, so mußten sie doch jedesmal, wenn sie im 
Lager gewesen waren, die Hände und Füße waschen. Der 
Herr sagt daher zwar zu Petrus: „Wer gebadet ist, ist ganz 
rein" aber auch: „Er hat nötig, sich die Füße zu waschen" 
und: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil mit 
mir". Obwohl die Seele sich bei der Bekehrung einmal von 
den Sünden ab- und zu Gott hingewandt hat, muß sie sich 
doch bei jeder Verunreinigung durch eine bestimmte Sünde 
von dieser Sünde wegwenden; sie muß zur Reue und zum 
Bekenntnis kommen, um so wieder in die Gemeinschaft des 
Vaters, die durch die Sünde gestört ist, zurückzukehren. 
Diese Fußwaschung der Gläubigen nun ist eine Frucht der 
Sachwalterschaft Jesu bei dem Vater. Nachdem die Erlösung 
vollbracht war, ist der Herr gen Himmel gefahren und hat sich 
zur Rechten Gottes gesetzt. Dort ist Er der große Hohepriester bei Gott und der Sachwalter bei dem Vater. Von dort hat 
Er den Heiligen Geist zur Erde in die Herzen der Gläubigen 
gesandt, und Dieser wirkt, entsprechend der Sachwalterschaft 
Jesu, durch das Wort in unseren Seelen. Der Heilige Geist 
stellt uns in das Licht des Wortes und läßt uns dadurch erkennen und fühlen, was Sünde und was nicht in Übereinstimmung mit der Heiligkeit Gottes und mit unserer Berufung als Kinder Gottes ist. Er bringt uns zur Erkenntnis unserer Sünde und zur Reue, praktisch also zurück in die Gemeinschaft mit dem Vater. Solange man seine Sünde nicht 
bekannt hat, gibt es keinen Genuß der Gemeinschaft Gottes, 
keine Glückseligkeit in Seiner Gegenwart; man fühlt sich 
dort nicht auf dem rechten Platz. Aber sobald das Selbstgericht wirklich vollzogen ist und man sich von der Sünde abgewandt hat, fühlt man sich wieder glücklich in der Nähe des 
Vaters und man genießt erneut Seine Liebe und Güte. 
Welch eine Gnade! Welch eine liebreiche Vorsorge in all 
unserer Bedürftigkeit als Gläubige! Jesus bittet für uns im 
Himmel, auf daß wir nicht aus der Gemeinschaft des Vaters 
ausgestoßen werden, und als Antwort auf Seine Bitte wirkt 
der Heilige Geist durch das Wort in uns, damit unsere Seelen sich praktisch wieder des Genusses dieser Gemeinschaft 
erfreuen dürfen. 
Wie das peschieht, zeigt uns die Geschichte der Wiederherstellung des Petrus in der treffendsten Weise. Wie ernst 
66 
hatte der Herr Seinen Jünger gewarnt, bevor dieser fiel! Und 
wie abwegig erweist sich hier die Meinung, daß man sündigen müsse, um sich kennenzulernen. Hätte Petrus der Warnung des Herrn geglaubt und sich vor der Gefahr, in der er 
sich befand, gefürchtet, so würde er sicher nicht so tief gefallen sein. Allein voll Selbstvertrauen beachtete er die Worte 
des Herrn nicht und betrat in eigener Kraft die Stätte der 
Gefahr. So ist es stets. Unser Ohr ist nie schwerhöriger, als 
wenn wir keine Lust zu hören haben. 
Doch betrachten wir jetzt die Gnadenwege des Herrn. 
„Ich habe für dich gebetet, damit dein Glaube nicht aufhöre". 
Das waren die Worte des Herrn vor dem Fall, und sicher 
waren sie nicht durch die Reue des armen Jüngers hervorgerufen. Jesus, der Sachwalter der Seinen bei dem Vater, war 
tätig, und alles was weiter geschah, war eine Antwort auf 
die Fürbitte Jesu. Als Petrus zum dritten Mal mit Eiden und 
Flüchen seinen Herrn verleugnet hatte, wandte Jesus sich 
um und blickte ihn an. Welch ein Augenblick für den Jünger! Welch eine Gnade von Seiten des Lehrers! „Und Petrus 
gedachte an das Wort des Herrn, wie er zu ihm sagte: Ehe 
der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen". Das ist 
die Waschung mit Wasser durch das Wort. Die Worte Jesu 
drangen in ihrer ganzen Kraft und Schärfe in die Seele des 
gefallenen Jüngers. „Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert". Und was 
war die Folge? Petrus ging hinaus und weinte bitterlich. Der 
Blick Jesu erinnerte ihn an die Worte Jesu, und diese brachten ihn zu aufrichtiger Reue. Doch das reichte noch nicht hin. 
O nein, die Seele des Petrus mußte in die Gemeinschaft mit 
Jesu zurückgeführt und das rechte Dienstverhältnis des gefallenen Jüngers mußte wiederhergestellt werden. Und wie 
verfährt der Herr? Nach Seiner Auferstehung erscheint Er 
zuerst dem Petrus und führt eine besondere Unterredung mit 
ihm. Der reumütige Jünger wird von dem auferstandenen 
Herrn aufgesucht und empfängt die Versicherung Seiner unveränderlichen Liebe. Doch Petrus war nicht nur ein Gläubiger, sondern auch ein Diener des Evangeliums und darum 
mußte er nicht nur zur Gemeinschaft des Herrn zurückgeführt, sondern auch als Diener wiederhergestellt werden. Das 
geschah am See von Tiberias. Dort vertraute der Herr, nachdem Er die Wurzel des Bösen, das Selbstvertrauen bloßgelegt hatte, dem gefallenen, aber wiederhergestellten Jünger 
die Obhut Seiner Schafe und Lämmer an. So war also die 
67 
Verheißung Jesu erfüllt: „Ich habe für dich gebetet, auf daß 
dein Glaube nicht aufhöre und bist du einst zurückgekehrt, 
so stärke deine Brüder". Der Herr tut kein halbes Werk. 
Wenn Er jemanden unter den Seinen wiederherstellt, so geschieht es in vollem Maße. — O gnadenreicher Jesus! Wie unaussprechlich groß ist Deine Liebe, wie unwandelbar Deine 
Treue! Wie herrlich weißt Du Deinen Zweck zu erreichen 
und Deinen Namen zu verherrlichen! Möchten wir doch auf 
Deine Stimme lauschen und auf Deine Wege achten! 
Nichts als Freude 
Ich wurde zu einem älteren Manne, einem wohlhabenden 
Pächter gerufen, von dem man annahm, daß er nur noch 
wenige Wochen leben werde. Er war mir unbekannt, und 
ich wünschte zu erfahren, ob er bereit sei, in die Gegenwart 
Gottes zu treten. Er war jedoch so sehr von seinen Leiden 
und Angelegenheiten erfüllt, daß er nur von ihnen redete 
und mich nicht zu Worte kommen ließ. Als es mir endlich 
dennoch gelang, mit ihm über das Heil seiner Seele und den 
Herrn Jesus Christus, den Heiland der Sünder, zu sprechen, 
unterbrach er mich in gleichgültigem Tone mit dem Einwand, 
daß dies ohne Zweifel alles sehr gut sein könne für jemanden, der es verstehe; er habe wohl auch oft von solchen 
Dingen gehört, könne aber nichts davon begreifen. Kaum 
hatte er das gesagt, so brachte er sofort das Gespräch wieder 
auf seine Familienangelegenheiten — auf seine Ochsen, Äcker 
und dergleichen. 
Als ich das Haus verließ, schienen mir der trübe, bewölkte 
Himmel und die durch den rauhen Herbstwind zum Teil 
entblätterten Bäume nicht so düster als das Innere dieser 
Behausung, in die das Licht des Evangeliums der Herrlichkeit 
Christi bis jetzt keinen Eingang gefunden hatte. Bei den 
folgenden Besuchen ging es nicht besser und traurig verließ 
ich diesen Ort, an dem ich zwar persönlich stets mit großer 
Höflichkeit und vielem Wohlwollen empfangen worden war, 
wo aber die Botschaft Gottes so wenig Zutritt gefunden hatte. 
Ungefähr sechs Monate später empfing ich von dem Pächter einen Brief, in dem er mich, meine Freude darüber voraussetzend, seiner Errettung versicherte. Man wird leicht 
68 
begreifen, daß ich über diese entschiedene Ausdrucksweise 
nicht wenig erstaunt war und da ich kurz danach in seine 
Gegend kam, machte ich ihm sofort meinen Besuch. Er sah 
kräftig und wohl aus und sein Angesicht strahlte jenes Licht 
wider, das „den Glanz der Sonne übertrifft". — Der Herr 
hat mich in Seine Hand genommen", rief er mir zu; „Er 
hat meinen Leib geheilt und meine Seele gerettet". — Ich 
erkundigte mich nach den näheren Umständen, und er teilte 
mir seine Erfahrungen mit, die ich hier, soweit sie mir im 
Gedächtnis haften geblieben sind, mit seinen eigenen Worten 
wiedergebe. 
„Obgleich ich sehr gleichgültig zu sein schien, so hatten 
Ihre Worte doch in meinem Innern eine Seite berührt, deren 
dumpfer Ton meine Seele erzittern machte. Tod, Gericht und 
Ewigkeit standen mir immer gleich Schreckensgestalten gegenüber. Ich wußte, daß ich ein Sünder war und vor Gott 
nicht bestehen konnte. Aber was sollte ich machen? Ich versuchte in einsamen Stunden zu beten; aber in meiner armen 
Seele wurde es immer öder und leerer. Sie hatten mir gesagt, 
daß der Herr Jesus gekommen sei und alles vollbracht habe, 
was der Sünder zu seinem ewigen Heile bedürfe. Aber ich 
verstand Ihre Worte nicht und dachte: das ist alles recht 
schön, aber ich darf doch die Hände nicht in den Schoß legen, sondern muß doch ein wenig mitwirken, sei es durch 
Buße und Gebet oder durch etwas dergleichen. O ich verlebte 
Tage der Angst und des Schreckens und nirgendwo zeigte 
sich mir ein Ausweg. 
Eines Abends nun, nachdem ich mich unglücklicher denn 
je als ein elender, verlorener und in Finsternis versunkener 
Sünder zu Bett gelegt hatte, träumte ich, daß ich aufgewacht 
sei, aber — nicht mehr existiere. Wie wunderbar mir dies 
auch zu sein schien, so drängte sich mir doch die Überzeugung auf meine Seele, daß nichts mehr von mir übriggeblieben sei. Ich befand mich in einer öden Einsamkeit. Es gab 
für mich kein Pachtgut, keine Ernte, kein Vieh mehr; aber 
wunderbarer als all dieses — ich selbst war nicht mehr. „Gibt 
es denn nicht noch etwas, was nicht vergangen, was übriggeblieben ist?" fragte ich mich. Und klar wie die Sonne am 
Himmel trat der Gedanke vor meinen Geist, daß jemand 
existiere, der nie vergehen könne und Dieser Eine schien mir 
den ganzen Himmel und die Erde auszufüllen. Und wer war 
diese geheimnisvolle Person? Kein anderer als der Herr Jesus 
Christus. „Ja du bist nicht mehr, nur Christus allein ist noch 
69 
da", flüsterte eine Stimme in meiner Seele. Und nun verstand ich, daß ich gerade dieser Erkenntnis bedurfte. Der 
arme, elende Sünder, dieser Gegenstand meiner so großen 
Betrübnis, war ganz und gar nicht mehr vorhanden; der 
allein Übriggebliebene war vollkommen, und auf Ihn und 
nicht auf mich hat Gott Sein Auge gerichtet. Ich war beseitigt; statt meiner stand Christus vor Gott, und Gott war 
befriedigt. 
Voll Freude erwachte ich und rief mit lauter Stimme: 
„Jetzt weiß ich, daß ich, was den alten Menschen betrifft, 
vor Gott nicht mehr existiere und daß Christus meinen Platz 
eingenommen hat. Der Herr Selbst hat mir gezeigt, daß Er 
nicht nur meines Wirkens , sondern auch meine r 
selbs t nicht bedarf. Er hat mit mir auf Golgatha ein Ende 
gemacht, und Christus steht da an meiner Statt. Was könnte 
Gott noch weiter fordern? Christus ist für mich vor Ihm 
und Gott findet in Ihm völlige Befriedigung, so daß ich 
nichts anderes zu tun habe, als diese Tatsache anzuerkennen 
und Ihn zu preisen. Wie ist doch alles so einfach, wenn man 
nur Augen hat, es zu sehen \" — 
„Jetzt erst begriff ich Ihre Worte, die Sie damals zu mir 
sprachen. O was wäre aus mir geworden, wenn ich fortgefahren wäre, mich in meine eigenen Gedanken und Wege 
zu verlieren und wenn der Herr mir nicht zu Hilfe gekommen wäre! Doch nein, zu Hilfe ist Er mir nicht gekommen; 
Er hat vielmehr alles Selbst getan und mich gänzlich beiseite 
gelassen; ich durfte nicht mitwirken. Es ist gesegnet, ja 
höchst gesegnet, zu wissen, daß ich jetzt außer Christum 
nicht nur nicht s bin , sondern auch nicht s besitze . 
Sonst pflegte ich im Blick auf mein Pachtgut zu sagen: 
„Mein e Äcker , mei n Vieh usw.". Jetzt aber denke ich 
bei mir selbst: Wenn mich der Herr in diesem Augenblick hinwegnimmt, so bleibt von diesem allen nichts mehr, was mir 
noch angehört; es wird unbedingt nichts für mich sein. Aber 
ich habe Christum und nichts als Christum. Welch ein Gedanke! Er ist mein, für immer mein". 
Das waren die Worte eines Mannes, der diese herrliche 
Wahrheit: „Ich bin beiseite gesetzt, und Christus ist an meiner Stelle" durch die Belehrung des Heiligen Geistes kennengelernt hatte — eine Wahrheit, die zu erfassen oft den weiter 
geförderten Christen so schwer fällt. Von jenem Augenblick 
an bis jetzt, anderthalb Jahre später, füllte Christus in der 
Tat für ihn den Himmel und die Erde aus. Seine Umwand70 
lung war in die Augen springend und konnte nicht verborgen bleiben. Wer ihn früher gekannt hatte, der kannte ihn 
jetzt kaum wieder. Seine Denkensart, seine Handlungsweise 
— alles war verändert. Eines Tages sagte er zu mir: 
„Sie sehen, daß der Herr mir deshalb die Gesundheit wiedergegeben und mich noch hier gelassen hat, damit ich ein 
Zeuge für Christum sei und das betrachte ich als mein größtes Vorrecht. Ich sehe mit dankbarem Herzen, daß bei manchen Seelen das Wort Gottes Eingang zu finden scheint; aber 
viele Bekannte, die ehemals meine Gesellschaft liebten, wenden mir jetzt gänzlich den Rücken. Es geht ihnen wie es auch 
mir gegangen ist; sie haben kein Herz für die Wahrheit. Zuweilen begegne ich einzelnen Menschen, die täglich mit zerknirschten Herzen zu Gott flehen, daß Er sie von ihren 
Sünden erretten möge und mir ist es, als ob man in einem 
solchen Zustand um etwas bitte, was Gott bereits gewährt 
hat. Aber sie erkennen die Errettung nicht, die in dem Opfer 
Christi auf Golgatha vollbracht und dem Sünder geboten ist". 
Etwa einen Monat später teilte er mir mit, daß er die Absicht habe, einige entfernt wohnende Verwandte zu besuchen, 
um ihnen, wozu er bisher keine Gelegenheit hatte, das 
Evangelium zu verkündigen. Vor seiner Abreise besuchte er 
noch einen seiner jüngst bekehrten Nachbarn, der seinem 
Ende nahe war, und nahm Abschied mit den Worten: „Wir 
werden uns in der Herrlichkeit wiedersehen. Sie gehen dorthin, und ich werde ihnen bald folgen". 
Seine Worte sollten sich bestätigen; denn nicht lange nach 
der Rückkunft von seiner Reise erhielt ich die Nachricht, daß 
er sehr krank sei. Ich eilte zu ihm und fand ihn seinem 
Ende nahe. Er flüsterte mir zu: „Ich bin vollkommen glücklich bei dem Gedanken, daß ich zum Herrn gehe. Nur noch 
wenige Augenblicke, und ich werde für immer bei Ihm sein. 
Eins nur möchte ich noch wünschen, nämlich laut genug 
sprechen, um, wie ich es gern möchte, allen sagen zu können, was der Herr ist. Aber ich kann Ihn preisen und werde 
dies bald noch besser tun können. Ich fühle keine Schmerzen, sondern im Gegenteil nicht s al s Freude" . — Etliche Stunden später war er ausheimisch von dem Leibe und 
einheimisch bei dem Herrn. 
Geliebter Leser! Siehst auch du Christum an deiner Statt 
und kannst du durch die Gnade erkennen, daß Gott Ihn an 
deiner Statt anschaut? O könntest du doch mit dem Apostel 
sagen: „Nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir" 
71 
(Gal 2, 20). „Wer gestorben ist, ist freigesprochen von der 
Sünde" (Röm 6, 7). Nicht nur die Sünde ist für den Gläubigen beseitigt, sondern auch der Sünder ist als solcher verschwunden. Christus, Der unseren Platz auf dem Kreuze unter dem Gericht einnahm, lebt jetzt für uns in der Herrlichkeit; Seine Annahme bei Gott ist das Maß der unsrigen. Gott 
hat Wohlgefallen an uns, weil Er uns in Christo und nur in 
Ihm sieht. Das allein gibt uns vollkommenen Frieden, weil 
es uns zeigt, daß Gott vollkommen befriedigt worden ist. Die 
vollkommene Liebe des Vaters ruht unverhüllt auf uns, weil 
wir in Dem sind, an Welchem Er Seine Wonne hat. Der 
Sünder ist weder verändert noch verbessert, sondern hinweggetan. Christus allein, der vollkommene Mensch, erfüllt die 
Herrlichkeit Gottes. Und mit Ihm sind wir eins, wenn wir 
wahrhaftig Gläubige sind. „Denn wer dem Herrn anhängt, 
ist ei n Geist mit ihm" (1. Kor 6, 17). 
72 
Der Zustand der Seele nach dem Tode 
Der Zustand der Seele nach dem Tode ist für jeden von 
uns von größtem Interesse. Die bekennende Christenheit hat 
die große Wahrheit der Wiederkunft Christi zur Aufnahme 
der Heiligen und zum Gericht der Erde vor dem Ende der 
Welt verworfen. Sie hat die der Auferstehung durch das 
Neue Testament beigelegte Bedeutung aus dem Auge verloren und demzufolge der -unbestimmten Vorstellung, daß 
man nach dem Tode zum Himmel gehe, einen absoluten 
Charakter eingeräumt, der jeden anderen Begriff von Glück 
und Herrlichkeit ausschließt — eine Vorstellung, die selbst im 
gesunden evangelischen Teil des Christentums herrscht. Die 
Schrift aber redet zu betont von der Wiederkunft des Herrn, 
als daß der Gedanke, durch den Tod zum Himmel zu gehen, 
den Geist des Gläubigen beherrschen sollte. Dieser Gedanke 
findet sich in der Schrift nur bei dem Räuber am Kreuz, dem 
die Verheißung zuteil wurde, mit Christo im Paradies zu 
sein. Es wird nicht bestritten, daß auch wir dahin gehen; 
aber der schriftgemäße Gedanke ist stets, daß wir zu Christo 
gehen. Seit Er im Himmel ist, gelangen auch wir ohne Zweifel dahin; aber die Schrift kehrt nie die Tatsache hervor, daß 
wir im Himmel, sondern daß wir bei Christo sein werden und 
das ist für unsere geistlichen Neigungen höchst beachtlich. 
Die Schrift stellt Christum vor unsere Seelen und nicht den 
Himmel, wiewohl wir sicher dorthin kommen und glücklich 
sein werden. Ich erwähne das nur, um die Gewohnheiten 
unserer Gedanken zu charakterisieren. Unsere arme menschliche Natur gerät, um die Untiefen zu vermeiden, so leicht 
auf Klippen. Sie folgt ferner so gern ihren eigenen Gedanken, anstatt einfach das Wort Gottes anzunehmen. Nichtsdestoweniger hat die wiedererkannte Wahrheit von der Wiederkunft des Herrn und der ersten Auferstehung viele Gläubige belebt und die Vorstellung, durch den Tod in den Himmel zu gehen, beseitigt — eine Vorstellung, die zu unbestimmt und zu wenig schriftgemäß ist, als daß sie die befriedigen könnte, welche die Schrift erforschen. Manche sonst im 
Glauben gesunde Christen haben behauptet, daß die Seele 
schlafe und sich bis zur Auferstehung in einem bewußtlosen 
Zustand befinde, während andere, irregeleitet durch diesen 
falschen Begriff, nicht nur das unmittelbare Glück der Entschlafenen, die bei Christo sind, sondern die Hoffnung des 
73 
Gläubigen selbst in Frage stellen. Ach, wie schnell vergrößert 
sich die Zahl jener Irregeleiteten, die die Fundamentallehren 
des Evangeliums leugnen! 
Es ist nicht meine Absicht, hier denen entgegenzutreten, 
die die Unsterblichkeit der Seele leugnen; denn das haben 
andere schon in überführender Weise getan. Ich beabsichtige 
nur, einfach und schriftgemäß zu beweisen, daß der Gläubige 
nach seinem Abscheiden sich bei Christo eines unmittelbaren 
Glückes zu erfreuen hat in einem Zwischenzustand, in welchem sich auch Christus bezüglich Seiner Stellung als Mensch 
befindet, obwohl Er in der Herrlichkeit ist. Auch nach seinem 
Abscheiden erwartet der Christ die Auferstehung des Leibes, 
weil erst sie ihn in seinen endlichen Zustand der Herrlichkeit einführen wird. Die Menschen reden von verherrlichten 
Geistern; die Schrift spricht davon nie. Die Absicht Gottes 
in bezug auf uns ist, daß wir dem Bilde Seines Sohnes 
gleichförmig sein sollen, damit Er der Erstgeborene unter 
vielen Brüdern sei. „Es ist noch nicht offenbar geworden, was 
wir sein werden; wir wissen, daß, wenn es offenbar wird, 
wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie 
er ist". — „Und wie wir das Bild dessen von Staub getragen 
haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen" 
(Röm 8, 29; 1. Joh 3, 2; 1. Kor 15, 49). 
Dies wurde bei der Verklärung geoffenbart, als Moses und 
Elias in der Herrlichkeit erschienen (Luk 9, 28-36). Unser 
ewiger Zustand der Freude und Herrlichkeit besteht in der 
Tatsache, daß wir allezeit bei dem Herrn sein werden und 
daß Er Selbst uns ins Vaterhaus aufnehmen wird. Letzteres 
findet sich sogar in der Geschichte der Verklärung wieder, 
wo Moses und Elias in die Wolke eintraten; aus welcher die 
Stimme des Vaters kam. (vgl. auch 1. Thess 4, 17). Christus 
wird kommen und uns zu Sich aufnehmen, nachdem wir auferweckt oder nach Seinem Bilde verwandelt sind; dann wird 
unser armer irdischer Leib dem Leibe Seiner Herrlichkeit 
gleichförmig sein (Phil 3, 21). Das ist unser ewiger Zustand. 
Hierzu hat Gott uns schon bereitet und uns das Unterpfand 
des Geistes gegeben (2. Kor 5, 5). Bei dem Herrn und Ihm 
für immer gleich sein, ist unsere ewige Freude und die Frucht 
der Liebe Gottes, Der uns zu Seinen Kindern gemacht hat 
und uns in die für uns im Vaterhause bereiteten Wohnungen 
einführen will. 
Zwiefach ist unser Teil: Wir werden Christo gleich und 
bei Ihm sein, und wir werden in Ihm gesegnet sein mit jeder 
74 
geistlichen Segnung in den himmlischen örtern. Diese Vorzüge haben wir durch die Erlösung erworben; aber wir besitzen sie noch nicht. Obwohl von Gott dazu bereitet, besitzen wir jetzt nur das Unterpfand des Geistes. Den Gesichtspunkt unserer Gleichförmigkeit mit Christo haben wir bereits erörtert. Die dabei angeführte Stelle: „Wir werden allezeit bei dem Herrn sein" —, führt uns mit der Autorität der 
Schrift zu dem zweiten Punkt der Betrachtung, nämlich zu 
unserem Teil mit Christo in den himmlischen örtern. Hierzu 
sei auf einige Stellen hingewiesen, die Auskunft darüber 
geben, was die Christen, die mit Christo geglaubt und gelitten haben, charakterisiert. Es ist gesagt, daß Gott alles, was 
in den Himmeln und auf der Erde ist, in dem Christus zusammenbringen wird (Eph 1, 10), daß alle Dinge durch und 
für Christum geschaffen sind (Kol 1, 16. 20) und daß alles 
Seinen Füßen unterworfen sein wird (Hebr 2; 1. Kor 15, 27. 
28; Eph 1, 22). Aber es wird auch vermerkt, daß Ihm noch 
nicht alle Dinge unterworfen sind (Hebr 2). Er sitzt jetzt auf 
dem Thron des Vaters und nicht auf Seinem eigenen (Offb 
3, 21). Gott hat gesagt: „Setze dich zu meiner Rechten, bis 
ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße". Er wartet 
also, bis Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt werden (Hebr 10). Die Zeit wird kommen, wo nicht allein die 
Dinge in den Himmeln und auf der Erde versöhnt sein werden (Kol 1, 20), sondern wo selbst die Dinge unter der Erde 
— die höllischen — Seine Gegenwart und Autorität anerkennen müssen. Jedes Knie wird sich vor Ihm beugen, jede Zunge wird bekennen müssen, daß der von den Menschen verachtete und verworfene Jesus Christus Herr ist, zur Ehre 
Gottes, des Vaters (Phil 2. 10. 11). Das alles haben wir noch 
zu erwarten. 
In dieser Vereinigung aller Dinge in den Himmeln und 
auf der Erde unter Christo als dem Haupte haben wir un -
s e r Teil in den himmlischen örtern, — jetzt im Geist und 
später in Herrlichkeit; beide Tatsachen können in Wirklichkeit nicht voneinander getrennt werden. Wir sind selbstverständlich jetzt noch nicht in der Herrlichkeit; aber sie ist 
unsere gegenwärtig e Berufun g — das, was wir erwarten und wozu wir erkauft und gebildet worden sind. 
Jetz t haben wir diesen Schatz in irdenen Gefäßen und seufzen beschwert. Wenn wir außer dem Leibe sein werden, hören diese Seufzer auf, und wir werden in der Freude bei 
Christo sein. Bei Seiner Wiederkunft werden wir einen Leib 
75 
bekommen, der dieser himmlischen Stellung entspricht und 
wir werden so in der Herrlichkeit sein. „Er hat uns gesegnet 
mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen örtern in 
Christo" (Eph 1, 3). „Wir wissen, daß, wenn unser irdisches 
Haus, die Hütte, zerstört wird, wir einen Bau von Gott haben, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, ein ewiges, in den 
Himmeln" (2. Kor 5, 1). „Denn unser Wandel (unser Bürgerrecht oder unsere Beziehungen im christlichen Leben) ist 
in den Himmeln" (Phil 3, 20). In demselben Kapitel (V. 14) 
ist auch die Rede von der „Berufung Gottes nach oben"; 
denn die wahre Kraft des Ausdruckes: „Himmlische Berufung" ist: „berufen nach oben". Dasselbe wird auch im Brief 
an die Hebräer bezeugt, daß nämlich Christus als unser 
Vorläufer in das Innere des Vorhangs eingegangen ist, das 
heißt, in den Himmel selbst, und daß wir der himmlischen 
Berufung teilhaftig sind (Kap. 6, 18-20; 9, 24; 3, 1). Als 
solche, die durch den Heiligen Geist mit Christo eins sind, 
sitzen wir in Christo in den himmlischen örtern — nicht m i t 
Ihm, sondern i n Ihm. Das ist unser Platz. Wenn der Herr 
kommt, so wird Er als der Sohn des Menschen alle Ärgernisse und die das Gesetzlose tun zusammenlesen und alsdann werden die Gerechten leuchten in dem Reiche ihres 
Vaters (Matth 13, 41. 43). Aus diesem Grunde zeigten Moses 
und Elias, in Herrlichkeit auf der Erde geoffenbart, nicht nur 
den Zustand der Heiligen im Reiche, sondern sie traten auch 
in die Wolke ein, in der Gott wohnt und aus der sich die 
Stimme des Vaters hören ließ. 
Unser Teil besteht also augenscheinlich darin, daß, wenn 
Gott alle Dinge in den Himmeln und auf der Erde unter 
ein Haupt zusammenbringen wird, wir Christo in der Herrlichkeit gleich und allezeit bei Ihm sein werden, und zwar im 
Himmel selbst, gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den 
himmlischen örtern, im Gegensatz zu den zeitlichen Segnungen Israels auf der Erde. Wenn wir Seine Miterben sind, so 
müssen wir auch, was weit besser ist, im Vaterhaus wohnen, 
in das Er gegangen ist. Deshalb wird uns klar und deutlich 
gesagt, daß unsere Hoffnung in den Himmeln aufbewahrt 
ist (Kol. 1, 5), und zwar ein „unverwesliches und unbeflecktes und unverwelkliches Erbteil (1. Petr 1, 4). Das 
alles beweist uns, daß unsere Segnungen in jenem Bereich liegen, in den unsere Hoffnung hineindringt, und in 
den unser Vorläufer bereits eingegangen ist. Wir werden 
das Bild des Himmlischen tragen und allezeit bei dem 
76 
Herrn sein. Er ist hingegangen, um uns eine Stätte im 
Hause des Vaters zu bereiten und Er wird wiederkommen, um uns zu Sich zu nehmen. Er hat gesagt: „Vater, 
ich will, daß die, welche du mir gegeben hast, auch bei 
mir seien, wo ich bin". Es wäre noch manches hinzuzufügen über diese Segnung und die Stellung, welche uns 
gegeben ist, damit „Er in den kommenden Zeitaltern den 
überschwenglichen Reichtum seiner Gnade in Güte gegen 
uns erweise in Christo Jesu". Der angekündigte Zweck 
dürfte aber nach dieser Beweisführung und Darstellung unserer Segnungen erreicht worden sein. Die Ausführungen 
stellen klar, daß von unserer Bekehrung an bis zur Herrlichkeit unsere Berufung zu aller Zeit dieselbe ist und daß es nur 
eine Hoffnung unserer Berufung gibt. Gott hat uns zu Seinem eigenen Reich und zu Seiner eigenen Herrlichkeit berufen und wir rühmen uns in Hoffnung der Herrlichkeit Gottes. Das Haus des Vaters ist die Wohnstätte Seiner Kinder. 
Einzugehen ist aber noch auf die Frage nach dem Zwischenzustand. Es ist wohl geklärt, wo sich alle unsere Segnungen 
befinden und was die Erlösung uns erworben hat. Der Gott 
aller Gnade hat uns zu Seiner ewigen Herrlichkeit durch 
Jesum Christum berufen, damit wir einen vollständigen Teil 
der eigenen Herrlichkeit Christi bilden; denn was würde ein 
Erlöser ohne die Erlösten sein? Von dem Augenblick an, wo 
ich glaube, daß der vielgeliebte Sohn Gottes für mich als 
Mensch gestorben ist, lerne ich den unschätzbaren Wert alles 
dessen zu begreifen, was ich zufolge dieses Todes empfangen 
habe. Der Brief an die Hebräer liefert — und das ist der einzige Zweck dieses Briefes — den Beweis, daß wir ein himmlisches Teil haben im Gegensatz zu dem Judentum, dessen 
Teil irdisch war und in der Wiederherstellung Israels begründet liegt. Sie besaßen einen Hohenpriester au f de r 
Erde , weil Gott Seinen Thron hienieden zwischen den Cherubim hatte; aber uns geziemte ein anderer — ein Hoherpriester, „heilig, unschuldig, unbefleckt, abgesondert von den 
Sündern und höher als die Himmel geworden", weil unser 
Platz und unser Teil bei Gott sind. Unser Platz und unsere 
Berufung sind in den himmlischen örtern. Alles mußte im 
Einklang sein, die Vortrefflichkeit des Opfers und des priesterlichen Dienstes. Was aber sagt das Wort Gottes über 
unseren Zwischenzustand von dem Augenblick an, wo wir 
diese Hütte, in welcher wir seufzen, verlassen, bis zu dem 
Augenblick, wo dieser Leib der Niedrigkeit bei der Wieder77 
kunft Christi dem Leibe Seiner Herrlichkeit gleichförmig gemacht -werden wird? 
Wenn wir diese unsere künftige Gleichförmigkeit mit Ihm 
(Phil 3, 21) sowie die Wahrheit, daß unser Teil und unsere 
Berufung himmlisch sind, begriffen haben und wenn wir bedenken, daß alles einfach unser Bürgerrecht jetzt und für immer im Himmel ist, beschränkt sich diese Frage nur noch darauf: Inwieweit genießen wir dies wenn wir sterben? Ist 
unser Genuß dann größer oder geringer als jetzt? „Gott ist 
nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen; denn für 
ihn leben alle" (Luk 20, 38). Mit ihrem Abscheiden sind die 
Gläubigen wohl ganz und gar für die Welt gestorben, für 
Ihn aber leben sie wie für den Glauben. Man behauptet, daß 
sie schlafen; aber diese Vorstellung ist unbegründet. Daß 
Stephanus entschlief, besagt lediglich, daß er starb, daß seine 
Seele nach dem Tode entschlafen sei. Gott wird die, welche 
in Jesu entschlafen sind, mit Ihm bringen (1. Thess 4, 14); 
sie allein sind die „Toten in Christo (V. 16). Das ergibt sich 
auch aus dem 1. Brief an die Korinther. „Etliche sind entschlafen" (Kap. 15, 6), heißt, sie sind gestorben; hier steht 
dasselbe Wort, wie in 1. Thess 4, 14, und zwar als Gegensatz zu dem in demselben Kapitel sich vorfindenden Ausdruck: „Wir, die Lebenden", und zu dem Worte in 2. Kor 5: 
„Einheimisch in dem Leibe". „Entschlafen" heißt also „sterben", und das ist eine treffende Bezeichnung für die Tatsache, daß die Gestorbenen nicht etwa aufgehört haben zu 
existieren, sondern daß sie in der Auferstehung wieder aufwachen werden, wie ein Mensch vom Schlaf aufwacht. Der 
Sterbefall des Lazarus liefert uns dafür einen klaren Beweis 
(Joh 11). Der Herr sagt: „Lazarus, unser Freund, schläft; 
aber ich gehe hin, daß ich ihn wieder aufwecke". Die Jünger meinten, Er rede von der Ruhe des Schlafes. Jesus sagte 
ihnen dann gerade heraus: „Lazarus ist gestorben". — Der 
„Schlaf" bezeichnet hier also den Tod und das „Aufwekken" die Zurückführung aus dem Zustand des Todes durch 
Auferstehung; es handelt sich mithin nicht um ein Aufwekken der Seele, als ob diese schlafe, um sie dann zu lassen, 
wo sie sich befindet. Entschlafen und sterben sind für den 
Christen gleichbedeutend; der Schlaf der Seele ist nichts als 
eine Erfindung. 
Paulus wußte, daß Gott ihn für die Herrlichkeit bereitet 
hatte und er redete davon, wie von einem gemeinschaftlichen 
Glaubensgut aller Christen. Er wünschte nicht, als wäre er 
78 
kampfesmüde, entkleidet zu werden, d. h. zu sterben; sein 
Sehnen war, daß das Sterbliche vom Leben verschlungen 
würde. Die Christen haben Christum als ihr Leben wie auch 
als ihre Gerechtigkeit. Deshalb haben sie selbst in bezug auf 
den Tod ein stetes Vertrauen, indem sie wissen, daß sie 
„während einheimisch in dem Leibe, wir von dem Herrn ausheimisch sind" (2. Kor 5, 6). Sie haben das Leben — ein ewiges Leben in Christo; aber sie tragen es hier in irdenen Gefäßen, abwesend von dem Herrn. Sobald sie diese armseligen Gefäße, in welchen sie seufzen und beschwert sind, verlassen, sind sie einheimisch beim Herrn. Ist das nun besser 
oder schlimmer? Und wo ist der Herr? Will das besagen, daß 
der Heilige Geist, der Geist des Lebens in Christo Jesu, den 
die Glaubenden schon als Macht des Lebens besitzen, sich 
dann schlafend in einem bewußtlosen Zustand befinde? War 
das die Hoffnung des Apostels, der in diesem Leben in Christo eine solche Macht erblickte, daß er nicht mit dem Tode, 
sondern vielmehr mit dem Augenblick rechnete, wo das 
Sterbliche vom Leben verschlungen werden wird? Erinnern 
wir uns doch, daß Christus unser Leben ist; weil Er lebt, 
darum leben auch wir. Oder verlieren wir etwa, wenn wir 
sterben, unser Verhältnis zu Ihm? 
Paulus war bedrängt und wußte nicht, was er wählen 
sollte (Phil 1); er hatte Lust abzuscheiden, um bei Christo 
zu sein, weil es weit besser war. Obwohl das Leben für ihn 
Christus war, so war doch das Sterben ein Gewinn. Aber es 
war seine Freude und Glückseligkeit, ganz für Christum zu 
leben, so daß das Verweilen in der Hütte für ihn der Mühe 
wert war. Hätte er das Sterben vorziehen und es als Gewinn 
betrachten können, wenn es ihn in den Zustand der Bewußtlosigkeit versetzt und des Gedenkens an Christum und 
Seinen Dienst enthoben haben würde? War es sein Wunsch 
und seine besondere Freude, sich schlafen zu legen und 
nichts mehr von Christo zu hören? Nein, er hielt es für besser, bei Christo zu sein, als — wiewohl ihm das der Mühe 
wert war — hienieden zu dienen. Es wäre doch vergleichsweise 
absurd anzunehmen, die Schilderung des Nutzens und der 
Genüsse, die ich bei einem Freunde zu finden hoffe, drücke 
das Verlangen aus, bei meiner Vorsprache alsbald in einen 
tiefen Schlaf zu fallen, um ja nichts von dem wahrzunehmen, 
was um mich herum vorgeht. Erinnern wir uns daran, daß 
der Herr den sterbenden Räuber, der Ihn unter allen Menschen allein in jener denkwürdigen Stunde bekannte, mit den 
79 
Worten tröstet: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein!" 
War dieses: „Mit mir" und „im Paradiese sein" nicht ein 
Glück, das Er ihm damals verhieß? Bestand dieses Glück 
etwa in einem tiefen Schlaf und in einem bewußtlosen Zustand? Eine solche Behauptung wäre doch wohl höchst töricht und stände zudem im klaren Widerspruch zu dem Sinne 
der Worte Christi. Diese Worte schreibt Lukas, der durch 
sein ganzes Evangelium hindurch die göttliche Gnade in dem 
Sohne des Menschen bezeugt und den gegenwärtigen Zustand der Dinge klarstellt. Die beiden ersten Kapitel dieses 
Evangeliums sind gänzlich dem armen, gottesfürchtigen Überrest gewidmet, der Christum erwartet; sie liefern ein kostbares Gemälde von jenen Armen im Geiste, die Gott inmitten des rebellischen und ungläubigen Volkes Israel angehören. Dann enthüllt Lukas das Geschlechtsregister Christi bis 
hin zu Adam und offenbart bis zum Schluß seines Evangeliums die Gnade, die in dem Sohne des Menschen erschienen 
ist, um den Menschen zu segnen, und die ihn von da an 
segnet, und zwar auf eine himmlische Weise. Dieses Evangelium beschäftigt sich nicht, wie das des Matthäus, mit den 
Haushaltungen, sondern stellt die Gnade dar, und zwar eine 
gegenwärtige Gnade, die himmlische Gnade durch das Evangelium, den gegenwärtigen Zustand der Dinge. Es entspricht 
nach seinem Maße dem Zeugnis des Paulus und der Apostelgeschichte. Obgleich nun der arme Räuber die Macht der 
Gnade und des Glaubens in glänzender Weise demonstrierte, 
und Christum als Herrn gerade dann bekannte, als alles mit 
diesen Würden in Widerspruch stand, überstieg seine Erkenntnis die der Gläubigen seiner Nation nicht. Er wußte 
nichts von einem himmlischen Reich, erwartete aber sicher, 
daß Der, Welcher am Kreuze hing, in Seinem irdischen Reiche kommen werde und voll glücklichen Vertrauens zu Christo bittet er Ihn, Sich dann seiner zu erinnern. Die Antwort 
des Herrn steht im Einklang mit den Grundzügen des Evangeliums und besagt: „Du brauchst nicht so lange zu warten; 
ich bringe dir das Heil durch Gnade; heute, an diesem Tage, 
wirst du mit mir im Paradiese und mein geeigneter Begleiter 
in der Segnung sein". 
Das ist das Teil der entschlafenen Heiligen; sie sind bei 
Christo im Besitz der Segnungen, abwesend vom Leibe und 
einheimisch beim Herrn. Ich kenne die jämmerliche Ausflucht, deren man sich bei dieser Stelle bedient, indem man 
liest: „Wahrlich, ich sage dir heute, du wirst mit mir im 
80 
Paradiese sein". Durch diese Lesart wird nicht nur der Einklang mit dem Inhalt des Lukasevangeliums zerstört, sondern 
auch die ganze Ordnung umgekehrt und diese Stelle ihres 
Sinnes beraubt. Das Wörtchen „heute" steht am Anfang des 
Satzes, um die Erwiderung auf das Wort des Räubers: „Wenn 
du in deinem Reiche kommst", mit Nachdruck zu betonen. 
Es ist kindisch, jenes Wörtchen mit der feierlichen Versicherung: „Wahrlich, ich sage dir", verbinden zu wollen, und 
zerstört die Anspielung auf die Bitte des Räubers, der nur 
erwartete, daß Christus, wenn Er in Seinem Reiche komme, 
Sich seiner erinnern möge. „Nein", sagt der Herr mit dem 
feierlichen „Wahrlich", dessen Er Sich bedient, „du sollst nicht 
einmal so lange warten, sondern wirst heute noch mit mir 
im Paradiese sein". Was sollte das Wort in der Fassung: 
„Wahrlich, ich sage dir heute" für eine Bedeutung haben? 
Es würde die Versicherung ihrer Feierlichkeit entkleiden, 
während die Worte: „Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du 
mit mir im Paradiese sein", weit über die Hoffnung des 
Räubers hinausgehen und uns andere als irdische Freuden 
offenbaren, die uns erwarten, wenn wir aus dieser Welt 
scheiden, um bei dem Herrn zu sein. 
Durch die Bosheit der Juden ging die Verheißung des Räubers in Erfüllung, indem sie ihm die Beine brachen, ihre 
Bosheit war auch das Mittel zur Erfüllung des Erlösungswerkes, das dem armen Räuber das Recht gab, bei Christo 
im Paradiese zu sein. Das war auch die Erwartung des Stephanus, als der Tod seinen Lauf auf der Erde beendete. Er 
sah Christum und bat Ihn, seinen Geist aufzunehmen. Hat 
Christus ihn aufgenommen? Oder hat Er nur dem Dienst 
und der Freude des Stephanus ein Ende gemacht und ihn 
zum Schlafe niedergelegt? 
Der Zwischenzustand ist also nicht die Herrlichkeit; denn 
dazu gehört die „Auferweckung des Leibes in Herrlichkeit". 
Er wird unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten zur Gleichförmigkeit mit seinem Leibe der Herrlichkeit". Aber der 
Zwischenzustand ist die Segnung dort, wo es weder Unreinigkeit noch Sünde gibt. Man ist bei Christo Selbst, der 
Quelle unaussprechlicher Freude. Paulus und Stephanus sind 
in ihrer Hoffnung und ihrem unerschütterlichen Vertrauen 
nicht getäuscht worden, und die dem Räuber vom Herrn gegebene Verheißung ist nicht unerfüllt geblieben. Ich richte an 
jedes vorurteilsfreie Gemüt die Frage, ob die in 2. Kor 5, 
in Phil 1 und in Apstg 7 vorgestellte Hoffnung, sowie die 
81 
an den Räuber gerichteten Worte des Herrn lediglich einen 
tiefen Schlaf, einen Zustand der Bewußtlosigkeit verheißen. 
Läßt uns die Schilderung des Zustandes des reichen Mannes 
und des armen Lazarus durch den Herrrn schließen, daß sich 
der Gottlose und der Gerechte in Schlaf und Bewußtlosigkeit 
befinden? Man wird einwenden, daß das nur eine bildliche 
Darstellung sei. Ich räume dies völlig ein; aber es kann doch 
unmöglich eine falsche Darstellung sein, die uns schlafende 
und bewußtlose Männer vor Augen stellt. 
Überdies stellt uns 2. Kor 5, 6-8 einen glückseligen Zustand bei Christo vor Augen, der eintritt, sobald man gestorben ist. Diese Stelle bezieht sich unverkennbar auf den 
Tod; denn der Apostel hatte am Leben verzweifelt (2. Kor 1). 
„Ausheimisch vom Leibe und einheimisch bei dem Herrn 
sein", bezeichnet nicht die Auferstehung; vielmehr ist hier 
die Rede vom Verlassen des Leibes; man ist entkleidet. Auch 
in der Stelle, in der der Apostel vom Abscheiden spricht, um 
bei Christo zu sein, geht es nicht um die Auferstehung oder 
die Verwandlung, sondern um den Tod; denn er sagt: „Sterben ist Gewinn" (Phil 1, 21). 
Wir können nicht sagen, in welcher Weise ein Geis t 
Christum genießt; aber das macht keine Schwierigkeit. Mein 
Geist genießt Christum trotz aller Hindernisse, die ihm das 
elende, irdene Gefäß, in dem er sich befindet, in den Weg 
legt. Wir freuen uns, wiewohl wir Ihn Selbst nicht sehen, 
mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude. Jetz t genießt meine Seele, nicht mein Leib, Christum in geistlicher 
Weise inmitten der Hindernisse des irdenen Gefäßes und 
ausheimisch vom Herrn; dann wird sie Ihn ohne das Hindernis des irdenen Gefäßes und einheimisch bei dem Herrn 
genießen. Der Gläubige kann vollkommen sicher sein, daß 
er einheimisch bei dem Herrn sein wird, wenn er diesen 
Leib verläßt, und daß dann die Freude der Gegenwart des 
Herrn sein Teil sein wird. Es kann niemand mehr als ich 
auf der Wiederkunft und der Erwartung des Herrn, sowie 
auf der Wichtigkeit unserer Auferstehung bestehen und immer wieder komme ich darauf zurück, so oft sich mir bei den 
Gläubigen eine Gelegenheit dazu bietet. Dadurch soll aber um 
keinen Preis die Wahrheit beeinträchtigt werden, daß für 
Gott alle — selbst die Geister im Gefängnis — leben, noch sollen die herrliche Freude, die Segnung, und der „Gewinn", bei 
dem Herrn zu sein, wenn wir sterben, geschmälert werden. 
Denn dieser Gedanke war stets die Freude der Heiligen und 
82 
hat schon über manches Sterbebett ein himmlisches Licht 
verbreitet, wie dies, wenn der Herr verziehen sollte, auch 
weiterhin der Fall sein wird. 
Die Schrift redet klar und ausdrücklich von dem Glück des 
Christen bei seinem Abscheiden, von seinem Vorrecht, bei 
Christo zu sein; sie erblickt darin die Ursache für eine grössere Freude, als sie der glückseligste Dienst auf Erden zu 
gewähren vermag. Von diesem Glück und diesem Vorzug 
spricht sie aber ebenso nachdrücklich, wenn es sich um das 
Kommen Christi zur Aufnahme all Seiner Heiligen handelt 
mit dem Ziel, Ihm gleich und für immer bei Ihm in der Herrlichkeit zu sein. Das wird der vollkommene und vollendete 
Zustand der ewigen Segnung sein, nachdem die Hochzeit des 
Lammes stattgefunden hat und wir alsdann allezeit bei dem 
Herrn sein werden. J. N. D. 
Lobet den Herrn! 
Seit achtzehnhundert Jahren sitzt Christus als das von 
Gott angenommene Opfer zur Rechten Gottes. Wie wunderbar groß und wie anbetungswürdig ist diese Gnade! Er, Der 
auf der Erde die kostbare Gabe der Liebe Gottes für uns, 
die elenden Sünder, war, ist nun als das vollgültige Opfer 
der Gerechtigkeit in Seiner Gegenwart, so daß Gott um dieser Gnade willen auf so arme Geschöpfe, wie wir es sind, 
herniederblicken und zu uns sagen kann: „Das tat ich für 
euch; was tut ihr für mich? Dieses Opfer brachte ich für 
euch; darum erwarte ich auch ein Opfer von eurer Seite. Ich 
erwarte das Opfer des Lobes, das ist die Frucht der Lippen, 
die meinen Namen bekennen" (Hebr 13, 15. 18). 
Wenn ich bedenke, daß Christus mich geliebt und mich 
von allen meinen Sünden in Seinem Blute gewaschen hat, 
daß ich jetzt ein Erbe aller Segnungen geworden bin, die 
Ihm, dem himmlischen Menschen geschenkt sind, ja, daß ich 
sogar mit Ihm herrschen soll — wenn ich bedenke, wie Er 
mich auch jetzt in Gefahren schirmt und schützt, mich in steter, unwandelbarer Liebe geleitet und in allen meinen Mängeln und Gebrechen mit so großer Langmut und Geduld 
83 
trägt, wie Er in unendlicher Gnade über mich wacht, mich 
stützt, meine Füße wäscht und für mich betet —, wenn ich 
dies alles bedenke, sollten sich dann meine Lippen Seinem 
Lobe versagen können? O mein Gott, wie soll ich Worte 
finden bei dem überwältigenden Gedanken, daß ich in dem 
Blute Deines vielgeliebten Sohnes vollkommen gemacht und 
gewürdigt bin, mit Ihm zu herrschen? Ich muß Dein Wort 
zur Hand nehmen, um die rechten Ausdrücke für das zu finden, was allen Verstand weit übersteigt. Du hast nicht nur 
alle meine Sünden auf Ihn gelegt, um mich vor Deinem 
schrecklichen Zorn zu retten, sondern Du hast mich auch 
durch Deinen Geist einsgemacht mit dem Sohne Deiner Liebe. Gelobt und gepriesen sei Dein Name!" 
Der Gedanke an das kostbare Blut, das uns von allen 
unseren Sünden gewaschen und uns zum Wandel im Licht 
fähig gemacht hat, gibt selbst dem schwächsten Gläubigen 
beständig neue Ursache zum Lob und zur Anbetung. O möchte doch stets jene Frucht der Lippen bei uns gefunden werden! Nichts ist mehr geeignet, das Herz von allen Banden 
der Welt zu befreien, als die erhabene Macht des Lobes. 
Hast du, mein christlicher Leser, einmal begonnen, Gott zu 
loben, dann wird dich vieles, was das Werk und die Person 
Jesu Christi betrifft und was du früher kaum beachtet hast, 
zum Loben und Danken stimmen. Du fragst vielleicht, wie 
dein Lobopfer beschaffen sein muß und in welcher Weise 
du es bringen mußt. Es muß die Frucht aus Gottes eigenem 
Garten sein. Da, wo Gott Selbst Seine Freude hat, mußt du 
die Blumen und Früchte deines Lobes pflücken. Und wenn 
du in diesen Garten getreten bist, so wirst du finden, daß 
du nie die rechte Fülle des Lobes gekannt hast, das als ein 
lieblicher Wohlgeruch von deinen Lippen emporsteigen wird. 
84 
„Ich bin der Weinstock, 
ihr seid die Reben" 
(Joh 15, 1-8) 
Das Wort Gottes allein ist die lautere und reine Qelle der 
Wahrheit. Dennoch neigen so viele dazu, ihre eigenen Gedanken hineinzutragen — Gedanken, die sie von anderen hervorragenden christlichen Männern übernommen und zu den 
ihrigen gemacht haben, ohne zu prüfen, ob sie wirklich 
aus jener Quelle der Wahrheit geflossen sind. Das ist eine 
traurige Erscheinung, die hauptsächlich in der Eigenliebe begründet liegt. Sollten nicht alle unsere Anschauungen das 
Wort Gottes zur Grundlage haben, und sollten wir nicht alles verwerfen, was mit diesem Worte nicht in völliger Harmonie ist? Zum wahren Verständnis der Heiligen Schrift 
aber gehört ein „einfältiges Auge" und ein „gehorsames 
Herz"; beide sind Wirkungen des Geistes Gottes. Wo das 
eine oder das andere fehlt oder wo gar beide vermißt werden, gibt es keine wahre und göttliche Einsicht in die Gedanken Gottes. Nur bei einem einfältigen Auge und einem 
unterwürfigen Herzen ist das Bewußtsein der Abhängigkeit 
von Gott lebendig, so daß das göttliche Wort unter Gebet 
und Flehen erforscht werden kann. Möge der Geist Gottes 
auch uns bei der Betrachtung des gewählten Schrifttextes 
leiten! 
Zunächst müssen wir beachten, daß uns Christus in diesem Abschnitt (Joh 15, 1-8) weder als Heiland vorgestellt 
wird, der das Verlorene suchen und uns zu erretten gekommen ist, noch als das Haupt Seines Leibes im Himmel oder 
Seiner Versammlung, die Er in ununterbrochener Gnade und 
Liebe nährt und pflegt. Bezüglich der errettenden und bewahrenden Liebe Gottes in Christo Jesu können die Seinen völlig versichert sein, daß niemand sie aus Seiner Hand rauben 
kann. Seine Gnade und Macht bewahren den Erlösten ebenso 
vollkommen wie sie den Sünder erretten. Im vorliegenden 
Abschnitt handelt es sich jedoch keineswegs um diese errettende und bewahrende Gnade und Macht des Herrn. Er 
nennt sich hier den „wahren Weinstock" und nimmt mithin 
den Platz Israels ein. Israel war von alters her der „Weinstock"; denn wir lesen in Psalm 80, 8:„ Einen Weinstock 
zogest du aus Ägypten, vertriebest Nationen und pflanztest 
85 
ihn". Aber dieser Weinstock — Israel nach dem Fleisch — 
blieb leer und ohne Frucht. Christus, der Sohn Gottes, nahm 
als der „wahre Weinstock" seine Stelle ein. Er wurde von 
Gott aus Ägypten heraufgeführt (Matth 2, 15) und nahm 
Israels Platz in Segnung ein (Vergl. Jes 49). Wie groß auch 
die Vorrechte und demgemäß die Verantwortlichkeit dieses 
Volkes sein mochten, so war doch nun alles, was sich außerhalb des Bereiches Christi befand, unter der Gewalt des 
Feindes. Segnungen für die Seele werden nur in Christo gefunden. Außer Ihm war kein Heil, kein Frieden zu finden. 
Der einzige wahre Weinstock war Jesus, und als solcher stellt 
Er Sich hier Seinen Jüngern vor. Er nimmt stellvertretend 
den Platz alles dessen ein, womit sie bisher verbunden waren und worin sie bis zu diesem Augenblick ihre religiöse 
Befriedigung vergeblich gesucht hatten. Das ganze jüdische 
System hatte sich als völlig kraftlos erwiesen, der Seele irgendwie Ruhe und Heil zu verschaffen, und daher wurde 
auch keine Frucht gefunden. Israel war also nicht der wahre 
Weinstock; Christus ist es, der im Gegensatz zu Israel an 
dessen Stelle als der wahre Weinstock auf der Erde gepflanzt 
ist. Anders als in den vorhergehenden und nachfolgenden 
Kapiteln, wo Jesus in Seiner letzten Unterredung mit Seinen 
Jüngern Seine unwandelbare Liebe zu ihnen bezeugt und 
ihnen erklärt hat, was Er nach Seinem Weggang für sie sein 
wollte, nimmt Er hier in Seiner Stellung auf der Erde Seinen 
Platz als Weinstock ein und kennzeichnet Seine Beziehungen 
zu Seinen Jüngern und Bekennern, die auf der Erde gesehen 
werden. Als Haupt ist Christus im Himmel; als Weinstock 
ist Er gepflanzt auf der Erde. Im Himmel kann weder vom 
Pflanzen eines Weinstockes, noch vom Beschneiden der Reben die Rede sein; beides geschieht auf der Erde. 
„Mein Vater ist der Weingärtner" — nicht der „allmächtige Gott"., unter welchem Namen Er Sich Abraham offenbarte, und ebensowenig „Jehova", wie Er Sich Israel kundgemacht hatte, sondern „mein Vater". Der Fürsorge dieses 
Vaters sind alle anvertraut, die mit Christo in Verbindung 
sind; stets bedürfen sie Seiner Pflege, damit Frucht hervorgebracht werde. Israel war nicht der wahre Weinstock, und 
darum konnte von Frucht keine Rede sein. Christus ist der 
wahr e Weinstock. Bringt eine Rebe in Ihm keine Frucht, 
so ist sie untauglich und wird abgeschnitten; bringt sie 
Frucht, so wird sie vom Vater gereinigt, damit sie mehr 
Frucht bringe (V. 2). Es wird Frucht gesucht. Wie bereits ge86 
sagt, handelt es sich hier nicht um die errettende und bewahrende Gnade Gottes, sondern um die Verantwortlichkeit aller, die den Namen Christi tragen, um die Verantwortlichkeit 
aller Bekenner Christi. Die Beziehung zu Christo im Himmel, die, weil der Heilige Geist sie bewirkt hat, niemals 
aufgelöst werden kann, kommt hier nicht in Betracht. Es ist 
vielmehr ein Band, das auf der Erde geknüpft und das bereits vorhanden war, als der Herr hienieden wandelte. Es 
umfaßt alle, die Ihm zu jener Zeit trotz der Verachtung seitens der Juden nachfolgten, alle, die später das Juden- und 
das Heidentum verließen, sich Ihm anschlössen und auf Seinen Namen getauft wurden; es umfaßt jetzt die ganze Christenheit auf der Erde. Dieses Band kann lebendig und ewig 
sein oder auch nicht. Die Frucht allein kennzeichnet den 
Charakter der Rebe. Die Verantwortlichkeit dehnt sich auf 
alle aus; ein jeder wird auf die Probe gestellt. Alle Wege 
derer, die mit Christo in Verbindung sind und Ihm anzugehören bekennen, werden abgewogen. Wo keine Frucht gefunden wird, da wird Gericht geübt; wo sich Frucht zeigt, da 
folgt zu ihrer Vermehrung die Reinigung. Das Beobachten 
äußerer Vorschriften und Satzungen, wie es von dem alten 
Weinstock Israel gefordert wurde, genügt keineswegs. An 
diesem Wein stock war und blieb man eine gute Rebe, wenn 
man als Jude geboren, wenn man beschnitten war und die 
Satzungen beobachtete; man wurde nur dann abgeschnitten, 
wenn man das Gesetz absichtlich übertrat. Anders verhält 
es sich mit dem wahren Weinstock; nur wer wirklich Frucht 
bringt, ist eine gute Rebe. 
Während nun der Vater die unfruchtbaren Reben durch 
das Gericht hinwegnimmt, beschäftigt Er Sich mit den fruchttragenden, um ihre Frucht zu vermehren. Seine züchtigende 
Hand ist stets bemüht, alles hinwegzuschneiden, was dem 
Hervorbringen der Frucht hinderlich ist. Er leitet uns Wege, 
führt uns durch Schwierigkeiten und begegnet uns mit Züchtigungen aller Art, die geeignet sind, unseren Eigenwillen 
zu brechen, unser Selbstvertrauen zugrunde zu richten und 
das Gefühl der Abhängigkeit stets wach zu erhalten. Das 
sind die Mittel, durch welche der Vater uns reinigt, und wie 
sehr bedürfen wir einer solchen Reinigung! Mag die Frucht 
bisher gering gewesen sein, sie wird sich unter der Bemühung des Vaters vermehren und zu Seiner Verherrlichung 
dienen. Wieviel Ursache haben wir im Blick auf das herrliche 
Resultat, uns der Trübsale zu rühmen und die mannigfachen 
87 
Versuchungen für lauter Freude zu achten! Alle Wege, die 
der Vater uns führt, sind gesegnet. 
„Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu 
euch geredet habe" (V. 3). Hiermit wendet sich der Herr an 
Seine Jünger. Judas Iskariot hatte sich bereits entfernt (Kap. 
13, 30), und früher schon hatten sich viele Seiner Jünger 
umgewandt und wandelten nicht mehr mit Ihm (Kap. 6, 66). 
Die bei Ihm gebliebenen Jünger waren schon durch das zu 
ihnen geredete Wor t gereinigt. Beachten wir es wohl, daß 
Er nicht sagt: „Gereinigt durch das Blut, das ich für euch 
vergießen werde". Das „Wort" steht mit unserer Verantwortlichkeit, das „Blut" mit Seiner Gnade in Verbindung. 
Das Wort richtet alles, was dem in Christo Jesu geoffenbarten Charakter Gottes oder dem durch Ihn kundgemachten 
Willen des Vaters entgegensteht. Und dieses Gericht findet 
seine Anwendung auf die Gedanken und Gesinnungen des 
Herzens, auf unsere Handlungen und Wege. Nichts entgeht 
diesem scharfen, zweischneidigen Schwert, dem Worte Gottes. Da, wo die Reinigung durch das Wort vollzogen ist, ist 
der Mensch bekehrt, wiedergeboren, einer neuen Natur teilhaftig geworden. Wir ersehen das aus dem 3. Kapitel unseres 
Evangeliums, wo das Wort im Bilde des Wassers dargestellt 
wird; das Wort wird sodann auch zur praktischen Reinigung 
an jedem Tage unseres Wandels auf der Erde angewandt 
(vergl. Joh 13). Ohne Zweifel ist der Gläubige durch das 
Versöhnungsblut Christi gereinigt; jede Spur von Sünde und 
Schuld ist durch dieses kostbare Blut für immer getilgt; aber 
davon ist hier nicht die Rede. Der Herr spricht hier nur von 
Seinem Wort als dem Mittel der Reinigung und dem Gericht, 
sowohl in bezug auf die Zucht, als auch in bezug auf das 
Abschneiden. Es handelt sich hier nur um die Verantwortlichkeit des Menschen und nicht um das, was die Gnade und 
die Macht Gottes zu tun vermögen. Es ist die persönliche 
Verantwortlichkeit eines jeden Menschen — eine Verantwortlichkeit, der niemand ohne die Gnade zu entsprechen vermag, 
die aber nichtsdestoweniger in ihrer ganzen Schärfe festgestellt wird. Bald schon trennten sich viele vom Judentum 
und später vom Heidentum und ließen sich auf Christum 
taufen; aber sie mußten auf die Probe gestellt werden, weil 
das Fleisch fähig ist, den Glauben nachzuahmen und einen 
Schein von Gottseligkeit anzunehmen. 
Zum Fruchtbringen genügte weder die Taufe, noch die 
Annahme der Formen des Christentums; das Bleiben in Chri88 
sto war unabweisbar nötig. Deshalb sagte der Herr: „Bleibet 
in mir und ich in euch. Gleichwie die Rebe nicht von sich 
selbst Frucht bringen kann, sie bleibe denn am Weinstock, 
also auch ihr nicht, ihr bleibet denn in mir" (V. 4). Die 
Quelle aller Kraft für die Jünger war in Jesu. Sie mußten 
in Ihm bleiben und Er in ihnen. Weil es sich um die Verantwortlichkeit handelt, so wird die an den Menschen gerichtete Aufforderung an die Spitze gestellt: „Bleibet in mir 
und ich in euch". Handelt es sich dagegen um die Gnade, so 
steht Gott allein für immer an erster Stelle; denn nur die 
Gnade vermag zu erretten und zu bewahren. Wenn nun das 
Bleiben in Christo von der Verantwortlichkeit des Menschen 
abhängig gemacht wird, so ist es in Frage gestellt. Dennoch 
ist es unmöglich, daß eine Rebe Frucht bringen kann, die 
nicht am Weinstock bleibt, ebenso unmöglich ist es, daß ein 
Mensch Gott Frucht zu bringen vermag, wenn er nicht in 
Christo bleibt. Wir sind gänzlich von Ihm abhängig und Er 
verändert Sich nicht. Das Bewußtsein unserer steten und völligen Abhängigkeit ist die erste und absolute "Voraussetzung; 
es wird zur Folge haben, daß wir stets auf Ihn blicken, und 
indem wir Ihm völlig vertrauen, mit unseren Herzen stets in 
Seiner Nähe bleiben. Ein solches Verhalten beweist einerseits das reale Wirken Gottes in der Seele und wird andererseits zum Hervorbringen der wahren Frucht gereichen; denn 
außer Ihm vermögen wir nichts zu tun (V. 5) — nichts, was 
Gott Wohlgefallen und wodurch Er verherrlicht werden könnte. 
Christus ist also nicht nur das ewige Leben für die Seele, 
sondern auch die alleinige Quelle der Kraft und der Frucht 
während unseres ganzen Lebens auf der Erde. Nur wer in 
Ihm bleibt, bringt viel Frucht. Wer wahres Selbstgericht übt, 
seine Freude und Wonne an Christo hat, wer, ausharrend im 
Gebet, in stetem und gläubigen Hinschauen auf Christum 
durch alle Schwierigkeiten hindurchgeht, der wird reichlich 
Frucht zum ewigen Leben hervorbringen. Aber ach! wieviele 
ermatten darin! Sie hören auf, im Licht des Richterstuhls 
Christi zu wandeln und selbstredend erkaltet dann ihr Eifer, 
I h m wohlzugefallen. Ihr Gewissen mahnt, beunruhigt sie und 
klagt sie an; aber sie verlieren Christum mehr und mehr aus 
ihren Augen und machen von Tag zu Tag immer ersichtlichere Rückschritte und nicht wenige von ihnen sinken endlich so tief, daß sie wiederum ihre Genüsse hier unten suchen und mit den Trebern dieser Welt ihren Hunger stillen. 
Gibt es nicht sehr viele, die zwar bekennen, daß nur in 
89 
Christo das Heil zu finden sei, trotz dieses Bekenntnisses 
ihre Befriedigung in äußeren Formen, Satzungen und selbstgewählten Wegen suchen? Wie ernst reden solche Erfahrungen zu dem Herzen eines Jüngers des Herrn! Er hat uns 
auserwählt, damit wir Frucht bringen — eine Frucht, welche 
bleibt, und Er sagt: „Hierin wird mein Vater verherrlicht, daß 
ihr viel Frucht bringet, und ihr werdet meine Jünger sein" 
(V. 8). Die Verherrlichung des Vaters war stets das erste und 
entscheidende Anliegen Jesu. Er konnte am Ende Seiner irdischen Laufbahn in vollkommener Weise sagen: „Ich habe 
dich verherrlicht auf der Erde". Selbst im Blick auf die 
schreckliche Stunde, die vor Ihm lag, wünschte Er nur, daß 
der Name des Vaters verherrlicht werde (Joh 12, 27. 28). Er 
brachte Frucht im höchsten Maße, und wir erweisen uns als 
Seine Jünger dadurch, daß wir viel Frucht bringen. So verherrlichen wir auch den Vater. Welch ein Vorrecht für uns! 
Möchte doch Seine Verherrlichung in all unseren Gedanken, 
Worten und Werken stets an erster Stelle stehen! 
Ja, der Name des Vaters wird dadurch verherrlicht, daß 
wir viel Frucht bringen und das kann nur geschehen, wenn 
wir in Christo, der alleinigen Quelle des Fruchtbringens, 
bleiben. Nur aus Ihm fließt jede Segnung, alle Gnade und 
alle Kraft, ja die ganze Fülle, deren wir zum Fruchtbringen 
bedürfen und wir genießen von dieser Gnade, Kraft und Fülle, wenn in dem lebendigen Bewußtsein unserer Abhängigkeit das Auge des Glaubens auf Ihn gerichtet und das Herz 
praktisch in einer steten, verborgenen Gemeinschaft mit Ihm 
bleibt. 
„Wenn jemand nicht in mir bleibt, so wird er hinausgeworfen wie die Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und 
wirft sie. ins Feuer, und sie verbrennen" (V. 6). Es ist hier 
zu beachten, daß der Herr nicht sagt: „Wenn ihr" , sondern 
„wenn jeman d nicht in mir bleibt". Die elf Jünger, die 
in jenem Augenblick um Ihn versammelt waren, hatten um 
Seinetwillen alles verlassen. Der Herr kannte sie als fruchtbringende Reben und als solche, die schon rein waren. Ssin 
zu ihnen geredetes Wort hatte sie gereinigt. Sie waren wiedsrgeboren aus Wasser und Geist. Das Werk des Geistes 
war in ihnen gewirkt; sie waren gebadet und ganz rein; sie 
halten nvx nötig, sich die Füße zu Avaschen. Die Worte des 
hier angeführten Verses enthielten daher keine unmittelbare 
Warnung für sie. Es würde überhaupt die größte Verwirrung zur Folge gehabt haben, wenn man jene Worte auf das 
90 
ewige Leben oder auf unsere Einheit mit Christo anwenden 
wollte. Unmöglich kann das ewig e Leben vertilgt, unmöglich die bis zum Tage Christi durch den Geist geschehene 
Versiegelung ungültig gemacht, unmöglich ein Glied des Leibes Christi abgeschnitten werden. Würde nicht dadurch dieser Leib für immer verstümmelt sein? Einem solchen Gedanken dürfen wir nie Raum geben. Unleugbar gibt es viele, die 
sich nach Seinem Namen nennen und die auf Seinen Namen 
getauft sind, die Ihn als ihren Herrn anrufen und bekennen 
und ganz und gar die Form der Erkenntnis besitzen. Was 
aber wird ihr Ende sein, wenn sie nicht in Ihm erfunden 
werden? Wie groß ist die Menge derer, die durch ihre Erkenntnis und ihr Verhalten eine Zeitlang den Schein eines 
wahren Jüngers von sich geben, sich aber danach wieder umwenden und es mit ihnen dann ärger ist, als vorher! Von 
solchen spricht Petrus in seiner zweiten Epistel (Kap. 2, 9-22), 
und Judas nennt sie „fruchtleere, zweimal erstorbene Bäume" 
V. 12). Alles wird auf die Probe gestellt. Wer keine Frucht 
bringt, wird abgeschnitten und wer nicht in Christo bleibt-, 
nicht in Ihm erfunden wird, dessen Teil wird in dem See 
sein, der mit Feuer und Schwefel brennt (Offb 21, 8). 
Doch der Herr verheißt, indem Er Sich wieder speziell mit 
Seinen wahren Jüngern beschäftigt, noch einen Segen von 
hohem Wert. „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in 
euch bleiben, so werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird 
euch geschehen" (V. 7). Köstliche Zusage! Wir wissen, daß 
alle Macht in der Hand unseres Gottes ist. Er allein vermag 
uns zu jeder Zeit und in allen Umständen zu helfen, und 
wir — schwach und hilflos in uns selbst — sind von Seiner 
Macht völlig abhängig. In dieser Stelle nun wird uns ein 
Weg geoffenbart, auf dem wir selbst über ihre Hilfsmittel 
frei verfügen können, so daß alles geschehen wird, um was 
wir bitten. Und dieser Weg, auf dem allein dieses große 
Vorrecht genossen werden kann, ist genau gekennzeichnet. 
Zunächst heißt es: „Wenn ihr in mir bleibt". Es ist also vor 
allem nötig, daß unser Herz dem Herrn Vorrang vor allen 
anderen einräumt und im Bewußtsein völliger Abhängigkeit 
unser Auge stets auf Ihn gerichtet bleibt. Dann heißt es 
weiter: „Und wenn meine Worte in euch bleiben". Wir bedürfen also eines unterwürfigen Sinnes, um uns in allen Umständen unter Sein Wort, den Ausdruck Seines Willens, zu 
beugen und unsere Herzen durch den Einfluß des Wortes 
beherrschen und leiten zu lassen. Dann, aber auch nur dann 
91 
können wir versichert sein, daß alles, um was wir bitten, 
geschehen wird; denn nur in diesem Falle sind wir fähig, 
um das zu bitten, was nach dem wohlgefälligen Willen Gottes 
und zu unserem Besten ist. Wir nahen Gott auf einem unerschütterlichen Grund und dieser Grund ist Christus und 
Sein Wort. Welch eine trostreiche Wahrheit! Möge der Herr 
uns in Seiner reichen Gnade verleihen, daß wir im völligen Bewußtsein unserer Ohnmacht und Abhängigkeit und im ungeschwächten Vertrauen auf Seine mächtige Hilfe diesen 
gesegneten Pfad wandeln und das Fruchtbringen zur Verherrlichung Seines Namens als unser höchstes Vorrecht betrachten. Er ist dazu ganz und gar bereit; Sein eigenes Wort 
bürgt uns dafür. Denn Er ruft den Seinen zu: „Dies habe 
ich zu euch geredet, auf daß meine Freude in euch sei und 
eure Freude völlig werde (V. 11). Und wiederum: Ih r habt 
nicht mich auserwählt, sondern i c h habe euch auserwählt 
und euch gesetzt, daß i h r hingehet und Frucht bringet, und 
eure Frucht bleibe, auf daß, was irgend ihr den Vater bitten 
werdet in meinem Namen, er euch gebe" (V. 16). 
92 
Die Hoffnung des Gläubigen 
„Denn in Hoffnung sind vvir errettet worden", schreibt der 
Apostel an die Römer. Das heißt nicht etwa, daß wir errettet 
zu werden hoffen. O nein, ein solcher Gedanke ist dem ganzen Neuen Testament fremd. Eine solche Unsicherheit ist 
nicht das Teil des Gläubigen. Seine Errettung beruht nicht 
auf einem so unbestimmten Hoffen, Wünschen und Meinen, 
sondern er weiß bestimmt, daß, wenn sein irdisches Haus, 
diese Hütte, zerstört wird, er einen Bau aus Gott hat (2. Kor 
5, 1). Er ist errettet worden. Das ist völlig gewiß. Darin besteht nicht der mindeste Zweifel; denn Jesus hat ihn errettet. Aber er ist in der Hoffnung der Herrlichkeit errettet 
worden. Er erwartet die Erlösung seines Leibes, welcher die 
Unsterblichkeit anziehen muß. Jetzt ist er in der Hoffnung 
errettet, dann wird er es im Schauen sein. Das aber wird 
stattfinden bei der Ankunft des Herrn, der uns nach Seiner 
Verheißung in das Haus des Vaters bringen wird, in dem 
viele Wohnungen sind und wohin Er gegangen ist, um uns 
eine Stätte zu bereiten. Herrliche Hoffnung! Der Sohn des 
lebendigen Gottes, unser Heiland und Erlöser, unser Freund 
und Bräutigam, wird vom Himmel herabkommen, um uns 
zu ewiger Freude im Hause des Vaters abzuholen. Kann es 
eine bessere und herrlichere Stätte als das Haus des Vaters 
geben? Ist ein höherer Genuß denkbar, als für immer in der 
Gegenwart Jesu Ihm gleich zu sein und Ihn zu sehen, wie 
Er ist? Voll Anbetung beugen wir uns vor Ihm nieder, 
Der uns solch eine Errettung bereitet hat! Wie sehr sollten 
wir uns nach Seiner herrlichen Ankunft sehnen! 
Ja, Seine herrliche Ankunft — sie ist die Hoffnung des 
Gläubigen. Und dennoch gibt es so viele, die diese herrliche 
Wahrheit nicht verstehen. Sie stellen sich unter der Ankunft 
Christi nichts anderes vor, als daß Er, wenn wir sterben, 
kommen und daß am Ende aller Dinge eine allgemeine Auferstehung und ein allgemeines Gericht stattfinden wi^d. Es 
ist sehr schwer zu bestimmen, worin eigentlich die Hoffnung 
solcher Gläubigen besteht, oder es muß iene soeben bezeichnete falsche Hoffnung sein, die eine Errettung in die Zukunft verlegt. Gewöhnlich geht die Ungewißheit bezüglich 
der Errettung Hand in Hand mit der Verwerfung der herrlichen Wahrheit der Ankunft Christi. Und dennoch ist nichts 
natürlicher und einfacher, als daß Er, Der Gegenstand unseres 
93 
Glaubens , auch der Gegenstand unserer Hoffnun g 
ist. Erwägen wir dies mit allem Ernst. Es ist eine sehr bedeutsame Wahrheit; unsere tägliche Freude hängt ganz und gar 
davon ab. 
Wenn wir Jesum als Den kennen, Der uns liebt und Der 
für uns starb, dann kostet es uns keine Mühe, unser Vertrauen auf Ihn zu setzen; wir glauben an Ihn. Die Erkenntnis Seiner Liebe bewirkt ein unerschütterliches Vertrauen; 
das Zeugnis des Wortes über den Wert Seines Blutes bringt 
jede Unruhe zum Schweigen und treibt alle Furcht aus. Wir 
sind ganz glücklich in Ihm. Seine Liebe entspricht allen Forderungen unseres Gewissens. Uns bleibt nur übrig, den 
Herrn zu lieben und zu loben. Warum sollte Er, Der der Gegenstand unseres Glaubens ist, nicht auch der Gegenstand 
unserer Hoffnung sein? Warum sollte Er nicht die tägliche 
Erwartun g unserer Seeele sein, wie Er die tägliche R u -
h e unserer Seele ist? Sicher, wenn ein Gläubiger stirbt, so 
geht seine Seele sogleich zu dem Herrn ins Paradies. Das ist 
herrlich; aber in der Schrift wird dies nie als die Hoff -
nun g des Gläubigen bezeichnet. Vielmehr wird ihm vorgestellt, daß er nicht sterben, sondern Jesu entgegengerückt 
werden wird in die Luft, um allezeit bei Ihm zu sein. Der 
Tod ist für den Gläubigen keine Notwendigkeit. Christus ist 
für ihn gestorben, und er ist mit Christo gestorben. Der Tod 
herrscht nicht mehr über ihn. Sowie er von der Macht der 
Sünde und von der Macht Satans befreit ist, so ist er auch 
der Macht des Todes entrückt. Er kann sterben, wenn die 
Zeit für die Ankunft Christi noch nicht gekommen ist; aber 
sein Sterben ist nicht unbedingt nötig. „Wir werden nicht 
alle entschlafen" (1. Kor 15). Und sterben wir vor der Ankunft Jesu, so ist der Tod nur ein Entschlafen in Jesu und 
ein Hingehen von dieser Erde ins Paradies, um mit Jesu den 
herrlichen Morgen der ersten Auferstehung abzuwarten. Doch 
wie köstlich dies auch sein mag, so ist es doch nicht die 
Hoffnun g des Gläubigen. Nein, seine Hoffnung ist die 
Ankunft des Herrn Jesu. Das bezeugt die Heilige Schrift und 
sie allein enthält die Wahrheit. Viele setzen voraus, daß die 
Wahrheit Seiner Ankunft nur eine Meinung gewisser Gläubigen sei; aber hierin täuschen sie sich sehr. Sie ist eine 
Wahrheit, die uns sehr deutlich und bestimmt in den Briefen 
des Apostels Paulus, und zwar ganz besonders in den Briefen an die Thessalonicher, vorbestellt wird. Verweilen wir 
hierbei einen Augenblick. 
94 
Ohne Zweifel hatte Paulus die Thessalonicher bei der Verkündigung des Evangeliums von der Wiederkunft des Herrn 
Jesus in Herrlichkeit unterrichtet. Das geht klar aus Apstg 
17 hervor, wo die Juden ihren Beschuldigungen gegen die 
Christen eine politische Wendung geben durch die Worte: 
„Diese alle handeln wider die Verordnungen des Kaisers, 
indem sie sagen, daß ein anderer König sei — Jesus". Das 
war der Grund dafür, daß die Thessalonicher vom Augenblick 
ihrer Bekehrung an täglich die Rückkunft Jesu erwarteten. 
Daß gleichwohl einige ihrer Brüder starben, beunruhigte sie 
und brachte sie in Verwirrung. Ihre Traurigkeit war sehr groß. 
Nicht daß sie Zweifel wegen der Errettung ihrer Geliebten 
gehabt hätten; o nein, aber es machte sie traurig, daß diese 
bei der Ankunft des Herrn nicht anwesend sein würden und 
Ihn nicht begrüßen könnten. Von dieser Traurigkeit hörte 
Paulus und schrieb ihnen sofort einen Brief. Sie waren erst 
seit kurzer Zeit bekehrt und hatten viele Verfolgungen von 
seiten der Juden und der Nationen zu erdulden. Der Apostel 
hatte nach ihrer Bekehrung nicht lange genug bei ihnen verweilen können, um sie gründlicher in der Wahrheit zu unterweisen. Doch ihre Unwissenheit und Traurigkeit diente 
dem Herrn dazu, Seine Gedanken und Pläne bezüglich dieser 
herrlichen Verheißung vollständiger kundzutun. In einer neuen Offenbarung empfängt der Apostel Aufschluß über die 
Aufeinanderfolge der Ereignisse. Diese Offenbarung ist höchst 
bedeutsam; denn wiewohl sie zunächst deshalb gegeben wird, 
um die betrübten Herzen der Thessalonicher zu trösten, so 
ist sie doch auch zur Unterweisung der Heiligen aller Zeitalter bestimmt. 
„Wi r wolle n abe r nicht , Brüder , da ß ihr , 
w a s di e Entschlafene n betrifft , unkundi g 
seid , au f da ß ih r euc h nich t betrübet , wi e 
auc h di e übrigen , di e kein e Hoffnun g ha -
ben" . — Diese eifrigen, liebenden Christen wußten noch 
nicht, daß die entschlafenen Heiligen bei dem Herrn sein 
würden, wenn Er kommt, und wie sie an Seiner Herrlichkeit 
teilhaben könnten. Sie waren so erfüllt von der Erwartung 
des Herrn, daß sie an ein Sterben vor Seiner Ankunft nicht 
gedacht hatten und darum waren sie betrübt, weil dennoch 
etliche ihrer Brüder starben. Und was antwortet ihnen der 
Apostel? Tadelt er sie wegen ihres Verlangens nach der Ankunft Jesu? Sagt er ihnen etwa, daß sie sich zu intensiv mit 
dieser Erwartung beschäftigten? Ermahnt er sie, lieber an andere Dinge zu denken? In unseren Tagen ist eine solche 
95 
Denkweise nicht selten. Mancher Christ spricht über die Ankunft Jesu in einer Weise, als ob der Apostel bestrebt gewesen sei,, die Thessalonicher von der brennenden Sehnsucht 
nach dieser Ankunft abzulenken. Doch wenn wir den Brief 
aufmerksam lesen, so erkennen wir, daß Paulus gerade das 
Gegenteil lehrt. Ihr Warten auf den Herrn wird in jedem 
Kapitel zu ihrem Lobe erwähnt. Und in ihrer Traurigkeit 
tröstet sie der Apostel nicht, wie das leider heutzutage oft 
mit dem Gedanken geschieht, daß sie den Entschlafenen bald 
folgen würden, sondern er richtet vielmehr ihren Blick beständig auf die Ankunft Jesu und spornt sie an, Ihn vom 
Himmel zu erwarten, wahrend er ihnen zugleich eine neue 
Offenbarung gibt, um sie zu versichern, daß die Entschlafenen in Jesu, ebenso wie sie, an der Herrlichkeit dieses Ereignisses teilhaben würden. 
„Den n wen n wi r glauben , da ß Jesu s ge -
storbe n un d auferstande n ist , als o wir d 
auc h Got t di e durc h Jesu m Entschlafene n 
m i t ih m bringen" . Die erste Bemühung des Apostels 
geht dahin, das Auge dieser betrübten Jünger auf Jesum zu 
lenken — auf Ihn, Der gestorben und auferstanden war. Nur 
der Blick auf unseren hochgepriesenen Herrn verleiht wahren 
Trost; von Ihm allein empfangen wir Kraft und Mut inmitten unserer vielen Versuchungen. Nur bei Ihm finden wir den 
Sieg über Tod und Grab. In Ihm erblicken wir Den, Der 
starb, begraben wurde, aus dem Grab auferstand und sich 
dann zur Rechten Gottes setzte. Er ist das Leben des Gläubigen. Auch wir sagen triumphierend: „Also wird auch Gott 
die durch Jesum Enschlafenen mit ihm bringen". Unser Leben ist verknüpft mit Ihm, Der gestorben und auferstanden 
ist, und es gehört der Herrlichkeit an. Alle, die in Jesu entschlafen sind, werden auferstehen und die Erde in derselben 
Weise verlassen wie Er, nur mit dem Unterschiede, daß Er 
kraft des Rechts, das Er besaß, in den Himmel ging. Er ruft 
die Toten und sie kommen aus ihren Gräbern; Er ruft die 
Lebenden, und sie werden verwandelt und zugleich mit jenen „entrückt werden in Wolken, dem Herrn entgegen in 
die Luft". Es ist eine feierliche Handlung der Allmacht Gottes, die das Leben der Gläubigen und das Werk Gottes versiegelt und sie einführt in die Herrlichkeit Christi. Gesegnetes Vorrecht! Herrliche Gnade! Sie aus dem Auge zu verlieren, vernichtet den wahren Charakter unserer Freude und 
unserer Hoffnung. 
96 
„Denndiese s sagenwireuc h imWort e de s 
Herrn , da ß wir , di e Lebenden , di e übrigblei -
b e n bi s zu r Ankunf t de s Herrn , de n Ent -
schlafene n keinesweg s zuvorkomme n wer -
den . Den n de r Her r selbs t wir d mi t gebie -
tende m Zuruf , mi t de r Stimm e eine s Erzen -
gel s un d mi t de r Posaun e Gotte s hernieder -
komme n vo m Himme l un d di e Tote n i n Chri -
s t o werde n zuers t auferstehen ; danac h wer -
d e n wir , di e Lebenden , di e übrigbleiben , 
zugleic h mi t ihne n entrück t werde n i n de n 
Wolke n de m Herr n entgege n i n di e Luft ; 
u n d als o werde n wi r allezei t be i de m Herr n 
sein . So ermunter t nu n einande r mi t diese n 
Worten" . Wir wissen, daß der Apostel stets unter der 
unmittelbaren Leitung des Heiligen Geistes schrieb; hier 
aber war zur Unterweisung und Tröstung der betrübten 
Thessalonicher eine ganz besondere Hervorkehrung der Autorität erforderlich, und darum leitet er seine Offenbarung 
mit den Worten ein: „Dieses sagen wir euch im Worte des 
Herrn". Eine Parallele hierzu finden wir in 1. Kor 11, wo der 
Apostel sagt: „Denn ich habe von dem Herrn empfangen, 
was ich auch euch überliefert habe". Dort hatte er einem 
Mißbrauch des Abendmahls des Herrn entgegenzutreten, hier 
einem Irrtum in bezug auf das Kommen des Herrn zu begegnen. 
Welche Gnade erweist hier der Herr Jesus Seinen Jüngern! Er versichert, daß die Reihenfolge der bei Seiner Ankunft stattfindenden Ereignisse mit der Auferstehung der in 
Jesu Entschlafenen den Anfang machen werde und daß diese 
Entschlafenen durch ihren Hingang nicht etwas eingebüßt 
haben, sondern im Gegenteil die ersten sein werden, die 
zubereitet sind, dem Herrn entgegenzugehen. „Die Toten in 
Christo werden zuerst auferstehen". Sie werden also auf erweckt werden, bevor noch die Verwandlung der Lebenden 
stattfindet. Welch eine Fürsorge des Herrn Jesu! Und zugleich läßt er uns wissen, daß jedes, mit Seiner Ankunft in 
Verbindung stehende Ereignis in einem Augenblick, im einem 
Nu, erfüllt werden wird. 
O möchten wir doch diese doppelte Herrlichkeit Jesu mit 
stiller Bewunderung und Anbetung betrachten! Er steht auf 
von Seinem Thron, steigt hernieder vom Himmel. Er gibt 
das Signal durch die Stimme des Erzengels, und die Posaune 
97 
ertönt. So wie eine Armee den Befehl ihres Führers dem 
Posaunen- oder Trompetensignal entnimmt, so wird auch die 
Armee des Herrn augenblicklich Seinem Rufe folgen. All die 
Entschlafenen werden auferweckt und die übriggebliebenen 
Lebenden verwandelt werden. Sie werden alle zusammen in 
die Wolken eintreten und von diesen umgeben, dem Herrn 
entgegeneilen in die Luft und also allezeit bei dem Herrn 
sein. Dort gibt es keine Trennung mehr. Darum fügt der 
Apostel hinzu: „So ermuntert nun einander mit diesen Worten". 
Paulus erklärt also den Thessalonichern, daß Gott alle, die 
in Jesu entschlafen sind, mit Ihm bringen wird. In den Versen 15 bis 18 teilt er die Weise mit, wie das in Vers 14 Gesagte in Erfüllung gehen wird. Wenn der Herr in Herrlichkeit auf diese Erde zurückkehrt, so wird es in Begleitung 
aller Heiligen geschehen. Aber zuerst wird Er die Entschlafenen auferwecken, sodann die übriggebliebenen Lebenden 
verwandeln und sie alle in den Himmel aufnehmen. 
Die Heiligen gehen also alle von dieser Erde hin zur Herrlichkeit droben im Himmel, um allezeit bei dem Herrn zu 
sein! Welch ein Ereignis! Kein einziges Glied der Familie 
Gottes bleibt im Grabe und kein einziger Gläubiger bleibt 
auf dem Erdboden. Alle gehen zusammen dem Herrn entgegen in die Luft. Wer vermag sich die glückselige Begegnung 
an diesem Morgen unverhüllter Freude vorzustellen? Ohne 
Zweifel wird die Person des Herrn alle anziehen und jedes 
Herz erfüllen; aber dennoch werden wir daneben alle erkennen, die, obwohl von uns geschieden, uns stets teuer geblieben sind! ja, wir werden alle kennen, die sich mit uns der 
überschwenglichen Liebe des Herrn erfreuen. Und da alle 
das Bild des Herrn tragen, werden sie Ihn nie mehr aus den 
Augen verlieren. Jeder wird seine eigene Freude haben; aber 
die besondere Freude jedes Einzelnen wird die Freude aller 
sein. Aus eine m Mund und mit eine m Lied werden sie 
Ihn preisen, Der sie durch Sein teures Blut gereinigt und sie 
zu Königen und Priestern gemacht hat. 
Wie herrlich wird dies alles sein! Wie viele werden uns 
dort begegnen, die mit uns hienieden so innig verbunden 
waren und deren Abscheiden aus dieser Welt eine Lücke in 
unseren Herzen zurückließ! Wie viele werden uns willkommen heißen im Lande der Herrlichkeit, von denen der Tod 
uns eine Zeitlang getrennt hatte! Wie vollkommen werden 
alle verändert und dennoch dieselben sein. Keiner kann mit 
98 
dem andern verwechselt werden, und keiner kann unbekannt 
bleiben. Alle sind dort beieinander und alle sind herrlich, 
unsterblich, unverderblich. — Aber was ist alle diese Freude 
im Vergleich mit der unaussprechlichen Wonne, das Antlitz 
Dessen zu sehen und die Stimme Dessen zu hören, Der als 
der Bräutigam Seine Braut abgeholt hat? Johannes sagt: „Wir 
werden ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er 
ist". In der Tat, Gott hätte uns nichts Besseres geben können, als gleichförmig mit Christo zu sein; es hätte uns kein 
größeres Glück zuteil werden können, als Christum zu sehen, 
wie Er ist. Wir werden Ihn sehen und kennen in der ganzen 
Größe Seiner Liebe und in dai ganzen Herrlichkeit Seiner 
Allmacht. Kein Engel wird diesen Platz einnehmen. Nein, 
uns, den ehemals verlornen, schuldigen Geschöpfen, hat Gott 
Seine überströmende Gnade geoffenbart, auf daß Er verherrlicht und gepriesen werden möge von Zeitalter zu Zeitalter. 
Wenn nun die Heiligen im Himmel, im Hause des Vaters 
aufgenommen sein werden, dann werden sie im Licht geoffenbart werden, wie der Apostel sagt: „Wir müssen alle 
vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden" (2. Kor 
5, 10). Das will jedoch nicht sagen, daß die Heiligen, was 
ihre Person betrifft, einem Gericht unterworfen sein werden. 
O nein; Christus ist an ihrer Statt gerichtet worden, und sie 
werden nie mehr ins Gericht kommen, wie der Herr Selbst 
gesagt hat. Es will vielmehr sagen, daß alle ihre Werke und 
Wege im Licht der Gegenwart Gottes gesehen werden sollen, damit sie erfahren, welche Gedanken Er über das hat, 
was sie für Ihn getan haben. Wenn wir in unseren verherrlichten Leibern sind, wird es unmöglich sein, Furcht oder 
Traurigkeit zu fühlen; aber im Licht geoffenbart, werden 
wir, und zwar in Übereinstimmung mit den Gedanken Jesu, 
eine vollkommene Kenntnis von jedem Augenblick und von 
jedem Ereignis unseres verflossenen Lebens haben. Alles, 
was in unseren Handlungen, Worten und Beweggründen 
von uns selber war oder für den Herrn geschah, wird durch 
das volle Licht beschienen werden — alles, was unverständlich war, wird vollkommen erkannt werden. Dann ist jedes 
Rätsel gelöst, jede Dunkelheit verschwunden und das volle 
Licht aufgegangen. Und wirklich, alles was von uns selber 
ist, wird im Licht der vollkommenen Gnade Gottes verschwinden, so daß wir von dem Richterstuhl in stiller dankbarer Bewunderung über die Geduld hinweggehen, die uns 
während unserer Reise durch die Wüste getragen hat, um 
99 
uns endlich sicher in die Herrlichkeit zu bringen. „Denn wir 
sehen jetzt durch einen Spiegel im Rätsel, dann aber von 
Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise, dann 
aber werde ich erkennen, gleichwie auch ich erkannt worden 
bin" (1. Kor 13, 12). 
Dann folgt, wie uns das Gesicht in der Offenbarung belehrt, die Hochzeit des Lammes. „Die Hochzeit des Lammes 
ist gekommen, und sein Weib hat sich bereitet". Jesus stellt 
sie Sich Selber dar als eine Versammlung ohne Flecken o-der 
Runzel (Eph 5). Welch ein Tag wird es sein! Welch ein Tag 
für uns, aber auch welch ein Tag für die Bewohner des Himmels! Wiewohl diese schon lange an die Herrlichkeit gewöhnt sind, werden sie doch dann etwas anschauen, das sie 
zuvor noch nie gesehen haben: Die erlösten Sünder in Gemeinschaft mit Jesu, die Braut verbunden mit dem Bräutigam, das Weib mit ihrem Mann! W i e Jesus, s o ist die Versammlung, w o Er ist, d a ist auch sie; wa s Er ist, da s ist 
auch sie, und zwar in alle Ewigkeit. Das ist eine ganz neue 
Szene — der Anblick einer früher völlig unbekannten Herrlichkeit. Zwar wird uns die Hochzeit des Lammes nicht ausführlich beschrieben, weil ein Mensch die himmlische Herrlichkeit 
nicht zu fassen vermag. Aber das, was uns darüber mitgeteilt wird, ist genug, um uns mit Bewunderung und Anbetung zu erfüllen und die Sehnsucht nach dem Anbrechen dieses Tages in uns wachzurufen. 
„Laßt uns fröhlich sein und frohlocken und ihm Ehre geben; denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen und sein 
Weib hat sich bereitet" (Offbg 19, 7). Das wird der Ruf 
Tausender von Engeln im Himmel sein — wie eine Stimme 
vieler Wasser und wie eine Stimme starker Donner. Und 
sollten wir uns nicht erfreuen — wir, denen diese Herrlichkeit zuteil wird, die wir nicht die Gäste dieser Hochzeit, sondern die Braut selber sind? 
Nachdem dann die Hochzeit des Lammes gefeiert und alles zubereitet ist, wird der Herr als der zweite Adam mit 
Seiner himmlischen Eva, mit den verherrlichten Heiligen und 
den Tausenden von Engeln Sich aufmachen, um in Herrlichkeit zu erscheinen und von der Erde Besitz zu nehmen. Doch 
bevor wir dieses Geschehen betrachten, müssen wir einen 
Augenblick bei den Ereignissen verweilen, die zwischen der 
Aufnahme der Heiligen in den Himmel und ihrer Rückkehr 
von dort auf die Erde stattfinden werden. 
100 
Wenn die wahre Versammlung des Herrn, welche Sein 
Leib ist, von der Erde hinweggenommen sein wird, dann 
wird der Herr das noch zurückgebliebene verwerfen (Offb 3, 
16). Er wird die Kirche, die ein Zeuge und ein Pfeiler der 
Wahrheit zu sein berufen war, wegen ihres Abfalls von Ihm 
ausspeien. Der Geist Gottes beginnt dann in dem jüdischen 
Überrest Seine Wirksamkeit. Diese Getreuen Israels, die sich 
zu dem Gott ihrer Väter bekehren und sich wegen ihrer Sünden demütigen, werden als Boten des Reiches das „ewige 
Evangelium denen verkündigen, die auf der Erde ansässig 
sind, und jeder Nation und Stamm und Sprache und Volk" 
(Offb 14, 6). Das in Matth 25 beschriebene Gericht der bei 
der Ankunft Christi auf Erden lebenden Völker ist das Resultat dieser Predigt. Die Brüder sind diese getreuen Israeliten, die Schafe, diejenigen, welche ihr Zeugnis angenommen 
und die Böcke alle, die es verworfen haben. In Offb 7 wird 
uns in einem Gesicht die große Schar aus den Juden und 
Nationen gezeigt, die durch das ewig e Evangeliu m 
bekehrt wurden. 
Aber während die Liebe Gottes in dieser Weise wirksam 
ist und der Heilige Geist Sich also offenbart, bedient sich 
der Teufel seiner ganzen Macht, um die ganze Erde zu verderben und wider den Herrn und Seinen Gesalbten in Aufruhr zu bringen. Die verworfenen Bekenner des Christentums 
werden hingegeben, der Lüge zu glauben und ein Spielball 
des Teufels zu werden, weil sie „die Liebe zur Wahrheit 
nicht annahmen, damit sie errettet würden". Der Antichrist 
und das Tier — das Haupt der geistlichen und das Haupt der 
politischen Macht — werden die ganze prophetische Erde, d. 
i. das römische Reich, mit ihren Lästerungen erfüllen. Außerhalb dieses Gebietes sind die Völker zornig und werden sich 
zu einem großen Kriege rüsten. Der Drache und seine Engel 
werden durch Michael und seine Engel überwunden, und ihre 
Stätte wird nicht mehr in den himmlischen Örtem gefunden 
werden. Auf die Erde geworfen und sich wohl bewußt, daß 
ihre Zeit kurz ist, vereinigen sie ihre Macht auf der Erde 
(Offb 12, 7-12). Und diese Macht wird so groß sein, daß 
die Menschen niederfallen und das Tier und den Drachen, 
der dem Tier die Macht gibt, anbeten werden, wenn Gott — 
was während einer kurzen Zeit geschehen wird — aufhört, 
beiden zu widerstehen. Die Sünde erreicht in der Person des 
Antichristen, in dem der Teufel wohnt, ihren Höhepunkt, 
und dann ist alles reif für das Gericht. 
101 
Nun kommt der Herr. Die Himmel öffnen sich. „Und 
siehe, ein weißes Pferd, und der darauf saß, genannt Treu 
und Wahrhaftigkeit, und er richtet und führt Krieg in Gerechtigkeit". Aber Er kommt nicht allein; die Heere im Himmel folgen Ihm. „Und die Kriegsheere, die im Himmel sind, 
folgten ihm auf weißen Pferden, angetan mit reiner, weißer 
Leinwand". — Er wird kommen, um der Bosheit und Gottlosigkeit des Menschen und des Teufels auf der Erde ein 
Ende zu machen. „Er wird die Erde schlagen mit der Rute 
seines Mundes, und mit dem Hauche seiner Lippen den Gesetzlosen töten" (Offb 19, Jes 11; 2. Thess 2). 
Welch ein entsetzliches Schauspiel wird das sein! In dem 
Augenblick, da die Welt sich gänzlich dem Teufel überliefert 
hat und „Friede und Sicherheit" ruft, wird sich plötzlich, in 
einem Nu, der Himmel öffnen und der einst verworfene und 
gekreuzigte Heiland erscheinen. Er ist bekleidet mit Gerechtigkeit, Sein Schwert gegürtet um Seine Hüfte; Seine Augen 
sind wie eine Feuerflamme, und auf Seinem Haupt trägt Er 
viele Diademe. Die Heiligen und die Engel folgen Ihm und 
besingen sein Lob. Und die Welt? Ach! sie werden Ihn anschauen, Den sie durchstochen haben. Jedes Auge wird Ihn sehen, jedes Herz mit Schrecken erfüllt sein. Die Genüsse der Erde 
und die tagtäglichen Beschäftigungen werden aufhören, und 
alle werden vor Ihm stehen, ihrem Richter und Herrn. Nirgendwo findet sich dann eine Hoffnung für die Verwerfer 
Jesu. Ihre Totenglocke läutet. Die Hand des Herrn bringt 
das Gericht. „Und er tritt die Kelter des Weines des Grimmes des Zornes Gottes, des Allmächtigen. Und er trägt auf 
seinem Gewände und auf seiner Hüfte nun den Namen geschrieben : Köni g de r König e un d Her r de r Her -
ren" . Wie entsetzlich! O möchten doch alle, die Jesum noch 
nicht kennen und die Ihn bis jetzt verworfen haben, ihre 
Augen auf dieses hereinbrechende Gericht richten, damit sie 
noch in dieser Zeit der Gnade ihre Zuflucht zu Ihm nehmen, 
Der allein von Gericht und Verdammnis zu erretten vermag. 
So werden der Himmel von dem Teufel und seinen Engeln, 
die Erde von ihren gottlosen Fürsten gereinigt. Das Tier und 
der falsche Prophet werden lebendig in den Feuersee geworfen; Satan aber wird gebunden und in den Abgrund eingeschlossen (Offb 20). Der Sieg ist vollkommen. Der Teufel, 
die Quelle alles Bösen, wird tausend Jahre lang gebunden im 
Abgrund sein und der hochgepriesene Herr das Königreich 
einnehmen. „Das Reich der Welt unseres Herrn und seines 
102 
Christus ist gekommen und er wird herrschen von Ewigkeit 
zu Ewigkeit" (Offb 11, 15). Das ist das tausendjährige Reich. 
Christus wird öffentlich anerkannt werden und als König 
herrschen, während der Teufel gebunden ist. Welch eine 
Wandlung wird sich dann auf der seufzenden Erde zeigen, 
wenn Satan und seine Engel von der Oberfläche der Erde, 
aus den Wohnungen der Menschen gewichen sind und Christus und Seine verherrlichten Heiligen über die ganze Erde 
regieren. Dann wird für die Schöpfung der Tag des Segens 
und der Ruhe angebrochen sein — jener Tag, der so oft von 
den Propheten des alten Bundes besungen worden ist. Die 
Wildnis und die dürren Plätze werden fröhlich sein; die 
Wüste wird sich erfreuen und blühen wie eine Rose, das dürre, durstige Land von Quellen überströmt werden. Die Berge 
werden fließen von neuem Wein und die Hügel überfließen 
von Milch und Honig. Die wilden Tiere des Feldes werden 
zahm sein und mit den Lämmern ihre Nahrung nehmen; 
aller Streit, aller Krieg unter den Menschenkindern wird ein 
Ende haben. So wird Gott den Menschen mit Segnungen 
überhäufen. Er wird dessen Tränen trocknen, sein Elend aufhören lassen, und große Freude wird sich um ihn her ausbreiten. Und dies alles geschieht um des Verdienstes Seines 
Sohnes Jesu Christi willen, Der Sich durch das vollbrachte 
Werk des Kreuzes ein Recht auf alle Dinge erworben hat. 
Es gibt drei Wege, auf denen Sich Christus vollkommen 
offenbaren und Gott verherrlichen wird — Gnade, Regierung 
und Herrlichkeit. Die Gnade verwirklichte Er während Seiner 
Erniedrigung auf der Erde; die Regierung wird während der 
Dauer des tausendjährigen Reiches und die Herrlichkeit in 
der Ewigkeit in Erscheinung treten. Im tausendjährigen Reich 
wird die Offenbarung Gottes in der Ausübung der Herrschaft stattfinden. Keine menschliche Sprache wird imstande 
sein, die Herrlichkeit dieser Herrschaft auszudrücken. Dem 
Teufel ist es dann nicht mehr gestattet, den Menschen zu 
versuchen, und über die glückliche Menschheit wird die Güte 
Gottes ausgebreitet sein. Die Himmel droben, Israel und die 
Nationen hienieden, die Erde, das Meer, die niederen Wesen 
— alles ist dann der Herrschaft Christi unterworfen, alles in 
Sein ausgedehntes Gebiet aufgenommen, und zwar zur Ehre 
und Herrlichkeit Gottes durch Christum. 
Doch nichts kann so erniedrigend für den Menschen sein, 
als das, was wir am Ende des tausendjährigen Reiches finden. 
Gott wird dann zeigen, daß eine tausendjährige Herrlichkeit 
103 
nicht imstande ist, den Menschen ohne Seine rettende Gnade 
zu verändern. Sobald der Teufel wieder losgelassen ist und 
seine Macht erneut ausüben kann, wird er den unbekehrten 
Teil der Völker verführen und zum Streit wider Gott und 
das Lamm versammeln. Aber sie alle werden verschlungen 
vom Feuer, das Gott aus dem Himmel herabfallen läßt. 
Und dann kommt der Schluß der Geschichte des Menschen 
— der Tag des Gerichts. Johannes bezeugt: „Und ich sah 
einen großen weißen Thron und den der darauf saß, vor 
dessen Angesicht die Erde entfloh und der Himmel; und 
keine Stätte ward für sie gefunden. Und ich sah die Toten, 
die Großen und die Kleinen, vor dem Throne stehen" (Offb 
20, 11. 12). Es ist durchaus nicht schwer, dieses letzte Gericht 
von der Ankunft des Herrn und der ersten Auferstehung zu 
unterscheiden. Wenn der Herr kommt, so kommt Er aus dem 
Himmel auf die Erde, und die Erde wird durch Ihn in der 
herrlichsten Weise gesegnet. Allein das ist hier nicht der Fall. 
Hier gibt es keine Erde; der Himmel und die Erde sind entflohen und keine Stätte wird für sie gefunden. Es ist die 
Auferstehung und das Gericht der Gottlosen, die von Beginn 
der Welt an gestorben sind. Alle werden nach ihren Werken 
gerichtet; alle werden verdammt und in den Feuersee geworfen, und das ist der zweite Tod. Entsetzlicher Gedanke! O 
Mensch, bedenke, was zu deinem Frieden dient! Bedenke, 
wie schrecklich es ist, in die Hände des lebendigen Gottes zu 
fallen. 
Ja, es wird ein entsetzlich ernster Augenblick sein. Alle, 
die je auf der Erde lebten, werden dort einander gegenüber 
stehen — die Gerechten bei dem Herrn, die Gottlosen vor 
dem Thron. Welch ein Unterschied zwischen beiden! Die 
einen mit verherrlichten Leibern, unverderblich und unsterblich, gleichförmig dem Bilde Christi, die andern in der ganzen Nacktheit ihres elenden Zustandes. Entblößt von allen 
Feigenblättern eigener Gerechtigkeit wird ein jeder im Lichte 
der göttlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit seine Sünde sehen. Alle werden dort erscheinen müssen: „Und das Meer 
gab die Toten die in ihm waren, und der Tod und der Hades 
gaben die Toten, die in ihnen waren, und sie wurden gerichtet, ein jeder nach seinen Werken". Die Tiefe des Meeres 
und die unsichtbare Welt werden gezwungen, ihre bejammernswerten Gefangenen loszulassen, damit diese von den 
Lippen des von ihnen verworfenen Jesus ihr Urteil vernehmen. Der Himmel und die Erde sind vergangen, und nichts 
104 
wird gesehen als der große weiße Thron in blendendem Glänze, sowie die herrliche Majestät Dessen, Der darauf sitzt. 
„Und wenn jemand nicht geschrieben gefunden wurde in dem 
Buche des Lebens, so wurde er in den Feuersee geworfen". 
Das ist das Ende der menschlichen Geschichte — das Ende 
aller Begebenheiten. Jetzt beginnt die Ewigkeit, in der keine 
Zeit mehr ist. Die Gottlosen sind verloren, die Gerechten 
gerettet, und alle Wege Gottes haben sich als Wege der 
Herrlichkeit und Majestät erwiesen. Seine Liebe wird neue 
Himmel und eine neue Erde schaffen zum Wohnplatz für 
Seine Heiligen, und Gott kommt, um in ihrer Mitte zu wohnen. „Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er 
wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und 
Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott" (Offb 21, 3). 
Amen, Amen! Jesu eile, 
Still' das Sehnen Deiner Braut; 
Mächtiglich die Wolken teile, 
Daß Dich unser Auge schaut. 
Steige auf am Horizonte, 
Morgenstern durchbrich die Nacht! 
O daß Deine Braut schon thronte 
Dort mit Dir in Himmelspracht! 
105 
Paulus im Brief an die Philipper 
Der Apostel Paulus wendet sich in diesem Brief an die 
Philipper als ein einfacher Diener, als ein liebender Bruder, 
als eins mit ihnen und als ein Mitgenosse ihrer Freude. Man 
hört hier nicht den Ton des gebietenden und ermahnenden 
Apostels, sondern er läßt vielmehr seiner Liebe zu diesen 
Heiligen freien Lauf, weil sie vollkommene Gemeinschaft mit 
ihm am Evangelium hatten. 
Der Apostel war bereits zwei Jahre lang in Rom gefangen. 
Er war berufen, ein Bewahrer der Wahrheit zu sein. Menschlich gesprochen ruhte alles auf seinen Schultern. Vielleicht 
dachten manche: „Wie traurig ist es, daß jemand, wie Paulus, in seiner Wirksamkeit gehindert und in ein Gefängnis 
gesperrt ist!" Vielleicht mögen im Anfang ähnliche Gedanken 
im Herzen des Apostels selbst aufgestiegen sein. Doch in 
den zwei Jahren hatte er unendlich mehr gelernt, als er 
wahrscheinlich je unter anderen Umständen gelernt haben 
würde. Er erfuhr, welche Hilfsquellen in Gott waren — sowohl für ihn selbst, als auch für die Versammlung. Für sich 
selbst fand er in Gott eine Quelle von Freude, die ihn über 
alle Umstände erhob und in den Stand setzte, aus der Absonderung und der Einförmigkeit seiner Gefangenschaft alle 
Liebe, die sein Herz erfüllte, den geliebten Philippern und 
mithin auch uns, die wir diesen Brief besitzen, mitteilen zu 
können. Der Apostel konnte sich in allem freuen. Wenn er 
der Heiligen gedachte und für sie betete, so geschah es stets 
mit Freude, indem er auf das vertraute, was Gott für sie tun 
konnte und wollte, auch wenn er noch im Gefängnis bleiben 
mußte. Wenn er hörte, daß etliche aus Neid und Streit das 
Evangelium predigten, um seinen Banden Trübsal zuzufügen, 
so freute er sich dennoch, weil trotz allem „Christus verkündigt" wurde. Sollte es ihm vergönnt sein, seine vielgeliebten 
Philipper noch einmal wiederzusehen, so wußte er, daß dies 
zur Förderung und Freude im Glauben sein würde; wenn 
aber der Herr es anders beschlossen hatte, so daß er, Paulus, 
„wie ein Trankopfer gesprengt werde über das Opfer und 
den Dienst ihres Glaubens", dann sagte er: „So freue ich 
mich und freue mich mit euch allen". Das Geheimnis der 
Freude des Apostels bestand in der Erkenntnis der Vortrefflichkeit Christi Jesu, seines Herrn. Er hatte die Gerechtigkeit 
Gottes erkannt, und der Glaube hatte diese vollkommene 
Gerechtigkeit zu der seinen gemacht. Darum hatte er von 
106 
allem, dessen er sich dem Fleische nach rühmen konnte, Abschied genommen und es als Schaden und Dreck geachtet. 
Christus war nun sein ein und alles. Gott hatte ihm Christus dargestellt als den Gegenstand seiner Liebe, seiner 
Wünsche und seiner Bestrebungen. Ihm zu folgen, war das 
feurigste Verlangen des Apostels. Gott hatte alles für ihn 
getan, und Paulus konnte sich in allem auf Ihn stützen. Dies 
befreite ihn von allem Kummer über sich selbst und über 
die Versammlung. Er stand fest im Herrn und konnte zu den 
Gläubigen sagen: „Seid meine Nachahmer!" Wer von uns 
würde so sprechen dürfen? Wer würde es wagen, auf sich 
als ein Vorbild hinzuweisen? Wie oft verlieren w i r Christum, Der allein vor unseren Blicken stehen und unser Herz 
erfüllen sollte, aus den Augen und geben uns Wahrnehmungen hin, die einen abträglichen Einfluß auf uns ausüben. Gehört deine Neigung der Welt, dann bist du von der Welt. 
Zieht dich deine Neigung zu Christo, so gehörst du Christo 
an. Darum kann Paulus sagen: „Stehet also fest im Herrn, 
Geliebte'" Und während die- Freude über die Stellung, in die 
Gott ihn berufen hat, sein Herz überwältigt, ruft er aus: 
„Freuet euch in dem Herrn allezeit! Wiederum will ich sagen: Freuet euch! Laßt eure Gelindigkeit kundwerden allen 
Menschen; der Herr ist nahe". Und dies bringt er in Verbindung mit der Kraft des Lebens in Christo. In der Erwartung 
der nahen Ankunft des Herrn konnte er allen alles sein. In 
derselben Gesinnung wie Jesus, Der, „wissend, daß er von 
Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe", ein leinenes 
Tuch nahm, um die Füße der Jünger zu waschen, konnte sich 
Paulus über alle Umstände — sei es Mangel, oder sei es 
Überfluß — erheben; er vermochte alles durch Christum, der 
ihm Kraft gab. 
So ermahnte er auch die geliebten Philipper, um nichts besorgt zu sein, sondern völlig und in allem Gott zu vertrauen; 
denn nur das würde den Frieden Gottes in ihrem Herzen 
bewahren. Nicht allein den Frieden der Seele mit Gott, sondern mehr noch den Frieden, der in Gott Selbst ewiglich 
wohnt, sollten sie genießen, so daß das Herz, befreit von 
Sorge und Kummer, die es nur beunruhigen und zerstreuen, 
ungehindert imstande sei, zu erwägen „alles was wahr, alles 
was würdig, alles was gerecht, alles was rein, alles was lieblich ist, alles was wohllautet, wenn es irgend eine Tugend 
und wenn es irgend ein Lob gibt". So würde der „Gott des 
Friedens" mit ihnen sein. 
107 
Hier ist nicht nur die Rede davon, daß man Frieden habe 
von den Qualen, die ein beunruhigtes Gewissen verursacht; 
ja, der Apostel geht selbst über den Frieden hinaus, der in 
Gott wohnt, indem er sagt: „De r Got t de s Frieden s 
wirdmi t euchsein" . Welch ein unaussprechliches Vorrecht! Möchten wir es alle in reichem Maße genießen! Der 
Gott des Friedens will auch auf allen unseren Wegen mit 
uns sein. 
Der erste Tag der Woche 
In den Schriften des Neuen Testaments ist der erst e 
T a g de r Woche , der Sonntag, ein ganz besonderer und 
hervorragender Tag. Es ist der Auferstehungstag des Herrn 
— jener herrliche Tag, der die gesegnete Tatsache verkündigt, 
daß der Tod überwunden, der Fürst dieser Welt gerichtet, 
jeder Glaubende gerechtfertigt und des ewigen Lebens teilhaftig geworden ist. — Es war an diesem erste n Ta g de r 
Woche , als der Herr Sich den beiden Jüngern auf dem 
Wege nach Emmaus nahte, sie begleitete und ihnen die 
Schriften öffnete. Als der Tag sich neigte, kehrte Er auf ihr 
Bitten bei ihnen ein, und sie erkannten Ihn am Brechen des 
Brotes (Luk 24). Am Abend desselbe n Tages , als die 
Jünger versammelt waren, trat Jesus plötzlich in ihre Mitte, 
begrüßte sie mit dem Frieden, den Er für sie gemacht hatte, 
und hauchte ihnen den Geist des Lebens ein. Wiederum am 
erste n Ta g de r Woche , acht Tage später, finden wir 
die Jünger versammelt und Jesum in ihrer Mitte. Er überzeugte den Thomas von Seiner Auferstehung und beschämte 
ihn wegen seines Unglaubens (Joh 20). Es war der erst e 
T a g de r Woche , als die Jünger alle an einem Ort beisammen waren, daß der Heilige Geist auf sie herniederkam, 
um für immer in den Herzen und in der Mitte der Gläubigen zu wohnen (Apg 2). Am erste n Ta g de r Woch e 
kamen die ersten Christen zusammen um das Brot zu brechen (Apg 20. 7). In bezug auf die Sammlung für die Heiligen verordnete der Apostel in Korinth, wie zuvor auch in 
den Versammlungen in Galatien, daß an jedem ersten Wochentag ein jeder nach dem Gedeihen seines Erwerbs bei sich 
zurücklegen und sammeln möge (1. Kor 16). 
108 
So ist also dieser erste Tag vor all den übrigen Tagen der 
Woche ausgezeichnet und geheiligt, d. h. abgesondert worden 
durch die glorreiche Auferstehung des Herrn, durch Seine gesegnete Gegenwart in der Mitte der Seinen, durch die herrliche Ausgießung des Heiligen Geistes und durch das Zusammenkommen der Apostel und der ersten Christen, besonders 
zum Brechen des Brotes. Es kann auch noch hinzugefügt werden, daß der erste Tag der Woche im Buch der Offenbarung 
als de r Ta g de s Herr n bezeichnet wird, an dem Johannes im Geiste war und von Gott die herrliche Offenbarung 
empfing, die jenes Buch enthält. 
Wird es nun nach diesen einfachen und klaren Zeugnissen 
der Schrift für ein einfältiges Auge und ein nüchternes, Gott 
unterwürfiges Herz schwer sein zu verstehen, wie der Gläubige den Sonntag, den ersten Tag der Woche, zuzubringen, 
Wem er sich an diesem Tage zu widmen habe? Gewiß nicht; 
ein einsichtsvoller Christ wird auch hierin einem gesetzlichen 
Geist und einer falschen Freiheit gleich fern bleiben. 
109 
Die Morgenstunden 
der Heiligen Schrift 
Beim Lesen der Heiligen Schrift begegnen wir hie und da 
einzelnen Stellen, die gleich der Morgendämmerung beim 
Beginn eines Tages unseren Augen und Herzen höchst 
freundlich entgegenleuchten. 
Da ist zunächst die Schöpfun g — dieser herrliche 
Beweis von der Allmacht Gottes, dieser Anfang aller Zeiten, 
diese erhabene Schaustellung der Werke Gottes, worüber, 
wie wir im Buch Hiob lesen, die Morgensterne zu jubeln 
sich gedrungen fühlten. 
Im zweiten Buch Mose begegnen wir einem anderen wichtigen Ereignis. Dort tritt Israel zum ersten Mal als eine 
selbstständige, unabhängige Nation auf. Der Herr sagt durch 
den Propheten Hosea: „Als Israel jung war, da liebte ich 
es, und aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen". Es 
war, als ob eine ganz neue Zeit angebrochen, als ob Israel, 
da es durch Gott von seinem Druck befreit war, aufs neue 
geboren worden wäre. Es war gleichsam ein Auferstehen aus 
dem Grab, das Anbrechen eines neuen herrlichen Tages, als 
das Volk das entgegengesetzte Ufer des Roten Meeres erreicht hatte und mit Moses Loblieder zur Ehre seines Retters und Helfers in der Not anstimmte. 
Auch die Geburt unseres Herrn war eine Begebenheit, die 
als wahre Morgenröte ihre lieblichen Strahlen über die Erde 
verbreitete. Ein lange, finstere Nacht war vorübergegangen. 
Israel war unter eine fremde Herrschaft gestellt worden; kein 
Prophet erhob mehr seine Stimme, keine Wunder oder Zeichen gab es mehr; es bestand keine Verbindung mehr zwischen Gott und Seinem Volke mittels der Urim und der 
Thummirn' oder des Ephods der Priester. Die Herrlichkeit 
des Tempels war entschwunden, und der ganze Gottesdienst 
im Verfall. Nichts unterschied die Stadt des Friedens, den 
von Gott auserwählten Platz von anderen Städten, als nun 
und dann das Herabsteigen des Engels in den Teich Bethesda. Alles befand sich in völliger Finsternis. Aber die Geburt 
Christi machte dieser langen, finsteren Nacht ein Ende; sie 
rief gleichsam die Schöpfung aus ihrem Schlaf und verkündigte allen das Licht eines herrlichen, neuen Morgens.- Engel 
erschienen wieder und sangen Loblieder zur Ehre Dessen, 
Der das Licht auf die Erde gesandt hatte. 
HO 
Ebenso war die Auferstehung eine dieser herrlichen Morgenstunden. Es war ein Morgen nach einer Nacht, wie sie 
gleich finster niemals auf der Erde geherrscht hatte — ein 
Morgen, der ein nie gekanntes Licht über die Erde verbreitete, der Vorbote eines ewig dauernden Tages. Es war der 
Obergang vom Schatten des Todes in den Tag des Lebens. 
Es kam „die Dämmerung des ersten Wochentages", sagt 
Matthäus. 
So wird auch das Königreich Christi hier auf der Erde 
solch ein Morgen sein. Es wird ein Tag sein nach einer langen Nacht, der Tag Christi nach dem Tag der Sünde und des 
Todes, das Reich Christi nach dem Reich dieser Welt. In 
2. Sam 23 lesen wir in bezug auf dieses Reich: „Ein Herrscher unter den Menschen, gerecht, ein Herrscher in Gottesfurcht; und er wird sein wie das Licht des Morgens, wenn 
die Sonne aufgeht, ein Morgen ohne Wolken: von ihrem 
Glänze nach dem Regen sproßt das Grün aus der Erde". 
Zu diesen Herrlichkeiten gehört auch die Erscheinung des 
neuen Himmels und der neuen Erde. Es ist die Schöpfung 
in ihrer Wiedergeburt. „Und ich sah einen neuen Himmel 
und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste 
Erde waren vergangen" (Offb 21). Das ist der Wohnplatz 
der Gerechtigkeit, jener Platz, wo Gott „alles in allem" sein 
wird. 
Es ist herrlich, so wunderbare Geschehnisse, so packende 
Ereignisse an unserem Auge vorüberziehen zu sehen. Jedoch 
wünsche ich, die Aufmerksamkeit noch auf einen anderen 
Gesichtspunkt zu lenken, nämlich darauf, daß der Mensch, 
verführt durch die Einflüsterungen Satans, die herrlichen 
Offenbarungen der Macht und Liebe Gottes von Zeit zu 
Zeit in die Schatten des Todes verwandelt hat. Die Schöpfung, die so herrlich und so voll Leben und Freude aus der 
Hand Gottes gekommen ist, wurde durch den Menschen bald 
zu einer Wildnis voller Dornen und Disteln. Die vom Herrn 
Selbst so reich gesegnete Erde wurde verflucht — verflucht 
um der Sünde des Menschen willen. Israel, das am Ufer des 
Roten Meeres den Lobgesang der Erlösung anstimmte, kam 
in die babylonische Gefangenschaft, und das Land der Verheißung, in dem sich die herrlichen Offenbarungen der Allmacht Gottes entfalteten, wurde verwüstet und der Herrschaft des Unbeschnittenen unterworfen. Die Strahlen der 
Sonne, die sich einst von Bethlehem aus über die Erde verbreiteten und das Anbrechen eines neuen, herrlichen Tages 
111 
für Israel ankündigten, schwanden in der finsteren Nacht 
Golgathas, und zwar wegen der Sünde des Menschen. Und 
wie sieht es in unserer Zeit aus? Derselbe Jesus, Der am 
Kreuz starb, ist auferstanden, und damit ist eine neue Morgenstunde für die Erde angebrochen. Aber sieht man gegenwärtig nicht deutlich, daß diese Wahrheit mehr und mehr 
in den Hintergrund gedrängt wird, so daß sie schließlich, 
wenn die Versammlung von der Erde hinweggerückt sein 
wird, in der Nacht der in der Offenbarung beschriebenen 
Gerichte ganz und gar verschwinden wird? 
In der Tat, man braucht nur seine Augen offenzuhalten, 
um die beständig zunehmende Erschlaffung der Christenheit 
im allgemeinen wahrzunehmen und von der Erfüllung der 
prophetischen Worte überzeugt zu werden: „Ich werde dich 
ausspeien aus meinem Munde". Das Reich Christi, das mit 
einem „Morgen ohne Wolken" verglichen wird, wird enden 
in dem Abfall Gogs und Magogs, in dem Gericht des Todes 
und Hades, hinsichtlich all derer, die nicht geschrieben sind 
in dem Buche des Lebens, sowie in dem Entfliehen der Erde 
und des Himmels vor dem Angesicht Dessen, Der auf dem 
weißen Thron sitzen wird. 
Aus diesen Vorbildern ersehen wir, daß der Mensch Gott 
beständig im Wege steht, um Ihn an der Ausführung Seiner 
Ratschlüsse zu hindern und daß durch unsere Schuld die 
reichen Segnungen Gottes immer wieder in einen Fluch verwandelt worden sind. Einmal jedoch wird es anders sein. 
Wenn der Morgen der Ewigkeit, der Morgen des neuen Himmels und der neuen Erde angebrochen sein wird, dann wird 
nichts imstande sein, diesen Morgen in Finsternis zu verwandeln. Dieser Morgen wird immer frisch und jung bleiben; Gott wird dafür Sorge tragen. Seine Sonne wird in 
Ewigkeit nicht untergehen. Sein Name sei dafür gepriesen! 
Erwägen wir es tief, wie unendlich vieler Liebe und Geduld es von seiten Gottes bedurfte, beständig aufs neue zu 
beginnen, wiewohl Er wußte, daß der Mensch doch bald wieder alles in den Schatten des Todes verwandeln würde! Aber 
Gott kann nicht wohnen, wo Finsternis ist. Er ist kein Gott 
der Toten, sondern der Lebendigen, und darum wird Er — 
mag auch der Mensch sich nicht mit Ihm vereinigen, um das 
Licht zu bewahren — für Seine eigene Herrlichkeit Sorge 
tragen. Und wie Er in der Morgenstunde der ersten Schöpfung das Licht aus der Finsternis hervorstrahlen ließ, so 
wird Er auch den Morgen der neuen Schöpfung in ewiger, 
unveränderlicher Schönheit bewahren. 
112 
Gedanken über das Kommen des Herrn 
Einleitun g 
Das neue Testament stellt dem aufmerksamen Leser drei 
ernste und wichtige Tatsachen vor Augen: 
1.) da ß de r Soh n Gotte s i n dies e Wel t ge -
komme n ist , si e abe r wiede r verlasse n hat , 
2.) da ß de r Heilig e Geis t aufdieseErdeher -
abgestiege n ist un d noc h imme r au f ih r 
weilt , und 
3.)daßderHerrJesuswiederkommenwird . 
Das sind die in den Schriften des Neuen Testaments entfalteten drei wichtige Wahrheiten, und jede von ihnen ist sowohl in Bezug auf die Welt als auch im Blick auf die Kirche 
oder Versammlung von doppelter Tragweite — auf die Welt 
insgesamt und jeden unbekehrten Christen insbesondere, auf 
die Versammlung im ganzen und jedes einzelne ihrer Glieder besonders. Es ist niemanden möglich, sich dem Einfluß 
dieser drei großen Tatsachen auf seinen persönlichen Zustand 
und seine zukünftige Bestimmung entziehen zu können. Es 
geht hierbei nicht nur um gewisse Lehren, sondern vielmehr 
um die Tatsachen, die uns in möglichst einfacher Weise von 
den verschiedenen inspirierten Schreibern vor Augen gestellt 
sind. Es ist kein Versuch des Ausschmückens oder des Hervorhebens; die Tatsachen sprechen für sich selbst. Sie sind 
aufgezeichnet, um ihre eigene mächtige Wirkung auf die 
Seele auszuüben. 
Betrachten wir zunächst die Tatsache, da ß de r Soh n 
Gotte s i n diese r Wel t gewese n ist . „Also hat 
Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab"; 
— „Der Sohn Gottes ist gekommen". Er kam in vollkommener Liebe als der absolute Ausdruck des Herzens und der 
Gedanken Gottes. Er war der Abglanz der Herrlichkeit Gottes und der Abdruck Seines Wesens und dennoch ein demütiger, sanftmütiger, gütiger und wirklicher Mensch, so gütig 
und freundlich gegen jedermann, daß selbst der Ärmste nahen konnte. Tagtäglich sah man Ihn in den Straßen und 
Häusern, wie Er in zärtlicher, gewinnender Weise die kleinen 
Kinder in Seine Arme nahm, der Witwe Tränen trocknete, 
das geschlagene und betrübte Herz tröstete, den Hungrigen 
113 
speiste, den Kranken heilte, den Aussätzigen reinigte, kurz 
jeder Art menschlichen Elends begegnete und den Notschrei 
aller durch Seine Hilfe und Sein Mitgefühl beantwortete. „Er 
ging umher, Gutes tuend". Er war der unermüdliche Diener 
für die Bedürfnisse der Menschen. Er dachte nie an Sich 
Selbst, suchte niemals Sein eigenes Interesse. Er lebte nur 
für andere. Es war Seine Speise, den Willen Gottes zu tun 
und die bekümmerten und mühseligen Herzen der Menschenkinder zu erquicken; aus Seinem liebenden Herzen ergossen sich Ströme des Segens für alle, die den Druck dieser 
sündhaften, kummervollen Welt fühlten. 
Es ist eine bewundernswürdige Tatsache, daß diese Welt 
besucht, diese Erde betreten worden ist von dem Hochgepriesenen, von Ihm, dem Sohne Gottes, dem Schöpfer und Erhalter des Weltalls, und zugleich dem demütigen, Sich Selbst erniedrigenden, liebenden und gnadenreichen Sohn des Menschen, Jesus von Nazareth — von Ihm, Der, obwohl „Gott 
über alles gepriesen in Ewigkeit", dennoch als ein fleckenloser, heiliger, durchaus vollkommener Mensch umherging. Er 
kam in Liebe zu den Menschen; Er kam in diese Welt als der 
Ausdruck vollkommener Liebe gegenüber solchen, die gegen 
Gott gesündigt und wegen ihrer Sünden nichts als die ewige 
Verdammnis verdient hatten. Er kam nicht, um zu verderben, sondern um zu heilen — nicht, um zu richten, sondern 
um zu erretten und zu segnen. 
Wie aber ist dieser Hochgelobte von der Welt empfangen 
worden? Sie hat Ihn verworfen. Sie wollte nichts von Ihm; sie 
zog diesem heiligen, gnadenreichen, vollkommenen Menschen 
einen Räuber und Mörder vor. Die Welt hatte zu wählen. 
Jesus und ein Mörder wurden ihr zur Wahl gestellt, und die 
Frage hieß: „Wen begehrt ihr?" Und wie lautete die Antwort? „Nicht diesen Menschen, sondern den Barabbas". „Die 
Hohenpriester aber und die Ältesten überredeten die Volksmengen, daß sie um den Barabbas bäten, Jesum aber umbrächten. Der Landpfleger aber antwortete und sprach zu 
ihnen: Welchen von den beiden wollt ihr, daß ich euch losgebe? Sie aber sprachen: den Barabbas" (Matth 27, 20. 21). 
Die religiösen Häupter und Führer des Volkes, die die Menschen auf den rechten Weg hätten leiten sollen, überredeten 
die unwissende Menge, den Sohn Gottes zu verwerfen und 
statt Seiner einen Räuber und Mörder aufzunehmen. 
Lieber Leser! Bedenke, daß du dich in einer Welt befindest, die sich dieser entsetzlichen Handlung schuldig gemacht 
114 
hat. Wenn du nicht wirklich Buße getan und an den Herrn 
Jesus gläubig geworden bist, gehörst du zu dieser Welt und 
bist der vollen Strafbarkeit dieser Handlung unterworfen. 
Wie schrecklich ernst ist das! Die ganze Welt ist der wohlüberlegten Verwerfung und Tötung des Sohnes Gottes angeklagt. Nicht weniger als vier inspirierte Zeugen bekunden 
diese Tat. Matthäus, Markus, Lukas und Johannes bezeugen, 
daß die ganze Welt, der Jude wie der Heide — König und 
Landpfleger, Priester und Volk — kurz alle Klassen, Sekten 
und Parteien übereinstimmend in die Kreuzigung des Sohnes 
Gottes eingewilligt und die Hinrichtung des allein vollkommenen Menschen, Der je diese Erde betrat, vollzogen haben. 
Man muß entweder die Evangelisten als vier falsche Zeugen 
betrachten oder zugeben, daß die ganze Welt mit dem Verbrechen der Kreuzigung des Herrn der Herrlichkeit befleckt 
ist. 
Das ist der wahre Maßstab, nach welchem die Welt, sowie 
der Zustand jedes einzelnen, unbekehrten Menschen in der 
Welt zu messen ist. Wenn ich wissen will, was die Welt ist, 
so habe ich nur zu bedenken, daß sie vor Gott unter der 
Anklage der absichtlichen Tötung Seines Sohnes steht. Welch 
eine furchtbare Wirklichkeit! — eine Wirklichkeit, welche die 
Welt in äußerst ernster Weise kennzeichnet und sie in der 
erschreckendsten Schwärze vor unsere Augen stellt. Gott hat 
eine Rechtssache mit dieser Welt zu führen. Er hat eine entsetzlich schwerwiegende Schuldfrage mit ihr ins Reine zu 
bringen, eine Frage, deren bloße Erwähnung die Ohren der 
Menschen gellen und ihr Herz zittern machen sollte. Ein gerechter Gott hat den Tod Seines Sohnes zu rächen. Und die 
Welt hat — was schon an und für sich eine verabscheuungswürdige Handlung gewesen wäre — nicht nur einen elenden 
Mörder aufgenommen und einen unschuldigen Menschen zu 
Tode gebracht, sondern dieser unschuldige Mensch war kein 
anderer, als der Sohn Gottes, der Eingeborene vom Vater. 
Welch ein Gedanke! Die Welt wird Gott wegen des Todes 
Seines Sohnes Rechenschaft geben müssen, den sie zwischen 
zwei Räubern an das Kreuz geheftet hat. Welch eine Abrechnung wird dort stattfinden! Wie blutig rot wird der Tag 
des Zornes sein! Wie schrecklich zerstörend der Augenblick, 
in dem Gott das Schwert des Gerichts ergreift, um den Tod 
Seines Sohnes zu rächen! Wie gänzlich eitel ist der Gedanke 
an die Veredelung der Welt, während sie mit dem Blute Jesu 
befleckt ist und dieser Tat wegen unter dem Gericht Gottes 
115 
steht/
 belastet mit der Verpflichtung, einem gerechten Gott 
Rechenschaft zu geben über die Art und Weise, wie sie den 
Geliebten Seiner Seele behandelte, Den Er zu segnen und zu 
erretten in Liebe gesandt hatte. Welch eine Blindheit! Welch 
eine Torheit! Ach nein, mein teurer Leser, eine Weltverbesserung ist unmöglich, solange nicht die Flut der Zerstörung 
und das Schwert des Gerichts ihr furchtbares Werk vollbracht und den Tod, die wohlüberlegte und vollzogene Ermordung, des hochgepriesenen Sohnes Gottes gerächt haben. Es gibt keinen verhängnisvolleren Irrtum als die Einbildung, eine Veredelung der Welt sei möglich, während sie unter dem schrecklichen Fluche der Tötung Jesu liegt. Diese 
Welt, die einen Mörder dem Herrn Jesus vorgezogen hat, ist 
der Veredlung unfähig. Ihr bleibt nur ein überwältigendes 
Gericht Gottes. 
Soviel über die schwerwiegende Tatsache der Abwesenheit 
Jesu in ihrer Bedeutung für den gegenwärtigen Zustand und 
das zukünftige Schicksal dieser Welt. Doch diese Tatsache 
hat noch eine andere Tragweite. Sie erstreckt sich auf die 
Kirche oder Versammlung im ganzen und auf jeden einzelnen Gläubigen insonderheit. Wenn die Welt Christum ausgestoßen hat, so haben die Himmel Ihn aufgenommen. Wenn 
der Mensch Ihn verworfen hat, so hat Gott Ihn erhöht. Wenn 
der Mensch Ihn gekreuzigt hat, so hat Gott Ihn gekrönt. 
Diese Gegensätze müssen wir sorgfältig unterscheiden. Der 
Tod Christi, als Werk der Welt, als Werk der Menschen 
betrachtet, schließt nichts als den unvermischten Zorn und 
das Gericht in sich, während andererseits dieser Tod, als das 
Werk Gottes betrachtet, für jeden Bußfertigen und Glaubenden nur eine vollkommene und ewige Segnung enthält. Zum 
Beweise dafür seien einige wenige Stellen angeführt. 
Der 69. Psalm stellt uns so lebendig vor Augen, wie unser gesegneter und anbetungswürdiger Herr unter der Hand 
der Menschen litt und zu Gott um Rache schrie. „Erhöre 
mich, Jehova! denn gut ist deine Güte; wende dich zu mir 
nach der Größe deiner Erbarmungen! Und verbirg dein Angesicht nicht vor deinem Knechte! denn ich bin bedrängt; 
eilends erhöre mich! Nahe meiner Seele, erlöse sie; erlöse 
mich um meiner Feinde willen! Du, du kennst meinen Hohn 
und meine Schmach und meine Schande; vo r di r sin d 
all e mein e Bedränger . Der Hohn hat mein Herz 
gebrochen, und ich bin ganz elend; und ich habe auf Mit116 
leiden gewartet, und da war keines, und auf Tröster, und ich 
habe keine gefunden. Und sie gaben in meine Speise Galle, 
und in meinem Durst tränkten sie mich mit Essig. Es werde 
zur Schlinge vor ihnen ihr Tisch, und ihnen, den Sorglosen, 
zu einem Fallstrick! Laß dunkel werden ihre Augen, daß sie 
nicht sehen, und laß beständig wanken ihre Lenden! Schütte 
über sie deinen Grimm, und deines Zornes Glut erreiche sie! 
Verwüstet sei ihre Wohnung; in ihren Zelten sei kein Bewohner! usw." 
Wie ernst und feierlich ist diese Anklage! Jedes Wort 
wird seine Antwort finden. Nicht eine Silbe wird zur Erde 
fallen. Gott wird sicher den Tod Seines Sohnes rächen. Fr 
wird die Welt zur Rechenschaft ziehen wegen der Behandlung, die Sein Eingeborner unter ihren Händen erfahren hat. 
Wir erachten es als eine Notwendigkeit, dies auf das Herz 
und das Gewissen unserer Leser zu legen. Wie schrecklich 
ist der Gedanke, daß Christus wider die Menschen Anklage 
erhebt! Wie entsetzlich, Ihn um Rache über Seine Feinde zu 
Gott rufen zu hören! Wie furchtbar wird die göttliche Antwort auf den Schrei des geschmähten Sohnes sein! 
Im Gegensatz hierzu zeigt hingegen der 22. Psalm, wie 
der Herr unter der Hand Gottes leidet. Hier ist das Resultat 
ganz anders. Statt des Gerichts und der Rache finden wir 
hier eine allgemeine Segnung und Herrlichkeit. „Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern, inmitten der 
Versammlung will ich dich loben. Ihr, die ihr Jehova fürchtet, lobet ihn; aller Same Jakobs verherrlichet Ihn, und scheuet euch vor ihm aller Same Israels! . . . Von dir kommt 
mein Lobgesang in der großen Versammlung; bezahlen will 
ich mein Gelübde vor denen, die ihn fürchten. Die Sanftmütigen werden essen und satt werden; es werden Jehova loben, die ihn suchen; euer Herz lebe immerdar! Es werden 
eingedenk werden und zu Jehova umkehren alle Enden der 
Erde; und vor dir werden niederfallen alle Geschlechter der 
Nationen. Denn Jehovas ist das Reich, und unter den Nationen herrscht er . . . Ein Same wird ihm dienen; er wird 
dem Herrn als ein Geschlecht zugerechnet werden. Sie werden kommen und verkünden seine Gerechtigkeit einem Volke, welches geboren wird, daß er es getan hat". 
Diese beiden hier angeführten Schriftabschnitte zeigen uns 
in großer Klarheit die beiden Seiten des Todes Christi. Er 
starb um der Gerechtigkeit willen als Märtyrer unter der 
Hand des Menschen und hierfür werden die Menschen Gott 
117 
Rechenschaft abzulegen haben. Aber Er starb auch um der 
Sünde willen als Opfer unter der Hand Gottes. Das ist die 
Grundlage aller Segnungen für die, welche an Seinen Namen 
glauben. Sein Märtyrertod bringt Rache und Gericht über 
eine gottlose Welt; Sein Opfertod öffnet die ewig sprudelnde Quelle des Lebens und der Errettung für die Kirche oder 
Versammlung, für Israel und für die ganze Schöpfung. Der 
Tod Jesu macht das Maß der Schuld dieser Welt voll; aber 
derselbe Tod macht auch die Annahme der Versammlung sicher. Durch das Blut des Kreuzes ist die Welt befleck t 
und die Versammlung gereinigt . 
Das ist die doppelte Wirkung der ersten dieser drei großen 
Tatsachen des Neuen Testaments. Jesusistgekomme n 
u n d wiede r hingegange n — gekommen, weil Gott 
die Welt liebte, und gegangen, weil die Welt Gott haßte. 
Wenn — was einmal geschehen wird — Gott die Frage erheben wird: „Was habt ihr mit meinem Sohne gemacht?", so 
wird die Antwort heißen: „Wir haben Ihn gehaßt, verworfen und getötet; wir zogen Ihm einen Mörder vor". Aber 
— gepriesen sei der Gott aller Gnade! — der Christ, der wahre Gläubige, kann zum Himmel emporschauen und sagen: 
„Mein abwesender Herr ist droben und zwar für mich. Er 
hat diese elende Welt verlassen; und Seine Abwesenheit 
macht den ganzen Schauplatz um mich her zu einer moralischen Wüste, zu einer traurigen Einöde". 
Er is t nich t hier . Das drückt der Welt im Urteil 
jedes wahren Herzens den Stempel eines unverkennbaren 
Charakters auf. Die Welt wollte nichts von Jesu. Das ist 
bezeichnend. Die scheußlichste Tat kann uns jetzt nicht mehr 
befremden. Polizeiberichte über die in unseren Städten und 
Dörfern begangenen scheußlichsten Verbrechen können uns 
nicht mehr überraschen. Die Welt, welche die göttliche Personifikation aller menschlichen Güte verwerfen und statt ihrer einen Räuber und Mörder annehmen konnte, hat ihre 
moralische Schändlichkeit in einem Grade erwiesen, der nicht 
überschritten werden kann. Können wir uns noch wundern, 
wenn wir die Falschheit und Herzlosigkeit der Welt entdekken? Sind wir erstaunt über die Beobachtung, daß ihr nicht 
zu trauen ist? Wäre es der Fall, so hätten wir die Abwesenheit unseres Herrn nicht richtig begriffen. Was beweist das 
Kreuz Christi? Daß Gott die Liebe ist? Ohne Zweifel. Daß 
Christus Sein kostbares Leben dahingegeben hat, um uns von 
den ewigen Flammen der Hölle zu retten? Lob und Preis 
118 
Seinem unvergleichlichen Namen für diese köstliche Wahrheit! — Aber was beweist das Kreuz im Blick auf die Welt? 
Daß das Maß ihrer Sünde voll und ihr Gericht besiegelt ist. 
Die Welt hat dadurch, daß sie Ihn, Der vollkommen gut war, 
an das Kreuz heftete, den unwiderlegbaren Beweis von 
ihrer völligen Schlechtigkeit erbracht. „Wenn ich nicht gekommen wäre und zu ihnen geredet hätte, so hätten sie keine 
Sünde; jetzt aber haben sie keinen Vorwand für ihre Sünde. Wer mich haßt, haßt auch meinen Vater. Wenn ich nicht 
die Werke unter ihnen getan hätte, die kein anderer getan 
hat, so hätten sie keine Sünde; jetzt aber haben sie gesehen 
und gehaßt, sowohl mich als auch meinen Vater. Aber auf 
daß das Wort erfüllt würde, das in ihrem Gesetz geschrieben 
steht: Sie haben mich ohne Ursache gehaßt" (Joh 15, 22-25). 
Richten wir jetzt unsere Blicke auf die oben angedeutete 
zweit e wichtig e Tatsache . Gott, der Heilige Geist, 
ist auf diese Erde gekommen. Schon mehr als achtzehn Jahrhunderte sind verflossen, seit Er vom Himmel herabkam und 
von dieser Zeit an hienieden weilt. Welch eine wunderbare 
Tatsache! Eine göttliche Person weilt auf dieser Erde, und 
wie die Abwesenheit Jesu, so ist auch die Gegenwart des 
Heiligen Geistes von doppelter Tragweite in bezug auf die 
Welt und auf die Kirche oder Versammlung, und zwar sowohl auf die Welt insgesamt und jeden einzelnen Menschen 
insonderheit, als auch auf die Versammlung im Ganzen und 
auf jedes einzelne Glied insbesondere. Was die Welt betrifft, 
so ist dieser erhabene Zeuge vom Himmel gekommen, um 
sie des Verbrechens zu überführen, den Sohn Gottes verworfen und gekreuzigt zu haben, während Er für die Versammlung als der Sachwalter erschienen ist, Der den Platz des 
abwesenden Herrn Jesus ausfüllt und durch Seine Gegenwart 
und durch Seinen Dienst die Herzen Seines Volkes tröstet. 
So ist der Heilige Geist also ein mächtiger Überführe r 
für die Welt aber ein göttlicher Sachwalte r für die Versammlung. 
Einige wenige Stellen der Heiligen Schrift werden hierzu 
Herz und Verständnis des gottesfürchtigen Lesers befestigen, 
der sich in demütiger Anbetung der Autorität des göttlichen 
Wortes unterwirft. „Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich 
gesandt hat, und niemand von euch fragt mich: Wo gehst 
du hin? — sondern weil ich dieses zu euch geredet habe, hat 
Traurigkeit euer Herz erfüllt. Doch ich sage euch die Wahr119 
heit: Es ist euch nützlich, daß ich weggehe; denn wenn ich 
nicht weggehe, wird der Sachwalter nicht zu euch kommen; 
wenn ich aber hingehe, werde ich ihn zu euch senden. Und 
wenn er gekommen ist, so wird er die Welt überführe n 
von Sünde und von Gerechtigkeit und von Gericht. Von 
Sünde, weil sie nicht an mich glauben, von Gerechtigkeit 
aber, weil ich zu meinem Vater gehe und ihr mich nicht mehr 
sehet; von Gericht aber, weil der Fürst dieser Welt gerichtet 
ist" (Joh 16, 5). 
„Wenn ihr mich liebet, so haltet meine Gebote, und ich 
werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen 
Sachwalter geben, daß er bei euch sei in Ewigkeit, den Geist 
der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie 
ihn nicht sieht, noch ihn kennt. Ihr aber kennet ihn; denn er 
bleibt bei euch und wird in euch sein" (Joh 14, 15). 
Diese Stellen werden genügen, um die doppelte Tragweite 
der Gegenwart des Heiligen Geistes festzustellen. Wir begnügen uns mit diesen kurzen Hinweisen in der Erwartung, 
daß sie ein Ansporn zur vertiefenden persönlichen Betrachtung im Licht der Heiligen Schrift sein mögen, weil wir 
überzeugt sind, daß, je mehr der Gläubige in diese Wahrheit 
eindringt, er desto mehr ihren Nutzen und ihre praktische 
Wichtigkeit fühlen wird. Wie betrübend ist es, daß so wenig 
verstanden wird, was die persönliche Gegenwart des Heiligen 
Geistes auf dieser Erde in sich schließt und welches die ernsten Folgen für die Welt und jeden unbekehrten Menschen, 
aber auch die unschätzbaren Resultate für die Versammlung 
und deren einzelne Glieder sind! 
O möchten doch die Gläubigen überall zu einem tiefen 
Verständnis dieser Zusammenhänge geleitet werden! Möchten sie doch erwägen, was Dieser in und bei ihnen wohnenden göttlichen Person gebührt, und aufrichtige Sorge tragen, 
den Heiligen Geist weder in ihrem persönlichen Wandel z u 
betrüben , noch in ihren öffentlichen Versammlungen 
auszulösche n ! 
Wir wollen uns nun mit dem eigentlichen Gegenstand unserer Betrachtung, der eben angedeuteten dritten Tatsache 
befassen, der Ankunft unseres Herrn und Heilandes Jesus 
Christus. Möge der Heilige Geist diese herrliche Wahrheit 
in lebendiger Kraft und Frische unseren Seelen offenbaren, 
damit wir in Wirklichkeit den Sohn Gottes aus dem Himmel 
erwarten. 
120 
1. Die Tatsache selbst 
Diese überaus herrliche Tatsache bezeugt die Heilige 
Schrift sehr bestimmt, indem sie klarstellt, daß unser Herr 
Jesus Christus zurückkehren, daß Er den Platz, den Er jetzt 
auf des Vaters Thron einnimmt, wieder verlassen und in den 
Wolken kommen wird, um die Seinen zu Sich zu nehmen; 
dann wird Er das Gericht über die Gottlosen ausüben und 
Sein eigenes Königreich aufrichten. 
Diese Tatsache ist im Neuen Testament ebenso klar und 
vollständig dargestellt, wie die bereits angeführten beiden 
ersten Ereignisse. Es ist ebenso sicher, daß der Sohn Gottes 
vom Himmel wiederkommen wird, wie es wahr ist, daß Er 
gen Himmel aufgefahren oder daß der Heilige Geist noch 
auf der Erde ist. Wer ein e dieser Wahrheiten annimmt, 
muß auch die anderen annehmen, und wer eine verwirft, muß 
alle verwerfen, weil sie genau eine und dieselbe Autorität 
zur Quelle haben. Sie stehen und fallen miteinander. Ist es 
wahr, daß der Sohn Gottes verworfen, ausgestoßen und gekreuzigt worden, daß Er gen Himmel gefahren ist und jetzt, 
gekrönt mit Ehre und Herrlichkeit, zur Rechten Gottes sitzt? 
Ist es wahr, daß der Heilige Geist, fünfzig Tage nach der 
Auferstehung des Herrn, auf diese Erde gekommen ist und 
noch hier wohnt? Ist dieses alles wahr? Sicher, so wahr wie 
Gottes Wort die Wahrheit ist. Dann ist es auch wahr, daß 
der Herr Jesus wiederkommen und Sein Königreich auf dieser Erde aufrichten, daß Er tatsächlich und persönlich vom 
Himmel herniederkommen und von einem Ende der Erde bis 
zum anderen herrschen wird. 
Es mag befremden, daß wir uns mit einer einfachen, bekannten Wahrheit so elementar befassen; wir gehen aber bewußt davon aus, daß dem Leser diese Wahrheit von der 
Wiederkunft des Herrn noch ganz unbekannt, oder doch 
zweifelhaft sei und beweisen sie deshalb an Hand der Schrift. 
Als unser anbetungswürdiger Herr im Begriff war, Seine 
Jünger zu verlassen, suchte Er in Seiner unendlichen Gnade 
ihre bekümmerten Herzen mit Worten zärtlicher Liebe zu 
trösten. „Euer Herz werde nicht bestürzt. Ihr glaubet an Gott, 
glaubet auch an mich. In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, würde ich es euch 
gesagt haben; denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so 
121 
komm e ic h wiede r und werde euch zu mir nehmen, 
auf daß, wo ich bin, auch ihr seid" (Joh 14, 1-3). 
Hier ist etwas ganz Bestimmtes, ebenso bestimmt, wie erfreuend und tröstlich. „Ich komme wieder". Er sagt nicht: 
„Ich werde zu euch senden", auch nicht: „Ihr werdet, wenn 
ihr sterbet, zu mir kommen". Nichts von alledem. Die Sendung eines Engels oder einer Legion von Engeln und Seine 
eigene persönliche Wiederkunft sind zwei ganz verschiedene 
Handlungen. Ohne Zweifel wäre es gnädig von Ihm und 
sehr herrlich für uns, wenn wir von himmlischen Heerscharen 
auf feurigen Wagen und Rossen gen Himmel entrückt würden; aber das wäre nicht die Erfüllung Seiner eigenen köstlichen Verheißung. Sicher aber wird Er erfüllen, was Er verheißen hat. Seine Worte und Seine Handlungen werden stets 
in Obereinstimmung sein. Er kann nicht lügen oder Sein 
Wort verändern. Zudem würde es auch der Liebe Seines 
Herzens nicht genügen, einen Engel oder Scharen von Engeln 
zu senden, um uns Ihm zuzuführen. Er wil l Selbs t 
kommen . 
Welche Gnade erblicken wir darin! Wenn ich einen teuren, 
hochgeschätzten Freund mit der Eisenbahn erwarte, so wird 
es mir nicht genügen, ihm einen Diener oder einen leeren 
Wagen entgegenzuschicken, sondern ich werde ihm selbst 
entgegengehen. Und das ist es, was der Herr Jesus zu tun 
beabsichtigt. Er ist in die Himmel eingegangen, und Sein 
Eingang bereitet und sichert dort den Platz der Seinen. In 
den vielen Wohnungen im Hause Seines Vaters würde für 
uns keine Stätte zu finden sein, wenn Jesus nicht vorher eingegangen wäre. Um nun bei dem Gedanken an den Eingang 
zu dieser erhabenen Stätte kein Gefühl von Schüchternheit 
in unseren Herzen aufkommen zu lassen, sagt Er in zarter 
Liebe: „Ich komme wieder und will euch zu mir nehmen, auf 
daß, wo ich bin, auch ihr seid". Nur so wird Er diese herrliche Verheißung erfüllen und Sein liebendes Herz befriedigen. 
Diese Verheißung aber steht durchaus nicht in Beziehung 
zu dem Tode des Gläubigen. Es ist unvorstellbar, daß unser 
Herr mit den Worten: „Ich komme wieder!" gemeint haben 
könnte, wir sollten durch den Tod zu Ihm gelangen. Zu dem 
Räuber am Kreuz sagt z. B. unser Herr nicht, daß Er ihn holen werde, sondern Er verheißt: „Heute wirst du mit mir im 
Paradiese sein". Wir müssen uns erinnern, daß die Heilige 
Schrift ebenso göttlich bestimmt, wie göttlich eingegeben ist. 
122 
Seine eindeutige köstliche Aussage läßt eine solche Auslegung nicht zu. Das Kommen des Herrn und der Heimgang 
der Gläubigen werden in der Schrift sehr klar unterschieden. 
Im übrigen finden sich im ganzen Neuen Testament nur 
vier Stellen, welche auf den Heimgang der Gläubigen durch 
den Tod anspielen. Es sind dies 1.) die bereits angeführten 
Worte: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein" (Luk 
23, 43); 2.) „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!" Apg 7, 
59); 3.) „Ausheimisch von dem Leibe und einheimisch bei 
dem Herrn" (2. Kor 5, 8); und 4.) „Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein, denn es ist weit besser" (Phil 
1, 23). 
Diese vier Stellen schließen das ganze Zeugnis der Heiligen 
Schrift zu der wichtigen Frage über den Zustand außer dem 
Leibe in sich. Es gibt in der Offenbarung noch ein Stelle, die 
jedoch nicht selten falsch angewandt wird. „Glückselig die 
Toten, die im Herrn sterben, von nu n an! Ja, spricht der 
Geist, auf daß sie ruhen von ihren Arbeiten, denn ihre Werke folgen ihnen nach". Aber diese Stelle kann nicht auf die 
Gläubigen unserer Tage angewandt werden, obwohl ohne 
Zweifel alle, die im Herrn sterben, glückselig sein und ihre 
Werke ihnen nachfolgen werden. Sie bezieht sich vielmehr 
auf eine zukünftige Zeit, wenn die Versammlung diese Erde 
verlassen haben wird und andere Zeugen erschienen sind; 
das muß wohl beachtet werden, wenn man eine Verwirrung 
vermeiden will. 
Setzen wir nun unsere Beweisführung mit einer Schriftstelle fort, die sich auf die Himmelfahrt des Herrn angesichts 
Seiner heiligen Apostel bezieht: „Und wie sie unverwandt 
gen Himmel schauten, als er auffuhr, siehe, da standen zwei 
Männer in weißem Kleide bei ihnen, welche auch sprachen: 
Männer von Galiläa, was stehet ihr und sehet hinauf gen 
Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel 
aufgenommen worden ist, wird als o kommen, wi e ihr ihn 
habt hingehen sehen in den Himmel". 
Das ist äußerst wichtig und liefert den schlagendsten Beweis für unsere Behauptung. Es ist unmöglich, der Kraft 
dieses Beweises auszuweichen. In diesem Zeugnis der himmlischen Boten erblicken wir eine liebliche Fülle, eine göttliche 
Vollkommenheit. Es besagt, daß derselbe Jesus, Der diese 
Erde verlassen hat und in Gegenwart einer großen Zahl von 
Zeugen gen Himmel gefahren ist, in derselbe n Weise , 
wie sie Ihn haben auffahren sehen, wiederkommen wird. 
123 
Wie ist Er aufgefahren? — In buchstäblichem Sinne, tatsächlich, persönlich. Derselbe, Der soeben noch so vertraulich mit 
ihnen verkehrt hatte, Den sie mit ihren Augen gesehen, mit 
ihren Ohren gehört, mit ihren Händen betastet hatten, Der 
in ihrer Gegenwart gegessen und „sich auch nach seinem 
Leiden in vielen sicheren Kennzeichen dargestellt hatte" 
(Apg 1, 3) - Derselbe „wird also kommen, wie ihr ihn habt 
hingehen sehen". 
Und hier — obwohl wir in einem späteren Abschnitt darauf zurückzukommen gedenken — möchten wir fragen: Wer 
sah den Herrn bei Seiner Himmelfahrt? Sah Ihn die Welt? 
— Nein. Von dem Augenblick an, wo Er ins Grab gelegt 
worden war, vermochte Ihn das Auge eines unbekehrten, 
ungläubigen Menschen nicht mehr zu erblicken. Der letzte 
Anblick, den die Welt von Jesus hatte, war, als Er am Kreuze hing — ein Schauspiel den Menschen, den Engeln und den 
Teufeln. Der nächste Anblick, den sie von Ihm haben wird, 
wird dann sein, wenn Er gleich dem Blitzstrahl erscheint, um 
Gericht auszuüben und in furchtbarer Rache die Kelter des 
Zornes des allmächtigen Gottes zu treten. Welch ein furchtbarer Gedanke! 
Niemand außer den Seinen sah den Erlöser zum Himmel 
auffahren, sowie auch nur sie es waren, die Ihn nach Seiner 
Auferstehung gesehen hatten. Er zeigte Sich — gepriesen sei 
Sein Name! — denen, die Seinem Herzen teuer waren. Er vergewisserte und befestigte, stärkte und ermutigte ihre Herzen 
durch jene „vielen sicheren Kennzeichen", wie sich der inspirierte Schreiber ausdrückt. Er führte sie bis an die Grenzen 
der unsichtbaren Welt, und zwar so weit, als Menschen in 
diesem Leib zu gehen vermögen, und hier erlaubte Er ihnen, 
Ihn zum Himmel auffahren zu sehen. Und während sie noch 
voll Staunen emporschauen, sendet Er ihren Herzen das 
köstliche Zeugnis: „Dieser Jesus" — kein anderer, kein Fremder, sondern derselbe liebende, gütige, unveränderliche Freund 
— „dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird also kommen, wie ihr ihn habt 
hingehen sehen in den Himmel". 
Ist ein bestimmteres und befriedigenderes Zeugnis möglich? Könnte ein Beweis klarer und eindeutiger sein? Wie 
könnte ein Gegenbeweis erhoben oder eine Einwendung gemacht werden? Entweder waren diese beiden Männer in weissen Kleidern falsche Zeugen oder Jesus wird in derselben 
Weise wiederkommen, wie Er hingegangen ist. Es gibt kei124 
nen Mittelweg zwischen diesen Folgerungen. Wir lesen in der 
Schrift, daß „aus dem Munde zweier oder dreier Zeugen 
jede Sache bestätigt sei" und darum haben zwei himmlische 
Boten, zwei Herolde aus der Region des Lichts und der Wahrheit, die Tatsache bestätigt, daß unser Herr Jesus Christus 
in wirklicher, leiblicher Gestalt zuerst von den Seinen geschaut werden wird, und zwar in der heiligen Vertrautheit 
und Zurückgezogenheit, welche Seinen Weggang aus dieser 
Welt kennzeichnete. Alles das ist in den Worten zusammengefaßt: „Er wird als o kommen, w i e er aufgefahren ist". 
Wir können in diesem Rahmen nicht alle einschlägigen 
Beweise anführen, die sich in den Schriften des Neuen Testaments vorfinden. Wir haben einen dieser Beweise aus den 
Evangelien, einen anderen aus der Apostelgeschichte geschöpft, und wir fügen einen dritten aus den Episteln hinzu, 
und zwar aus dem ersten Brief an die Thessalonicher. Wir 
wählen diesen Brief, weil er als das erste Schreiben des Apostels Paulus anerkannt und weil er an eine Versammlung von 
Neubekehrten geschrieben ist. Damit wird zugleich die Behauptung widerlegt, es sei nicht angebracht, jungen Gläubigen die Lehre von der Ankunft des Herrn vorzustellen. Es 
ist sehr bezeichnend, daß kein Schreiben des Apostels Paulus 
so viel von der Ankunft des Herrn enthält, wie gerade dieser 
an die kurz zuvor erst bekehrten Thessalonicher gerichtete 
Brief. Es unterliegt keinem Zweifel, daß wenn eine Seele 
bekehrt und in das Licht und die Freiheit des Evangeliums 
von Christo gebracht worden ist, es ihrer göttlichen Natur 
entspricht, den Herrn aus dem Himmel zu erwarten. Diese 
höchst kostbare Wahrheit ist ein unantastbares Kernstück des 
Evangeliums. Das erste Hiersein Christi und Sein Wiederkommen sind in der gesegnetsten Weise durch das Band des 
Heiligen Geistes in der Versammlung miteinander verbunden. 
Wo jedoch die Seele nicht in der Gnade befestigt ist, wo 
Friede und Freiheit nicht genossen werden, wo nur ein unvollkommenes Evangelium gepredigt worden ist, dort wird 
in der Regel auch die Hoffnung auf die Ankunft des Herrn 
nicht genährt, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die 
Seele notwendigerweise mit ihrem eigenen Zustand und 
ihren eigenen Bedürfnissen beschäftigt ist. Wenn ich meiner 
Errettung nicht gewiß, wenn ich des Besitzes des ewigen Lebens nicht versichert bin und mir das Bewußtsein fehlt, ein 
Kind Gottes zu sein, dann kann ich unmöglich die Ankunft 
des Herrn eiwarten. Nur weT klar erfaßt hat, was Jesus für 
125 
ihn getan hat, als Er auf dieser Erde war, kann mit freudigem 
und heiligem Verständnis dem Herrn entgegensehen. 
Paulus schreibt in diesem Brief: „Denn unser Evangelium 
war nicht bei euch im Worte allein, sondern auch in Kraft 
und im Heiligen Geiste und in großer Gewißheit, so daß ihr 
allen Gläubigen in Macedonien und in Achaja zu Vorbildern 
geworden seid. Denn von euch aus ist das Wort des Herrn 
erschollen, nicht allein in Macedonien und in Achaja, sondern 
an jedem Orte ist euer Glaube an Gott ausgebreitet worden 
so daß wir nicht nötig haben, etwas zu sagen. Denn sie 
selbst verkünden von uns, welchen Eingang wir bei euch hatten, und wie ihr euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt habt, dem lebendigen und wahren Gott zu dienen, und 
seine n Soh n au s de n Himmel n z u erwarten , 
den er aus den Toten auferweckt hat — Jesum, der uns errettet von dem kommenden Zorn" (Kap. 1. 5-8). 
Das ist ein schönes Gemälde von der Wirkung eines völligen, klaren Evangeliums, aufgenommen mit einfachem, ernstem Glauben. Die Thessalonicher hatten sich von den Götzenbildern abgewandt, um dem lebendigen und wahren Gott 
zu dienen und Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten. 
Ihre Herzen waren in der Tat auf die herrliche Hoffnung 
der Ankunft Christi gerichtet. Sie bildete keinen getrennten 
Teil von dem Evangelium, das Paulus predigte, und mithin 
auch keinen getrennten Teil ihres Glaubens. Hatten sie sich 
in Wirklichkeit von den Götzen abgewandt? Gewiß. Trachteten sie in Wahrheit danach, dem Herrn zu dienen? Ohne 
Zweifel. Nun, dann war ihr Warten auf den Sohn Gottes 
aus den Himmeln ebenso bestimmt, ebenso einfach. Wenn 
wir die Wirklichkeit in dieser Beziehung in Frage stellen, so 
ist sie auch in jeder anderen Beziehung fragwürdig, weil alles 
miteinander verbunden ist und, sozusagen, einen herrlichen 
Strauß der praktischen christlichen Wahrheit bildet. Wer 
einen Christen aus Thessalonisch nach seinen Erwartungen 
gefragt hätte, würde er wohl zur Antwort erhalten haben: 
„Ich erwarte eine Veredelung der Welt durch die Predigt des 
Evangeliums, das ich empfangen habe". Oder: „Ich erwarte 
die Stunde meines Todes, um bei dem Herrn Jesu zu sein". 
O nein; es hätte nur eine Antwort gegeben: „Ich erwarte den 
Sohn Gottes aus den Himmeln". 
Das und nichts anderes ist die wahre Hoffnung des Christen und der Versammlung. Die Verbesserung oder Veredelung der Welt zu erwarten, ist ebensowenig eine christliche 
126 
Hoffnung, wie mit der Vervollkommnung des Fleisches zu 
rechnen; denn das eine wie das andere ist gleich aussichtslos. 
Und der Tod des Gläubigen wird, obwohl er eintreten kann, 
auch nicht ein einziges Mal als die wahre und richtige 
Hoffnung des Christen bezeichnet. Wir können mit der 
größten Kühnheit behaupten, daß es keine Stelle im Neuen 
Testament gibt, die von dem Tode als der Hoffnung des 
Gläubigen spricht, während andrerseits die Erwartung der 
Ankunft des Herrn mit allen Angelegenheiten und Verhältnissen des Lebens in der engsten Weise verknüpft ist, wie 
wir auch aus der in Rede stehenden Epistel ersehen können. 
Wenn der Apostel z. B. seine eigene persönliche Verbindung 
mit den geliebten Heiligen aus Thessalonich bezeichnen will, 
so sagt er: „Denn wer ist unsere Hoffnung oder Freude 
oder Krone des Ruhmes? Nicht auch ihr vor unserem Herrn 
Jesu be i seine r Ankunft ? Denn ihr seid unsere Herrlichkeit und Freude" (Kap. 2, 19. 20). Und wenn er an ihre 
Fortschritte in der Heiligkeit und in der liebe denkt, so sagt 
er: „Euch aber mache der Herr völlig und überströmend in 
der Liebe gegeneinander und gegen alle (gleichwie auch wir 
gegen euch sind), um eure Herzen tadellos in Heiligkeit zu 
befestigen vor unserem Gott und Vater, bei der Ankunf t 
unsere s Herr n jesu s mit allen seinen Heiligen" (Kap. 
3, 12. 13). Und in welcher Weise endlich tröstet der Apostel 
die Herzen der Brüder im Blick auf die, welche schon entschlafen waren? Sagt er ihnen etwa, daß sie den Entschlafenen bald folgen würden? O nein; das würde sie in die alttestamentlichen Zeiten zurückversetzt haben, wo David von 
seinem entschlafenen Kinde sagt: „Ich werde zu ihm gehen; 
aber es wird nicht zu mir zurückkehren" (2. Sam 12, 23). So 
belehrt uns der Heilige Geist in der Epistel an die Thessalonicher nicht; Er sagt im Gegenteil: „Wir wollen aber nicht, 
Brüder, daß ihr, was die Entschlafenen betrifft, unkundig 
seid, auf daß ihr euch nicht betrübet, wie auch die übrigen, 
die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, daß 
Jesus gestorben und auferstanden ist, also wird auch Gott 
die durch Jesum Entschlafenen mit ihm bringen. Denn dieses 
sagen wir euch im Worte des Herrn, daß wir , di e Le -
benden , die übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, den 
Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der 
Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen 
vom Himmel, und die Toten in Christo werden zuerst aufer127 
stehen; danach werden wir , di e Lebenden , die übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken 
dem Herrn entgegen in die Luft; und also werden wir allezeit bei dem Herrn sein. So ermuntert nun einander mit 
diesen Worten" (Kap. 4, 13-18). 
Unmöglich könnte ein Beweis einfacher, eindeutiger und 
entscheidender sein. Die Gläubigen in Thessalonich waren, 
wie bereits angedeutet, zu der Erwartung der Ankunft des 
Herrn geleitet und wurden unterwiesen, Ihn täglich zu erwarten. Ihr Christentum umschloß ebensowohl den Glauben, 
daß Er wiederkommen werde , wie die Überzeugung, daß 
Er gekommen und wieder hingegangen war . Das war die 
Ursache, weshalb sie, als etliche aus ihrer Mitte ganz gegen 
ihre Erwartung durch den Tod abberufen wurden, in Verwirrung gerieten, indem sie befürchteten, daß die Entschlafenen der Freude des gesegneten und sehnlichst erwarteten 
Augenblicks der Ankunft des Herrn verlustig gehen würden. 
Diesem Irrtum nun tritt der Apostel in seinem Briefe entgegen, indem er einen neuen, tiefgreifenden Einblick in die 
Zusammenhänge vermittelt und insbesondere klarstellt, daß 
die Entschlafenen in Christo — d. h. alle, die entschlafen 
sind oder entschlafen werden, und zwar aus der Zeit des 
Alten und des Neuen Testaments — zuerst, mithin vor der 
Verwandlung der übriggebliebenen Lebenden, auferstehen 
und mit diesen gemeinschaftlich auffahren werden, ihrem 
Herrn entgegen in die Luft. 
Wir werden in anderer Verbindung auf diese beachtenswerte Stelle zurückkommen. Hier ist sie als einer der vielen 
Beweise für die Tatsache zitiert, daß unser Herr Jesus persönlich, wirklich und tatsächlich wiederkommen wird und 
daß Sein Kommen die währe und richtige Hoffnung der Versammlung insgesamt und jedes einzelnen Gläubigen insonderheit ist. 
Wir schließen diesen Abschnitt, indem wir den Leser erinnern, daß er sich nicht an den Tisch des Herrn setzen 
kann, ohne an diese herrliche Hoffnung erinnert zu werden, 
solange in der Heiligen Schrift die Worte stehen: „Denn so 
oft ihr dieses Brot esset und den Kelch trinket, verkündigt 
ihr den Tod des Herrn, bis er kommt" (1. Kor 11, 26). Es 
heißt nicht: ".. . bis ihr sterbet", sondern: „ . . .bis er 
kommt". Wie köstlich! Der Tisch des Herrn steht zwischen 
diesen beiden bewundernswürdigen Epochen — dem Kreuze 
und der Wiederkunft, dem Tode und der Herrlichkeit. Der 
128 
Gläubige kann von dem Tische emporschauen und sehen, wie 
die Strahlen der Herrlichkeit den Horizont vergolden. Wenn 
wir am Tische des Herrn zusammenkommen, ist es unser Vorrecht, den Tod des Herrn verkündigen und sagen zu können: 
„Vielleicht ist das die letzte Gelegenheit, dieses herrliche Fest 
zu feiern; denn bevor der nächste Sonntag oder erste Tag 
der Woche anbricht, mag der Herr schon gekommen sein". 
Nochmals rufen wir aus: Wie köstlich! 
2. Die doppelte Tragweite 
dieser Tatsache 
Nach der Betrachtung über die Tatsache der Ankunft des 
Herrn soll nun die doppelte Tragweite dieser Tatsache — 
einerseits für die Kinder Gottes, andererseits für die Kinder 
dieser Welt — behandelt werden. Die erste Wiederkunft 
Christi geschieht zur Aufnahme der Seinen und darüber berichtet das Neue Testament; die zweite wird mit dem im 
Alten Testament oft gebrauchten Ausdruck „der Tag des 
Herrn" bezeichnet. 
Beide sind, wie wir noch sehen werden, in der Heiligen 
Schrift scharf auseinandergehalten. Leider werden sie dennoch 
von vielen Christen verwechselt, und daher kommt es, daß 
wir unsere herrliche Hoffnung so oft mit schweren Wolken 
umhüllt und mit Vorstellungen von Schrecken, Zorn und 
Gericht begleitet finden, die doch keineswegs mit der An -
kunf t Christ i zur Aufnahme der Seinen, wohl aber 
mit dem Tag e de s Herr n verbunden sind. 
Der Gläubige sollte sich, gestützt auf die Autorität der 
Heiligen Schrift, ein für alle Mal bewußt und sicher sein, 
daß die große, ihm gehörende Hoffnung, die er stets hegen 
und pflegen sollte, die Ankunft des Herrn für die Seinen 
ist. Wir haben nichts anderes mehr zu erwarten — weder 
Ereignisse, die vorher unter den Nationen stattfinden, noch 
Begebenheiten, die sich in der Geschichte des Volkes Israel 
oder in der Regierung Gottes bezüglich der Welt vollziehen 
müßten; nein, es gibt nichts, gar nichts, was in irgendeiner 
Form oder Gestalt zwischen das Herz des Gläubigen und 
seine himmlische Hoffnung treten darf. Christus kann für 
die Seinen noch in dieser Nacht kommen. Es steht Ihm nichts 
129 
im Wege. Niemand kann sagen, wan n Er kommen wird; 
aber wir können freudig feststellen, daß Er jeden Augenblick komme n kann . Und — gepriesen sei Sein Name! — 
diese Seine Ankunft wird nicht von Schrecken, Zorn und 
Gericht begleitet und nicht in Finsternis und Sturm eingehüllt sein; denn das sind die Begleitumstände des „Tages 
des Herrn", wie der Apostel Petrus den Juden in seiner ersten großen Predigt am Pfingsttage mitteilt, indem er die 
Worte der feierlichen Prophezeiung Joels anführt: „Und ich 
werde Wunder geben in dem Himmel oben, und Zeichen auf 
der Erde unten; Blut und Feuer und Rauchdampf. Die Sonne 
wird verwandelt werden in Finsternis und der Mond in Blut, 
ehe der große und herrliche Tag des Herrn kommt" (Apg 2, 
19. 20). Es heißt nicht „ . . . ehe der Herr zur Aufnahme 
der seinen", sondern: „ . . . ehe der Tag des Herrn kommt". 
Man beachte es wohl! 
Wenn der Herr zur Aufnahme der Seinen kommen wird, 
so wird Ihn, außer Seinem erlösten und erkauften Volke kein 
Auge sehen, und kein Ohr wird Seine Stimme vernehmen. 
Erinnern wir uns an die Worte der himmlischen Zeugen im 
ersten Kapitel der Apostelgeschichte. Wer sah den Herrn 
zum Himmel auffahren? Nur die Seinen. Nun, „Er wird also 
kommen, wie ihr ihn habt hingehen sehen". Wie Sein Hingang war, so wird Seine Wiederkunft sein. Eine Vermengung 
des „Tages des Herrn" mit der „Ankunft des Herrn" für 
Seine Versammlung ist eine Geringschätzung der klaren Lehre der Heiligen Schrift und für den Gläubigen eine Beraubung seiner ihm gehörenden glückseligen Hoffnung. 
In diesem Zusammenhang sei auf eine höchst wichtige und 
lehrreiche Stelle in der zweiten Epistel des Petrus verwiesen. 
„Denn wir haben euch die Macht und Ankunft unseres Herrn 
Jesus Christus nicht kundgetan, indem wir künstlich erdichteten Fabeln folgten, sondern als die da Augenzeugen seiner 
herrlichen Größe gewesen sind. Denn er empfing von Gott, 
dem Vater, Ehre und Herrlichkeit, als von der prachtvollen 
Herrlichkeit ein solche Stimme an ihn erging: Dieser ist mein 
geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe. 
Und diese Stimme hörten wir vom Himmel her erlassen, als 
wir mit ihm auf dem heiligen Berge waren. Und so besitzen 
wir das prophetische Wort befestigt, auf welches zu achten 
ihr wohltut, als auf eine Lampe, welche an einem dunklen 
Ort leuchtet bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen" (Kap. 1, 16-19). 
130 
Diese Stelle zeigt in sehr klarer Weise den Unterschied 
zwischen dem prophetischen Worte und dem „Morgenstern", 
der eigentlichen Hoffnung des Christen. Wir müssen uns 
erinnern, daß sich die Prophezeiung in erster Linie mit der 
Regierung Gottes über die Welt in Verbindung mit dem 
Samen Abrahams befaßt. „Als der Höchste den Nationen das 
Erbteil austeilte, als er voneinander schied die Menschenkinder, da stellte er fest die Grenzen der Völker nach der Zahl 
der Kinder Israel. Denn Jehovas Teil ist sein Volk, Jakob die 
Schnur seines Erbteils" (5. Mo 32, 8. 9). 
Da ist der Umfang und der Zweck der Prophezeiung; sie 
umfaßt Israel und die Nationen. Ein Kind vermag dies zu 
begreifen. Wenn wir die Propheten vom ersten Kapitel des 
Jesajas bis zum letzten Kapitel Maleachis durchlesen, so finden wir auch nicht ein einziges Wort über die Kirche oder 
Versammlung — über ihre Stellung, ihr Teil, ihre Hoffnung. 
Ohne allen Zweifel ist die Prophezeiung von hoher Wichtigkeit und großem Nutzen für den Gläubigen; aber er wird 
sie nur in dem Maße verstehen, wie er ihren eigentlichen 
Umfang und Zweck erfaßt, und er wird finden, daß sie zu 
seiner eigenen speziellen Hoffnung im Widerspruch steht. 
Wer hingegen den wahren Platz der Versammlung nicht 
kennt, vermag die Prophezeiungen des Alten Testaments unmöglich richtig zu deuten. 
Diesen Gedankengang abschließend, ermuntern wir den 
Leser, sich selbst von der Richtigkeit unserer Behauptung zu 
überzeugen, daß vom ersten bis zum letzten Blatt des Alten 
Testamentes hin die Versammlung Gottes, der Leib Christi, 
nicht mit einer Silbe erwähnt wird. Zwar sind Vorbilder, 
Schatten, Andeutungen darin enthalten, die wir schätzen, 
nachdem wir sie im Lichte des Neuen Testaments verstehen 
können. Aber für einen Gläubigen des Alten Testaments 
war es unmöglich, das große Geheimnis des Christus und 
der Versammlung zu erkennen, es war nicht geoffenbart. Der 
Apostel Paulus sagt ausdrücklich, daß es „verborgen" war, 
und zwar nicht in den Schriften des Alten Testaments, sondern, wie wir im dritten Kapitel des Epheserbriefes lesen, 
„in Gott". Paulus war dazu ausersehen, „den unausforschlichen Reichtum des Christus zu verkündigen und alle zu erleuchten, welches die Verwaltung des Geheimnisses sei, das 
von den Zeitaltern her verborge n wa r i n Gott , der 
alle Dinge geschaffen hat". Auch der Kolosserbrief bezeugt 
„das Geheimnis, das von den Zeitaltern und von den Ge131 
schlechtem her verborge n war, jetzt aber seinen Heiligen geoffenbart worden ist" (Kap. 1, 26). 
Diese beiden Stellen bestätigen überzeugend die Wahrheit 
unserer Behauptung für jeden, der sich der Autorität des 
Wortes Gottes unterwirft; sie belehren uns in der bestimmtesten Weise, daß das Geheimnis — Christus und die Versammlung — im Alten Testament nicht enthalten war. Wo 
finden wir im Alten Testament ein Wort über die Tatsache, 
daß Juden und Heiden eine n Leib bilden und durch den 
Heiligen Geist mit einem lebendigen Haupte verbunden 
werden sollten? Wie hätte dies auch geschehen können, solange noch die „Zwischenwand der Umzäunung" (Eph 2, 14. 
15) als ein unübersteigbares Hindernis zwischen der Beschneidung und der Vorhaut bestand. Der besondere Zug der 
alten Haushaltung war ja gerade die strengste Absonderung 
des Juden von dem Heiden, während besonderes Kennzeichen für die Versammlung oder die Christenheit engste 
Verbindung des Juden und des Heiden in eine m Leibe ist 
(Eph 3, 6). Diese beiden Zustände stehen also im grellsten 
Gegensatz zueinander, und es war gänzlich unmöglich, daß 
beide zu gleicher Zeit nebeneinander bestehen konnten. So 
lange die „Zwischenwand der Umzäunung" bestand, konnte 
die Wahrheit der Versammlung nicht geoffenbart werden; 
aber der Tod Christi hat diese Zwischenwand abgebrochen, 
und der Heilige Geist ist vom Himmel gekommen, um e i -
n e n Leib zu bilden und ihn durch Seine Gegenwart mit dem 
auferstandenen und verherrlichten Haupte zu vereinigen. Das 
ist das große Geheimnis des Christus und der Versammlung 
(Eph 5, 32), für welches es keine andere Grundlage geben 
konnte, als das vollbrachte Werk der Erlösung. 
Wir sind gut beraten, wenn wir selbst in der Schrift forschen, ob es sich also verhält. Das ist der einzige Weg, die 
Wahrheit kennenzulernen. Wir müssen unsere eigenen Gedanken, unsere Vorurteile und die uns so liebgewordenen 
Ansichten beiseitelegen und wie ein Kind die Heilige Schrift 
betrachten. Auf diese Weise werden wir die Gedanken Gottes über die Versammlung kennenlernen. Wir werden finden, 
daß die Versammlung Gottes, der Leib Christi, erst nach der 
Auferstehung und Himmelfahrt, sowie nach der notwendig 
darauf folgenden Ausgießung des Heiligen Geistes existent 
wurde und daß die Lehre in bezug auf die Versammlung 
erst in den Tagen des Apostels Paulus geoffenbart worden 
ist (vergl. Röm 16, 26; Eph 1-3; Kol 1, 25-29). Wir werden 
132 
auch erkennen, daß die Verwandlung oder Entrückung der 
Heiligen (1. Thess 4, 13-17) die beiden entgegengesetzten 
wirklichen und unverkennbaren Endpunkte der irdischen 
Geschichte der Versammlung sind. 
Auf diese Weise erreichen wir einen Standpunkt, von dem 
aus wir eine Aussicht auf die besondere Hoffnung der Versammlung gewinnen und diese Hoffnung ist: „der glänzende 
Morgenstern". Die Propheten des Alten Testaments berühren diese Hoffnung mit keiner Silbe. Sie reden klar und ausführlich von dem „Tage des Herrn", von dem Tage des Gerichts über die Welt und ihre Wege (siehe Jes 2, 12-22 und 
ähnliche Stellen); aber der „Tag des Herrn" mit all den ihn 
begleitenden Umständen des Zorns, des Gerichts und des 
Schreckens darf niemals verwechselt werden mit der „Ankunft 
des Herrn für die Seinen". Mit dieser Ankunft wird nichts 
Erschreckendes verbunden sein. Er wird in der ganzen Köstlichkeit und Anmut Seiner Liebe kommen, um Sein geliebtes, 
erkauftes Volk zu Sich aufzunehmen und die herrliche Geschichte Seiner Gnade zur Vollendung zu bringen. Christus 
wird zum zweiten Male, ohne Sünde denen erscheinen, die 
Ihn erwarten zur Seligkeit*) (Hebr 9, 28). Er wird als Bräutigam kommen, um die Braut zu empfangen, und wenn Er so 
kommt, werden nur die Seinen Sein Antlitz sehen und Seine 
Stimme hören. Wenn Er — und nichts könnte Ihn daran hindern — noch heute käme, wenn die Stimme des Erzengels 
und die Posaune Gottes noch heute vernommen würden, 
dann würden die in Christo Entschlafenen, alle die Heiligen 
Gottes der alt- und neutestamentlichen Zeiten, von ihrem 
Schlafe erwachen, die noch lebenden Heiligen in einem Nu 
verwandelt und alle zugleich aufgenommen und ihrem herniederfahrenden Herrn entgegengeführt werden, um mit Ihm 
in das Haus Seines Vaters einzutreten (Joh 14, 3; 1. Thess 
4, 16. 17; 1. Kor 15, 51. 52). 
*) Der Ausspruch: „ . . . denen, die ihn erwarten", bezieht sich auf alle Gläubigen 
und nicht etwa nur, auf solche, die die Wahrheit der Wiederkunft des Herrn festhalten. 
Sonst würde unser Platz mit Christo von unserer Erkenntnis abhängig sein, anstatt 
von unserer Vereinigung durch die Gegenwart und Macbt des heiligen GeiBtes. Der 
Geist Gottes setzt in der oben zitierten Stelle voraus, daß das Volk Gottes den Herrn 
in irgendeiner Weise erwarte. Und das geschieht in der Tat. Die Gläubigen mögen 
nicht alle die Einzelheiten kennen, mögen sich nicht einer gleichen Klarheit erfreuen 
und diese Wahrheit nicht in derselben Tiefe und Fülle erfassen; werden sich aber gewiß alle freuen, Ihn zu irgend einer Zeit zu sehen, Der sie liebt und Sich Selbst 
für sie hingegen hat. 
133 
Das ist es, was unter der Aufnahme oder Entrückung der 
Heiligen zu verstehen ist; es hat unmittelbar nichts mit den 
Juden oder den Nationen zu tun, sondern ist die bestimmte 
und einzigartige Hoffnung der Versammlung, eine Hoffnung, 
die im Alten Testament mit keiner Silbe erwähnt wird. Mit 
der Versammlung, ihrer Stellung und Berufung, ihres Teils 
und ihrer Hoffnung, befaßt sich allein das Neue Testament, 
vor allem Paulus in seinen Briefen. Eine Vermengung des 
prophetischen Wortes mit der Hoffnung der Versammlung 
ist eine Beeinträchtigung der Wahrheit Gottes, die dazu gereicht, die Seelen der Seinen irrezuführen. Leider ist es wahr, 
daß das dem Feind in der ganzen bekennenden Christenheit 
gelungen ist, und darin liegt die Ursache, daß so wenige 
Christen wirklich biblische Gedanken über die Ankunft des 
Herrn besitzen. Sie suchen in den Propheten nach der Hoffnung der Versammlung, verwechseln die „Sonne der Gerechtigkeit" mit dem „Morgenstern"; sie vermischen die Ankunft 
des Herrn fü r die Seinen und m i t den Seinen und stellen 
jene Ankunft Seiner „Erscheinung" oder „Offenbarung" 
gleich. 
Dies alles sind höchst beklagenswerte Irrtümer, vor denen 
wir warnen möchten. Wenn Christus m i t den Seinen 
kommt, wird jedes Auge Ihn schauen. Wenn Er offenbar 
werden wird, dann werden wir mit Ihm offenbar werden in 
Herrlichkeit (Kol 3, 4). Wenn Er zur Ausführung des Gerichts erscheint, dann werden Seine Heiligen mit Ihm erscheinen. „Siehe der Herr ist gekommen inmitten seiner heiligen 
Tausende, Gericht auszuführen" (Judas V. 14. 15). Deshalb 
folgen dem Reiter auf weißem Pferde die Kriegsheere im 
Himmel auf weißen Pferden, angetan mit weißer Leinwand 
(Offb 19, 11-15). Diese Heere aber sind keine Engel; denn 
wir lesen nicht, daß Engel mit „weißer Leinwand", in diesem 
Kapitel ausdrücklich als „die Gerechtigkeit der Heiligen" 
bezeichnet, bekleidet sind (V. 8). 
Die Tatsache nun, daß die Heiligen ihren Herrn auf Seinem 
Wege zum Gericht begleiten setzt voraus, daß sie vorher bei 
Ihm sein müssen. Ihr Hingang zu Ihm wird in dem Buche 
der Offenbarung nicht dargestellt, es sei denn, daß sie — 
woran wir nicht zweifeln — in der Entrückung des männlichen Kindes (Kap. 12) miteinbegriffen ist. Das „männliche 
Kind" ist ohne Zweifel Christus und da Christus und die 
Seinigen unzertrennlich in eins vereinigt sind, so sind sie 
auch — gepriesen sei Sein heiliger Name! — mit Ihm voll134 
ständig identifiziert. Es ist jedoch nicht der Zweck der Offenbarung, uns über die Ankunft Christi für die Seine n 
oder über ihre Entrückung zu Ihm und ihre Einkehr in das 
Haus des Vaters Mitteilungen zu machen. Diese gesegneten 
Ereignisse finden sich z. B. in Joh 14, 3; 1. Kor 15, 23. 51. 
52; 1. Thess 4, 14-17. Man betrachte diese drei Stellen und 
nehme diese kostbaren Wahrheiten in sich auf. Es finden sich 
darin weder Schwierigkeiten noch Unsicherheiten, weder Nebel noch Dunkelheiten. Ein Kind in Christo kann sie verstehen. Sie stellen uns in klarer und einfacher Weise die wahre 
christliche Hoffnung vor Augen und diese Hoffnung ist — 
wir wiederholen es mit Nachdruck und stellen es als die unmittelbare und bestimmte Lehre der Heiligen Schrift heraus — 
die Ankunft Christi, um die Seinen, alle die Seinen zu Sich 
aufzunehmen und sie mit Sich in das Haus Seines Vaters 
zu führen, wo sie mit Ihm weilen werden, während Gott in 
Seiner Regierung mit Israel und den Nationen handelt und 
durch Sein Gericht den Weg bereitet, um Seinen Erstgeborenen in die Welt einzuführen. 
Wenn jemand fragt, warum die Ankunft des Herrn für die 
Seinen in der Offenbarung nicht enthalten sei, so antworten 
wir: Darum, weil dieses Buch — wenigstens vom ersten bis 
zum zwanzigsten Kapitel — in hervorragender Weise ein der 
Regierung Gottes entsprechendes, gerichtliches Buch, also ein 
Buch des Gerichts ist. Denn selbst die Versammlung wird 
nicht, wie wir im zweiten und dritten Kapitel sehen, als der 
Leib oder als die Braut Christi, sondern vielmehr als der 
verantwortliche Zeuge auf der Erde betrachtet, dessen Zustand von Christo, der zwischen den Leuchtern wandelt, 
sorgfältig geprüft und streng gerichtet wird. Die Entrückung 
der Heiligen auch nur zu erwähnen, würde daher dem Zwekke und dem Charakter dieses Buches keineswegs entsprechen. 
Es zeigt uns die Versammlung im zweiten und dritten Kapitel unter dem, „was ist", in der Stellung der Verantwortlichkeit. Aber von da an bis zum 19. Kapitel ist die Versammlung auf der Erde mit keiner Silbe mehr erwähnt, weil sie 
während dieser ernsten Periode nicht mehr auf der Erde, 
sondern mit ihrem Haupte im Hause des Vaters sein wird. 
Die Erlösten werden (Kap. 4 und 5) in den vierundzwanzig 
gekrönten Ältesten im Himmel gesehen; dort werden sie 
sein, während die Siegel geöffnet, die Posaunen geblasen und 
die Schalen des Zornes ausgegossen werden. Wer die Versammlung in den bis zum achtzehnten Kapitel geschilderten 
135 
Geschehnissen auf der Erde wähnt, wer meint, sie sei unter 
die apokalytischen Gerichte gestellt, der „großen Trübsal'' 
unterworfen und der „Stunde der Versuchung, die über den 
ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, die 
auf der Erde wohnen — der verfälscht ihre Stellung, beraubt 
sie ihrer heiligen Vorrechte und widerspricht den klaren und 
unzweideutigen Verheißungen ihres Herrn*). 
Nein, mein geliebter Leser, laß dich durch niemanden in 
irgendeiner Weise täuschen. Im zweiten und dritten Kapitel 
sehen wir die Versammlung auf der Erde; aber im vierten 
und fünften Kapitel sehen wir sie mit den Heiligen des Alten Testaments im Himmel vereinigt. Es wird in diesem Buch 
nicht gesagt, wie sie dort hingekommen sind; aber wir sehen 
sie dort in inniger Gemeinschaft und Anbetung, bis der Reiter auf dem weißen Pferde m i t Seinen Heiligen erscheint 
(Kap. 19), um das Gericht über das Tier und den falschen 
Propheten auszuführen, um jeden Feind niederzuwerfen, 
jedes Übel zu beseitigen und während der gesegneten Periode von tausend Jahren über die Erde zu herrschen. 
Das ist die einfache Lehre des Neuen Testaments, und 
wenn wir mit allem Nachdruck behaupten, daß die Versammlung nicht in die „große Trübsal" und nicht in die 
„Stunde der Versuchung" kommen werde, so geht es nicht 
etwa darum, für den Christen einen bequemen Pfad ausfindig machen zu wollen. Das sei ferne. Es ist eine unumstößliche Wahrheit, daß die Trübsa l den wahren und normalen Zustand der Versammlung und mithin auch jedes einzelnen Gläubigen kennzeichnet. „In der Welt habt ihr Drangsal", und: „Wir rühmen uns auch der Trübsale" (Joh 16, 33; 
Röm 5, 3). Aber das ist nicht die in der Offenbarung bezeichnete, gerichtliche „große Trübsal". Es soll also keineswegs in Abrede gestellt werden, was, wenn wir dem Herrn 
treu sind, unser bestimmtes Teil in dieser Welt sein wird; 
es darf aber ebensowenig durch ein falsche Aussage die ganze Wahrheit der Stellung und Hoffnung der Versammlung 
in Frage gestellt werden. Aus diesem Grunde fordern wir 
jeden Leser dringend zu einer ernsten, mit Gebet begleiteten 
Prüfung und Forschung auf, der noch nicht zu dieser Klarheit gelangt ist. 
*) Wir werden später Gelegenheit finden, zu zeigen, dafi der Geist Gottes, nachdem 
die Versammlung aufgenommen ist, unter den Juden und Nationen wirken wird (siehe 
Offb 7). 
136 
Es ist die unverkennbare Absicht des Feindes, die Versammlung Gottes auf den minderen Standpunkt der Erde 
herabzuziehen, die Gläubigen in ihrer göttlich festgestellten 
Hoffnung irrezuführen, die Unterschiedlichkeit der göttlichen 
Verheißungen zu verwischen, und das Irdische hervorzuheben, daß sie schließlich die Ankunf t des Herrn für die 
Seinen mit Seiner Erscheinun g zum Gericht verwechseln und dadurch ihrer himmlischen Sehnsucht und Zuneigung, wie sie den Gliedern Seines Leibes geziemen, beraubt 
werden. Ja, es ist sein stetes Bestreben, ihre Blicke auf die 
kommenden irdischen Ereignisse zu lenken, um diese zwischen ihre Herzen und ihre herrliche Hoffnung zu schieben, 
damit sie nicht, wie Gott es wünscht, auf hohem Wartturm 
stehen und mit sehnsuchtsvollem Herzen der Erscheinung 
des „glänzenden Morgenstern" entgegenharren möchten. 
Der Feind weiß wohl, was er tut; aber auch wir sollten 
seine List kennen und uns der ernsten Erforschung des Wortes Gottes hingeben, um auf diesem Wege die „doppelte 
Tragweite der herrlichen Tatsache des Kommens unseres 
Herrn" kennenzulernen. 
137 
3. Die „Ankunft" und der „Tag" 
Die Thessalonicher wußten also um die gesegnete Hoffnung der Wiederkunft des Herrn. Sie wurden belehrt, Ihn 
von Tag zu Tag zu erwarten. Sie hatten diese Erwartung 
nicht nur als Lehre aufgenommen, sondern sie schauten, weil 
sie den Herrn liebten, beständig nach Seiner Ankunft aus. 
Dennoch hatten sie die Zusammenhänge nicht voll erfaßt. 
Manches war ihnen noch unklar. Der Apostel weilte nicht 
mehr unter ihnen — „dem Angesicht, nicht dem Herzen nach" 
(1. Thess 2, 17). Es war ihm vergönnt gewesen, lange genug 
bei ihnen zu bleiben und sie mit allen Einzelheiten des Gegenstandes ihrer Hoffnung bekanntzumachen. Sie wußten, 
daß Jesus aus den Himmeln zurückkehren werde, um sie von 
dem kommenden Zorn zu erretten; aber der Unterschied 
zwischen Seiner Ankunft fü r die Seinen und Sein Kommen m i t den Seinen — zwischen Seiner Ankunft und Seinem Tage — waren ihnen anfänglich noch unbekannt. Das 
war die Ursache, daß sie, wie man nicht anders erwarten 
konnte, in verschiedene Irrtümer und Mißverständnisse verfielen. Es ist beachtlich, wie schnell der menschliche Geist 
zur seltsamsten und größten Verwirrung und Verirrung 
fortgerissen werden kann. Wie sehr bedürfen wir in jeder 
Beziehung der Bewahrung durch die reine, unerschütterliche 
und alles entscheidende Wahrheit Gottes! Wir müssen unsere 
Seelen durch die göttliche Offenbarung beständig im Gleichgewicht erhalten; sonst fallen wir sicher in alle Spielarten 
falscher und törichter Meinungen. So hatte ein Teil der Thessalonicher der Idee Raum gegeben, es sei angebracht, die 
berufliche Tätigkeit aufzugeben. Sie hörten auf, mit ihren 
Händen zu arbeiten und liefen müßig umher. 
Das war ein großer Irrtum. Selbst wenn wir völlig gewiß 
wären, daß der Herr in der nächsten Nacht kommen werde, 
so würde das sicher kein Grund sein, unsere tagtäglichen 
Pflichten nicht treu und fleißig zu erfüllen und etwas zu unterlassen, was uns in der besonderen Sphäre zu tun obliegt, 
in welche Seine gütige Hand uns gestellt hat. Im Gegenteil 
sollte gerade die Tatsache der Erwartung des Herrn den 
Wunsch in uns verstärken, bis zu dem Augenblick Seiner 
Ankunft alles, wie es sein sollte, getan zu haben, damit auch 
nicht eine einzige an uns gestellte gerechte Forderung ver138 
nachlässigt worden sei. Die Hoffnung der baldigen Wiederkehr des Herrn übt, wenn die Seele sie in Kraft besitzt, einen heiligenden, reinigenden und alles ordnenden Einfluß 
auf unser christliches Leben und Betragen und auf unseren 
Charakter aus. Ach! wir wissen wohl, daß die herrlichste 
Wahrheit mit dem Verstand erfaßt und geläufig mit der 
Zunge bekannt werden kann, während das Herz und das 
Leben, die Gewohnheiten, das Betragen und der Charakter 
dabei gänzlich unberührt bleiben. Der Apostel Johannes gibt 
uns mit Nachdruck die Belehrung: „Jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, gleichwie er rein ist" 
(1. Joh 3, 3), und sicher schließt dieses „Reinigen" alles in 
sich, was sich auf unser praktisches, tagtägliches Leben bezieht. 
Es gab aber noch eine andere Verirrung, in die die Thessalonicher verfielen und aus der sie der gesegnete Apostel, 
gleich einem wahren und treuen Hirten, zu befreien suchte. 
Sie stellten sich vor, daß die entschlafenen Gläubigen an der 
Freude der Wiederkunft des Herrn keinen Anteil haben würden. Sie fürchteten, daß diese den Genuß dieses herrlichen 
und so lange ersehnten Augenblicks entbehren müßten. Dieser Irrtum liefert zwar den Beweis, wie lebhaft diese Gläubigen ihre gesegnete Hoffnung verwirklichten, aber er mußte — eben weil es ein Irrtum war — berichtigt werden. Betrachten wir sorgfältig, wie dies geschah. „Wir wollen aber 
nicht, Brüder, daß ihr, was die Entschlafenen betrifft, unkundig seid, auf daß ihr euch nicht betrübet, wie auch die 
übrigen, die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, daß Jesus gestorben und auferstanden ist, also wird 
auch Gott die durch Jesum Entschlafenen mit ihm bringen" 
(1. Thess 4, 13. 14). 
Wir sehen hier, daß der Apostel die trauernden Freunde 
nicht mit der Versicherung zu trösten sucht, daß sie bald 
den Heimgegangenen folgen würden; im Gegenteil versichert er sie, daß der Herr Jesus die Entschlafenen mit Sich 
bringen werde. Das ist klar, bestimmt und auf die große 
Tatsache gegründet, daß „Jesus für uns gestorben und auferstanden ist". Doch der Apostel bleibt dabei nicht stehen, 
sondern belehrt seine Kinder im Glauben durch neue zusätzliche Erkenntnisse. „Denn dieses sagen wir euch im Worte 
des Herrn, daß wir, die Lebenden, die übrigbleiben bis zur 
Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird mit gebieten139 
dem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der 
Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel, und die 
Toten in Christo werden zuerst auferstehen; danach werden 
wir, die Lebenden, die übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; 
und also werden wir allezeit bei dem Herrn sein. So ermuntert nun einander mit diesen Worten" (1. Thess 4, 15-18). 
Das also ist jenes große Ereignis, welches wir die Entrükkung der Heiligen zu nennen pflegen — in der Tat ein herrlicher, ermunternder und erfreulicher Vorgang — die glänzendste Hoffnung der Versammlung Gottes und mithin jedes 
einzelnen Gläubigen. Der Herr Selbst wird vom Himmel herniederkommen mit einem machtvollen Zuspruch, der nur 
für die Ohren und Herzen der Seinen bestimmt ist. Kein 
unbeschnittenes Ohr wird diese himmlische Stimme vernehmen, kein nicht wiedergeborenes Herz durch diesen göttlichen Posaunenschall bewegt werden. Die Toten in Christo — 
die Heiligen des Alten und des Neuen Testaments, die im 
Glauben an Christum dahingeschieden sind — werden die 
mächtige Stimme hören und aus ihren Gräbern hervorkommen, und auch die lebenden Heiligen werden sie vernehmen und in einem Nu verwandelt werden. Und welch eine 
Veränderung! Der arme Leib der Niedrigkeit wird umgestaltet werden zur Gleichförmigkeit Seines Leibes der Herrlichkeit. 
Schaut dort jene gebeugte und abgezehrte Gestalt, jenen 
durch Schmerzen und jahrelange Leiden erschöpften Leib! 
Es ist der Leib eines Heiligen. Wie demütigend! Doch gedulde dich eine kleine Weile! Wenn die Posaune erschallt, 
wird alsbald die gebeugte und hinwelkende Gestalt verwandelt und dem verherrlichten Leibe unseres herniedersteigenden Herrn gleichförmig sein. Und schau dort, ein armer 
Geisteskranker, der seit Jahren in jenem Asyl umherschleicht! Er ist ein Heiliger Gottes. Wunderbar! Unmöglich 
können wir es erfassen; es übersteigt unser Verständnis. 
Dennoch ist dieser Geisteskranke ein Erbe der Herrlichkeit. 
Auch er wird die Stimme des Erzengels, die Posaune Gottes 
vernehmen und die Störungen seines Geistes für immer zurücklassen, während er in einem verherrlichten Leibe mit 
seinem Herrn dem Vaterhause entgegeneilt. 
Welch ein glanzvoller Augenblick! Wie herrlich ist der 
Gedanke an jene Tausende und aber Tausende, die dem 
Herrn entgegengerückt werden! Welch eine. Freude, in ih140 
rer Mitte zu sein. Wie selig ist die Hoffnung, Ihn zu schauen, „der uns geliebt und sich selbst für uns dahingegeben 
hat!" Das ist die Hoffnung des Christen — eine Hoffnung, 
von der sich im Alten Testament auch nicht eine Spur finden läßt. Das prophetische Wort ist von großer Wichtigkeit, 
und wir tun wohl, darauf zu achten. Es ist für die, welche 
sich an einem dunklen Ort befinden, eine höchst schätzbare 
Wohltat, wenn sie eine hellscheinende Lampe besitzen, die 
ihr Licht in die Finsternis hineinstrahlen läßt; aber der 
Christ muß den „in seinem Herzen aufgehenden Morgenstern" haben, d. h. sein ganzes Herz muß von der Hoffnung 
beherrscht sein, Jesum als den glänzenden Morgenstern zu 
sehen. Nur so kann er das ganze Feld der Prophezeiung, wie 
Gott es dem Auge gnädiglich geöffnet hat, überschauen und 
nutzbringend deuten, wenn er die Versammlung und ihre 
Hoffnung in den Prophezeiungen sucht. Er wird darin „Israel" und die „Nationen" finden, nicht aber die Versammlung 
Gottes. Diese Wahrheit sollte sich jeder Christ zunutze 
machen; denn sie ist höchst bedeutsam. 
Nun könnte vielleicht jemand fragen: „Wozu denn das 
prophetische Wort? Welchen Nutzen hat es für den Christen, wenn sich nichts über die Versammlung darin findet? 
Warum werden wir aufgefordert, darauf zu achten, wenn 
uns sein Inhalt nicht unmittelbar berührt?" Wir erwidern: 
Hat nur das einen Wert für uns, was uns direkt angeht? Ist 
es uns gleichgültig, daß uns Gott einen Einblick in Seine 
Ratschlüsse, Absichten und Pläne gewährt? Achten wir das 
Vorrecht gering, die Gedanken Gottes in Seinem heiligen 
Wort der Prophezeiung aufgezeichnet zu finden? Abraham 
betrachtete die göttlichen Offenbarungen (1. Mo 18) sicher 
nicht mit Geringschätzung: „Und Jehova sprach: Soll ich vor 
Abraham verbergen, was ich tun will?" Und was beabsichtigt Gott zu tun? Etwas, das Abraham unmittelbar betraf? 
Keineswegs. Es handelte sich um Sodom und die umliegenden 
Städte und Abraham hatte dort nichts zu verlieren oder zu 
gewinnen. Aber vermindert dies sein Interesse an der göttlichen Mitteilung? O nein, gewiß wird er diesen Beweis der 
besonderen Gunst, mit den Gedanken Gottes betraut zu werden, hoch eingeschätzt haben. 
Und sollten nicht auch wir mit dem größten Interesse die 
Prophezeiungen untersuchen, die vor unseren Blicken mit 
göttlicher Bestimmtheit enthüllen, was Gott auf dieser Erde 
mit Israel und den Nationen zu tun beabsichtigt? Die Pro141 
phezeiung ist die Geschichte Gottes in der Zukunft, und in 
demselben Verhältnis wie wir Gott lieben, wird es uns auch 
eine Freude sein, diese Geschichte zu betrachten, und zwar 
nicht, wie behauptet worden ist, damit wir deren Wahrheitsgehalt an ihrer Erfüllung messen, sondern damit wir uns 
jene völlige, göttliche Gewißheit über die Zukunft aneignen, 
die das Wort Gottes allein zu vermitteln vermag. Nach dem 
Urteil des Glaubens könnte nichts widersinniger sein, als 
die Einstellung, daß man auf die Erfüllung einer Prophezeiung warten müsse, um von deren Wahrheit überzeugt zu 
sein. Welch eine — vielleicht unbewußte — Schmähung, gegenüber den unvergleichlichen Offenbarungen unseres Gottes! 
Wenden wir uns jetzt „dem Tage des Herrn" zu. Dieser 
Ausdruck kommt in den alttestamentlichen Schriften oft vor. 
Wir wollen uns darauf beschränken, von den zahlreichen 
einschlägigen Stellen nur zwei anzuführen, und es im übrigen dem Leser überlassen, insoweit die Schrift weiter zu erforschen. 
„Denn Jehova der Heerscharen hat einen Tag über alles 
Hoffärtige und Hohe und über alles Erhabene, und es wird 
erniedrigt werden . . . Der Hochmut des Menschen wird 
gebeugt und die Hoffart des Mannes erniedrigt werden, und 
Jehova wird hocherhaben sein, er allein, a n jene m Tage . 
Und die Götzen werden gänzlich verschwinden. Und sie werden sich in Felsenhöhlen und Löcher der Erde verkriechen 
vor dem Schrecken Jehovas und vor der Pracht seiner Majestät, wenn er sich aufmacht, die Erde zu schrecken" (Jes 2. 12). 
„Stoßet in die Posaune auf Zion, und blaset Lärm auf 
meinem heiligen Berge! Beben sollen alle Bewohner des Landes; denn es kommt de r Ta g Jehovas , denn er ist 
nahe: ein Tag der Finsternis und der Dunkelheit, ein Tag des 
Gewölks und der Wolkennacht. Wie die Morgendämmerung 
ist es ausgebreitet über die Berge, ein großes und mächtiges 
Volk, desgleichen von Ewigkeit her nicht gewesen ist und 
nach ihm nicht mehr sein wird bis in die Jahre der Geschlechter und Geschlechter . . . Vor ihnen erbebt die Erde, 
erzittert der Himmel; Sonne und Mond verfinstern sich, und 
die Sterne verhalten ihren Glanz . . . denn groß ist de r 
T a g Jehova s und sehr furchtbar, und wer kann ihn ertragen?" (Joel 2. 1 . . .) 
Aus diesen und. ähnlichen Stellen ist zu ersehen, daß der 
„Tag des Herrn" in Verbindung steht mit dem tiefernsten 
Gedanken des Gerichts über die Welt, über das abtrünnige 
142 
Israel, über die Menschen und ihre Wege, ja über alles, was 
das menschliche Herz schätzt und sucht. Kurz, der Tag des 
Herrn steht in grellstem Gegensatz zu dem Tag des Menschen. Jetzt hat der Mensch die Oberhand; später wird der 
Herr die Oberhand haben. 
Es dürfen sich nun zwar alle Kinder Gottes auf diesen Tag 
freuen, der, obwohl er mit Gericht über diese Erde hereinbricht, dennoch durch eine Regierung in Gerechtigkeit gekennzeichnet wird. Nichtsdestoweniger ist nicht dieser in Gericht, Zorn und Schrecken gehüllte „Tag", sondern die von Frieden, Freude, Liebe und Herrlichkeit begleitete „Ankunft oder 
Gegenwart Jesu" die besondere Hoffnung des Christen. Die 
Versammlung wird dem Herrn begegnet und mit Ihm in das 
Haus des Vaters eingetreten sein, bevor dieser schreckliche 
Tag über die Welt hereinbricht. Es wird ihr gesegnetes Teil 
sein, während einer unbestimmten Periode, die dem Hereinbrechen des „Tages" vorangeht, die Seligkeit ihrer himmlischen Heimat zu genießen. Ihr Auge wird sich an dem Anblick des „glänzenden Morgensterns" weiden, lange bevor 
die „Sonne der Gerechtigkeit" mit ihrer Wiederherstellungskraft über den gottesfürchtigen Überrest des Samens Abrahams aufgehen wird. 
Wir wünschen aufrichtig, daß der Christ diesen großen 
und wichtigen Unterschied verstehen möge. Wir sind überzeugt, daß das richtige Verständnis dieser Wahrheit einen 
mächtigen Einfluß auf seine Gedanken, Anschauungen und 
Hoffnungen bezüglich der Zukunft ausüben wird. Es wird 
ihn befähigen, den wahren Endpunkt seines Pfades ohne 
verhüllende Wolken in der Ferne zu erblicken; es wird ihn 
von aller Ungewißheit und Verwirrung, ja von jener Furcht 
befreien, mit der leider viele liebe Kinder Gottes in die Zukunft schauen. Es wird ihn auch lehren, seinen Heiland — 
Ihn, Der seine Seele von Ewigkeit her geliebt — und nicht 
Gerichte, Schrecken, Finsternis, Erdbeben und Umwälzungen 
aller Art zu erwarten; ja, es wird seinen Geist ruhig und 
glücklich machen in der sicheren und gewissen Hoffnung, daß 
er bei dem Herrn sein wird, bevor der große und schreckliche Tag hereinbricht. 
Welche Mühe gab sich der treue Apostel, um seinen teuren 
Thessalonichern diesen Unterschied zwischen der „Ankunft" 
und dem „Tage" klar verständlich zu machen. 
„Was aber die Zeit und Zeitpunkte betrifft, Brüder, so 
habt ihr nicht nötig, daß euch geschrieben werde. Denn ihr 
143 
selbst wisset genau, daß der Tag des Herrn also kommt wie 
ein Dieb in der Nacht. Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit! dann kommt ein plötzliches Verderben über sie, gleichwie die Geburtswehen über die Schwangere; und sie werden 
nicht entfliehen. Ihr aber, Brüder, seid nicht in Finsternis, 
daß euch der Tag wie ein Dieb ergreife; denn ihr alle seid 
Söhne des Lichtes und Söhne des Tages; wir sind nicht von 
der Nacht, noch von der Finsternis. Also laßt uns nun nicht 
schlafen, wie die übrigen, sondern wachen und nüchtern sein. 
Denn die da schlafen, schlafen des Nachts, und die da trunken sind, sind des Nachts trunken. Wir aber, die von dem 
Tage sind, laßt uns nüchtern sein, angetan mit dem Brustharnisch des Glaubens und der Liebe und als Helm mit der 
Hoffnung der Seligkeit. Denn Gott hat uns nicht zum Zorn 
gesetzt, sondern zur Erlangung der Seligkeit durch unseren 
Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, auf daß 
wir, sei es daß wir wachen oder schlafen, zusammen mit ihm 
leben. Deshalb ermuntert einander und erbauet einer den 
anderen, wie ihr auch tut" (1. Thess 5, 1-11). 
Hier finden wir den Unterschied in einer Weise dargestellt, die sicher nicht mißverstanden werden kann. Der Herr 
Selbst wird für uns als der Bräutigam kommen; der Tag des 
Herrn aber wird über die Welt wie ein Dieb in der Nacht 
kommen. Könnte der Kontrast greller sein? Wie kann man 
diese beiden Aussprüche miteinander vermengen? Sie könnten in der Tat nicht unterschiedlicher sein. Ein Bräutigam 
und ein Dieb unterscheiden sich begrifflich sehr wesentlich 
voneinander. Ebenso unterscheidet sich die Ankunft des 
Herrn für Sein wartendes Volk höchst sinnfällig von dem 
Kommen Seines Tages über eine schlummernde, trunkene 
Welt. 
Vielleicht findet jemand darin eine Schwierigkeit, daß an 
die Versammlung zu Sardes die ernsten Worte geschrieben 
sind: „Wenn du nicht wachen wirst, so werde ich über dich 
kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, um welche Stunde ich über dich kommen werde" (Offb 3, 3). Diese 
Schwierigkeit wird aber schwinden, wenn wir bedenken, daß 
Sardes als eine bekennende Körperschaft angesehen wird, 
welche den Namen hat, daß sie lebe, aber tot ist. Sie ist auf 
die niedrigste Stufe der Welt hinabgestiegen und kann die 
Dinge nur von diesem Standpunkt aus betrachten. Die 
Kirche oder Versammlung hat gänzlich gefehlt; sie hat ihre 
erhabene und heilige Stellung verlassen, befindet sich unter 
144 
dem Gericht und kann daher nicht mit der der Versammlung 
eigentümlichen Hoffnung ermuntert werden. Sie wird vielmehr mit dem schrecklichen Verderben bedroht, das über die 
Welt hereinbrechen wird. Wir sehen die Versammlung hier 
nicht als den Leib oder die Braut Christi, sondern als den 
verantwortlichen Zeugen Gottes auf der Erde, als den goldenen Leuchter, der während der Abwesenheit des Herrn sein 
göttliches Licht in dieser finsteren Welt hätte scheinen lassen 
sollen. Aber ach! die bekennende Kirche ist tiefer gesunken 
und finsterer geworden als die Welt selbst. Daher diese 
ernste Drohung. Die Ausnahme bestätigt die Regel. 
Kehren wir nun zu der zweiten Epistel an die Thessalonicher zurück. Es ist eine Tatsache voll der reichsten Erquikkung und Ermunterung für das Herz eines wahren Gläubigen, daß uns unser Gott in Seiner wunderbaren Gnade aus 
dem Fresser Speise und aus dem Starken Süßigkeit darreicht. 
Er bringt Licht aus der Finsternis, Leben aus dem Tode hervor und läßt inmitten der durch des Feindes Hand bewirkten 
Verwüstung die Strahlen Seiner Herrlichkeit hervorleuchten. 
Diese Wahrheit tritt uns auf jedem Blatt der Heiligen Schrift 
entgegen und sollte unser Herz mit Frieden und unseren 
Mund mit Lob erfüllen. 
So bewirkt Gott es auch, daß die mannigfaltigen Irrlehren 
und tatsächlichen Übelstände, in welche die ersten Christen 
verfielen, uns zur Belehrung, zur Leitung und zu wirklichem 
Nutzen für die Versammlung am Ende ihrer irdischen Geschichte gereichen. Den Irrtum der Thessalonicher hinsichtlich 
ihrer schon heimgegangenen Brüder beispielsweise nahm 
Gott wahr, um über die Ankunft des Herrn und die Entrückung der Heiligen einen solchen Strom göttlichen Lichts 
hervorbrechen zu lassen, daß es für ein einfältiges, der 
Schrift unterworfenes Herz zur Unmöglichkeit geworden ist, 
je wieder in einen solchen Irrtum zu verfallen. Sie erwarteten 
die Ankunft des Herrn, und sie taten recht daran; sie hofften, daß Er Sein Reich auf der Erde errichten werde, und 
auch das war nicht abwegig. Ein großer Irrtum aber war es, 
daß sie die himmlische Seite dieser herrlichen Hoffnung aus 
dem Auge verloren. Ihr Verständnis war noch unvollkommen, 
ihr Glaube mangelhaft. Sie sahen nicht die beiden Seiten — 
die doppelte Tragweite der Ankunft des Herrn; Sein Herniedersteigen in die Luft, um die Seinen zu Sich aufzunehmen, 
und Seine Erscheinung in Herrlichkeit, um Sein Reich in 
Macht aufzurichten. Darum fürchteten sie, daß ihre heimge145 
gangenen Brüder der Sphäre der Segnung, dem Kreis der 
Herrlichkeit notwendigerweise entsagen müßten. Dieser Irrtum wurde, wie wir gesehen haben, im vierten Kapitel des 
ersten Briefes göttlich widerlegt. Auch im Blick auf die 
schlafenden Heiligen wird die himmlische Seite der Hoffnung 
— das eigentliche Teil der Gläubigen — ausgiebig geklärt, um 
jenen Irrtum gründlich zu beseitigen. Christus wird alle, und 
nicht nur einen Teil der Heiligen, zu sich aufnehmen und 
wenn es in dieser Beziehung irgend einen Vorzug gibt, so 
wird der auf Seiten derer sein, über welche man trauerte. 
„Die Toten in Christo werden zuers t auferstehen". 
Aus der zweiten Epistel an die Thessalonicher aber ersehen wir, daß jene jungen Gläubigen zu einem anderen groben Irrtum verleitet worden waren, der nicht die Toten, sondern die Lebenden betraf — zu einem Mißverständnis, das 
nicht auf die „Ankunft", sondern auf den „Tag des Herrn" 
bezug hatte. In dem einen Falle befürchteten sie, daß die 
Heimgegangenen an dem gesegneten Triumph der Ankunft 
nicht teilhaben, und in dem anderen, daß die Lebenden im 
gleichen Augenblick tatsächlich in die Schrecken des Tages 
hineingezogen werden würden. Diesem Irrtum begegnet der 
Apostel in seinem zweiten Brief an die Gläubigen zu Thessalonich mit unübertrefflicher Fürsorge, Weisheit und Treue. 
Die Gläubigen zu Thessalonich hatten durch große Verfolgung und Trübsale zu gehen, und es ist augenscheinlich, daß 
der Feind ihre Gemüter durch falsche Lehrer zu erschüttern 
suchte, die behaupteten, der „große und schreckliche Tag des 
Herrn" sei schon angebrochen und die Trübsal, durch welche 
sie zu gehen hatten, die unabweisbare Begleiterin dieses 
Tages. Wenn es sich so verhielt, dann erwies sich selbstredend die ganze Lehre des Apostels als falsch, denn die hervorragende Wahrheit seiner Lehre war die Vereinigung und 
das Einssein mit Christo — eine Verbindung, die so eng und 
so vollkommen ist, daß es für Christum unmöglich war, ohne 
Sein Volk in Herrlichkeit zu erscheinen. „Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart werden wird, dann werdet 
auch ihr mit ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit". Er 
muß aber erscheinen, um „den Tag" einzuführen. 
Wenn nun der Tag des Herrn wirklich anbricht, so werden 
nicht die Seinen, sondern deren Verfolger vom Schrecken erfaßt werden. Der Apostel erinnerte sie daran in einfacher, 
aber nachdrücklicher Weise, indem er sagt: „Wir sind schuldig, Brüder, Gott allezeit für euch zu danken, wie es billig 
146 
ist, weil euer Glaube überaus wächst und die Liebe jedes einzelnen von euch allen gegeneinander überströmend ist, so 
daß wir selbst uns euer rühmen in den "Versammlungen Gottes wegen eures Ausharrens und Glaubens in allen euren 
Verfolgungen und Drangsalen, die ihr erduldet; ein offenbares Zeichen des gerechten Gerichts Gottes, daß ihr würdig 
geachtet werdet des Reiches Gottes, um dessentwillen ihr 
auch leidet; wen n e s ander s be i Got t gerech t ist , 
Drangsa l z u vergelte n denen , di e euc h be -
drängen , un d euch , di e ih r bedräng t werdet , 
Ruh e mi t un s be i de r Offenbarun g de s Herr n 
Jesu s vo m Himmel , mit den Engeln seiner Macht, in 
flammendem Feuer, wenn er Vergeltung gibt denen, die Gott 
nicht kennen — die Heiden — und denen, die dem Evangelium 
unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen — die Juden — 
welche Strafe leiden werden, ewiges Verderben vom Angesicht des Herrn und von der Herrlichkeit seiner Stärke, wenn 
er kommen wird, um an jenem Tage verherrlicht zu werden 
in seinen Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben; denn unser Zeugnis bei euch ist geglaubt worden" (Kap. 1, 3-10). 
Hierbei war also nicht nur die Stellung des Christen, sondern die Herrlichkeit Gottes Selbst — Seine tätige Gerechtigkeit — mit einbegriffen. In der Tat, wenn der Tag des Herrn 
den Christen Drangsale brachte, dann entbehrte die große 
und hervorragende Wahrheit des Apostels, daß Christus und 
die Seinen eins seien, der Wahrheit, und überdies würde 
auch die Gerechtigkeit Gottes angefochten gewesen sein. Mit 
einem Wort, wenn die Christen sich in Trübsal befanden, so 
war es moralisch unmöglich, daß der Tag des Herrn angebrochen sein konnte; denn wenn dieser Tag anbricht, wird 
er den Gläubigen als ihre öffentliche Vergeltung Ruhe bringen, und zwar im Reiche und nicht bloß im Hause des Vaters, wovon hier nicht die Rede ist. Alles wird dann eine 
völlig veränderte Gestalt annehmen. Die Versammlung wird 
in Ruhe, ihre Verfolger aber werden in Drangsal sein. Solange der Tag des Menschen dauert, ist die Versammlung 
berufen zu leiden; aber am Tage des Herrn wird sich das 
Gegenteil zeigen. 
Man beachte, daß hier nicht von Leiden die Rede ist, welche die Gläubigen zu erdulden haben. Dazu sind sie gegenwärtig in dieser Welt berufen, solange die Gottlosigkeit die 
Oberhand hat. Christus litt, und darum müssen auch sie 
147 
leiden. Unmöglich aber ist es, daß, wenn Christus kommt, 
um Sein Reich aufzurichten, die Seinen in Trübsal sein können. Das sollte sich der Christ in Geist und Herz einprägen. 
So erweist sich also die Lehre des Feindes, wodurch er die 
Gläubigen zu Thessalonich zu verwirren trachtete, als völlig 
falsch. Der Apostel fegt das ganze Gebäude bis auf den 
Grund durch die einfache Darlegung der Wahrheit Gottes 
hinweg. Das ist die göttliche Weise, den Menschen von falschen Vorstellungen und von unnötiger Furcht zu befreien. 
Man sage ihnen die Wahrheit, und der Irrtum muß vor ihr 
fliehen; man lasse den Sonnenstrahl des ewigen göttlichen 
Wortes hineinfallen, und alle die Nebel und Wolken einer 
falschen Lehre müssen verschwinden. 
Doch laßt uns noch einen Augenblick die weitere Belehrung des Apostels in diesem beachtenswerten Brief untersuchen, und wir werden sehen, wie bestimmt er den Unterschied zwischen der „Ankunft" und „dem Tage" hervorhebt — einen Unterschied, den zu erwägen der Leser wohl 
tun wird. „Wir bitten euch aber, Brüder, um der Ankunft 
unseres Herrn Jesus Christus willen und unseres Versammeltwerden zu ihm hin, daß ihr nicht schnell erschüttert 
werdet in der Gesinnung, noch erschreckt, weder durch Geist, 
noch durch Wort, noch durch Brief als durch uns, als ob der 
Tag des Herrn da wäre" (Kap 2, 1-3). 
Der Apostel wollte damit sicher nicht sagen, daß der Tag 
des Herrn zu jener Zeit nicht nahe gewesen sei. Die Schrift 
sagt ausdrücklich: „Der Tag ist nahe" (Röm 13, 12), und sie 
kann sich nie widersprechen. Welcher Tag? Selbstredend der 
Tag des Herrn, und dieser Ausdruck wird stets in Verbindung mit der persönlichen Verantwortlichkeit in unserem 
Dienst und Wandel gebraucht. 
Dies ist, im Vorbeigehen bemerkt, ein Gesichtspunkt von 
großer, praktischer Bedeutung. Wer sich die Mühe gibt, die 
Stellen zu prüfen, welche von dem „Tage,, reden, wird finden, daß sie sich mehr oder weniger auf das Werk, den 
Dienst und die Verantwortlichkeit des Gläubigen beziehen. 
Als Beispiele führen wir folgende Stellen an: . . . daß ihr 
untadelig seid" — nicht bei der Ankunft, sondern — „an dem 
Tag e unseres Herrn Jesus Christus" (1. Kor 1, 8). — „So 
wird das Werk eines jeden offenbar werden; denn der Ta g 
wird es klar machen" (1. Kor 3, 13). „ . . . auf daß ihr 
lauter und unanstößig seid auf den Ta g Christi" (Phil 1,10). 
— „Fortan liegt mir bereit die Krone der Gerechtigkeit, die 
148 
der Herr, der gerechte Richter, mir zur Vergeltung geben 
wird a n jene m Tage " (2. Tim 4, 8). 
Aus diesen und vielen anderen Stellen ersehen wir, daß 
der „Tag des Herrn" jene Zeit ist, in der mit den Arbeitern 
abgerechnet, der Dienst nach göttlichem Maßstab abgeschätzt, 
die persönliche Verantwortlichkeit abgewogen, die Belohnung 
ausgeteilt und der eine Diener über zehn, der andere über 
fünf Städte gesetzt werden wird. 
Von welcher Seite wir daher auch die „Ankunft" unseres 
Herrn und Seiner „Erscheinung" oder Seinem „Tage" betrachten mögen, immer tritt uns der Unterschied zwischen 
beiden deutlich vor Augen. Die „Ankunft" wird dem Herzen 
des Gläubigen stets als seine herrliche und gesegnete Hoffnung vorgestellt, die sich in jedem Augenblick verwirklichen 
kann, während die „Erscheinung" oder der „Tag Christi" sich 
mit tiefem Ernst an das Gewissen wendet und die ganze 
praktische Laufbahn derer ins Auge faßt, welche berufen 
sind, in dieser Welt für einen abwesenden Herrn zu zeugen 
und zu wirken. Die Schrift, wie sehr es unsererseits auch 
geschehen mag, vermengt diese Wahrheiten nie miteinander; 
auch gibt es keine einzige Schriftstelle, die lehrt, daß die 
Gläubigen nicht immer die Ankunft des Herrn erwarten und 
nicht stets eingedenk sein sollten, daß „der Tag des Herrn 
nahe ist". Nur der böse Knecht sagt in seinem Herzen: 
„Mein Herr verzieht zu kommen" (Matth 24. 48) und wir 
sehen an seinem Beispiel die traurigen Folgen, die stets daraus hervorgehen müssen, wenn wir solche Gedanken in unseren Herzen nähren. 
Wenden wir uns noch auf einen kurzen Augenblick zu 
2. Thess 2 zurück und zwar zu einer Stelle, die für die Untersucher der prophetischen Schriften zu vielen Erörterungen 
Veranlassung gegeben und große Schwierigkeiten bereitet hat. 
Offenbar war es das Bestreben der falschen Lehrer die 
Thessalonicher durch die irrige Meinung zu beunruhigen, daß 
sie am „Tage des Herrn" von den Schrecken dieses Tages 
berührt würden. O nein, versichert der Apostel, das ist unmöglich; denn bevor dieser Tag anbricht, müssen wir alle 
versammelt sein, um dem Herrn in der Luft zu begegnen. 
Er bittet sie auf Grund Seiner Ankunft und unserer Versammlung zu Ihm hin mit tiefen Ernst, sich nicht irre machen 
zu lassen. Er hatte ihnen bereits die himmlische Seite der 
Ankunft des Herrn eröffnet; er hatte sie belehrt, daß sie 
Söhne des Lichts und Söhne des Tages seien und daß ihre 
149 
Heimat, ihr Teil, ihre Hoffnung in jener Region sei, von wo 
aus der Tag hervorbrechen werde. Es war deshalb unmöglich, 
daß der Tag des Herrn für die, welche durch die Gnade Söhne des Tages waren, Schrecken und Trübsale bringen konnte. 
Aber auch nach der irdischen Seite betrachtet, befanden 
sich diese falschen Lehrer im Irrtum. „Laßt euch von niemand 
auf irgend eine Weise verführen; denn dieser Tag kommt 
nicht, es sei denn, daß zuerst der Abfall komme und geoffenbart worden sei der Mensch der Sünde, der Sohn des 
Verderbens, welcher widersteht und sich selbst erhöht über 
alles, was Gott heißt, oder ein Gegenstand der Verehrung 
ist, so daß er sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst 
darstellt, daß er Gott sei. Erinnert ihr euch nicht, daß ich 
dies zu euch sagte, da ich noch bei euch war? Und jetzt wisset ihr, was zurückhält, daß er zu seiner Zeit geoffenbart 
werde. Denn schon ist das Geheimnis der Gesetzlosigkeit 
wirksam; nur ist jetzt der, welcher zurückhält, bis er aus dem 
Wege ist, und dann wird der Gesetzlose geoffenbart werden, 
den der Herr Jesus verzehren wird durch den Hauch seines 
Mundes und vernichten durch die Erscheinung seiner Ankunft, ihn, dessen Ankunft nach der Wirksamkeit des Satans 
ist, in aller Macht und allen Zeichen und Wundern der Lüge 
und in allem Betrug der Ungerechtigkeit denen, die verloren 
gehen, darum, daß sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen, damit sie errettet würden" (2. Thess 2, 3-10). 
Hier wird uns also gesagt, daß, bevor der Tag des Herrn 
kommt, der Gesetzlose, der Mensch der Sünde, der Sohn des 
Verderbens geoffenbart werden muß. Das Geheimnis der 
Gesetzlosigkeit muß den höchsten Gipfel erreichen. Der 
Mensch wird sich zu offenem Widerstand gegen Gott erheben, ja sich selbst den Namen Gottes aneignen und sich 
anbeten lassen. Alles das muß auf der Erde in Erscheinung 
treten, bevor der große und schreckliche Tag des Herrn im 
Gericht über das Irdische hereinbrechen wird. Für den gegenwärtigen Augenblick steht der Offenbarung jener schrecklichen Persönlichkeit noch eine Schranke, ein Hindernis im 
Wege*); aber wir ersehen aus dem Buch der Offenbarung, 
*) Manche sehen in dem Hindernden oder dem Hindernis das römische Rfich, andere 
der in der Kirche oder Versammlung wohnende Heilige Geist. Dieser Deutung neigen 
auch wir zu, obwohl auch jene ein gewisses Maß an Wahrheit enthält. Aus anderen 
Teilen der Heiligen Schrift erkennen wir klar, daß, bevor der Gesetzlose den Schauplatz betritt, die Versammlung sicher und gesegnet in ihre eigene, ewige Heimat 
droben, in die für sie bereitete Stätte eingeführt sein wird. Welch ein köstlicher Gedanke ! 
150 
daß, bevor das Geheimnis der Gesetzlosigkeit in der Person 
des Menschen der Sünde den höchsten Gipfel erreicht hat, 
die Versammlung der Erde entrückt sein wird. Das vierte 
und fünfte Kapitel der Offenbarung zeigt, daß die Versammlung in dem innersten Kreis himmlischer Herrlichkeit 
sein wird, ehe ein einziges Siegel geöffnet, ein einziger Ton 
der Posaune hervorgebracht, eine einzige Schale des Zorns 
ausgegossen worden ist. 
Wir werden später auf diesen höchst interessanten Punkt 
noch ausführlicher eingehen und finden, daß in den vierundzwanzig gekrönten Ältesten die himmlischen Heiligen dargestellt sind, die in der Herrlichkeit um das Lamm versammelt sein werden, ehe noch eine einzige Zeile des prophetischen Buches ihre Erfüllung gefunden hat. 
Bevor wir jedoch diesen Abschnitt schließen, wollen wir 
noch ein paar Fragen an den Leser richten, die nur in der 
Gegenwart Gottes richtig beantwortet werden können. Was 
erwartest du? Was ist deine Hoffnung? Erwartest du gewisse Begebenheiten, die sich auf dieser Erde zutragen müssen? 
Erwartest du z. B. die Wiederaufrichtung des römischen 
Reiches, die Entwicklung der zehn Königreiche, die Rückkehr 
der Juden nach Palästina, den Wiederaufbau Jerusalems, die 
Erscheinung des Antichristen, die große Drangsal und endlich die furchtbaren Gerichte, welche dem Tage des Herrn 
vorangehen werden? Wer diese Geschehnisse erwartet, ist 
sicher nicht von der wahren Hoffnung der Versammlung beherrscht. Ohne Zweifel werden sie alle zu ihrer Zeit in Erfüllung gehen, aber nichts von alledem darf sich zwischen 
dich und deine Hoffnung drängen. Sie sind sämtlich in den 
Schriften der Propheten verzeichnet; sie finden alle in der 
Zukunftsgeschichte Gottes statt; aber es ist nicht ihre Bestimmung, auch nur einen Schatten auf die herrliche und 
gesegnete Hoffnung des Christen zu werfen. Diese Hoffnung 
bildet eine herrliche, erhabene Schrift im Hintergrunde der 
Prophezeiung: der glänzende Morgenstern — die Ankunft 
Jesu — der hochgepriesene Bräutigam der Versammlung. 
Das und nichts anderes ist die wahre und besondere Hoffnung der Versammlung Gottes. „Ich will ihm den Morgenstern geben" (Offb 2, 28) — „Siehe, der Bräutigam kommt!" 
(Matth 25, 6). Wann aber erscheint der Morgenstern am 
sichtbaren Himmel? Gerade vor dem Anbruch des Tages. 
Wer sieht ihn? Nur der, welcher um diese Zeit wach ist. 
151 
Wie klar, wie anschaulich, wie selbstverständlich ist die Anwendung! Es wird vorausgesetzt, daß die Versammlung 
wacht, daß sie dem Herrn entgegenharrt und mit sehnsüchtigen Blicken ausschauend, die Frage erhebt: „Warum zaudert sein Wagen zu kommen" (Richt 5, 28)? Ach, die Versammlung hat in dieser Hinsicht sehr gefehlt. Aber das ist 
für den einzelnen Gläubigen kein Grund, sich auch persönlich der vollen Kraft dieser gesegneten Hoffnung zu versagen. „Und wer es hört, spreche: Komm!" Das ist persönlich. 
Ach! möchten doch Schreiber und Leser dieser Zeilen die 
reinigende und erhebende Kraft dieser gesegneten Hoffnung 
immer mehr verwirklichen! Möchten wir doch die Worte des 
Apostels Johannes in ihrer praktischen Kraft immer mehr 
verstehen und realisieren: „Jeder, der diese Hoffnung zu 
ihm hat, reinigt sich selbst, gleichwie er rein ist" (1. Joh 3, 3). 
152 
4. Die beiden Auferstehungen 
Vielleicht überrascht die Überschrift dieses Abschnitts 
manchen Leser, weil ihm nach der Lehre und den Glaubensbekenntnissen der bekennenden Kirche niemals der Gedanke 
an zwei Auferstehungen in den Sinn gekommen ist. Aber 
die Heilige Schrift spricht in sehr bestimmten und unzweideutigen Ausdrücken von einer „Auferstehung des Lebens" 
und von einer „Auferstehung des Gerichts" — von zwei 
Auferstehungen also, die sich ihrer Zeit und nach ihrem 
Charakter wesentlich voneinander unterscheiden. 
Zwischen diesen beiden Ereignissen liegt ein Zeitraum von 
wenigstens tausend Jahren. Wenn die Menschen es anders 
lehren, wenn sie Systeme errichten und Glaubensbekenntnisse aufstellen, die mit der klaren Lehre der Heiligen 
Schrift im Widerspruch stehen, so werden sie sich, wie alle, 
die ihrer eigenen Erkenntnis vertrauen, vor ihrem Herrn zu 
verantworten haben. Unsere Pflicht ist es, auf die Autorität 
des Wortes Gottes zu achten und uns in Demut der heiligen 
Belehrung dieses Wortes zu unterwerfen. Untersuchen wir 
daher mit aller Ehrfurcht, was die Heilige Schrift über die 
Auferstehung sagt. Möge der Heilige Geist uns leiten und 
belehren! 
Wir zitieren zunächst eine bemerkenswerte Stelle aus dem 
Evangelium nach Johannes: „Wahrlich, wahrlich, ich sage 
euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, 
sondern er ist aus dem Tode in das Leben übergegangen. 
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, daß die Stunde kommt 
und jetzt ist, da die Toten die Stimme des Sohnes Gottes 
hören werden, und die sie gehört haben, werden leben. Denn 
gleichwie der Vater Leben in sich selbst hat, also hat er auch 
dem Sohne gegeben, Leben zu haben in sich selbst; und er 
hat ihm Gewalt gegeben, auch Gericht zu halten, weil er des 
Menschen Sohn ist. Wundert euch darüber nicht; denn es 
kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, 
seine Stimme hören und hervorkommen werden: die das 
Gute getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber 
das Böse verübt haben, zur Auferstehung des Gerichts" 
(Joh 5, 24-29). 
In einer nicht mißzuverstehenden Weise ist hier von zwei 
Auferstehungen die Rede, die sich in dieser Stelle zwar nicht 
153 
der Zeit, wohl aber ihrem Charakter nach unterscheiden: eine 
Auferstehun g de s Leben s und eine Auferste -
hun g de s Gerichts . Damit wird der Theorie einer gemeinsamen Auferstehung radikal der Boden entzogen. Die 
Auferstehung der Gläubigen wird auf demselben Grunde geschehen und denselben Charakter tragen wie die Auferstehung unseres hochgelobten, anbetungswürdigen Herrn. Sie 
wird eine Auferstehung au s den Toten sein — eine Handlung göttlicher Macht, gegründet auf das vollbrachte Erlösungswerk, wodurch Gott zugunsten Seiner entschlafenen 
Heiligen einschreiten und sie aus den Toten auferwecken 
wird, während die übrigen Toten noch tausend Jahre lang 
in ihren Gräbern bleiben (Offb 20, 5). 
Das 9. Kapitel des Markusevangeliums enthält eine beachtenswerte, klärende Aussage hierzu. Nachdem der Evangelist 
in den ersten Versen über die Verklärung des Herrn berichtet hat, fährt er fort: „Als sie aber von dem Berge herabstiegen, gebot er ihnen, daß sie niemand erzählen sollten, 
was sie gesehen hatten, außer wenn der Sohn des Menschen 
aus den Toten auferstanden wäre. Und sie behielten das 
Wort, indem sie sich untereinander befragten: Was ist das: 
a u s den Toten auferstehen?" (V. 9. 10). — Die Jünger fühlten, daß der Herr hier etwas Besonderes zum Ausdruck gebracht hatte, etwas, das außerhalb der gewöhnlichen, orthodoxen Vorstellung von der Auferstehung der Toten lag. Und 
so war es in der Tat, wiewohl das, was sie gehört hatten, 
zu jener Zeit noch ihr Verständnis überschritt. 
Wenden wir uns nun den Worten eines Mannes zu, der 
diese erhabene und christliche Lehre völlig erfaßt hatte und 
sich dieser herrlichen und himmlischen Hoffnung hoch erfreute: „ . . . ihn zu erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, indem ich seinem Tode gleichgestaltet werde, ob ich auf irgend eine Weise 
hingelangen möge zur Auferstehung aus den Toten" (Phil 3, 
10. 11). — Ein Augenblick ruhigen Nachdenkens wird genügen, um den Leser davon zu überzeugen, daß hier der Apostel nicht von der allgemeinen „Auferstehung der Toten", 
an welcher ein jeder teilhat, redet, sondern daß dieser treue 
Diener Christi etwas ganz Besonderes vor Augen hat, nämlich eine „Auferstehung au s den Toten" — eine Auferstehung, die derjenigen von Christo gleichförmig ist. Nach einer 
solchen sehnte er sich unaufhörlich. Sie war die herrliche und 
gesegnete Hoffnung, die ihre Strahlen in seine Seele warf 
154 
und die ihn inmitten der Sorgen und Trübsale, der Entbehrungen, Schwierigkeiten und Kämpfe auf seiner außergewöhnlichen Laufbahn tröstete. 
Bedient sich der Apostel auch stets der unterscheidenden 
Bezeichnung „a u s den Toten", wenn er von der Auferstehung redet? Nicht immer. So sagt er z. B. an anderer Stelle: 
„ . . .und die Hoffnung zu Gott habe, welche auch selbst 
diese annehmen, daß eine Auferstehung sein wird, sowohl 
der Gerechten als der Ungerechten" (Apg 24, 15). Hier 
berührt er mit keiner Silbe die christliche oder himmlische 
Seite der Auferstehung, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil er zu solchen redet, die unfähig waren, die besondere Hoffnung der Gläubigen zu begreifen. Wie hätte er 
diese Wahrheit vor einem Ananias, einem Tertullus oder 
einem Felix entwickeln können? Konnte er zu solchen Männern von dieser trostreichen Hoffnung reden? keineswegs. 
Er konnte nur die große, allgemeine Tatsache aussprechen, 
welche alle orthodoxen Juden gemein hatten. Hätte er hingegen von einer Auferstehung au s de n Tote n gesprochen, 
so hätte er nicht die Worte: „Welche auch selbst diese annehmen", hinzufügen können: denn sie nahmen nichts dergleichen an. 
Aber wie unterschiedlich ist die Art und Weise, wenn sich 
der Apostel vor seinen Anklägern verteidigt (Apstg 21) oder 
wenn er vor seinen geliebten Brüdern sein Herz ausschüttet 
(Phil 3)! Zu den letzteren kann er von der wahren christlichen 
Hoffnung reden, und zwar in dem vollen Lichte, welches die 
Herrlichkeit Christi darüber ausstrahlt. Er kann seinen innersten Gedanken und Gefühlen sowie dem brennenden Verlangen seines liebenden Herzens Ausdruck geben, um seine 
Sehnsucht nach der Auferstehung des Leibes darzutun, wo 
er, erwachend in dem Bilde seines vielgeliebten Herrn, volle Befriedigung finden wird. 
Doch kommen wir noch einmal auf Joh 5 zurück, und zwar 
deswegen, weil der Herr Jesus, wenn Er von den beiden 
Klassen redet, sich des Wortes „Stunde" bedient. „Wie" — 
könnte man einwerfen — „kann ein Zeitraum von tausend 
Jahren zwischen diesen beiden Auferstehungen liegen, wenn 
unser Herr ausdrücklich sagt, daß alles im Verlauf einer 
Stunde stattfinden soll?" Auf diese Frage gibt es eine zwiefache Antwort. Zunächst ist festzustellen, daß der Herr dasselbe Wort gebraucht, wenn Er von dem großen Werk des 
Lebendigmachens toter Seelen redet. „Wahrlich, wahrlich, ich 
155 
sage euch, daß die Stunde kommt und ist jetzt, da die Toten 
die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie 
gehört haben, werden leben". — Dieses Werk, in dem die 
Stimme Jesu, des Sohnes Gottes, kostbare Seelen aus dem 
Tode zum Leben;ruft, dauert nun bereits fast neunzehn Jahrhunderte an und wird doch hier eine „Stunde" genannt. Wenn 
nun unser Herr in derselben Rede im Blick auf einen Zeitraum, der sich fast bis zu zweitausend Jahren ausgedehnt 
hat, sich des Wortes „Stunde" bedient, welche Schwierigkeit 
bereitet es dann, dieses Wort auf einen Zeitraum von eintausend Jahren anzuwenden? Nach unserem Dafürhalten sicherlich keine. Wer aber dennoch einen Zweifel haben sollte, 
sei auf das Zeugnis des Heiligen Geistes in Offb 20 verwiesen, das besagt: „Die übrigen der Toten wurden nicht 
lebendig, bis die tausend Jahre vollendet waren. Die s is t 
d i e erst e Auferstehung . Glückselig und heilig, wer 
teilhat an der ersten Auferstehung! Über diese hat der zweite 
Tod keine Gewalt, sondern sie werden Priester Gottes und 
des Christus sein und mit ihm herrschen tausend Jahre" 
(V. 5. 6). 
Damit wird die Frage vollkommen und endgültig für 
einen jeden beantwortet, der, was jeder wahre Christ tun 
sollte, sich von der Heiligen Schrift belehren lassen will. Es 
werden zwei Auferstehungen stattfinden, und zwischen beiden wird ein Zeitraum von tausend Jahren liegen. An der 
ersten Auferstehung nehmen teil: alle Gläubigen des Alten 
Testaments, die in Hebr 12 als die „Geister der vollendeten 
Gerechten" bezeichnet werden, dann die Versammlung der 
Erstgeborenen (die Kirche oder Versammlung) und endlich 
alle, die während der großen Drangsal und während der 
Zeit zwischen der Entrückung der Heiligen und der Erscheinung Christi zum Gericht über das Tier und seine Anhänger 
(Offb 19) den Tod erleiden werden. Die letzte Auferstehung 
aber umfaßt alle, die von den Tagen Kains an (1. Mo 4)) in 
ihren Sünden gestorben sind, bis hin zu den letzten Abtrünnigen der tausendjährigen Herrlichkeit (Offb 20). 
Wie ernst, wie erschütternd ist das! Wenn unser Herr 
noch in dieser Nacht käme, welche Szenen würden sich dann 
auf unseren Friedhöfen und Totenäckern abspielen! Könnte 
eine Zunge, könnte eine Feder die ganze Wirklichkeit eines 
solchen Augenblicks schildern oder beschreiben? Vermöchte 
ein Herz sie zu erfassen? In unzähligen Gräbern liegen die 
Gebeine der Toten i n Christo und der Toten auße r Chri156 
sto beieinander. Selbst in mancher Familiengruft mögen die 
Überreste beider Klassen gefunden werden. Wenn aber die 
Stimme des Erzengels erschallen wird, dann werden alle entschlafenen Heiligen auferstehen, während alle anderen, die 
in ihren Sünden gestorben sind, zurückbleiben müssen, um 
noch tausend Jahre in der Finsternis und in der öden Stille 
des Grabes zu verharren. 
Das ist das bestimmte Zeugnis des Wortes Gottes. Es 
berichtet freilich nicht von seltsamen Einzelheiten und bietet 
der krankhaften Einbildungskraft und der müßigen Neugierde keine Nahrung; aber es eröffnet die ernste und wichtige 
Tatsache einer ersten und zweiten Auferstehung — einer Auferstehung des Lebens zu ewiger Herrlichkeit und einer Auferstehung des Gerichts zu ewiger Verdammnis. Die Heilige 
Schrift kennt keine gemeinsame Auferstehung oder ein Auferstehen aller zu gleicher Zeit. Wir müssen diesen wie so 
manchen anderen mit uns groß gewordenen Gedanken aufgeben, wenn wir in Wahrheit wünschen, in der Erkenntnis 
göttlicher Offenbarungen zu wachsen; denn nichts hindert 
unser Verstehen der Gedanken Gottes mehr, als das Erfülltsein mit unserem eigenen Denken oder den Gedanken anderer. 
So ist es auch töricht, von einer Auferstehung der Geister 
zu reden; denn der Geist stirbt nicht und kann mithin auch 
nicht auferstehen. Ebenso töricht wäre die Annahme einer 
Prinzipienauferstehung; nichts dergleichen ist in der Heiligen 
Schrift zu finden. Diese sagt so einfach wie möglich: „Die 
übrigen der Toten wurden nicht lebendig, bis die tausend 
Jahre vollendet waren. Dies ist die erste Auferstehung". 
Wer möchte es wagen, eine so klare Lehre abzuweisen? Sollten wir nicht vielmehr unsere alten, uns lieb gewordenen 
Ansichten und Meinungen aufgeben un-d das fundierte eingewurzelte Wort aufnehmen? 
Es ist offenbar, daß, wenn die Heilige Schrift von einer 
erste n Auferstehung spricht, unmöglich alle zu derselben 
Zeit auferstehen können. Wie könnte die Schrift sagen: 
„Glückselig und heilig, wer teilhat an der ersten Auferstehung!", wenn alle gleichzeitig auferstehen würden? Niemand 
kann das Neue Testament vorurteilsfrei lesen und dennoch 
an der Theorie einer gemeinsamen Auferstehung festhalten. 
Es gehört zur Verherrlichung Christi, des Hauptes, daß Seinen Gliedern eine ihnen eigentümliche Auferstehung zuteil 
wird — eine Auferstehung, gleich der Seinen, au s den To157 
ten, und sicher wird eine solche stattfinden. „Siehe, ich sage 
euch ein Geheimnis: Wir werden zwar nicht alle entschlafen, 
wir werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in 
einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn posaunen 
wird es, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dieses 
Verwesliche muß Unverweslichkeit anziehen, und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen. Wenn aber dieses Verwesliche 
Unverweslichkeit anziehen und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen wird, dann wird das Wort erfüllt werden, das geschrieben steht: „Verschlungen ist der Tod in Sieg". „Wo ist, 
o Tod, dein Stachel? wo ist, o Tod, dein Sieg?" Der Stachel 
des Todes aber ist die Sünde, die Kraft der Sünde aber das 
Gesetz. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch 
unseren Herrn Jesus Christus" (1. Kor 15, 51-58). 
158 
5. Das Gericht 
Es ist äußerst peinlich, immer und immer wieder mit den 
allgemein herrschenden Meinungen und Ansichten der bekennenden Kirche in Widerspruch zu kommen und nach so 
vielen Seiten hin allen Regeln und Glaubensbekenntnissen 
entgegentreten zu müssen. Aber was anfangen? Handelte es 
sich nur um eine bloße menschliche Meinung, so würde es 
eine kecke, nicht zu rechtfertigende Vermessenheit sein, sich 
mit dem festgestellten Glauben der ganzen bekennenden 
Kirche in direkten Widerspruch zu setzen — einem Glauben, 
zu welchem sich Jahrhunderte hindurch Millionen von Menschen bekannt haben. Aber es geht nicht um irgendeine 
menschliche Anschauung oder um eine Verschiedenheit des 
Urteils unter den Besten der Menschen, sondern es handelt 
sich um die Lehre und die Autorität der Heiligen Schrift. 
Wie zu allen Zeiten, so gibt es auch in unseren Tagen und 
sicher auch in der Zukunft theologische Schulen, Meinungsunterschiede und Schattierungen in den Anschauungen und 
Gedanken; aber es ist die unabweisbare Pflicht eines jeden 
Kindes Gottes und Dieners Christi, in heiliger Ehrfurcht auf 
die Stimme Gottes in der Heiligen Schrift zu horchen. Wäre 
sie Ausfluß menschlicher Autorität, so sollte man sie als 
wertlos beiseite setzen; da sie aber göttlicher Autorität entspringt, ist jeder Wortstreit ausgeschlossen, und es ist unsere vornehmste Pflicht, daß wir uns beugen und glauben. 
Nachdem wir festgestellt haben, daß der Heiligen Schrift 
eine allgemeine Auferstehung, d. h. eine Auferstehung aller 
zu derselben Zeit, fremd ist, wollen wir prüfen, was das 
Wort Gottes über das Gericht aussagt. Lehrt die Heilige 
Schrift — wie die bekennende Kirche meint — ein allgemeines Gericht? 
Zunächst finden wir im Neuen Testament die köstliche 
Wahrheit, daß es für den Gläubigen persönlich oder die 
Versammlung Gottes insgesamt durchaus kein Gericht mehr 
gibt. An dem Gläubigen ist das Gericht vorübergegangen 
und für immer beendigt. Die finstere Wolke des Gerichts 
ergoß sich über das Haupt unseres göttlichen Sündenträgers. 
Er hat für uns den Kelch des Zorns und des Gerichts bis 
auf den letzten Tropfen geleert und unsere Füße auf den 
159 
neuen Grund der Auferstehung gestellt, den das Gericht niemals erreichen kann. Ein Glied des Leibes Christi kann ebensowenig wie das göttliche Haupt Selbst je ins Gericht kommen. Das scheint eine kühne Behauptung zu sein. Ist sie 
wahr, so ist ihre Kraft das Teil ihres moralischen Wertes 
und ihrer Herrlichkeit. 
Für wen wurde Christus auf dem Kreuz gerichtet? — Für 
Sein Volk. Für uns wurde Er zur Sünde gemacht. Er war 
dort unser Stellvertreter, nahm unseren Platz ein. Er trug 
alles, was wir verdient hatten. Unser ganzer Zustand mit 
allem, was damit verbunden war, fand im Tode Christi einen 
so völligen Abschluß, daß davon nie mehr die Rede sein 
kann. Hat Gott mit Christo, dem Haupte, noch irgendeine 
Frage zu ordnen? Keineswegs. Nun, ebenso verhält es sich 
auch mit den Gliedern Christi. Jede Frage ist göttlich und für 
immer bereinigt, und der Beweis dafür ist, daß das Haupt, 
mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, zur Rechten der Majestät in den Himmeln sitzt. Mithin ist die Voraussetzung, daß 
die Gläubigen zu irgendeiner Zeit, aus irgendeinem Grund 
oder wegen irgendeiner Sache ins Gericht kommen, eine Verleugnung der Grundwahrheit des Christentums und widerspricht den klaren Worten unseres Herrn und Heilands, Der 
ausdrücklich erklärt hat, daß alle, die an Ihn glauben, „nicht 
ins Gericht kommen werden" (Joh 5, 24). 
In Wahrheit ist die Vorstellung, daß die Gläubigen vor 
die Schranken des Gerichts geführt werden, um über ihr 
Anrecht und ihre Fähigkeit für den Himmel geprüft zu werden, ebenso töricht als schriftwidrig. Wie kann man z. B. annehmen, daß Paulus oder der Räuber am Kreuz noch in bezug auf ihr Anrecht für den Himmel beurteilt werden sollten, nachdem sie sich schon fast zweitausend Jahre dort 
befinden? Das aber müßte der Fall sein, wenn die Theorie 
eines allgemeinen Gerichts richtig wäre. Wenn die große 
Frage unserer Eignung für den Himmel erst am Tage des 
Gerichts entschieden werden muß, dann ist sie selbstredend 
nicht auf dem Kreuze geordnet worden. Wenn dies aber 
nicht geschehen ist, so müssen wir sicher verlorengehen; 
denn wenn wir gerichtet werden, so geschieht es nach unseren 
Werken, und die einzige mögliche Folge eines solchen Gerichts ist der Feuersee. Und wenn andrerseits behauptet wird, 
die Gläubigen würden nur aus dem Grund vor Gericht gestellt, damit offenbar werde, daß sie durch den Tod Christi 
von jeder Schuld befreit seien, so hieße das den Tag des 
160 
Gerichts in eine leere Form verwandeln — ein Gedanke, der 
jedes fromme Gemüt empören muß. 
Es bedarf nun keines Streites über diesen Punkt. Eine einzige Stelle aus der Heiligen Schrift ist weit beweiskräftiger 
als zehntausend Beweise der Menschen. Unser Herr Jesus 
hat in der klarsten und feierlichsten Weise erklärt, daß die 
Gläubigen „nicht ins Gericht" kommen werden. Das ist genug. Der Gläubige ist schon vor mehr als achtzehnhundert 
Jahren in der Person Christi, seines Hauptes, gerichtet worden, und ihn noch einmal in das Gericht bringen zu wollen, 
wäre eine vollständige Verkennung des Kreuzes Christi in 
seiner versöhnenden Kraft. Ganz sicher kann und wird Gott 
dies niemals zugeben. Selbst der schwächste Gläubige kann 
mit Dank und Triumph ausrufen: „Alles was in bezug auf 
mich gerichtet werden muß, ist bereits gerichtet. Jede Frage, 
die geordnet werden muß, ist schon geordnet. Das Gericht 
ist vollzogen und für immer beendigt. Ich weiß, daß mein 
Werk geprüft, mein Dienst abgeschätzt werden muß; aber 
im Blick auf meine Person, meine Stellung und mein Anrecht ist alles göttlich geordnet. Er, Der am Kreuze für mich 
starb, ist jetzt auf dem Throne gekrönt und die Krone, die 
Er trägt, ist der Beweis dafür, daß es für mich kein Gericht 
mehr gibt. Ich warte nur noch auf die „Erlösung des Leibes". 
Das ist die Sprache, die dem Gläubigen geziemt. Nur dem 
Erlösungswerk am Kreuze verdankt er es, daß er so denken 
und sich so ausdrücken darf. Für sich den Tag des Gerichts 
zur Entscheidung über die Frage seiner ewigen Bestimmung 
zu erwarten, würde nur eine Verunehrung seines Herrn und 
eine Verleugnung der Kraft des Versöhnungsopfers sein. 
Eine solche Unsicherheit mag den Schein der Demut und 
Frömmigkeit an sich tragen; aber wir können überzeugt sein, 
daß alle, die solchen Zweifeln Raum geben, alle, die im Zustand der Ungewißheit leben und den Tag des Gerichts für 
die schließliche Bereinigung ihrer Sache erwarten, mehr mit 
sich selbst, als mit Christo beschäftigt sind. Sie haben den 
Wert des Kreuzes bezüglich ihrer Sünden und ihrer Natur 
noch nicht verstanden. Sie zweifeln an dem Worte Gottes 
und an dem Werke Christi, und das ist nicht das wahre 
Christentum. Unmöglich kann es noch ein Gericht für die 
geben, welche, geschirmt durch das Kreuz, auf dem neuen 
und ewigen Grunde der Auferstehung festen Fuß gefaßt haben. Für solche ist das Gericht für immer vorbei, und übriggeblieben ist nur die Erwartung einer wolkenlosen Herrlich161 
keit und ewigen Glückseligkeit in der Gegenwart Gottes und 
des Lammes. 
Wenn nun zur Bestätigung der Theorie eines allgemeinen 
Gerichts auf Matth 25, 31-46 verwiesen werden sollte, so ist 
hierzu zunächst festzustellen, daß unmöglich eine Stelle der 
Schrift mit einer anderen im Widerspruch stehen kann und 
daß mithin, wenn nach Joh 5, 24 die Gläubigen nicht ins Gericht kommen werden, nach Matth 25 nicht das Gegenteil 
der Fall sein kann. Das ist ein fester, unschätzbarer Grundsatz, eine allgemeine Regel, die keine Ausnahme gestattet. 
Betrachten wir daher die betreffende Stelle in Matth 25. 
„Wenn aber der Sohn des Menschen kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er auf 
seinem Throne der Herrlichkeit sitzen; und vor ihm werden 
versammelt werden alle Nationen, und er wird sie voneinander scheiden, gleichwie der Hirt die Schafe von den Böcken 
scheidet". 
Voraussetzung zum Verständnis dieser Stelle ist eine genaue Betrachtung der Ausdrücke, die hier gebraucht werden. 
Wir müssen jede Oberflächlichkeit, Übereilung, Geringschätzung und Ungenauigkeit, wodurch diese wichtige Schriftstelle so vielfach fehlgedeutet und unter den Kindern Gottes soviel Verwirrung gestiftet wurde, nach Kräften zu vermeiden 
suchen. 
Wer ist denn hier vor Gericht gestellt? „Vor ihm werden 
versammelt werden all e Nationen" . Das ist sehr entscheidend. Es ist hier nicht von einzelnen Personen, sondern 
von Nationen, von allen Völkern die Rede, die zu jener 
Zeit leben werden. Es geht nicht um Israel. Für dieses Volk 
gilt: „Abgesondert wird es wohnen und unter die Völker 
nicht gerechnet werden" (4. Mo 23, 9). Wenn das Volk Israel in dieses Gericht einbegriffen wäre, so würden beide 
Schriftstellen in offenem Widerspruch zueinander stehen. 
Das aber ist unmöglich. Israel wird nie zu den Nationen gerechnet. Vom göttlichen Standpunkt aus betrachtet steht 
Israel allein. Das Volk mag um seiner Sünden willen und 
nach der Regierung Gottes unter die Nationen zerstreut sein, 
dennoch erklärt das Wort Gottes, daß es nicht unter sie gerechnet werden soll, und das sollte uns genügen. 
Ist aber das Volk Israel an dem in Matth 25 geschilderten 
Gericht nicht beteiligt, so ist die Idee von einem allgemeinen 
Gericht widerlegt. Das Gericht kann kein allgemeines sein, 
wenn nicht alle darin eingeschlossen sind, und Israel ist nie 
162 
in den Ausdruck „Nationen" (Völker, Heiden) mit einbegriffen gewesen. Die Schrift spricht von drei verschiedenen 
Klassen: von den „Juden", den „Nationen" oder Völkern 
und von der „Kirche oder Versammlung Gottes", und diese 
drei Klassen werden streng unterschieden. Nicht nur Israel, 
sondern auch die Versammlung Gottes ist nicht in jenes Gericht nach Matth 25 einbezogen, und zwar nicht deshalb, 
weil sie vom Gericht befreit ist, sondern auch, weil sie wie 
Petrus auf dem Konzil zu Jerusalem erklärte, au s den Nationen genommen ist (Apg 15, 14). Wenn nun die Versammlung au s den Nationen genommen ist, so kann sie 
nicht mehr zu ihnen gerechnet werden, womit ein weiterer 
Beweis gegen die Annahme eines allgemeinen Gerichts geführt ist. Die Idee eines allgemeinen Gerichts ist danach 
unhaltbar. 
„Vor ihm werden versammelt werden alle Nationen". Es 
ist das Gericht über die Nationen, welche auf der Erde leben. 
Nicht einer, von denen hier die Rede ist, wird durch den 
Tod gegangen sein, ganz im Gegensatz zu dem Gericht nach 
Offb 20, 11-15, wo sich nicht einer findet, der nicht zuvor 
gestorben ist. Kurz, in Matth 25 ist vom Gericht über die 
„Lebendigen" und in Offb 20 vom Gericht über die „Toten" 
die Rede. Auf beide Ereignisse wird in 2. Tim 4 hingewiesen: 
„Ich bezeuge ernstlich vor Gott und Christo Jesu, der da 
richten wird Lebendige und Tote, und bei seiner Erscheinung 
und seinem Reiche" (V. 1). Unser Herr Jesus Christus wird 
die lebenden Nationen bei Seiner Ankunft und die „Toten, Kleine und Große" am Schluß Seiner tausendjährigen 
Herrschaft richten. 
Befassen wir uns nun kurz mit den Beteiligten am Gericht 
nach Matth 25: „Er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken". Die fast allgemeine Annahme der bekennenden Kirche ist, daß die „Schafe" alle Kinder 
Gottes von Beginn bis zum Ende der Zeiten und die „Böcke" 
alle Gottlosen vom ersten bis zum letzten umfassen. Wenn 
es so wäre, was hätten wir dann unter jener dritten Abteilung zu 
verstehen, die uns unter der Bezeichnung „diese meine Brüder" vorgestellt wird? Der König wendet Sich im Blick auf 
diese dritte Abteilung an die Schafe und Böcke; denn in der 
Tat ist die Behandlung der Brüder des Königs der Grund 
des Gerichts. Die Behauptung, unter den „Schafen" und 
„Brüdern" sei ein und dieselbe Gruppe zu verstehen, ist abwegig, sonst würde der König nicht sagen: „ . . . insofern 
ihr es einer dem anderen" oder „untereinander" getan habt. 
163 
Allein diese Überlegung würde genügen, die Theorie eines 
allgemeinen Gerichts zu widerlegen. Es ist nicht abzustreiten, daß hier drei Gruppen unterschieden werden, nämlich 
die „Schafe", die „Böcke" und „diese meine Brüder". Da 
„diese meine Brüder" weder bei den „Schafen" noch bei den 
„Böcken" einbegriffen sind, kann es ein allgemeines Gericht 
nicht geben. 
Nein, was hier beschrieben wird, ist kein allgemeines, sondern ein auf eine bestimmte Klasse sich beziehendes Gericht. 
Es ist das dem Tausendjährigen Reich vorangehende Gericht 
über die lebenden Nationen. Die Heilige Schrift lehrt uns, 
daß, nachdem die Versammlung dieser Erde entrückt ist, den 
Nationen noch ein Zeugnis bleiben wird. Das Evangelium 
v o m Reich e wird von israelitischen Boten weit und breit, 
über die ganze Erde, bis zu jenen Regionen getragen werden, 
die bis dahin in heidnische Finsternis gehüllt waren. Die 
Nationen, welche diese Boten willig aufnehmen, werden zur 
Rechten des Königs, die andern aber, welche sie verwerfen 
und gar unfreundlich behandeln, zu Seiner Linken gefunden 
werden. „Diese meine Brüder" sind Juden — die Brüder des 
Messias. 
Die Behandlung der jüdischen Boten wird alsdann der 
Grund sein, dessentwegen die Nationen gerichtet werden 
und das ist ein weiterer Beweis gegen ein allgemeines Gericht. Wir wissen sehr wohl, daß alle, die auf dieser Erde 
gelebt und bis zu ihrem Tode das Evangelium verworfen 
haben, sich noch wegen anderer Verschuldungen zu verantworten haben werden als nur wegen der Lieblosigkeit gegen 
die Brüder des Königs und andererseits werden auch alle, die 
das Lamm in himmlischer Herrlichkeit umgeben werden, dieses Vorrecht einem Verdienst zuzuschreiben haben, das ihre 
eigenen Werke ihnen nicht verschaffen können. 
Kurz, es gibt nicht einen einzigen Zug in diesem Gericht, 
keinen einzigen Hinweis in dieser Mitteilung, die auf ein 
allgemeines Gericht hindeuten; alles spricht dagegen. Davon 
werden wir umsomehr überzeugt, jemehr wir die Heilige 
Schrift betrachten und die Wege Gottes, Sein Wesen, Seinen 
Charakter, Seine Vorsätze, Seine Ratschlüsse, Seine Gedanken begreifen, jemehr wir Christum, Seine Person, Sein 
Werk, Seine Herrlichkeit erfassen, jemehr wir die Versammlung in ihrer Stellung vor Gott in Christo, ihre Vollkommenheit und ihre völlige Annahme in Christo erkennen. 
164 
Wie könnte jemand, der Gott in etwa kennt, annehmen, 
daß Gott heute die Seinen rechtfertigen und sie morgen vor 
Gericht stellen, daß Er heute ihre Sünden auslöschen und 
sie morgen nach ihren Werken richten werde? Welcher wahre Christ könnte von unserem anbetungswürdigen Herrn 
und Heiland annehmen, daß Er Seine Versammlung, Seinen 
Leib, Seine Braut gemeinsam mit allen, die in ihren Sünden 
gestorben sind, vor den Richterstuhl bringen werde? Wie 
könnte Er die Seinigen vor die Schranken des Gerichts stellen, und zwar wegen ihrer Sünden und Übertretungen, von 
denen Er gesagt hat: „Ich will ihrer nie mehr gedenken?" 
Doch genug. Wir hoffen, überzeugend klargestellt zu haben, daß es weder eine gemischte Auferstehung, noch ein 
allgemeines Gericht gibt, noch geben kann. Zu dem Gericht 
nach Offb 20, 11-15 ist nur angedeutet, daß es nach dem 
Tausendjährigen Reiche stattfinden und daß es alle Gottlosen von Kain an bis zu dem letzten Abtrünnigen in sich 
schließen wird. Dort wird keiner sein, der nicht durch den 
Tod gegangen ist, keiner, dessen Name im Buche des Lebens 
geschrieben steht, keiner, der nicht nach seinen eigenen Werken gerichtet, keiner, der nicht von der furchtbaren Wirklichkeit des weißen Thrones hinweg in die ewige Pein und 
in die unaussprechlichen Qualen des Feuer- und Schwefelsees 
geworfen werden wird. Wie furchtbar! Wie schrecklich! Wie 
entsetzlich! 
Geliebter Leser! Was sagst du zu alledem? Glaubst du in 
Wahrheit an den Herrn Jesus? Bist du in Seinem Blute gewaschen und in Ihm vor dem kommenden Gericht geborgen? 
Wenn nicht, so richte ich in aller Liebe und mit allem Ernst 
die Bitte an dich, du möchtest doch noch heute dem kommenden Zorn entrinnen. Fliehe zu Jesu! Er ist bereit, dich 
mit erbarmender Liebe zu empfangen und dich in der Kraft 
Seines Versöhnungswerkes und in dem Wert Seines unvergleichlichen Namens zu Gott zu führen. 
165 
6. Der jüdische Überrest 
Matth 24 enthält in den Versen 1-44 eins der tiefsten und 
umfassendsten Gespräche die es gibt — ein Gespräch, das in 
seinem wunderbaren Verlauf das Schicksal des jüdischen 
Überrestes, die Geschichte der Christenheit und das Gericht 
über die Nationen entwickelt. Da wir den letzten Gesichtspunkt bereits betrachtet haben, so wollen wir uns nun mit 
dem Überrest Israels und der Geschichte der bekennenden 
Kirche in ihrer wahren oder falschen Stellung näher befassen. 
Um diesen Abschnitt zu verstehen, muß man sich in die 
Stellung jener Personen versetzen, an die unser Herr in jener 
Zeit Seine Worte richtete. Der Versuch, diese Gespräche etwa 
im Licht des Epheserbriefes zu begreifen, könnte nur Verwirrung bringen und die Stelle ihrer ernsten Belehrung berauben. Es findet sich hier nichts von der Versammlung Gottes, dem Leibe Christi. Die Belehrung unseres Herrn ist 
göttlich vollkommen; sie enthält auch keine Offenbarungen, 
die nicht zeitgemäß wären. Die Einführung der Versammlung Gottes, die noch in Gott verborgen war, würde aber 
durchaus nicht zeitgemäß gewesen sein. Die köstliche Wahrheit konnte nicht geoffenbart werden, bevor Christus nicht 
als Messias verworfen, Seinen Platz zur Rechten Gottes eingenommen und den Heiligen Geist herniedergesandt hatte, 
um durch Dessen Gegenwart aus Juden und Heiden eine n 
Leib zu bilden. 
Davon finden wir in Matth 24 nichts. Wir stehen hier 
auf jüdischem Boden und sind von jüdischen Verhältnissen 
und Einflüssen umgeben. Die Darstellung des Geschehens 
sowie die Redewendungen sind rein jüdisch. Wollten wir diese Stelle auf die Versammlung anwenden, so würden wir das, 
worum es dem Herrn ging, gänzlich verkennen und die wahre Stellung der Versammlung verfälschen. Je eingehender wir 
die Schrift untersuchen, desto klarer werden wir erkennen, 
daß die hier in Rede stehenden Personen einen jüdischen 
Standpunkt einnehmen, mögen wir an die denken, welche 
später auf demselben Boden stehen werden, wenn die Versammlung die Erde verlassen haben wird. 
Prüfen wir jetzt diese Stelle näher. Am Schluß des vorigen 
Kapitels wendet sich der Herr an die Führer des Volkes Israel mit den schwerwiegenden Worten: „Machet voll das 
Maß eurer Väter! Schlangen, Otternbrut! wie solltet ihr dem 
166 
Gericht der Hölle entfliehen? Deswegen siehe, ich sende zu 
euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte; und etliche 
von ihnen werdet ihr töten und kreuzigen, und etliche von 
ihnen werdet ihr in euren Synagogen geißeln und werdet 
sie verfolgen von Stadt zu Stadt; damit über euch komme 
alles gerechte Blut, das auf der Erde vergossen wird, von dem 
Blute Abels, des Gerechten, bis zu dem Blute Zacharias, des 
Sohnes Barachias, den ihr zwischen dem Tempel und dem 
Altar ermordet habt. Wahrlich, ich sage euch, dies alles wird 
über dieses Geschlecht kommen. Jerusalem, Jerusalem, die da 
tötet die Propheten und steinigt, die zu ihr gesandt sind! 
Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine 
Henne ihre Küchlein versammelt unter ihre Flügel, und ihr 
habt nicht gewollt! Siehe, euer Haus wird euch öde gelassen; 
denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, 
bis ihr sprechet: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen 
des Herrn!" (Mtth 23, 32-39). 
So schließt das Zeugnis des Messias gegenüber dem abtrünnigen Volke Israel. Keine Bemühung der Liebe, ja der 
göttlichen Liebe ist unversucht geblieben — vergebens. Propheten wurden gesandt, und man hat sie gesteinigt. Boten 
auf Boten sind gekommen und haben ermahnt, gebeten, gewarnt; alles blieb ohne Erfolg. Die gewaltigen Worte dieser 
Boten trafen auf taube Ohren und verhärtete Herzen und 
die einzige Antwort der Empfänger waren Mißhandlung, 
Steinigung und Tod. Schließlich wurde der Sohn Selbst gesandt mit den ergreifenden Worten des Vaters: „Ich will 
meinen geliebten Sohn senden; vielleicht, wenn sie diesen 
sehen, werden sie sich scheuen" (Luk 20, 13). Und scheuten 
sie sich vor Ihm? Ach, nein. Sie sahen Ihn an, und Er hatte 
kein Ansehen, daß sie Seiner begehrt hätten (]es 53, 2). Die 
Tochter Zion hatte kein Herz für ihren König. Der Weinberg befand sich in den Händen untreuer Weingärtner, die 
ihn für sich selbst behalten wollten. „Als aber die Weingärtner den Sohn sahen, sprachen sie untereinander: Dieser 
ist der Erbe; kommt, laßt uns ihn töten und sein Erbe in 
Besitz nehmen" (Mtth 21, 38)! 
Das war der moralische Zustand Israels, angesichts dessen 
unser Herr die oben angeführten, ungewöhnlich harten Worte sprach, und dann „trat Jesus hinaus und ging von dem 
Tempel hinweg" (Kap. 24, 1). Wie zögernd Er ging, wissen 
wir; denn — gepriesen sei Sein Name! — so oft Er einen Platz 
der Gnade verläßt oder einen Platz des Gerichts betritt, ist Sein 
167 
Schritt stets langsam und gemessen, wie es uns der Prophet 
Hesekiel bezeugt. „Und die Herrlichkeit Jehovas begab sich 
von der Schwelle des Hauses hinweg und stellte sich über 
die Cherubim. Und die Cherubim erhoben ihre Flügel und 
hoben sich vor meinen Augen von der Erde empor, als sie 
sich hinwegbegaben; und die Räder waren neben ihnen. Und 
sie stellten sich an den Eingang des östlichen Tores des Hauses Jehovas und die Herrlichkeit des Gottes Israels war oben 
über ihnen" (Hes 10, 18. 19). — „Und die Cherubim erhoben 
ihre Flügel, und die Räder waren neben ihnen; und die Herrlichkeit des Gottes Israels war oben über ihnen. Und die 
Herrlichkeit Jehovas erhob sich aus der Mitte der Stadt und 
stellte sich auf den Berg, der gegen Osten der Stadt ist" 
(Hes 11, 22. 23). 
So verließ die Herrlichkeit des Gottes Israels mit langsamen, zögernden Schritten das Haus Gottes in Jerusalem. Jehova verweilte lange in der Nähe dieser Stätte; nur mit 
Widerstreben schied Er.*) Er war in liebender Eile gekommen, um mit ganzem Herzen und ganzer Seele in der Mitte 
Seines Volkes zu weilen und im Schöße Seiner Versammlung 
Seinen Wohnsitz aufzuschlagen; doch ihre Sünden und Übertretungen zwangen Ihn wieder hinwegzugehen. Er wäre gern 
geblieben, aber es war unmöglich; jedoch durch die Art und 
Weise Seines Scheidens zeigte Er Selbst, mit welchem Widerstreben Er hinwegging. 
War es nicht ebenso mit dem Jehova-Messias in Mtth 23? 
Seine rührenden Worte bezeugen es. „Wie oft habe ich deine 
Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein 
versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt!" 
Hier liegt das tiefe Geheimnis. „Ich wollte " — das ist das 
Herz Gottes. „Ih r wollte t nicht " — das ist das Herz 
Israels. Gleich der Herrlichkeit Gottes in den Tagen des Hesekiels, so mußte auch Er Sich von Seinem Volke trennen, 
jedoch nicht — gepriesen sei Sein Name! — ohne ein Wort zu 
*)Welch einen Kontrast bildet dieses zögernde Scheiden zu dem bereitwilligen Eintreten in das Zelt der Zusammenkunft (2. Mo 40), sowie in den Tempel (2. Chr 7). Kaum 
war das Haus fertig, so kam Er hernieder, um es mit Seiner Herrlichkeit zu erfüllen. So 
schnell Er zum Eintreten bereit war, so sehr zögerte Er, das Haus zu verlassen. Und 
nicht allein das, sondern ehe noch das Buch Hesekiel schiieüt, sehen wir die Herrlichkeit 
Gottes zurückkehren und „Jehova Schammah" d. h. Jehova daselbst steht mit unlöschIicher Schrift in die Tore der Stadt eingegraben. Nichts vermag die Liebe Gottes zu 
ändern. Wenn Er liebt und wie Er liebt — Er liebt bis ans Ende. „Er ist derselbe, 
gestern und heute und in Ewigkeit." 
168 
sagen, das den kostbaren Grund zur Hoffnung auf eine herrliche Zukunft bildet, daß nämlich die Herrlichkeit Gottes zurückkehren und die Tochter Zion ihren König mit dem Jubelruf empfangen wird: „Gepriesen sei, der da kommt im 
Namen des Herrn!" 
Aber vor dem Anbruch dieses herrlichen Tages wird die 
Geschichte Israels nur von Finsternis, Verfall und Verwüstung zu berichten haben. Das, was die Führer des Volkes 
durch die Verwerfung Christi zu hintertreiben suchten, kam 
in furchtbarer Wirklichkeit über sie. „Die Römer werden 
kommen" — sagten sie — „und sowohl unseren Ort als auch 
unsere Nation wegnehmen". Ach! ihr Ort und ihre Nation 
waren bereits den Römern unterworfen, und der bedeutungsvolle Weggang Jesu nach Mtth 24, 1 war nur der Urteilsspruch der Verwüstung über das ganze jüdische System. „Und 
Jesu trat hinaus und ging von dem Tempel hinweg". Ihr 
Zustand war hoffnungslos. Alles war verloren. Eine lange 
Periode voll Finsternis und Kummer mußte über diese betörte 
Nation hereinbrechen — eine Periode, die in der „großen 
Drangsal", die der Stunde der schließlichen Erlösung vorangehen muß, ihren Gipfelpunkt erreichen wird. 
Aber wie es in den Tagen Hesekiels ein kleine Anzahl von 
Menschen gab, die über die Sünden und Drangsale des Volkes seufzten und Leid trugen, so fand sich auch in den Tagen, da der Herr auf der Erde war, ein Überrest gottesfurchtiger Seelen, die sich dem verworfenen Messias anschlössen 
und die Hoffnung einer Erlösung und Wiederherstellung 
Israels nährten. Freilich waren ihre Vorstellungen sehr unklar und ihre Gedanken voll von Verwirrungen; aber nichtsdestoweniger schlugen ihre von der Gnade berührten Herzen 
treu für den Messias und sie waren erfüllt mit der Hoffnung 
über eine segensreiche Zukunft Israels. 
Es ist nun höchst bedeutsam, die Stellung dieses Überrestes zu beachten und sich darüber klar zu werden, daß 
unser Herr in Seiner wunderbaren Unterhaltung auf dem 
Oelberg nur mit dem Überrest aus Israel beschäftigt ist. Die 
Annahme, daß die Personen, zu denen hier geredet wird, auf 
christlichem Boden stehen, würde die wahren Gedanken über 
das Christentum preisgeben und zugleich jenes Häuflein verleugnen, dessen Existenz in den Psalmen, in den Propheten 
und selbst im Neuen Testament ganz bestimmt anerkannt 
wird. Er bestand und es besteht immer noch ein „Überrest 
nach der Wahl der Gnade". Wir verzichten darauf, die Stel169 
len zu zitieren und zu erläutern, welche die Geschichte, die 
Trübsale, die Erfahrungen und die Übungen dieses Überrestes in sich enthalten, weil wir damit einen ganzen Band 
ausfüllen müßten; aber wir wünschen aufrichtig, daß der Leser in dem Häuflein von Jüngern, die einst auf dem ölberg 
um den Herrn versammelt waren, jenen gottesfürchtigen 
Überrest erkenne; denn wir sind überzeugt, daß, wenn diese 
Erkenntnis fehlt, der wahre Zweck, die wahre Tragweite und 
Anwendung dieser beachtenswerten Unterredung verlorengeht. 
„Und Jesus trat hinaus und ging von dem Tempel hinweg; 
und seine Jünger traten herzu, um ihm die Gebäude des 
Tempels zu zeigen. Er aber antwortete und sprach zu ihnen: 
Sehet ihr nicht alles dieses? Wahrlich ich sage euch: Hier wird 
nicht ein Stein auf dem anderen gelassen werden, der nicht 
abgebrochen werden wird. Als er aber auf dem ölberge saß, 
traten seine Jünger zu ihm besonders und sprachen: Sage 
uns, wann wird dieses sein, und was ist das Zeichen deiner 
Ankunft und der Vollendung des Zeitalters" (Mtth 24, 1-3)? 
Selbstredend waren die Jünger mit irdischen Dingen und 
Erwartungen beschäftigt — mit dem Tempel und seiner Umgebung. Wir dürfen dies nicht aus den Augen verlieren, wenn 
wir ihre Fragen und die Antwort des Herrn verstehen wollen. Bis dahin gingen ihre Gedanken nicht über die irdischen 
Dinge hinaus. Sie erwarteten die Wiederherstellung des Reiches, die Herrlichkeit des Messias, die Erfüllung der den Vätern gegebenen Verheißungen. Sie hatten die ernste und in 
ihren Folgen wichtige Tatsache noch nicht erfaßt, daß der 
Messias „weggetan werden und nichts haben" sollte (Dan 
9, 26). Freilich hatte ihr Herr und Lehrer von Zeit zu Zeit 
ihren Geist auf diese wichtigen Ereignisse vorzubereiten gesucht. Er hatte sie im Blick auf die finsteren Schatten, die 
Seinen Pfad umgeben würden, treulich gewarnt, hatte ihnen 
gesagt, daß der Sohn des Menschen den Nationen überliefert 
werden würde, um verspottet, gegeißelt und gekreuzigt zu 
werden; aber sie hatten Ihn nicht verstanden. Solche Unterredungen blieben ihnen dunkel, hart und unverständlich, und 
ihre Herzen klammerten sich stets fest an die Hoffnung, einer nationalen Wiederherstellung und Segnung. Sie sehnten 
sich, den Stern Jakobs in seinem Aufgang zu erblicken; und 
ihre Gemüter waren erfüllt mit der Wiederaufrichtung des 
Reiches Israel. Sie verstanden nichts von dem, was aus der 
Verwerfung und dem Tod des Messias hervorgehen sollte, 
170 
und wie hätten sie es auch verstehen können? Freilich hatte 
der Herr von dem Aufbauen einer Versammlung gesprochen; 
aber das Wesen und die Vorrechte dieser Versammlung, ihrer 
Berufung, ihre Stellung und ihre Hoffnungen begriffen sie 
nicht. Die Idee eines Leibes, gebildet aus Juden und Heiden, 
und vereinigt durch den Heiligen Geist mit einem lebendigen 
und verherrlichten Haupte im Himmel, war ihnen nie in den 
Sinn gekommen, und wie wäre das auch möglich gewesen? 
Die Zwischenwand der Umzäunung bestand noch, und einer 
von ihnen, sogar der erste unter ihnen, hatte lange nachher 
große Schwierigkeiten zu lernen, daß auch die Heiden in das 
Reich aufgenommen werden sollten. 
Diesem allen muß Rechnung getragen werden, wenn wir 
die Antwort des Herrn auf die Frage bezüglich Seiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters richtig verstehen 
wollen. In dieser ganzen Antwort ist auch nicht eine Silbe 
von der Versammlung als solcher zu finden. Bis zu Vers 14, 
wo Er vom Ende redet, gibt Er einen kurzen Überblick über 
die Ereignisse, die sich unter den Nationen zutragen würden. 
„Sehet zu", sagt Er, „daß euch niemand verführe! denn 
viele werden unter meinem Namen kommen und sagen: Ich 
bin der Christus! und sie werden viele verführen. Ihr werdet aber von Kriegen und Kriegsgerüchten hören. Sehet zu, 
erschrecket nicht; denn dies alles muß geschehen; aber es ist 
noch nicht das Ende. Denn es wird sich Nation wider Nation 
erheben und Königreich wider Königreich, und es werden 
Hungersnöte und Seuchen sein und Erdbeben an verschiedenen Orten. Alles dies aber ist der Anfang der Wehen. 
Dann werden sie euch in Drangsal überliefern und euch töten; und ihr werdet von allen Nationen gehaßt werden um 
meines Namens willen. Und dann werden viele geärgert 
werden und werden einander überliefern und einander hassen; und viele falsche Propheten werden aufstehen und werden viele verführen; und wegen des Überhandnehmens der 
Gesetzlosigkeit wird die Liebe der Vielen erkalten; wer aber 
ausharret bis ans Ende, dieser wird errettet werden. Und 
dieses Evangelium des Reiches wird gepredigt werden auf 
dem ganzen Erdkreis, allen Nationen zu einem Zeugnis, und 
dann wird das Ende kommen". 
Das ist die umfassende Schilderung des ganzen Zeitraumes 
von dem Augenblick an, wo unser Herr redete, bis zur Zeit 
des Endes. Aber es darf nicht übersehen werden, daß in dieser Periode eine nicht zu bezeichnende Zwischenzeit vorhan171 
den ist, während welcher sich das große Geheimnis bezüglich der Versammlung Christi entfaltet. Diese Zwischenzeit 
oder Unterbrechung ist, da die Zeit ihrer Entwicklung noch 
nicht gekommen war, in dieser Unterredung gänzlich übergangen. Das Geheimnis war noch „verborgen in Gott" und 
konnte nicht eher geoffenbart werden bis der Messias verworfen, von der Erde hinweggetan und in die Herrlichkeit 
aufgenommen war. Diese Unterredung würde völlig und 
vollkommen in Erfüllung gegangen sein, wenn nie etwas von 
der Versammlung gesagt worden wäre; denn — vergessen 
wir es nicht! — die Versammlung bildet keinen Teil der Wege 
Gottes mit Israel und der Erde. Und was die Anspielung auf 
die Predigt des Evangeliums betrifft (V. 14), so dürfen wir 
dieses Evangelium durchaus nicht mit dem „herrlichen Evangelium der Gnade Gottes" auf eine Stufe stellen, das durch 
Paulus gepredigt wurde. Es wird das Evangelium des Reiches 
genannt und wird nicht gepredigt werden, um die Versammlung oder Kirche zu sammeln, sondern „zu einem Zeugnis 
allen Nationen". Wir dürfen nicht miteinander vermengen, 
was Gott in Seiner unendlichen Weisheit klar erkennbar unterschieden hat. Die Versammlung darf nicht mit dem Reich 
und ebensowenig das Evangelium der Gnade mit dem Evangelium des Reiches verwechselt werden. Beachten wir das 
nicht, so werden wir weder das eine, noch das andere verstehen. Mtth 24 ist zudem nur dem zugänglich, der daneben 
auch die Zwischenzeit oder nichtbezeichnete Unterbrechung, 
in welche das große Geheimnis über die Versammlung eingeschoben ist, ins Auge faßt. 
Doch fahren wir mit der Betrachtung der Rede des Herrn 
fort. 
In V. 15 knüpft Er an eine Anspielung des Propheten 
Daniel an, mit der ein gläubiger Jude vertraut sein konnte. 
„Wenn ihr nun den Greuel der Verwüstung, von welchem 
durch Daniel, den Propheten, geredet ist, stehen sehet an 
heiligem Orte, (wer es liest, der beachte es) daß alsdann 
die in Judäa sind, auf die Berge fliehen; wer auf dem Dache 
ist, nicht hinabsteige, um die Sachen aus seinem Hause zu 
holen; und wer auf dem Felde ist, nicht zurückkehre, um sein 
Kleid zu holen . . . Betet aber, daß eure Flucht nicht im 
Winter geschehe, noch am Sabbath; denn alsdann wird große 
Drangsal sein, dergleichen von Anfang der Welt bis jetzthin 
nicht gewesen ist, noch je sein wird". 
172 
Das alles ist sehr beziehungsreich. Die Anführung von 
Dan 11 stellt die Anwendung über jede Frage hinaus fest. 
Sie beweist, daß sich diese Stelle nicht auf die Belagerung 
Jerusalems unter Titus bezieht; denn wir lesen in Dan 12: 
„In jener Zeit wird dein Volk errettet werden". Wir wissen 
aber, daß das Volk in den Tagen des Titus nicht errettet 
worden ist und mithin kann jene Stelle nur auf das Ende 
der Zeiten angewandt werden. Der Schauplatz ist Jerusalem. 
Die hier in Rede stehenden Personen sind gläubige Juden — 
der gottesfürchtige Überrest in der großen Drangsal, nachdem 
die Versammlung die Erde verlassen hat. Wer könnte der 
Meinung Raum geben, daß die hier unterwiesenen Personen 
auf kirchlichem Boden stehen? Welche Bedeutung würde 
dann in der Anspielung auf den Winter und auf den Sabbath 
liegen? 
Und weiter: „Wenn jemand zu euch sagt: Siehe, hier ist 
der Christus, oder hier! so glaubet nicht . . . Wenn sie nun 
zu euch sagen: Siehe, er ist in der Wüste! so gehet nicht 
hinaus; siehe, in den Gemächern! so glaubet nicht" (V. 23. 
26). Wie könnten diese Worte auf Personen angewandt werden, die belehrt sind, den Sohn Gottes vom Himmel zu erwarten, und die wissen, daß, bevor Er auf die Erde zurückkehrt, sie Ihm in Wolken entgegengerückt und mit Ihm in 
das Haus des Vaters eingeführt sein werden? Könnte ein 
Christ, der seine wahre Hoffnung kennt, durch die Worte 
getäuscht werden: „Siehe, hier ist der Christus oder hier; 
siehe, er ist in der Wüste, oder in den Gemächern?" Unmöglich. Ein solcher wird den Bräutigam vom Himmel her erwarten und er weiß wohl, daß Christus unmöglich auf dieser 
Erde erscheinen kann, ohne die Seinen mit Sich zu bringen. 
So ordnet also die einfache Wahrheit alles; an uns ist es, 
sie einfach anzunehmen. Der schwächste Gläubige weiß sehr 
wohl, daß Sein Herr ihm nicht als ein Blitzstrahl erscheinen 
wird, sondern als der glänzende Morgenstern, und daher begreift er, daß Mtth 24 nicht auf die Versammlung anwendbar 
ist, obwohl er die darin enthaltenen Worte, wie alle anderen 
prophetischen Schriften, mit Nutzen und Interesse betrachten 
kann, ja daß dieses Interesse und dieser Nutzen sich in dem 
Maße steigern werden, als er es versteht, solche Schriftstellen richtig anzuwenden. 
Wir müssen es uns leider versagen, noch weiter in dieses 
bewundernswürdige Gespräch einzudringen. Aber je gründlicher jeder Satz untersucht und je genauer jeder Umstand 
173 
geprüft wird, desto mehr muß es uns einleuchten, daß die 
hier in Frage stehenden Personen nicht auf dem eigentlich 
christlichen Boden stehen. Alles ist irdisch und jüdisch, nicht 
himmlisch und christlich, und die Unterweisung gilt solchen, 
die sich später in dieser Stellung befinden werden. Eindeutig 
bezieht sich die ganze Stelle von V. 15-42 auf jenen Zeitraum, der zwischen der Entrückung der Heiligen und der 
Erscheinung des Sohnes des Menschen liegt. 
Vielleicht erblickt jemand eine Schwierigkeit in den Worten: „Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis alles dieses 
geschehen ist" (V. 34). Hierzu ist bemerkenswert, daß das 
Wort „Geschlecht" (Generation) in der Heiligen Schrift stets 
in einem moralischen Sinne gebraucht wird. Es beschränkt 
sich nicht auf eine gewisse Zahl von Personen, die zu jener 
Zeit lebten, sondern es umfaßt das ganze Geschlecht . 
Hier ist das Wort auf das jüdische Geschlecht angewandt; 
aber die Wortstellung ist so, daß die Zeitfrage gänzlich offen bleibt, damit das Herz sich stets für die Ankunft des 
Herrn bereithalten möge. Die Heilige Schrift enthält nichts, 
was sich zwischen das beständige Erwarten dieses großen 
Ereignisses eindrängen könnte. Im Gegenteil ist jedes Gleichnis, jedes Bild, jede Anspielung so gefaßt, daß jeder Gläubige berechtigt ist, die Ankunft des Herrn während seines 
Lebens hier zu erwarten, während zugleich Raum genug für 
eine Verlängerung der Zeit nach der großen Langmut und 
Gnade unseres Heilandes und Gottes gelassen ist. 
174 
7. Die Christenheit 
Wie verschiedenartige Gedanken und Gefühle werden 
durch das Wort „Christenheit" in der Seele wachgerufen! Es 
stellt mit einem Male jene ungeheure Masse von Getauften 
vor unsere Augen, die sich die Kirche Gottes nennt, aber, 
außer ihrer Verantwortlichkeit, alles eingebüßt hat, was ein 
Recht auf diesen Namen gibt. Sie ist nicht das wahre Christentum; ihre Stellung ist unklar und unbestimmt; es ist 
weder die Stellung des Judentums oder des Heidentums, noch 
die Stellung der wahren Kirche Gottes. Sie ist eine verdorbene, verworrene Mischung, Fälschung des Besten und gerade 
darum besonders verwerflich. Das hat der Feind aus der bekennenden Christenheit gemacht. Sie ist weit schlechter als 
das Judentum, ja selbst weit schlechter als das finstere Heidentum, weil sie ein helleres Licht und größere "Vorrechte 
genießt, und weil sie das höchste Bekenntnis ablegt und den 
erhabensten Standpunkt einnimmt. Sie ist das Bild des 
schrecklichsten Abfalls, für den das schwerste Gericht, der 
bitterste Tropfen in der Schale des gerechten Zornes Gottes 
aufbewahrt ist. 
Doch — Gott sei gepriesen! — es gibt in der Christenheit 
noch solche, die ihre Kleider nicht besudelt haben. Sie sind 
wie glänzende Funken in der glimmenden Asche, wie köstliche Steine unter schrecklichem Schutt. Was aber die Masse 
betrifft, die man mit dem Ausdruck „Christenheit" bezeichnet, so kann nichts entmutigender, nichts erschreckender sein 
als ihr gegenwärtiger Zustand oder ihr zukünftiges Schicksal. Es muß bezweifelt werden, daß die Christen im allgemeinen ein richtiges Verständnis von ihrem wahren Charakter und dem unvermeidlichen Verhängnis dessen haben, was 
ihrer harret. Sonst würden sie wohl ernster sein und die Notwendigkeit erkennen, sich von den schlechten Wegen der 
Christenheit zu trennen und gegen deren Geist und Grundsätze mit aller Entschiedenheit Zeugnis abzulegen. 
In der ersten Unterredung beschäftigt Sich der Herr, auf 
dem ölberg, wie bereits bemerkt, mit der bekennenden Christenheit und zwar in dreifacher Weise: in den Gleichnissen 
vom untreuen Knecht, von den zehn Jungfrauen und den 
Talenten. Jedes dieser Gleichnisse unterscheidet zwischen 
dem, was echt und unecht, was wahr und falsch, was hell 
und dunkel ist, was dem Licht und was der Finsternis ange175 
hört. In gedrängter Kürze zeigt sich hier ein reicher Schatz 
ernstester und höchst praktischer Lehren. 
„Wer ist nun der treue und kluge Knecht, den sein Herr 
über sein Gesinde gesetzt hat, um ihnen die Speise zu geben zur rechten Zeit? Glückselig jener Knecht, den sein Herr, 
wenn er kommt, also tuend finden wird! Wahrlich, ich sage 
euch, er wird ihn über seine ganze Habe setzen" (Mtth 24 
45-47). Hier finden wir zugleich die Quelle und den Zweck 
jedes Dienstes im Hause Gottes. „ . . . den sein Herr gesetzt hat über sein Gesinde" — das ist die Quelle, und: 
„ . . . um ihnen die Speise zu geben zur rechten Zeit" — das 
ist der Zweck. 
Diese Gesichtspunkte sind höchst bedeutsam und erfordern 
die ganze Aufmerksamkeit. Jeder Dienst im Hause Gottes 
beruht in den alt- als auch in den neutestamentlichen Zeiten 
auf göttlicher Anordnung. Ein durch menschliche Autorität 
bestimmter Dienst findet in der Heiligen Schrift keine Anerkennung. Gott allein kann jemanden zum Diener in Seinem 
Hause einsetzen. In den alttestamentlichen Zeiten wurden 
Aaron und seine Söhne von Jehova für das Priestertum bestimmt, und wenn ein Fremder es wagte, in die Verrichtung 
des heiligen Dienstes einzugreifen, so mußte er es mit dem 
Leben büßen. Selbst dem König war es nicht gestattet, das 
goldene Rauchfaß anzurühren. Von Ussija, dem König von 
Juda, steht geschrieben: „Und als er stark geworden war, 
erhob sich sein Herz, bis er verderbt handelte; und er handelte treulos gegen Jehova, seinen Gott, und trat in den 
Tempel Jehovas, um auf dem Rauchaltar zu räuchern. Da 
kam Asarja, der Priester, hinter ihm her, und mit ihm achtzig Priester Jehovas, wackere Männer; und sie widerstanden 
dem König Ussija und sprachen zu ihm: Nicht dir, Ussija, 
geziemt es, Jehova zu räuchern, sondern den Priestern, den 
Söhnen Aarons, die geheiligt sind zum Räuchern. Geh aus 
dem Heiligtum hinaus; denn du hast treulos gehandelt, und 
es wird dir nicht zur Ehre gereichen von Jehova Gott. Aber 
Ussija wurde zornig und er hatte in seiner Hand ein Räucherfaß zum Räuchern; und als er über die Priester zürnte, 
da brach der Aussatz aus an seiner Stirn . . . Und der König 
Ussija war aussätzig bis zum Tage seines Todes" (2. Chron 
26, 16-21). 
Das waren die ernsten und schrecklichen Folgen des unberufenen Eingreifens des Menschen in göttliche Anordnungen. 
Liegt hierin nicht eine Warnung der Christenheit? Ohne 
176 
Zweifel. Die bekennende Kirche wird in Ausdrüdcen, die 
nicht mißverstanden werden können, gewarnt, sich vor einem 
menschlichen Eingriff in jenes Gebiet zu hüten, über das 
Gott allein zu bestimmen hat. „Denn jeder aus Menschen 
genommene Hohepriester wird für Menschen bestellt in 
den Sachen mit Gott, auf daß er sowohl Gaben als auch 
Schlachtopfer für Sünden darbringe .. . Un d nie -
man d nimm t sic h selbs t di e Ehre , sonder n 
alsvonGottberufen,gleichwieauchAaron " 
(Hebr 5, 1-4). 
Dieser Grundsatz göttlicher Anordnung war nicht nur auf 
den heiligen Dienst in der Stiftshütte beschränkt. Niemand 
durfte es wagen, seine Hand auch nur an den unbedeutendsten Teil des heiligen Gebäudes zu legen, ohne von Jehova 
direkt dazu autorisiert zu sein. „Und Jehova redete zu Mose 
und sprach: Siehe, ic h hab e Bezalee l , den Sohn Uris, 
des Sohnes Hurs, vom Stamme Juda, mi t Name n beru -
fen" . — Und wie Bezaleel sich selbst nicht zu diesem Werke 
verordnen konnte, so durfte er sich auch nicht selbst seinen 
Mitarbeiter wählen oder bestimmen. Auch das geschah von 
Seiten Gottes: „Un d ich , siehe , ic h hab e ih m 
Oholia b beigegeben " (2. Mo 31). Beide, Bezaleel 
und Oholiab, erhielten ihren Auftrag von Jehova Selbst, Der 
allein wahren Quelle jeder amtlichen Autorität. 
Ebenso verhielt es sich mit dem prophetischen Amt oder 
Dienst. Gott allein konnte einen Propheten ausrüsten und 
aussenden. Leider gab es auch solche, von denen Jehova sagen mußte: „Ich habe die Propheten nicht gesandt, und doch 
sind sie gelaufen" (Jer 23, 21). Es waren unheilige Eindringlinge in das Gebiet der Prophezeiung, ebenso wie es solche 
gab, die unbefugt in den Dienst des Priestertums eingriffen; 
aber alle brachten das gerechte Gericht Gottes über sich. 
Ist dieser große Grundsatz in unseren Tagen verändert? 
Ist der Dienst seiner ehemaligen Grundlage entzogen, der 
lebendige Strom von seiner göttlichen Quelle abgelenkt worden? Ist jene höchst kostbare und herrliche Verordnung ihrer 
hohen Würde entkleidet? Kann es möglich sein, daß in den 
Zeiten des Neuen Testaments der Dienst seiner göttlichen 
Vortrefflichkeit beraubt und zu einer bloß menschlichen Anordnung herabgesunken ist? Kann jemand sich selbst oder 
einen andern zu irgendeinem Dienst im Hause Gottes bestimmen? 
177 
Auf diese Frage gibt es nur eine Antwort: ein bestimmtes, 
feierliches Nein . Der Dienst war und ist göttlich; er wird 
stets göttlich sein — göttlich in seiner Quelle, göttlich in seiner Natur, göttlich in jedem Zug und Grundsatz. „Es sind 
aber Verschiedenheiten von Gnadengaben, aber derselbe 
Geist; es sind Verschiedenheiten von Diensten, und derselbe 
Herr; und es sind Verschiedenheiten von Wirkungen, aber 
derselbe Gott, der alles in allen wirkt" (1. Kor 12, 4-6). „Nun 
aber hat Gott die Glieder gesetzt, jedes einzelne von ihnen 
an dem Leibe, wi e e s ih m gefalle n hat " (V. 18). 
„Und Gott hat etliche in der Versammlung gesetzt: erstens 
Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer, sodann 
Wunderkräfte, sodann Gnadengaben der Heilungen, Hilfeleistungen, Regierungen, Arten von Sprachen" (V. 28). „Jedem einzelnen aber von uns ist die Gnade gegeben worden 
nach dem Maße der Gabe des Christus. Darum sagt Er: 
Hinaufgestiegen in die Höhe, hat er die Gefangenschaft gefangen geführt und den Menschen Gaben gegeben . . . Und 
er hat die einen gegeben als Apostel und andere als Propheten und andere als Evangelisten und andere als Hirten 
und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des 
Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi, bis wir 
alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Manne, 
zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus" 
(Eph 4, 7-13). 
Das also ist die Quelle alles Dienstes in der Kirche oder 
Versammlung Gottes von Anfang bis zu Ende, von ihrem 
in Gnade gelegten Fundament an bis zum Schlußstein in der 
Herrlichkeit. Sie ist göttlich und himmlisch und nicht menschlich und irdisch. Sie ist nicht von Menschen oder durch einen 
Menschen, sondern durch Jesum Christum und Gott, den 
Vater, Der Ihn auferweckt hat aus den Toten, sowie in der 
Macht des Heiligen Geistes (Siehe Gal 1). In der ganzen 
Heiligen Schrift findet menschlich autorisierter Dienst in der 
Kirche oder Versammlung durchaus keine Anerkennung. 
Wenn es sich um eine Gabe handelt, so wird ausdrücklich 
gesagt, daß es die „Gabe des Christus" ist; geht es um eine 
angewiesene Stellung, so wird mit gleicher Bestimmtheit und 
Klarheit betont, daß „Gott die Glieder gesetzt hat", und 
wenn es sich um einen lokalen Auftrag, um die Frage eines 
Ältesten oder eines Diakon handelt, so lassen sich die Apostel oder deren Bevollmächtigte nur durch göttliche Bestimmung leiten. 
178 
Das alles drückt die Heilige Schrift so klar, so deutlich, so 
bestimmt aus, daß man nur fragen kann: „Wie liesest du?" 
Jemehr wir, geleitet durch den Heiligen Geist in die herrlichen Tiefen des inspirierten Wortes eindringen, desto mehr 
überzeugen wir uns, daß der Dienst in jeder Beziehung göttlich ist — göttlich in seiner Quelle, in seiner Natur, in seinen 
Grundsätzen. Diese Wahrheit strahlt in voller Klarheit aus 
allen Episteln; aber den Keim finden wir schon in den Worten unseres Herrn in Mtth 24, 45 wenn Er sagt: „ . . . den 
sein Herr gesetzt hat über sein Gesinde". Das Gesinde gehört dem Herrn; Er allein kann Diener einsetzen, und Er tut 
es nach Seinem eigenen, unumschränkten Willen. 
Ebenso klar ist auch der in diesem Gleichnis angedeutete 
und in den Episteln sorgfältig entwickelte Zweck dieses Dienstes: „ . . . um ihnen die Speise zu geben zur rechten 
Zeit" — für die Auferbauung des Leibes Christi". Wie sehr 
wünscht das liebende Herz Jesu die Auferbauung Seiner 
Versammlung! Er wünscht, daß Seine Glieder wachsen, daß 
seine Versammlung erbaut, Sein Leib genährt und gepflegt 
werde. Aus diesem Grund reicht Er Gaben dar, unterhält 
sie in der Versammlung und wird sie unterhalten, bis die 
Versammlung ihrer nicht mehr bedarf. 
Aber ach! es gibt eine dunkle Seite des Bildes — eine 
Seite, auf deren Anblick wir vorbereitet sein müssen, so 
lange wir das Bild der Christenheit vor uns haben. Es ist 
nicht nur von einem „getreuen und klugen Knecht" die Rede, sondern auch von einem „bösen Knecht", der „in seinem 
Herzen sagt: Mein Herr verzieht zu kommen". In seine m 
Herze n entspringt dieser Gedanke an den Verzug des 
Kommens seines Herrn. Er hört auf, Ihn zu erwarten; er 
stellt Seine Ankunft in weite Ferne. Und was ist die Folge? 
„Er fängt an, seine Mitknechte zu schlagen und ißt und 
trinkt mit den Trunkenen". Welch traurige Beispiele die Geschichte des Christentums in dieser Beziehung aufzuweisen 
hat, braucht nicht näher dargetan zu werden. Anstatt des 
wahren Dienstes, der in dem auferstandenen und verherrlichten Haupte seine Quelle hat, anstatt der Auferbauung des 
Leibes, der Segnung der Seelen und der Speisung des Gesindes, sehen wir eine falsche klerikale Autorität, eine eigenmächtige Ordnung, ein Herrschen über die Erbgüter Gottes, 
ein Haschen nach dem Wohlstand und der Gewalt der Welt, 
eine fleischliche Gemächlichkeit, Selbstbefriedigung, persönliche Erhebung und priesterliche Tyrannei mit ihren vielfachen 
Formen und praktischen Folgen. 
179 
Der Unterschied zwischen dem klerikalen System und dem 
wahren Dienst ist höchst beachtlich. Jenes ist eine rein 
menschliche Anmaßung und hat seine Quelle in dem Herzen 
des Menschen; dieser beruht auf einem auferstandenen und 
verherrlichten Erretter, Der, auferweckt aus den Toten, Gaben empfangen hat, um sie zu geben, welchem Er will. Das 
ist sehr ernst und sollte einen entscheidenden Einfluß auf 
unsere Seelen ausüben; denn es kommt ein Tag, wo der 
Herr zu Gericht sitzen wird über alles, was der Mensch in 
Seinem Hause aufzubauen gewagt hat. Es geht hierbei nicht 
um Personen — wiewohl es sehr verantwortungsvoll für einen 
jeden ist, die Hand an das zu legen, worüber ein so schreckliches Gericht ergehen wird — sondern um ein bestimmtes 
System in all seinen Formen und Verzweigungen. 
Vor diesem Übel warnen wir eindringlich. Keine menschliche Sprache vermag es zu schildern, wie auch keine menschliche Sprache instande ist, die tiefen Segnungen jedes wahren 
Dienstes in der Kirche oder Versammlung Gottes angemessen 
darzustellen. Der Herr Jesus allein verleiht dem Menschen 
Gaben zum Dienst, und in Seiner wundervollen Gnade will 
Er die treue und sorgfältige Ausübung dieser Gaben reichlich 
belohnen, während Er das, was der Mensch aufgerichtet hat, 
mit den ernsten Worten beurteilt: „Der Herr jenes Knechtes wird kommen an einem Tage, an dem er es nicht erwartet, und in einer Stunde, die er nicht weiß, und wird ihn 
entzweischneiden und ihm sein Teil setzen mit den Heuchlern: da wird sein das Weinen und das Zähneknirschen". 
Möge der gnadenreiche Herr Seine Diener und Sein Volk 
vor jeder Teilnahme an diesem großen Übel, das leider bis 
in den Schoß der Versammlung Gottes eingedrungen ist, bewahren und sie zugleich leiten, jenen wahren, kostbaren und 
göttlichen Dienst, der von Ihm ausgeht und in Seiner unendlichen Liebe zum wahren Segen und Gedeihen der Seinem 
Herzen so teuren Kirche bestimmt ist, zu verstehen, zu 
schätzen und auszuüben! Wir sollten allerdings auch nicht 
der großen Gefahr erliegen und in das entgegengesetzte Extrem verfallen, nämlich den Dienst geringschätzen. Immer 
wieder müssen wir auf der Hut sein und uns stets erinnern, 
daß der Dienst in der Versammlung von Gott ist, daß seine 
Quelle göttlich, seine Natur himmlisch und geistlich, sein 
Zweck die Berufung und Auferbauung der Versammlung 
Gottes ist. Der Herr Jesus teilt die Gaben an die Evangelisten, Hirten und Lehrer aus. Er verfügt über die geistlichen 
180 
Gaben, und Er hat diese Verfügungsgewalt niemals preisgegeben und wird sie niemals preisgeben. Trotz allem, was 
Satan in der bekennenden Kirche abträglich gewirkt hat, 
trotz aller Handlungen jenes „bösen Knechts", trotz aller 
Anmaßungen einer Autorität, die dem Menschen nicht gebührt, hält unser auferstandener und verherrlichter Herr die 
„sieben Sterne in seiner Hand". Er besitzt jede Gabe, jede 
Macht und Autorität für den Dienst. Nur Er kann jemanden 
zu einem Diener machen. Wenn Er nicht eine Gabe mitgeteilt hat, so kann kein wahrer, göttlicher Dienst geübt werden. Es bleibt dann bei hohler Anmaßung, strafbarem Eingriff, eitler Ziererei und unnützem Geschwätz. Wo aber der 
Herr eine Gabe verleiht, muß diese „angefacht" und sorgfältig gepflegt werden, damit die „Fortschritte allen offenbar 
seien". Die Gabe muß in der Kraft des Heiligen Geistes geübt werden; sonst wird sie nicht dem göttlich bestimmten 
Zweck entsprechen. 
Abschließend hierzu und zu dem kurz berührten Gleichnis 
von den Talenten, sei noch einmal daran erinnert, daß jeder 
wahre Dienst in unmittelbarer Beziehung zu der Ankunft 
des Herrn im Blick auf jenes große und herrliche Ereignis 
ausgeübt wird, sowie anderseits auch daran, daß alles, was 
nachgebildet, falsch, verderbt und böse ist, gerichtlich behandelt werden wird, wenn der Herr Jesus in Seiner Herrlichkeit erscheint. 
181 
8. Die zehn Jungfrauen 
Wir kommen jetzt zu jenem Teil des Gesprächs, in dem 
unser Herr das Reich des Himmels unter dem Gleichnis von 
zehn Jungfrauen darstellt. Die in diesem wichtigen und interessanten Gleichnis enthaltene Lehre ist von umfassenderer 
Anwendung als diejenige im Gleichnis vom „bösen Knecht", 
weil hier die ganze Masse der bekennenden Christenheit und 
nicht nur der Dienst in und außer dem Hause angesprochen 
wird. Das Gleichnis zielt unmittelbar und bestimmt auf ein 
christliches Bekenntnis, mag dieses wahr oder falsch sein. 
„Alsdann wird das Reich der Himmel gleich geworden sein 
zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und ausgingen, 
dem Bräutigam entgegen" (Mtth 25, 1). Die Meinung, daß 
dieses Gleichnis auf den Überrest Israels Bezug habe, findet 
weder in dem Zusammenhang, noch in den Ausdrücken, in 
die es gekleidet ist, eine Stütze. 
Je gründlicher wir den ganzen Inhalt prüfen, desto klarer 
erkennen wir, daß der jüdisch bestimmte Teil des Gesprächs 
mit Kap. 24, 44 ein Ende nimmt. Der christlich bestimmte 
Teil reicht von Kap. 24, 44 bis Kap. 25, 30, und von Kap. 
25, 31 bis ans Ende handelt es sich um die Nationen als 
solche. Die Ordnung und Fülle dieser wunderbaren Unterhaltung muß jedem nachdenkenden Leser in die Augen springen. Sie stellt einen jeden auf seinen eigenen bestimmten 
Boden, und zwar nach seinen eigenen unterscheidenden 
Grundsätzen. Hier gibt es keine Vermengung grundsätzlicher 
Verschiedenheiten. Mit einem Wort, die Ordnung, die Fülle 
und die Unterscheidung dieser inhaltsvollen Unterredung ist 
göttlich und erfüllt die Seele mit Bewunderung, Lob und Anbetung, so daß wir bei ihrer Betrachtung die Worte des Apostels ausrufen möchten: „O Tiefe des Reichtums, sowohl der 
Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unausforschlich sind seine Gerichte und unausspürbar seine Wege!" 
Bei näherer Prüfung der Ausdrücke, deren Sich der Herr 
in dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen bedient, stellen 
wir fest, daß dieses Gleichnis sich weder auf die Juden, noch 
auf die Versammlung, sondern auf die persönliche Verantwortlichkeit während der Abwesenheit Christi bezieht, Ja, 
es redet zu uns in ernster Unterweisung und verdient daher 
unsere ganze Aufmerksamkeit. 
182 
„Alsdann wird das Reich der Himmel gleich geworden 
sein zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und ausgingen, dem Bräutigam entgegen". Das ursprüngliche Christentum war durch die hier bezeichnete Tatsache charakterisiert, 
nämlich durch ein Ausgehen, um einem wiederkehrenden, erwarteten Bräutigam zu begegnen. Die ersten Christen waren 
dahin geleitet worden, sich von den gegenwärtigen Dingen 
zu trennen und in ihrer Gesinnung und in der Liebe ihres 
Herzens dem Heiland entgegenzugehen., den sie liebten und 
erwarteten. Es war dies selbstredend kein Ausgehen von 
einem Ort zum andern; es war ein moralisches, geistiges 
Ausgehen, ein Verlangen des Herzens nach ihrem Heiland, 
Dessen Wiederkehr sie von Tag zu Tag sehnlichst erwarteten. 
Die Epistel an die einzelnen Versammlungen beweisen, daß 
die Hoffnung der gewissen und baldigen Ankunft des Herrn 
die Herzen des Volkes Gottes in jenen ersten Tagen beherrschte. 
Sie „erwarteten den Sohn Gottes aus den Himmeln". 
Sie wußten, daß Er kommen werde, um sie für immer zu 
sich zu nehmen, und diese Erkenntnis und die Kraft dieser 
Hoffnung lösten ihre Herzen von den irdischen Dingen. Sie 
schauten aus nach ihrem Erretter; sie glaubten, daß Er jeden 
Augenblick zurückkehren könne, und deshalb beschäftigten 
sie sich mit den Angelegenheiten dieses Lebens nur insoweit 
— wenn auch so, wie es sich gebührt — als es der Augenblick 
erheischte, aber gleichsam in der beharrlichsten Erwartung. 
Diese Haltung ergibt sich kurz und deutlich aus den Worten: „Sie gingen aus, dem Bräutigam entgegen". Das kann 
unmöglich auf den Überrest der Juden angewandt werden, 
da diese dem Messias nicht entgegengehen, sondern im Gegenteil in ihrer Stellung und inmitten ihrer Umstände bleiben werden, bis Er kommt und Seine Füße auf den ölberg 
stellt. Sie erwarten nicht, daß Er kommen und sie von der 
Erde zu Sich in den Himmel nehmen werde; aber Er wird 
kommen, um ihnen in ihrem eigenen Lande Frieden zu bringen und sie unter Seiner friedensreichen und gesegneten 
Regierung während des tausendjährigen Reiches glücklich zu 
machen. — Die Christen aber sind berufen „auszugehen". Es 
wird vorausgesetzt, daß sie stets in Bewegung sind und sich 
nicht als Bleibende auf dieser Erde niederlassen, sondern daß 
sie ausgehen in ernstem, heiligem Verlangen nach der himmlischen Herrlichkeit, zu welcher sie berufen sind, dem Bräutigam entgegen, Dessen Ankunft sie stündlich zu erwarten 
haben. 
183 
Das ist die wahre und naturgemäße Stellung des Gläubigen — eine Stellung, die in wunderbarer Weise von den 
ersten Christen verwirklicht und praktisch geübt wurde. Aber 
leider werden wir nur zu oft an die Tatsache erinnert, daß 
uns im Christentum sowohl Falsches als auch Wahres begegnet. Es gibt ebenso „Unkraut" wie auch „Weizen" im Reiche 
der Himmel; so wird auch von den zehn Jungfrauen gesagt: 
„Fünf aber von ihnen waren klug und fünf töricht". Die 
bekennende Kirche umfaßt ebenso echtes und unechtes, wirkliches und nachgemachtes Christentum. So wird es fortdauern bis der Bräutigam kommt. Das Unkraut wird sich nicht 
in Weizen und die törichten Jungfrauen werden sich nicht in 
kluge Jungfrauen verwandeln. Nein, nimmermehr. Das 
Unkraut wird verbrannt, und die törichten Jungfrauen werden 
ausgeschlossen werden. Statt einer allmählichen Veredelung 
durch die Predigt des Evangeliums und durch die vielen in 
Wirksamkeit gesetzten religiösen tätigen Mittel, zeigt dieses 
Gleichnis sowie das ganze Neue Testament, daß das Reich 
der Himmel eine beklagenswerte Mischung von Gutem und 
Bösem ist, wo der Feind in das Werk Gottes eingreift, und 
wo das Böse im Prinzip, im Bekenntnis und in der Praxis 
unaufhaltsam fortschreitet. 
Und so wird es fortdauern bis ans Ende. Wenn der Bräutigam kommt, wird es törichte Jungfrauen geben. Woher 
aber könnten sie kommen, wenn alle vor der Ankunft des 
Herrn bekehrt werden würden? Wenn jeder zur Erkenntnis 
der Wahrheit gebracht würde, wie könnten dann bei der 
Erscheinung des Bräutigams ebenso viele törichte wie kluge 
Jungfrauen gefunden werden? Man könnte einwenden, daß 
man es hier nur mit einem Gleichnis, einem Bilde, zu tun 
habe. Wir räumen dies ein. Es ist ein Gleichnis, aber wovon? 
Gewiß nicht von einer bekehrten Welt. Das zu behaupten 
wäre eine Geringschätzung der Heiligen Schrift, der Lehre 
unseres Herrn in einer Weise, wie man es kaum wagen würde, die Lehre eines Menschen abzuweisen. 
Nein, geliebter Leser, das Gleichnis von den zehn Jungfrauen belehrt uns, daß, wenn der Bräutigam kommt, auch 
törichte Jungfrauen vorhanden sein werden, und ist dies der 
Fall, so könnten sie unmöglich vorher bekehrt gewesen sein. 
Ein Kind kann dies begreifen. Wir können nicht verstehen, 
wie man, angesichts dieses Gleichnisses, die Theorie aufrechthalten kann, daß vor der Ankunft des Bräutigams die ganze 
Welt bekehrt sei. 
184 
Die Geschichte von den törichten Jungfrauen enthält vielmehr für jeden christlichen Bekenner eine ernste Warnung. 
Sie ist kurz aber verständlich. „Die, welche töricht waren, 
nahmen ihre Lampen und nahmen kein ö l mit sich". Hier 
ist äußeres Bekenntnis, aber keine innere Wirklichkeit — 
kein geistliches Leben, keine Salbung, keine Verbindung mit 
der Quelle des ewigen Lebens, keine Vereinigung mit Christo. Es findet sich nichts als die Lampe des Bekenntnisses, 
der trockene Docht des nur den Namen tragenden, eingebildeten Kopfglaubens. 
Das ist sehr ernst und lastet schwer auf der ungeheuren 
Masse getaufter Bekenner um uns her, wo so viel äußerer 
Schein, aber so wenig innere Wirklichkeit vorhanden ist. Alle 
bekennen, Christen zu sein. Die Lampe des Bekenntnisses 
mag in jeder Hand gesehen werden; aber ach! wie wenige 
haben ö l in ihren Gefäßen, den Geist des Lebens in Christo 
Jesu, den Heiligen Geist in ihren Herzen! Ohne dies aber 
ist alles wertlos und eitel. Es kann das schönste, durchaus der 
Wahrheit entsprechende Bekenntnis vorhanden sein; man 
kann getauft, zum Abendmahl zugelassen und als Glied einer 
Gemeinschaft anerkannt worden sein, man kann in religiöser 
Weise wirksam oder gar zum Prediger ordiniert sein; dies 
alles ist möglich, ohne daß man einen Funken göttlichen Lebens, einen Strahl himmlischen Lichts in sich hat, ohne daß 
man in Verbindung mit Christo steht. 
Es ist in der Tat ein höchst trauriger Gedanke, daß man 
soviel Religion besitzen kann, um sich selbst zu betrügen, 
das Gewissen zu betäuben und die Seele zugrunde zu richten — genug, um den Namen zu haben, daß man lebe, während man tot ist, genug, um ohne Christum, ohne Gott, 
ohne Hoffnung in dieser Welt zu sein, um die Seele mit 
falschem Vertrauen zu nähren und mit falschem Frieden zu 
füllen, bis der Bräutigam kommt und das Auge — leider zu 
spät — geöffnet wird. 
So verhält es sich mit den törichten Jungfrauen. Zwischen 
ihnen und den klugen Jungfrauen bemerkt man zunächst 
kaum eine Unterscheidung. Sie gehen miteinander aus. Alle 
haben Lampen; alle — sowohl die törichten wie die klugen — 
werden schläfrig und schlafen ein; alle stehen bei dem Geschrei um Mitternacht auf und schmücken ihre Lampen. Bis 
dahin zeigt sich kein augenscheinlicher Unterschied. Die törichten Jungfrauen zünden ihre Lampen an — jene Lampen 
des Bekenntnisses, versehen mit dem trockenen Docht eines 
185 
leblosen, eingebildeten Glaubens. Welch eine nutzlose, ja 
mehr als nutzlose Sache! Welch eine verhängnisvolle, seelenzerstörende Täuschung! 
Dann aber zeigt sich der große Unterschied in erschreckender Klarheit. „Die Törichten aber sprachen zu den Klugen: 
Gebet uns von eurem öl ; denn unsere Lampen erlö -
schen" . Daraus ergibt sich, daß ihre Lampen angezündet 
worden waren, sonst hätten sie nicht erlöschen können. Aber 
es war nur ein falsches, flackerndes, unstetes Licht; es war 
nicht von einer göttlichen Quelle genährt. Es war das Licht 
eines bloßen Lippenbekenntnisses, angefacht durch einen 
Kopfglauben — ein Licht, das gerade lange genug brannte, 
um sich und andere betrügen zu können und das just in dem 
Augenblick erlosch, wo sie seiner mitten in der trostlosen 
Finsternis so sehr bedurften. 
„Unsere Lampen erlöschen". Schreckliche Entdeckung! Der 
Bräutigam kommt, und unsere Lampen erlöschen. Unser leeres Bekenntnis wird offenbar durch das Licht Seiner Erscheinung. Wir glaubten auf dem rechten Wege zu sein, wir bekannten denselben Glauben, hatten dieselben Lampen, dieselben Dochte — aber ach! zu unserem unaussprechlichen 
Schrecken finden wir nun, daß wir uns selbst betrogen haben, daß uns das eine fehlt, was not tut, nämlich, der Geist 
des Lebens in Christo, die Salbung des Heiligen Geistes, die 
lebendige Verbindung mit dem Bräutigam. Was jetzt anfangen? O ihr klugen Jungfrauen, habt Mitleid mit uns und 
„gebt uns von eurem öl! " O tut es aus Barmherzigkeit! 
gebt uns ein wenig, nur einen Tropfen, damit wir nicht auf 
ewig umkommen. 
Ach! alles ist vergebens. Niemand kann von seinem ö l 
dem andern geben. Ein jeder hat nur genug für sich selbst, 
und überdies kann Gott allein es darreichen. Der Mensch 
kann Lich t geben, aber kein ö 1 . Es ist eine Gabe Gottes. 
„Die Klugen antworteten und sagten: Damit es nicht etwa 
für uns und euch nicht ausreiche; gehet lieber hin zu den 
Verkäufern und kaufet für euch selbst. Als sie aber hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, 
gingen mit ihm ein zur Hochzeit, und di e Tü r war d 
verschlöss e n". Es ist nutzlos, sich auf christliche Freunde zu stützen oder bei ihnen Hilfe zu suchen. Es ist nutzlos, 
dahin und dorthin zu rennen, sich an diesen heiligen Mann 
oder an jenen vorzüglichen Lehrer zu lehnen, auf unsere 
186 
Kirche, auf unser Bekenntnis, auf unsere Sakramente zu vertrauen. Wir müssen ö l haben. Wir können nicht ohne ö l 
sein. Wo können wir es erlangen? Nicht von den Menschen, 
nicht von der Kirche, nicht von den Heiligen, nicht von den 
Vätern. Wir müssen es von Gott empfangen, und Er — gepriesen sei Sein Name! — gibt es umsonst. „Die Gabe Gottes 
ist das ewige Leben durch Jesum Christum, unseren Herrn". 
Aber man bedenke wohl, daß es eine persönliche Gabe ist. 
Ein jeder muß es für sich selbst und in sich selbst besitzen. 
Kein Mensch kann für einen anderen glauben oder für einen 
anderen das ewige Leben empfangen. Ein jeder hat es für 
sich selbst mit Gott zu tun. Das Band, das die Seele mit 
Christo verbindet, ist rein persönlich. Es gibt keinen erborgten Glauben. Ein Mensch kann uns in religiösen Dingen unterweisen und uns gewisse Stellen der Schrift erklären; aber 
er kann uns weder öl, noch Glauben, noch das Leben geben. 
Das alles ist die Gab e Gottes . Wie kostbar ist diese 
„Gabe"! Sie ist wie Gott. Sie ist frei wie die Luft, die wir 
einatmen, frei wie das Licht der Sonne, frei wie die erfrischenden Tautropfen. Aber, wir wiederholen es mit allem 
Nachdruck, ein jeder muß sie für sich und in sich selbst haben. „Keineswegs vermag jemand seinen Bruder zu erlösen, 
nicht kann er Gott sein Lösegeld geben (denn kostbar ist die 
Erlösung ihrer Seele, und er muß davon abstehen auf ewig), 
daß er fortlebe immerdar, die Grube nicht sehe" (Ps. 49,7-9). 
Was sagst du zu diesen ernsten Wirklichkeiten, lieber 
Leser? Gehörst du zu den törichten oder den klugen Jungfrauen? Hast du das Leben eines auferstandenen und verherrlichten Erlösers empfangen? Oder bist du nur ein religiöser Bekenner und zufrieden mit deinem gewohnheitsmässigen, toten Kirchenbesuch? Gehörst du zu denen, die gerade 
genug Religion besitzen, um mit Ehren durch die Welt zu 
gehen, aber nicht genug, um in den Himmel eintreten zu 
können? Wir bitten dich sehr, mit Ernst über diese Dinge 
nachzudenken. Wie unaussprechlich schrecklich würde es sein, 
wenn du einmal erkennen müßtest, daß die Lampe deines 
Bekenntnisses erlöschte und du zurückbliebest in der schauerlichen Finsternis einer ewigen Nacht. Wie entsetzlich, wenn 
dann die Tür sich vor deinen Augen hinter dem glänzenden 
Zug derer schlösse, die mit dem Bräutigam zur Hochzeit eingehen! Wie schmerzlich der Ruf: „Herr, Herr, tu uns auf!" 
Und wie vernichtend die Antwort: „Wahrlich ich sage euch, 
ich kenne euch nicht!" 
187 
O geliebter Freund! erwäge diese ernsten Dinge in deinem 
Herzen, solange die Tür noch offensteht und der Tag der 
Gnade durch die Langmut Gottes verlängert ist. Der Augenblick, wo die Gnadentür auf immer geschlossen, wo alle 
Hoffnung verloren sein und die Seele in düstere und ewige 
Verzweiflung hinabgestoßen werden wird, rückt schnell heran. Möge der Geist Gottes dich doch aus deinem verhängnisvollen Schlummer aufrütteln und dir keine Ruhe gestatten, 
bis du sie in dem vollbrachten Werk unseres Herrn Jesus 
Christus und zu Seinen gesegneten Füßen in Preis und Anbetung gefunden haben wirst! 
Wir wollen abschließend noch einen flüchtigen Blick auf 
die klugen Jungfrauen werfen. Sie unterscheiden sich von den 
törichten Jungfrauen in unserem Gleichnis darin, daß sie, als 
sie dem Bräutigam entgegengingen, „ö l nahmen in ihren 
Gefäßen mit ihren Lampen". Mit einem Wort, das, was die 
wahren Gläubigen von den bloßen Bekennern unterscheidet, 
ist, daß sie die Gnade des Geistes Gottes in ihrem Herzen 
haben; sie haben den Geist des Lebens in Christo in sich. 
Der Heilige Geist wohnt in ihnen. Er ist das Siegel, das 
Pfand, die Salbung und der Zeuge in ihrem Herzen. Diese 
große und herrliche Tatsache charakterisiert alle wahren 
Gläubigen; es ist eine mächtige und wundervolle Tatsache, 
ein unermeßliches, unaussprechliches Vorrecht, das unsere 
Seelen stets zu heiliger Anbetung vor Gott und vor unseren 
Herrn Jesus Christus bringen sollte, Dessen vollbrachtes 
Erlösungswerk uns diese große Segnung verschafft hat. 
Doch wie beschämend ist der Gedanke, daß wir trotz dieser 
hohen und heiligen Vorrechte in unserem Gleichnis die Worte lesen müssen: „Als aber der Bräutigam verzog, wurden 
sie alle schläfrig und schliefen ein". Ja alle, die klugen wie 
die törichten Jungfrauen, sind eingeschlafen. Der Bräutigam 
verzog, und alle, ohne Ausnahme, verloren die Frische, den 
Eifer und die Kraft der Hoffnung Seiner Ankunft und schliefen ein. 
Das ist die Sachlage des Gleichnisses, das ist die ernste 
Tatsache der Geschichte. Die ganze bekennende Körperschaft 
ist in Schlaf gefallen. Die „glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus", jene Hoffnung, die in den ersten Tagen der Christen so hell am Horizont leuchtete, verlor bald 
ihren Schein und schwand schließlich gänzlich. Wenn wir die 
Geschichte der Kirche während der folgenden 1800 Jahre einer 
188 
näheren Prüfung unterziehen und ihren Lauf von den Tagen 
der Apostel bis zu den späteren Zeiten verfolgen, so finden 
wir bald nicht mehr die geringste Spur von dieser besonderen Hoffnung der Kirche oder Versammlung, der persönlichen Wiederkehr des gesegneten Bräutigams. In der Tat ist 
diese Hoffnung, wenigstens der Kraft nach, der Kirche verlorengegangen, so daß es sogar als Ketzerei betrachtet wurde, sie zu lehren. Und selbst jetzt in diesen letzten Tagen 
gibt es eine Menge von Predigern und Dienern, die es nicht 
wagen, die Ankunft des Herrn zu verkündigen und so zu 
lehren, wie die Schrift davon redet. 
Wir bemerken — und der Herr sei dafür gepriesen! — seit 
etwa fünfzig Jahren in dieser Beziehung eine mächtige 
Wandlung. Ein geistliches Erwachen hat stattgefunden. Gott 
hat begonnen, Sein Volk durch Seinen Heiligen Geist wieder 
zu längst vergessenen Wahrheiten zurückzuführen, wie namentlich auch zu der herrlichen Wahrheit von der Ankunft 
des Bräutigams. Viele erkennen, daß die Ursache, die das 
Zögern des Bräutigams bewirkt hat, in der Langmut Gottes 
gegen uns zu suchen ist, da Er nicht will, daß jemand verloren gehe, sondern daß alle zur Buße kommen. Welch eine 
kostbare Ursache! 
Nichtsdestoweniger aber erkennen wir, daß ungeachtet der 
Langmut Gottes, unser Herr nahe ist. Er kommt bald. Das 
Geschrei um Mitternacht ist erschollen: „Siehe, der Bräutigam! gehet aus, ihm entgegen!" O möchten doch all die Seinen dieses Geschrei wie ein Echo aufnehmen, bis es in seiner 
moralischen Kraft von einem Ende der Erde bis zum anderen 
erschollen und die ganze Versammlung aufgewacht ist, um 
auf die herrliche und glückselige Erscheinung des Bräutigams 
zu warten. 
Geliebte Brüder im Herrn! Wacht auf! Jeder erhebe sich 
vom Schlafe! Laßt uns die Trägheit und den Schlummer 
weltlicher Bequemlichkeit und Selbstgenügsamkeit abschütteln! Reißen wir uns los von dem verderbenbringenden Einfluß einer religiösen Form und trägen Gewohnheit; werfen 
wir die Lehren einer falschen Theologie von uns und gehen 
wir im Geiste unseres Gemüts und in den Neigungen unseres Herzens aus, um dem Bräutigam zu begegnen, indem 
Seine eigenen feierlichen Worte mit frischer Kraft in unsere 
Seele dringen: „Wachet also; denn ihr wisset nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommt!" O möchte doch die Sprache 
unserer Lippen und unserer Herzen sein: „Amen, komm 
Herr Jesu!" 
189 
9. Die Talente 
Es bleibt noch übrig, jenen Teil des Gesprächs unseres 
Herrn zu betrachten, in dem Er den ernsten Gedanken der 
Verantwortlichkeit des Diener während seiner Abwesenheit 
wieder aufnimmt. Diese Verantwortlichkeit steht in enger 
Verbindung mit der Hoffnung Seiner Ankunft. Das geht 
klar aus dem Umstand hervor, daß das Gleichnis von den 
zehn Jungfrauen mit den Worten schließt: „So wachet nun, 
denn ihr wisset weder den Tag noch die Stunde". Dann 
setzt Er das Gespräch fort mit den Worten: „Denn gleichwie 
ein Mensch, der außer Landes reiste, seine eigenen Knechte 
rief und ihnen seine Habe übergab" (Mtth 25, 13. 14). 
Es besteht ein großer Unterschied zwischen diesem Gleichnis von den Talenten und dem Gleichnis vom untreuen 
Knecht (Kap. 24, 45-51). Das letztere befaßt sich mit dem 
Dienst im Hause; das erstere hingegen mit dem Dienst 
draußen in der Welt. Aber in jedem dieser beiden Gleichnisse finden wir die Grundlage jeglichen Dienstes, nämlich die 
Gabe und die Autorität Christi. Er rief Sein e eigene n 
Knechte und übergab ihnen Sein e Habe. Die Knechte und 
die Habe sind Sein. Nur der Herr kann jemanden in einen 
Dienst berufen, und niemand außer Ihm kann geistliche 
Gaben mitteilen. Es ist keinem Menschen möglich, ein Diener 
Christi zu sein, wenn Christus ihn nicht berufen und für das 
Werk befähigt hat. Das steht außer allem Zweifel. Es kann 
jemand ein Religionsdiener sein; er kann das Evangelium 
predigen und Theologie lehren; aber er kann nur ein Diener 
Christi sein, wenn Christus ihn dazu berufen und für das 
Werk begabt hat. Handelt es sich um den Dienst i m Hau -
s e , so heißt es : . . . den sein Herr gesetzt hat über sein 
Gesinde", und handelt es sich um den Dienst i n de r 
Welt , so gilt: „Er rief seine eigenen Knechte und übergab 
ihnen seine Habe". 
Diese große Grundwahrheit tritt in den Worten eines der 
größten Diener, die je gelebt haben, klar hervor. Paulus sagt: 
„Ich danke Christo Jesu, unserem Herrn, der mir Kraft verliehen, daß er mich treu erachtet und in de n Diens t ge -
stell t hat " (1. Tim 1, 12). 
So muß es — was auch das Maß, der Charakter und die 
Sphäre des Dienstes ist — in jedem Fall sein. Der Herr al190 
lein kann jemanden in den Dienst stellen und ihn befähigen, 
diesen zu erfüllen. Hat sich der Mensch selbst einen Dienst 
angemaßt oder haben ihn andere angestellt, so widerspricht 
das dem Willen Gottes und den Grundsätzen der Heiligen 
Schrift. Lassen wir uns durch das Wort Gottes leiten, so 
muß es uns klar werden, daß jeder Dienst in und außer dem 
Hause göttlicher Berufung und göttlicher Befähigung bedarf; 
wo diese fehlen, ist der Dienst wertlos. Wer sich selbst zu 
einem Diener verordnet, oder durch andere dazu verordnet 
wird, folgt einer Berufung, die nicht vom Himmel, nicht von 
Gott, nicht durch Jesum ist. Sie wird sich daher als die 
traurigste und kühnste Anmaßung erweisen und Gericht nach 
sich ziehen. 
Dieser große Grundsatz ist so einfach wie ernst. Er ruht 
auf göttlicher Basis und kann unmöglich von jemandem, der 
— was jeder Christ tun sollte — sich unter der Autorität des 
Wortes Gottes beugt, irgendwie in Frage gestellt werden. Der 
Leser sollte sich durch sorgfältigen Schriftvergleich persönlich 
davon überzeugen, daß in dem Gleichnis von dem Haushalter ausdrücklich gesagt wird: „ . . . den sei n Her r gesetzt hat über sein Gesinde". Er hat sich diesen Platz nicht 
selbst gewählt, noch ist er von anderen dazu eingesetzt worden. Die Berufung ist göttlich. Ebenso ergibt sich aus dem 
Gleichnis von den Talenten, daß der Herr sein e eige -
n e n Knechte beruft und ihnen sein e Habe übergibt. Die 
Berufung und die Befähigung sind göttlich. 
In Luk 19 tritt uns dieselbe Wahrheit vor Augen. „Ein 
gewisser hochgeborener Mann zog in ein fernes Land, um 
ein Reich für sich zu empfangen und wiederzukom -
men . Er berief aber seine zehn Knechte und gab ihnen 
zehn Pfunde und sprach zu ihnen: Handel t bi s ic h 
komme" . Der Unterschied zwischen Matthäus und Lukas 
scheint darin zu liegen, daß dieser mehr die menschliche 
Verantwortlichkeit, jener mehr die göttliche Unumschränktheit in den Vordergrund stellt; aber beide halten unwiderlegbar den Grundsatz fest, daß jeder wahre Dienst göttlicher 
Anordnung entspringt. 
Diese Wahrheit begegnet uns auch in der Apostelgeschichte. Als ein anderer anstelle des Judas Iskariot bestimmt werden sollte, wandten sich die Elfe an den Herrn mit den Worten: „Du, Herr, Herzenskündiger aller, zeige von diesen beiden den einen an, de n d u auserwähl t hast , um das 
191 
Los dieses Dienstes und Apostelamtes zu empfangen" (Kap. 
1, 24). 
Und selbst wenn es sich um einen lokalen Dienst, wie 
z. B. um den der Diakonen (Kap. 6) oder der Ältesten (Kap. 
15), handelt, so geschah die Einführung in diesen Dienst 
durch direkte apostolische Anordnung. Mit einem Wort, alles 
war göttlich. Niemand konnte sich selbst zu einem Diakonen 
und noch weniger zu einem Ältesten machen. Da die Diakonen zu Verwaltern über das Besitztum der Versammlung 
gesetzt waren, war es der Versammlung wohl gestattet, 
Männer zu wählen, denen sie vertrauen konnte; aber die 
Bestimmung, sowohl in bezug auf die Diakonen, als auch in 
bezug auf die Ältesten, war göttlich. Kurz alles, mochte es 
sich um eine Gabe oder um einen lokalen Dienst handeln, 
stand auf göttlicher Grundlage, und das ist höchst bedeutsam. 
Dieselbe Wahrheit tritt uns in den Episteln in vollem, 
ungetrübtem Licht entgegen, so z. B. in Röm 12: „Denn ich 
sage durch die Gnade, die mir gegeben worden, jedem, der 
unter euch ist, nicht höher von sich zu denken, als zu denken sich gebührt, sondern so zu denken, daß er besonnen 
sei, wie Gott einem jeden das Ma ß de s Glauben s zu -
geteil t hat . Denn gleichwie wir in einem Leibe viele 
Glieder haben, aber die Glieder nicht alle dieselbe Verrichtung haben, also sind wir, die Vielen, ein Leib in Christo, 
einzeln aber Glieder voneinander. Da wir aber verschiedene 
Gnadengaben haben nac h de r un s verliehene n 
Gnade..." . So steht auch in 1. Kor 12 geschrieben: 
„Nu n abe r ha t Got t di e Gliede r gesetzt , ei n 
jede s einzeln e vo n ihne n a n de m Leibe , wi e 
e s ih m gefalle n hat" . „ . . . Und Gott ha t etli -
c h e i n de r Versammlun g gesetzt : erstens Apostel ... " (V. 18. 28). In Eph 4 aber finden sich die Worte: „. . . Jedem einzelnen aber von uns ist die Gnade gegeben worden nac h de m Maß e de r Gab e de s 
Christus" . 
Alle diese und viele andere Schriftstellen, die wir noch anführen könnten, bestätigen die Wahrheit, die wir hier so 
sorgfältig behandelt haben, nämlich, daß jeder wahre Dienst 
ohne Ausnahme göttlich, von Gott, vom Himmel, durch Jesum Christum ist. Wir finden im Neuen Testament nichts 
von einer menschlichen Autorität zum Dienst in der Kirche 
Gottes; es kennt nur die gesegnete Lehre, die in den kurzen 
Worten unseres Gleichnisses enthalten ist: „Er rief seine 
192 
eigenen Knechte und übergab ihnen seine Habe". In diesen 
Worten ist die ganze neutestamentliche Lehre zu diesem 
Gesichtspunkt zusammengefaßt, und wir bitten den Leser 
ernstlich, diese Wahrheit in seine Seele aufzunehmen und 
ihr die volle Macht einzuräumen, die sie auf sein Leben, auf 
seinen Wandel und auf seinen Charakter ausüben sollte.*) 
Wer nun fragt, ob denn das Gefäß den ihm anvertrauten 
Gaben nicht angepaßt ist, findet die Antwort in den Worten 
des Gleichnisses: „Und einem gab er fünf Talente, einem 
aber zwei, einem aber eins, einem jeden nac h seine r 
eigene n Fähigkeit" . 
Das ist höchst wichtig und darf nicht außer acht gelassen 
werden. Der Herr weiß, welchen Gebrauch Er von einem 
Menschen machen kann. Er kennt die Gabe, welche Er dem 
Gefäß anvertrauen will; Er formt das Gefäß und bildet demgemäß den Menschen. Wir zweifeln nicht, daß Paulus für die 
Aufgabe, die er erfüllen sollte und für das Werk, welches 
ihm anvertraut war, ein von Gott besonders zubereitetes 
Gefäß war. Und so ist es in jedem Falle. Wenn Gott jemanden berufen hat, öffentlich zu reden, so gibt Er ihm das 
Talent; er verleiht ihm auch die körperlichen Kräfte, die 
dazu erforderlich sind. Die Gabe ist von Gott; aber sie entspricht der Fähigkeit des Menschen. 
Wer dies aus dem Auge verliert, wird dem wahren Charakter des Dienstes nur ein höchst mangelhaftes Verständnis 
entgegenbringen. Es gilt auf zwei Dinge zu achten, nämlich 
auf die göttliche Gabe und auf das menschliche Gefäß, dem 
die Gabe anvertraut ist. Hier zeigen sich die Souveränität Gottes und die Verantwortlichkeit des Menschen. Wie vollkommen und wie wunderbar sind all die Wege Gottes! Aber 
ach! der Mensch verdirbt alles; schon die Berührung der 
Arbeit Gottes durch einen menschlichen Finger trübt deren 
Glanz. Dennoch ist der Dienst in seiner Quelle, in seiner 
Natur, in seiner Kraft und in seinem Ziele göttlich. „Was 
aber" — so könnte man fragen — „hat das alles mit der Ankunft des Herrn zu tun?" — Viel, sehr viel in jeder Beziehung. Kommt unser Herr während Seines Gesprächs auf dem 
*) Es ist keineswegs unsere Absicht, die Anwendung der „Talente" auf die besonderen geistlichen Gaben zu beschränken. Wir glauben vielmehr, daß dieses Gleichnis 
von den „zehn Jungfrauen alles in sich schließt, was auf das christliche Bekenntnis 
Bezng hat. 
193 
ölberg nicht immer wieder auf diesen Zusammenhang zurück? Ist die ganze Unterhaltung nicht eine Antwort auf die 
Frage der Jünger: „Welches ist das Zeichen deiner Ankunft 
und der Vollendung des Zeitalters?" (Kap 24, 3). Steht nicht 
Sein Kommen als das zentrale Anliegen im Mittelpunkt 
sowohl des ganzen Gesprächs als auch in jedem seiner Teilbereiche besonders? Wer könnte es leugnen! 
Welches Anliegen aber tritt daneben in besonderer Weise 
hervor? Ist es nicht der Dienst? Werfen wir einen Blick 
auf das Gleichnis von dem Knecht, der über das Gesinde 
gesetzt ist. Unter welchem Gesichtspunkt hat er zu dienen? 
Im Blick auf die Wiederkunft des Herrn. Der Dienst verbindet sich gleichsam mit dem Scheiden und dem Wiederkommen des Herrn; er steht dazwischen und ist durch diese 
beiden großen Ereignisse charakterisiert. Und wodurch wird 
vielen dieser Dienst unmöglich gemacht? Die Ursache ist, daß 
man das Kommen des Herrn aus den Augen verloren hat. 
Der böse Knecht sagt in seinem Herzen: „Mein Herr verzieht zu kommen"; und die Folge davon ist, daß er anfängt, 
„seine Mitknechte zu schlagen", und daß er ißt und trinkt 
mit den Trunkenen". 
Das besagt auch das Gleichnis von den Talenten. Das ernste, ergreifende Wort heißt: „Handelt bis ich komme!" Kurz, 
wir erkennen, daß der Dienst, ob im Hause Gottes oder 
draußen in der Welt, im Blick auf das Kommen des Herrn 
ausgeübt werden soll. „Nach langer Zeit aber kommt der 
Herr jener Knechte und hält Rechnung mit ihnen". Alle 
Diener haben sich der ernsten Tatsache bewußt zu sein, daß 
eine Zeit der Abrechnung kommt. Dieses Bewußtsein wird 
ihre Gedanken und Gefühle in jedem Bereich ihres Dienstes 
in Zucht halten. Hören wir die wichtigen Worte, mit denen 
ein Diener den anderen zu ermuntern sucht: „Ich bezeuge 
ernstlich vor Gott und Christo Jesu, der da richten wird Lebendige und Tote, und bei seiner Erscheinung und seinem 
Reiche: Predige das Wort, halte darauf in gelegener und ungelegener Zeit; überführe, strafe, ermahne mit aller Langmut und Lehre. Denn es wird eine Zeit sein, da sie die gesunde Lehre nicht ertragen, sondern nach ihren eigenen 
Lüsten sich selbst Lehrer aufhäufen werden, indem es ihnen 
in den Ohren kitzelt; und sie werden die Ohren von der 
Wahrheit abkehren und zu den Fabeln sich hinwenden. Du 
aber sei nüchtern in allem, leide Trübsal, tue das Werk eines 
Evangelisten, vollführe deinen Dienst. Denn ich werde schon 
194 
als Trankopfer gesprengt, und die Zeit meines Abscheidens 
ist vorhanden. Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich 
habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt; 
fortan liegt mir bereit die Krone der Gerechtigkeit, welche 
der Herr, der gerechte Richter, mir zur Vergeltung geben 
wird an jene m Tage ; nicht allein aber mir, sondern 
auc h allen , di e sein e Erscheinun g lieben " 
(2. Tim 4, 1-8). 
Diese rührende und wichtige Stelle zeigt uns, wie eng der 
Dienst mit dem Kommen des Herrn verbunden ist. Der gesegnete Apostel — wohl der ergebenste, begabteste und 
wirksamste Arbeiter im Weinberg Christi und der geschickteste Haushalter in der Verwaltung der Geheimnisse Gotttes, 
der große Diener der Kirche und der Prediger des Evangeliums, der weise Baumeister, der unvergleichliche Diener — 
dieses seltene und kostbare Gefäß übt sein Werk aus, erfüllt seinen Dienst und entledigt sich seiner heiligen Verantwortlichkeit im Blick auf „jene n Tag" . Er schaute und 
schaut noch immer aus nach der feierlichen und herrlichen 
Gelegenheit, wo der gerechte Richter die „Krone der Gerechtigkeit" auf Sein Haupt setzen wird, und mit rührender 
Liebe fügt er hinzu: „Nicht allein aber mir, sondern allen, 
die seine Erscheinung lieben". 
Das ist sehr köstlich. Nicht nur für den begabten, wirksamen und ergebenen Paulus wird an „jenem Tage" eine 
Krone der Gerechtigkeit bereitliegen, sondern auch für jeden, der die Erscheinung unseres Herrn und Heilandes liebt. 
Ohne Zweifel werden sich in seiner Krone Edelsteine von 
besonderem Glanz finden; aber damit niemand denken solle, 
daß die Krone der Gerechtigkeit nur für ihn da sei, fügt er 
die lieblichen Worte hinzu: „ . . . sondern auch allen, die seine Erscheinung lieben". Dank und Preis dem Herrn für solche Worte! Sie sollten in unserem Herzen bewirken, daß 
wir nicht nur die Erscheinung des Herrn lieben, sondern 
daß wir im Blick auf jenen herrlichen Tag mit einer innigen 
und herzlichen Liebe dienen! Daß beide eng miteinander 
verbunden sind, sehen wir aus dem Verlauf der Gleichnisse 
von den Talenten. Nachdem die Knechte die Talente empfangen hatten, wird gesagt: 
„Der die fünf Talente empfangen hatte, ging aber hin und 
handelte mit denselben und gewann andere fünf Talente. Desgleichen auch, der die zwei empfangen hatte, auch er gewann 
andere zwei. Der aber das eine empfangen hatte, ging hin, 
1?5 
grub in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn. Nach 
langer Zeit aber kommt der Herr jener Knechte und hält 
Rechnung mit ihnen. Und es trat herzu, der die fünf Talente 
empfangen hatte, und brachte andere fünf Talente und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir übergeben, siehe, fünf andere Talente habe ich zu denselben gewonnen. Sein Herr 
sprach zu ihm: Wohl du guter und treuer Knecht! über weniges 
warst du treu, über vieles werde ich dich setzen; geh ein 
in die Freude deines Herrn. Es trat aber auch herzu, der die 
zwei Talente empfangen hatte, und sprach: Herr, zwei Talente hast du mir übergeben; siehe, andere zwei Talente habe ich zu denselben gewonnen. Sein Herr sprach zu ihm: 
Wohl, du guter und treuer Knecht! über weniges warst du 
treu, über vieles werde ich dich setzen; geh ein in die Freude deines Herrn" (V. 16-23). 
Es ist wichtig und lehrreich, den Unterschied zwischen dem 
Gleichnis von den Talenten in Mtth 25 und dem Gleichnis 
von den zehn Knechten in Luk 19 zu beachten, In ersterem 
handelt es sich um die Souveränität Gottes, in letzerem um 
die Verantwortlichkeit des Menschen. Nach Lukas erhält jeder dieselbe Summe, während nach Matthäus der eine fünf, 
der andere zwei, und der Dritte ein Talent empfängt, wie es 
dem Herrn auszuteilen gefällt. Zur Zeit der Abrechnung finden wir in Lukas eine bestimmte Belohnung, die der Arbeit 
entspricht, während es in Matthäus heißt: „Geh ein in die 
Freude deines Herrn". Es wird hier nicht gesagt, was der 
treue Knecht empfängt und über wie vieles er gesetzt wird. 
Der Herr ist unumschränkt in Seinen Handlungen, sowohl 
was die Gaben, als auch was die Belohnung angeht; der 
Zielpunkt aller aber ist: „Geh ein in die Freude deines Herrn". 
Für ein Herz, das den Herrn wirklich liebt, gibt es nichts 
höheres. In der Tat wird der eine über zehn, der andere über 
fünf Städte gesetzt werden. Es wird eine der Treue, der geleisteten Dienste und der vollbrachten Arbeit angemessene 
Belohnung geben; aber darüber hinaus leuchtet das köstliche Wort: „Geh ein in die Freude deines Herrn". Keine Belohnung kann die Höhe dieses Glücks erreichen. Das Gefühl 
der Liebe, die diesen Worten entströmt, wird jeden antreiben, seine „Krone der Gerechtigkeit" zu den Füßen seines 
Herrn niederzulegen. Ja, wir werden mit Freuden selbst diese Krone, welche der gerechte Richter geben wird, zu den 
Füßen unseres liebenden Herrn und Heilandes niederlegen. 
Ein freundlicher Blick Seines Antlitzes wird das Herz tiefer 
196 
und mächtiger berühren als die glänzendste Krone, die uns 
je aufgesetzt werden könnte. 
Aber noch ein abschließendes Wort: Wer weigerte sich zu 
bewirken, wer verbarg das Geld seines Herrn? Wer zeigte 
sich als ein „böser und fauler Knecht?" — Es war jener 
Mensch, der das Herz, den Charakter, die Liebe seines Herrn 
nicht kannte. „Es trat aber auch herzu, der das eine Talent 
empfangen hatte, und sprach: Herr, ich kannte dich, daß du 
ein harter Mann bist; du erntest, wo du nicht gesät, und 
sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich 
und ging hin und verbarg dein Talent in der Erde; siehe, 
da hast du das Deine. Sein Herr aber antwortete und sprach 
zu ihm: Böser und fauler Knecht! du wußtest, daß ich ernte, 
wo ich nicht gesät, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe? So solltest du nun mein Geld den Wechslern gegeben haben, und wenn ich kam, hätte ich das meine mit Zinsen erhalten. Nehmet nun das Talent von ihm und gebet es dem, 
der die zehn Talente hat; denn jedem, der da hat, wird 
gegeben werden, und er wird Überfluß haben; von dem 
aber, der nicht hat, von dem wird selbst, was er hat, weggenommen werden. Und den unnützen Knecht werfet hinaus 
in die äußere Finsternis; da wird sein das Weinen und das 
Zähneknirschen". 
Wie furchtbar ernst ist dies alles! Wie stark ist der Kontrast zwischen diesen beiden Knechten. Der eine kennt, 
liebt, vertraut und dient seinem Herrn; der andere kennt 
und fürchtet ihn, vertraut ihm nicht und bleibt untätig. Der 
eine geht ein in die Freude seines Herrn; der andere wird 
in die äußere Finsternis geworfen — dorthin, wo nur Weinen, 
Heulen und Zähneknirschen sein wird. Wie ernst! Wie zermalmend! Und wann wird es stattfinden? — Wenn der Herr 
kommt. 
Anmerkung : Es kann den vorhergehenden Bemerkungen über den Dienst hinzugefügt werden, daß jeder Gläubige seine besondere Aufgabe zu erfüllen und seine 
besondere Arbeit zu tun hat. Alle sind dem Herrn verantwortlich, ihren Platz zu 
verstehen und auszufüllen, wie auch ihre Arbeit zu kennen und zu tun. Das ist eine 
einfache, praktische Wahrheit, die ihre volle Bestätigung in dem bereits angeführten 
Grundsatz findet, daß jeder Dienst und jede Arbeit aus der Hand des Herrn empfangen und unter Seinen Augen, in der Erwartung Seines Kommens ausgeführt 
werden muß. Das darf nie vergessen werden. 
197 
10. Schlußbemerkungen 
Bevor wir unsere Betrachtung über diese kostbaren Wahrheiten schließen, wollen wir kurz noch auf das eine oder 
andere zurückkommen, was wir bisher nur flüchtig angedeutet haben. 
Zunächst sei an das erinnert, was wir als „eine Zwischenzeit, eine Unterbrechung in den Führungen Gottes bezüglich 
des Volkes Israel und der Erde" bezeichnet haben. Es geht 
dabei nicht um Neugierde, um ein dunkles Geheimnis oder 
um die Lieblingsidee eines Auslegers der Prophezeiung. O 
nein, es geht hier um die Klärung bedeutsamer Zusammenhänge; wer nämlich jene Zwischenzeit oder Unterbrechung 
nicht sieht, kann die Prophezeiung, aber auch seine eigene 
Stellung, unmöglich richtig verstehen. 
Gehen wir wiederum vom Wort Gottes selbst aus, und 
zwar vom 9. Kapitel des Propheten Daniel. 
Die ersten Verse dieses höchst beachtenswerten Teiles der 
Heiligen Schrift zeigen uns diesen geliebten Diener Gottes 
in tiefstem Seelenschmerz wegen des traurigen Zustandes 
seines vielgeliebten Volkes — eines Zustandes, in welchen er, 
geleitet durch den Geist Christi, völlig einzutreten vermochte. Obwohl er an den Handlungen, die den Ruin über sein 
Volk gebracht hatten, nicht persönlich teilgenommen hatte, 
machte er sich mit diesem Volke doch völlig eins und im 
Bekenntnis und im Selbstgericht dessen Sünden zu seinen 
eigenen vor seinem Gott. 
Wir versagen es uns, das bemerkenswerte Gebet und Bekenntnis Daniels anzuführen, weil die hier interessierenden 
Aussagen erst mit Vers 20 beginnen: „Während ich noch 
redete und betete und meine Sünde und die Sünde meines 
Volkes Israel bekannte und mein Flehen vor Jehova, meinem 
Gott, für den heiligen Berg meines Gottes niederlegte, während ich noch redete im Gebet, da kam der Mann Gabriel, 
den ich im Anfang im Gesicht, als ich ganz ermattet war, 
gesehen hatte, zu mir her zur Zeit des Abendopfers. Und er 
gab mir Verständnis und redete mit mir und sprach: Daniel, 
jetzt bin ich ausgegangen, um dich Verständnis zu lehren. 
Im Anfang deines Flehens ist ein Wort ausgegangen, und ich 
bin gekommen, um es dir kundzutun; denn du bist ein Vielgeliebter. So merke auf das Wort und verstehe das Gesicht: 
198 
Siebenzig Wochen sind über dein Volk und über deine heilige Stadt bestimmt, um die Übertretung zum Abschluß zu 
bringen und den Sünden ein Ende zu machen, und die Ungerechtigkeit zu sühnen, und eine ewige Gerechtigkeit einzuführen, und Gesicht und Propheten zu versiegeln, und ein 
Allerheiligstes zu salben. So wisse denn und verstehe: Vom 
Ausgehen des Wortes, Jerusalem wiederherzustellen und zu 
bauen, bis auf den Messias, den Fürsten, sind sieben Wochen und zweiundsechzig Wochen". 
Wir können uns wegen der uns auferlegten Beschränkung 
nicht auf weitläufige Beweise einlassen, um klarzustellen, daß 
die „siebenzig Wochen" in der soeben angeführten Stelle 
gerade vierhundertundneunzig Jahre ausmachen. Wir nehmen es vielmehr als Tatsache und glauben, daß Gabriel den 
Auftrag hatte, den geliebten Propheten zu unterweisen, daß 
von dem Augenblick an, wo das königliche Dekret, Jerusalem wiederaufzubauen, erlassen war, ein Zeitraum von vierhundertundneunzig Jahren verfließen muß, bevor das Volk 
Israel wieder in die Segnungen eintreten kann. 
Für den Glauben ist dies so einfach und bestimmt. Sicherer als die Gewißheit, daß am kommenden Morgen die Sonne 
zu ihrer bestimmten Zeit wieder aufgehen wird, ist es, daß 
am Schluß dieses von dem himmlischen Boten bezeichneten 
Zeitraumes das Volk Daniels wieder in seine Segnungen 
zurückgebracht werden wird. Das steht so unerschütterlich 
fest wie der Thron Gottes Selbst. Keine Macht der Erde oder 
der Hölle wird die vollkommene Erfüllung des durch den 
Mund Gabriels gesprochenen Gotteswortes zu verhindern 
vermögen. Wenn das letzte Körnchen aus der vierhundertundneunzigjährigen Sanduhr abgelaufen ist, wird Israel wieder in den Besitz aller seiner Vorrechte und seiner Herrlichkeit eingesetzt sein. 
Vielleicht fragt jemand: „Wie, sind denn diese vierhundertundneunzig Jahre noch nicht verflossen?" Unsere Antwort 
ist; „Nein, sicher nicht". Wenn sie verflossen wären, so 
würde Israel in seinem eigenen Lande unter der Regierung 
seines eigenen geliebten Messias sein. Die Schrift kann nicht 
gebrochen werden; wir können und dürfen sie nicht antasten. 
Das Wort ist fest und eindeutig: „Siebenzig Wochen sind 
über dein Volk bestimmt", nicht mehr und nicht weniger. 
Wollten wir dies im buchstäblichen Sinn auffassen, so würde 
die Stelle gar keinen Sinn haben. Deshalb sind wir fest 
überzeugt, daß Gabriel von siebenzig Jahr-Wochen redet 
199 
und damit einen Zeitraum bestimmt, der von dem Augenblick an beginnt , w o Cyru s da s Dekre t zu r 
Wiederherstellun g Jerusalem s erließ , un d 
d e r mi t de r Wiederherstellun g de s Volke s 
u n d diese r Stad t endigt . 
„Aber" — könnte man einwenden — „wie könnte das 
sein? Sind denn nicht schon vier mal vierhundertundneunzig 
Jahre verflossen, seit der König von Persien jenes Dekret 
erlassen hat? Und dennoch sieht man nirgendwo ein Zeichen 
von der Wiederherstellung Israels. Darum müssen diese 
siebenzig Wochen doch noch eine andere Bedeutung haben". 
Dennoch bleiben wir bei unserer Behauptung, daß die 
vierhundertundneunzig Jahre noch nicht zu Ende sind. Die 
Geschicht e Israel s is t nämlic h unterbro -
che n worde n un d wir d ers t späte r ihre n 
Lau f fortsetzen ; ei n lange r Zeitrau m is t 
dazwischengetreten . Aufschluß darüber geben die 
Worte: „So wisse denn und verstehe: Vo m Ausgehe n 
d e s Wortes , Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen, bis auf den Messias, den Fürsten, sind siebe n Wochen" — 4 9 Jahre — „und zweiundsechzi g Wochen" 
— 43 4 Jahre. „Straßen und Gräben werden wiederhergestellt und gebaut werden, und zwar in Drangsal der Zeiten" 
— d. h. in dem Zeitraum von 49 Jahren. „Und nach den 
zweiundsechzig Wochen" — 434 Jahre nach der Wiederaufbauung Jerusalems — „wird der Messias weggetan werden 
und nichts haben" (Dan 9, 25. 26). 
Hie r is t de r bezeichnende , ernst e un d be -
merkenswert e Zeitpunk t erreicht , w o de r 
Messia s anstat t angenomme n z u werden , 
verworfe n worde n ist . Anstatt den Thron Davids 
zu besteigen, wurde das Kreuz Sein Teil; anstatt in den Besitz aller Verheißungen einzutreten, empfing Er nichts. Sein 
Teil war, insoweit es Israel und die Erde anbetrifft, das 
Kreuz , der Essig , der Speer , das geborgt e 
Grab . Der Messias war verworfen, weggetan und hatte 
nichts. Was nun? Gott bezeichnete Sein Mißfallen an dieser 
Tat dadurch, daß Er Israel für eine Zeitlang Seine Führung 
versagte. Der Lauf der Geschichte dieses Volkes ist unterbrochen; es zeigt sich eine große Lücke. Neunundsechzig 
Wochen oder vierhundertdreiundachtzig Jahre sind vollendet; 
es bleibt nur noch eine Woche (oder sieben Jahre) übrig. 
Diese Woche aber ist zurückgestellt worden, und die ganze 
200 
Zeit vom Tode des Messias an bis zum Beginn jener Woche 
bildet den bereits erwähnten Zwischenraum, jene Unterbrechung, während welcher Christus in den Himmeln verborgen und der Heilige Geist auf der Erde wirksam ist, um den 
Leib Christi, die Versammlung, die himmlische Braut zu bilden. Wenn das letzte Glied diesem Leibe einverleibt sein 
wird, dann wird der Herr Selbst kommen, die Seinen zu Sich 
zu nehmen und in das Haus Seines Vaters zu führen, wo 
sie mit Ihm in der unaussprechlichen Gemeinschaft dieser gesegneten Heimat sein werden, während Gott durch Seine 
Heimsuchungen Israel und die Erde für die Einführung Seines Erstgeborenen in die Welt zubereiten wird. 
Ober das, was sich während dieser Zwischenzeit ereignen 
soll, schweigt Gabriel. Offensichtlich hatte er keinen Auftrag, davon zu reden, da die Zeit hierzu noch nicht gekommen war. Er schreitet mit einer wunderbaren und geheimnisvollen Eile über Zeitalter und Generationen hinweg, geht 
von einer Landspitze auf der prophetischen Karte zur anderen und überspringt mit einem oder zwei kurzen Sätzen 
einen Zeitraum, der nun schon fas t zweitausen d 
Jahr e umfaßt. Die Belagerung von Jerusalem durch die 
Römer ist kurz angedeutet in den Worten: „Das Volk des 
kommenden Fürsten wird die Stadt und das Heiligtum zerstören". Dann hören wir über einen Zeitraum, der jetzt bereits über achtzehn Jahrhunderte gedauert hat, nur die Worte: „Und das Ende davon wird durch die überströmende 
Flut sein, und bis ans Ende: Krieg, Festbeschlossenes von 
Verwüstungen ". 
Wir werden dann unvermittelt in die Zeit des Endes geführt, wo die letzte der siebenzig Wochen — die an den 
vierhundertundneunzig Jahren noch fehlenden sieben Jahre — 
ihre Erfüllung finden wird. „Und er wird einen festen Bund 
mit den Vielen schließen für eine Woche; und zur Hälfte der 
Woche wird er Schlachtopfer und Speisopfer aufhören lassen. Und wegen der Beschirmung der Greuel wird ein Verwüster kommen und zwar bis Vernichtung und Festbeschlossenes über das Verwüstete ausgegossen werden". 
Damit ist das Ende der 490 Jahre erreicht, die über das 
Volk Daniels beschlossen und verhängt wurden. Ein Versuch, diesen Zeitraum erklären zu wollen, ohne jene Zwischenzeit in Betracht zu ziehen, würde nur Verwirrung stiften; könnte er zu einem einschüchternden Ergebnis führen. 
Ungezählte Thesen sind entwickelt, endlose Berechnungen 
201 
und Spekulationen versucht worden; es war alles vergebens. 
Die vierhundertundneunzig Jahre sind noch nicht vollendet, 
und sie werden ihre Erfüllung auch nicht finden, bevor die 
Versammlung diesen irdischen Schauplatz ganz verlassen haben wird und mit ihrem Herrn in ihre herrliche, himmlische 
Heimat eingegangen sein wird. In Offb 4-5 wird der Platz 
gezeigt, den die himmlischen Heiligen während der letzten 
der siebenzig Wochen Daniels einnehmen werden, während 
sich die Kapitel 6 bis 18 mit den verschiedenen Handlungen 
Gottes in Seiner Regierung befassen, wodurch Er Israel und 
die Erde zubereitet, um Seinen Erstgeborenen in die Welt 
einzuführen.*) 
Wir legen großen Wert darauf, diese Zusammenhänge klar 
hervorzukehren, weil diese Klarheit uns selbst zum Verständnis der Prophezeiung verholfen und manche Schwierigkeit beseitigt hat. Wir sind fest überzeugt, daß niemand das 
Buch Daniel oder den allgemeinen Zweck der Prophezeiung 
verstehen kann, der nicht beachtet, daß die letzte der siebenzig Wochen erst noch erfüllt werden muß. Nicht ein Jota, 
nicht ein Buchstabe des göttlichen Wortes kann vergehen, 
und wenn es erklärt, daß „siebenzig Wochen über das Volk 
Daniels bestimmt sind" und daß Israel am Schluß dieser 
Periode wieder in die Segnung eingeführt sein wird, so ist es 
klar, daß diese Periode noch nicht abgelaufen ist. Wen n 
w i r abe r jen e Unterbrechun g i n de r Ge -
schicht e Israel s als di e Folg e de r Verwer -
fun g de s Messia s nich t sehen , s o könne n 
w i r un s di e Erfüllun g de r siebenzi g Woche n 
Daniel s ode r de r vierhundertundneunzi g 
Jahr e nich t erklären . 
Im Auge behalten muß man zudem die andere wichtige 
Tatsache, daß die Versammlung an den Wegen Gottes mit 
Israel und der Erde nicht teilhat. Sie gehört nicht der Zeit, 
sondern der Ewigkeit an; sie ist nicht irdisch, sondern himm-
*) Wir wissen wohl, daß es unter den Auslegern der Offenbarung noch eine offene 
Frage ist, ob die einzelnen Ereignisse nach Offb 6 bis 18 eine halbe Woche einnehmen 
werden. Manche meinen hierzu, daß das öffentliche Auftreten Johannes des Täufers und 
unseres Herrn den Zeitraum von einer Woche oder sieben Jahre ausgefüllt habe und daß 
infolge der Verwerfung beider durch Israel diese Woche als aufgehoben zu betrachten 
sei und darum noch erfüllt werden müsse. Wir wollen uns hierzu einer Stellungnahme 
enthalten. Aber so interessant diese Frage auch ist, sie entkräftet in keiner Weise die 
großen Grundsätze, die uns hier dargestellt sind, oder die Auslegung des Buches der 
Offenbarung. Wir fügen nur noch hinzu, daß die Ausdrücke: „Zweiundvierzig Monate" - „zwölfhundertundsechzig Tage" - „Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit" — den 
Zeitraum von einer halben Woche oder von drei und einem halben Jahr bezeichnen. 
202 
lisch. Sie ist ins Leben gerufen während jener Zwischenzeit, 
jener Unterbrechung der Wege Gottes mit Israel, als Folge 
der Verwerfung des Messias. Wenn Israel — um nach Menschenweise zu reden — den Messias aufgenommen hätte, 
dann würden die siebenzig Wochen oder vierhundertundneunzig Jahre erfüllt sein. Aber Israel hat seinen König verworfen, und Gott hat sich zurückgezogen, bis das Volk seine 
Ungerechtigkeit anerkennen wird. Er hat Seine öffentlichen 
Handlungen mit Israel und der Erde unterbrochen, wiewohl 
Er alles durch Seine Vorsehung beherrscht und stets auf den 
um der Väter willen geliebten Samen Abrahams Sein Auge 
gerichtet hält. 
Inzwischen beruft Er aus Juden und Heiden die Versammlung, bestimmend dazu, die Gefährtin Seines Sohnes in 
himmlischer Herrlichkeit zu sein —, hienieden mit Ihm eins 
in Seiner gegenwärtigen Verwerfung von Seiten dieser Erde 
und in heiliger Erwartung Seiner glorreichen Ankunft. 
Dies alles bezeichnet die Stellung des Christen sehr bestimmt. Auch sein Teil und seine Aussichten sind mit derselben Klarheit festgestellt. Es ist nutzlos, die prophetischen 
Schriften zu erforschen, um die Stellung, die Berufung und 
die Hoffnung der Versammlung darin zu suchen. Der Christ 
geht fehl, wenn er sich mit Zeitangaben und historischen 
Begebenheiten in der Absicht befaßt, seine Geschichte darin 
zu finden. Sicher ist die Einsicht in die Wege Gottes mit 
Israel und der Erde wertvoll und interessant. Aber der 
Gläubige darf nie die Tatsache aus den Augen verlieren, daß 
er dem Himmel angehört, daß er unzertrennlich mit einem 
von der Erde verworfenen, in den Himmel aufgenommenen 
Christus verbunden, daß sein Leben mit Christo in Gott verborgen und daß es sein heiliges Vorrecht ist, täglich, ja 
stündlich die Ankunft seines Herrn zu erwarten. Es gibt 
nichts, was die Verwirklichung dieser Hoffnung auch nur 
einen Augenblick verhindern könnte. Nur die Langmut unseres Herrn, Der „nicht will, daß irgendwelche verloren gehen, sondern daß alle zur Buße kommen", ist die Ursache 
Seines Verzuges. Köstliche Worte für eine schuldige und 
verlorene Welt! die Errettung ist bereit , um geoffenbart 
zu werden, und Gott ist b e r e i t zu richten. Wir haben nur 
noch auf die Hinzufügung des letzten der Auserwählten zu 
warten, und — o gesegneter Gedanke! — dann wird unser 
teurer und geliebter Heiland kommen, um uns zu Sich zu 
nehmen, damit wir für immer da seien, wo Er ist. 
203 
Sobald aber die Versammlung mit ihrem Haupt in ihre 
himmliche Heimat eingegangen ist, wird Gott den abgebrochenen Geschichtsfaden wieder anknüpfen und Sein öffentliches Handeln mit Israel erneut aufnehmen. Israel wird, wie 
bereits angedeutet, während der letzten Woche in große 
Drangsal geführt werden. Am Ende dieser Periode beispielloser Angst und Not wird aber der so lange verworfene Messias zu ihrer Hilfe und Befreiung erscheinen. Er wird auf 
den Schauplatz treten, sitzend auf weißem Pferde und in 
Begleitung Seiner himmlischen Heiligen. Er wird schreckliche 
Rache an Seinen Feinden üben und Sein Reich mit großer 
Macht in Besitz nehmen. Die Reiche der Welt werden dann 
die Reiche unseres Herrn und Seines Christus sein. Satan 
wird tausend Jahre hindurch gebunden sein, und die ganze 
Schöpfung wird ausruhen unter der gesegneten und milden 
Herrschaft des Friedefürsten. 
Am Ende der tausend Jahre aber wird Satan wieder losgelassen werden, und es wird ihm. gestattet sein, noch eine 
verzweifelte Anstrengung zu machen — eine Anstrengung, 
die mit ewiger Vernichtung und mit der Überlieferung in den 
Feuersee endet, wo er mit dem Tier und mit dem falschen 
Propheten gepeinigt werden wird Ta g un d Nach t vo n 
Ewigkei t z u Ewigkeit . 
Dann folgt die Auferweckung und das Gericht der gottlosen Toten und ihre Verwerfung in den Feuersee, der mit 
Schwefel brennt. Schrecklicher Gedanke! Ach! die Qual des 
Feuersees — kein Herz vermag sie zu ergründen, keine Zunge vermag sie auszudrücken. 
Doch nur einen kurzen Moment läßt uns der heilige Seher 
in Offb 20 bei diesem dunklen und schrecklichen Bild verweilen. Im nächsten Augenblick stellt er die unaussprechliche Herrlichkeit des neuen Himmels und der neuen Erde vor 
unsere Augen. Die heilige Stadt, das neue Jerusalem, herniederkommend aus dem Himmel von Gott, tritt vor unsere 
Blicke, und wir vernehmen die himmlischen Töne: „Siehe, 
die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen 
wohnen, und sie werden sein Volk sein, und Gott selbst 
wird bei ihnen sein, ihr Gott. Und er wird jede Träne von 
ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, 
noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; 
denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Throne saß, 
sprach: Siehe, ich mache alles neu!" 
204 
O geliebter christlicher Leser, welche Ausblicke sind das! 
Welch erhabene Wirklichkeiten! Welch glänzende Herrlichkeiten! Möchten wir doch in ihrem Licht und ihrer Macht 
leben und uns der herrlichen Hoffnung stets erfreuen, Ihn zu 
sehen, Der uns geliebt und Sich Selbst für uns dahingegeben 
hat — Der diese Herrlichkeit nicht allein für Sich genießen 
wollte, sondern Der den Zorn Gottes trug, damit Er uns mit 
Sich vereinigen und alle Seine Liebe, Seine ganze Herrlichkeit auf ewig mit uns teilen konnte! O möchten wir doch 
für Christum leben und Seiner Erscheinung mit Sehnsucht 
entgegenharren! 
205 
Gedanken 
Gesammelt aus Vorträgen von G. V. Wigram 
Christus hat genau gesehen, wo ich in der Herrlichkeit 
sein werde; das Kleinod, welches Er für Seine Krone 
bestimmt hat, wird nicht verloren sein. Der Gläubige kann 
in dieser Welt mit Christo wandeln — wie jemand, der von 
Christo für die Herrlichkeit ergriffen ist. Wenn unsere Herzen mit Ihm in der Herrlichkeit beschäftigt sind, so wird 
dieses sein wie ein himmlischer Strom, der inmitten aller 
Trübsale unser dürres Herz befeuchtet. Unser Wandel ist 
dann praktischerweise im Himmel. Wenn ich ein Bewußtsein 
von meiner Verbindung mit Ihm im Leben droben habe, so 
wird mein Herz vor Freude klopfen; und diese Freude ist 
der Ausfluß der lebendigen Gemeinschaft mit Christo im 
Himmel und wird ihre Ströme ununterbrochen ergießen. 
Wenn ich Gott liebe, so wünsche ich, heilig zu sein, wie 
Er heilig ist. Es ist wunderbar, daß die Erkenntnis der Absicht Gottes, nach welcher ich dereinst mit Ihm verbunden 
sein soll, den Wunsch in mir weckt, schon jetzt mit Ihm 
vereint zu sein. Oder wünschest du nicht, daß die Neigung 
deines Herzens in Übereinstimmung seien mit Ihm, Der 
Sich mit dir verbunden hat? 
Das Lamm ist die Leuchte der himmlischen Stadt. Alle 
Herrlichkeiten, welche sich an diesem Orte entfalten werden, 
vereinigen sich in Ihm. Diese Herrlichkeiten sind jetzt prophetisch vor unsere Augen gestellt, damit sie unsere Gedanken auf Christum lenken. Ist Christus der Mittelpunkt deiner Gedanken? Hat die Hoffnung Seiner Wiederkunft einen 
Einfluß auf deine Pläne und Handlungen? 
Es gibt Dinge auf der Erde, welche viel Anziehendes für 
ein Menschenherz haben können; aber wenn ich meine Blicke 
aufwärts richte, so sehe ich Christum; und ich erkenne, daß, 
solange Er nicht vom Himmel herniedergestiegen ist, es keine Segnung für die Erde gibt. Ohne Ihn ist diese Erde nur 
eine Wüste; hier gibt es keine Ruhe. Jede Segnung, selbst die 
der Erde, ist in Christo eingeschlossen. Nichts kann uns die 
Erde während Seiner Abwesenheit als Erquickung bieten. 
206 
Christus ist der glänzende Morgenstern, die Hoffnung der 
Gläubigen während der Nacht dieser Welt. Dieser Titel findet 
sich nicht im Alten Testament; dort finden wir die Sonne 
der Gerechtigkeit. Aber der glänzende Morgenstern ist der 
Vorbote des Morgens ohne Wolken. Der Herr weiß, daß 
unsere Herzen Seiner eigenen Person bedürfen. Daher ist uns 
nicht die Herrlichkeit, sondern Er Selbst vor Augen gestellt. 
Was würde auch die Herrlichkeit ohne Ihn sein? O wie süß 
ist es, inmitten alles Bösen dieser verderbten Welt die Hoffnung Seiner Ankunft mit den Worten: „Ich bin der glänzende Morgenstern!" (Offb 22, 16-17) in Verbindung zu bringen! Und der Geist und die Braut rufen: „Komm!" 
Die Worte in 2. Kor 11, 2: „Ich habe euch einem Manne verlobt, um euch als eine keusche Jungfrau dem Christus darzustellen", geben uns eine klare Vorstellung von dem Charakter 
der Braut. Wie sehr verrät schon dieser Name, den der Herr 
Seiner Versammlung verleiht, Seine Liebe zu ihr! Wenn Er 
Seine Blicke herabsenkt, so erblickt Er armselige, hin und her 
zerstreute Wesen; und dennoch hat Er sie zu Gliedern Seines 
Leibes gemacht. Er hat sie gewaschen durch Sein Blut, hat 
ihnen den Heiligen Geist gegeben und sie mit Sich vereinigt. 
Seine Braut wird zur Wohnung Gottes zubereitet sein. Gott 
hat nicht nur eine Rippe Adams weggenommen, sondern Er 
machte aus dieser Rippe das Weib Adams. Es genügte Ihm 
nicht, arme verlorene Söhne zu berufen und sie zu reinigen, 
sondern Er bildet aus ihnen eine Versammlung, welche Er 
Seinem Sohne zur Braut gibt, indem Er sie Glieder Christi 
werden läßt, Fleisch von Seinem Fleisch, Gebein von Seinen 
Gebeinen. Es wird einen Teil Seiner Herrlichkeit ausmachen, 
daß Er aus Wesen, wie wir sind, Seinem Sohne eine Braut 
gebildet hat. Die Braut mag die kostbarsten Dinge besitzen; 
aber sie selbst ist für den Herrn. 
Wie? So ein armseliges Wesen wie ich, ein in der Wüste 
hin und her gejagtes Blatt kann sagen: „Komm, Herr Jesu!" 
Aber Gott hat mir Seinen Geist gegeben und mich mit 
Christo eins gemacht; und darum ist es mein Vorrecht, mich 
mit dieser Freimütigkeit an den Herrn zu wenden. Wenn Er 
mir nur die Herrlichkeit gezeigt hätte, so würde dieses bei 
mir ohne Wirkung geblieben sein; aber da der Heilige Geist 
diese Wahrheit in mein Herz gesenkt hat, genieße ich die 
Liebe Christi stets aus frischer Quelle. 
207 
Wenn nur ein einziger Gläubiger in der Welt wäre, so 
würde er dennoch durch den Geist sagen können: „Komm, 
Herr Jesu!" Nicht nur die Braut, sondern auch der Geist ist 
es, welcher ruft: „Komm!" Christus liebt es, uns sagen zu 
hören: „Komm!" Es ist eine anerkennenswerte, liebliche Sache, wenn es das gewöhnliche Gefühl der Seele ist, Ihn zu 
erwarten. Habt ihr in der Stille der Einsamkeit dieses durch 
den Heiligen Geist hervorgerufene Gefühl erfahren, so daß 
ihr fast unbewußt in die Worte ausbrecht: „Komm, Herr 
Jesu, komm!" Wünschet ihr nicht, noch heute zu Ihm aufgenommen zu werden? Bist du nicht ein Gläubiger, welcher 
sagen kann: „Komm!"? — Wenn es uns scheint, als verzöge 
Er Sein Kommen, so blickt Er auf uns und ruft uns zu: 
„Siehe, ich komme bald!" 
„Da er die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, 
liebte er sie bis ans Ende" (Joh 13, 1). Das ist reine Wahrheit, die von allen Gläubigen nicht nur durch den Glauben, 
sondern auch durch die Erfahrung, welche alle von dieser 
Liebe gemacht haben, erkannt wird. Wie süß ist die Erfahrung der Liebe Christi in einer so kalten eisigen Welt — 
einer Liebe, die schon vor Grundlegung der Welt aus dem 
Herzen Gottes für uns hervorsprudelte, als Er uns in Christo 
auserwählte! Richtet der Herr Jesus jetzt einen Blick auf 
mich, so sieht Er einen von denen, welche der Vater vor 
den Zeiten der Zeitalter auserwählt hat, um „begnadigt zu 
sein in dem Geliebten" — einen von denen, in welchen es 
Ihm gefiel, die Herrlichkeit Seiner Gnade zu offenbaren. Er 
erblickte, indem der Vater mich dem Sohne vor Grundlegung 
der Welt verbunden hat, in mir einen Auserwählten des 
Vaters. Kann Gott, Der solche Ratschlüsse in betreff auf uns 
gefaßt hat, wider uns sein? Muß nicht der Sohn, indem Er 
unsere Vereinigung mit dem Vater in Ihm sieht, uns lieben? 
Hat Christus nicht zur Erfüllung dieser verborgenen Ratschlüsse Gottes und in Seiner eigenen Liebe alles verlassen? 
Hat Er Sich nicht für uns dahingegeben und uns durch Sein 
Blut der Vergebung der Vergehungen bewirkt? Hat Gott Ihn 
nicht um unserer Rechtfertigung willen auferweckt und Ihn 
zu Seiner Rechten gesetzt? Sind wir in Ihm nicht gestorben, 
mit Ihm begraben durch die Taufe auf den Tod und wieder 
auferweckt? Können wir unsere Blicke zum Himmel erheben, 
ohne die unvergleichlichen Reichtümer der Gnade Gottes zu 
208 
sehen, welcher uns mit Christo auferweckt und in Ihm in die 
himmlischen örter versetzt hat? 
Während wir uns in der Wüste befinden, ist es sehr süß 
die Tröstungen zu empfangen, welche von Gott uns, Seinen 
Kindern, zufließen; aber es ist für uns eine noch lieblichere 
Gnade, sagen zu können: „Ich habe Gemeinschaft mit den 
Gedanken und Gefühlen des Vaters in Bezug auf Seinen eingeborenen Sohn". Ja, es gibt nichts köstlicheres, als auf 
diese Weise einzudringen in die Offenbarung Gottes, in die 
Gefühle des Vaters für den Sohn Seiner Liebe. 
Ihr alle seid Söhne Gottes durch den Glauben an Christum 
Jesum" (Gal 3, 26). — „Weil ihr aber Söhne seid, so hat Gott 
den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da 
ruft: Abba, Vater (Gal 4, 6)! Die Ruhe der Seele in der Kindesannahme von Seiten des Vaters ist das Teil derer, welche 
an Jesum Christum glauben. Aus diesem den Juden unbekannten, aber den Christen offenbarten wunderbaren und 
neuen Namen: „Abba, Vater", fließt für uns der reiche Segen. Gott hat mich als Sohn in Seine Gegenwart gestellt, um 
als solcher eine glückselige und heilige Freiheit zu genießen; 
ich kann die Augen erheben und das Wohlgefallen Gottes in 
dem Sohne anschauen und habe Teil an der Gemeinschaft 
des Vaters und des Sohnes; und dieses verleiht der Kirche 
oder der Versammlung der Kinder Gottes die erhabensten 
Vorrechte. 
Es ist eine Wahrheit von unendlichem Wert, daß der Herr 
Jesus, der Sohn Gottes, Mensch geworden ist, und daß Er für 
immerdar Mensch bleibt, während wir, die erkauften Menschen, stets bei Ihm sein werden. Gott kann von dem gesalbten Manne sagen: „Ich habe ihn zu meiner Rechten erhöht". 
Also ist ein Mensch zur Rechten Gottes. Wir dringen mit 
dem Auge des Glaubens in den Himmel und finden dort Ihn, 
welcher gesagt hat: „Wenn ihr mich liebtet, so würdet ihr 
euch freuen, daß ich zum Vater gehe" (Joh 14, 28). Unser 
Herz fügt das Amen hinzu, und wir gehen in Seine Freude 
ein. 
Die Versammlung wird von der Welt geoffenbart werden, 
so daß diese die Herrlichkeit, welche Christus ihr gegeben 
hat, sehen wird. Der Vater hat diese Herrlichkeit dem Sohne 
gegeben; der Sohn hat sie mit denen geteilt, welche Er liebt. 
209 
Die Welt wird gezwungen sein, die Kirche in ihrer Herrlichkeit zu bewundern; und dieses muß geschehen, denn des 
Vaters Wohlgefallen ist in dem Sohne, welcher Seine Braut, 
die Kirche oder Versammlung, mit Seinem eigenen Blute 
erkauft hat. Für die Braut, die also in Herrlichkeit dargestellt 
sein wird, wird das Bewußtsein, daß sie vom Vater in demselben Maße wie der Sohn geliebt wird, jede Vernunft übersteigen. Er, in Welchem die Fülle der Gottheit leibhaftig 
wohnt, ist es, Dem wir die Liebe des Vaters verdanken; und 
das Bewußtsein dieser Liebe wird unsere Herzen in der 
Herrlichkeit mit großer Freude erfüllen. Er fordert die ganze 
Herrlichkeit und gibt sie Seiner Braut, aber dennoch ist dieses nicht meine größte Freude. Weit köstlicher als alles ist 
der Gedanke, daß ich das Lamm Gottes noch unter einem 
anderen Titel kenne. Seine gesegnete Person hat einen Platz 
in meinem Herzen. Ich kann sagen: „Ich kenne Dich als den 
Sohn, Welcher mir den Vater geoffenbart hat. Alles würde 
wertlos für mich sein, wenn ich Dich nicht unter dem Namen 
des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit kennen würde". — Dieser Name hat mich in die Nähe 
des Vaters gebracht; diesen Namen hat Er hier getragen, und 
Er trägt ihn dort oben. Wir sinken anbetend zu den Füßen 
des im Fleische gekommenen Sohnes Gottes, Der vor aller 
Schöpfung — im Anfang — im Schöße des Vaters war. 
Im Hause des Vaters, im Schöße des Vaters, dort ist der 
Ruheort der Versammlung; nur die Einführung Seiner Versammlung in jene Wohnung, in welcher der Sohn Selbst ist, 
konnte Sein Herz befriedigen. Schon jetzt ist uns diese Stätte 
gegeben, wiewohl wir uns, so lange wir auf der Erde pilgern, 
ihrer nur in geistlicher Weise erfreuen. Wir sind Söhne Gottes; wir können keine nähere Verwandtschaft erreichen als 
diejenige, in welche wir bereits heute eingetreten sind. Schon 
jetzt ist mir das beste Teil zugefallen; Er hat mich zu einem 
Sohne gemacht und hat mich eintreten lassen in die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne, um tagtäglich meine 
Seele die Wonne des Vaters an Seinem Sohne genießen zu 
lassen. Wenn ich mich in Trübsal befinde, so weiß ich, daß 
der Vater droben in vollkommener Ruhe ist; und meine Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit Seinem Sohne. 
In der Heiligen Schrift wird wenig über das Haus des Vaters gesagt. Doch man versäume nicht, das zu lesen, was wir 
über diesen Gegenstand in Joh 14 finden, — jene kostbaren 
210 
Worte, welche uns die Liebe Jesu aufschließen, die Liebe 
Dessen, Der die Seinigen dort haben will, wo Er ist. Welch 
eine wunderbare Entfaltung der Gnade Gottes wird uns hier 
gezeigt! Diese Gnade eröffnet die Aussicht des Vaters vor 
den Blicken der Jünger, welche Jesus dort mit Sich einführen 
will. Und dieses sind dieselben Jünger, welche in der Stunde 
der Prüfung alle ihren Herrn verließen. Welch ein Kontrast 
zwischen Ihm und uns! Und dennoch ruht das Auge Gottes 
stets mit Wohlgefallen auf uns. Warum? Weil dieses Auge 
stets denen begegnet, welche in Christo verborgen sind. 
Nachdem der gute Hirte Sein verlorenes Schaf erreicht hatte, mag es sich vielleicht gesträubt haben. So ist es wenigstens von seiten des Menschen Gott gegenüber. Allein der 
Widerstand ist nutzlos; Gott trägt den Sieg davon. Hier ist, 
sozusagen, die Liebe Gottes der angreifende Teil. Ich weiß 
sehr wohl, daß ich Gott nicht wollte; allein Er sagte: „Ich 
will und ich werde dich haben. Es gibt für dich einen Platz 
im Himmel, und dahin wirst du kommen und für immer bei 
mir in der Herrlichkeit sein". 
Gott erlangt das Herz. Alles, was Er tun konnte, um das 
Herz des Sünders zu Sich zu ziehen, das hat Er im Kreuze 
Christi getan. Seine Liebe wird jedoch nicht immer verstanden. Er öffnet Seine Arme, um euch in die Freude und Glückseligkeit einzuführen; die Tür ist weit geöffnet, um euch zu 
empfangen. 
Wenn ich in der Wüste, inmitten aller Art von Prüfungen, 
noch länger zurückbleiben muß, kann mich dieses beunruhigen? Denn ich kann ja in allem die Liebe Jesu erkennen. 
Ausheimisch von dem Leibe und einheimisch bei dem Herrn 
zu sein wäre allerdings weit lieblicher; aber wenn Seine 
Liebe es will, daß ich bleibe, so genügt mir das glückselige 
Bewußtsein, diesen Willen zu erfüllen. 
Seid ihr völlig befriedigt bei dem Gedanken, daß ihr den 
Herrn sehen und bei Ihm bleiben werdet? Ist das der Zustand eurer Seelen? Warum könnt ihr euch denn nicht in 
dieser Hoffnung freuen? Warum seid ihr so niedergeschlagen, warum richtet ihr eure tränenbenetzten Augen gen 
Himmel, anstatt voll Freude dem Ziele entgegenzueilen? 
Liegt nicht der Grund darin, daß die Welt eure Gedanken 
211 
beherrscht und darum eure Herzen mit Unruhe und Sorge 
erfüllt sind? 
Der Augenblick naht, in welchem der Sohn Sich auf die 
Stimme des Vaters hin vom Throne erheben und wiederkommen wird. Strömt euer Herz nicht über vor Freude bei 
diesem Gedanken? Wenn Er heute Abend käme, würde Er 
viele Herzen finden, die Ihn erwarten? Jawohl, manche; Gott 
sei gepriesen! Es ist offenbar, daß Gott in diesen Tagen 
wirkt. Gott ist früher niemals gekommen, ohne vorher ein 
Zeugnis zu erwecken. 
Inmitten aller Herrlichkeit Gottes hat der Herr Jesus auch 
für mich einen Platz in Seinem Herzen. Er kann sagen: „Es 
gibt auf der Erde ein armes Geschöpf, das seine Pflicht strauchelnd erfüllt, und welches oft nicht richtig wandelt; ich werde es holen und ihm einen Anteil an allem geben, was ich 
besitze". Die Liebe Jesu ist in Tätigkeit und nicht die meinige. Jesus hat uns geliebt vor Grundlegung der Welt. Seine 
Liebe verändert sich nicht durch das, was wir sind. Er ist derselbe, gestern, heute und in alle Zeitalter. 
Wir sind Sein Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten 
Werken, welche Gott zuvor bereitet hat, auf daß wir in ihnen 
wandeln sollen" (Eph 2, 10). Haben diese Werke für Gott 
einen Wert? Ganz gewiß; denn Er Selbst hat sie bereitet. 
Sind sie nur für die Wüste bestimmt? Keineswegs; sie werden ihren Platz in der Herrlichkeit haben. Diese im Verborgenen des Herzens vollbrachten Dinge — ein unterwürfiger 
Wille, sowie die gereinigten Neigungen finden ihre Resultate in der Zukunft. Zwar beschäftigt sich Gott in diesem 
Augenblick mit uns; Er will, daß wir unseren Weg mit Ihm 
fortsetzen. Allein dieses ist nur der Anfang der Segnung; es 
ist nicht das, was wir sein werden, wenn wir den Herrn 
Jesus sehen, und Er unsere Leiber umgestalten wird zur 
Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der Herrlichkeit. 
Ist es ein Kleines, daß Gott jetzt in uns tätig ist, und daß 
Er in uns wirkt beides, das Wollen und das Wirken nach 
Seinem Wohlgefallen? Er will, daß sich das Leben Christi 
hier auf Erden uns offenbare, und daß wir die Gemeinschaft 
der Leiden Christi kennen. Was aber wird es erst sein, wenn 
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das Leben Christi auch unsere Leiber belebt und wir jene 
Stätte betreten, wo in allem völlige Harmonie herrscht? 
Die der Seele mitgeteilte Kraft Gottes befähigt uns, in 
Werken zu wandeln, welche der Ausdruck dieser Kraft und 
unserer lebendigen Gemeinschaft mit Christo sind. Gott stellt 
jedes Seiner Kinder auf den für es passenden Weg; es gibt 
eine besondere Vorsehung für jeden Einzelnen. Gott ist groß 
genug, alle Haare unseres Hauptes zu zählen; wir sind dazu 
zu klein. Gott ist so groß, daß Er jeden Becher kalten Wassers zählen kann, während wir zu klein, zu gering sind, um 
in solche Einzelheiten eingehen zu können; wir vermögen nur 
allgemeine Züge ins Auge zu fassen. Ich muß heilig sein, das 
ist völlig wahr; aber wer bezeichnete den Weg für einen 
Daniel, für einen Paulus in ihren Tagen, oder für die ersten 
Christen in ihren Tagen? Wer stellte den Tag unserer Geburt, den Pfad unseres Lebens fest? War es nicht Gott, der 
lebendige Gott? Ja, in allen Dingen ist Gott gegenwärtig. 
Er nimmt Kenntnis von jedem Gedanken, von jedem Schritt, 
von jeder Handlung unseres Lebens, ja von jedem Wort, das 
wir im Vorbeigehen oder auf der Straße sagen. 
Der Gedanke, daß es Werke gibt, die Gott zuvor bereitet 
hat, daß wir darin wandeln sollen, verleiht manchem an und 
für ich unbedeutenden Ding einen Wert, erleichtert manches schwere Kreuz und bewahrt vor vielen Handlungen des 
Eigenwillens. Wenn wir zurückschauen, so bemerken wir 
viele Fehltritte und viele eigenwillige Handlungen; aber wir 
sehen auch, daß Gott ihnen ein Ende machte, und unsere 
Schritte immer wieder auf den Pfad zurückführte, den Er 
für uns bereitet hatte. 
Wie groß ist der Unterschied, wenn wir uns nur als Einzelwesen betrachten oder als solche, die einen Teil jenes 
Tempels bilden, der auferbaut wird, um eine Behausung 
Gottes im Geiste zu sein! Diesem Tempel angehörend, sind 
wir köstliche Steine, das eigene Werk Gottes in Christo; wir 
sind als lebendige Steine auf die Grundlage der Apostel und 
Propheten gelegt, um hier zu ruhen und in der Schönheit 
des Sohnes Gottes, unserem Herrn Jesu, zu glänzen, auf 
Dem, als dem Eckstein, der ganze Bau ruht. 
Kannst du sagen: „Ich bin ein Berufener" — eins mit Christo? — Und was ist die Hoffnung eines solchen? Nichts we213 
niger als die Erlangung des Kampfpreises der Berufung Gottes in Christo Jesu. Es ist eine Wirklichkeit, daß Christus in 
all Seiner Schönheit und Herrlichkeit zur Rechten Gottes 
sitzt; und unsere Erwartung ist, Ihn zu sehen, wie Er ist 
und Ihm gleich zu sein. Der Vater der Herrlichkeit, Der in 
all unseren Mängeln und Gebrechen auf uns herniederblickt, 
wird nicht aufhören zu wirken, bis die Millionen Seiner Gefäße, eins nach dem anderen, dem Bilde Seines Sohnes 
gleichförmig gemacht sind. Er bildet sie alle zur Gleichförmigkeit Dessen, Der zu Seiner Rechten sitzt; und wenn wir 
Jesum sehen werden, wie Er ist, dann werden auch unsere 
Leiber der Niedrigkeit gleichförmig sein mit Seinem Leibe 
der Herrlichkeit. Welch ein Gedanke! Jeder Gläubige wird 
ein Gefäß voller Herrlichkeit sein; ja die Herrlichkeit Jesu 
wird das Teil von Tausenden und aber Tausenden sein. Und 
dieser Zahl wirst du — werde ich angehören. Werden wir 
dann finden, daß wir die Liebe Christi, wenn wir Ihm im 
Himmel begegnen, hier auf Erden erschöpft haben? Nein, 
sie ist unerschöpflich. 
Muß ich die Welt in meinem Herzen umhertragen, weil 
ich einen Leib der Sünde und des Todes habe? Nein; Gott 
sei dafür gepriesen! Der Strom des Lebens fließt von Christo 
aus dem Himmel hernieder, ergießt sich in mein Herz auf 
Erden und bringt in meiner Seele Früchte hervor zur Verherrlichung Dessen, Der die Quelle des Lebens ist. 
Der alte Christ kann zu einem jungen Christen sagen: 
„Täusche dich nicht; du wirst nichts in der Welt finden, was 
dein Herz befriedigt, denn auch ich habe darin für mein 
Herz keine Befriedigung finden können". Andererseits aber 
können wir sagen: Mag alles wider uns sein, so wird doch 
Gott Seinem Worte treu bleiben und Christus wird uns bei 
Seiner Erscheinung ohne Flecken und Runzeln vor Ihm darstellen. 
Wenn ich heute als Christ geförderter bin, als damals, wo 
ich mit Christo zu wandeln begann, so zeigt sich das darin, 
daß ich heute Ihn und die Verderbtheit meiner Natur besser 
kenne, wie zu jener Zeit. 
Welches war der moralische Zustand jener wenigen Männer, welche den Herrn auf Erden begleiteten? Sie waren 
lebendig gemacht; sie hatten den Glauben. Durch das Licht 
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des Lebens, dessen sie teilhaftig geworden waren, hatten sie 
die Kostbarkeit Christi kennengelernt. Der Herr hatte ihre 
Herzen gewonnen; und das ist das Geheimnis der Liebe. Die 
Hingabe hat es mehr mit der Zuneigung als mit dem Verständnis zu tun. Diese Männer sahen nachher Jesum, Den sie 
liebten, gen Himmel auffahren. Wo waren ihre Herzen von 
diesem Augenblick an? Der Himmel hatte sich ihnen als eine 
neue Stätte geöffnet. Er, an Dem ihre Herzen hingen, war 
dort; und ihre Herzen folgten ihm nach. Der Grundzug der 
himmlischen Berufung ist die dankbare Anhänglichkeit an 
ein göttliche Person, an Den, Der uns geliebt, und Der im 
Himmel ist, wo wir Ihn im Gauben aufsuchen. Die geistliche 
Dürre so vieler Christen in unseren Tagen erklärt sich durch 
den Mangel an Verständnis in dieser Beziehung. Sie sind 
nicht himmlisch in ihrem Wesen und Wandel, wie es die 
ersten Christen waren; und doch hat Christus das Recht, ein 
himmlisches Volk zu besitzen. Als Stephanus gesteinigt wurde, beherrschte Christus in der Herrlichkeit die ganze Szene; 
und diese Herrlichkeit drang bis in die Seele eines Menschen. Aus diesen Umständen erkenne ich, wie sehr die 
Liebe Christi mich umgibt. Ich lerne daraus, wie Er Sich droben mit mir beschäftigt, nicht nur, um mich zu segnen, sondern auch, um mich Sein ganzes Mitgefühl genießen zu lassen, wie Er dieses bezüglich Seines gesteinigten Dieners tat. 
Wenn du dich mit dem verworfenen Christus verbindest, 
so wird das Licht deinen Pfad erhellen und die innigen Gefühle Jesu werden dich begleiten. Zeugt dein Wandel davon, 
daß du unverwandt gen Himmel schaust und auf Jesum in 
der Herrlichkeit hinblickst? Trägst du das Bild Christi hier 
zur Schau? Bei Stephanus erwies sich die Kraft, welche der 
Anblick der Herrlichkeit Gottes ihm verliehen hatte, durch 
alle Umstände hindurch, in die Satan und die Menschen ihn 
brachten. Kann ich nicht mit der nämlichen Kraft durch meine 
Umstände gehen? Sind meine Gedanken, meine Neigungen 
droben? In diesem Falle werde ich, von welcher Art mein 
Dienst auch sein mag, stets im Licht wandeln. Ich weiß, daß 
ich Widerstand erfahren, daß ich einer großen Menge solcher 
begegnen werde, welche fern von Gott ihren Weg gehen 
und denen ich entgegentreten muß. Das auf uns vom Himmel herabströmende Licht stellt uns in den Gegensatz mit 
allem, was uns umgibt. Der Herr kennt solche Schwachheit, 
und wir sollen sie auch kennen. Als Johannes zu den Füßen 
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Jesu niederfiel (Offb 1, 17), geschah es, damit er seine 
Schwachheit empfinde und die stützende Kraft der mächtigen 
Hand erfahre. Alle, welche Christum kennen, machen diese 
Erfahrung in einem um so größeren Maße, jemehr sie voran 
gehen. Auf dem ganzen Wege durch die Wüste ist Christus 
für uns; und wenn Er uns auch zeigt, daß wir ohne Ihn nicht 
einen Schritt zu tun vermögen, so hört Er doch nie auf, uns 
zu leiten und zu schirmen. Der Friede, den Er gibt, ist nie 
so spürbar, als wenn alles stürmt und braust; denn Er, unser Friede, ist noch näher bei uns, als der Sturm, und erfüllt die Seelen mit Frieden. 
Worin besteht die Kraft meines Wandels? Gott hat mich 
mit Christo auferweckt und mir Seinen Geist gegeben. Geleitet durch diesen Geist, werde ich alles richten und mich 
von allem trennen, was nicht vom Vater ist. Das Bewußtsein, 
mit Christo gestorben, begraben, auferstanden und mit meinem himmlischen Bräutigam verlobt zu sein, läßt mich sagen: 
„Ich kann das nicht tun, was Ihm mißfällt". Die Natur mag 
ihre Wünsche und Neigungen haben; aber ich werde ihnen 
nicht gehorchen, wenn sie mit den Wünschen und dem Willen des Herrn in Widerspruch stehen. Wir sind in den Wirkungskreis einer wunderbaren Macht eingetreten — der 
Macht Dessen, Der das Leben gibt. Für einen jeden, der im 
Besitz dieses Lebens ist, ist eine Kraft vorhanden, die ihn in 
das Bild Christi von Herrlichkeit zu Herrlichkeit verwandelt. 
Wenn Gott von allen gesagt hat: „Alles Fleisch ist wie 
Gras — das Gras ist verdorrt", so liegt darin sicher ein tiefer 
Ernst. Doch es wird dazu dienen, daß wir uns unserer 
Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi über uns wohne (2. Kor 12, 9). 
Man spricht oft von der himmlischen Berufung, als ob sie 
eine Sache oder Lehre wäre, die mit dem Verstände zu erfassen sei. Aber hat Henoch, als er mit Gott wandelte, oder 
Moses, als er standhaft aushielt, als sehe er den Unsichtbaren (Hebr 11, 29), die himmlische Berufung in dieser Weise 
betrachtet? Ist es denn nicht der Mensch vom Himmel, Der 
zur Rechten Gottes sitzt, Der mich bei meinem Namen gerufen hat? Und noch mehr. Trägt Er nicht meinen Namen vor 
Gott als den Namen einer Person, für die Er viel getan, und 
für die Er noch viel tun wird? Kann ich dabei gleichgültig 
sein? Nein, meine Seele erhebt sich zu Ihm und sehnt sich 
nach Ihm. 
216 
Beim Rückblick auf begangene Fehler wirst du in vielen Fällen die Quelle darin gefunden haben, daß du deine Wege nach 
den Umstanden einzurichten trachtetest und den Glauben den 
Umständen unterordnetest, was nimmer zu etwas Gutem 
führen kann. Wenn wir in der Gegenwart des Herrn wandeln, so werden wir Sein Licht haben und werden nach Seinem Wohlgefallen geleitet werden. Es ist unaussprechlich 
köstlich, zu wissen, daß wir im Himmel, hoch erhoben, einen 
Menschen, den Herrn Jesum Christum, haben, Der stets mit 
den Seinigen beschäftigt ist und ihnen immer aushilft. Oder 
nimmt Er etwa weniger Anteil an uns, als an Stephanus? 
In dem glänzenden Lichte der Verklärung war Jesus und 
nicht die Herrlichkeit der Hauptgegenstand, der den Jüngern 
dargestellt wurde, Der, Welcher auf dem Berge umgestaltet 
wurde, war eine göttliche Person und zugleich ein Mensch, 
Der schöner war, als alle Menschensöhne, ausgezeichnet vor 
Zehntausenden. Für einen Augenblick hat Er Sich auf Erden 
mit Herrlichkeit bekleidet und dann Seinen Jüngern einen 
Blick in die Herrlichkeit Seines Reiches gestattet. Doch was 
war die Herrlichkeit des Reiches im Vergleich mit der Herrlichkeit Seiner Person? 
Zwei Dinge sind bei den Gläubigen eng miteinander verbunden. Das neue Leben und das irdene Gefäß, das dieses 
Leben enthält. Daher kommen Schwachheiten von innen, und 
Schwierigkeiten von außen. Die Erfahrung des Paulus zeigt 
uns beides (2. Kor 12, 7). Der Herr wußte, welchen Schaden 
das irdene Gefäß dem darin enthaltenen Schatz des ewigen 
Lebens zufügen könne; denn das Fleisch ist schwach; das 
Böse ist vorhanden; und um diesem Schaden vorzubeugen, 
gab Er, zum Besten Seines Dieners, ihm einen Dorn für das 
Fleisch. Paulus sollte durch dieses Mittel vor Überhebung 
bewahrt werden. Wie konnte er, ein von Christo aufgelesenes Stück Ton, ein Diener des Herrn werden? Wie konnte 
er wissen, was er tun sollte? Nur dadurch, daß er Gehorsam 
lernte; und dazu sollte er in der Hand des Herrn gebildet 
werden, wie der Ton in der Hand des Töpfers. Erst dann 
konnte er unter der Leitung seines Herrn wandeln und ein 
Werkzeug in Seinen Händen werden. Erst nachdem er völlige Abhängigkeit gelernt und des Herrn Sinn erkannt hatte, 
konnte er Ihm dienen und Seinen Fußstapfen nachfolgen. 
Der Herr hatte in Seinem Wandel Seinem-Vater gedient und 
217 
hatte nie einen anderen Willen als den des Vaters gekannt. 
Aber Paulus hatte einen eigenen Willen. Der für sein Fleisch 
gegebene Dorn, der ihn innerlich und äußerlich berührte, 
mußte dazu dienen, ihn seine stete Schwachheit und Abhängigkeit fühlen zu lassen. 
Es liegt etwas ungemein Schönes in dem Gedanken, daß 
Christus uns zuerst das Leben in ein irdenes Gefäß legt und 
dann für dieses Leben Sorge trägt. Es ist, als ob Er sagte: 
„Ihr seid nicht fähig, dieses Leben zu bewahren und richtig 
zu behandeln; darum muß ich Sorge dafür tragen". Wir 
können nicht einen Tag in der Kraft dieses neuen Lebens 
wandeln, ohne unsere Abhängigkeit von Christo zu fühlen, 
Der diesem Gefäß das Leben mitgeteilt hat, und Der die 
Kraft darreicht, um das Leben nach außen offenbaren zu 
können. „Meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht". Wir 
offenbaren das Leben nur in dem Maße, als Christus es leitet; und wir entdecken es in uns, weil es unsere Gedanken 
und Gefühle auf Ihn richtet, Der es uns gegeben hat. 
Wir alle lieben die Wüste nicht. Überall finden wir Schwierigkeiten und Gefahren, überall sengende Sonnenhitze und 
tiefen Sand; das Herz will oft ermatten. Aber vergessen wir 
nicht, daß wir es mit einem Gott zu tun haben, Der die 
Toten auferweckt, und Der uns nur hier zurückläßt, um uns 
zur Erkenntnis unseres eigenen Ichs Gelegenheit zu geben. 
Richten wir unsere Blicke nicht nach der natürlichen Seite 
hin, wo Dornen und Steine unseren Fuß verletzen, sondern 
laßt uns nach jener Seite schauen, wo Gott ist, Der während 
der Reise durch die Wüste das Herz des Pilgers mit Frieden 
und Glückseligkeit erfüllt. Es ist der wohlgefällige Wille des 
Herrn, daß wir nicht einen einzigen Tag verleben, ohne sagen zu können: „Ich weiß, daß die Kraft Christi in meiner 
Schwachheit vollbracht wird". 
Der Braut geziemt es, sich nach dem Kommen Dessen zu 
sehnen, Der ihre Liebe besitzt; und der Heilige Geist ist es, 
Der diese Liebe, diese Sehnsucht hervorruft. „Der Geist und 
die Braut sprechen: „Komm!" Vielleicht hat sie auf ihrem 
Weg durch diese dunkle Nacht, in welcher diese Welt liegt, 
schmerzliche Augenblicke durchzumachen; aber nicht um das 
Ende ihrer Mühsal zu sehen, harrt sie dem Kommen Jesu 
entgegen; nein, sie sehnt sich danach um Seiner Selbst wil218 
len. Sind eure Gedanken im Einklang mit diesem Verlangen 
der Braut? Stimmt ihr ein in den Ruf: „Komm, Herr Jesu?" 
Die Herzen der Jünger waren mit Jesu verbunden, während Er auf Erden war; und diese Herzen folgten Ihm in den 
Himmel, als Er emporfuhr. Seit diesem Augenblick ist das 
Auge der Heiligen nach oben gerichtet, von woher sie Ihn 
erwarten. Jesus ist der glänzende Morgenstern, der in ihrem 
Herzen aufgegangen ist. Inmitten der Nacht dieser Welt 
haben sie den ersten Schimmer Seines Kommens entdeckt. 
Das Kind Gottes hat in seiner Seele dieselben Neigungen, 
wie Christus; und diese Neigungen offenbaren sich, wenn 
wir uns auf Erden mit demjenigen beschäftigen, womit sich 
Christus beschäftigt. 
Wenn das Licht der Wiederkunft des Herrn in die Seele 
dringt, dann erwachen eine Menge Bedürfnisse und Pflichten. 
Man macht sich bereit, Ihm zu begegnen; aber man denkt 
auch an solche, welche nicht bereit sind. Wenn ihr wüßtet, 
daß der Herr morgen käme, würdet ihr dann nicht tätig sein, 
die Dürstenden zu jener Quelle zu führen, die in das ewige 
Leben quillt? Sicher, ihr würdet einstimmen in den Ruf: 
„Wen da dürstet, der komme!" Es kann Augenblicke geben, 
in welchen diese Hoffnung, ohne von ihrem Werte etwas 
einzubüßen, in der Seele nicht in so mächtiger Weise empfunden wird. Bei dem Herrn aber ist keine Veränderung; Er 
wird Seine Verheißung, bald zu kommen, sicher erfüllen. Er 
hat gesagt: „Ich komme bald!" Die Aussicht auf Sein Kommen, als auf etwas nahe Bevorstehendes, erfüllt die Seele 
mit Kraft. 
Als Christus in den Himmel einging, wurde uns der Zugang in den Himmel durch den zerrissenen Vorhang Seines 
Fleisches geöffnet; und der Thron, auf dem Er sitzt, ist ein 
Gnadenthron, welchem wir mit Freimütigkeit nahen können. 
Das Blut Christi ist dort vor den Augen Gottes. 
Aus den Zeugnissen vieler Stellen des Neuen Testaments 
sehen wir, daß die Seele des Apostels Paulus in dem Genüsse großer Freude war — eine Folge Seiner Gemeinschaft mit 
dem Herrn und eine Folge seines Glaubens, der stets alles 
von dem Standpunkte Gottes aus betrachtete. Welch einen 
219 
himmlischen Einfluß übte er auf andere aus! O glückliche 
Seelen, die Ihm gleichen! Keine Wolke vermag vor ihren 
Blicken Christum zu verhüllen. Wer könnte aber auch das 
Angesicht des Herrn Jesu anschauen, ohne in der Seele eine 
Wirkung davon zu verspüren! „Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu 
Herrlichkeit" (2. Kor 3, 18). „Er ist für alle gestorben, auf 
daß die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern 
dem, der für sie gestorben ist und ist auferweckt worden" 
(2. Kor 5, 15). Welch eine Stellung wird uns angewiesen! 
Wir sind nicht nur aus der Finsternis in Sein wunderbares 
Licht berufen worden, sondern wir haben auch das ewige 
Leben empfangen und sind in Gemeinschaft mit den Gedanken Christi gebracht. Paulus war sich dessen bewußt; und er 
war beflissen, ein Zeugnis davon abzulegen, wie Christus 
hier die Offenbarung der Liebe des Vaters war. Leider denken wir nicht genug an das, was wir in Christo besitzen, in 
Ihm, Der jede Spur der Sünde ausgetilgt hat, und Der uns 
bald in das Haus des Vaters einführen wird. Und diese 
überschwengliche Gnade ist Wirklichkeit. 
Die Macht, welche Christus auf die Seele ausübt, ist wunderbar. Paulus fand in Christo den Mittelpunkt seines ganzen Wirkens. Trotz seiner Bande war es überall, wo er sich 
befand, sein einziger Gedanke, den Herrn zu verherrlichen. 
Die Liebe Christi erfüllte seine Seele. Er hatte die Unerschütterlichkeit dieser Liebe am Tage der Gefahr erfahren, 
und es war eine Freude für ihn, um Christi willen sich selbst 
zu vergessen (2. Tim 4, 7; Phil 1, 12-25). 
Welch ein köstlicher Gedanke, zu wissen, daß alles, was 
ich habe, in Christo ist! Der Vater ist es, Der mir alles geschenkt und es den Händen Christi anvertraut hat; und der 
Heilige Geist, den Er gesandt hat, versiegelt es in meinem 
Herzen. 
Wie auch der Schein sein mag, so wird doch jedes Werk 
nur dann bestehen, wenn es die Verherrlichung Christi zum 
Zwecke hat und das Leben Christi sich darin offenbart. Die 
Umstände mögen verschieden sein; aber die Grundlage des 
Werkes muß gleich sein. Der eine Christ mag krank sein 
und auf einem Schmerzenslager sich befinden; der andere 
220 
mag von Ort zu Ort reisen, um die Botschaft des Heils zu 
verkündigen; der dritte mag um des Evangeliums willen in 
Ketten und Banden liegen, — doch ein jeder von ihnen befindet sich gerade dort, wo Christum am besten Sein Leben 
in ihm entfalten kann. 
Es ist nicht viel, wenn man sagt, daß das Ich aus dem 
Hause des Vaters ausgeschlossen sein wird. Christus wird 
dort alles ausfüllen. Wir werden so sehr von dem Licht Seiner Gegenwart umstrahlt sein, daß unsere Gedanken nur für 
Ihn und nur in Ihm Raum finden. 
Bei zwei Gelegenheiten wird uns eine Willensäußerung 
Christi mitgeteilt; und jedesmal entspricht sie der Vollkommenheit, die in Ihm war. Das eine Mal bat der Herr Jesus, 
als Er in der Voraussicht des Kreuzes in Seiner Seele mit 
Bangigkeit den Augenblick durchlebte, wo Er, für uns zur 
Sünde gemacht, unter dem Zorn Gottes stehen werde — daß, 
wenn möglich, dieser Kelch an Ihm vorübergehen möge. Zugleich aber entsagte Er Seinem Willen und unterwarf Sich 
dem Willen des Vaters; ja, Er nahm den Kelch in dem Bewußtsein, daß er aus der Hand des Vaters komme. Das 
zweite Mal sah Jesus die kommende Herrlichkeit vor Sich 
(Joh. 17), und wir hören Ihn zum Vater sagen: „Vater, ich 
will, daß die, die du mir gegeben hast, auch bei mir seien, 
wo ich bin, auf daß sie meine Herrlichkeit schauen'" (Joh 17, 
24). Er vergaß Seine Jünger nicht; und als der Augenblick 
herannahte, in welchem die Herrlichkeit auf die Leiden folgte, da wollte Er ihnen einen Platz in dieser Herrlichkeit sichern. Es war dieses das Recht Seiner Gnade, wie es auch die 
Absicht der Liebe des Vaters war. Wie ganz anders steht es 
bei uns. Wir haben einen Willen, der zum Schweigen gebracht werden muß, einen Willen, den uns unsere Selbstsucht einflößt und der, wenn er nicht zurückgehalten wird, 
immer zu handeln bereit ist. Möchten doch unsere Herzen 
in das Bild Dessen verwandelt werden, Der, in die Welt 
kommend, sagte: „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o 
Gott, zu tun!" (Hebr 10, 9). 
Was wird es sein, wenn Christus Sich Selbst die Versammlung verherrlicht darstellt und sie in Seine Herrlichkeit 
einführen wird, damit sie diese auf ewig mit Ihm teile! 
221 
„Dies tut zu meinem Gedächtnis!" Von wem kommt diese 
Aufforderung? Wer ist es, der sie an uns richtet? Darauf hat 
das Geschöpf keine Antwort; denn Er ist es, das ewige Leben, der eingeborene Sohn im Schöße des Vaters, ehe die 
Welt war; Er ist es, Der herniedergekommen und die reiche 
Quelle der unerschöpflichen Gnade und der Liebe Gottes geworden ist. Ja, Er, der Herr Jesus ist es, Der, bevor Er in die 
Tiefe Seiner Leiden hineinging, Sich noch mit Sehnsucht 
sehnte, das Passah mit Seinen Jüngern zu essen, und Der, 
indem Er uns für die Zeit Seiner Abwesenheit das Gedächtnis Seines Todes und Seiner Liebe zurückließ, die Worte 
sagte: „Dies tut zu meinem Gedächtnis!" Seine Liebe setzt 
einen Wert auf unsere Liebe. Inmitten der Herrlichkeit in der 
Er nun über neunzehn Jahrhunderte thront, denkt Er an 
schwache Geschöpfe, wie wir es sind; Er will, daß wir Seiner 
gedenken, denn selbst in der Freude, die Er zur Rechten 
Gottes genießt, hört Er nicht auf, von uns Liebe zu erwarten. 
Wenn wir das Werk Christi schauen, so erkennen wir, daß 
die Person Dessen, Der es vollbrachte und in Dem die Fülle 
der Gottheit leibhaftig wohnt, dem Werk seinen Wert ver -
leiht. Jetzt sitzt Er zur Rechten Gottes und ist die Ruhe unserer Herzen. O möchten wir doch stets mit dem Apostel 
begehren, daß „Christus hoch erhoben werde an unserem 
Leibe, sei es durch Leben oder durch Tod!" (Phil 1, 20). Möchte doch jeder Tag Zeugnis davon ablegen, daß es unser 
Wunsch ist, Ihm wohlzugefallen! Möge Er durch Seinen 
Geist bewirken, daß wir, wie schwach das Licht unserer Erkenntnis auch sein mag, stets fÜT Ihn sind und auf Seiner 
Seite stehen!