Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1909 | Seite |
Das Reich der Himmel | 1, 28, 57, 85, 113, 141, 169, 197, 225 |
Jesus findet Philippus | 14 |
Das Evangelium der Herrlichkeit | 21, 47, 75, 162, 188, 2112 |
Das gute Teil und ein gutes Werk | 26 |
Eine Hülfe oder ein Hindernis? | 38 |
Gedanken | 54, 139, 196 |
Herr Jesu, komme bald! (Gedicht) | 56 |
Rückgang und Wiederherstellung | 64 |
Gott hat es getan" | 82 |
Die Brüder, ihre Lehre." | 97 |
Herr, mach mich weise! (Gedicht) | 112 |
Lazarus | 124 |
Wohl zusammengefügt" | 135 |
Drückt dich Beschwerde (Gedicht). | 140 |
Ein Beispiel von dem Ausharren und der Kraft des Glaubens | 154 |
Ein ganzes Herz für Christum | 167 |
Du kennst mein Sitzen und mein Aufstehen" | 180 |
Zehrung für den Weg | 220 |
Innerhalb des Vorhangs außerhalb des Lagers | 233 |
Deine Sprache macht dich offenbar" | 251 |
Der Brief des Judas oder die letzten Tage der Christenheit.. | 253, 291, 309 |
Zwei Brautwerbungen | 265 |
Glückselig, die ihre Kleider waschen! | 279 |
Aus einem alten Briefe | 304 |
Auf allen Pfaden (Gedicht) | 308 |
Ich sorge nicht um morgen (Gedicht) | 317 |
Elieser und Rebekka | 318 |
„Der Jünger, welchen Jesus liebte" | 333 |
Zum Jahresschluß (Gedicht) | 336 |
Botschafter des Heils in Christo
Siebenundünfzigster Jahrgang
Elberfeld – Verlag von R. Brockhaus
1909
Das Reich der Himmel
Bibelstelle: Matthäus 5 - 7
Botschafter des Heils 1909 S. 1ff
Kapitel 5
Das 4. Kapitel des Evangeliums Matthäi schließt mit den Worten: ,,Und Jesus zog in ganz Galiläa umher, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Reiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen unter dem Volke. Und Sein Ruf ging aus „in das ganze Syrien; und sie brachten zu Ihm alle" Leidenden, die mit mancherlei Krankheiten und Qualen behaftet waren, und Besessene und Mondsüchtige und "Gelähmte; und Er heilte sie. Und es folgte Ihm eine „große Volksmenge von Galiläa und Dekapolis und Jerusalem und Judäa und von jenseits des Jordan''
Beachten wir, dass an keiner anderen Stelle der Evangelien eine solch ausgedehnte Werk- und Lehrtätigkeit des Herrn in so wenige Verse zusammengedrängt erscheint, wie hier. Sie wird von Matthäus wie ein reicher Fruchtbüschel zusammengefasst, ehe uns die Unterweisungen mitgeteilt werden, welches unter dem Namen ,,Bergpredigt« so allgemein bekannt geworden sind. Warum ist das so? Ohne Zweifel hat der Heilige Geist die Umstände so geordnet, um uns zu zeigen, wie die allgemeine Aufmerksamkeit in jenem Augenblick auf die Person und Lehre des Herrn gerichtet war. Jesus hatte in ganz Galiläa ein so eindrucksvolles Zeugnis abgelegt, dass Sein Ruf in das gesamte Syrien gedrungen war.
Von allen Seiten strömten die Menschen "herbei, um Ihn zu sehen und zu hören; und nun gibt" uns der Heilige Geist eine umfassende Beschreibung des Reiches der Himmel in seinen Gegenständen und seinem Charakter.
Wusste Matthäus denn nicht, dass die Bergpredigt der Zeit nach viel später gehalten worden ist, als sie in seinem Evangelium erscheint? Sicherlich. Die zwölf Jünger waren längst von Jesu berufen, als Er auf den Berg stieg und sie mit den Grundsätzen des Reiches "bekannt machte; dennoch berichtet Matthäus die Berufung der Zwölfe erst im 10. Kapitel, und redet von seiner eigenen Berufung erst im neunten. Der Zweck des Geistes Gottes, der ganz anders schreibt als menschliche Berichterstatter, war eben nicht der, die Zeit festzustellen, in welcher die Bergpredigt gehalten wurde, sondern vielmehr die große Veränderung, welche im Lande vorgegangen war, vor Augen zu führen.
Die Bergpredigt braucht auch nicht, geschichtlich, „als eine ununterbrochene Rede betrachtet zu werden;" es ist sehr wohl möglich, wenn nicht wahrscheinlich, dass sie in verschiedene Abschnitte zu teilen ist. Es wird auch nirgendwo gesagt, dass sie in genauer Auseinanderfolge gehalten worden sei. Es heißt nur allgemein, dass Jesus auf dem Berge so gesprochen, und dass Er dort die Volksmenge so gelehrt habe.
Die Predigt mag aus verschiedenen einzelnen Reden zusammengesetzt sein, indem die Umstände, welche zu diesem oder jenem Teil Anlass geben, von Matthäus ausgelassen werden. Der grübelnde menschliche Geist stellt nun Vergleichungen an, und indem er findet, dass Lukas verschiedene Teile der Rede in ganz verschiedenartigen Verbindungen mitteilt, während Matthäus sie alle miteinander berichtet, kommt er, anstatt in der Gewissheit zu ruhen, dass Gott recht hat, ohne weiteres zu dem Schluss, dass es in den heiligen Schriften Verwirrung und Widerspruch gebe. Das Gegenteil ist der Fall. Der Heilige Geist gestaltet alles nach dem Zweck, den Er im Auge hat.
Einer der Gründe, die Ihn geleitet zu haben scheinen, (wenn wir in Ehrerbietung so reden dürfen), der Bergpredigt in Matthäus ihren Platz außerhalb der geschichtlichen Reihenfolge zu geben, bestand also darin, dass das ganze Evangelium mit der Absicht geschrieben wurde, zunächst die Juden davon zu überzeugen, wer Jesus war: ihr Messias —— ein Mensch, aber Jehova, "der Herr und Gott Israels; sodann, um diesem Volke" die völligsten Beweise davon zu geben, was Er in Wirklichkeit war als ihr Messias, den Prophezeiungen entsprechend. *) Um der Lehre des Herrn ein größeres Gewicht zu geben, hat es anscheinend dem Geiste Gottes gefallen, zuerst einen allgemeinen Umriss der Taten wunderbarer Macht zu geben, welche überall Aufmerksamkeit erregten.
Es gab deshalb für den Unglauben keinen Entschuldigungsgrund in der Behauptung, dass Gott für die Stämme Israels diese Trompete nicht laut und hörbar genug habe ertönen lassen. Im Gegenteil wir haben gehört: „Sein Ruf ging aus in das ganze Syrien . . . und es folgte Ihm eine große Volksmenge von Galiläa und Dekapolis und Jerusalem und Judäa und von jenseits des Jordan''.
Und gerade so wie diese Wunder Christi, welche durch längere Zeiträume voneinander getrennt gewesen sein mögen, hier zusammengefasst sind, braucht auch, wie bereits gesagt, die Bergpredigt nicht notwendigerweise eine fortlaufende, von Zeit und Umständen nicht unterbrochene Rede gewesen zu sein. Der Heilige Geist hat es vielmehr für passend gefunden, sie so zusammenzustellen, damit die ganze innere Einheit der Lehre Christi bezüglich des Reiches der Himmel zum Ausdruck komme, namentlich aber um den irdischen Anschauungen und Erwartungen des Volkes Israel entgegenzutreten.
Lukas wurde vom Heiligen Geiste inspiriert, die Fragen mitzuteilen, durch welche gewisse Teile der Rede veranlaßt wurden, und die Umstände zu berichten, welche "sie begleiteten; zugleich wurde er dahin geleitet, gewisse" Teile der Rede zurückzuhalten und sie mit Begebenheiten zu verbinden, die von Zeit zu Zeit im Dienste unseres Herrn sich ereigneten, indem so die augenblicklichen Ereignisse mit irgend einer besonderen Lehre unseres Herrn in sittliche Übereinstimmung gebracht wurden. An einigen Stellen in Lukas lässt also der Geist Gottes nach Seiner unumschränkten Weisheit gewisse Teile aus, um sie an anderen, entsprechend dem Gegenstand, den Er im Auge hat, ganz oder teilweise einzufügen. Der kennzeichnende Charakterzug des Evangeliums des Lukas, der sich durch das ganze Buch hin durchzieht, ist der sittliche Zweck, welchen es verfolgt.
Wir können deshalb völlig verstehen, wie passend es war, dass, wenn im Leben Christi Umstände eintraten, die eine Art praktischer Auslegung Seiner Rede bildeten, die Rede und die Ereignisse miteinander verwoben wurden. Was nun die Bergpredigt selbst betrifft, so spricht der Herr hier offenbar als der Messias, der Prophet und König der Juden. Zugleich aber werden wir überall finden, dass die Rede die Verwerfung des Königs voraussetzt. Das wird noch nichtklar ausgesprochen, aber es liegt allem zu Grunde. Der König hat das Bewusstsein von dem wahren Zustand des Volkes, welches kein Herz für Ihn hatte.
Daher geht ein lieblicher Zug der Trauer und des Schmerzes durch alles hindurch. Dieser Zug muss in der Welt, wie sie ist, wahre Frömmigkeit stets kennzeichnen. Er war fremd für Israel, und besonders fremd aus den Lippen des Königs, der ja doch eine solche Macht besaß, dass Er, wenn es sich um die Anwendung Seiner Hilfsmittel gehandelt hätte, in einem Augenblick alles hätte verändern können. Die Wunder, welche Seine Worte begleiteten, bewiesen, dass so weit Er allein in Betracht kam, nichts außerhalb Seines Machtbereiches lag.
Doch in allen Wegen Gottes werden wir finden, dass Gott —während Er stets Seine Ratschlüsse vollführt, so dass, wenn Er ein Königreich prophezeit und es in die Hand nimmt, ein Königreich auszurichten, Er sicher Seinen Vorsatz ausführen wird, da Er niemals einen Gedanken, der aus Seinem Herzen hervorgegangen ist, aufgibt —— dass Gott nichtsdestoweniger zunächst Seinen Gedanken dem Menschen, Israel, vorstellt, weil Israel, das auserwählte Volk unter den Menschen war. Der Mensch kommt daher unter die Verantwortlichkeit, das, was Gott zu tun im Sinn hat, anzunehmen oder zu verwerfen, bevor noch die Gnade oder die Macht in Wirkung — treten, um den göttlichen Gedanken auszuführen.
Doch der Mensch fehlt immer, einerlei was Gottes Vorsatz sein mag. Dieser Vorsatz ist gut, heilig und "wahr; er erhebt Gott und erniedrigt den Sünder; und" das ist genug für den Menschen. Sobald er fühlt, dass "nichts aus ihm gemacht werden soll, wendet er sich ab;" er verwirft alles, was nicht seine Eitelkeit befriedigt. Der Mensch stellt sich beständig den Gedanken Gottes "entgegen; infolge dessen gibt es Schmerz und Trübsal" —— Gott selbst wird verworfen. Und die wunderbarste Sache, welche die Geschichte dieser Welt zeigt, ist, dass Gott es über sich ergehen lässt, verworfen und beleidigt zu werden; dass Er dem armen, schwachen Menschen, einem Wurm, erlaubt, Sein liebreiches Entgegenkommen zurückzuweisen, Seine Güte nicht anzunehmen, ja, alles was Er gibt und verheißt, zur Entfaltung seines eigenen Stolzes und Ruhmes, entgegen der Majestät und dem Willen Gottes, zu benutzen.
Das ist die Wahrheit bezüglich des Menschen, und so wird man finden, dass ein Zug von dem allen durch die ganze gesegnete Rede unseres Herrn. geht. Und wenn Er nun (was den Hauptinhalt des ersten Teiles dieses Kapitels ausmacht) den Charakter des Volkes, welches für das Reich der Himmel passen Würde, darstellt, so erklärt Er, dass dessen Charakter nach Seinem eigenen gebildet werden muss.
Gab es bei dem Menschen Abneigung und Verachtung gegenüber dem, was von Gott war, so zeigt Er, dass die, welche wirklich Ihm angehören, einen Geist und ein Verhalten offenbaren müssen, die aus der Erkenntnis Seiner Person und der Übereinstimmung mit Ihm hervorgehen. Ich sage hier nur Übereinstimmung, weil von der Wahrheit, dass dem Glaubenden ein göttliches Leben geschenkt ist, in dieser Rede nicht gesprochen wird. Die Erlösung wird nicht berührt, da sie nicht der Gegenstand der Bergpredigt ist. Wenn daher jemand zu wissen begehrt, wie man errettet werden kann, so muss er sich nicht hierher wenden in der Hoffnung, eine Antwort zu finden, Sie kann hier nicht gefunden werden, weil der Herr das Reich der Himmel vorstellt und die Art Leute, welche für dieses Reich passend sind. Es ist klar, dass Er von Seinen eigenen Jüngern redet, und daher nicht zeigt und nicht zeigen konnte, wie einer, der Ihm nicht angehört, aus einer solchen Stellung befreit werden kann.
Er redet von Heiligen, nicht von Sündern. Er konnte darlegen, was Seinem Herzen entspricht, aber keineswegs den Weg, welchen eine Seele, die dass Bewusstsein hat, fern von Gott zu sein, einschlagen muss, um Gott näher gebracht zu werden. In der Bergpredigt handelt es sich nicht um Errettung, sondern um den Charakter und das Verhalten derer, die Christo, dem wahren aber verworfenen König, angehören. Wenn wir uns jetzt zur Betrachtung der Rede in ihren einzelnen Teilen wenden, werden wir finden, dass die Seligpreisungen, mit denen die Unterweisungen des Herrn anheben, eine erstaunliche Tiefe und zugleich eine schöne Ordnung enthalten.
Gleich die erste Seligpreisung ist mit einem Charakterzug von grundlegender Bedeutung verknüpft, welcher von jeder Seele, die zu Gott gebracht ist und Gott kennt, untrennbar ist. „Glückselig die Armen im Geiste.“ Nichts ist mehr dem Menschen entgegengesetzt als das. Das was man einen ,,Mann von Geist« nennt, ist genau das Gegenteil von ,,arm im Geiste'' sein. Ein Mann von Geist ist ein Mann, wie Kain war —— ein stolzer, unbeugsamer Charakter, der entschlossen ist, sich nicht unterkriegen zu lassen, ein Mensch, der seine Sache mit Gott ausfechten möchte. Ein ,,Armer im Geiste', ist genau das Gegenteil davon. Ein solcher ist innerlich "zerbrochen, gebeugt; er fühlt, dass sein richtiger Platz" im Staube ist. Hier muss jede Seele, die Gott kennt, mehr oder weniger sein.
Sie mag diesen Platz für eine "Zeit verlieren; denn obwohl es eine ernste Sache ist," kann es doch gar leicht sein, dass wir uns wieder erheben und den uns geziemenden Platz vor Gott vergessen. Diese Gefahr ist selbst für solche da, welche zu der Freiheit Christi gebracht worden sind. Wo Ernst des Geistes vorhanden ist, da ist man bereit, niedrig zu sein, besonders wenn man nicht ganz sicher ist, dass zwischen der Seele und Gott alles in Ordnung ist. Wenn aber die Seele zur Ruhe gekommen ist und die Fülle und Gewissheit der Erlösung in Christo Jesu kennen gelernt hat, und dann wieder von Jesu abblickt und ihren Platz unter den Menschen nimmt, so wird man den alten Geist wieder ausleben sehen, den Geist des Menschen in seiner schlimmsten Form: so schrecklich ist ein Abweichen von Gott, um sich wieder mit den Menschen zu verbinden.
Das Erste in der Reihe also, was der Herr gleichsam als Grundlage niederlegt, ein Merkmal, das einer Seele, die zu Gott gebracht ist und in welcher der Heilige Geist wirkt, nie fehlen wird, ist Armut des Geistes. Dieses Merkmal mag durch andere beeinträchtigt werden, oder es mag verschwinden durch den EinFluss falscher Lehre, weltlicher Gedanken oder schlechter "Wege; aber es war da, und mag auch viel Schutt sich" darüber häufen, Gott vermag es wieder ans Licht zu "bringen; Er weiß einen Menschen wieder zu demütigen," wenn er seinen wahren Platz vergessen hat.
„Glückselig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Reich der Himmel.'' Sobald der Herr von dem Reiche spricht, bezeichnet Er diese Leute als die Menschen, denen es gehört. Mit dem Ausdruck ,,Reich der Himmel'' "meint Er nicht den Himmel; das Wort bezeichnet niemals" den Himmel, sondern begreift immer die Erde mit ein als unter der Verwaltung des Himmels stehend. Viele vermengen diese Dinge beständig miteinander.
Sie denken: ,,ihrer ist das Reich der Himmel'' sei gleichbedeutend mit ,,ihrer ist der Himmel'', während der Herr gar nicht von dem Himmel redet, sondern vielmehr von der Herrschaft des Himmels über einen irdischen Schauplatz. Der Ausdruck bezieht sich aus den "Schauplatz, wo der Messias herrscht; die Armen im" Geiste gehören zu dem System, dessen Haupt Er ist. Der Herr spricht hier auch nicht von der Kirche. „Das Reich der Himmel hätte da sein können, ohne das;“ es eine Kirche gab. Erst im 16. Kapitel dieses Evangeliums wird der Gegenstand der Kirche behandelt, und auch dann noch als etwas Verheißenes und von dem Reiche der Himmel ausdrücklich Unterschiedenes. In der ganzen Schrift gibt es keine einzige Stelle, wo das Reich der Himmel mit der Kirche vermengt würde, oder umgekehrt. „Glückselig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Reich der Himmel.“ Das ist die erste Grundlage, der allgemeine Charakterzug aller derer, welche Jesu angehören.
„Glückselig die Trauernden'' ist der zweite. In diesem Charakterzug liegt mehr Tätigkeit des Lebens, mehr Gefühlstiefe, mehr Eingehen in die Lage der Dinge um uns her. ,,Arm im Geiste'' könnte man sein, ohne dass eine einzige andere Seele in der Welt wäre. Ein Armer im Geiste fühlt sich so auf Grund dessen, was "er in sich selbst ist; es ist etwas zwischen ihm und" Gott, was ihn dahin bringt, arm im Geiste zu sein.
Aber die Worte »glückselig die Trauernden« beziehen sich nicht nur auf das, was wir in unserem eigenen Zustand finden, sondern bezeichnen die heilige Betrübnis, welche ein Gläubiger empfindet, indem er sich in einer Welt sieht wie die gegenwärtige, und sich so wenig fähig fühlt, die Heiligkeit Gottes zu bewahren. Die erste Seligpreisung beschreibt also Ausgangsgefühle der Heiligkeit in der Seele eines Kindes Gottes, die zweite das Gefühl von dem, was Gott gebührt. Dieses Gefühl mag sehr schwach sein, aber doch hat die Seele eine Empfindung davon, was der Ehre Gottes zukommt, und wie wenig sie von ihm selbst und von anderen aufrecht gehalten wird. „Glückselig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.“ Nicht ein einziger Seufzer steigt zu Gott empor, den Er nicht schätzt und einmal beantworten wird. „Auch wir selbst, die wir die Erstlinge des Geistes haben, auch wir selbst seufzen in uns selbst.'' — Wir haben in diesem zweiten Falle also das Betrübtsein der gottesfürchtigen Seele.
In dem dritten kommen wir zu etwas noch Tieferem und mehr Geläutertem. Es ist ein Seelenzustand, der durch eine innige Bekanntschaft mit Gott hervorgerufen wird und uns in besonderer Weise an die Art erinnert, wie Gott den hochgelobten Herrn selbst beschreibt. Er war „sanftmütig und von Herzen demütig«. Er selbst „nannte sich so, nachdem Er im Geiste geseufzt hatte;" denn Er kannte einen tieferen Schmerz (als der, von dem wir gesprochen haben) über den Zustand der Menschen und ihre Verwerfung Gottes, denen Er hienieden begegnete. Er konnte nur Sein ,,Wehe« ausrufen über jene Städte, in denen Er so viele Wunderwerke getan "hatte; und zwar trifft Kaperuaum die tiefste Verdammnis, weil dort die größten Taten vergeblich geschehen waren.
Und was konnte Jesus anders tun, als im Geiste seufzen, wenn Er—an eine so grenzenlose Geringschätzung Gottes und an die Gleichgültigkeit der Menschen Seiner eigenen Liebe gegenüber dachte? Doch zu derselben Stunde hören wir, dass Er im Geiste srohlockt und sagt: ,,Ich preise dich, Vater''. Das ist der gesegnete Beweis der unvergleichlichen Sanftmut in Jesu. Dieselbe Stunde, welche die Tiefe Seines Schmerzes über den Menschen sieht, sieht auch Seine vollkommene Beugung vor Gott, obwohl es Ihn selbst alles kostete. In diesem Bewusstsein sagt Er: „Kommet her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“
Nun glaube ich sagen zu dürfen, dass diese Sanftmut, welche in unbedingter Vollkommenheit in Jesu gefunden wurde, durch die allmählich sich vertiefende Erkenntnis der Wege Gottes auch in dem Gläubigen hervorgebracht wird, und zwar gerade bei dem Gefühl der überhand nehmenden Bosheit dieser Welt und des Versalls dessen, was den Namen Christi trägt. Denn inmitten alles dessen, was er um sich her sieht, nimmt der Gläubige den Vorsatz Gottes wahr, der trotz allem "voranschreitet; und das Herz, anstatt durch das Böse," welches es sieht und das es nicht beseitigen kann, erschüttert zu werden, anstatt bei der Wohlfahrt der Gesetzlosen im Geringsten neidisch zu werden, findet so seine Hilfsquellen in Gott, „dem Herrn des Himmels und der Erde“ —— ein sehr gesegneter Ausdruck, weil er die unbedingte Aussicht bezeichnet, die Gott über alles ausübt. Jesus ist der Sanftmütige, und die Jesu angehören werden darin geübt, auch diese Sanftmut zu offenbaren. ,,
Glückselig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land ererben.“ Das Land —— warum nicht den Himmel? Das Land ist der Schauplatz all des Bösen, das zu solchem Schmerz und solcher Trauer Veranlassung gegeben hat. Doch nachdem sie Gottes Wege besser kennen gelernt haben, können sie alles Ihm übergeben. Sanftmütig sein heißt nicht nur ein Gefühl von unserem Nichts haben, oder über die Feindschaft, die sich wider "Gott hienieden erhebt, mit Schmerz erfüllt sein; es ist" vielmehr das Stillsein, welches die Dinge Gott überlässt, sich vor Gott beugt und den Willen Gottes dankbar anerkennt, selbst wenn er unsere Natur aus eine schwere Probe stellen sollte.
— In der vierten Seligpreisung ist von einer größeren Tätigkeit die Rede.
„Glückselig die nach der Gerechtigkeit hungern und dürften, denn sie werden gesättigt werden.“ Sie werden eine vollkommene Befriedigung der Seele erlangen. Welcher Art die geistlichen Gefühle des Herzens auch gewesen sein mögen, aus Gottes Seite ist stets eine vollkommene Antwort vorhanden. Die „Trauernden sollen getröstet werden; die Sanftmütigen" sollen das Land, die Stätte ihrer Trübsal hienieden, ererben. Nunmehr handelt es sich um die Tätigkeit der geistlichen Gefühle, um das Trachten nach dem, was Gott gemäß war und was den Willen Gottes aufrecht hielt, vornehmlich in dem Sinne, wie dieser Wille einem Juden im Alten Testament bekannt geworden war. Es wird deshalb ein Hungern und Dürsten nach der Gerechtigkeit genannt. Wir lernen im Neuen Testament noch tiefere Grundsätze kennen, die ans Licht gebracht werden sollten, wenn die Jünger fähig waren, sie zu ertragen.
Hiermit endigt das, was wir den ersten Abschnitt der Seligpreisungen nennen können. Man wird finden, dass die Seligpreisungen, wie manche ähnliche Gedankenreihen der Schrift, in vier und drei eingeteilt sind. Vier Klassen von Personen sind bisher „glückselig« genannt worden. All die genannten Züge sollten in derselben „Person sich finden; doch wird in dem einen mehr dieser" Zug, in dem anderen mehr jener hervortreten. So werden wir zum Beispiel bei dem einen Gläubigen vielleicht einer erstaunlichen Tätigkeit, bei dem anderen einer großen Sanftmut begegnen. Grundsätzlich sind alle Züge in jeder Seele, die aus Gott geboren ist, vorhanden. Bei unserer weiteren Betrachtung werden wir finden, dass die drei letzten Seligpreisungen, gleich den vier ersten, einen gemeinsamen Charakter tragen.
Fußnote:
*) Ein dritter Punkt von sehr großer Bedeutung, wie ich hier hinzufügen möchte, war der, die Folgen Seiner Verwerfung durch die Juden nicht nur diesen, sondern auch den Heiden vor Augen zu führen — nämlich die Veränderung des Haushalts, die mit dieser ernsten Tatsache zusammenhing.
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Jesus findet Philippus . . . . Philippus findet den Nathanael.
Bibelstelle: Johannes 1,43 – 46
Botschafter des Heils 1909 S. 14ff
„Des folgenden Tages wollte Er aufbrechen nach Galiläa, und Er findet Philippus; und Jesus spricht zu ihm: Folge mir nach . . . . Philippus findet den Nathanael und spricht zu ihm: Wir haben Den gefunden, von welchem Moses in dem Gesetz, geschrieben und die Propheten, Jesum, den Sohn des Joseph, den von Nazareth. Und Nathanael sprach zu ihm: Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen? Philippus spricht zu ihm: Komm und sieh!
Wie einfach und ungekünstelt ist die Verkündigung der guten Botschaft, wie sie uns hier vom Heiligen Geiste mitgeteilt wird! Philippus freute sich seines neugefundenen Schatzes und, nachdem er selbst von Christo gefunden war, suchte er auch andere in den Genuss dieser Segnung zu bringen. Die Triebe des neuen göttlichen Lebens offenbarten sich in Kraft, wie einfach auch Philippus ihnen Ausdruck geben mochte.
Wir werden hier in treffender Weise belehrt, welcher Beweggrund uns zum Überbringen der frohen Botschaft leiten soll. Wenn du sagen kannst: ,“Jesus hat mich gefunden !« wenn du, Ihm nachfolgend, Seine Gnade und Liebe geschmeckt hast und dir der Annahme bei Gott und des Friedens mit Gott bewusst bist, dann suche auch ernstlich deinen Nathanael und lade ihn ein, zu kommen und zu sehen!
Wir alle, die wir den Herrn Jesum lieb haben, sollten, selbst errettet, eifrig sein, auch für die Rettung anderer einzutreten, ihnen zu erzählen von unserem Glück und von den Reichtümern Seiner Gnade; denn „die Zeit ist gedrängt“ (1. Kor. 7, 29), gedrängt für die Heiligen, um zu wirken, und gedrängt für die Sünder, um errettet zu werden. Der Herr erwartet das von jedem Gläubigen; denn was Er in Joh. 20, 21 Seinen Jüngern sagte: „Gleichwie der Vater mich ausgesandt hat, sende ich auch euch“, und in Mark. 16: „Gehet hin in die ganze Welt und prediget das Evangelium der ganzen Schöpfung“, das gilt auch uns; ebenso wie die Mahnung von Pred. 11, 1: „Wirf dein Brot hin auf die Fläche der Wasser, denn nach vielen Tagen wirst du es finden“, sich an einen jeden von uns richtet, den der Herr Jesus gefunden hat, und der dieses Brot besitzt.
Auch bedarf es zu dem Dienst, wie Philippus ihn hier ausübt, keiner besonderen Begabung oder besonderer Fähigkeiten. Der Herr erwartet ihn von allen Seinen Jüngern, seien es Kindlein oder Jünglinge oder Väter in Christo. Wir finden in dem Beispiel von Philippus nicht das Geringste von Begabung angedeutet, sondern allein das, was naturgemäß einem Herzen entfließt, welches sich seines neugefundenen Schatzes freut. Das göttliche Leben wirkt und handelt in der ihm eigenen Einfachheit und Frische.
Bevor Philippus den Nathanael fand, lesen wir, — und das ist sehr bemerkenswert, — dass der Herr zu ihm gesagt hatte: „Folge mir nach!“ geradeso wie in demselben Kapitel von Andreas gesagt wird, dass er dem Herrn nachgefolgt sei und dann den Simon gefunden und zu Jesu geführt habe. Wir lernen daraus, dass auch bei der Verkündigung des Evangeliums, wie das ja bei jedem Dienst für den Herrn der Fall ist, die Gemeinschaft mit dem Herrn dem Dienst vorausgehen muss. Mag unsere natürliche Liebe zu den unglücklichen, ins Verderben rennenden Mitmenschen noch so groß, unser Mitleid noch so brennend sein, so werden doch unser Eifer und unser Ausharren nicht ausreichen, um Seelen für den Herrn zu gewinnen. Dazu ist mehr nötig.
In der Gemeinschaft mit Ihm erfüllt Er uns zunächst mit Seinen eigenen Gefühlen und Gedanken, und lässt uns dann in Seiner Kraft hingehen, um unsere Nathanaels zu suchen. Wir machen in Seiner Nähe, in Seiner Gegenwart, dieselbe Erfahrung, wie die Jünger in Mark. 8, 1 -— 9: Der Herr erzählt ihnen zuerst, dass Er innerlich bewegt sei über die Volksmenge, und dass Er sie sättigen wolle, und dann erst legt Er Brot und Fisch in ihre Hände, um die 4000 Männer zu speisen, deren Hunger der Herr ja selbst hätte stillen können, ohne sich an die Jünger zu wenden und ihre Mitarbeit zu benutzen.
Gleichwie der Herr in Mark. 3 zwölf Jünger bestellte, auf dass sie bei Ihm seien, und dass Er sie aussende, um zu predigen, so erwartet der Herr auch uns vor dem Antritt unseres Dienstes in Seiner Gemeinschaft. Hier lässt Er uns Seine kostbare Liebe genießen und die Stimme Seines Herzens hören. Er erzählt uns von Seiner Liebe zu den Verlorenen, und senkt sie tief in unser Herz. Hier erhalten wir auch den besonderen Auftrag und die Kraft zu unserem Dienst, und werden aus die Verantwortlichkeit und die Gefahren, die mit demselben verbunden sind, aufmerksam gemacht.
Das ist die Weise unseres hochgelobten Herrn. In Joh. 13 —16, wo uns Seine letzte Unterredung mit den Jüngern mitgeteilt wird, spricht Er in Kap. 13 und 14 von Seiner Liebe zu den Jüngern, von ihrer Heimat, dem Hause des Vaters, von dem vertrauten Umgang und der Gemeinschaft mit Gott, und dann erst in Kap. 15 und 16 von mehr nach außen liegenden, der Welt sichtbaren Dingen, vom Fruchttragen, von der Jüngerschaft in einer fremden Welt, von dem Dienst und dem Zeugnis der Seinigen.
Nachdem wir so unsere Herzen an der Liebe unseres Herrn zu den Verlorenen erwärmt und Seinen Auftrag erhalten haben, nachdem wir uns auch der damit verbundenen Verantwortlichkeit bewusst geworden sind und uns der Begleitung Seiner Kraft vergewissert haben, begeben wir uns, gerade so wie Philippus, auf den Weg, um unseren Nathanael zu finden und ihm zu sagen: „Wir haben Jesum gefunden, den eingeborenen Sohn Gottes, welchen Gott in Seiner Liebe zur Welt dahingegeben hat, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe. Komm und sieh!“
Um das zu sagen, bedürfen wir keiner besonderen Gabe, sondern der Liebe, keiner Fähigkeiten, sondern der Kraft des Herrn, sowie des Ausharrens und der Abhängigkeit von unserem Auftraggeber. Der Herr selbst hat uns für diesen Dienst ein Beispiel hinterlassen, damit wir Seinen Fußstapfen nachfolgen möchten. Mit dem Heiligen Geist erfüllt und mit Kraft gesalbt, ging Er umher, wohltuend und heilend alle, die von dem Teufel überwältigt waren (Apstgsch. 10, 38).
Ja, wenn wir auf Ihn sehen, wenn wir Ihn vor unsere Augen stellen, wie Er als der Diener Gottes hienieden wandelte, wie Er sprach als einer, der Gewalt hat, der von Gott kam und in Seinem Auftrag redete, --— nicht wie die Schriftgelehrten, die nach ihren Büchern, nach ihrer Weisheit predigten — dann legen wir keinen Wert mehr auf Wissen und Redeweisheit; denn wir erkennen, dass jede Wirkung auf die Seelen nur von Seiner Kraft, von der Wirksamkeit Seines Geistes abhängt, dass diese Kraft allein die Menschen überzeugt und für Jesum gewinnt. Wir verzichten auch gern auf alle menschlichen Zutaten, um unsere Botschaft annehmlicher zu machen. Wir reden als Boten Gottes und als solche, die das, was sie bringen, an sich selbst erfahren, selbst erlebt haben.
Wir werden auch nicht meinen, es müsse großes Geräusch gemacht und die Lärmtrommel gerührt werden. Wir werden als Jünger beachten, dass von unserem Meister geschrieben steht: „Er wird nicht streiten noch schreien, noch wird jemand Seine Stimme auf den Straßen hören“ (Matth. 12, 19). Es ist sicher erfreulich und wünschenswert, wenn möglichst viele unter den Schall des Evangeliums gebracht werden, aber hüten wir uns vor der Meinung, als wäre da hauptsächlich Segen zu erwarten, wo eine Menge Volks zusammenströmt, oder als gehöre zur wirksamen Verkündigung des Evangeliums immer ein begabter und redegewandter Evangelist.
Nein, wenn wir Jesum beobachten in Seinem Dienst auf dieser Erde, dann lassen wir den menschlichen Grundsatz, dass große Zwecke nur durch große Mittel zu erreichen seien, fahren und bemerken, dass Gott große und kleine Mittel zur gleichen Wirkung anwendet: dass Er einen kriechenden Wurm oder eine Pflanze ebenso zu Seinem Dienste benutzt, wie eine brennende Sonne und einen schwülen Ostwind, dass Er Seine Gnadenabsichten zur Ausführung bringen kann durch eine arme, kleine Sklavin wie durch den mächtigsten und hervorragendsten der Apostel.
Auch lernen wir in der Betrachtung Seiner Person Geduld und stilles Abwarten. Wir sind so sehr geneigt, nach augenscheinlichem, handgreiflichem Erfolg zu trachten, ein schnelleres Zeitmaß in dem Einsammeln der Ernte herbeiführen zu wollen; wir wünschen, Zahlen, in die Augen fallende Eroberungen, greifbare Ergebnisse zu sehen; und so geht uns vielfach der Glaube an die stillwirkende Macht des Wortes verloren, das doch die Verheißung hat, nicht leer zurückzukommen. Würden wir mehr auf die Mahnungen des Geistes in uns achten, treuer die gelegene Zeit auskaufen und eifriger darauf bedacht sein, das Schwert des Geistes bereit zu halten, gewiss, wir würden kostbare Erfahrungen machen von der Bereitwilligkeit des Herrn, uns als Seine Boten in dieser armen, verlorenen Welt zu gebrauchen.
Andererseits wird es uns nicht entmutigen, wenn wir dem Herrn nach langem Bemühen vielleicht nur eine Seele zuführen können.
Möglicherweise würdigt der Herr diese eine Seele, viele Nathanaels zu finden, wie ja auch „viele der Samariter an Jesum glaubten“ um des Zeugnisses des einen Weibes willen, das am Jakobsbrunnen den Heiland als seinen Erretter gefunden hatte (Joh. 4, 39). An dem Vorbilde des Heilandes lernen wir auch, wie wir das Evangelium zu verkündigen haben. Es gilt, Buße und Vergebung zu predigen. Wir haben immer wieder an den Sünder die göttlichen Fragen zu richten: „Wo bist du?“ und: „Was hast du getan?“ Lautet dann seine Antwort, dass er sich fürchte, weil er nackt sei, so dürfen wir ihm die Kleider des Heils in Christo anbieten.
Die Verkündigung der guten Botschaft ist also einfach, sie stellt nicht hohe Forderungen an unsere Fähigkeiten oder Gaben. Wir find ja, wie Johannes, eigentlich nur die Stimme des Rufenden. Was sie aber voraussetzt, was sie verlangt, das ist Liebe zum Herrn, Abhängigkeit von Ihm und Selbstlosigkeit.
Und wenn wir Ihn betrachten in Seiner hingebenden, selbstvergessenden Liebe, in Seiner Unermüdlichkeit, Seelen zu suchen und zu erretten -— o dann fühlen wir uns tief beschämt ob unserer Selbstsucht, unseres Eigenwillens und unserer Trägheit. Doch Er ist treu; und wenn wir auch nicht alle dieselbe Summe der Arbeit leisten, so rechnet Er doch jedem das, was er für Ihn vollführt, hoch an und bekennt sich zu seinen schwachen Bemühungen. Und wenn wir, trotzdem alles immer schwach bleiben wird, in Einfalt und Treue Seinen Fußstapfen in der Verkündigung der guten Botschaft folgen, so werden wir erfahren, dass unsere Arbeit nicht vergeblich ist. Wir werden freudigen Herzens Frucht von unserer Mühe sehen.
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Das Evangelium der Herrlichkeit
Bibelstelle: 2. Korinther 3 – 5
Botschafter des Heils 1909 S. 21ff
III.
Das Evangelium der Herrlichkeit, das uns verkündigt worden ist, versetzt uns also unmittelbar in den Bereich des Himmels; aber das, was wir anschauen, ist nicht etwa die Herrlichkeit des Himmels, so groß und wunderbar sie sein mag, sondern die Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi. Und sie anzuschauen bewirkt, wie wir gesehen haben, nicht Furcht und Schrecken, sondern nur tiefe Freude und Anbetung. Denn jene Herrlichkeit ist gerade der Beweis, dass wir Gott nahe gebracht, das Zeugnis, dass wir errettet sind; wir erblicken ja die Herrlichkeit in Ihm, Der unsere Sünden auf dem Kreuze trug.
Sie enthüllt uns also einerseits die Liebe, die für uns in den Tod ging, und andererseits die herrlichen Folgen dieses Todes für uns; denn unser Stellvertreter, Er, Der den Kelch des Zornes Gottes für uns trank, ist in der Herrlichkeit. Wie könnte Er dort sein, wenn nicht alles für ewig geordnet wäre? - Aber obwohl das so ist, sind wir doch noch nicht dort. Nein, „wir haben", wie der Apostel fortfährt, „diesen Schatz in irdenen Gefäßen, auf dass die Überschwänglichkeit der Kraft sei Gottes und nicht aus uns. Allenthalben bedrängt, aber nicht eingeengt; keinen Ausweg sehend, aber nicht ohne Ausweg; verfolgt, aber nicht verlassen; niedergeworfen, aber nicht umkommend; allezeit das Sterben Jesu am Leibe umhertragend, auf dass auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde" (2. Korinther 4,7 -1 0).
Wir haben diesen Schatz (den Dienst des Geistes und der Gerechtigkeit in Christo) in irdenen, d. i. dieser Erde entnommenen, zerbrechlichen Gefäßen. Ein solches Gefäß war, zur Verwunderung und Beschämung der fleischlich gesinnten Korinther, der Apostel, der eigentliche Träger dieses Dienstes. Solche Gefäße sind auch wir, so viele von uns Jesum kennengelernt haben und hineingestellt sind in die Segnungen dieses Dienstes. Tönerne, zerbrechliche Gefäße! Aber diese Gefäße enthalten einen kostbaren Schatz und tragen ihn durch diese Welt, den Schauplatz der Sünde und des Todes.
„Nicht aus uns", sagt der Apostel; nein, „die Überschwänglichkeit der Kraft Gottes" sollte offenbar werden. O wie wurde Paulus auf dem Wege seines Dienstes bedrängt! Wie war Satan beschäftigt, diesen Mann, der den kostbaren Lichtglanz des Evangeliums der Herrlichkeit in die Finsternis, in sein Reich, hineintrug, unschädlich zu machen! Allenthalben bedrängt, keinen Ausweg sehend, verfolgt, niedergeworfen, allezeit das Sterben Jesu am Leibe umhertragend, aber nicht eingeengt, nicht ohne Ausweg, nicht verlassen, nicht umkommend, sondern das Leben Jesu an seinem Leibe offenbar werden lassend - so schritt der Apostel durch das Reich Satans, in sich selbst ein armes, tönernes Gefäß, aber ein Gefäß, in welches Gott jenen wunderbaren Schatz gelegt hatte, und das nun auf dem Wege erhalten wurde durch Seine Kraft.
Die Kostbarkeit des Schatzes wurde auch keineswegs beeinträchtigt durch die Schwäche und Zerbrechlichkeit des Gefäßes. Im Gegenteil, je unscheinbarer und kraftloser das menschliche Gefäß war, desto herrlicher erwies sich die göttliche Kraft. Hier war gar nichts vom Menschen. Nein, wie überall, so war auch hier alles von Gott.
Handelt es sich um die Errettung des Sünders, sie ist einzig und allein Gottes Werk; handelt es sich um den Wandel des Christen, alles ist göttliche Gnade; handelt es sich um die Ausführung des Dienstes, alles ist aus Gottes Kraft. Diese Kraft allein konnte den Apostel befähigen, seinen Dienst zu vollführen und kann uns heute in den Stand setzen, in dieser Welt wirksame Zeugen des Evangeliums der Herrlichkeit zu sein.
Allerdings müssen wir, wenn auch in geringem Maße, dem Apostel nachsprechen können: „allezeit das Sterben Jesu am Leibe umhertragend, auf dass auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde". Er ging überall umher wie einer, der das Teil Christi in dieser Welt verwirklichte, der das Todesurteil allezeit auf sich anwandte, indem er seinen Leib in Knechtschaft hielt. Er wandte die Kraft des Kreuzes auf alles an, was in ihm sonst nach Bequemlichkeit und Genuss verlangt haben würde. Der Mensch als solcher wurde zunichte gemacht, damit das Leben Jesu offenbar werde. Die Tätigkeit und die Neigung des natürlichen Lebens, welche der Offenbarung und Darstellung des Lebens Jesu stets hindernd im Wege stehen, müssen im Glauben unter das Urteil gestellt werden, welches in dem Sterben Christi über den alten Menschen gefällt worden ist. Anders kann das Leben Jesu nicht in uns zur Entfaltung kommen.
Indem der Apostel so in steter Selbstverleugnung seinen Weg ging, entfaltete der Glaube in ihm seine wunderbare Kraft. Er erhielt sein Herz in Verbindung mit den Dingen droben. War auch das Leiden groß, die Bedrängnis oft fast unerträglich, jeder Ausweg scheinbar verschlossen, dennoch konnte er sagen: „Da wir aber denselben Geist des Glaubens haben (wie geschrieben steht: Ich habe geglaubt, darum habe ich geredet,) so glauben auch wir, darum reden wir auch". Er hatte nie aufgehört, von der Größe dieser Herrlichkeit, wie sie in dem Dienste des Geistes und der Gerechtigkeit geoffenbart ist, zu reden.
Mochte auch das irdene Gefäß zerbrechen, mochte der äußere Mensch vernichtet werden, was machte es aus? „Wir wissen, dass der, welcher den Herrn Jesum auferweckt hat, auch uns mit Jesum auferwecken und mit euch darstellen wird" (Vers 14). So lautete die triumphierende Antwort des Apostels; und wahrlich, auch wir dürfen fragen: Was macht es aus, wenn dieser arme, sündige Leib auch verfällt? In Jesu, den wir kennen gelernt haben, ist die Kraft der Auferstehung. Er hat den besiegt, der die Gewalt des Todes hatte; und indem wir unauflöslich mit Ihm verbunden sind, wissen wir, dass Der, Welcher Ihn auferweckt hat, auch uns mit Ihm auferwecken und „vor seiner Herrlichkeit tadellos darzustellen vermag mit Frohlocken" (Judas 24).
Aber das ist nicht alles. Der Apostel fährt fort: Wenn mich unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere Tag für Tag erneuert" (V. 16). Das, was Satan tut, um das Werk zu hindern und dem Dienst Einhalt zu tun, kann dem inneren Menschen nur zum Nutzen gereichen. Alles, was dem natürlichen Leben des Menschen in dieser Welt zuwider ist: Leiden, Trübsale, Verachtung, Hohn und Spott von allen Seiten, dient dazu, das neue Leben zu nähren und zu stärken. Nicht als ob der Gläubige dadurch seines Heiles oder seines ewigen Teiles sicherer würde - das gründet sich auf Christum und Sein Erlösungswerk; nein, aber er wächst in geistlichem Sinne, indem sein Auge immer mehr von den sichtbaren Dingen abgelenkt und auf die Dinge gerichtet wird, die droben sind.
Das Herz erfreut sich in steigendem Maße an Christo und an den herrlichen Dingen, die Gott in Ihm droben für uns bereitet hat. Der innere Mensch wächst gleichsam jener Herrlichkeit entgegen. Christus wird mehr und mehr der eine, alles beherrschende Gegenstand, während Welt und Fleisch als Dinge behandelt werden, mit denen man für immer abgeschlossen hat. Die Drangsal wird als „ein schnell vorübergehendes Leichtes" empfunden, welchem „ein über die Maßen überschwängliches, ewiges Gewicht von Herrlichkeit" gegenübersteht.
Treue Zeugen Christi, welche, jener Welt angehörend, wie Himmelslichter inmitten der Finsternis dieser Welt leuchten, finden naturgemäß viel Drangsal auf ihrem Wege. Aber was ist diese Drangsal im Vergleich mit dem, was für sie bereit liegt am Ende ihres Weges und Dienstes? An dieser Herrlichkeit gemessen, ist sie nur vorübergehend und leicht. Ewig und überschwänglich groß aber ist die Belohnung, die am Ziele ihrer wartet.
Der Glaube schaut nicht „das an, was man sieht, sondern das, was man nicht sieht; denn das, was man sieht, ist zeitlich, das aber, was man nicht sieht, ewig" (V. 18).
Der natürliche Mensch blickt und rechnet auf das Sichtbare; wenn ihm das abgenommen wird, so gerät er in Verwirrung, seine ganze Hoffnung ist aus. Der Gläubige aber schaut auf die unsichtbaren, ewigen Dinge; mögen ihm dann auch die sichtbaren, zeitlichen genommen werden, droben in der Herrlichkeit liegt sein Teil bereit. Er ist frei von dem Irdischen, das den natürlichen Menschen beherrscht und bindet. Auch weiß er, dass Satan ihm nicht um Haaresbreite mehr anhaben oder ihm nicht einen Deut mehr nehmen kann, als Gott es erlaubt. Während Gott sein Teil droben aufbewahrt, wird er selbst in dieser Welt von Gott bewahrt durch Glauben und durch eine treue, starke Hand sicher dem Ziele zugeführt.
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Das gute Teil und ein gutes Werk
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 26ff
Martha nahm den Herrn mit Freuden in ihr Haus auf, aber ihr Herz war in Seiner unmittelbaren Nähe nicht völlig ruhig und glücklich. Sie ruhte mehr in ihrem Dienst, als in Seiner Gegenwart; deshalb war sie auch lieber mit „vielem Dienen“ beschäftigt, als dass sie horchend zu Jesu Füßen gesessen hätte. Das lässt uns erkennen, dass sie eher an die Bedürfnisse des Herrn als Mensch hienieden dachte, als an Seine Fülle, und deshalb auch weniger fähig war, die göttlichen Gedanken zu verstehen und die gesegneten Ströme der Gnade in sich aufzunehmen. Mit einem Worte: Martha liebte den Herrn, aber sie hatte wenig wahre, verborgene Gemeinschaft mit Ihm.
Sie ist ein getreues Bild von vielen Gläubigen unserer Tage. Es fehlt heute sogar nicht an solchen, die nur mit einer gewissen Unruhe an die Gegenwart des Herrn denken, ja, die schon die Nähe eines wahrhaft treuen, gottesfürchtigen Menschen lieber meiden als aufsuchen. Ihr Herz ist mit irdischen Gedanken und fleischlichen Neigungen erfüllt; deshalb fürchten sie das Licht der Gegenwart des Herrn. Sie fühlen sich verurteilt. Andere beschäftigen sich zwar, wie Martha, viel mit Dingen, die den Herrn und Sein Werk betreffen, aber mit der Quelle alles Dienstes, mit dem Herrn selbst, haben sie wenig wahre Gemeinschaft. Sie beunruhigen sich deshalb auch viel eher über die Mängel ihres Dienstes, als über den Mangel an Gemeinschaft mit dem Herrn und Seiner Fülle. Ihre Gebete sind nicht der Ausfluss eines dankbaren, demütigen und in vertrautem Umgang mit Gott stehenden Herzens, sondern drehen sich meist um ihre Bedürfnisse im Wandel oder Dienst.
Ihre Ruhe gründet sich auch mehr aus ihren Dienst, auf ihr Wirken, als auf die Gnade in Jesu. Das Bedürfnis, tiefer in die Gedanken Gottes und in die Erkenntnis Seines wohlgefälligen Willens einzudringen, ist gering.
Martha konnte das Benehmen ihrer Schwester Maria nicht verstehen. Sie hielt ohne Frage ihren Dienst für das gute Teil und erhob deshalb den bekannten Vorwurf: „Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich allein gelassen hat, zu dienen? Sage ihr nun, dass sie mir helfe“ (Luk. 10, 40). Aber in der Gegenwart des wahrhaftigen Lichtes, „welches, in die Welt kommend, jeden Menschen erleuchtet“, musste sie erfahren, dass Maria das gute Teil erwählt hatte, welches nicht von ihr genommen werden sollte.
Und was war das gute Teil der Maria? Der Herr selbst. Sie saß zu Seinen Füßen und horchte auf die holdseligen Worte, welche von Seinen Lippen flossen. Sie konnte sich nicht mit Dienen beschäftigen, wenn Er Worte des Lebens mitteilte. Da wo Martha beunruhigt war, fand sie die süßeste und seligste Ruhe. Die Gegenwart des Herrn machte ihr Herz gleichsam tot für alles andere. Es war nur für Ihn geöffnet und auf Ihn gerichtet.
Sie dachte nur an Seine Fülle, und indem sie sich an der unversiegbaren Quelle niederließ, trank sie in vollen Zügen die Worte des Lebens. Sie war das leere Gefäß, in welches der Herr die Ströme Seiner Gnade und Liebe ergießen konnte. Ja, ihr Herz war imstande, in die Gedanken und Gefühle Seines Herzens einzugehen. Wurde sie auch von niemandem verstanden, so verstand sie doch der Herr, und mehr begehrte sie nicht.
O wie glücklich ist das Herz, welches das gute Teil erwählt hat und nun die gesegnete Gemeinschaft des Herrn allem anderen vorzieht! Nichts kann uns so beglücken und erfreuen wie diese Gemeinschaft; nichts uns auch so geschickt zum Dienen machen wie diese innige Verbindung mit der Quelle. Wer war es, der hernach fähig war, das gute Werk an dem Herrn zu tun? Nicht Martha, obwohl ihr Dienst anerkannt wird, sondern Maria. Freilich wurde sie wieder nicht verstanden. Diesmal waren es die Jünger, welche tadelten. Aber der Herr verstand sie, und das war genug für Maria. Wie damals, so trat Er auch jetzt für sie ein: „Was machet ihr dem Weibe Mühe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan“ (Matth. 26, 10).
Glückliche Maria! Sie hat das gute Teil erwählt und das gute Werk getan. — Kann das auch von dem Schreiber und dem Leser dieser Zeilen gesagt werden?
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Das Reich der Himmel
Bibelstelle: Matthäus 5 -7
Botschafter des Heils 1909 S. 29ff
„Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren“ Wie die Gerechtigkeit der Schlüssel zu den ersten vier Seligpreisungen ist, so bildet die Gnade den Grundton der drei letzten; und darum zeigt gleich die erste von ihnen nicht nur, dass die glückselig Gepriesenen gerecht sind, und dass sie fühlen, was Gott zukommt, sondern dass sie die Liebe Gottes schätzen und inmitten des sie umgebenden Bösen ausüben. Ja, es gibt noch etwas Glückseligeres, als gerecht zu sein; und was ist das? „Glückselig sind die Barmherzigen!« Es gibt keinen Boden, den Gott mehr einnimmt (wenn es sich um Seine Tätigkeit in einer Welt der Sünde handelt), als Seine Barmherzigkeit.
Die einzige Möglichkeit der Errettung für die Seele liegt in der Tatsache, dass Gott barmherzig ist, dass Er reich ist an Barmherzigkeit, dass es für Seine Barmherzigkeit keine Grenze gibt; ja, dass im Herzen eines Menschen, wenn er sich nur vor dem Sohne Gottes beugt, nichts ist, was den beständig fließenden Quell der göttlichen Barmherzigkeit aufhalten könnte. Daher, „glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren«. Es handelt sich hier nicht nur um Vergebung der Sünden, sondern um Barmherzigkeit in allem, in jeder Beziehung. „Glückselig sind die Barmherzigen!“ Sie werden erfahren, nicht dass es keine Schwierigkeit und Trübsal für sie gibt, sondern dass sie, obwohl sie deren Schwere kennen, doch auch ihre Süßigkeit genießen werden; sie werden immer aufs Neue schmecken, was die Barmherzigkeit Gottes gegen ihre eigene Seele ist, indem sie selbst Barmherzigkeit gegen andere üben. Das ist der charakteristische Zug der neuen Klasse von Seligpreisungen.
Die nächste Seligpreisung geht, wie bei der ersten Klasse, aus ihrer Vorgängerin hervor. Wenn jemand gering von sich denkt, so werden die Menschen sich das zu Nutze machen.
Ist jemand anmaßend und prahlerisch und erhebt er sich selbst, so erträgt man ihn; selbst Heilige lassen sich sein Tun gefallen (Vergl. 2. Kor. 11). Wenn er sich selbst Gutes tut, loben ihn die Menschen (Ps. 49, 18). Doch was Gott in dem Heiligen bewirkt, ist das Gegenteil von allem diesem. Einerlei was er sein mag, er ist vor Gott zusammengebrochen; er hat erfahren und erfährt die Eitelkeit dessen, was der Mensch ist; er ist zufrieden, nichts zu sein. Die Folge davon ist, dass er leidet. Auf Armut im Geiste folgt Trauern. Dann kommt die Sanftmut, weil eine sich stets vertiefende Bekanntschaft mit Gott vorhanden ist, und schließlich folgt das Hungern und Dürsten nach Gerechtigkeit.
Hier jedoch handelt es sich um Barmherzigkeit; und die Folge der Barmherzigkeit ist nicht etwa ein Außerachtlassen der Heiligkeit Gottes; im Gegenteil, der Maßstab derselben wird für die Seele höher und höher. Je völliger ein Mensch erfasst, was Gnade ist, desto mehr hält er Heiligkeit aufrecht. Wenn jemand nur als ein elendes, selbstsüchtiges Wesen die Gnade betrachtet, indem er eine Entschuldigung für die Sünde darin zu finden sucht, dann freilich wird sie ins Gegenteil verkehrt werden. Daher redet der Herr sogleich von der einfachen, normalen Wirkung des Trinkens aus dieser Quelle der Barmherzigkeit, von einem „reinen Herzen“. Das ist die folgende Klasse, und sie geht, wie ich glaube und bereits sagte, aus der vorhergehenden, d. i. aus dem Barmherzigsein, hervor. „Glückselig die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ Es ist gerade das, was Gott eigen ist, denn Er allein ist vollkommen rein. So wurde Er auch völlig in Seinem geliebten Sohne dargestellt.
Nicht ein einziger unreiner Gedanke oder eine einzige falsche Regung befleckte je die göttliche Vollkommenheit in dem Herzen Jesu. In dem vorliegenden Falle spricht Er genau das aus, was Er selbst war: reinen Herzens. Wie hätte Er auch etwas anderes als Seine eigenen Charakterzüge denen vorstellen können, welche Ihm angehörten? Denn Er ist in Wahrheit ihr Leben. Die Tatsache, dass Christus in uns ist, bringt durch den Heiligen Geist das hervor, was Gott entspricht; jener Hochgelobte ist ja in uns, dessen Kommen in diese Welt gerade der Beweis war von der vollkommenen Gnade und Barmherzigkeit Gottes; denn „also hat Gott die Welt geliebt“, dass Er Seinen eingeborenen Sohn für sie dahingab. Und Er war da, ein Mensch — der treue Zeuge der Barmherzigkeit und der Reinheit Gottes. Als Er kam mit Seinem Herzen voll Barmherzigkeit für den Schlechtesten, war Er gerade die Fälle und das Muster der Reinheit Gottes in ihrer Vollkommenheit.
Er konnte sagen:“, Der mich gesandt hat, ist mit mir. . ., weil ich allezeit das Ihm Wohlgefällige tue“. Der einzige Weg, um etwas Gott Wohlgefälliges tun zu können, ist die stete, zarte Pflege des Bewusstseins, in der Gegenwart Gottes zu weilen; und dafür gibt es keine Möglichkeit, es sei denn dass ich dorthin gebracht bin in der Freiheit der Gnade, und dass ich weiß: das was Christus in Seiner eigenen Person für Gott war, ist mir, soweit dies möglich ist, durch die Erlösung geschenkt worden. Christus hatte selbstverständlich ein Anrecht auf das stete Weilen in Gottes Gegenwart auf Grund dessen, was Er selbst ist; wir sind dort durch den Glauben an Ihn, kraft des Zugangs, der uns gegeben ist und der sich gründet auf die Abwaschung unserer Sünden in Seinem Blut. Doch darüber wird in der Bergpredigt nicht gesprochen; der Herr entfaltet vielmehr die sittlichen Eigenschaften derer, welche Ihm angehören.
Die dritte und letzte Form dieser zweiten Klasse von Seligpreisungen lautet: „Glückselig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen“. Hier finden wir wieder die tätige Seite, wie wir es ähnlich bei der letzten in der ersten Reihe sahen. Diese Gläubigen gehen darauf aus, Frieden zu stiften. Wenn auch nur die geringste Möglichkeit dafür vorhanden ist, den Frieden Gottes in den Schauplatz einzuführen, so werden sie sicher herausfinden, wo dies sein kann; und falls es nicht sein kann, sind sie damit zufrieden, auf Gott zu warten, und sie wenden sich an Ihn, damit Er diesen Frieden zu Seiner Zeit stiften möge.
Und da dieses Friedenstiften nur Gott selbst angehören kann, so werden diese Heiligen, die mit den gesegneten Eigenschaften der Gnade und Gerechtigkeit Gottes, sowie mit Seiner tätigen Barmherzigkeit und deren Folgen reich gemacht sind, jetzt gleicherweise als Friedensstifter gekennzeichnet. „Sie werden Söhne Gottes genannt werden.“ O, das ist ein kostbarer Titel – Söhne Gottes! Warum empfangen sie ihn? Weil das was sie getan haben, der Abglanz Seiner eigenen Natur ist, die Darstellung dessen was Gott selbst ist. Sie haben den Stempel Gottes an sich getragen. Es gibt nichts, was den großen Gott in Seinen Kindern mehr zur Darstellung bringt, als Friedenstiften. Das ist es, was Er getan hat und woraus Sein Herz gerichtet ist. Und hier gibt es Menschen auf dieser Erde, welche Söhne Gottes genannt werden sollen. Was Von Natur ihnen eigen war, ist verschwunden; sie haben einen neuen Titel von Gott selbst empfangen.
Jetzt folgen zwei Seligpreisungen von außerordentlichem Interesse. Sie fügen der Schönheit des Gemäldes viel hinzu und vollenden das Bild in ergreifender Weise. „Glückselig die um Gerechtigkeit willen verfolgten, denn ihrer ist das Reich der Himmel“. Das ist augenscheinlich ein von vorn Beginnen. Die erste Seligpreisung lautete: „Glückselig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Reich der Himmel“; und die drei folgenden wurden alle durch Gerechtigkeit gekennzeichnet. Es ist das, was Gott in einer wiedergeborenen Seele hervorruft. Doch hier handelt es sich weniger um das, was die Glückseliggepriesenen sind, als um das, was andere ihnen zufügen. Die letzten beiden Seligpreisungen reden von dem Teil, welches den Gläubigen in der Welt seitens anderer Menschen bereitet wird, und zwar entspricht die eine der ersten Reihe von Seligpreisungen (Gerechtigkeit), die andere der zweiten Reihe (Gnade). „Glückselig die um Gerechtigkeit willen Verfolgten, denn ihrer ist das Reich der Himmel“.
Dies geht nicht über den gesegneten Zustand der Dinge hinaus, den die Macht Gottes auf der Erde in Verbindung mit dem Messias hervorbringen wird. Da Er verworfen ist, gehört das Reich der Himmel Ihm, und wir dürfen wohl sagen, mit einem stärkeren und tieferen Anspruch darauf, als wenn Er nicht verworfen worden wäre. Denn ein leidender und verachteter Messias ist dem Herzen Gottes noch teurer, als wenn man Ihn sich denken könnte als sogleich angenommen. Und wenn Er das Reich nicht verliert, weil Er verfolgt wurde, so werden die Seinigen es ebenso wenig verlieren. „Glückselig die um Gerechtigkeit willen Verfolgten, denn ihrer ist das Reich der Himmel“. Verfolgt, nicht nur durch die Heiden oder Juden, sondern „um Gerechtigkeit willen“. Das ist beachtenswert. Blicke nicht auf die Menschen, die dich verfolgen, sondern auf die Ursache, weshalb du verfolgt wirst.
Wenn es geschieht, weil du begehrst, in Gehorsam gegen den Willen Gottes zu wandeln, glückselig bist du! Du fürchtest dich davor zu sündigen, und darum leidest du. Das ist ein seliges Teil. Glückselig sind die um Gerechtigkeit willen leiden: sie werden ihr Teil unter dem Messias selbst haben.
Wir kommen jetzt zu der letzten Seligpreisung. Beachten wir zunächst den Unterschied in der Redeweise.
Es heißt nicht mehr allgemein: „Glückselig die u.s.w.“, sondern: „Glückselig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und jedes böse Wort lügnerisch wider euch reden werden um meinetwillen. „ Diese Änderung in „ihr“ ist außerordentlich kostbar. Die Rede wird zu einer Anrede; es ist etwas Persönliches. Der Herr hat hier Seine Jünger im Auge. Er weiß, was sie um Seinetwillen zu leiden haben werden, und Er gibt ihnen den höchsten und nächsten Platz in Seiner Liebe. „Glückselig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen werden . . . um meinetwillen.“ Es heißt nicht mehr „um Gerechtigkeit willen“, sondern „um meinetwillen“. Es gibt noch etwas Kostbareres als Gerechtigkeit, und das ist Christus. Wenn du Christum hast, so kannst du nichts Höheres haben. Darum ist es wahrlich glückselig, um Seinetwillen verfolgt zu werden!
Der Unterschied ist folgender: wenn jemand um Gerechtigkeit willen leidet, so setzt das voraus, dass ihm etwas Böses vorgestellt worden ist, was er zurückweist. Vielleicht soll er etwas gegen sein Gewissen unterschreiben; er kann es nicht tun. Oder man hält ihm eine verführerische Lockspeise vor; aber es ist etwas damit verbunden, wovon er weiß, dass es Gott nicht gefällt. Er weist sie zurück. Alle Bemühungen, ihn zur Nachgiebigkeit zu bewegen, sind vergeblich. Des Versuchers Zweit wird erkannt. Die Gerechtigkeit behält die Oberhand; und was ist die Folge? Der Gläubige leidet. Er verliert nicht nur was ihm angeboten wurde, sondern man redet auch noch übel von ihm. Glückselig sind die, welche so um Gerechtigkeit willen leiden! Aber um Christi willen zu leiden ist noch eine andere Sache.
Da bietet der Feind alles auf, um die Seele auf ihrem Wege zurückzuhalten. Er versucht sie mit Fragen wie diese: Gibt es einen Grund dafür, dass du so viel von Jesu und dem Evangelium reden solltest? Es ist doch nicht nötig, so eifrig für die Wahrheit zu sein, dich so rückhaltlos dem Hohn und Spott deiner Umgebung auszusetzen. Oder: Warum willst du dir um dieser Person oder um jener Sache willen so viel Mühe machen? Warum deshalb soweit aus deinem Wege gehen? In solchen Fällen handelt es sich nicht um offenbare oder verborgene Sünden. Bei dem Leiden um Christi willen kommt die Tätigkeit der Gnade in Frage, die sich an andere wendet. Hier handelt es sich nicht um Gerechtigkeit, sondern um das, was die letzten drei der sieben Seligpreisungen kennzeichnet. Eine mit Gefühlen der Barmherzigkeit erfüllte Seele kann die Lippen nicht geschlossen halten. Wer weiß was Gott ist, kann nicht schweigen, mag der Mensch auch davon denken und dagegen tun was er will.
Glückselig denn ihr alle, die ihr leidet um des Namens Christi willen! Hier hat die Macht der Gnade die Oberhand. Zu oft, leider, mischen sich allerlei Vernunftgründe in unsere Erwägungen: man fürchtet, anderen Anstoß zu geben, Ärgernis zu erregen, Stellung und Einfluss zu verlieren, die Aussichten für die Kinder zu zerstören, und was der Dinge mehr find. Doch die Energie der Gnade sagt im Blick auf alles das: Christus ist unendlich mehr wert. Wenn Er gebietet, so muss ich Ihm folgen.
Ich wiederhole also: Beim Leiden um der Gerechtigkeit willen meidet eine Seele ernstlich und bestimmt das Böse und gibt sich, koste es was es wolle, dem hin, was recht und gut ist; beim Leiden um Christi willen dagegen erkennt sie den Pfad Christi — das, wozu das Evangelium, die Anbetung Gottes oder der Wille des Herrn sie beruft, und indem sie sich sogleich mit ihrem ganzen Herzen auf die Seite des Herrn stellt, kommt das Leiden von selbst. Mit dem Leiden dringt aber auch der Trost des lieblichen Wortes ins Herz: „Glückselig seid ihr, wenn die Menschen euch schmähen und verfolgen . . . um meinetwillen“.
Der Herr kann den Ausdruck der Freude Seiner Seele an Seinen Heiligen nicht zurückhalten: „Glückselig seid ihr. . . freuet euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß in den Himmeln“. Beachten wir, dass es hier nicht heißt: im Reiche der Himmel, sondern „in den Himmeln“. Der Herr bringt diese Gläubigen mit einem weit höheren Platz in Verbindung. Es handelt sich hier nicht darum, dass Gott Seine Macht über die Erde ausübt und ihnen hienieden ein Teil gibt, sondern dass Er sie von diesem irdischen Schauplatz wegnimmt, um sie droben bei sich zu haben. „Denn also haben sie die Propheten verfolgt, die vor euch waren.“ Welche Ehre, unter irdischer Verwerfung, unter Hohn und Spott denen zu folgen, die uns in besonderer Gemeinschaft mit Gott vorangingen, den Herolden Dessen, für welchen wir jetzt leiden! — So sehen wir denn deutlich, dass diese letzten beiden Seligpreisungen, welche von Verfolgungen um der Gerechtigkeit und um Christi willen reden, den ersten vier und den letzten drei Segnungen entsprechen.
Im Evangelium Lukas (Kap. 6, 20—23) finden wir keine Seligpreisung für Leiden um der Gerechtigkeit willen — nur um Seines Namens willen. Dort heißt es daher in allen Fällen: „Glückselig seid ihr“. Man mag dies nur als eine zarte Schattierung betrachten, aber der Unterschied ist charakteristisch für die beiden Evangelien.
Matthäus beschäftigt sich besonders mit den Grundsätzen des Reiches der Himmel, was dem Verständnis eines Juden angepasst war, um ihn aus dem bloßen Judentum herauszubringen oder ihn höhere Grundsätze zu lehren. Lukas bringt, um welche Grundsätze es sich auch handeln mag, alle Seligpreisungen unter der Form der Gnade und behandelt sie als unmittelbare Anreden des Herrn an die vor Ihm befindlichen Jünger — „glückselig seid ihr“. Selbst wenn er von den Armen redet, lässt er die Redeform des Matthäus fallen und macht alles zu einer persönlichen Sache. Alles ist mit dem Herrn selbst verknüpft, nicht nur mit der Gerechtigkeit.
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Eine Hilfe oder ein Hindernis
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 38ff
(Eine Frage an alle, die im Namen Jesu zusammenkommen·) Von den vielen Vorrechten, die uns der — allezeit gütige Herr verliehen hat, ist gewiss eines der höchsten dies, bei dem Zusammenkommen Seines geliebten Volkes, da wo Er Seines Namens Gedächtnis gestiftet hat, zugegen zu sein. Jeder, der Christum wirklich liebt, wird seine ganze Freude darin finden, da zu weilen, wo Er verheißen hat zu sein. Was auch immer der besondere Charakter des Zusammenkommens sein mag, sei es an dem Tische des Herrn, um Seinen Tod zu verkünden, oder zur Betrachtung des Wortes, um die Gedanken Gottes kennen zu lernen, oder vor dem Thron der Gnade zum Gebet, um Ihm gemeinsam unsere Bedürfnisse kundzutun und aus Seiner unendlichen Fülle zu schöpfen —- jedes treue Herz wird sich danach sehnen, anwesend zu sein; und wir können versichert sein, dass jeder (wer es auch sei), der absichtlich oder freiwillig das Zusammenkommen versäumt, sich in einem kalten, gleichgültigen und ungesunden Seelenzustand befindet. Unser Zusammenkommen zu versäumen ist der erste Schritt auf der abschüssigen Bahn, die zum völligen Aufgeben Christi und alles dessen, was Ihm teuer ist, führen kann (Siehe Hebr. 10, 25 —-27).
Der Zweck dieser wenigen Zeilen ist nun nicht, wie von vornherein gesagt sei, die oft erhobene Frage zu erörtern: „Wie können wir wissen, zu welcher Versammlung wir gehen sollen?“ Diese Frage ist gewiss für jeden Christen von der größten Bedeutung, und jeder Gläubige sollte sie sich selbst stellen und mit Ernst und Treue eine Antwort aus Gottes Wort zu empfangen suchen. Denn zu einer Versammlung zu gehen, ohne zu wissen, aus welchem Grunde sie steht oder zusammenkommt, heißt in Unwissenheit oder Gleichgültigkeit handeln, was mit der Furcht des Herrn und der Liebe zu Seinem Worte völlig unvereinbar ist.
Diese Frage liegt uns aber heute nicht vor. Wir beschäftigen uns jetzt nicht mit dem Boden, auf welchem man zusammenkommt, sondern mit unserem Zustand und Verhalten auf diesem Boden, mit einer Sache also, welche für jede Seele, die bekennt, sich mit anderen Gläubigen in dem Namen Jesu zu versammeln, überaus ernst und wichtig ist; denn Er ist „der Heilige und der Wahrhaftige“. Wir möchten daher an jedes Herz und Gewissen die Frage richten: Bist du für die Versammlung eine Hilfe oder ein Hindernis? Dass jeder einzelne das eine oder andere von beiden ist, ist ebenso klar wie ernst, und deshalb ist die Frage von so schwerwiegender praktischer Bedeutung.
Wir bitten den Leser, seine Bibel zu öffnen und unter ernstem Nachdenken und Gebet das 12. Kapitel im 1. Korintherbrief zu lesen. Er wird hier die eben erwähnte praktische Wahrheit, dass jedes Glied des Leibes auf den ganzen übrigen Teil seinen Einfluss ausübt, klar niedergelegt finden. Es ist gerade so wie am menschlichen Körper: wenn hier etwas nicht in Ordnung ist, und sei es auch an dem verborgensten und schwächsten Teil desselben, so macht sich das dem Leibe überhaupt fühlbar. Es braucht nur ein Nagel eingerissen, ein Zahn fehlerhaft oder ein Glied verrenkt zu sein, es mag sich irgend ein Gelenk, eine Muskel oder ein Nerv nicht in Ordnung befinden, sogleich verspürt der ganze Leib es als ein Hindernis.
So verhält es sich auch in der Kirche Gottes, an dem Leibe Christi: „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; und wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit“. Der Zustand eines jeden Gliedes beeinflusst den ganzen Leib. Daraus folgt also notwendig, dass jedes Glied allen übrigen entweder eine Hülfe oder ein Hindernis ist. Welch eine ernste Wahrheit! In der Tat, sie ist von schwerwiegender, praktischer Bedeutung.
Der Apostel redet hier nicht von irgend einer örtlichen Versammlung, sondern von dem ganzen Leibe, von welchem allerdings jede Versammlung der örtliche Ausdruck sein soll. So sagt er, wenn er zu den Korinthern spricht: „Ihr seid der Leib Christi und Glieder insonderheit“. Freilich gab es an anderen Orten auch noch Versammlungen; aber hätte der Apostel zu einer von ihnen über denselben Gegenstand geredet, so würde er auch auf gleiche Weise zu ihnen gesprochen haben; denn was wahr ist von dem ganzen Leibe, ist auch wahr von jedem örtlichen Ausdruck desselben. Das ist ganz klar und einfach, und in praktischer Hinsicht sehr wichtig.
Aus der Wahrheit, die wir betrachten, ergeben sich für uns drei kostbare und kräftige Beweggründe zu einem heiligen, ernsten, treuen Leben: erstlich, wir sollten Jesum nicht verunehren, das Haupt des Leibes, mit dem wir vereinigt sind; zweitens, wir sollten den Heiligen Geist nicht betrüben, durch welchen wir mit dem Haupte vereinigt und alle zu einem Leibe getauft sind; und drittens, wir sollten den mit uns so innig verbundenen Gliedern des Leibes nicht schaden.
Was könnte einen mächtigeren Einfluss auf uns ausüben als solche Beweggründe? O, dass sie unter Gottes geliebten Kindern mehr zur Geltung kämen! Man kann die Lehre von der Einheit des Leibes anerkennen und lehren; allein etwas ganz anderes ist es, in ihr zu leben und ihre heilige, umbildende Macht zu offenbaren. Ach! der arme menschliche Verstand kann die höchsten Wahrheiten erörtern und darüber hin und her reden, ohne dass Herz, Gewissen und Leben je deren heiligen Einfluss erfahren haben.
Wie ernst ist dieser Gedanke für einen jeden von uns! Möchten wir ihn in unseren Herzen bewegen und auf Leben und Gesinnung einwirken lassen! Ja, möchte die Wahrheit von dem „ein en Leibe“ für jedes Glied desselben auf dem ganzen Erdkreis zu einer ernsten Wirklichkeit werden!“
Wir könnten hiermit schließen, in dem Bewusstsein, dass, wenn die herrliche Wahrheit, von der wir geredet haben, in lebendiger Glaubenskraft von allen erfasst und festgehalten würde, dann gewiss auch all die köstlichen Ergebnisse, welche für das praktische Leben daraus folgen, sich zeigen würden. Es lag uns aber bei der Abfassung dieser Zeilen eine Seite unseres Gegenstandes besonders am Herzen, auf die wir mit Ernst hinweisen möchten, diese nämlich: wie eine Versammlung durch den Zustand jeder einzelnen Seele und durch die Herzensstellung und Gesinnung eines jeden Bruders und einer jeden Schwester, die ihr angehören, beeinflusst und gestaltet wird.
Zunächst möchten wir darauf hinweisen, dass alle, die unter einer besonderen und ernsten Verantwortlichkeit stehen, welche irgendwie in der Versammlung dienen, sei es, dass sie ein Lied vorschlagen, sei es, dass sie beten, danken oder einen Abschnitt aus dem Worte vorlesen, oder endlich, dass sie an der Belehrung und Ermahnung teilnehmen. Alle solche sollten klar darüber sein, ob sie von Gott zu ihrem Dienst berufen und befähigt sind, und sollten nie vergessen, dass sie auch in dem, was sie tun, nur des Herrn Werkzeuge sind; anders werden sie der Versammlung ernstlich schaden. Sie können den Geist auslöschen, die Anbetung hindern, ja, den Segen des Zusammenkommens in großem Maße vereiteln.
Dies ist ernst und erfordert eine heilige Wachsamkeit seitens aller, die in irgendwelcher Weise am Dienst in der Versammlung teilnehmen. Selbst ein nicht passendes oder zur Unzeit vorgeschlagenes Lied kann großen Schaden tun, indem es den Verlauf eines Zusammenseins zu unterbrechen und dessen ganzen Ton herabzustimmen vermag. Ja, selbst das kostbare Wort Gottes kann an der unrechten Stelle oder zur unrechten Zeit vorgelesen werden.
Mit einem Wort, alles was nicht die unmittelbare Frucht des Geistes ist, kann nur die Erbauung und den Segen der Versammlung hindern. Alle, die am Dienste teilnehmen, sollten jederzeit danach trachten, dass sie in dem, was sie tun, vom Geiste Gottes geleitet werden. Nur eines sollte ihr Beweggrund sein: die Verherrlichung Christi in der Versammlung und der Segen der Versammlung durch Ihn. Wenn es nicht so ist, so schweigen sie besser und warten auf Ihn. Sie werden dann den Herrn mehr verherrlichen und den Seelen mehr zum Segen sein, als sie es manchmal durch ruhelose Tätigkeit und unerbauliches Reden sind.
Doch neben der besonderen heiligen Verantwortlichkeit aller derer, welche am Dienst in der Versammlung in der einen oder anderen Weise teilnehmen, gibt es eine ernste Verantwortlichkeit für jeden einzelnen. Der allgemeine Ton, der Charakter und Zustand einer Versammlung selbst, wie auch ihrer Zusammenkünfte, hängt aufs innigste mit der Frage zusammen, wie der innere geistliche Zustand aller Seelen, die auf diesem Boden stehen, beschaffen ist. Diese Tatsache bewegt unser Herz tief und treibt uns an, die vorliegenden Zeilen an alle zu richten, die im Namen Jesu zusammenkommen, wo es irgend eine solche Versammlung unter der Sonne gibt. Jede Seele in ihr ist entweder eine Hilfe oder ein Hindernis, ein Mehrer oder ein Zerstörer Alle, die mit einem hingebenden, ernsten, liebevollen Herzen zusammenkommen, die zu den Zusammenkünften gehen, einfach weil der Herr selbst da ist, die dorthin eilen, wo Seines Namens Gedächtnis gestiftet ist, die in Seiner Gegenwart glücklich sind, diese alle sind eine wahre Hilfe, ein Segen für die Versammlung. Möge Gott ihre Zahl· vermehren! Ach, wenn alle Versammlungen mehr solcher gesegneten Elemente hätten, wie viel anders wäre es an manchen Orten bestellt!
Und warum ist es nicht so? Es handelt sich ja nicht um Gabe oder Wissen, sondern nur um Gnade und Gottseligkeit, um wahre Frömmigkeit und ein Leben im Gebet, um einen Zustand also, in welchem sich jedes Kind Gottes und jeder Knecht Christi befinden sollte, und ohne den die glänzendsten Gaben und die größten Kenntnisse nur ein Hindernis und ein Fallstrick sind. Bloße Gabe und Erkenntnis, ohne ein tätiges Gewissen und ohne Gottesfurcht, können vom Feinde zum Verderben der Seelen gebraucht werden und sind schon dazu gebraucht worden.
Wo aber wahre Demut und Wirklichkeit sind, und wo jener Ernst vorhanden ist, der durch das Bewusstsein der Gegenwart Gottes hervorgebracht wird, da finden sich in der Versammlung — ob Gaben da sind oder nicht — sicherlich der Geist der Anbetung und Tiefe und Frische des Geistes.
Es ist ein großer Unterschied, ob eine Versammlung sich um einen begabten Mann schart, oder ob sie einfach um den Herrn selbst als Glieder des einen Leibes versammelt ist. Durch den Dienst oder den Diener am Wort, oder zu dem Dienst oder dem Diener am Wort versammelt sein, sind gleichfalls zwei sehr verschiedene Dinge. Wenn die Seelen nur zu dem Dienst oder Diener versammelt sind, so werden sie, wenn der Dienst ausbleibt, in Gefahr sein, auch auszubleiben. Wenn aber ernste, von Herzen treue, hingebende Seelen einfach zum Herrn selbst hin versammelt sind, so werden sie ihren Halt nicht am Dienst haben, obwohl sie sehr dankbar für ihn sein werden. Ihr Halt ist der Herr. Sie schätzen deshalb die Gabe nicht geringer als andere, aber sie schätzen den Geber höher. Sie sind für die Ströme des Segens dankbar, aber sie wissen sich nur abhängig von der Quelle derselben.
„Man wird immer und überall finden, dass solche Gläubige, welche den Dienst am ersten entbehren könnten, gerade diejenigen sind, welche ihn am meisten schätzen und anerkennen. Sie räumen dem Dienst seinen göttlichen Platz ein. Die aber, welche den Gaben mehr Ehre und Wichtigkeit beilegen, als ihnen zukommt, und immer und immer klagen, wenn diese einmal gering sind, und die in der Versammlung ohne sie keinen Genuss oder Segen haben, sind ein Hindernis und eine Quelle der Schwachheit für die Versammlung.
Und ach! es gibt solcher Hindernisse und Ursachen der Schwachheit noch manche andere, die unsere ernste Beachtung erfordern.
Ehe wir hingehen, um unseren Platz- in der Versammlung einzunehmen, sollte ein jeder von uns sich selbst ernstlich fragen: Bin ich eine Hülfe oder ein Hindernis, ein Mehrer oder ein Zerstörer? Wenn wir in einem kalten, gleichgültigen oder gar verhärteten Herzenszustand kommen, wenn wir nur aus Form und Gewohnheit auf dem für richtig erkannten Pfade vorangehen, oder in einem ungerichteten, ungebrochenen, murrenden und klagenden Geist, der überall Fehler sucht und findet, alles und alle richtet, nur sich selbst nicht, — dann sind wir ganz gewiss ein ernstes Hindernis für den Segen und die Freude der Versammlung. Wir sind dann jenes kranke oder verrenkte Glied am Leibe. Wie betrübend und demütigend, ja, erschreckend ist das aber! Lasst uns dagegen wachen, dagegen beten, es entschieden verurteilen!
Wie anders stehen die Seelen, die mit freudigem Herzen zu den verschiedenen Zusammenkünften gehen, in einem liebenden, gnadenvollen Geiste, der von der Gesinnung Christi zeugt; die in der Voraussicht sich erfreuen, dort mit geliebten Geschwistern sich zusammenzufinden, sei es an dem Tische des Herrn, oder am Born der Heiligen Schrift, oder vor dem Thron der Gnade im gemeinsamen Gebet; die mit tiefer und herzlicher Liebe alle Glieder des Leibes Christi umfassen; deren Auge nicht trübe und deren Zuneigungen gegen niemand um sie her durch Argwohn und Verdacht, oder durch irgendwelche lieblosen Gefühle kalt geworden sind; die von Gott gelehrt sind, ihre Brüder zu lieben, sie „vom Gipfel der Felsen« aus anzusehen und sie „mit dem Gesicht des Allmächtigen« zu betrachten (vergl. 4. Mose 23, 9; 24, 4); die jeden Dienst und jeden Segen, den der gnadenreiche Herr ihnen senden mag, gern und dankerfüllt annehmen, auch wenn er ihnen nicht durch eine glänzende Gabe oder einen beliebten Lehrer zu teil wird.
Ja, alle solche Seelen sind eine göttliche Segnung für die Versammlung, wo immer sie sind. Darum wiederholen wir von ganzem Herzen: Möge Gott ihre Zahl vermehren! Wenn alle Versammlungen von solchen Seelen gebildet wären, so wäre hier die Atmosphäre des Himmels. Der Name Jesu würde sein wie ausgegossene, kostbare Narde. Jedes Auge würde auf Ihn gerichtet, jedes Herz von Ihm erfüllt sein; und für Seinen Namen und Seine Gegenwart würde dann in unserer Mitte ein mächtigeres Zeugnis abgelegt werden, als es durch die herrlichste Gabe je geschehen kann.
Der Herr wolle gnädiglich Seinen Segen über alle Seine Versammlungen ausgießen! Er wolle sie von jedem Hindernis, jedem Druck und jedem Stein des Anstoßes und jeder Wurzel der Bitterkeit befreien! Möchten die Herzen aller in gegenseitigem Vertrauen und in wahrer brüderlicher Liebe fest verbunden und vereinigt sein! Ja, möchte Er mit Seinem reichsten Segen die Bemühungen und Arbeiten aller Seiner geliebten Knechte krönen, sowohl daheim als auch in der Fremde, indem Er ihre Herzen ermuntert und ihre Hände stärkt und ihnen Gnade darreicht, „fest zu sein, unbeweglich, allezeit über- strömend in dem Werke des Herrn“, in der gewissen Zuversicht, dass ihre Mühe nicht vergeblich ist in Ihm?
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Das Evangelium der Herrlichkeit
Bibelstelle: 2. Korinther 3 -5
Botschafter des Heils 1909 S. 47ff
In Kapitel 5 beginnt der Apostel, uns zu zeigen, was der Dienst des Geistes und der Gerechtigkeit ist im Blick auf die beiden ernsten Folgen der Sünde, oder mit anderen Worten, was die Kraft des Lebens ist, das wir in Christo besitzen. Eines der schrecklichen Dinge, welche durch die Sünde in die Welt gekommen sind, ist der Tod. Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, und - als zweite Folge - danach das Gericht. Tod und Gericht, die furchtbaren Folgen der Sünde, stehen drohend vor jedem Menschen, der in diese Welt hineingeboren wird. Von dem ersten Augenblick an, da er ins Leben eintritt, ist er ein sündiges Geschöpf; und wächst er heran, so wird er ein schuldiges Geschöpf. Tod und Gericht hängen deshalb wie zwei scharfe Schwerter über dieser Welt, und unaufhörlich geht ein Strom unsterblicher Seelen aus dieser Zeit in die Ewigkeit hinüber.
Haben der Dienst der Gerechtigkeit und das Evangelium der Herrlichkeit daran etwas zu ändern vermocht? Ja, Gott sei gepriesen! Für den Glaubenden, dürfen wir sagen, ist beides nicht nur verändert, sondern geradezu ins Gegenteil verkehrt.
Was erwartet der Christ? Den Tod? O nein, er erwartet seinen Herrn, Der Leben und Unverweslichkeit ans Licht gebracht hat und nun bald aus der Herrlichkeit droben wiederkehren wird, um ihn dahin zu bringen, wo Er Selbst ist, und zwar ohne dass er den Tod zu sehen braucht. Entrückt zu werden dem Herrn entgegen in die Luft, und dann mit Ihm einzugehen ins Vaterhaus, das ist die Hoffnung, die mit dem Evangelium der Herrlichkeit verbunden ist. Der Herr der Herrlichkeit hat verheißen, dass Er wiederkommen werde, um uns zu Sich zu nehmen, und Sein ermunternder Zuruf lautet: „Ich komme bald"'. Aber seit den Tagen des Apostels sind doch viele Gläubige entschlafen, und immer noch sieht jeder Tag Gläubige in die Ewigkeit hinübergehen. Wie steht es denn mit diesen? Lasst uns hören, was der Apostel auf diese Frage antwortet. „Denn wir wissen", sagt er, „dass, wenn unser irdisches Haus, die Hütte, zerstört wird, wir einen Bau von Gott haben, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, ein ewiges, in den Himmeln" (Kap. 5,1).
„Denn wir wissen"!. Wir sind demselben Wort schon einmal begegnet. Wir lasen: „indem wir wissen, dass der, welcher den Herrn Jesum auferweckt hat, auch uns mit Jesu auferwecken ... wird" (2. Korinther 4,14). Meine lieben Freunde, nicht eine Ungewisse Hoffnung, ein Meinen, Denken, Fürwahrhalten, ist dem Gläubigen geschenkt. Nein, sein Teil ist eine volle Glaubensgewissheit, eine felsenfeste Überzeugung, gegründet auf Gottes ewig bleibendes Wort, ja, gegründet auf den Tod unseres Herrn Jesu, auf Seine Auferstehung und Verherrlichung zur Rechten Gottes.
W a s wissen wir denn? Wir wissen, dass, wenn unser irdisches Haus, dieses der Erde angehörende Zelt, zerstört wird, wir einen Bau von Gott haben, ein ewiges Haus in den Himmeln. Wenn ein natürlicher Mensch auf seinem Sterbebett liegt, wenn der Tod an ihn herantritt und die Ewigkeit ihre Pforten vor ihm auftut, so sind Unruhe und Ungewissheit oder gar Schrecken und Verzweiflung in seinem Herzen.
Die stärksten Trostgründe der Vernunft, die vermessensten Behauptungen des Unglaubens versagen gegenüber dem König der Schrecken. Der Mensch sieht sich ganz allein einer finsteren Ewigkeit gegenüber, ohne Gott und ohne Hoffnung. Aber was ist in dem Herzen eines Gläubigen, wenn er seinen Pilgerlauf hienieden beschließen und in die Ewigkeit hinübergehen soll? Sieghafte, triumphierende Gewissheit, unerschütterlicher Friede, tiefe, selige Ruhe. Er geht nun bald dahin, wo seine Heimat ist, wohin er sich so lange gesehnt hat; er geht zu Jesu, seinem Herrn, geradeswegs in die Herrlichkeit hinein. Er ist auch nicht allein; sein Heiland ist bei ihm, und er weiß, dass er droben einen Bau hat, der nicht mit Händen gemacht ist, der vielmehr seinen Ursprung in Gott hat, ein Haus, das in gar keiner Beziehung mehr zu dieser Erde steht, sondern in Verbindung ist mit dem Himmel, mit der Herrlichkeit und dem auferstandenen Herrn zur Rechten Gottes. Denn der Gott, Der Jesum aus den Toten auferweckt hat, wird auch uns auferwecken mit Ihm, wird unsere sterblichen Leiber lebendig machen wegen Seines in uns wohnenden Geistes (Römer 8,11). Er wird uns tadellos und ohne Flecken darstellen vor dem Thron Seiner Herrlichkeit, Ihm gleichgestaltet, Der für uns starb und wieder auferstand, angetan mit dem Leibe der Herrlichkeit, den Jesus Selbst trägt.
Hast du schon einmal an dem Sterbebett eines Gläubigen gestanden? Ich schon oft, und ich bin dankbar dafür; denn mit tiefer Freude habe ich beobachten können, wie der Glaube die Seele weit zu erheben vermag sowohl über die Schwachheit und die Leiden des Körpers, als auch über die schwierigen Umstände, in denen der Sterbende sich vielleicht befindet. Ach! wenn ein Gläubiger diese Welt verlässt, um zu Dem zu gehen, an Welchen er geglaubt hat und Den seine Seele liebt, dann ist das eigentlich kein Sterben; es ist ein Einschlafen, um im Lichte zu erwachen, es ist die Heimkehr eines glücklichen Kindes. Der Tod hat seine Schrecken nicht nur verloren, sondern er ist zu einem willkommenen Boten geworden, der den Glaubenden hinüberführt aus den Leiden dieser Zeit und aus der Entfernung von seinem Herrn in die ewige Herrlichkeit, in die Nähe des Geliebten.
Abzuscheiden und bei Christo zu sein ist für ihn weit besser und begehrenswerter, als noch länger im Fleische zu bleiben (Vergl. Philipper 1,23).
So hat also das Evangelium der Herrlichkeit für den Glaubenden im Blick auf den Tod alles verändert, es hat dem Tode seine Kraft und seinen Charakter genommen und dem Glaubenden eine Hoffnung gegeben, die ihn mit Verlangen ausschauen lässt nach jenem herrlichen Bau von Gott, der ihm verheißen ist. Darum sagt der Apostel: „In diesem (Hause oder Leibe nämlich) freilich seufzen wir, uns sehnend, mit unserer Behausung, die aus dem Himmel ist, überkleidet zu werden". Seufzen? Warum seufzte Paulus? War er ein Mann, der unter den Beschwerden des Lebens seufzte, der unzufrieden war mit dem Lose, welches Gott ihm zugeteilt hatte? Seufzte er wie einer in seinen Erwartungen Getäuschter, wie unser einer so leicht seufzen kann, oder wie ein Gläubiger seufzt, der die Befreiung nicht kennt und nun sich nutzlos abmüht in eigenem Tun und Wirken? O nein, das war nicht der Charakter seines Seufzens. Warum seufzte er denn? Weil dieser Leib und die Verbindung mit diesem Leben ihn noch hinderten, Jesum so zu genießen, wie er es gern wollte, weil sie ihn noch schieden von jener Herrlichkeit, in welche Jesus eingegangen war. Er seufzte in dieser Hütte, weil er den gewaltigen Gegensatz zwischen der gegenwärtigen Schwachheit und der zukünftigen Herrlichkeit so tief fühlte. Es war das Seufzen eines Mannes, der die Offenbarung der Herrlichkeit jenes Lebens, welches er schon in Christo besaß, herbeisehnte. Beachtenswert ist hierbei, dass der Apostel sich sehnte, mit der Behausung, die aus dem Himmel ist, nicht bekleidet, sondern über kleidet zu werden. Er sagt das sogar zweimal.
Wir lesen in Vers 4: „Denn wir freilich, die in der Hütte sind, seufzen beschwert, wiewohl wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben". Paulus hatte den Korinthern schon in seinem ersten Brief das wunderbare Geheimnis mitgeteilt, dass wir nicht alle entschlafen werden (S. 1. Korinther 15,51ff). Und obwohl er sich innig danach sehnte, bei Jesu zu sein, und sagen konnte: „Ich habe Lust, abzuscheiden und bei Christo zu sein", stand doch als das Begehrenswerteste vor seiner Seele dies Eine, seinem Herrn entgegengerückt zu werden, ohne durch den Tod zu gehen.
Das ist auch die eine charakteristische Hoffnung des Christentums. Der Christ begehrt und erwartet nicht, den Tod zu sehen, sondern überkleidet zu werden mit der Behausung, die aus dem Himmel ist, und so mit allen Gläubigen dem Herrn entgegengerückt zu werden in die Luft. So vollkommen ist die Macht des Todes gebrochen und der zunichte gemacht worden, welcher die Gewalt des Todes hatte, dass er nicht nur nicht die Leiber der entschlafenen Heiligen in den Gräbern behalten kann, sondern auch seine Gewalt über die bei der Ankunft des Herrn noch lebenden Gläubigen in keiner Weise auszuüben vermag. Sie werden, ohne den Tod gesehen zu haben, ihrem Herrn entgegengehen, um für immer bei Ihm zu «ein. Dann wird das Sterbliche verschlungen werden von dem Leben.
Das war es, was dem Apostel so begehrenswert erschien, wonach es ihn so ernstlich verlangte. Das ist das Wunderbare, was wir erwarten. Das Leben, welches Paulus in Jesu, seinem Herrn, sah, wird einmal das Sterbliche in uns verschlingen, sozusagen völlig aufzehren. Wenn Sein gewaltiger Heeresruf ertönen und alle Seine Streiter mit verherrlichten Leibern aus ihren Gräbern hervorrufen oder in einem Nu verwandeln wird - sei es heute, sei es morgen - dann wird dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen, dieser arme, verwesliche Leib in einen strahlenden, unverweslichen Leib verwandelt werden; das Sterbliche wird verschlungen werden von dem Leben. Nichts mehr wird von dem Sterblichen übrigbleiben, alles wird das Bild Dessen tragen, Der für uns gestorben ist, und Der Sich Selbst das Leben nennt. Wie über alles kostbar ist diese Hoffnung!
Ich habe soeben von dem Weilen an Sterbebetten gesprochen und von der Freude geredet, welche das Herz der Scheidenden erfüllte bei dem Gedanken, den wunden, siechen Leib nun bald ablegen und zu Jesu gehen zu dürfen. Aber ich darf auch davon zeugen, dass in sehr vielen Fällen das Verlangen der Heimgehenden fast bis zum letzten Augenblick auf die Wiederkunft Christi gerichtet war. Und das war sicher durch den Geist Gottes so gewirkt. Vor nicht langer Zeit besuchte ich eine Kranke, deren körperlicher Zustand geradezu bedauernswert war; zusammengekrümmt, von Fieber abgezehrt, mit Mühe atmend, so lag sie in ihrem Bett. Als ich zu ihr trat und ihr ein Wort des Trostes sagen wollte, antwortete sie: „Der Herr kommt bald". Ich entgegnete: „Ja, der Herr kommt bald, und wenn Er kommt, so wird Er diesen armen Leib verwandeln".
Als ich aber dann, in der Meinung, von der Gegenwart reden und der Kranken Mitgefühl ausdrücken zu müssen, von ihren Leiden sprach und von der Möglichkeit, dass sie wohl bald durch den Tod von allem Schweren erlöst werden würde, erwiderte sie: „Ich habe noch nie in der Bibel gefunden, dass Kranken oder Sterbenden zum Trost gesagt wird: Du stirbst bald. Überall finde ich nur das Wort: „Ich komme bald". Ich war tief bewegt, und als ich kurz darauf Abschied nahm mit den Worten: „Dem Herrn befohlen! Auf Wiedersehen"! antwortete sie: „Vielleicht heute noch bei Jesu".
Das Herz dieser Kranken war von der einen, alles andere beherrschenden Hoffnung erfüllt, Jesum zu sehen, und zwar ohne vorher durch den Tod zu gehen. Es ging ihr wie dem Apostel; sie wünschte bis zu diesem herrlichen, glorreichen Augenblick zu leben, wann Er kommen wird, um alle die Seinigen zu Sich zu nehmen. Sie verlangte, über kleidet zu werden, damit das Sterbliche verschlungen werde von dem Leben. Ist das auch deine Hoffnung? Erwartest du heute Jesum?
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Gedanken
Bibelstelle: Botschafter des Heils 1909 S. 54ff
Autor: Gerhard Tersteegen
Die Wege Gottes werden so viel unbegreiflicher, je göttlicher sie werden. Darum müssen wir allmählich uns vergessen, um Gott allein im Glauben anzusehen.
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Alle Schlüsse und Überlegungen der natürlichen Vernunft laufen endlich nur da hinaus, dass der schmale Weg breit werden und die Natur bei ihrem Leben bleiben soll.
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Was man nicht gern glaubt und was man nicht gern tut, darüber kritisiert man. Wer viel kritisiert, der will nicht ans Werk; es ist alles nur zum Schein.
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Bemühe dich nicht so sehr, die Worte der Schrift ins Gedächtnis zu fassen, als deren Sinn und Kraft ins Herz zu bekommen. Wer bisweilen die wenigsten Schriftworte im Gedächtnis und im Munde hat, besitzt oft das meiste von Sinn und Geist der Heiligen Schrift.
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Wenn wir die Bibel recht lesen, so redet Gott zu uns, und alles was wir lesen, soll uns auch Anlass geben zu reden mit Gott.
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Bald will man nichts hören, als von Christo in uns, und bald nichts, als von Christo für uns. Wie sehr ist doch der Mensch zu Extremitäten geneigt und bald zur rechten, bald zur linken Seite von der Spur abzuweichen! Bald will man alles selber tun und die Notwendigkeit der inwendig wirkenden Gnade nicht gebührend erkennen; bald soll zum Schein alles Gnade sein, und man will gar nichts tun.
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Es ist wohl die Wahrheit, man stehet unter Gesetz; aber unter dem Gesetz Christi, unter dem Gesetz, der Freiheit (Gal. 6, 2; Jak. 1, 25).
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Christi Geist schreibt das Gesetz ins Herz, indem Er das Herz erneuert und demselben solchen Sinn, Neigungen und Gestalt eindrücket und immer tiefer eindrücket, wie sie im Gesetz, ausgedrückt und gefordert werden. — Das ist gesetzlich, Gott das Äußere geben wollen, und das Herz für sich selbst und für die Weltbehalten; Ihm dienen im Schein und in Zeremonien, ohne Ihm zu dienen im Geist und in der Wahrheit.
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O, ein Christ zu sein ist etwas Großes; oder es ist gar nichts!
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Herr Jesu komme bald
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 56ff
Durch dieses Erdenleben
zieht leis ein Sehnsuchtschor,
viel stille Augen heben,
viel Herzen sich empor.
Wie auch die Sprach und Sitte –
Von tausend Zungen schallt
die ahnungsfrohe Bitte:
Herr Jesu komme bald!
Und stärker immer stärker
Schwillt rings das Rufen an:
Befrei uns aus dem Kerker,
aus dieses Leibes Bann!
Gib, dass wir Dich umpfangen,
dem unsere Hoffnung galt;
O stille das Verlangen,
Herr Jesu komme bald!
Lass bald den Morgen tagen,
dem keine Nacht sich naht;
o lass die Stunde schlagen,
erfülle Zeit und Rat!
Komm von der Wolken Wogen –
Ein Bräutigam – umwallt,
durch Liebe hergezogen;
Herr Jesu komme bald!
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Das Reich der Himmel
Bibelstelle: Matthäus 5 – 7
Botschafter des Heils 1909 S. 57ff
„Ihr seid das Salz der Erde« (V. 13.) Salz ist das Einzige, was nicht gesalzen werden kann, weil es selbst das erhaltende Element ist; doch wenn seine Kraft geschwunden ist, so kann sie nicht ersetzt werden. „Wenn das Salz kraftlos (fade) geworden ist, womit soll es gesalzen werden?“ Der Ausdruck „Salz der Erde“ deutet hin auf die Verbindung der Jünger mit dem, was bereits das Zeugnis Gottes besaß (daher der Ausdruck „Erde“ oder „Land“), was damals in besonderer Weise von dem jüdischen Lande der Fall war. Wenn man den Ausdruck „Erde“ jetzt anwenden will, so muss man an die Christenheit denken, an die Stätte oder den Bereich, der sich, sei es wirklich oder nur dem Bekenntnis nach, des Lichtes der Wahrheit Gottes erfreut. Und gerade das, was man heute „die Erde“ nennen könnte, wird schließlich der Schauplatz des größten Abfalls werden; denn etwas so Böses ist nur da möglich, wo man sich des Lichtes erfreut und sich dann davon abgewandt hat.
In dem Buche der Offenbarung, wo die Endergebnisse dieses Zeitalters dargestellt werden, erscheint die „Erde“ in höchst ernster, charakteristischer Weise; wenn wir da von Völkern und Völkerscharen, von Nationen und Sprachen hören, müssen wir an die heidnischen Länder denken. Die „Erde“ bezeichnet den einst begünstigten Schauplatz der bekennenden Christenheit, wo alle Kräfte des menschlichen Geistes tätig gewesen sind, den Schauplatz, auf welchem einmal das Zeugnis Gottes sein Licht verbreitete, und wo man sich von Ihm abgewandt hat dem schrecklichsten Abfall zu.
„Ihr seid das Salz der Erde“ Die Jünger waren hienieden das wirklich erhaltende Element; alle übrigen waren, wie der Herr hierdurch zu verstehen gibt, zu nichts tauglich. Doch mehr als das. Er spricht die ernste Warnung aus, dass Gefahr da sei, dass das Salz seine Kraft verlieren könnte. Er beschäftigt sich hier nicht mit der Frage, (wie manche meinen,) ob ein Gläubiger abfallen kann oder nicht. Die Menschen treten mit ihren eigenen Gedanken an die Schrift heran und verdrehen das Wort Gottes, um es ihren vorgefassten Meinungen anzupassen. Der Herr regt keineswegs die Frage an, ob das Leben je verloren gehen kann, sondern redet von gewissen Personen, die sich in einer bestimmten Stellung befinden; und unter ihnen mag es solche geben, die diese Stellung unbedacht und selbst fälschlich eingenommen haben, und in diesem Falle wird alles, was sie einst besessen haben, verschwinden. Er kündigt ihr Gericht an -— ein Gericht, welches sie der höchsten Verachtung preisgibt, und das über alle kommen wird, die einen so hohen Platz nur zum Schein eingenommen haben.
„Ihr seid das Licht der Welt“. Das ist etwas anderes als das „Salz der Erde“. Wenn wir den Unterschied im Auge behalten, den wir in der Reihe der Seligpreisungen fanden, so ist uns der Schlüssel zu diesen zwei Versen gegeben. Das Salz der Erde stellt gleichsam den gerechten Grundsatz dar. Darin liegt offenbar eingeschlossen das Festhalten an den ewigen Rechten Gottes, sowie die Aufrechthaltung dessen, was Seinem Charakter zukommt, der Welt gegenüber; dies ist aber dahin, sobald das, was den Namen Gottes trägt, noch unter die Höhe dessen herabsinkt, was selbst die Menschen für schicklich halten. Und das ist geschehen. Man kann jetzt kaum eine Zeitung lesen, ohne eine Verhöhnung von dem zu finden, was man Religion nennt.
Alle Achtung vor göttlichen Dingen verschwindet, und die Menschen halten den Zustand der Christen für einen passenden Gegenstand ihres Spottes.
Aber hier, in Vers 14, finden wir nicht nur den Grundsatz der Gerechtigkeit, sondern der Gnade — den Ausfluss und die Macht der Gnade. Und darum wird den Jüngern ein neuer Titel gegeben, um ihr öffentliches Zeugnis zu schildern; sie sind „das Licht der Welt“. Das Licht ist offenbar das, was sich überallhin verbreitet. Das Salz ist etwas, das innerlich vorhanden sein muss, aber das Licht ergießt sich nach allen Seiten hin. „Eine Stadt, die oben aus einem Berge liegt, kann nicht verborgen sein.“ Da ist eine Ausbreitung des Zeugnisses überallhin. „Man zündet auch nicht eine Lampe an und setzt sie unter den Scheffel, sondern aus das Lampengestell, und sie leuchtet allen, die im Hause sind.“ Nun, „also“, d. i. auf dieselbe Weise „lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen“. Beachten wir es wohl!
Nachdem wir so diese beiden kurzen, aber eindrucksvollen Schilderungen des Zeugnisses der Gläubigen hienieden betrachtet haben, —sie sind das Salz der Erde, die erhaltende Kraft inmitten des Bekenntnisses, und das Licht der Welt, welches sich in tätiger Liebe an die arme Welt wendet; für das Salz besteht die Gefahr, seine Kraft zu verlieren, und für das Licht, unter den Scheffel gestellt zu werden, -— bleibt uns noch übrig, ein Wort zu sagen über den großen Zweck Gottes in diesem zwiefachen Zeugnis. Es handelt sich hier nicht einfach um die Segnung von Seelen; denn es ist, wie schon früher bemerkt, von der Verkündigung des Evangeliums oder der Errettung von Sündern hier mit keinem Wort die Rede.
Der ernste, wichtige Punkt ist der Wandel der Gläubigen. Gott erhebt die wichtige Frage betreffs Seiner Heiligen, und zwar bezüglich ihrer Wege, getrennt von anderen Menschen. Berufungen an die Unbekehrten finden wir an anderen Stellen der Schrift in reichem Maße, und niemand kann deren Wichtigkeit für die Welt zu hoch einschätzen; aber die Bergpredigt ist ein Ruf Gottes an die Bekehrten. Sie bezeichnet deren Charakter, deren Stellung und Zeugnis in deutlicher Weise; und wenn an irgend einer Stelle an andere gedacht wird, so handelt es sich weniger darum, sie zu gewinnen, als darum dass die Gläubigen auf sie zurückstrahlen lassen was von oben kommt.
„Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen.“ Dieses Licht kommt von Christo. Es heißt nicht: Lasst eure guten Werke vor den Menschen leuchten. Wenn Leute über diesen Vers reden, so denken sie gewöhnlich an ihre eigenen Werke, und wenn das der Fall ist, so sind gewöhnlich überhaupt keine guten Werke vorhanden; doch wenn selbst solche da wären, so sind Werke doch nicht Licht. Licht ist das, was unmittelbar und rein von Gott kommt, ohne Beimischung seitens des Menschen. Gute Werke sind die Frucht der Wirkung des Lichtes auf die Seele; aber das Licht soll vor den Menschen scheinen. Es ist das Bekenntnis, welches der Jünger von Christo ablegt; das ist der Punkt, auf den es vor Gott ankommt.
Bekenne Christum in allem! Lass dies das Ziel deines Herzens sein! Es handelt sich nicht bloß darum, dass dies oder das getan werde. Nein, dass das Licht scheine, ist hier die .Hauptsache. Sicherlich sollte und wird Gutestun daraus hervorfließen. Aber wenn ich Gutestun als das Wichtigste betrachte, so ist das offenbar ein niedrigerer Gedanke als das, was Gott hier im Sinne hat.
Ein Ungläubiger kann fühlen, dass ein vor Kälte zitternder Mensch einen Rock oder eine Decke bedarf; und ein natürlicher Mensch kann sehr tätig sein für die Bedürfnisse anderer. Wenn ich also diese Werke nehme und sie zum Hauptzweck mache, so tue ich in Wirklichkeit nichts mehr, als was auch ein Ungläubiger tun kann. Sobald jemand gute Werke und ihr Leuchten vor den Menschen zu seinem Zielpunkt macht, befindet er sich auf gleichem Boden mit Juden und Heiden. Das Volk Gottes ist geneigt, auf diese Weise sein Zeugnis zu vernichten. Was ist (wenn man einmal davon redet, für Gott etwas tun zu wollen) so schlecht wie ein Werk, welches Christum auslässt und den Menschen, der Christum liebt, in gutem Einvernehmen erscheinen lässt mit denen, die Ihn hassen? Davor warnt der Herr die Heiligen hier. Sie sollen nicht an ihre Werke denken, sondern daran, dass Gottes Licht hell und klar von ihnen ausstrahle.
Werke werden dann ohne Frage folgen, und zwar viel bessere Werke, als da wo jemand beständig mit Werketun beschäftigt ist. „Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen.“ Lass dein Bekenntnis von dem, was Gott in Seiner Natur und was Christus in Seiner Person und in Seinen Wegen ist, das Eine sein, was von den Menschen gefühlt wird und ihnen vor Augen tritt; wenn sie dann deine guten Werke sehen, so werden sie deinen Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen. Anstatt zu sagen: „Was für ein guter Mensch ist dies doch!« werden sie Gott deinetwegen verherrlichen. Wenn dein Licht leuchtet, so werden die Menschen das, was du tust, mit deinem Bekenntnis von Christo in Verbindung bringen.
Der Herr gebe uns, dass dies es sei, dem wir uns hingeben, und das wir für unsere eigenen Seelen sowohl, wie für diejenigen, welche uns teuer sind, über alles begehren! Und wenn wir sehen, dass es von einigen Heiligen Gottes vergessen wird, lasst uns ihrer dann im Gebet gedenken und ihnen durch die Bezeugung Seiner Wahrheit zu helfen suchen. Gelingt es uns nicht, ihr Herz zu gewinnen, so werden wir doch wohl das Gewissen erreichen und so bewirken, dass sie ein anderes Mal daran denken!
Wir haben gesehen, wie unser Herr den Charakter und dann die Stellung schildert, welche den Erben des Reiches der Himmel eigen sind, und haben gehört, wie Er diejenigen „glückselig“ nennt, deren Denkweise der Mensch für töricht halten würde. Er hat uns auch das vollkommene Muster dieser Glückseligkeit gezeigt; denn was hätte, besonders für einen Juden, unvernünftiger lauten können, als wenn jemand in wohlerwogener und nachdrücklicher Weise diejenigen gesegnet und glücklich nannte, die verachtet, verspottet, gehasst und verfolgt wurden, ja, von denen man übel redete und die man als Missetäter behandelte? Selbstverständlich geschah das alles um der Gerechtigkeit und um Christi willen.
Aber der Jude war von jeher daran gewöhnt, das Kommen und die Aufnahme des Messias als die Krone seiner Freude zu betrachten; es war für ihn das glücklichste Ereignis, bei welchem sich für Israel alles wenden würde, sowohl bezüglich der Ausführung der den Vätern gegebenen Verheißungen Gottes, als auch der Erfüllung der herrlichen Weissagungen, welche von der Vernichtung ihrer Feinde, der Demütigung der Heiden und der Herrlichkeit Israels redeten. Die bloße Andeutung, dass die Aufnahme des Messias unvermeidlich Schmach und Verfolgung in der Welt für sie zur Folge haben würde, gab deshalb all ihren mit Vorliebe genährten Erwartungen einen gewaltigen Stoß.
Doch unser Herr besteht auf Seinen Worten, indem Er nur die, welche so und so sind, glückselig nennt; freilich sind sie gesegnet mit einer neuen Art von Glückseligkeit, die weit über das hinausging, was ein Jude fassen konnte. Und dies gehört zu den Vorrechten, in welche auch wir durch den Glauben an Christum gebracht worden sind. Dass die Bergpredigt und die darin niedergelegten Grundsätze vornehmlich oder gar ausschließlich für die Jünger jener Tage bestimmt gewesen seien und deshalb auf uns nicht angewandt werden könnten, ist eine ganz irrige Meinung. Im Gegenteil könnte man sagen, dass die Belehrung unseres Herrn in der Bergpredigt jetzt, wo Er Seinen Platz, im Himmel eingenommen hat, nur umso nachdrücklicher hervortritt; gerade so wie die Feindschaft des Menschen auf ihr volles Maß gestiegen ist. Es hat sich schon damals nicht nur um die Feindschaft der Welt gehandelt; nein, die Juden waren die bittersten Verfolger der Kinder Gottes. Und so zeigt uns auch das letzte Buch des Neuen Testamentes, dass diejenigen, welche den Namen „Juden“ tragen d. h. einen religiösen Namen ohne lebendige Wirklichkeit), bis zum Ende hin allem wahren Zeugnis von Christo auf der Erde am feindlichsten gegenüberstehen werden.
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Rückgang und Wiederherstellung
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 64ff
Es gibt drei große Feinde, welche beständig den Christen auf seinem Pfade bedrohen; sie heißen: Welt, Fleisch und Satan. In demselben Verhältnis, wie wir einem von ihnen nachgeben, entfernen wir uns von Gott. In der Geschichte des Petrus in Luk. 22 finden wir sie alle drei vereinigt. In den Versen 45 und 50 wird Petrus durch das Fleisch irregeleitet: da wo er hätte wachen sollen, schlief er, und da wo er keinen Widerstand hätte leisten sollen, zog er das Schwert. In den Versen 54 und 55 fehlt er aus Furcht vor der Welt: zuerst wagt er nur in weiter Ferne dem Herrn zu folgen, dann kommt er näher und macht Gemeinschaft mit den Feinden Jesu.
In den Versen 57, 58 und 60 endlich sehen wir ihn dreimal durch Satan verführt: er verleugnet Christum, er verflucht sich und schwört, und schließlich verleugnet er Ihn nochmals.
Man kann den Weg, welchen Petrus hier geht, schon in den Einleitungsworten des ersten Psalms beschrieben finden. Der Rat der Gesetzlosen oder die Einflüsterungen der fleischlichen Vernunft verleiteten Petrus zur Ziehung des Schwertes; das Stehen auf dem Wege der Sünder erblicken wir in seinem Stehen am Feuer, um sich zu wärmen, während das Sitzen auf dem Sitze der Spötter in Vers 55 gefunden wird.
Der Pfad eines Christen, der sich also von Gott entfernt, ist unendlich schmerzlich und kummervoll. Ja, ich möchte fast sagen, in der ganzen weiten Welt gibt es keinen Menschen, der sich so unglücklich fühlte wie ein Gläubiger, welcher sich von der Heiligkeit und der Freude am Gehorsam zu Pfaden der Selbstsucht und Sünde gewandt hat. Welch ein Unbefriedigtsein und welch eine Leere, statt Friede und Glück, erfüllen da das Herz! Die Seele hat ihre „erste Liebe« verlassen und die Freude am und im Herrn vertauscht mit der Gunst und den Vergnügungen der Welt.
„Zwiefach Böses hat mein Volk begangen“, klagt schon Gott im Alten Testament durch Seinen Knecht Jeremia; „mich, den Born lebendigen Wassers, haben sie verlassen, um sich Zisternen auszuhauen, geborstene Zisternen, die kein Wasser halten“ (Jer. 2, 13). Wie richtig bezeichnet Er sich selbst als „den Born leben digen Wassers“, die Quelle und den Ursprung jeglicher Segnung! Und welch eine ernste, aber so wahre Beschreibung der Erfahrungen einer Seele, die sich von Ihm abgewandt hat, liegt in dem Ausdruck: „geborstene Zisternen, die kein Wasser halten“!
Ach! wir müssen oft erst durch wahre Wogen der Trübsal zu der Erkenntnis gebracht werden, dass die Brunnen, zu denen wir uns gewandt haben, in Wahrheit geborsten sind, dass sie kein Wasser halten, dass als Ergebnis unserer Abkehr von Gott nichts anderes bleibt als eine schmerzende Leere im Innern und ein verstörtes, unbefriedigtes Herz, ein Seelenzustand, der in den unglücklichsten Stunden vor unserer Bekehrung nicht seines Gleichen findet. O wie oft verbirgt sich hinter einem lächelnden Antlitz, hinter manch heiterer Bemerkung ein schmerzendes Herz, das sich auf diese Weise über die Leere, welche die Entfernung von Gott ihm verursacht, hinwegzutäuschen sucht! Nicht eher wird ein solches Herz seine Ruhe wiederfinden, bis es dahin kommt, zu erkennen, dass die Liebe, mit welcher es geliebt wird, eine ewige Liebe ist, eine Liebe, die ihr Auge aus einen armen, gefallenen Petrus richten konnte; zwar mit einem stillen, schmerzerfüllten Blick, aber doch mit einem Ausdruck, der ihm völlige Vergebung ankündigte.
Mein lieber Leser, hast du dich von dem Herrn weg zur Welt und ihren Dingen zurückgewandt? Dann gilt auch dir das in Offbg. 2 an die Versammlung zu Ephesus gerichtete Wort: „Du hast deine erste Liebe verlassen“. Fühlst du nicht selbst, wie wahr diese Worte sind? Erinnerst du dich nicht mit blutendem Herzen der einst verlebten schönen und herrlichen Stunden, jener Zeit, wo die Bibel dein liebstes Buch und die Versammlungsstätte der Gläubigen dein liebster Aufenthaltsort war? wo du glücklich warst im Dienste für deinen Herrn? Wohl magst du dich auch jetzt noch ein Eigentum des Herrn nennen und auch dann und wann aus alter Gewohnheit Sein Wort lesen; aber in all der Zeit hörst du Seine Stimme: „Du hast deine erste Liebe verlassen“. Mehr und mehr ziehst du dich von den Dingen, die du einst liebtest, zurück und wendest dich wieder denen zu, die du damals, bei deiner Bekehrung, um Christi willen aufgegeben hast.
Vielleicht nimmt Unnützes und gefährliches Romanlesen dir Herz und Sinn gefangen und raubt dir einen großen Teil deiner Zeit; oder die Vergnügungen dieser Welt binden dich mit immer stärkeren Fesseln; oder der Drang, es zu etwas zu bringen, die Sucht nach Stellung und Ehre unter den Menschen hat dich ergriffen und dein Herz von der Einfalt gegen Christum abgewandt. Mannigfaltig sind die Abwege, auf welche ein Christ geraten kann. Aber ist er glücklich dabei? Du gibst dir vielleicht alle Mühe, es zu sein; aber es ist umsonst. Du beneidest die geistlich Toten um dich her wegen ihrer Sorglosigkeit. Sie fühlen keine Gewissensbisse; die Vergnügungen der Welt, wenngleich sie ihre Herzen nicht glücklich zu machen vermögen, enthalten für sie doch nicht den verborgenen Stachel, den sie für dich haben. Es find unbekehrte Menschen, die den Herrn, von welchem du dich abgewandt hast, nie gekannt und geliebt haben. Die Stimme des Gewissens ruft ihnen nicht unaufhörlich zu: „Du tust unrecht. Du sündigst wider das Licht, das du empfangen hast, und betrübst den Herrn, der dich so unaussprechlich liebt.“
O möchten wir auf der Hut sein, dass wir nicht in Satans Netze verstrickt werden, wie so manche, die einst mit uns glücklich im Herrn waren! Stete Wachsamkeit tut dazu not. „Wachet und betet!“ sagt der Herr. „Seid nun besonnen und seid nüchtern zum Gebet!“ mahnt der Apostel Petrus. Die Anfänge geistlichen Rückgangs sind oft sehr geringfügig, kaum wahrnehmbar. Man beginnt nicht damit, dass man die Bibel für irgend ein schlechtes Buch dahingibt; auch nicht damit, dass man die Versammlung mit dem Theater und dem Konzertsaal vertauscht. Nein, der Anfang ist ein allmählich es Vernachlässigen des Gebets und des Lesens des Wortes. Das Herz wird kälter, das Interesse an göttlichen Dingen nimmt ab, und der Teufel benutzt dies, um der Seele zuzuflüstern: „Gib doch die vergeblichen Bemühungen, fromm zu sein, auf. Eine bloße Form hat keinen Wert. Warte lieber, bis dein Herz wieder warm geworden ist.“
Er weiß sehr wohl, der listige Verführer, dass er damit das lau gewordene Herz ganz sicher vor Erwärmung und Erleuchtung verschließt. Nimmt so die Gleichgültigkeit dem Worte Gottes und dem Gebet gegenüber zu, so geht’s bald mit Riesenschritten bergab. Darum „habet acht auf euch selbst!“ und: „Richtet euer Herz auf eure Wege!“ Der Herr erhalte uns nüchtern und treu und helfe uns, die Bahn unseres Fußes zu ebnen und alle unsere Wege zu richten (Spr. 4, 26)!
Lasst mich im Nachstehenden noch kurz erzählen, wie einst eine Seele, die auch weit abgeirrt war, durch Gottes Gnade wiederhergestellt wurde. Vielleicht hilft ihre Geschichte der einen oder anderen Seele, die in ähnlicher Weise gebunden ist, wie sie es war.
Ein Knecht des Herrn, der in einer gewissen Stadt das Evangelium verkündigte, wurde gebeten, eine Frau zu besuchen, die einst bekannt hatte, ein Kind Gottes zu sein, dann aber völlig zurückgegangen war. Er fand bei seinem Besuch, dass die Welt und ihre Dinge ganz und gar die Liebe zu Gott aus ihrem Herzen verdrängt hatten. Eine traurige Änderung! Liebevoll wies er sie auf die ernste, im Briefe des Jakobus ausgesprochene Wahrheit hin, dass alle, welche Freunde der Welt sein wollen, sich als Feinde Gottes darstellen, und führte aus, wie schrecklich es doch sei, „Feindschaft wider Gott“ zu offenbaren. „Die Seele, welche die Welt liebt“, sagte er unter anderem, „nimmt nach dem Worte Gottes eine Stellung offener und entschiedener Feindschaft gegen den lebendigen Gott ein. Welch eine Stellung für einen armen Erdenwurm, und dies ganz besonders nach all der Liebe, die Sie erfahren haben!“
Doch die Worte des treuen Mannes schienen keinen Eindruck auf seine Zuhörerin zu machen. Endlich verließ er sie und schrieb ihr am nächsten Tage einen längeren Brief, worin er sie noch einmal auf ihren traurigen Zustand und auf die Folgen ihres Weges aufmerksam machte und sie dringend bat, doch umzukehren.
Auf dieses Schreiben empfing er einige Tage später folgende Antwort:
„Lieber Herr —! Ihren freundlichen Brief habe ich erhalten und danke Ihnen vielmals dafür. Ich glaube alles, was Sie über die ewigen Dinge sagen, und wünschte, von Herzensgrund sagen zu können, dass ich willens wäre, als der Welt gestorben zu leben. Aber das kann ich nicht. Ich möchte ein Kind Gottes und zu gleicher Zeit ein Freund der Welt sein.
Beides aber geht nicht zusammen. Ich bin (ich erkenne es vollkommen an) von dem Bösen gefangen geführt worden, wie Sie in Ihrem Briefe sagen, und es kommt mir vor, als ob ich gänzlich in seine Gewalt geraten sei; denn trotz aller entgegengesetzten Versuche scheine ich Gott immer mehr entfremdet zu werden. Ich habe in der Tat die Erfahrung gemacht, dass „es schlimm und bitter ist, Gott zu verlassen“, wie Jeremia sagt. Aber ich kann nicht zurück.
Meine Freundinnen und Bekannten haben mich ernstlich gewarnt und tun es noch, aber ich fürchte, sie werden mich bald aufgeben.
Ich will jetzt schließen, indem ich Ihnen nochmals für Ihr freundliches Interesse an mir danke“.
Ehe wir weitergehen, möchte ich auf einen Punkt aufmerksam machen, der von manchen Gläubigen über- sehen wird. Es gibt im täglichen Leben des Christen Verfehlungen oder Verunreinigungen, die eine Folge des Zustandes sind, in welchem wir uns befinden, so lange wir hienieden pilgern. Nicht als ob wir irgend eine Entschuldigung hätten, wenn wir uns in Gedanke, Wort oder Tat verunreinigt haben; keineswegs, aber diese Befleckungen oder Verunreinigungen sind möglich, und wir bedürfen im Blick auf sie der täglichen Waschung, der Reinigung unserer Füße. Ohne diese könnten wir kein Teil mit Jesu haben (Joh. 13). Aber die Sache, mit welcher wir uns jetzt beschäftigen, ist nicht Befleckung, sondern Rückgang, und zur Heilung dieses Schadens ist nicht nur Reinigung, sondern eine tiefe, wahre Wiederherstellung, eine gründliche Umkehr nötig.
Für den Israeliten unter dem Gesetz, bedeutete die bloß versehentliche Berührung einer Leiche Verunreinigung, und so wirkt für uns jede geistige Berührung mit der Welt und dem Bösen in ihr verunreinigend. Hierbei gibt es aber, wie gesagt, für uns keine Entschuldigung. Denn wir sind berufen, „uns von der Welt unbefleckt zu erhalten“. Wenn wir uns daher aus Unachtsamkeit oder Gleichgültigkeit beflecken, so haben wir nur uns selbst dafür zu tadeln. Diese Befleckungen sind indes etwas anderes als jenes allmähliche Sich entfernen von dem lebendigen Gott, jener geistliche Rückgang, von dem wir reden. Immerhin sind sie ein Hindernis für die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne und können deshalb, wenn sie nicht ernstlich bekannt und gerichtet werden, leicht zu einem wirklichen Rückgang führen.
Solange eine Seele in Gemeinschaft mit Christo bleibt, ist kein Rückgang möglich. Die Gemeinschaft, welche durch das Wort und durch das Gebet aufrecht gehalten wird, muss aufgehört haben oder doch ernstlich gestört sein, ehe der Rückgang einsetzen kann. Wiederherstellung oder Umkehr ist also nichts anderes als das Zurückkehren in die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne. Aber welch eine lange Zeit nimmt diese Rückkehr häufig in Anspruch! Hüten wir uns deshalb vor jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes, vor jeder Berührung mit dem Bösen! Und sollten wir unsere Füße in irgend einer Weise verunreinigt haben, entziehen wir sie dann nicht der Waschung durch das Wort von Seiten Christi! Als „Knecht auf ewig“ (vergl. 2. Mose 21, 6), welcher Sein Weib (die Gläubigen in ihrer Gesamtheit, Eph. 5) und die Kinder, die Gott Ihm gegeben hat (die einzelnen Gläubigen, Hebr. 2), liebt, reinigt Er uns durch die Waschung mit Wasser durch das Wort, wie wir es in der lieblichen Szene in Joh. 13 sehen.
Das neu beginnende Werk der Wiederherstellung einer Seele ist indes nicht das Erste, was der Herr für sie tut. Diesem Werke geht ein anderer Dienst voraus. Wie aus Offbg. 12, 10 und anderen Schriftstellen her-vorgeht, hat Satan Zugang zu den äußeren Höfen der Gegenwart Gottes, und seine gehässige Tätigkeit besteht darin, uns Tag und Nacht bei Gott zu verklagen. Aber Gott sei gepriesen! es steht auch geschrieben: „Wenn jemand gesündigt hat — wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten“. Er ist dort, um jeder Anklage zu begegnen und unsere Sache zu vertreten.
Sein Dienst als Sachwalter mag Seinem Werke der Wiederherstellung in der Seele, die zu dem Bekenntnis gemäß 1. Joh. 1, 9 führt, lange vorausgehen. Das Eine tut Er für uns im Himmel, das andere wirkt Er in uns hienieden, indem Er uns zu wahrem Selbstgericht leitet. Jede wahre Wiederherstellung ist deshalb auch von zwei Dingen begleitet, von einem tieferen Abscheu vor der Sünde und allem, was der Gemeinschaft mit Christo hindernd im Wege steht, und von einem tieferen Gefühl Seiner unveränderlichen Liebe.
So war es auch bei jener Frau, von welcher wir weiter oben hörten. Ihrem ersten Briefe ließ sie mehrere andere folgen, welche das fortschreitende Werk in ihrem Innern klar erkennen lassen. Der zweite lautete:
Lieber Herr —! Sie haben jedenfalls gedacht, Sie würden auf Ihr letztes Schreiben überhaupt keine Antwort erhalten. Aber ich konnte nicht eher schreiben, weil Sie ja die Antwort von mir wünschten, dass ich frei sei.
Nun, dem Gott, welchem es gefallen hat, „Seinen Sohn in mir zu offenbaren, sei Lob und Dank! ich bin frei! Satan hatte mich zwar fest in der Gewalt, aber der Herr Jesus hat sich stärker erwiesen als er. Ewig werde ich Gott dankbar sein, dass Er mir Sie zugesandt hat. Ihre Worte verfolgten mich, wohin ich ging. Beständig klang es mir in den Ohren: „Du bist eine Feindin Gottes«. In diesem Zustande schrieb ich Ihnen meinen ersten Brief. Sie antworteten ganz richtig, dass ich am verkehrten Ende anfange. Ich geriet in große Sorge betreffs meiner Seele; dabei hatte ich Angst und Furcht vor Gott. Ich erblickte in Ihm keine Liebe zu mir. Ich konnte nur an Ihn denken als den gerechten Gott, der die Sünde hasst. In diesem Zustand verblieb ich längere Zeit, bis ich endlich wieder Ihren Brief zur Hand nahm und nochmals durchlas. Mein Auge blieb jetzt an der Stelle haften, wo Sie von dem Vater-herzen sprechen, das nach der Umkehr des Abgewichenen verlangt.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und heute kann ich mich wieder in Gott, meinem Heilande, erfreuen. . . .
Dieser Brief wurde kurz beantwortet. Ein halbes Jahr später lief folgendes Schreiben ein: - Lieber Herr —-—! Wie unsagbar herrlich wird es sein, unseren Herrn Jesum von Angesicht zu Angesicht zu schauen! Seit einigen Tagen habe ich mich viel beschäftigen müssen mit der wachsamen Sorge Gottes für Seine schwachen Kinder.
Er kannte die verwirrten Gedanken, die mein Herz erfüllten betreffs meiner Stellung vor Ihm. Aber Er hat mich in einer Versammlung von Gläubigen Worte hören lassen, die meinem Bedürfnis völlig entsprachen.
Ich kann die Ruhe und den Frieden nicht beschreiben, die ich genieße, seitdem ich geglaubt habe, was ich in Gottes Augen bin. Welch wunderbare Wahrheit, dass ich jetzt vor Gott in Christo Jesu lebe! Wenn ich daran denke, was der Herr für mich getan hat, dass Er, während meine Gedanken Feindschaft und Aufruhr wider Ihn waren, nichts als Liebe, endlose, in alle Ewigkeit währende Liebe, für mich hatte, o dann kann ich nicht anders als mein ganzes Vertrauen auf diesen Gott der Liebe setzen.
(Acht Jahre später)
Teurer Bruder im Herrn! Verzeihen Sie mir, dass ich Sie so lange auf Antwort habe warten lassen.. . . Ich kann keine Worte finden, um die wunderbare Gnade zu preisen, die mich in all den Jahren auf dem Wege erhalten hat, und die mich, wenigstens in gewissem Maße, den Wert „des Hochgelobten hat erkennen lassen, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat . . .
Diese Auszüge zeigen klar, wie die Gnade Gottes nicht nur wiederherzustellen, sondern auch zu bewahren und weiterzuführen vermag· Sollten diese Blätter jemandem in die Hände fallen, der sich auch einst zu Christo bekannte, dann aber seine eigenen Wege ging, dessen Herz nun kalt und hart geworden, ja, scheinbar erstorben ist — ich sage scheinbar erstorben, denn beim Lesen der obigen Zeilen sind gewiss Gefühle besonderer Art in ihm wach geworden, ein Sehnen zurück zu Christo, von dem er sich weiter und weiter entfernt hat, so dass die Entfernung, die ihn von Christo trennt, so groß geworden ist, dass ihm eine Rückkehr unmöglich erscheint — o sollte es so mit dir stehen, mein lieber Leser, dann gib die Hoffnung nicht auf, aber zögere auch nicht länger, dem Zuge der göttlichen Liebe zu folgen! Du kannst heute, in diesem Augenblick, wiederhergestellt werden. Nichts anderes ist nötig, als dass du dich von deinem verkehrten Wege zum Vater zurückwendest und Ihm alles, was du getan hast, rückhaltlos bekennst. Er wird dich mit Seiner Antwort nicht Wochen oder Monate oder gar Jahre lang warten lassen. Nein, wenn du ein wahres, aufrichtiges Bekenntnis ablegst, so ist Er treu und gerecht, dir zu vergeben und dich von aller Ungerechtigkeit zu reinigen.
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Das Evangelium der Herrlichkeit
Bibelstelle: 2. Korinther 3 -5
Botschafter des Heils 1909 S. 75ff
Der Apostel fügt jetzt ein sehr ernstes Wort hinzu, indem er sagt: „So wir anders, wenn wir auch bekleidet (d. h. noch in diesem Leibe) sind, nicht nackt erfunden werden". Es gab wohl damals schon solche unter den Gläubigen, die nur dem Namen nach Gläubige waren. Am Ende seines ersten Briefes an die Korinther spricht der Apostel einen Fluch aus über alle, die den Herrn Jesum Christum nicht lieb hätten. Daraus scheint hervorzugehen, dass es in der Mitte jener Versammlung solche gab, deren Herzen nicht wirklich erneuert waren; an solche bloßen Bekenner denkt er ohne Zweifel auch hier. Und wenn wir fragen: Wie ist es heute in der christlichen Kirche? so lautet die Antwort noch ernster. Wir wissen alle, dass nicht nur einige, sondern die große Mehrzahl nur dem Namen nach Christen sind.
Doch fassen wir die Frage enger, persönlicher: Wenn Jesus heute oder morgen kommt und wir noch bekleidet, d. h. also in diesem Leibe sind, wie wird Er uns, wie wird Er dich finden? Du trägst auch den Namen Christi. Wird Er dich nackt finden, entblößt von dem Leben aus Gott, von diesem herrlichen Leben, das in dem Evangelium dir gebracht wird? Oder könntest du Ihm jubelnd entgegengehen? Würde Er in dir jemanden finden, der auf Ihn gewartet hat? Gott gebe, dass ein jeder von uns diese Frage sich ehrlich im Lichte Gottes beantworte! –
Die Wirkung des Evangeliums der Herrlichkeit im Blick auf den Tod ist also, wie wir vorhin gesehen haben, überaus groß.
Der Tod ist zunichte gemacht, seine Gewalt ist gebrochen. Bei der Ankunft Christi wird sogar das Sterbliche von dem Leben verschlungen werden. Und nun fährt der Apostel fort: „Der uns aber eben hierzu bereitet hat, ist Gott, der uns auch das Unterpfand des Geistes gegeben hat" (V. 5). Nichts ist aus uns - immer wieder dieselbe ernste und kostbare Wahrheit! Der uns hierzu bereitet hat, ist Gott. Und um uns eine Bürgschaft zu geben, dass Er Sein Wort halten, Seine Verheißung einlösen wird, hat Er uns den Heiligen Geist gegeben. Der Geist Gottes wohnt jetzt in dem Gläubigen. Aus der Welt herausgenommen, errettet, erlöst, auf den Weg zur Herrlichkeit gestellt, so ist der Christ ein Tempel des Heiligen Geistes, des anderen Trösters oder Sachwalters, Der bei uns bleiben wird in Ewigkeit - des göttlichen Boten, Welchen Gott auf die Erde gesandt hat, um die Braut für den Sohn zu sammeln. „Wenn aber der Geist Dessen, der Jesum aus den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christum auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen, wegen seines in euch wohnenden Geistes" (Vergl. Römer 8,11). Wie wäre es möglich, dass ein Tempel des Heiligen Geistes, und ist es auch nur das irdene Gefäß, das wir an uns tragen, der Verwesung anheimgegeben bleiben könnte? Unmöglich! Nein, diese Hütte wird verherrlicht dargestellt werden, wir werden Ihm gleich sein, Den unsere Seele liebt.
Darum „sind wir allezeit gutes Mutes und wissen, dass, während einheimisch in dem Leibe, wir von dem Herrn ausheimisch sind; (denn wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen;) wir sind aber gutes Mutes und möchten lieber ausheimisch von dem Leibe, und einheimisch bei dem Herrn sein. Deshalb beeifern wir uns auch, ob einheimisch oder ausheimisch, ihm wohlgefällig zu sein" (V. 6 - 9). Wie könnte es anders sein? Wir sind, so lange wir in diesem Leibe wallen, noch ausheimisch von dem Herrn, noch nicht bei Ihm. Wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen; die herrlichen Güter, welche im Glauben unser Teil sind, besitzen wir in Wirklichkeit noch nicht.
Sie liegen für uns bereit, aber wir besitzen sie nur im Glauben. Deshalb möchten wir lieber ausheimisch von dem Leibe und einheimisch bei dem Herrn sein. Und weil das so ist, weil das herrliche Endziel uns allezeit vor Augen steht, beeifern wir uns, Ihm zu gefallen. Wir wünschen so von Ihm gefunden zu werden, wie Er uns finden möchte. Diese Dinge sind innig miteinander verbunden, das eine geht aus dem anderen von selbst hervor. Wo ein Herz ist, das Jesum liebt und Ihn erwartet, da ist auch ein Herz, das Ihm wohlzugefallen wünscht.
In Verbindung damit geht der Apostel auf einen zweiten, ernsten Punkt ein, mit dem ich unsere heutige Betrachtung schließen möchte. Es ist das Gericht. Wir haben uns im Anfang gesagt, dass der Apostel hier die Wirkung des Evangeliums der Herrlichkeit auf die beiden ernsten Folgen der Sünde: Tod und Gericht, behandle. Dass der Tod seinen Charakter für den Glauben völlig verändert hat, haben wir gesehen. Doch wie steht es mit dem Gericht? Hören wir, was der Apostel sagt: „Denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden, auf dass ein jeder empfange, was er in dem Leibe getan, nach dem er gehandelt hat, es sei gut oder böse".
Was antwortest du darauf? Sagst du: Wenn das wahr ist, wenn ich vor dem Richterstuhl Christi stehen muss, um dort zu empfangen, was ich in dem Leibe getan habe, dann wehe mir!? Wenn du so redest, dann hast du entweder Jesum noch nicht als deinen Heiland erkannt, oder du verstehst nicht, was Er dir gebracht hat. Der natürliche Mensch muss freilich so reden. Der Tod, und danach das Gericht, das ist das furchtbare Teil des unbekehrten Menschen. Aber ist es auch so für den Glaubenden? Nein. Beachten wir zunächst, dass nicht da steht: Wir müssen alle gerichtet werden, sondern: Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl des Christus. Das ist ein sehr wichtiger Unterschied. Der Ungläubige wird dort gerichtet werden, der Glaubende wird offenbar werden. Warum wird er nicht gerichtet? Weil ein Anderer, und zwar ein Gerechter und Heiliger, an seiner Statt gerichtet worden ist und er nun nicht mehr ins Gericht kommen kann (Vergl. Johannes 5,24). Derselbe Jesus, Der jetzt zur Rechten Gottes sitzt, stand einst für ihn unter dem Gericht Gottes. Und derselbe Jesus, sein Jesus, wird als Richter auf jenem Richterstuhl sitzen, während der vor demselben stehende Gläubige dem Richter gleichgestaltet ist.
Immer wieder müssen wir ausrufen: Welch ein wunderbares Evangelium! Wir werden von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, von Höhe zu Höhe geführt. Wie der Tod, so hat auch das Gericht, das Erscheinen vor dem Richterstuhl Christi, für den Glaubenden seinen Charakter völlig verändert. Dort wird es sich zeigen, dass er dem Richter gleich ist, und dieser Richter ist der Sohn Gottes, Der ihn geliebt und Sich Selbst für ihn hingegeben hat. Was kann ein Richter an einem Menschen etwas zu tadeln oder zu richten finden, der ihm gleich ist? Nichts, nicht wahr? Wie kostbar ist das für den Gläubigen!
Indes möchte eingewendet werden: Wenn das so ist, dann kann der Gläubige ja tun und lassen, was er will. Nein, und nochmals nein! Wie schrecklich wäre eine solche Gesinnung schon der Liebe gegenüber, die ihr Alles für den feindlichen Sünder dahingegeben hat, und die durch eine derartige Gleichgültigkeit aufs tiefste verwundet werden würde! Das würde wirklich heißen: die Freiheit zum Deckmantel der Bosheit gebrauchen und auf Gnade hin sündigen. Aber abgesehen davon dürfen wir nicht vergessen, dass wir alle dort geoffenbart werden müssen.
Du wirst freilich dort stehen als einer, für den in Christo Jesu jedes Gericht vorübergegangen ist, aber auch als einer, dessen Tun und Lassen, und vor allem als Christ, im Lichte des Richterstuhls gesehen werden wird, als ein Knecht, mit welchem sein Herr abrechnet, und der nun gemäß seiner Treue oder Untreue seinen Lohn empfangen wird. Wenn es sich um den Sünder und sein Erscheinen vor dem Richterstuhl handelt, so ist der Lohn schrecklich. Wird ein Mensch nach seinen Werken gerichtet, so ist der zweite Tod, die ewige Verdammnis, sein Lohn. Wird aber ein Knecht Jesu dort geoffenbart, so wird ein gnädiger, barmherziger, reicher und zugleich ein gerechter und heiliger Herr den Lohn auszahlen, und zwar einem jeden nach seiner Arbeit - nicht nach seinen Gaben oder Fähigkeiten, sondern nach seiner Arbeit und Treue.
Der Gedanke an den Richterstuhl ist darum für jeden Glaubenden tiefernst. Kein Gericht wird mehr stattfinden, wohl aber ein ernstes Offenbarwerden vor den Augen des geliebten, teuren Herrn, Der alles gesehen hat, alles weiß und alles beurteilt nach Seiner untrüglichen Heiligkeit und Gerechtigkeit. Das ist, wie gesagt, ernst. Dennoch beschäftigt sich ein Christ, der in Einfalt und Treue vor seinem Gott wandelt, sehr gern mit dem Richterstuhl; es ist, ich möchte fast sagen, sein liebster Gedanke. Vielleicht begreifst du das nicht. Aber überlege einen Augenblick. Ein treuer Verwalter, der seinen Herrn liebt, weil er ein gütiger und gerechter Mann ist, und der nun, während dessen Abwesenheit, seine ganze Kraft in den Dienst seines Herrn stellt, freut sich königlich auf den Augenblick, wo er die Verwaltung wieder in die Hände seines Herrn legen darf. Er weiß wohl, dass er nicht vollkommen ist, dass er im Gegenteil manchen Fehler gemacht hat; er weiß, dass vieles sich zeigen wird, was keinen Lohn und keine Anerkennung verdient. Aber er weiß auch: der Herr, Der ihn beurteilen wird, ist sein Herr, an Dem er hängt und Der ihn liebt, Der gnädig, gütig und gerecht ist; und er freut sich darauf, dass alles so ans Licht kommen, so von ihm gesehen werden wird, wie es wirklich ist.
Zwei Menschen, die sich aufrichtig lieben, zwei Freunde z. B. oder zwei Ehegatten, sind nur dann wirklich innig miteinander verbunden, genießen nur dann ganz das Glück ihres Verhältnisses, wenn nicht der geringste Schatten zwischen ihren Herzen liegt. So sind auch jetzt schon unsere Herzen nur dann innig mit Jesu verbunden, wenn nichts zwischen uns und Ihm liegt. Je wolkenloser und klarer der Himmel der Gemeinschaft ist, desto glücklicher ist das Herz. Nun, heute ist all unser Verstehen Stückwerk, auch im Blick auf das Erkennen und Verurteilen der Sünde ist alles unvollkommen. Manches bleibt uns sogar ganz verborgen. Doch ein Augenblick kommt, wo dieses Verstehen vollkommen sein wird, und dann werden wir, in dem tiefen, seligen Erkennen, dass alles, was ewig, göttlich, geworden ist, in einer Innigkeit und Nähe mit unserem geliebten Herrn verkehren können, wie wir es auf dieser Erde nie vermochten. Die Gemeinschaft wird eine Tiefe annehmen, wie sie hienieden unmöglich war. Zugleich werden wir sehen, wie der Herr den geringen Dienst überreich belohnt, die kleine Treue in überströmender Gnade anerkennt. Freilich wird andererseits auch manches, was wir heute als groß ansehen, in jenem Lichte als klein und belanglos erscheinen, ja, vielleicht gar als völlig wertlos erfunden werden.
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Gott hat es getan
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 82ff
Ich hörte einst von einem ganz kleinen Knaben, der seiner Mutter auf deren Frage eine sehr bemerkenswerte und für das Alter des Kindes geradezu erstaunliche Antwort gab. Der Kleine hatte ein Lied singen hören, in welchem der Vers vorkam: „Ich lege meine Sünden auf Jesum“. Im Beisein seiner Mutter wiederholte er mehrmals diese Worte, so dass die Mutter schließlich aufmerksam wurde und ihn fragte: „Hast du auch schon deine Sünden auf Jesum gelegt, mein Kind?“
„Nein“, entgegnete der Kleine nachdrücklich und bestimmt; „ich habe meine Sünden nicht auf Jesum gelegt, aber Gott hat es getan.“
Enthält nicht diese Antwort aus dem Munde eines solch kleinen Knaben eine wichtige Lehre für manchen älteren Christen? Es ist ein großer Unterschied, ob ich meine Sünden auf Jesum lege, oder ob Gott es getan hat. Der kleine Theodor sprach in vollkommener Übereinstimmung mit dem sechsten Verse des 53. Kapitels des Propheten Jesaja: „Jehova hat Ihn treffen lassen unser aller Ungerechtigkeit“; oder mit dem Schlusse von 2. Kor. I-, wo der Apostel sagt, dass Gott Christum „für uns zur Sünde gemacht hat, auf dass wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm“.
Das ist ein Punkt von der größten Wichtigkeit, von unschätzbarem Werte. Er stellt Gott in einer außerordentlich gesegneten Weise vor unsere Seele. Gott hat nicht nur Seinen eingeborenen Sohn für uns dahingegeben, sondern Er hat Ihn am Fluchholze für uns zerschlagen, indem Er von Ihm forderte was wir verschuldet hatten. „Jehova gefiel es, Ihn zu zerschlagen.“
Ja, der kleine Theodor hatte recht: „Gott hat es getan“; Sein heiliger Name sei dafür gepriesen! Er wusste, was nötig war, und Er hat Sorge dafür getragen.
Er ist allen Anforderungen Seiner eigenen Gerechtigkeit begegnet. Er wusste, was getan werden musste, und Er hat es getan. Das ist die einzig wahre Grundlage unseres Friedens. Es genügt nicht, sagen zu können: „Ich lege meine Sünden auf Jesum“. In einem gewissen Sinne ist das ja vielleicht wahr. Aber wir kennen nicht den zehntausendsten Teil unserer Sünden. Unser Gewissen hat nie die ganze Größe unserer Verantwortlichkeit, die unergründliche Tiefe unseres Verderbens oder den unermesslichen Umfang unserer Schuld erfasst. Gottes Urteil über die Sünde ist sehr verschieden von dem unsrigen. Es gibt Tausende von Sünden, die uns nie zum Bewusstsein gekommen, und wiederum Tausende, die unserem Gedächtnis längst entschwunden sind. Was ist mit diesen? Was ferner mit der Quelle und Wurzel aller Sünden überhaupt? Wie können die Ansprüche des erhabenen Thrones Gottes, die Forderungen Seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit befriedigt werden? Liegt es nicht klar auf der Hand, dass eine vor Gott aufgewachte Seele niemals dauernden Frieden finden kann, so lange sie nicht die Fülle und Kraft jenes kurzen Satzes: „Gott hat es getan“, erfasst hat? Eine solche Seele muss wissen, dass Gott selbst die ganze Sache in die Hand genommen und sie in einer Weise geordnet hat, dass Er in Zeit und Ewigkeit dadurch verherrlicht wird. Sie muss im Glauben erkennen, dass Er in dem Opfer Christi „eine Sühnung gefunden“ hat und im Blick auf die Sünde vollkommen verherrlicht worden ist.
Mein lieber Leser, was sagst du zu der Antwort des kleinen Theodor? Hättest du auch so reden können? Das liebe Kind wurde schon bald nachher von dieser Erde abgerufen; aber es wusste und bezeugte laut, dass es zu Jesu gehe. Wie ist es mit dir? Bist du bereit? Du bekennst wohl auch, an das vollbrachte Erlösungswerk Jesu Christi zu glauben; aber bist du in deinem Herzen überzeugt, dass Gott dir in ihm eine vollkommene Gerechtigkeit erwirkt hat, in welcher du allezeit vor Ihm bestehen kannst? Weißt du, dass Gott betreffs deiner Sünden befriedigt ist, ja, dass Er selbst sie alle auf Jesum gelegt hat, auf Ihn, der sie getragen hat und dann ohne sie in den Himmel hinaufgestiegen ist? Ich wiederhole, das ist die einzig wahre Grundlage des Friedens. Eine andere gibt es nicht. ,Euch, die ihr einst entfremdet und Feinde wart nach der Gesinnung in den bösen Werken, hat Er aber nun versöhnt“ (Kol. 1, 21). Ja, es bleibt dabei: „Gott hat es getan“·
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Das Reich der Himmel
Bibelstelle: Matthäus 5 – 7
Botschafter des Heils 1909 S. 85ff
In dem nun folgenden Abschnitt unseres Kapitels kommen wir zu einem sehr wichtigen Gegenstand. Wenn es eine solch neue, überraschende und den Gedanken Israels nach dem Fleische so fremde Art von Glückseligkeit gab, in welcher Beziehung stand dann Christi Lehre und der neue Zustand der Dinge, der eingeführt werden sollte, zum Gesetz? Wenn der Messias von Gott kam, war es mit dem Gesetz nicht gerade so gewesen? Freilich, es war durch Moses gegeben worden; aber es entstammte doch derselben göttlichen Quelle. Wenn Christus etwas brachte, das selbst von den Jüngern so wenig erwartet und verstanden wurde, in welcher Beziehung stand dann diese Wahrheit zu dem, was sie vormals durch Gottes inspirierte Knechte empfangen hatten und wofür sie Seine eigene Autorität besaßen? Ein Schwächen der Autorität des Gesetzes ist gleichbedeutend mit der Zerstörung der Grundlage, auf welcher das Evangelium ruht; denn das Gesetz ist ebenso gut von Gott wie das Evangelium.
Aus diesen Erwägungen entstand eine sehr wichtige Frage, besonders für einen Israeliten. Wie verhielt sich das Reich der Himmel und die daraus bezügliche Lehre Christi zu den Vorschriften des Gesetzes? Der Herr leitet diesen Gegenstand (vom 17. Verse bis zum Ende des Kapitels handelt es sich um diese Frage) mit den Worten ein: „Wähnet nicht, dass ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen“.
Dieser Gedanke konnte durch den Umstand hervorgerufen werden, dass Christus etwas Neues brachte, welches weder im Gesetz noch in den Propheten erwähnt war. Aber der Herr war nicht gekommen, „das Gesetz, oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen«. Nehmen wir dieses Wort „erfüllen“ in seinem weitesten Sinne. In Seiner eigenen Person erfüllte der Herr das Gesetz und die Propheten, in Seinem eigenen Verhalten, in gerechter Unterwürfigkeit und in Gehorsam. Sein Leben hienieden stellte die Schönheit des Gesetzes zum ersten Mal ohne Makel zur Schau. Sein Kreuzestod war zugleich die feierlichste Bekräftigung, welche das Gesetz je empfangen hat oder empfangen konnte, weil der von ihm über den Schuldigen ausgesprochene Fluch dort von dem Heiland selbst getragen wurde. Lieber wollte Christus sich allem, auch dem Schwersten, unterziehen, als dass Gott verunehrt worden wäre.
Doch abgesehen davon lassen die Worte unseres Herrn, denke ich, noch eine weitere Anwendung zu. Wir stehen hier vor einer Ausdehnung des Gesetzes, indem seinem sittlichen Element der weiteste Spielraum gegeben wird: alles was in ihm zum Ruhme Gottes war, sollte in seiner vollsten Kraft und Ausdehnung ans Licht gebracht werden. Das Licht des Himmels ergoss sich jetzt gleichsam über das Gesetz, und es wurde nicht etwa durch schwache, fehlende Menschen ausgelegt, sondern durch Einen, der keinen Grund hatte, einem Jota seiner Forderungen auszuweichen; dessen Herz, voll von Liebe, nur an die Ehre und den Willen Gottes dachte, dessen Eifer für Seines Vaters Haus Ihn verzehrte. Wer konnte das Gesetz, auslegen wie Er, d. i. nicht wie die Schriftgelehrten, sondern in dem himmlischen Lichte? Denn das Gebot Gottes ist tatsächlich von außerordentlicher Weite, sei es dass wir auf das Ende aller Vollkommenheit im Menschen oder auf ihre Vollendung in Christo blicken.
Weit davon entfernt, das Gesetz aufzuheben, hat der Herr es im Gegenteil klarer erläutert, als es je geschehen war, und hat ihm eine geistliche Anwendung gegeben, welche der Mensch durchaus nicht erwartet hatte. Und das ist es, wozu unser Herr in dem nun folgenden Teil Seiner wunderbaren Rede übergeht. Nachdem Er gesagt hat: „Bis dass der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Strichlein von dem Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist“, fährt Er fort: „Wer irgend nun eines dieser geringsten Gebote auflöst und also die Menschen lehrt, wird der Geringste heißen im Reiche der Himmel; wer irgend aber sie tut und lehrt, dieser wird groß heißen im Reiche der Himmel. Denn ich sage euch: Wenn nicht eure Gerechtigkeit vorzüglicher ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen“ (V. 18 — 20).
Der Herr schickt sich an, die großen, sittlichen Grundsätze des Gesetzes zu erweitern in Gebote, die von Ihm selbst, nicht bloß von Mose, herrühren; dies sollte fortan die große Sache sein, wodurch die Menschen auf die Probe gestellt werden sollten. Hinfort sollte es sich nicht mehr einfach um die auf Sinai gegebenen zehn Gebote handeln; nein, indem der Herr deren vollen Wert anerkannte, wollte Er jetzt die Gedanken Gottes in einer viel tieferen Weise auslegen, als es je vorher geschehen war, und diese Seine Auslegung sollte fortan der große Prüfstein werden.
Er sagt deshalb im Blick auf die praktische Anwendung dieser von Ihm herrührenden Gebote: „Wenn nicht eure Gerechtigkeit vorzüglicher ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen«. Dieser Ausdruck hat nicht das Geringste mit Rechtfertigung zu tun, sondern bezieht sich auf die praktische Wertschätzung der richtigen Beziehungen des Gläubigen zu Gott und den Menschen, sowie auf das Wandeln darin. Die hier in Rede stehende Gerechtigkeit ist ganz und gar praktischer Art. Dies mag manchen auffallend erscheinen. Es mag ihnen schwer werden zu verstehen, wie praktische Gerechtigkeit zu dem Mittel gemacht wird, in das Reich der Himmel einzugehen. Aber ich wiederhole, die Bergpredigt zeigt uns nirgendwo, wie ein Sünder errettet werden muss. Wenn da, wo es sich um die Rechtfertigung eines Sünders handelt, ein noch so leiser Hinweis auf praktische Gerechtigkeit zu finden wäre, dann hätten wir Ursache, beunruhigt zu werden; doch für den Gläubigen, der den Willen Gottes versteht und ihm unterworfen ist, kann es keine Beunruhigung geben. Gott besteht auf Gottseligkeit bei Seinem Volke. „Ohne Heiligkeit wird niemand den Herrn schauen.“ Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass der Herr in Joh. 15 zeigt, dass die unfruchtbaren Reben abgeschnitten werden müssen; gerade so wie die verdorrten Reben des natürlichen Weinstocks ins Feuer geworfen und verbrannt werden, können auch fruchtleere Bekenner des Namens Christi kein besseres Teil erwarten.
Das Fruchttragen ist der Prüfstein für das Leben. Dies wird überall in der Schrift in den stärksten Ausdrücken festgestellt. Ja Joh. 5, 28 u. 29 heißt es: „Es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, Seine Stimme hören und hervorkommen werden: die das Gute getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber das Böse verübt haben, zur Auferstehung des Gerichts“. Es gibt offenbar keine Verschleierung der ernsten Wahrheit, dass Gott an Seinem Volke das, was gut, heilig und gerecht ist, sehen will und sehen muss. Diejenigen, welche sich nicht als Täter des in Gottes Augen Wohlgefälligen kennzeichnen, sind überhaupt nicht Sein Volk. Freilich, wenn man das einem Sünder vorstellen wollte als ein Mittel zur Versöhnung mit Gott oder zur Tilgung seiner Sünden vor Ihm, so würde man damit Christum und die durch Ihn bewirkte Erlösung leugnen.
Aber in der Tatsache, dass jedes Mittel, Gott nahe gebracht zu werden, nur in Christo gefunden wird, dass der einzige Weg, auf welchem ein Sünder des Segens in Christo teilhaftig werden kann, nur durch Glauben ist, ohne Gesetzes Werke — in dieser Tatsache liegt nichts Unverständliches, nichts Unvereinbares mit der anderen, dass derselbe Gott, der einer Seele schenkt, an Christum zu glauben, in dieser Seele durch den Heiligen Geist wirkt, um das in ihr hervorzubringen, was praktischerweise Ihm entspricht. Wofür gibt Er ihr das Leben Christi und den Heiligen Geist, wenn nur die Vergebung der Sünden erforderlich wäre? Damit ist Gott nicht befriedigt. Er teilt einer Seele das Leben Christi mit und schenkt ihr eine göttliche Person, dass sie in ihr wohne; und da der Geist nicht eine Quelle der Schwachheit oder der Furcht ist, sondern der Geist „der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“, so erwartet Gott ein entsprechendes Verhalten und die Offenbarung geistlicher Weisheit und geistlichen Urteils beim Durchschreiten des gegenwärtigen versuchungsreichen Schauplatzes.
Törichten Blickes schaute man damals an der Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer hinauf· Demgegenüber erklärt der Herr, dass diese Art von Gerechtigkeit nicht genüge. Eine Gerechtigkeit, die jeden Tag zu dem Tempel hinausgeht, die sich brüstet mit langen Gebeten, reichen Almosen und breiten Denkzetteln, kann in den Augen Gottes nicht bestehen. Da muss etwas Tieferes sein, etwas das mehr mit der heiligen und liebenden Natur Gottes in Übereinstimmung ist. Denn bei all jenem Schein äußerer Religion konnte (wie es tatsächlich im allgemeinen der Fall war) kein Sündengefühl und keine Kenntnis der Gnade Gottes vorhanden sein. Das beweist, wie überaus wichtig es ist, zunächst in unseren Gedanken über Gott richtig zu stehen; und das kann nur dadurch erreicht werden, dass wir das Zeugnis Gottes über Seinen Sohn annehmen. Jn dem Fall der Pharisäer haben wir sündige Menschen, die ihre Sünde leugnen und Gottes wahren Charakter als Gott der Gnade verdunkeln und leugnen. Diese Dinge, d. h. das Bekennen der Sünde und das Annehmen der Gnade, wurden von den äußerlich Religiösen verworfen, und ihre Gerechtigkeit war derart, wie man sie bei Leuten erwarten kann, die über sich selbst und über Gott in Unwissenheit sind.
Sie verschaffte ihnen Ansehen, aber das war auch alles. Diese Leute erwarteten ihre Belohnung in der Gegenwart, und sie hatten sie. Doch unser Herr sagt zu den Jüngern: „Wenn nicht eure Gerechtigkeit vorzüglicher ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen“.
Wie bringt nun Gott eine solche vorzüglichere Gerechtigkeit zustande in einer Seele, die jetzt glaubt? Es gibt ein großes Geheimnis, welches in dieser Rede nicht hervortritt. Zu aller nächst liegt eine schwere Schuldenlast auf dem Sünder. Was muss damit geschehen, und wie kann der Sünder für das Reich der Himmel passend gemacht und in dasselbe eingeführt werden? Er wird wiedergeboren; er bekommt eine neue Natur, ein Leben, das ebenso sehr der Ausfluss der Gnade Gottes ist wie das Tragen seiner Sünden aus dem Kreuze. Hier ist die Grundlage der praktischen Gerechtigkeit. Der wahre Anfang von allem sittlich Guten in einem Sünder ist, wie schon oft bemerkt wurde und immer wiederholt werden muss, das Erkennen und Bekennen der ernsten Tatsache, dass ihm nicht nur das Gute fehlt, sondern dass er böse ist. Nicht eher finden wir in einem Menschen etwas in Übereinstimmung mit Gott, bis er sich als ganz schlecht aufgegeben hat. Wenn er bis zu diesem Punkt herabgestiegen ist, sieht er sich aus Gott geworfen, und Gott offenbart dem armen Sünder Christum als Seine Gabe. Er ist innerlich zusammengebrochen, indem er fühlt und anerkennt, dass er verloren ist, wenn nicht Gott selbst für ihn eintritt; er nimmt Christum an, und was ist die Folge? „Wer da glaubt, hat ewiges Leben“. Was ist die Natur dieses Lebens? Es ist in seinem Charakter vollkommen gerecht und heilig. Der Mensch ist dann sofort passend gemacht für das Reich Gottes. „Es sei denn dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Wenn er aber von neuem geboren ist, geht er hinein. „Was aus dem Fleische geboren ist, ist Fleisch, und was aus dem Geiste geboren ist, ist Geist“.
Die Schriftgelehrten und Pharisäer wirkten nur auf und durch das Fleisch; sie glaubten nicht, dass sie in Gottes Augen tot waren. Das tun die Menschen auch heute nicht. Aber der Glaubende beginnt mit der Erkenntnis, dass er geistlich tot ist, dass er ein neues Leben bedarf, und dass das neue Leben, welches er in Christo empfängt, dem Reich der Himmel entspricht. Nun, auf diese neue Natur wirkt Gott, und bewirkt durch den Geist die praktische Gerechtigkeit, von welcher wir reden; so dass es in jedem Sinne wahr bleibt: „Wenn nicht eure Gerechtigkeit vorzüglicher ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen“.
Doch der Herr erklärt hier nicht, wie dies geschehen würde. Er stellt fest, dass das, was Gottes Natur angemessen ist, nicht in der menschlichen Gerechtigkeit zu finden sei, und dass es doch notwendig vorhanden sein müsse, um in das Reich eingehen zu können.
Nunmehr geht der Herr zum Gesetz in seinen verschiedenen Teilen über, wenigstens soweit es mit den Menschen zu tun hat, nicht in den Punkten, die Gott unmittelbar berühren. Er beginnt mit dem, was die Folge der menschlichen Gewalttätigkeit ist, und bespricht dann das große, offenkundige Beispiel menschlicher Verderbtheit. Gewalttat und sittliches Verderben sind die beiden stehenden Formen menschlicher Bosheit. Schon vor der Flut war es so: „die Erde war verderbt vor Gott, und die Erde war voll Gewalttat“. Hier nun (Vers 21) wird das Licht des Reiches auf das Gebot geworfen: „Du sollst nicht töten; wer aber irgend töten wird, wird dem Gericht verfallen sein“. Das Gesetz fällte sein Erkenntnis über diese äußerste Form der Gewalttätigkeit; aber unser Herr gibt ihm Länge, Breite, Höhe und Tiefe. „Ich aber sage euch, dass jeder, der seinem Bruder ohne Grund zürnt, dem Gericht verfallen sein wird; wer aber irgend zu seinem Bruder sagt: Raka! dem Synedrium verfallen sein wird; wer aber irgend sagt: Du Narr! der Hölle des Feuers verfallen sein wird.“
Das heißt, so wie der Herr die Sache darstellt, wird jetzt in die Klasse „Mord“ in Gottes Augen jede Art von Gewalttat gesetzt, mag sie nun in bloßen Worten oder gar nur in inneren Gefühlen zum Ausdruck kommen. Alles was Verachtung und Hass, alles was eine böse Gesinnung des Herzens ausdrückt, jedes Unterdrücken eines anderen, der Wille, andere zu vernichten, soweit es sich um deren Charakter oder Einfluss handelt: das alles ist vor Gottes erforschendem Auge nicht besser als Mord. Der Herr erweitert das Gesetz. Er zeigt jetzt Einen, der nicht nur von den Taten Kenntnis nimmt, sondern der die Gefühle des Herzens prüft und beurteilt.
Es handelt sich also durchaus nicht mehr um die bloßen Folgen der Gewalttat an einem Menschen, denn es ist möglich, dass zornige Worte gar keine bösen Folgen haben; aber sie beweisen den Zustand des Herzens, und damit beschäftigt sich der Herr hier. „Wenn du nun deine Gabe darbringst zu dem Altar und dich daselbst erinnerst, dass dein Bruder etwas wider dich habe, so lass daselbst deine Gabe vor dem Altar und gehe zuvor hin, versöhne dich mit deinem Bruder; und dann komm und bringe deine Gabe dar.“ Wir haben hier noch nicht den Christen in seiner gänzlichen Absonderung von dem jüdischen System. Die Worte des Herrn beweisen vielmehr deutlich eine Verbindung mit Israel, obwohl der Grundsatz der eines Christen ist; denn der Altar steht in keinerlei Beziehung zu dem Tische des Herrn.
„Willfahre deiner Gegenpartei schnell, während du mit ihr auf dem Wege bist; damit nicht etwa die Gegenpartei dich dem Richter überliefere, und der Richter dich dem Diener überliefere, und du ins Gefängnis geworfen werdest.
Wahrlich, ich sage dir: du wirst nicht von dannen herauskommen, bis du auch den letzten Pfennig bezahlt hast“ (V. 25. 26). Ich glaube, dass Israel, als Volk, sich gerade in jenen Tagen dieser Torheit, der Gegenpartei nicht schnell zu willfahren, schuldig machte. Da war der Messias, und sie, die Seine Gegenpartei waren, behandelten Ihn als ihren Gegner und nötigten durch ihren Unglauben Gott, gegen sie zu sein. Die Stellung Israels in sittlicher Hinsicht war in Gottes Augen der uns hier gezeigten sehr ähnlich. In ihrem Herzen waren mörderische Gefühle gegen Jesum. Herodes war der Ausdruck derselben bei Seiner Geburt, und es blieb so während des ganzen Dienstes Christi; und das Kreuz bewies, wie der unerbittliche Hass in dem Herzen der Juden gegen ihren eigenen Messias bis zum Äußersten ging. Sie willfahrten nicht ihrer Gegenpartei schnell, und der Richter konnte sie nur dem Diener überliefern, damit sie ins Gefängnis geworfen würden; und da sind sie bis zum heutigen Tage. Das jüdische Volk ist, seit seiner Verwerfung des Messias, von allen Verheißungen Gottes ausgeschlossen gewesen; als Volk sind sie dem Gefängnis überliefert worden, und da müssen sie bleiben, bis der letzte Pfennig bezahlt ist. Dann wird Gott ihnen gnädig sein. In Jesaja hören wir, wie der Herr tröstend zu Jerusalem spricht: „Rufet ihr zu, dass ihre Mühsal vollendet, dass ihre Schuld abgetragen ist, dass sie von der Hand Jehovas Zwiefältiges empfangen hat für alle ihre Sünden“. Wir stehen jetzt in Gottes Gunst und empfangen durch Seine Gnade die Fülle des Segens durch Christum Jesum; aber reiche Segnungen sind auch noch für Jerusalem aufbewahrt.
Gott wird in Seiner Gnade eines Tages zu ihr sagen: Du hast jetzt Strafe genug empfangen; ich denke nicht daran, dich noch länger zum Zeugnis meiner Rache auf Erden zu machen. Und warum wird es Israel bis zu diesem Tage nicht gestattet, sich mit den Nationen zu vermengen? Sie bleiben erhalten, durch Gott von allen anderen Völkern abgesondert, weil Er Seine herrliche Gnade für sie aufbewahrt. „Redet zum Herzen Jerusalems . . ., dass sie von der Hand Jehovas Zwiefältiges empfangen hat für alle ihre Sünden“.
Eine sehr schöne Darstellung desselben Bildes finden wir anderswo in dem Falle des Totschlägers, der in die von Gott verordnete Zufluchtsstadt floh. Er blieb, wie das 4. Buch Mose lehrt, so lange dort, fern von dem Lande seines Eigentums, bis — nicht er, der Totschläger, sondern — der mit Ö! gesalbte Hohepriester starb. Welch ein herrlicher Hinweis auf das Priestertum unseres Herrn! Wenn Er Sein himmlisches Volk zur Vollzahl gebracht und dahin gesammelt hat, wo es der Tätigkeit Seiner Verwendung nicht mehr bedarf; wenn wir uns in den vollen Ergebnissen alles dessen, was Christus für uns getan hat, befinden werden, dann wird der Hohepriester Seinen Platz nicht länger zur Rechten Gottes haben, sondern als Priester auf Seinem eigenen Throne sitzen.
Dann wird die Beendigung Seines jetzigen himmlischen Priestertums gekommen sein, und das des Blutes schuldige Israel wird in das Land seines Eigentums zurückkehren. Ich zweifle durchaus nicht daran, dass dies die richtige Anwendung jenes schönen Vorbildes ist. Ich kann nicht verstehen, in welch passender Weise man den Tod des mit Öl gesalbten Hohenpriesters erklären will, wenn man meint, die Verordnung über den Totschläger auf Christen anwenden zu sollen; wendet man sie dagegen aus die Juden an, so ist alles klar. Christus wird den Charakter des Priestertums, in welchem Er jetzt für uns beschäftigt ist, beenden und es mit einer neuen Form der Segnung für Israel beginnen.
Die Worte des Herrn über die Sünde des Toten und die Ausdehnung dieser Sünde auf jeden Ausdruck des menschlichen Zornes ist sehr ernst für uns; denn wir wissen, wie wenig wir oft auf unsere Worte achthaben, und wie sehr wir geneigt sind, Ausbrüche heftiger, zorniger Gefühle auf die eine oder andere Weise zu entschuldigen. Sie erscheinen hier in ihrem völligen Gegensatz zu der Natur Gottes.
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Die Brüder, ihre Lehren usw.
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 97ff
(Aus dem Französischen übersetzt) Der nachstehende Brief wird uns von befreundeter Seite zugesandt. Er wurde im Jahre 1878 an einen der Redakteure des „Francais“, einer in Frankreich erscheinenden katholischen Zeitung, gerichtet. Dieser hatte den Schreiber (J. N. Darby) gebeten, ihm einige Auskunft über „die Brüder, ihre Lehre usw.“ zugeben. Der Inhalt des Briefes ist von so allgemeinem Interesse, dass unseren Lesern die Veröffentlichung gewiss willkommen sein wird.
Geehrter Herr!
Meine Antwort auf den Brief, welchen Sie gütigst an mich gerichtet haben, ist etwas verzögert worden durch fortwährende Beschäftigung, die mir keine Muße ließ. Ich finde durchaus keine Schwierigkeit darin, Ihnen mitzuteilen, was die von mir erkannten Glaubenslehren sind, aber eine öffentliche Zeitung ist nicht gerade der Ort, wo sich meine Feder gern,.,betätigt. Ich glaube, dass die christliche Berufung eine himmlische Berufung ist, dass der Christ, wie sein Meister, nicht von der Welt ist, und dass er hienieden seinen Platz hat als ein Brief Christi, um inmitten der Menschen das Leben Jesu zu offenbaren, in der beständigen Erwartung, dass sein Herr wiederkommt, um ihn zu sich zu nehmen in die Herrlichkeit.
Ihnen, als Redakteur des „Franais“, brauche ich nicht zu sagen, dass Aufsätze, die derartige Grundsätze erörtern, in eine politische Zeitung kaum passen. Allein ich lebe nur für diese Dinge, — ein Leben, welches, wie ich gern bekenne, nur schwach von mir verwirklicht wird, — aber ich lebe nur dafür.
Indessen will ich Ihnen gern mitteilen, was Sie interessieren dürfte, nämlich: was mich und andere mit mir veranlasst hat, die Stellung einzunehmen, in welcher wir uns jetzt als Christen befinden.
Im Blick auf den Unglauben, der sich jetzt allenthalben breit macht, ist es vielleicht gut, zunächst zu sagen, dass ich festhalte — und ich kann hinzufügen, dass wir festhalten — und zwar auf das Entschiedenste, an all den Grundlagen des christlichen Glaubens, an der Göttlichkeit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, dem alleinigen Gott, gepriesen in Ewigkeit; an der Gottheit und Menschheit des Herrn Jesu, d. i. an zwei Naturen in einer Person; an Seiner Auferstehung und Seiner Verherrlichung zur Rechten Gottes; an der Gegenwart des Heiligen Geistes hienieden, als vom Himmel herabgekommen am Tage der Pfingsten; an der Wiederkunft des Herrn Jesu gemäß Seiner Verheißung. Wir glauben ferner, dass der Vater in Seiner Liebe den Sohn gesandt hat, um das Werk der Erlösung und der Gnade gegen die Menschen zu vollbringen; dass der Sohn in derselben Liebe gekommen ist, um dieses Werk zu tun, und das; Er das Werk vollendet hat, welches der Vater Ihm gegeben hatte, um es auf dieser Erde zu tun.
Wir glauben, dass Er Sühnung für unsere Sünden getan hat und, nachdem Er sie vollbracht, in den Himmel zurückgekehrt ist und nun als Hoherpriester zur Rechten der Majestät in der Höhe sitzt.
Hieran knüpfen sich weitere Wahrheiten, wie die von der wunderbaren Geburt des Heilandes, welcher völlig ohne Sünde war, und andere mehr; aber meine Absicht ist nicht, wie Sie verstehen werden, hier eine theologische Abhandlung zu schreiben; ich will nur feststellen, dass unsere Stellung sich keineswegs auf ein Aufgeben der großen Grundlagen des christlichen Glaubens gründet. Jemand, der die eine oder andere dieser Grundwahrheiten leugnet, würde in unserer Mitte nicht zugelassen werden; und wenn jemand unter uns eine Lehre aufstellen würde, welche die eine oder andere dieser Wahrheiten untergraben könnte, so würde er ausgeschlossen werden; allerdings erst, nachdem man alle geeigneten Mittel, ihn zurückzuführen, angewandt hätte. Denn obwohl es Lehrsätze sind, halten wir sie doch für unerlässlich für den lebendigen Glauben und das Heil, für das geistliche und christliche Leben, welches wir als aus Gott Geborene leben.
Doch Sie wünschen nicht so sehr die großen Wahrheiten zu wissen, welche andere so gut glauben wie wir, als vielmehr zu erfahren, was uns von jenen unterscheidet.
Nun, ohne, wie bereits bemerkt, im Geringsten die Absicht zu haben, eine Abhandlung der christlichen Lehre über die genannten Wahrheiten zu schreiben, fühlte ich doch das Bedürfnis, sie als Grundlage hinzustellen indem ich als wahre Christen und Glieder des Leibes Christi alle diejenigen anerkenne, welche durch die Gnade Gottes und die Wirksamkeit des ihnen gegebenen Heiligen Geistes in Wahrheit und von Herzen an diese Dinge glauben.
Nachdem ich durch die Gnade des Herrn bekehrt worden war, habe ich sechs oder sieben Jahre unter der Zuchtrute des Gesetzes zugebracht, indem ich fühlte, dass Christus der alleinige Retter sei, aber doch nicht sagen konnte, dass ich Ihn besitze, noch auch, dass ich durch Ihn gerettet sei. Ich betete, fastete, gab Almosen, — Dinge, die immer gut sind, wenn sie in geistlicher Weise getan werden, — doch ich besaß keinen Frieden, fühlte aber nichtsdestoweniger, dass, wenn der Sohn Gottes sich für mich dahingegeben habe, ich Ihm angehöre mit Leib und Seele, mit Hab und Gut. Endlich ließ Gott mich verstehen, dass ich in Christo sei, mit Ihm vereinigt durch den Heiligen Geist. ,,An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin, und ihr in mir und ich in euch“ (Joh. 14, 20), was sagen will, dass, wenn der Heilige Geist, der andere Sachwalter, gekommen wäre, die Jünger diese Dinge verstehen würden.
Hierzu kamen noch andere gesegnete und ermutigende Wahrheiten, wie z. B.: „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, welche in Christo Jesu sind“ (Röm. 8, 1).
Die Verheißung des Geistes ist für alle, welche teilhaben an der Vergebung der Sünden; denn „wer dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit Ihm“ (1. Kor. 6, 17). So sind die Christen auch der Tempel des Heiligen Geistes: „Euer Leib ist der Tempel des Heiligen Geistes, der in euch wohnt“ (1. Kor. 6, 19).
Ich muss nun sagen, dass zu der Zeit, von welcher ich rede, das Wort Gottes für mich eine unbedingte Autorität für den Glauben und für das praktische Leben wurde; nicht dass ich früher an der Wahrheit des Wortes gezweifelt hätte, aber es war jetzt gleichsam zu einer Überzeugung geworden, die durch Gott: selbst in mein Herz gepflanzt worden war. So erkannte ich denn, dass die Gewissheit der Errettung durch das Werk Christi, die Gegenwart des in uns wohnenden Heiligen Geistes, durch welchen wir, nach dem wir geglaubt haben, ,,versiegelt worden sind auf den Tag der Erlösung“ (Eph. 4, 30), sowie das gekannte und in Besitz genommene Heil, wovon uns eben dieses Wohnen des Heiligen Geistes in uns die Versicherung gibt, den normalen Zustand eines Christen bilden. Der Christ ist nicht mehr von dieser Welt; er hat sie nur friedlich zu durchschreiten, indem er den Willen Gottes tut. Um einen teuren Preis erkauft, soll er Gott verherrlichen in seinem Wandel.
Diese Erkenntnis lenkte meine Gedanken auf die Kirche und ihre Einheit: der Leib Christi setzte sich für mich aus denjenigen zusammen, welche durch den Heiligen Geist mit dem Haupte, Christus im Himmel, vereinigt sind. Wenn wir aber in Christo in den himmlischen Örtern unseren Platz haben — wie geschrieben steht: ,,auch euch, die ihr tot wart in euren Vergehungen und Sünden . . . hat Er mit dem Christus lebendig gemacht . . . und hat uns mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christo Jesu“ (Eph. 2, 1 - 6) — was erwarten wir dann noch? Dass Christus wiederkomme, um uns in Wirklichkeit dahin zu versetzen, wo unser Platz ist.
„Ich werde wiederkommen“, hat der Herr gesagt, „und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet (Joh. 14, 3). Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesum Christum als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der Herrlichkeit“ (Phil. 3, 20. 21). Wir sind bekehrt worden, „um Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten“ (1. Thes. 1, 10).
So kennzeichnen denn die Gegenwart des in uns wohnenden Heiligen Geistes und die Erwartung des Herrn in besonderer Weise den Zustand des Christen. Nun sind aber alle diejenigen, welche diesen Geist besitzen, dadurch ein einziger Leib: „Denn auch in einem Geiste find wir alle zu einem Leibe getauft worden“ (1. Kor. 12, 13). Diese Taufe hat stattgefunden am Tage der Pfingsten: »Ihr werdet mit Heiligem Geiste getauft werden nach nunmehr nicht vielen Tagen (Apgsch. 1, 5).
Die Christen, welche sich damals in meiner Umgebung befanden, standen nicht so. Wenigstens war dies ohne über einzelne urteilen zu wollen, nicht ihr Bekenntnis. Beim Lesen von Apostelgeschichte 2 u. 4 wurde es mir leicht, zu erkennen, wie weit wir von dem, was Gott einst aus dieser Erde errichtet hat, entfernt waren. Wo war die Kirche zu finden? Ich verließ die englische Kirche, da sie es nicht war. Rom hatte im Anfang meiner Bekehrung nicht verfehlt, Anziehungskraft auf mich auszuüben. Aber das 10. Kapitel des Hebräerbriefes machte mir den Anschluss an sie unmöglich. Es heißt dort im 14. und 18. Verse: ,,Denn durch ein Opfer hat Er auf immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden .. wo aber eine Vergebung derselben (der Sünden und Übertretungen) ist, da ist nicht mehr ein Opfer für die Sünde“. Dazu kam noch der Gedanke an ein Priestertum hienieden zwischen mir und Gott, während doch unsere Stellung, als Ergebnis des Werkes Christi, die ist, dass wir unmittelbar Gott nahen in vollem Vertrauen: „Da wir nun Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu . . . .“ (Hebr. 10, 19).
Ich erzähle Ihnen, wie es mir erging. Ich will nicht streiten; aber der Glaube an das vollbrachte Heil und später mein Bewusstsein davon, dass ich dieses Heil besaß, ließen es mir nicht zu, mich der katholischen Kirche anzuschließen; und da ich die Einheit des Leibes Christi verstanden hatte, zogen die verschiedenen andersdenkenden Sekten mich ebenso wenig an. Was die Einheit betrifft, auf welche Rom, wie wir alle wissen, Anspruch macht, so fand ich alles im Verfall. Die ältesten Kirchen wollen nichts davon wissen, ebenso wenig die Protestanten, so dass die größere Hälfte aller derer, welche ein christliches Bekenntnis tragen, sich außerhalb des Schoßes der römischen Kirche befindet.
Andererseits konnte nicht die Rede davon sein, diese Einheit in den protestantischen Parteien zu suchen. Und schließlich sind die meisten von denen, welche sich Christen nennen, was auch ihre kirchliche Stellung fein mag, „von der Welt“, Weltleute, wie auch ein Heide es sein kann.
Nun zeigt aber das 12. Kapitel des ersten Briefes an die Korinther klar, dass es eine Kirche gegeben hat, gebildet auf dieser Erde durch die Herniederkunft des Heiligen Geistes: „in einem Geiste sind wir alle zu einem Leibe getauft worden (1. Kor. 12, 13); und es ist einleuchtend, dass dies auf der Erde stattfindet, denn es heißt: „Ihr seid der Leib Christi und Glieder insonderheit“ (1. Kor. 12, 27). Außerdem spricht der Apostel von Gaben der Heilungen und der Sprachen, Dinge, welche sich doch nur auf den Zustand der Versammlung hienieden anwenden lassen.
Die Versammlung oder die Kirche Gottes war also auf der Erde gebildet und hätte immer offenbar sein sollen. Ach! sie ist es nicht gewesen. Zunächst was einzelne Personen betrifft, hat der Herr im Voraus angekündigt: „Der Wolf raubt und zerstreut die Schafe (Joh. 10, 12); aber, Gott sei Dank! derselbe treue Hirte sagt auch: „Niemand wird sie aus meiner Hand rauben“ (Joh. 10, 28). Aber das ist nicht alles. Der Apostel Paulus sagte bei seinem Abschiede von den Gläubigen Asiens: „Ich weiß dieses, dass nach meinem Abschiede verderbliche Wölfe zu euch hereinkommen werden, die der Herde nicht schonen; und aus euch selbst werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her (Apstgsch. 20, 29. 30).
Judas erklärt, dass schon zu seiner Zeit böse Menschen sich unter die Christen eingeschlichen hätten, und sie werden, was sehr wichtig ist, als solche bezeichnet, die der Gegenstand des Gerichts des Herrn bei Seiner Rückkehr sein werden. „Gewisse Menschen haben sich nebeneingeschlichen, die schon vorlängst zu diesem Gericht zuvor aufgezeichnet waren“; und weiter: „Der Herr ist gekommen inmitten Seiner heiligen Tausende, Gericht auszuführen wider alle“ (Jud. 4. 14). Diese Menschen waren Verderber innerhalb der Kirche; außerdem würde es solche geben, die den christlichen Glauben völlig aufgeben: „Kindlein“, sagt der Apostel Johannes, „es ist die letzte Stunde, und wie ihr gehört habt, dass der Antichrist kommt, so sind auch jetzt viele Antichristen geworden; daher wissen wir, dass es die letzte Stunde ist. Sie sind von uns ausgegangen“ (1. Joh. 2, 18. 19).
Aber das ist noch nicht alles. Der Apostel Paulus sagt uns: „Doch der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt, die Sein sind; und: Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit! In einem großen Hause aber sind nicht allein goldene und silberne Gefäße, sondern auch hölzerne und irdene; und die einen zur Ehre, die anderen aber zur Unehre. Wenn sich nun jemand von diesen reinigt, so wird er ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werke bereitet“ (2. Tim. 2, 19 -— 21). Das ist die Kirche in ihrem gegenwärtigen Zustande, sie ist ein großes Haus mit Gefäßen jeder Art; und nun ergeht die Aufforderung an den Treuen, sich von den Gefäßen zur Unehre zur reinigen.
Das dritte Kapitel des letztgenannten Briefes redet noch genauer: „Dieses aber wisse, dass in den letzten Tagen schwere Zeiten da sein werden; denn die Menschen werden eigenliebig sein, geldliebend, prahlerisch, hochmütig, Lästerer 2c.“ Das sind ungefähr die gleichen Ausdrücke, deren der Apostel sich bedient, wenn er die Heiden der Sünde anklagt, nur dass er hier noch hinzufügt: „Die eine Form der Gottseligkeit haben, ihre Kraft aber verleugnen“ (Vergl. Röm. 1, 29 — 31 mit 2. Tim. 3, 1 — 5).
Weiter lesen wir: „Alle aber, die gottselig leben wollen in Christo Jesu, werden verfolgt werden. Böse Menschen aber und Gaukler werden im Bösen fortschreiten.“ Doch zu unserer Sicherheit weist der Brief uns auf die Person hin, von welcher wir das gelernt haben, was wir glauben: es ist der Apostel selbst, nebst den Schriften, „die vermögend sind, uns weise zu machen zur Seligkeit durch den Glauben, der in Christo Jesu ist“. Er versichert uns, dass „alle Schrift von Gott eingegeben ist und nütze zur Lehre, zur Überführung usw.“ (2. Tim. 3, 12 — 16).
Zum Beweise dafür, dass das in die Kirche eingedrungene Böse fortschreiten und nicht geheilt werden würde, sagt der Apostel:
„Das Geheimnis der Gesetzlosigkeit ist schon wirksam; nur ist jetzt der, welcher zurückhält, bis er aus dem Wege ist, und dann wird der Gesetzlose geoffenbart werden, den der Herr Jesus verzehren wird durch den Hauch Seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung Seiner Ankunft“ (2. Thess. 2, 7. 8). Das Böse, welches schon zur Zeit des Apostels wirksam war, soll also fortschreiten, bis der Böse selbst geoffenbart wird. Der Herr wird ihn vernichten bei Seiner Ankunft; und wenn es sich hier auch nicht eigentlich um die Kirche handelt, so ist uns doch das Gleiche geoffenbart in Bezug aus die Christenheit, indem wir hören, dass das Unkraut da gesät worden ist, wo der Herr den guten Samen gesät hatte. Wenn die Knechte das Unkraut ausreißen wollen, wehrt der Herr ihnen mit den Worten: „Lasst es beides zusammen wachsen bis zur Ernte“ (Matth. 13, 24 — 30).
Das dem Reiche Gottes angetane Böse soll auf dem Acker dieser Welt bleiben bis zum Gericht. Zweifellos wird Christus den Weizen in Seine Scheune sammeln, aber die Ernte hienieden ist verdorben. Sie werden einwenden: „Aber die Pforten des Hades sollen doch das, was Christus gebaut hat, nicht überwältigen“.
Ganz recht, und ich preise Gott dafür mit meinem ganzen Herzen; aber man muss hierbei den Unterschied machen, den das Wort macht. Auf der einen Seite gibt es das Werk Christi, auf der anderen das, was sich durch die Menschen und unter ihrer Verantwortlichkeit vollzieht. Niemals wird der Feind das zerstören, was Christus baut, (wir reden von der Kirche Gottes), noch das Werk des Herrn überwältigen. Welcher Art das Böse auch sein mag, das eingedrungen ist, (denn wir leugnen weder die Ketzereien noch die Spaltungen), das Werk Christi hat bestanden und wird immer bestehen; es ist das Haus, welches wir in 1.Petr. 2, 4. 5 finden, die lebendigen Steine, die zu Christo als dem lebendigen Steine kommen und zu einem geistlichen Hause aufgebaut werden. Dieses Haus finde ich auch in Ephes. 2: „Ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes, aufgebaut auf die Grundlage der Apostel und Propheten, indem Jesus Christus selbst Eckstein ist, in welchem der ganze Bau, wohl zusammengefügt, wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn“. Auch hier haben wir das Werk des Herrn selbst, lebendige Steine, welche kommen, ein aus Heiligen bestehendes Gebäude, welches wächst, um ein Tempel zu sein, der noch nicht ausgebaut ist.
Aber im Worte Gottes wird das Haus Gottes auf der Erde auch noch in anderer Weise ins Auge gefasst: „Als ein weiser Baumeister“, sagt der Apostel, „habe ich den Grund gelegt, ein anderer aber baut darauf . . . . Wenn aber jemand auf diesen Grund baut Gold, Silber, köstliche Steine, Holz, Heu, Stroh, so wird das Werk eines jeden offenbar werden, denn der Tag wird es klar machen, weil er in Feuer geoffenbart wird; und welcherlei das Werk eines jeden ist, wird das Feuer bewähren“. „Wisset ihr nicht“, fügt er hinzu, „dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig, und solche seid ihr“ (1. Kor. 3, 10 — 17). Hier finde ich also die Verantwortlichkeit des Menschen und das Urteil über sein Werk. Das Ganze wird der Tempel Gottes genannt; und das Gericht Gottes fängt hier an, bei Seinem Hause (Vergl. 1. Petr. 4, 17). Schon zu Lebzeiten des Apostels Petrus war die Zeit dafür gekommen, obgleich die Langmut Gottes, die in Gnade handelte, noch wartete.
Ich erkenne also die Verantwortlichkeit des Hauses Gottes, der gesamten Christenheit, an. Was Christus selbst baut, ist eine Sache, und die Frucht Seiner Arbeit wird nicht verloren gehen; was der verantwortliche Mensch baut, ist eine andere Sache. Im Anfang „tat der Herr täglich zu der Versammlung hinzu, die gerettet werden sollten“. Aber bald schlichen sich „die falschen Brüder“ ein, das Unkraut wurde gesät, und das Haus wurde angefüllt mit Gefäßen aller Art, von denen der Treue sich reinigen muss, sowie mit einer Form der Gottseligkeit ohne Kraft, wovon man sich wegzuwenden hat.
Das ist es, was das Wort Gottes uns geschichtlich und prophetisch im Neuen Testament darstellt. Dieses Wort, welches durch die Lehrer an die Gläubigen gerichtet wurde, ist unsere Hilfsquelle, wenn die schweren Zeiten eintreten; und, wenn das überhaupt nötig wäre, die Ereignisse haben alles, was es sagt, bestätigt.
Was ist nun zu tun? Das Wort sagt uns, dass da, wo zwei oder drei im Namen Jesu versammelt sind, Er in ihrer Mitte ist. (Matth. 18, 20.) Danach haben wir gehandelt. Unser waren anfänglich nur vier, die dies taten, und zwar nicht, wie ich hoffe, in einem Geiste des Hochmuts oder des Eigendünkels, sondern tief betrübt im Blick auf den uns umgebenden Zustand, betend für alle Christen, und indem wir alle als Glieder des Leibes Christi anerkannten, welche den Geist Gottes besaßen —- jeden wahren Christen, wo er sich auch in kirchlicher Hinsicht befinden mochte. Wir wollten nichts anderes, als das Bedürfnis unserer Seelen befriedigen auf Grund des Wortes Gottes, und wir dachten nicht daran, dass dies noch weiterführen würde. So haben wir die verheißene Gegenwart des Herrn gefunden.
Die gleichen Bedürfnisse haben andere den gleichen Weg gehen lassen, und so hat sich das Werk ausgebreitet auf eine Weise, wie wir es nicht im Entferntesten gedacht hätten. Es begann in Dublin und breitete sich ans über die britischen Inseln, in Frankreich, wo eine große Anzahl Personen von offenbaren Unglauben bekehrt wurde, in der Schweiz, wo das Werk auf dem Festlande zuerst begann, in Deutschland, in Holland, in Dänemark, wo es gerade seinen Anfang nimmt, und in Schweden, wo gegenwärtig eine große religiöse Bewegung herrscht. Der von uns eingeschlagene Weg hat sich auch ziemlich ausgebreitet in den englischen Kolonien, später auch in den Vereinigten Staaten, in Listen, in Afrika und anderwärts. Der Geist Gottes ist wirksam und schafft Bedürfnisse der Seele, auf welche die religiösen Systeme keine Antwort geben.
Das also ist mit kurzen Worten die Stellung der Brüder, welche sich auf die Autorität des Wortes Gottes stützen. In diesem Worte wird Christus in drei verschiedenen Stellungen als Heiland betrachtet: zunächst als Der, welcher die Erlösung auf dem Kreuze vollbringt, dann als sitzend zur Rechten des Vaters, indem der Heilige Geist von dort herniedergesandt ist, und endlich als wiederkehrend, um die Seinigen zu sich zu nehmen.
Wir glauben an diese Dinge, haben die Versicherung unseres Heils in dem Glauben an die Kraft dieser Erlösung, sind versiegelt mit dem Heiligen Geiste, welcher in jedem wahren Christen wohnt, und erwarten endlich den Sohn Gottes vom Himmel, ohne zu wissen, wann der Augenblick Seiner Ankunft ist. Denn wir haben nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, wiederum zur Furcht, sondern einen Geist der Sohnschaft, in welchem wir rufen: Abba Vater (Röm. 8, 15)! Wir glauben an Seine Verheißung: „Ich werde wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet“ (Joh. 14, 3). Ein völliger Glaube an die Kraft der Erlösung, die Versiegelung mit dem Heiligen Geiste, welche die Gewissheit des Heils und das Bewusstsein der Gotteskindschaft gibt, die Erwartung des Herrn —- das ist es, was die Christen kennzeichnet, von denen ich rede. Um einen teuren Preis erkauft, sind sie angewiesen, sich nicht mehr zu betrachten als sich selbst, sondern als dem Herrn Jesu gehörend, um Ihm zu gefallen in allen Dingen und nur für Ihn zu leben.
Das will nicht sagen, dass wir uns alle auf der Höhe der himmlischen Berufung bewegen, aber wir erkennen die Verpflichtung dazu an. Wenn jemand offensichtlich nicht dem entspricht, was einem Christen geziemt, sei es in Sachen der Moral oder des Glaubens, so wird er ausgeschlossen. Wir enthalten uns der Vergnügungen und Lustbarkeiten der Welt. Wenn wir abendliche Zusammenkünfte haben, so geschieht es, um das Wort zu erforschen und uns gegenseitig zu erbauen. Wir mischen uns nicht in die Politik; wir sind nicht von der Welt; wir nehmen nicht teil an den Wahlen.
Wir unterwerfen uns den eingesetzten Obrigkeiten, welche sie auch seien, es sei denn dass sie etwas befehlen, was dem Willen Christi ausdrücklich zuwiderläuft. Wir nehmen das Abendmahl jeden Sonntag, und die, welche Gaben dafür haben, predigen das Evangelium des Heils den Sündern oder unterweisen die Gläubigen. Jeder ist gehalten, das Heil oder das Wohl seines Nächsten zu suchen, nach der Fähigkeit, die Gott ihm zugeteilt hat. In dem Gefühl, dass die Christenheit verderbt ist, befinden wir uns außerhalb der Welt-Kirche, welchen Namen sie sich auch beilegen mag. Die Zahl derer, welche diesen Weg gehen, könnte ich Ihnen nicht nennen. Wir zählen uns nicht, in dem Wunsche gering zu bleiben, wie es den Christen geziemt. Schließlich betrachten wir als Bruder in Christo jeden, der den Geist Christi hat.
Ich wüsste nicht, dass ich Ihnen noch etwas anderes zu bieten hätte. Ich schäme mich fast, Ihnen eine so lange Darstellung der Grundsätze der Christen gegeben zu haben, um welche es sich handelt. Wir erkennen nur eine Kirche an, den Leib Christi, die Behausung Gottes im Geiste.
Sie fragen mich nach dem Nutzen dieses Weges. Der Gehorsam gegen das Wort Gottes genügt uns für unsere Entscheidung. Christo zu gehorchen ist das erste Bedürfnis der Seele, die sich durch Ihn errettet weiß, indem wir Ihn von ganzem Herzen anerkennen als den Sohn Gottes, der uns geliebt und sich für uns dahingegeben hat. Aber fürwahr, indem wir Ihm gehorchen, erweist sich trotz der Schwächen, Fehler und Mängel, die ich für mein Teil anerkenne, Seine Gegenwart der Seele als eine unversiegbare Quelle der Freude, als das Unterpfand eines Glückes, in welchem, Sein Name sei dafür gepriesen! sich keine Mängel mehr finden wer- den, und wo Er völlig verherrlicht sein wird in allen Glaubenden.
Ich habe Ihnen in aller Einfachheit und so gut ich es vermochte auseinandergesetzt, um was Sie mich gefragt haben. Da ich meine Arbeit infolge unvermeidlicher Unterbrechungen mehrmals wieder aufnehmen musste, fürchte ich, dass sie einige Wiederholungen enthält. Entschuldigen Sie diese gütigst, und empfangen Sie die Versicherung meiner ganzen Hochachtung.
J. N. D.
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Herr mache mich weise
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 112ff
Herr mache mich weise! – Nicht der Klugheit Licht
bitt ich in meinem Hirne anzuzünden;
des Wissens reichen Schatz erfleh ich nicht,
nicht schärfstes Denken, Tiefen zu ergründen.
Nein Weisheit gib, dass ich den Wüstenpfad,
wie Du ihn mir verordnet deutlich finde;
und Kindeseinfalt, die in Wort und Tat
die Demut mit der Einsicht auch verbinde.
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Das Reich der Himmel
Bibelstelle: Matthäus 5
Botschafter des Heils 1909 S. 113ff
Doch da ist noch etwas anderes, und das ist das verderbte Element im Herzen des Menschen: das Herz gelüstet nach dem, was es nicht hat. „Ihr habt gehört“, fährt der Herr fort, „dass gesagt ist: du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch, dass jeder, der ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, schon Ehebruch mit ihr begangen hat in seinem Herzen. Wenn aber dein rechtes Auge dich ärgert, so reif; es aus und wirf es von dir. . . . Und wenn deine rechte Hand dich ärgert, so haue sie ab und wirf sie von dir; denn es ist dir nütze, dass eines deiner Glieder umkomme und nicht dein ganzer Leib in die Hölle geworfen werde“ (V. 27 — 30). Das will sagen: was irgend in unserem Wandel, in unseren Wegen oder in unserem Dienst die Seele der Gefahr aussetzen könnte, sich solch unheiligen Gefühlen hinzugeben, sollte nicht geschont werden. Alles was der Seele schädlich ist, muss ausgerottet werden.
Die Glieder des Leibes, das Auge und die Hand, werden nur genannt, um die verschiedenen Weisen zu zeigen, wie das Herz in die Sünde verwickelt werden kann. Das Abtrennen dieser Glieder zeigt ein Herz, das im Selbstgericht geübt ist und sich nicht damit entschuldigt, die Sünde noch nicht tatsächlich begangen zu haben. Nein, es gibt alles auf, was irgend Gefahr bringen könnte. Es geht ernst und gründlich zu Werke.
Im weiteren Verfolg dieser Gedanken tadelt der Herr die leichte Auflösung des Bandes der Ehe: „Es ist aber gesagt: Wer irgend sein Weib entlassen wird, gebe ihr einen Scheidebrief. Ich aber sage euch: Wer irgend sein Weib entlassen wird, außer auf Grund von Hurerei, macht, dass sie Ehebruch begeht; und wer irgend eine Entlassene heiratet, begeht Ehebruch“ (V. 31. 32). Diese menschliche Verbindung empfängt also, obschon die ernstesten Schwierigkeiten vorhanden sein mögen, die feierlichste Bestätigung seitens des Herrn. Wenngleich es eine irdische Verbindung ist, wird doch das Licht des Himmels auf sie geworfen.
Die Ehe ist heilig, und die Möglichkeit, irgend Etwas zuzulassen, das ihrer Heiligkeit Eintrag tun könnte, wird durch Christum entschieden verneint, mit der alleinigen Ausnahme dessen, was sie in Gottes Augen aufhob, der Hurerei. In diesem Falle ist die Scheidung der Ehe nur die öffentliche Erklärung davon, dass sie in Gottes Augen bereits durch die Sünde gebrochen ist. Damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, dass die Scheidung in einem solchen Falle geboten oder auch nur empfohlen wäre. Sie ist gestattet.
Die nächsten Verse (33 —-37) reden von einer bösen Gewohnheit, dem Missbrauch des Namens Gottes. Es handelt sich hier nicht um einen gerichtlichen Eid, d. h. um einen Schwur, der von irgend einer Obrigkeit einem Menschen auferlegt wird. In einigen Ländern mag die Eidesformel einen Beigeschmack von Heidentum oder Papsttum haben, so dass ein Christ vor die ernste Frage kommen kann, ob er einen solchen Eid leisten sollte.
Aber wenn seitens der Obrigkeit einfach die Autorität Gottes in die Formel eingeführt ist, um die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit ans Licht zu bringen, so ist nicht einzusehen, dass der Herr den Christen von seiner Verpflichtung gegen die zur Eidesforderung befugte Stelle irgendwie entbinde. Die Sache, um welche es sich hier handelt, ist ausdrücklich der Gebrauch eidlicher Bekräftigungen bei gewöhnlichen Mitteilungen untereinander: „Schwöret überhaupt nicht; weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron; noch bei der Erde, denn sie ist Seiner Füße Schemel; noch bei Jerusalem, denn sie ist des großen Königs Stadt; noch sollst du bei deinem Haupte schwören, denn du vermagst nicht ein Haar weiß oder schwarz zu machen“.
Keiner dieser Schwüre war ein gerichtlicher Eid; es waren eidliche Beteuerungen im gewöhnlichen Leben unter den Juden. Wenn der Herr die Absicht gehabt hätte, dem Christen die Eidesleistung vor Gericht zu verbieten, so würde Er gewiss als Beispiel den Eid angeführt haben, der bei den Gerichtshöfen jener Tage üblich war. Aber um das handelt es sich hier gar nicht. All die angeführten Eide waren die gewöhnlichen Formen, unter welchen die Juden ihre Aussagen zu bekräftigen pflegten, wenn ihre Mitmenschen ihr Wort bezweifelten; nicht aber das, was vor der Obrigkeit zur Anwendung kam.
Ein Christ handelt also nicht richtig, wenn er auf Grund dieser Stelle einen Eid vor Gericht verweigert; ich glaube vielmehr, er tut direkt unrecht, wenn er ihn nicht leistet, falls die Obrigkeit sein Zeugnis verlangt und in der Form des Eides nichts liegt, was sein Gewissen verletzt. Wenn die Obrigkeit in dem Eide Gott nicht anerkennt, so ist der Christ doch gebunden, Gott in der Obrigkeit anzuerkennen. Sie ist für den Christen eine Dienerin Gottes in den äußeren Dingen dieser Welt. Selbst der Assyrer war die Rute Gottes (Jes.10,5), obwohl er nur daran dachte, seine eigenen Pläne gegen Israel auszuführen. Noch weit mehr stellt die Obrigkeit, sie möge sein wer oder was sie wolle, die Wahrheit von Gottes äußerer Autorität in der Welt dar, und der Christ sollte dies achten, weit mehr noch als die Menschen der Welt es tun; darum ist der Eid, der einfach auf Grund dieser Autorität die Wahrheit fordert, eine heilige Sache und sollte nicht verweigert werden.
Der Christ hat ohne Zweifel selbst nichts mit der gerichtlichen Verfolgung eines anderen zu tun. Im Gegenteil, er ist es Christo und Seiner Gnade schuldig, sich von der Welt, wenn sie es so will, ungerecht behandeln zu lassen. Er kann mit Worten dagegen Einspruch erheben, aber dann sollte er seine Sache dem Herrn überlassen: Als unser Herr selbst ungerecht behandelt wurde, überführte Er den Betreffenden, und damit war die Sache, nach den Gedanken des Menschen, für immer zu Ende. Gegenwärtige Genugtuung für erlittenes Unrecht suchen, das war bei unserem hochgelobten Herrn völlig ausgeschlossen. So sollte es auch bei dem Christen sein. Es mag gut sein, die, welche unrecht tun, zu überführen; aber dann ist geduldiges Ertragen wohlgefällig bei Gott.
Es gibt nichts, worin der Christ so sehr seine Erhabenheit über die Welt zeigen kann, als wenn er in keiner Sache eine Rechtfertigung seitens der Welt sucht. Wenn wir der Welt angehörten, wenn sie unsere Heimat wäre, so würden wir billig für unsere Rechte kämpfen. Aber für den Christen ist diese Welt nicht der Schauplatz seiner Interessen; und wer kämpft für das, was ihm nicht gehört? Wenn ein Christ in und mit der Welt kämpft (ausgenommen den ihm eigenen geistlichen Kampf), so vergisst er völlig seinen Platz.
Es ist die Pflicht der Menschen als solcher, zu kämpfen, wenn es nötig ist, und dem Bösen entgegenzuwirken; und wenn Gott die Welt z. B. benutzt, um Aufruhr zu unterdrücken und Frieden zu schaffen, so mag der Christ wohl aufblicken und dafür danken. Es ist eine große Gnade. Aber der Gläubige sollte in seiner Seele völlig klar sein über die wichtige Wahrheit, welche der Herr in den Worten ausspricht: „Sie sind nicht von der Welt“. Inwieweit sind die Gläubigen nicht von der Welt? Der Herr sagt: „Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin“, und Er spricht dieses wunderbare Wort im Blick auf Sein Gehen zum Himmel, wie einer, der überhaupt nicht mehr auf der Erde ist. Kurz vorher hatte Er gesagt: „Ich bin nicht mehr in der Welt“. Sein Hinaufgehen zum Himmel ist das, was dem Christen und der Kirche ihren Charakter verleiht.
Ein Christ ist nicht einfach ein Gläubiger, sondern ein Gläubiger, der zum Genuss des Herrn berufen ist, während dieser im Himmel weilt. Und wie Christus, unser Haupt, außerhalb der Welt ist, so ist der Christ im Geiste über die Welt erhoben, und es ist seine Sache, zu zeigen, dass die Kraft seines Glaubens über seinem bloß natürlichen Fühlen steht. Nichts lässt einen Menschen so töricht erscheinen, als wenn er, um einen landläufigen Ausdruck zu gebrauchen, keine Nummer in dieser Welt mehr hat. Die Christen möchten deshalb auch nicht gern Nullen sein; sie sind geneigt zu wünschen, dass ihr Einfluss in der einen oder anderen Weise gefühlt werde. Doch gerade das ist es, wovon der Herr uns freimachen möchte. Es ist natürlich bei Menschen, die sich verzweifelt festklammern an den einzigen Schauplatz des Genusses und der Hoffnung, den sie besitzen, aber unnatürlich bei Christen.
Es ist deshalb schon unter unserer Berufung, wenn wir uns nur in starken Behauptungen gehen lassen. „Es sei aber eure Rede: Ja, ja; nein, nein; was aber mehr ist als dieses, ist aus dem Bösen.“ In Verbindung mit der hier gemachten Unterscheidung ist die Handlungsweise unseres Herrn beachtenswert, als Er vor dem Hohenpriester stand. Er schwieg, bis der Hohepriester Ihm den Eid auflegte; dann aber antwortete Er sogleich. Wer könnte daran zweifeln, dass Er uns hier das rechte Muster zeigt?
In den Versen 38 — 41 bespricht der Herr den Fall, dass uns durch irgendwelche Tat ein Unrecht zugefügt wird. Es ist für einen Menschen nicht verkehrt, dem Unrecht entsprechend, das einem anderen angetan worden ist, zu strafen. „Auge um Auge, und Zahn um Zahn“ ist völlig gerecht. Aber unser Herr gibt uns zu verstehen, dass wir viel mehr als gerecht sein sollten, wir sollten gnädig sein; und Er schärft uns dies ein gleichsam als den Höhepunkt dieses Teiles Seiner Rede. Zuerst hatte Er die Gerechtigkeit des Gesetzes bekräftigt, dessen Tiefe ausgedehnt und das, was es erlaubte, beseitigt; aber jetzt geht Er weiter. Er zeigt uns, dass es in Seinem eigenen Verhalten und Leben einen Grundsatz gibt, der den Christen lehren sollte, nicht Vergeltung zu suchen.
„Auge um Auge, und Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Widerstehet nicht dem Bösen, sondern wer irgend dich aus deinen rechten Backen schlagen wird, dem biete auch den anderen dar.“ Es ist klar, dass der Herr hier nicht von dem redet, was die Regierungen dieser Welt zu tun haben. Das Neue Testament ist für Christen geschrieben, für solche, die ein abgesondertes Dasein, eine besondere Berufung haben inmitten der irdischen Systeme und Völker. Es gehört denen, die himmlisch sind, während sie aus dieser Erde wandeln. Wir werden jetzt solche Menschen dadurch, dass wir Christum annehmen, und zu solchen sagt der Herr: „Widerstehet nicht dem Bösen, sondern wer irgend dich auf deinen rechten Backen schlagen wird, dem biete auch den anderen dar“. Hier ist eine persönliche Beleidigung gemeint. Das Böse mag noch so sehr mit Absicht geschehen und unverdient sein, dennoch soll es mit dem Guten überwunden werden. Zeige, dass du bereit bist, um Christi willen noch mehr zu ertragen. „Und dem, der mit dir vor Gericht gehen und deinen Leibrock nehmen will, dem lass auch den Mantel“. Das heißt, wenn jemand, vielleicht fälschlicherweise, Anspruch auf einen Teil deiner Kleidung macht und mit dir vor Gericht gehen und deinen Leibrock nehmen will, so „lass ihm auch den Mantel“. „Und wer irgend dich zwingen wird, eine Meile zu gehen, mit dem gehe zwei.“ Der wichtige Grundsatz, den unser Herr hier aufstellt, ist also der: mag es sich um menschliche Gewalttätigkeit handeln, oder um eine Anwendung des Gesetzes in noch so harter und aufreizender Weise — wenn man nach dem Gesetz nur einen Schritt zu tun schuldig wäre, dem Evangelium entsprechend tut man zwei. Die Gnade tut doppelt so viel wie das Gesetz, mag es sich handeln um was es will.
Es hat nie in der Absicht des Herrn gelegen, Verpflichtungen aufzuheben oder die Verantwortlichkeit zu schwächen, sondern im Gegenteil alledem Kraft und Stärke zu geben, was in den Augen Gottes gerecht ist· Das Gesetz mochte sagen: „Auge um Auge, und Zahn um Zahn“. Hier werden wir aufgefordert, nicht nur das zu ertragen, was tatsächlich unrecht ist, sondern die Gnade gibt mehr als gefordert wird. „Das Gesetz wurde durch Moses gegeben; die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden.“ Und hier ist ein Weg, auf welchem wir praktischerweise zeigen können, wie weit wir die Gnade schätzen. Selbstverständlich handelt es sich nicht nur um den buchstäblichen Sinn der Worte des Herrn. Wenn diese nur auf einen Schlag ins Gesicht beschränkt werden sollten, so wäre es eine höchst armselige Sache; aber das Wort Christi zeigt mir den Geist, der Gott wohlgefällt, und was die Gnade in Wirklichkeit ist. Gnade ist nicht Selbstverteidigung, noch Ahndung eines mir zugefügten Unrechts, sondern das Ertragen des Bösen und der Triumph des Guten über das Böse.
Christus redet von dem, was ein Christ von Seiten der Welt, durch die er geht, geduldig hinnehmen soll. Er soll Trübsal als die Züchtigung annehmen, welche Gott heilsam erachtet für seine Seele. Das ist das große Schauspiel für Menschen und Engel (1. Kor. 4, 9): da sind Menschen auf dieser Erde, denen es geschenkt wird und die sich darin freuen, für Christum zu leiden, weil sie gelernt haben, ihren eigenen Willen aufzugeben, ihre Rechte zu opfern und ungerecht zu leiden, indem sie hinschauen auf den Tag, an welchem der Herr anerkennen wird was irgend sie um Seinetwillen gelitten haben, und wo alles Böse in der ernstesten Weise gerichtet werden wird bei Seiner Erscheinung und bei Seinem Reiche.
In Vers 42 sagt der Herr: „Gib dem, der dich bittet, und weise den nicht ab, der von dir borgen will“. Es ist dies nur ein besonderes Beispiel für den wichtigen, allgemeinen Grundsatz, auf welchem der Herr besteht; wie Er den Charakter der Gewalttätigkeit bloßgelegt hat, so redet Er jetzt von dem Verhalten eines Christen den Anliegen gegenüber, welche sich an seine Herzensgüte wenden. „Gib dem, der dich bittet.“ Das ist gewiss etwas Liebliches und Schönes. Dabei ist es aber völlig klar, dass das Volk Gottes diesem sittlichen Grundsatz nicht unbesonnen oder nur zur Befriedigung der Gefühle folgen darf, sondern mit ruhiger Überlegung vor Gott. Angenommen es käme jemand mit einer Bitte zu dir, und du hättest Grund zu denken, dass er die Gabe unrichtig verwenden würde; was müsstest du tun? Die Bitte abweisen oder doch die Gabe einschränken. Was aber, wenn der Bittende sagte: Hat nicht der Herr befohlen: „Gib dem, der dich bittet“? Nun, ich würde antworten: Gewiss; aber der Herr hat mir auch bestimmte andere Worte gegeben, durch welche ich jeden besonderen Fall beurteilen muss. — Wenn der Bittende im Begriff stände, etwas zu tun, was nach meiner klaren Überzeugung töricht und verkehrt wäre, so müsste ich mein Handeln nach einem anderen Grundsatz einrichten, und dieser lautet: richtige Unterscheidung. Wenn ich z. B. aus dem, was der Bittende mir sagt, erkenne, dass er Pläne hat, die ich für weltlich halte: muss ich seine Weltlichkeit befriedigen? Es ist klar, dass der Herr hier einen Notzustand, ein wirkliches Bedürfnis, im Auge hat; und da gewöhnlich eine schreckliche Gleichgültigkeit in dieser Hinsicht unter den Juden vorhanden war, wie es ja leider auch anderswo zu sein pflegt, besteht der Herr nicht nur darauf, dass der Christ seinem Bruder helfe, sondern Er dringt auf die Gewohnheit großmütigen Gebens; natürlich soll es nicht geschehen, um dadurch etwas zu erlangen, sondern geleitet durch eine tatkräftige, Gott entsprechende Liebe.“
„Gib dem, der dich bittet.“ Wir wissen alle, dass es solche gibt, die uns hintergehen möchten. Dieser Umstand hemmt und verschließt das Mitleid; aber er kann auch als Vorwand dienen, um überhaupt nichts zu tun. Der Herr will uns vor dieser Schlinge bewahren und zeigt uns, welch einen großen sittlichen Wert es für unsere Seelen und für die Verherrlichung Gottes hat, wenn wir in gewohnheitsmäßiger, überlegter und williger Weise den Unglücklichen in dieser Welt Güte erweisen. Nicht dass ich immer das geben soll, was jemand von mir bittet, denn seine Bitte mag sehr tt« )richtsein; aber ich soll dem geben, der mich bittet, und den nicht ab-weisen, der von mir borgen will. Vielleicht bin ich oft betrogen worden. Doch soll ich diese Fälle aufzählen und darüber ärgerlich sein? Nach dem Worte Jesu bin ich berechtigt, das, was ich tue, meinem Vater zu tun. Der Empfänger meiner Guttat mag einen schlechten Gebrauch davon machen: dafür ist er verantwortlich. Ich bin gebunden, Freigebigkeit ohne Argwohn zu üben, und zwar ganz unabhängig von bloßer Freundschaft. Denn auch die Zöllner und Sünder sind gütig gegen die, welche ihnen Güte erweisen. Die menschliche Natur in ihrer versunkensten Form ist dazu fähig. Aber was sollte ein Christ sein ? Christus bestimmt die Stellung, das Verhalten und die Gesinnung der Christen. Da Er ein Dulder war, sollen sie dem Bösen nicht widerstehen. Wenn es Not gab, so kam das Herz des Herrn ihr entgegen. Man mochte Seine Liebe mit Undank belohnen und die Gaben Seiner Gnade zur Erfüllung selbstsüchtiger Zwecke gebrauchen; aber Er, dem dies alles völlig bekannt war, ging unentwegt im Gutestun voran, und Er tat das nicht in dem allgemeinen Gedanken, den Menschen wohl zu tun, sondern in dem heiligen Dienst Seines Vaters. Den Willen Seines Vaters zu tun, war für Ihn Speise und Trank, und so sollte es auch mit uns sein. Das heißt, es handelt sich gar nicht um eine gesetzliche Verpflichtung für uns, in jedem Fall das zu geben, was von uns gefordert wird. Das könnte das Fleisch vielleicht bis zur äußersten Grenze tun, aber ohne göttliche Liebe und ohne jeden wahren Nutzen. (Vergl. 1. Kor. 13, 3.) Wir bedürfen eines geistlichen Verständnisses und der Leitung durch das Wort Gottes, um jeden Fall nach seinen eigenen Umständen vor Gott beurteilen zu können. Aber doch ist der allgemeine Grundsatz in seiner weitesten Ausdehnung zu nehmen. Wir sollen die Gewohnheit, zu geben, sowie die Gesinnung des Herzens, aus welcher sie hervorfließt, pflegen, indem wir zu ihrem himmlischen Muster und zu ihrer Quelle aufblicken.
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Lazarus
Bibelstelle: Botschafter des Heils 1909 S. 124ff
Lazarus
Lazarus ist der dritte in der lieblichen Dreizahl der Geschwister in Bethanien. Viel wird uns nicht von ihm gesagt, aber doch genug, dass wir einige Augenblicke mit Nutzen dabei verweilen möchten. Die wenigen Einzelheiten, die über ihn aufgezeichnet sind, werden uns bei einigem Nachdenken doch wertvoll und tröstlich. Die Stimme des Herrn redet zu uns in der Geschichte des Lazarus. Auch das Schweigen ist bisweilen vielsagend. Lazarus ist das Muster einer großen Schar von Jüngern des Herrn.
Es gibt viele Gläubige, deren Namen wenig bekannt sind. Selbst in der Stadt oder in dem Dorf, wo sie wohnen, gibt es nur einzelne, die sie kennen. In stiller Einfachheit gehen sie ihren Weg. Große Dinge verrichten sie nicht. Sie halten weder Bibelstunden, noch verkünden sie das Evangelium, aus dem einfachen Grund, weil sie das nicht können. Selbst in der Versammlung hört man selten oder nie ihre Stimme. Andere liegen Monate und Jahre auf dem Krankenbett, oder sitzen jahraus, jahrein zwischen den engen Wänden ihrer Wohnung, indem sie anscheinend nichts anderes zu tun haben, als zu leiden und zu dulden. Manche Schwester ist von früh bis spät in Anspruch genommen, manche Hausmutter geht förmlich auf in dem Getriebe ihrer Haushaltung und in der Erziehung der zahlreichen Kinder.
Sind solche Gläubige weniger als andere? Nein, sie nehmen den Platz ein, den Gott ihnen zugewiesen hat. Es gibt verschiedene Glieder an dem Leibe, solche, die uns ehrbar, und solche, die uns unehrbar zu sein dünken. Es sind nicht nur Apostel und Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer in der Versammlung, sondern es gibt auch Diener und Dienerinnen, Hilfsleistungen u. dgl. Dem einen sind fünf, dem anderen drei Talente gegeben, der dritte hat nur ein Talent erhallen. Hast du fünf Talente empfangen, und du gebrauchst sie nicht, wirst du gerichtet werden; hast du ein Talent erhalten, und du handelst verständig damit, wirst du Lohn empfangen. Sei darum nicht träge, wenn Gott dir viele Gaben gegeben hat. Gebrauche sie mit Eifer und Treue. Aber hast du wenige empfangen, so sei zufrieden mit dem, was du hast. Denke nicht, du seiest unnütz auf der Erde. Das Pfund, das Gott dir gab, ist gerade genügend für dich; der Platz, den Gott dir anwies, ist gerade für dich passend; die Umstände, in die du hineingestellt bist, sind für dich die geschicktesten und gesegnetsten. Viel kannst du vielleicht nicht tun; aber bedenke: das, was du tust, ist ebenso nötig und wichtig wie das, was andere verrichten. Was du tust, scheint dir zwar klein und nichtig, aber Gott urteilt ganz anders. Das scheinbar unbedeutendste Glied an einem Leibe ist gerade so notwendig, wie das ansehnlichste, ja, wie alle anderen. Das kleinste Glied einer Kette kann nicht entbehrt werden, wenn die ganze Kette nicht auseinanderfallen soll. Du magst unbekannt sein bei den Menschen, bei Gott bist du nicht vergessen.
Sieh, das lehrt uns die Geschichte von Lazarus. Lazarus war solch ein Stiller im Lande. Nur in einem Evangelium wird sein Name genannt. Das erste Mal, da wir von der Familie in Bethanien hören, vernehmen wir kein Wort von Lazarus. Hätten wir nur den Bericht von Lukas 10, würden wir nicht einmal wissen, dass Martha und Maria noch einen Bruder hatten. Die Evangelisten Matthäus und Markus, die uns, wie Johannes, die Salbung Jesu durch Maria erzählen, sagen kein Wort von Lazarus. Nur im Evangelium Johannes hören wir von ihm. Doch was wir da hören, bestätigt das eben Gesagte: Lazarus war ein Stiller im Lande. Keine einzige Tat wird von ihm gemeldet, kein Wort von ihm steht uns aufgezeichnet. Wir hören, dass er krank war und starb, dass der Herr Jesus ihn auferweckte und dass er nachher mit Jesu zu Tische lag. Das ist alles.
Wie unbedeutend! wird mancher sagen. Ja, so denken wir, aber Gott denkt nicht so. Wenn wir uns einen Augenblick mit der Geschichte in Johannes 11 und 12 beschäftigen, werden wir vielleicht ganz anders reden. Das unbedeutende Leben wird ein Leben von großer, herrlicher Bedeutung für uns werden, und wir werden Gott danken, dass Er uns neben dem Bilde von Martha und Maria auch das des Lazarus gegeben hat. „Es war aber ein Gewisser krank, Lazarus von Bethanien, aus dem Dorfe der Maria und ihrer Schwester Martha... . Da sandten die Schwestern zu Jesu und ließen ihm sagen: Herr, siehe, der, den du lieb hast, ist krank." Das ist die erste Mitteilung, die wir über Lazarus haben. Die zweite lautet: „Jesus aber liebte die Martha und ihre Schwester und den Lazarus"; ja, nicht nur die geschäftige Martha und die so innig dem Herrn anhangende Maria, sondern auch den Lazarus.
Und die Liebe zu Lazarus war so deutlich hervorgetreten, dass die Schwester die Botschaft an den Herrn senden konnte: „Herr, siehe, der, den du lieh hast, ist krank". Ist das nicht von eindrucksvoller Schönheit? Es gab offenbar etwas in dem Charakter und den Eigenschaften des Lazarus, das die Liebe des Herrn in besonderer Weise wachrief. Die göttliche Liebe umfasst alle Heiligen ohne Unterschied. Liebe zu allen Heiligen zu haben ist ein Seelenzustand, der von Paulus hoch gepriesen wird. Dennoch gibt es Unterschiede in der Offenbarung dieser Liebe. Wir lesen: „Jesus liebte ihn", und: ,.der Jünger, den Jesus liebte" usw. (Vgl. auch Sprüche 8,17; Johannes 14,23).
Doch wir finden hier mehr als das. Jesus hatte Lazarus so lieb, dass Er zu den Jüngern sagte: „Lazarus, unser Freund, ist eingeschlafen." Beachten wir zunächst, wie der Herr sich hier mit Seinen Jüngern einsmacht. Er sagt nicht: „mein Freund", sondern: „unser Freund". Er verbindet die Jünger ganz mit Sich. Es ist, als ob sie mit Ihm eine Familie ausmachten. Welch eine herablassende Güte! Ja, die Gläubigen sind auf die engste, innigste Weise mit Jesu verbunden. „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut; aber ich habe euch Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem Vater gehört, euch kundgetan habe," (Johannes 15,15). So sprach Jesus vor Seinem Tode, und nach Seiner Auferstehung ging Er noch weiter. Da nannte Er Seine Jünger „Brüder". „Gehe aber hin zu meinen Brüdern", sagte Er zu Maria Magdalene, „und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott". Er schämt sich nicht, uns Brüder zu nennen (Hebräer 2,11).
Doch kehren wir zu Lazarus zurück. „Lazarus, unser Freund, ist eingeschlafen." Der unbekannte, stille Lazarus, der durch Martha und Maria ganz in den Schatten gestellt wurde, aus dessen Mund uns kein einziges Wort aufgezeichnet worden ist, von dem wir keine einzige Tat wissen, dieser Lazarus ist ein Freund Jesu. Der du scheinbar vergessen auf deinem Dachstübchen wohnst, du bist ein Freund Jesu! Der du den Kreis deiner Kinder nicht verlassen und dein Leben nur ihrer Erziehung und Versorgung widmen kannst, du bist eine Freundin Jesu! Der du auf dem Krankenbett liegst und nur selten einen Gläubigen siehst, du bist ein Freund, eine Freundin Jesu. Ersetzt das nicht alles? O denke viel daran! Es gibt keinen treueren Freund als den Herrn. Er liebt die Seinen zärtlich! Er kennt alle ihre Bedürfnisse, ihre Nöte und Sorgen, und zu Seiner Zeit und auf Seine Weise wird Er ihnen allen begegnen. Er wird alles wohl versehen.
Denke nicht, dass Er dich vergesse, weil Er jetzt im Himmel wohnt und mit Herrlichkeit gekrönt ist. Nein, Er ist Derselbe, wie zur Zeit, da Er auf Erden wandelte. Er ist Derselbe gestern und heute und in Ewigkeit. Er weiß, wo du wohnst; Er kennt deine Adresse. Denke nur an die Geschichte von Saulus und Ananias. Zu Ananias sagt der verherrlichte Herr: „Stehe auf und gehe in die Straße, welche die gerade genannt wird und frage im Hause des Judas nach einem, mit Namen Saulus, von Tarsus: denn siehe, er betet" (Apg. 9,11). So kennt Er auch deinen Namen; so weiß Er auch die Straße, in der du wohnst, die Nummer deines Hauses, das Zimmer, wo du dich aufhältst. Und Er weiß alles, was du tust. Wenn niemand dich kennt, Er kennt dich. Sollten alle dich verlassen und vergessen haben, Er vergisst dich nicht. Wie arm und ungeachtet du auch sein magst, vor Ihm bist du nicht zu arm, nicht zu verachtet.
Er besucht dich und beweist dir Seine Freundschaft. O dass du mehr Seine Gegenwart verspüren möchtest! Wie viel glücklicher würde dann dein Leben sein, und wie viel mehr Segnungen würdest du genießen!
„Lazarus, unser Freund, schläft." Wie bereits bemerkt, war Lazarus nicht allein der Freund Jesu, sondern auch der Freund der Jünger. Hast du auch einen Freund? Nicht allein unter den Begabten oder Hochgestellten, sondern unter den Stillen im Lande? Einen Freund oder eine Freundin auf einem Dachkämmerchen? Einen Kranken, der von niemand besucht wird? Einen Geprüften, der von allen verlassen ist? Eine Witwe oder eine Waise, die allein steht? O mache es wie Jesus! Suche deine Freunde auch unter solchen!
Doch damit ist die Geschichte des Lazarus nicht zu Ende, das Wichtigste kommt noch! Der stille, scheinbar unbedeutende Mann wird eine wichtige Person, durch die ganz Jerusalem in Bewegung versetzt wird. Was sagte der Herr, als Er hörte, dass Lazarus krank war? „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen." Der Sohn Gottes sollte durch sie verherrlicht werden. Gottes Macht sollte sich offenbaren, und Jesus sollte als Sohn Gottes Seine Herrlichkeit kundtun.
Er ging nicht sogleich nach Bethanien, sondern „blieb noch zwei Tage an dem Orte, wo Er war". Lazarus stirbt und wird begraben. Dann kommt Jesus, und Lazarus wird aus den Toten auferweckt. Obwohl er schon vier Tage im Grabe gelegen hatte, kommt er hervor aus den Toten. Als ein herrliches Beispiel der göttlichen Macht Jesu steht er vor uns. Das größte Wunder, das jemals durch den Herrn Jesum auf Erden verrichtet wurde, wird an ihm getan. Da, wo der Tod schon begonnen hatte, seine vernichtende Macht zu zeigen, triumphiert der Herr über ihn und seine fürchterlichen Folgen und ruft Lazarus in das Leben zurück. Welch eine Ehre für Lazarus! Was niemand anders zuteil wurde, das ist ihm zugefallen. Was mit ihm geschah, war zur Verherrlichung Gottes, auf dass der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde.
Wie wird Lazarus sich gefreut haben! Jesus hatte ihn lieb; Er nannte ihn Seinen Freund. Lazarus hatte Seine Liebe erfahren, Seine Freundschaft genossen, und nun durfte er ein Denkmal der Herrlichkeit Jesu sein. Ja, mehr noch. Wir lesen, dass viele von den Juden, die zu Maria gekommen waren, um sie zu trösten, als sie sahen, was geschehen war, an Jesum glaubten (Johannes 11,45). So wurde das, was der Herr an Lazarus getan hatte, ein Mittel zur Bekehrung von vielen Sündern. Seine Auferweckung hatte einen solchen Eindruck gemacht, dass eine große Volksmenge aus den Juden, als sie vernahm, dass Jesus in Bethanien sei, dahin kam, allerdings „nicht um Jesu willen allein, sondern damit sie auch den Lazarus sähen, welchen er aus den Toten auferweckt hatte" (Johannes 12,9).
Ist das alles nicht sehr lehrreich, teurer Leser? Du siehst, man braucht nicht besondere Gaben zu besitzen, nicht einen hervorragenden Platz einzunehmen, nicht eine eifrige Tätigkeit zu entfalten, um zur Verherrlichung Gottes sein zu können. Jeder kann dazu beitragen in seiner Weise und nach seinem Maße. Sei nur treu! Tue nur einfältig, was deine Hand zu tun findet. Übergibst du dich still der Leitung des Herrn, so wird Er alles herrlich hinausführen. „Auf daß der Sohn Gottes verherrlicht werde", so lesen wir. Dazu bedarf es keiner glänzenden Gaben und Fähigkeiten. Der Sohn Gottes kann verherrlicht werden auf dem Krankenbett wie in der Versammlung; in unserem täglichen Wirken wie im Predigen des Evangeliums; im häuslichen Kreis wie in der Arbeit unter den Heiden.
Es kommt nur darauf an, ob wir den Platz einnehmen, den der Herr uns angewiesen hat. Bist du mit einer „Hilfsleistung" betraut, willst aber um jeden Preis ein „Prophet" sein, so wirst du nur eine elende Nachäffung der herrlichen Gabe Gottes liefern und obendrein die Gabe, die dir verliehen ist, nicht verwenden. Es liegt nicht an dem Großen oder Glänzenden, sondern allein an der Gnade des Herrn. Ist jedes Glied an seinem Platz, dann dient jedes zur Auferbauung des Leibes und zur Verherrlichung des Hauptes.
„Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen." Welch ein Trost liegt in diesen Worten für Kranke und Leidende! Solche seufzen oft darüber, dass sie nichts tun können und ihre Tage unnütz verbringen. Aber denke das nicht, der du krank bist und leidest. Denke vielmehr an Lazarus. Er war nicht nur krank, er war schon gestorben, und doch wurde der Sohn Gottes durch ihn verherrlicht. Ist es auch nicht in gleicher Weise, so kann dies doch auch durch dich der Fall sein. Bist du geduldig und sanftmütig, leidest du, ohne zu klagen oder zu seufzen, freust du dich in dem Herrn und rühmst dich der Trübsal, dann wird der Name Gottes und der Name Jesu durch dich verherrlicht. Die Welt muß dann bekennen, dass nur ein Christ so zu leiden vermag. Auf dem Krankenbett, mitten in den Leiden, sich freuen und andere trösten zu können, das ist der Triumph des Glaubens. Bei dem Herannahen des Todes nicht nur still und ruhig, sondern voll Glück und Freude zu sein, das beweist die Kraft des Christentums, die Kraft des Glaubens an Jesum. Ich kann mir nichts Herrlicheres denken. Einen Christen fröhlich heimgehen zu sehen, ist ein herzerquickender Anblick. Mancher Ungläubige ist schon dadurch getroffen und zum Nachdenken gebracht worden. So wird Gottes Name verherrlicht.
Noch zwei Dinge lesen wir von Lazarus.
Nach seiner Auferweckung aus den Toten lag er mit Jesu zu Tische. Im 12. Kapitel des Johannes-Evangeliums lesen wir im ersten Vers: „Jesus nun kam sechs Tage vor dem Passah nach Bethanien, wo Lazarus, der Gestorbene, war, welchen Jesus aus den Toten auferweckt hatte." Und im zweiten Vers wird uns mitgeteilt, dass Lazarus einer von denen war, die mit Jesu zu Tische lagen. Welch eine Freude wird es für ihn gewesen sein, mit Jesu zu Tische liegen zu dürfen, nachdem der Herr ihm eine solche Gnade erwiesen und seine allmächtige Kraft so herrlich an ihm geoffenbart hatte! Auch hatte er Jesum besser kennengelernt; er hatte in dem Herrn einen Freund gefunden, wie es keinen zweiten auf der Erde gab. Wahrlich, es werden selige Augenblicke für Lazarus gewesen sein.
Schließlich wurde er gewürdigt, die Schmach Christi zu tragen. Die Juden hatten beschlossen, Jesum zu töten und beratschlagten nun, auch Lazarus zu töten. Nichts war natürlicher als das. Lazarus war ein lebendiger Zeuge von der göttlichen Macht Jesu. Alle, die nach Bethanien kamen, konnten dort die Geschichte von der Auferweckung des Lazarus erzählen hören, ja sie konnten ihn selber sehen. Hunderte gingen dahin. Das ärgerte und erbitterte die Juden, und so beschlossen sie, nicht nur Jesum, sondern auch den Lazarus zu töten. Um Jesu willen leiden zu dürfen ist aber eine große Ehre, ein herrliches Vorrecht. Darum schreibt der Apostel an die Philipper: „Euch ist es in Bezug auf Christum geschenkt worden, nicht allein an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden" (Kap. 1,29). Und Petrus sagt: „Wenn ihr leiden solltet um der Gerechtigkeit willen, glückselig seid ihr" (1.Petrus 3,14)!
Für Jesum zu leiden ist also ein Gnadengeschenk, es ist lauter Freude für das Herz. „Freuet euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß in den Himmeln" (Mt. 5,11. 12). Diese Freude, dieses Vorrecht fiel Lazarus zu. Weder von Martha noch von Maria lesen wir dergleichen. Dem stillen, vergessenen und unbedeutenden Lazarus wurde diese große Ehre zuteil. Der Herr weiß die Niedrigen zu erhöhen, den Kleinen und Schwachen aufzuhelfen und sie zu stärken.
So ist denn das Wenige, das uns von Lazarus mitgeteilt wird, wichtig und herrlich genug. Freilich trat er nicht in den Vordergrund; er nahm den bescheidensten Platz in dem Hause ein. Sein Name wird nur einige Male genannt und von dem, was er tat oder sprach, steht kein Wort geschrieben. Aber er wird von Jesu geliebt. Jesus nennt ihn Seinen Freund.
Er wird ein Zeuge der Auferstehungsmacht des Herrn und ein Genosse Seiner Leiden und Seiner Schmach. Neben der tätigen Martha und der sinnigen Maria steht der scheinbar unbedeutende Lazarus. Sein Bild durfte in dem Gemälde nicht fehlen. Der Zustand der Gläubigen ist sehr verschieden. Gleichen viele der Martha, befinden sich nur wenige in dem Zustand der Maria, mancher findet vielleicht sein Bild in Lazarus. Der Herr sorgt für alles, auch in dieser Hinsicht. Für alle Gläubigen, wie verschieden ihr Zustand und Charakter auch sein mag, hat Er Anweisungen gegeben, so dass niemand verlegen dazustehen braucht. Keiner wird ohne Trost und Ermunterung weggeschickt. Das Wort Gottes genügt allen und für alles. Und Jesus umfasst alle die Seinigen mit zärtlicher Liebe; Er leitet und segnet, ermahnt und tröstet sie, je nachdem ein jeder es braucht. Er schenke uns Gnade, stets Seine Stimme zu unterscheiden und auf Sein Wort zu lauschen!
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Wohl zusammengefügt
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 135ff
Vor einer Reihe von Jahren arbeitete der manchem Leser bekannte Missionar Samuel Hebich an der Westküste Vorderindiens. Er war ein merkwürdiger Mann, furchtlos und treu, und sein Wirken als Evangelist unter den in Indien wohnenden Europäern, besonders unter den Soldaten, war reich gesegnet.
So hatten einst bei einem in der Stadt Kananur liegenden Regiment seine Predigten und Hausbesuche eine solch tiefe Wirkung hervorgerufen, dass nicht weniger als sieben Offiziere, zum Teil mit ihren Frauen, sich in Wahrheit zu Gott bekehrten und sich auch nicht schämten, ihren Glauben an Christum offen zu bekennen. Hernach kamen noch mehrere Unteroffiziere und andere hinzu, und so kam es, dass das Regiment in kurzer Zeit unter dem Spitznamen „Regiment Hebich“ bekannt war.
Später wurde dieses Regiment nach den „Französischen Felsen“, einer Militärstation in der Nähe der Stadt Srirangapattan, verlegt. Hier besuchte auf eine besondere Einladung im Jahre darauf Hebich seine christlichen Freunde.
Nach seiner Gewohnheit ging er von einem Hause zum anderen, unterhielt sich mit den Gläubigen, und wo er etwas nicht in Ordnung fand, ruhte er nicht, bis die Sache offen am Tageslicht lag. Bei diesen Besuchen machte er eine Entdeckung, die ihn sehr betrübte. Die Gebetsstunde, die einst eine sehr rege Beteiligung gefunden hatte, wurde jetzt so schlecht besucht, dass einige nicht einmal zu sagen wussten, ob sie überhaupt noch stattfand.
Hebichs Gegenwart hatte eine allgemeine Belebung zur Folge. Jeden Abend fanden Versammlungen statt, die stark besucht wurden. Es kamen nicht nur solche, die durch den Dienst Hebichs früher zum Herrn geführt worden waren, sondern auch Christen aus der Nachbarschaft, die von ihm gehört hatten und einen Segen zu empfangen begehrten.
Unter letzteren befand sich auch eines Abends der Schreiber dieser Zeilen. Es war das erste Mal, dass ich den bekannten deutschen Missionar sah, und ich muss sagen, schon seine Persönlichkeit, wie er da hinter einem Tische stand, mit einer großen Bibel aufgeschlagen vor sich, machte Eindruck auf mich.
Dieser Eindruck wurde noch bedeutend verstärkt durch seine Worte. Ich will versuchen, den bemerkenswertesten Teil seiner Ansprache hier wiederzugeben.
Er las das vierte Kapitel des Epheserbriefes und legte es aus bis zum fünfzehnten Verse. Dann las er den sechzehnten Vers nochmals besonders langsam und wiederholte die Worte: „wohl zusammengefügt“.
Hierauf schwieg er einige Augenblicke. Dann wandte er sich plötzlich an die Versammelten mit der Frage: „Haben Sie schon einmal ein Waschfass gesehen?“ Diese merkwürdige Unterbrechung ließ alle verwundert aufblicken. Auf jedem Gesicht lag ein Lächeln.
„Wenn Sie nach P. gehen (einer Fabrik in der Nachbarschaft), so werden Sie dort einige sehr große Fässer finden. Weder Sie noch ich können ein solches Fass machen. Das erfordert einen tüchtigen Küfer. Sonst wird das Fass seinen Zweck nicht erfüllen. Es wird kein Wasser halten; denn es ist nicht aus einem Stück Holz, sondern aus vielen gemacht, und die vielen Stücke müssen wohl zusammengefügt sein. Vier Dinge sind bei der Herstellung eines guten Fasses zu beachten:
1. Es muss einen guten Boden haben,
2. Jede Daube muss mit dem Boden wohl zusammengefügt sein.
3. Jede Daube muss mit ihrer Nebendaube wohl zusammengefügt sein.
4. Die Dauben müssen von außen zusammengehalten werden durch Reifen.
„Eine Daube kann schmal und die andere breit sein, das schließt nicht aus, dass das Fass gut wird; aber wenn ein Steinchen oder ein Stückchen Holz zwischen die einzelnen Dauben gerät, so kann das Fass den gestellten Anforderungen nicht genügen. Das Gleiche ist der Fall, wenn die Dauben wohl nahe aneinanderstehen, sich aber nicht berühren; und endlich, wenn alle Dauben bis auf eine sich berühren und wohl zusammen- gefügt sind, aber diese eine nicht richtig in der Reihe steht, so ist das Fass nichts nütze.
„Wenn nun aber ein guter Boden vorhanden ist, wenn jede Daube mit dem Boden wohl zusammengefügt ist, und wenn alle Dauben untereinander von unten bis oben wohl zusammengefügt sind, wie ist es dann? Haben wir jetzt ein gutes Fass? Noch immer nicht. Etwas fehlt noch. Das Fass wird kein Wasser halten, auch nicht für einen Augenblick, wenn die Reifen nicht darum gelegt sind. Die Reifen pressen die Dauben zusammen, so dass sie wohl zusammengefügt bleiben.
„Einen anderen Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“ Hier haben wir den guten Boden für unser Fa2. Er ist vollkommen, und jeder wahrhaft Gläubige ruht auf diesem guten Boden und ist wohl mit ihm zusammengefügt durch den Heiligen Geist. Es gibt freilich viele, die sich Christen nennen und nicht so zusammengefügt sind, aber von denen reden wir jetzt nicht.
„In der Apostelgeschichte lesen wir an verschiedenen Stellen von dem „Erfülltsein mit Heiligem Geiste“, und wir hören, dass, als einst die Gläubigen zum Gebet zusammenkamen, die Stätte sich durch Seine Macht bewegte. So erfüllt der Geist auch jetzt die Seelen derer, welche den Herrn Jesum lieben, mit Friede und Freude, und ebenso diejenigen, welche sich in Seinem Namen versammeln. Wenigstens ist dies zuweilen der Fall, nicht immer. Warum nicht immer? Wir werden sehen· Was bedeutet das Steinchen oder das Stückchen Holz, das zwischen die Dauben geraten ist? Es ist der kleine Zank, das harte Wort, das schmutzige bisschen Geld, alles Dinge, welche das Wohlzusammengefügtsein des Bruders mit dem Bruder verhindern. Und was bedeutet der Raum, und mag er auch noch so klein sein, der die einzelnen Dauben von oben bis unten voneinander trennt? Es ist die Kälte, die sich in die Herzen eingeschlichen hat, die sie voneinander trennt, und die man wohl fühlt, aber nicht verurteilen Und bekennen will.
So machen die Frau Major und die Frau Hauptmann sich wohl gegenseitig eine höfliche Verbeugung, wenn sie sich begegnen; aber sie reden nicht mehr miteinander und begrüßen sich nicht mehr wie früher. Und warum nicht? Weil die eine etwas über die andere gesagt oder gehört hat. Und was bedeutet schließlich die Daube, die nicht richtig in der Reihe steht? Es ist der stolze Geist, die unversöhnliche Gesinnung, die, wie jedermann wohl fühlen kann, in den Zusammenkünften vorherrschen, und die allen himmlischen Frieden vertreiben. Ihr seid sehr betrübt, dass ihr keinen Segen empfangt, und so bleibt ihr lieber aus der Versammlung weg, weil sie euch nichts bieten kann. Ihr bleibt lieber daheim mit dem Teufel, und werdet dann allerdings sehr trocken.
„O ihr Lieben, seid doch wohl zusammengefügt! Aber bedenkt, dass ihr in euch selbst keine Kraft besitzt. Das was euch zusammenhält, sind die euch von Kopf bis zu Fuß umfassenden Reifen der Liebe Jesu; und in dem Maße, wie diese Kraft aus einen jeden von euch drückt, wird der Einzelne mit dem Ganzen besser zusammengefügt werden. Dann wird der Heilige Geist euch erfüllen bis zum Überfließen. Dann werden auch alle, die in eure Mitte treten, neu belebt werden, und der Name des Herrn Jesu wird verherrlicht werden. Amen
E. K. G.
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Gedanken
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 139ff
Wir erinnern uns nicht an einen verherrlichten Christus. Als solchen kennen wir Ihn jetzt droben. Nein, es ist der erniedrigte, gekreuzigte Christus, an den wir gedenken. Es gibt jetzt keinen erniedrigten Christus, als nur in der liebenden Erinnerung Seines Volkes; und zu diesem sagt der Herr: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“
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Der Glaube wird durch das Wort genährt, nicht durch irgend etwas Sichtbares. Unser Wandel ist ein Wandel des Glaubens; wenn wir uns deshalb nicht durch das Wort nähren, so wird der Glaube schwinden. Alles verfällt und vergeht, das Wort allein bleibt ewig.
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Alle werden einmal Gott für sich selbst Rechenschaft geben: die Gläubigen, wenn sie aufgenommen werden, um bei dem Herrn zu sein, die Gottlosen am sogenannten jüngsten Tage, wenn das Tausendjährige Reich vor- über ist. Die Gläubigen werden in der Herrlichkeit für sich selbst Rechenschaft geben. Sie sind jetzt schon Gott offenbar geworden. (2. Kor. 5, 11.) Der Christ steht jetzt schon in Gegenwart der Herrlichkeit. Es ist nötig, dass das Licht des Richterstuhls auf unser Gewissen wirkt; aber wir müssen ein Vollkommenes Vertrauen zu Gott haben, anders können die Zuneigungen und Gefühle des Herzens sich nicht in lieblicher Freiheit entfalten.
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Drückt dich Beschwerde
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 140ff
Drückt dich Beschwerde,
gibt es Kampf und Streit
fühlst du der Erde
Kummer und Leid;
will Dein Herz brechen,
sinkt dir der Mut –
musst leise sprechen:
Er macht alles gut!
Er trug aus Liebe
Leiden und Schmach.
Im Erdgetriebe
folge Ihm nach!
Lerne, wie ER, schweigen
im tiefsten Wehe;
still das Haupt neigen:
Dein Wille geschehe!
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Das Reich der Himmel
Bibelstelle: Matthäus 5 – 7
Botschafter des Heils 1909 S. 141ff
Die folgenden Verse (43 — 48) enthalten den Kern und das Wesen unseres Verhältnis zu anderen Menschen hienieden, den großen wirkenden Grundsatz, von welchem jedes richtige Verhalten ausgeht. Es handelt sich um den wahren Charakter und die Ausdehnung der Liebe. „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen“ (V. 43). Das war in wenigen Worten der Ausdruck dessen, was die Juden aus dem Ton und Inhalt des Gesetzes herleiteten. Gott hatte die Vertilgung ihrer Feinde gutgeheißen; und daraus entnahmen sie den Grundsatz: „Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen“. Jetzt aber sagte Christus: „Liebet eure Feinde, segnet die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und betet für die, die euch beleidigen und verfolgen“. Es handelte sich nicht mehr einfach darum, den Nächsten zu lieben, was eine Pflicht gewöhnlicher Gerechtigkeit war, sondern um etwas, das keine Gerechtigkeit je entdeckt haben würde, weil es über das Gesetz hinausging. Es war die Gnade. In tausenderlei Fällen des praktischen Lebens handelt es sich nicht um die Frage, ob etwas recht oder unrecht ist.
Man hört Christen so oft fragen: Ist dies oder das verkehrt? Aber das ist nicht die einzige oder eigentliche Frage für den Christen. Er hat sicherlich nie die Freiheit, etwas Verkehrtes zu tun; er tut was recht ist. Aber das ist nicht alles. Nehmen wir den Fall an, dass ihm ein Unrecht zugefügt wird; was sollen jetzt seine Gefühle sein? In dem anderen mag Feindschaft gegen ihn fein, aber welche Gefühle soll er in seinem Herzen nähren? „Liebet eure Feinde . . . tut wohl denen, die euch hassen, . . . . . damit ihr Söhne eures Vaters seid, der in den Himmeln ist.“ So zeigen wir denn in unserem Verhalten, welcher Familie wir angehören: „denn Er lässt Seine Sonne ausgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte . . . . Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (V. 44 — 48).
Aber, möchte jemand fragen, ist denn in unserer Natur keine Sünde mehr? Freilich; die böse Quelle ist und bleibt im Menschen, so lange er hienieden lebt. Was der Herr uns einprägen will, ist dies: Unser himmlischer Vater ist unser vollkommenes Muster in Seiner gegenwärtigen Handlungsweise mit Seinen Feinden, und Er fordert uns aus, vollkommen zu sein in derselben Liebe und Gnade, in welcher Er handelt. Das steht in völligem Gegensatz zu allen jüdischen Begriffen, oder zu irgend etwas früher Dagewesenem. Abraham wurde nicht berufen, so zu wandeln. Er war, denke ich, berechtigt, seine Knechte zur Befreiung Lots zu bewaffnen; gerade so wie die Israeliten, als sie gegen die Kanaaniter das Schwert zogen. Wir jedoch sollten unter keinen Umständen so fühlen oder handeln. Wir sind berufen, nach dem Grundsatz gnadenreicher Langmut zu wandeln; das ist die Richtschnur des christlichen Lebens, das was unsere Gedanken und Handlungen leiten und uns Tag für Tag die wahren Gefühle darreichen soll. Wir befinden uns inmitten der Feinde Christi, die um Seinetwillen auch unsere Feinde sind. Dies mag nicht immer zu Tage treten. Verfolgung mag aus der Mode gekommen sein. Aber die Feindschaft ist immer da; und wenn Gott nur gewisse Hindernisse beseitigen wollte, würde der alte Hass mit größerer Heftigkeit losbrechen als je zuvor.
Nichtsdestoweniger steht dem Christen, der zu wandeln wünscht, wie Christus gewandelt hat, nur ein Weg offen, und der ist: „Liebet eure Feinde“. Und das muss Wirklichkeit sein. Es handelt sich nicht nur um ein äußerlich sanftes Auftreten oder um gelinde Worte. Vielleicht ist es in gewissen Fällen nicht möglich, zu einem Erzürnten zu gehen und mit ihm zu reden, weil es nur Bitterkeit und Wut hervorrufen würde; aber unter allen Umständen sollte die Bereitwilligkeit vorhanden sein, die Segnung unseres Gegners zu suchen. Dem, der mich beleidigt hat, wirklich Güte zu erweisen, selbst wenn es keinem Geschöpf aus der Erde je bekannt werden sollte, ist das Einzige, was eines Christen würdig ist; und dazu werden wir hier aufgefordert, besonders solchen gegenüber, die uns beleidigen und verfolgen.
Wir sollten den Herrn um Gelegenheiten bitten, um solchen, die uns hassen, Liebe erweisen zu können. Wenn eine Herausforderung an uns herantritt, sollte das Bewusstsein in unserer Seele leben, dass wir zu dem Zweck hier sind, Christum darzustellen. Wir sind in der Tat „Sein Brief, gekannt und gelesen von allen Menschen“. Darum sollte allezeit das an uns gesehen werden, was Christus unter denselben Umständen getan haben würde. Es steht uns nie frei, uns etwas anderes zu erlauben.
Der Herr schenke uns, dass es so mit uns stehe, zunächst in den verborgenen Gefühlen unserer Herzen vor Ihm, und dann in der demütigen und selbstlosen Offenbarung dieser Gefühle anderen gegenüber! Vergessen wir nicht, dass jede siegreiche Entscheidung in unserem Kampfe mit anderen nur ein äußerer Widerschein ist von dem geheimen Sieg, den wir über uns selbst in der Gemeinschaft mit dem Herrn errungen haben. Beginnen wir hier, so ist der Kampf vor den Menschen entschieden, mögen wir vielleicht auch eine Zeitlang auf den Sieg zu warten haben.
Kapitel 6.
Das 6. Kapitel beginnt mit einem Gegenstand, der noch höher steht als das, was wir bisher betrachtet haben. Die verschiedenen Ermahnungen des 5. Kapitels stellten christliche Grundsätze ans Licht, im Gegensatz zu dem, was unter dem Gesetz gefordert oder gestattet wurde. Von jetzt ab wird das Gesetz, verlassen; fortan finden wir in der Rede unseres Herrn keine ausdrücklichen Hinweise mehr auf dasselbe. Der erste Grundsatz aller Frömmigkeit kommt jetzt in seiner lieblichsten Form zum Vorschein, nämlich der, dass wir es mit unserem Vater im Verborgenen zu tun haben, welcher, wenn auch keine andere Seele da ist, die uns versteht, alles sieht, was in uns und um uns her vorgeht, der uns hört und uns leitet, wie Er ja in der Tat das höchste Interesse an uns nimmt. Es ist das, was der Herr „Unsere Gerechtigkeit« nennt. Nicht nur wird der Heilige ermahnt, gegenüber jeglicher Art des Bösen in seiner Natur wachsam zu sein, noch wird die Heiligkeit vorgestellt, welche der Herr jetzt einführte. Es war nicht genug, die Seele mit der Handlungsweise der Liebe, selbst in ihrem äußeren Verfahren mit den Schlechtesten der Menschen, bekannt zu machen. Es handelt sich jetzt um unseren Vater, und alles nimmt die Form der Gerechtigkeit an. Die innere, göttliche Beziehung, in welcher der Heilige steht, tritt in diesem Kapitel hervor — die geistlichen Bande, die uns mit Gott, unserem Vater, verbinden, und das Verhalten, welches daraus hervorgehen sollte. Daher sagt unser Herr: „Habet acht, das; ihr euer Almosen nicht gebet vor den Menschen, um von ihnen gesehen zu werden“. Ich möchte hier bemerken, dass mehrere alte Handschriften an dieser Stelle statt „euer Almosen gebet“ lesen: „eure Gerechtigkeit übet“.
Manche Gründe sprechen für diese Lesart. Man fragt z. B. und nicht ganz mit Unrecht: Wenn man im 1. Verse liest: „Almosen gebet“, enthält dann der nächste Vers nicht eine bloße Wiederholung? Dagegen ist, wenn man die Lesart „Gerechtigkeit übet“ annimmt, alles klar, indem der Herr dann in den folgenden Versen die Gerechtigkeit in drei verschiedene Teile zerlegt: zunächst Almosengeben, dann Beten und drittens Fasten. Indes ist die Sache nicht von erheblicher Bedeutung. Dass die genannten Dinge die drei Teile der Gerechtigkeit des Heiligen ausmachen, wie der Herr dieselbe in dieser Rede betrachtet, ist augenscheinlich. Behandeln wir sie deshalb etwas genauer.
1. Mit dem Almosengeben, einer Sache von besonderer praktischer Bedeutung, ist der Grundsatz der Barmherzigkeit verbunden, was nicht in allen Fällen des Gebens so zu sein braucht. Es ist etwas, das in ernster und feierlicher Weise getan wird; das Herz wird weit dabei, und es geschieht vor Gottes Auge. Die allgemeine Ermahnung lautet: „Habet acht, dass ihr euer Almosen nicht gebet (oder eure Gerechtigkeit nicht übet) vor den Menschen, um von ihnen gesehen zu werden; wenn aber nicht, so habt ihr keinen Lohn bei eurem Vater, der in den Himmeln ist“. Auf diese Ermahnung gegründet, folgt dann die nähere Ausführung: „Wenn du nun Almosen gibst, sollst du nicht vor dir her posaunen lassen«, eine Anspielung auf gewisse Arten des Kundbarmachens und des Eigenlobes, die bei den Juden jener Tage gebräuchlich waren, und deren Geist zu allen Zeiten in dem Menschen steckt. Es gibt wenige Dinge, in denen die menschliche Eitelkeit sich auffallender offenbart, als in dem Wunsche, durch Almosengeben bekannt zu werden. Und was gibt wahre Befreiung aus dieser Schlinge der Natur? „Wenn du nun (beachte, dass der Herr die Sache hier zu etwas ganz Persönlichem macht) Almosen gibst, sollst du nicht vor dir her Posaunen lassen, wie die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Straßen, damit sie von den Menschen geehrt werden. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn dahin. Du aber, wenn du Almosen gibst, so lass deine Linke nicht wissen, was deine Rechte tut; damit dein Almosen im Verborgenen sei, und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten“ (V. 2 — 4). Das heißt, man soll das, was man tut, nicht nur nicht überallhin ausposaunen, sondern auch bei sich selbst nicht bekannt werden lassen. Nicht nur die Linke eines anderen soll nicht wissen, was meine Rechte tut, nein, meine eigene Linke ist gemeint.
Nichts könnte für alles, was Selbstbefriedigung heißt, schärfer sein als die Worte des Herrn. Die große Sache, um die es sich hier handelt, ist diese: alles soll vor unserem Vater und für Ihn getan werden. Es handelt sich nicht einfach um die Erfüllung einer Pflicht; sondern die Liebe unseres Vaters wird durch uns ans Licht gebracht, und das ist Sein Wille in Bezug auf uns. Er weiß, was das Beste ist, wir wissen es nicht.
Wir meinen vielleicht, das größte Glück uns dadurch verschaffen zu können, dass wir uns mit allem umgeben, was das Herz begehrt; aber es ist gerade umgekehrt: das Fahrenlassen der Mittel, die wir zu persönlichem Genuss besitzen, öffnet uns nur neue Segensquellen. Zudem sollten wir begehren, dass unser Almosen „im Verborgenen“ sei; „und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten“. Wir werden diese Worte bei jedem Punkt dessen, was hier unsere „Gerechtigkeit“ genannt wird, wiederholt finden. Dem Fleisch wird da immer Raum gelassen, wo nicht die Gewohnheit gepflegt wird, das was man tut, zwischen sich und dem Vater im Himmel zu tun. Nein, mehr als das: unser Herr wünscht, dass wir sogar den Gedanken daran völlig dem Herzen des Vaters überlassen, der unsere Liebe nicht vergessen wird.
2. Dasselbe finden wir in Bezug auf das Gebet. Der Herr spielt, wie es scheint, auf die Gewohnheit an, dass an jedem Tage, wenn eine bestimmte Stunde gekommen war, Leute sich fanden, die lieber öffentlich beteten, als dass sie den dafür bestimmten Augenblick unbenutzt vorübergehen ließen. Es liegt auf der Hand, dass dies im besten Falle durchaus gesetzlich war und der Schauspielerei und Heuchelei die Tür öffnete. Zugleich wird dabei die große Wahrheit, welche das Christentum so klar ans Licht stellt, völlig übersehen, dass es nämlich ganz und gar verkehrt ist, etwas zu tun, um sich dadurch einen Namen zu machen, oder im Sinne einer gesetzlichen Verpflichtung, oder damit andere es sehen, oder um für sich selbst etwas zu haben, woran man sich gern erinnert. Wir haben es mit unserem Vater zu tun, und zwar mit unserem Vater „im Verborgenen“. Darum sagt der Herr: „Du aber, wenn du betest, so gehe in deine Kammer und, nachdem du deine Tür geschlossen hast, bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist, und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten“ (V. 6). Damit wird keineswegs die Richtigkeit des öffentlichen Betens in Frage gestellt; doch von gemeinschaftlichem Beten ist hier gar nicht die Rede.
So war auch das Gebet, welches der Herr Seine Jünger gleich nachher lehrte, ein Gebet für jeden einzelnen von ihnen; sie wussten nicht, wie sie beten sollten, und bedurften in den allerersten Grundsätzen des Christentums unterwiesen zu werden. Es gehörte zu dem, was der Apostel „das Wort von dem Anfang des Christus“ nennt, wenn er sagt: „Deshalb, das Wort von dem Anfang des Christus lassend, lasst uns fortfahren zum vollen Wuchse und nicht wiederum einen Grund legen mit der Buße von toten Werken und dem Glauben an Gott, der Lehre von Waschungen und dem Hände-Auflegen und der Toten-Auferstehung und dem ewigen Gericht. Und dies wollen wir tun, wenn Gott es erlaubt“ (Hebr. 6, 1 — 3).
Der Apostel gibt zu, dass das alles sehr wichtige Wahrheiten seien; aber es waren doch nur jüdische Grundsätze, d. h. Wahrheiten, mit denen jemand bekannt sein konnte und sollte, ehe die Erlösung vollbracht war; sie führten nicht das Christentum ein in seiner ganzen Bedeutung und Kraft. Sie waren durchaus wahr, und werden immer wahr bleiben; denn was könnte die Wichtigkeit der Buße von toten Werken oder des Glaubens an Gott abschwächen? Aber wir müssen fragen: Wo ist hier der Glaube an Christum? Es ist gar nicht die Rede davon. Ohne Zweifel bleibt der Glaube an Gott jederzeit bestehen; aber es gab doch, ehe Christus gestorben und auferstanden war, einen großen Teil Wahrheit, der nicht geoffenbart werden konnte, den selbst die Jünger nicht zu tragen vermochten. Der Herr selbst spricht das aus (Joh. 16, 12). Darum sagt der Apostel: „Das Wort von dem Anfang des Christus“ (das ist das, was Christus hienieden ans Licht brachte und was dem damaligen Zustand der Jünger völlig angemessen war,) „lassend, lasst uns fortfahren zum vollen Wuchse“.
Der Gedanke an ein Aufgeben dieser Wahrheiten liegt dem Apostel völlig fern. Es sind vielmehr feststehende Wahrheiten, die uns bekannt sind und die wir deshalb nicht immer zu wiederholen nötig haben sollten; sondern indem wir sie als feststehend und bekannt betrachten, sollten wir voranschreiten zu dem Verständnis des Christus, so wie Er jetzt ist, als der verherrlichte Menschensohn zur Rechten Gottes droben. Das ist hier der Sinn des Wortes „voller Wuchs“. Es handelt sich also nicht etwa um einen besseren Zustand unseres Fleisches hienieden, noch um etwas, das wir dereinst in einem zukünftigen Leben sein oder besitzen werden, sondern um die vollständige Lehre von Christo, wie Er jetzt ist, verherrlicht und im Himmel. Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass es sich auf die Lehre von Christo bezieht, wie sie uns in dem Briefe an die Hebräer dargestellt wird. Christus ist im Himmel — dort ist Sein Priestertum. Er ist kraft Seines eigenen Blutes dort eingegangen, nachdem Er eine ewige Erlösung bewirkt hatte. Christus, wie Er jetzt droben ist, das ist der volle Wuchs.
In demselben Briefe redet der Apostel davon, dass Christus durch Leiden vollkommen gemacht worden sei. Christus war in Seiner Person immer vollkommen. Er konnte nie etwas anderes sein. Wenn es in Christo auf Erden irgend einen Makel gegeben hätte, so wäre Er, wie das Opfer, an dem ein Gebrechen war, untauglich gewesen, für uns geopfert zu werden. Im Judentum durfte nicht einmal ein Tier, das von selbst gestorben war, gegessen werden. So hätte auch unser Herr, wenn der Grundsatz, des Todes in Ihm gewesen wäre, weder für Gott noch für uns als Grundstein dienen können.
Er musste in jedem Sinne „der lebendige Stein“ sein, ohne die geringste Neigung oder Anlage zum Tode. Ohne Zweifel hat Er als das freiwillige Schlachtopfer auf dem Kreuze den Tod erlitten; aber das geschah gerade deshalb, weil der Tod keine Macht über Ihn hatte. In jedem Sohne Adams wirkt die Sterblichkeit, liegt der Keim des Todes. Der zweite Mensch, der letzte Adam, konnte sagen, selbst während Er hienieden pilgerte: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“· Das ist die Wahrheit in Bezug auf Christum. Während es völlig wahr ist, dass Christus stets moralisch vollkommen war, vollkommen auch sowohl in Seiner göttlichen Natur wie in Seiner Menschheit, durchaus fleckenlos und Gott wohlgefällig, — gab es bei alledem doch einen Berg von Sünde, der von uns weggenommen werden musste; zugleich musste ein neuer Zustand eingeführt werden, in welchem Er uns mit sich vereinigen konnte.
Christus hat unsere menschliche Natur angenommen, nicht insofern diese dem Tode unterworfen ist (denn das würde eine Verbindung mit der Sünde ergeben haben), sondern in ihrer Fähigkeit, zu sterben, obwohl Er völlig unfähig war, zu sündigen. Hier ist die Grenzlinie, welche gesunde Lehre bezüglich Seiner Person scheidet von dem, was böse und verderblich ist. Alles was den leisesten Gedanken an Böses oder an die geringste Berührung seitens desselben in Christo zulässt, zerstört sofort die Wahrheit von Seiner Person.
Andererseits war Christus gewiss und wahrhaftig ein Mensch, und war deshalb fähig, für uns zu sterben; wäre es anders, so hätte das Erlösungswerk nie vollbracht werden können. Gerade durch den Tod musste Er die Macht dessen zunichtemachen, der die Macht des Todes hatte, das ist des Teufels. Es erfordert jetzt nur den Willen Gottes, und alle Macht Satans wird in Rauch aufgehen; der Gläubige weiß das — wenigstens sollte er es wissen. Gegen die Listen Satans haben wir auf der Hut zu sein; seine Macht ist für den Glauben gebrochen, soweit wir in Betracht kommen. Gegen die Mittel, durch welche Satan die Seele zu umgarnen sucht, muss gewacht werden, seine Macht aber ist vernichtet.
Allein das war für niemand wahr, bis Christus durch den Tod und die Auferstehung gegangen war; bis dahin gab es noch etwas, das hinter dem vollen Vorsatz Gottes zurückblieb. Christus war noch nicht in den Stand eingetreten, der dem Herzen Gottes völlig entsprach. Für den Menschen, für den Heiligen, ist ein Zustand bestimmt, den der Tod nicht antasten kann; und wir werden in denselben gelangen, sei es als Auferstandene oder als Verwandelte. Das was Gott „Heil“ nennt, umfasst nicht nur die Vergebung, welche die Seele erlangt, sondern auch die Gnade, die sie nachher aufrecht hält, sowie die Macht, welche in dem Auferstehungszustand alles erfüllt. Selbst Christus, obwohl Er völlig ohne Sünde war, trat in diesen Stand erst nach Seinem Tode ein. Er wurde durch Leiden vollkommen gemacht; Er ging durch diesen Leidensweg in die Glückseligkeit ein, in welcher Er jetzt als Hoherpriester und als der Vorläufer unseres Heils vor Gott steht. Und obwohl alles, was Christus, während Er auf der Erde war, lehrte, selbstverständlich so wahr ist wie es nur sein kann, weil es von Ihm, der die Wahrheit ist, ausgesprochen wurde, gab es doch vieles, was die Jünger damals noch nicht zu schätzen oder zu verstehen vermochten. Dazu gehörte auch dies.
Später war die Gefahr da, dass die Menschen einfach auf das zurückgehen wollten, was sie von dem Herrn gehört hatten, als Er hienieden war. Wie listig ist der Feind, indem er unter dem Vorwande, Christum zu ehren, Ihn verunehrt und Seinen Schafen Schaden zufügt! Satans Bestreben in allem ist, ihre Gedanken irdisch zu erhalten und sie zu hindern, ihre himmlische Berufung und Stellung zu ergreifen. Daher hatte der Inhalt des an die hebräischen Christen gerichteten Briefes den Zweck, sie weiterzuführen, über das hinaus, dem sie anhingen, als wenn es die „ganze Wahrheit“ gewesen wäre.
Man begegnet heute denselben Schwierigkeiten bei vielen Kindern Gottes. Sie gehen in ihren Gedanken nicht weiter, als bis zu dem, was ein Jünger vor dem Kreuze sein oder erkennen konnte. Wohl sind ihnen der Tod, die Auferstehung und die Himmelfahrt Christi als Tatsachen bekannt, aber sie haben kein Verständnis über deren Tragweite für die Seele; ja, vielleicht würden sie es für Anmaßung halten, anzunehmen, dass es für sie ein Fortschreiten, oder dass es überhaupt eine weitere Entfaltung der Gnade Gottes geben könne. Doch wir haben nicht ein Wort in der Bibel, das nicht durchaus notwendig wäre; und wenn „das Wort von dem Anfang des Christus“ genug gewesen wäre, so würde Gott den Umfang des Buches, welches Er gnädiglich in unsere Hände gegeben hat, gewiss nicht erweitert haben; doch der Heilige Geist hat in ausgedehnter Weise weitere Wahrheiten geoffenbart, indem Er so die Verheißung unseres Herrn erfüllte: „Er wird euch in die ganze Wahrheit leiten“. Das sollte geschehen, wenn die Jünger kraft der Gegenwart und Innewohnung des Heiligen Geistes befähigt sein würden, die ganze Darstellung der göttlichen Gedanken zu ertragen und zu genießen.
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Jede Verbindung zwischen Wahrheit und Irrtum ist ungleich; denn gerade infolge der Verbindung hört die Wahrheit auf, Wahrheit zu sein, während der Irrtum nicht um ein Haar besser wird.
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Ein Beispiel von dem Ausharren und der Kraft des Glaubens
Bibelstelle: Josua 14, 6 – 15 und 15, 13 – 19
Botschafter des Heils 1909 S. 154ff
Was den „Menschen Gottes“ (1. Tim. 6, 11) von allen anderen Menschen unterscheidet, ist der Glaube, den er besitzt, und der, wie Gottes Wort sagt, eine Gabe Gottes ist. (Siehe Eph. 2, 8.) Jede errettete Seele hat diesen lebendigen Glauben, anders wäre sie eben nicht errettet; aber was die Kraft und die Wirksamkeit desselben betrifft, so besteht ein merklicher Unterschied zwischen den Gläubigen. Dieser Unterschied wird bedingt durch den verschiedenartigen Zustand der Herzen. Für den natürlichen Menschen haben nur die sichtbaren Dinge Wert. Er will auch nur das annehmen, was er mit seinem Verstande fassen kann.
Der Gläubige dagegen findet seine Stütze in den unsichtbaren Dingen, die Gottes Wort ihm offenbart, und indem er diesem Worte glaubt, nicht grübelt noch zweifelt, genießt er die Segnungen, die ihm durch dasselbe verheißen sind. Der Glaube ist deshalb oft mit einer Hand verglichen worden, mit welcher wir uns die Schätze der göttlichen Gnade zueignen. Dass es Gott wohlgefällig ist, wenn wir im Glauben viel Gebrauch machen von der Fülle, die in Ihm ist, davon finden wir viele belehrende und ermunternde Beispiele im Alten wie im Neuen Testament.
In den beiden oben bezeichneten Schriftabschnitten (Jos. 14, 6 — 15 u. 15, 13 — 19) wird uns in dem Glauben Kalebs ein solches Beispiel vor Augen gestellt. Gott gebe, das; es uns ermuntere, unseren Glauben stärke und uns antreibe, den Glauben jenes Gottesmannes und alten Führers unter dem Volke Gottes nachzuahmen!
Wir erinnern uns, dass Kaleb einer von den zwölf Männern war, welche durch Mose von Kades Barnea ausgesandt wurden, um das Land, welches Jehova Seinem Volke als Erbteil verheißen hatte, auszukundschaften. Bei ihrer Rückkehr bezeugten diese Männer, dass die Beschaffenheit des Landes so war, wie Jehova ihnen gesagt hatte: es war in der Tat ein Land, das von Milch und Honig floss, und die mitgebrachte Traube gab Zeugnis von der Fruchtbarkeit desselben. Indes stellten sich der Einnahme Schwierigkeiten und Hindernisse entgegen. Das Volk war stark, und die Städte waren groß und befestigt, und auch die Kinder Enaks, die Riesen, waren dort. Diese Schwierigkeiten nun machten die Herzen offenbar. Ach! in zehn von den Kundschaftern war »ein böses Herz des Unglaubens; indem sie die festen Städte und die Riesen anschauten, denen gegenüber sie in ihren Augen wie Heuschrecken gewesen waren, zerschmolz ihr Herz. Jehova, der ihnen das Land verheißen hatte und die Hindernisse wohl kannte, war bei ihrer Beurteilung völlig ausgeschlossen; und deshalb lautete das Ergebnis: „Wir vermögen nicht hinaufzuziehen gegen das Volk, denn es ist stärker als wir“ (4. Mose 13, 31).
Sie urteilten nach den sichtbaren Dingen. Nur Josua und Kaleb betrachteten die Sachlage im Glauben und führten den Gott Israels ein mit den Worten: „Wenn Jehova Gefallen an uns hat, so wird Er uns in dieses Land bringen und es uns geben“. Was sind feste Städte und starke Riesen für den Glauben? Nicht mehr, als was sie für Gott sind. Darum fuhren die beiden treuen Männer fort, das Volk zu beschwichtigen und zu ermuntern, indem sie sprachen: „Fürchtet nicht das Volk des Landes, denn unser Brot werden sie sein. Jehova ist mit uns; fürchtet sie nicht!“ Aber sie fanden kein Gehör; ja, wenn Jehova nicht dazwischengetreten wäre, so würde das Volk die Glaubenszeugen gesteinigt haben.
Wie schrecklich ist doch der Unglaube, und wie viel schrecklicher noch sind die Folgen desselben! Welch ein warnendes Beispiel gibt uns hiervon das Volk in der Wüste! Das Wort sagt: „Sie sind in der Wüste hingestreckt worden“, und: „Sie konnten nicht eingehen wegen des Unglaubens“ (1. Kor. 10, 5; Hebr. 3, 19).
Der Unglaube verhinderte also das Volk, das Land einzunehmen, und so mussten sie wieder aufbrechen „nach der Wüste, des Weges zum Schilfmeer“. Wie schmerzlich mag es für Kaleb gewesen sein, das verheißene, kostbare Erbteil jetzt nicht in Besitz nehmen zu können, und wieder dahin zurückzuwandern, woher sie gekommen waren. Aber wir hören seinerseits keine Klagen. Geduldig fügt er sich dem Willen Gottes und ist bereit, noch weiter mit dem Volke in der „großen und schrecklichen Wüste« zu wandern, wo feurige Schlangen und Skorpionen waren, und Dürre und kein Wasser (Siehe 5. Mose 8, 15). Er wusste, was Jehova an dem Volke getan hatte in jener denkwürdigen Nacht, als der Würgengel durch Ägyptenland ging und alle Erstgeburt schlug; wie es nur durch das Blut des auf Anweisung Jehovas geschlachteten Lammes dem Gericht entronnen war. Er war Augenzeuge davon gewesen, wie Gott Sein Volk mit starker Hand aus Ägypten geführt und am Roten Meere auf so wunderbare Weise von der schrecklichen Sklaverei des Pharao befreit hatte. Er wusste, dass dieser treue, starke Gott Sein armes, irrendes Volk auch jetzt nicht verlassen würde, wenn auch die ganze Erde von Seiner Herrlichkeit erfüllt werden sollte. (Vergl. 4. Mose 14, 21ff.) Und er wurde nicht beschämt. Er durfte sehen, wie Jehova in der Wüste treulich für Sein Volk sorgte in allen ihren Bedürfnissen, ja, wie Er selbst die vierzig Jahre ihrer Wüstenwanderung mit ihnen zog, indem Er sie schirmte und schützte auf allen ihren Wegen. So lernte er Abhängigkeit und Gehorsam kennen, und indem er überzeugt war, dass das heilige Wort Jehovas sicher und gewiss in Erfüllung gehen würde, harrte er unverdrossen aus.
So war die Wartezeit vorübergegangen. Die lange und beschwerliche Wüstenreise hatte Kaleb nicht ermüdet, nicht zu Boden geworfen; er hatte sich an Gottes Verheißung geklammert: „Aber meinen Knecht Kaleb, weil ein anderer Geist in ihm gewesen und er mir völlig nachgefolgt ist, ihn werde ich in das Land bringen, in welches er gekommen ist; und sein Same soll es besitzen“ (V. 24). Sein Glaube war gewiss auf manche Probe gestellt, aber nicht erschüttert worden. Indem er das Ziel stets im Auge behielt, hatte er Mut und Kraft gefunden, die Unbilden der Wüste ohne Murren zu ertragen. Und nun waren sie im Lande. Jehova hatte für sie gestritten, und der Feind war geschlagen. Allerdings war keiner von den aus Ägypten gezogenen streitbaren Männern hineingekommen, außer Josua und Kaleb. Auch in dieser Beziehung war Gottes Wort in Erfüllung gegangen. Und nun er- innert Kaleb seinen Glaubensgenossen an das Wort, welches Jehova einst ihretwegen zu Mose in Kades Barnea geredet hatte, und wie Muse einen Schwur getan, dass das Land, welches der Fuß Kalebs betreten hatte, ihm und seinen Söhnen ewiglich zum Erbteil werden solle, weil er Jehova völlig nachgefolgt war. Und Josua (ein Vorbild von Christo) segnet ihn und gibt ihm Hebron zum Erbteil (Josua 14, 13).
Damit war Kaleb sein Erbteil zuerkannt, er durfte es nur in Besitz nehmen. Aber wieder stellten sich der Ausführung große Hindernisse entgegen; die Feinde, die Kinder Enaks, die in großen und festen Städten wohnten, hatten das Land noch in unbestrittenem Besitz. Das waren Schwierigkeiten, die den alten Glaubensmann, wenn er sich mit ihnen beschäftigt hätte, wohl mutlosmachen konnten. Doch was sagt er zu Josua? „Ich bin heute fünfundachtzig Jahre alt. Ich bin heute noch so stark, wie an dem Tage da Mose mich aussandte; wie meine Kraft damals, so ist meine Kraft jetzt zum Streite und um aus- und einzuziehen. Ja, der Glaube überwand auch diese Schwierigkeiten.
Kaleb blickte nicht auf sie, sondern auf Jehova, und hatte das Vertrauen, dass Er, der ihm bis dahin die nötige Kraft verliehen hatte, es auch jetzt tun werde. Denn Jehova selbst hatte ihm ja dieses Erbteil zuerkannt. Und sein Glaube ist nicht beschämt worden. Wie er vordem in Einheit mit dem Volke und für das Volk gekämpft hatte, so kämpfte er jetzt für sich, um in den Besitz seines Erbteils zu gelangen, und er trug den Sieg davon. Wir lesen: „Und Kaleb, dem Sohne Jephunnes, gab er ein Teil inmitten der Kinder Juda, nach dem Befehle Jehovas an Josua: die Stadt Arbas, des Vaters Enaks, das ist Hebron. Und Kaleb trieb von dannen aus die drei Söhne Enaks, Scheschai und Achiman und Talmai, Kinder Enaks“ (Jos. 15,13.14).
Aber Kaleb wandelte nicht nur persönlich im Glauben und gelangte so zu seinem Erbteil; als ein treuer Knecht Gottes wünschte er auch, dass sein Haus dieselbe Gesinnung offenbaren und in seinen Fußstapfen wandeln möchte. Deshalb sprach er: „Wer K«irjath-Sepher (ein Teil des ihm zugefallenen Erbes) schlägt und es einnimmt, dem gebe ich meine Tochter Aksa zum Weibe. Da nahm es Othniel ein, der Sohn Kenas, ein Bruder Kalebs; und er gab ihm seine Tochter Aksa zum Weibe“ (Kap. 15, 16. 17). Othniel ahmte den Glauben Kalebs nach und konnte deshalb auch in dessen Erbe eintreten. Aber nicht nur er handelte so. Das Verhalten Kalebs und seine Treue hatten auch einen gesegneten Einfluss auf sein Haus ausgeübt. Er war ein wirkliches Vorbild für dasselbe. Der Glaube ihres Vaters regte Aksa zur Nachahmung an. Sie wünschte nicht nur ein Erbteil zu haben, sie wollte es auch ausnutzen und verwerten können. Und sie wurde nicht enttäuscht, der Wunsch ihres Herzens wurde erfüllt: ihr Vater gab ihr auch „obere Quellen und untere Quellen“. So erwies sie sich in der Tat als eine würdige Tochter ihres Vaters (S. V. 18. 19).
Liegt nicht in diesem allen eine gesegnete und ermunternde Belehrung für uns, die wir gleichfalls berufen sind, im Glauben zu wandeln? Gott hat sich in Seinem Sohne vollkommen geoffenbart, so dass wir Ihn jetzt kennen, wie die Gläubigen aus Israel Ihn nicht kennen konnten, und Er hat uns ein himmlisches Erbteil gegeben, welches herrlicher und kostbarer ist als das Erbteil Kalebs. Die Welt ist in sittlicher Beziehung und in geistlichem Sinne für uns jetzt das, was die Wüste in praktischer Hinsicht für Israel war. Wir finden hier weder Speise noch Trank; ja, die Geliebten Gottes gehen durch mancherlei Prüfungen und Trübsale, „(viele erhalten sogar ein besonderes Maß davon) die geeignet sind, sie mutlos und verzagt zu machen, wenn sie nur damit sich beschäftigen.
Doch das ist nicht die Absicht unseres Vaters, der uns allezeit vollkommen liebt. Wohl kann es sein, dass wir Ihn nötigen, Seine züchtigende Hand über uns zu erheben; aber selbst das ist ein Beweis Seiner Liebe, denn: „wer ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt“ (Hebr. 12, 7)? Wir sind jetzt eine kleine Zeit, wenn es nötig ist, betrübt durch mancherlei Versuchungen“. (1. Petr. 1, 6.) Doch kann Er es nicht zulassen, dass wir über unser Vermögen versucht werden, sondern Er wird mit der Versuchung auch den Ausgang schaffen, so dass wir sie ertragen können (1. Kor. 10, 13). So vermögen wir denn in der Kraft des Glaubens durch die Wüste zu pilgern, wie einst Kaleb, indem wir das Wort Gottes in unserem Herzen wirken lassen und unseren Blick unverrückt auf das herrliche Erbteil richten, welches wir in Christo erlangt haben und bald mit Ihm in Besitz» nehmen werden. Und indem wir das tun, erlangen wir Kraft auszuharren.
Der durch Gottes Wort belehrte Gläubige weiß aber auch, dass er, obwohl in einem Sinne noch in der Wüste, dennoch seiner Stellung nach schon in Christo in die himmlischen Örter versetzt ist, und jetzt durch den Glauben im Geiste sein kostbares Erbteil in Besitz zu nehmen vermag. Freilich gibt es auch dort noch mächtige Feinde, welche uns die Besitznahme streitig zu machen suchen; viel mächtiger selbst als die Enakim zur Zeit Kalebs. Es find „die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern“ (Eph. 6, 12). Schrecklichere Feinde könnte man sich gar nicht denken; und wenn wir bezüglich der Kraft einen Vergleich zwischen ihnen und uns anstellen wollten, so könnte uns das nur ganz mutlos und verzagt machen, wie einst die Kundschafter. Doch Gott sei gepriesen! wir wissen, dass diese Feinde am Kreuze schon besiegt sind. Der Heiland hat dort einen Triumph über sie gehalten. (Kol. 2, 15.) Der Glaube urteilt jetzt, dass „ihr Schirm von ihnen gewichen ist“, und ist des Zuspruchs eingedenk: „Widerstehet dem Teufel, und er wird von euch fliehen“ (Jak. 4, 7). Eigene Kraft vermag hier ebenso wenig wie bei Kaleb; doch der Glaube stützt sich auf die Kraft des Herrn und wappnet sich mit der Waffenrüstung, die Gott ihm darreicht und die ihn vor diesen mächtigen und listigen Feinden zu schützen vermag. (Vergl. Eph. 6, 10 —18).
Möge der treue Herr denn in Seiner reichen Gnade geben, dass alle Seine Geliebten diesen Glaubensstreit zu kämpfen und mutig darin auszuharren vermögen, zu Seines Namens Ehre! Bald werden wir vom Glauben zum Schauen gelangen. Dann wird jeder Kampf beendet sein, und das Volk Gottes wird mit seinem geliebten Führer, dem wahren Josua, das kostbare Erbteil droben völlig in Besitz nehmen.
Wenn wir uns zum Schluss noch einmal an das Verhalten Kalebs seinem Hause gegenüber erinnern, so seufzt das Herz unwillkürlich: Ach, Herr, möchte es doch eine gesegnete Nachahmung finden in unseren Tagen, wo der Geist der Welt einen so verderblichen Einfluss auf die Jugend auszuüben sucht! Hilf uns, wachsam zu sein, damit dieser Geist keinen Eingang in unsere Häuser finde! Alle gläubigen Eltern tragen hierin eine ernste Verantwortlichkeit. Sollte die weltliche Gesinnung der Kinder nicht oft ihren Grund darin haben, dass die Eltern ihnen kein gutes Vorbild waren? Auch hier findet das Wort gewiss Anwendung: ,,Was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten«. (Gal. 6, 7.)
Fußnote:
*) Es ist schon wiederholt darauf hingewiesen worden, welch einen wichtigen Platz Hebron in der Geschichte des Volkes Gottes einnimmt. Wenn es den Leser interessiert, möge er folgende Stellen nachschlagen: 1. Mose 13, 18; 18, 1; 23,2; 25, 10; 35,27 — 29; 37, 14. Ferner 2. Sam.2, 1 - 4; 5,1.
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Das Evangelium der Herrlichkeit
Bibelstelle: 2. Korinther 3 -5
Botschafter des Heils 1909 S. 162ff
IV.
Wir beschäftigten uns zuletzt mit den gesegneten Ergebnissen des Todes und der Auferstehung Jesu im Blick auf den Tod und das Gericht, und fanden, dass diese beiden ernsten Folgen der Sünde für den Glaubenden ihren Charakter völlig verändert haben. Der Gläubige kann mit dem Apostel sagen: „Der Tod ist unser". Er ist fast wie ein Bekannter, der den müden Pilger an die Hand nimmt und ihn einführt in die ewige Herrlichkeit droben. In voller Ruhe, in völligem Frieden nimmt der Gläubige von dieser Erde Abschied, um hinzugehen und bei Jesu zu sein.
Gottes Wort gibt uns in Stephanus ein herrliches Beispiel von dem Ende eines auf neutestamentlichem Boden stehenden Gläubigen.
In der Mitte der Ältesten und Hohenpriester seines Volkes legt er das letzte Zeugnis von Seiten Gottes gegen das Volk ab. Und wie er nun so dasteht im Kreise der Feinde Christi, da strahlt sein Angesicht wie das Angesicht eines Engels; und wenn die Rasenden, knirschend vor Wut, ihn aus der Stadt hinausgestoßen hatten und ihn steinigten, erscheint er inmitten der tobenden Menge als der einzige Ruhige, der einzige Glückliche. Hinaufschauend in den Himmel und die Herrlichkeit Gottes erblickend, sagt er: „Siehe, ich sehe die Himmel geöffnet und den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes stehen!" Dann kniet er nieder, und unter den Steinwürfen seiner Mörder betet er: „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!" und: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht zu!" Mit diesen Worten entschlief er.
Nicht wahr? das war kein gewöhnliches Sterben, noch weniger ein Ende mit Schrecken, obgleich der Tod dieses Mannes nach menschlichem Urteil so schrecklich war, wie man ihn sich nur denken konnte. Aber was waren alle äußeren Umstände für Stephanus? Jesus stand bereit, seinen glücklichen Geist aufzunehmen; er ging geradeswegs in die Herrlichkeit droben. Wir dürfen wohl glauben, dass Stephanus von den körperlichen Leiden, die mit seinem Tode verbunden waren, wenig gefühlt hat. Er war „mehr als Überwinder" durch Den, Der ihn geliebt hatte. Obwohl er ein schwaches, irdenes Gefäß war, das jetzt zerbrochen werden sollte, das aber den kostbaren Schatz in sich trug, war er gutes Mutes und ging aus dieser Welt, im Sterben siegend und mit inniger, liebender Fürbitte für seine Feinde auf den Lippen.
Ähnlich ist es mit dem Gläubigen heute, wenn auch sein Tod nicht von solch ernsten Nebenumständen begleitet sein mag. Der Tod führt ihn dahin, wohin sein Verlangen schon längst ging, von diesem Schauplatz der Sünde und des Todes hinweg in die ewige Herrlichkeit. Siegende Freude erfüllt sein Herz, neben innigen Gefühlen des Erbarmens für die, welche er ohne Jesum in dieser Welt zurücklassen muss.
Und wie mit dem Tode, so ist es mit dem Gericht. Wir hörten bereits etwas darüber. Ich habe jedoch noch einige Bemerkungen hinzuzufügen. Zunächst dies: Der auf dem Richterstuhl sitzen wird, ist des Menschen Sohn, ist Jesus von Nazareth, derselbe Jesus, dem man einst den Platz auf dem Kreuze gab. „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche!" - „Kreuzige ihn, kreuzige ihn'." so lautete die Sprache des Volkes; und der letzte Anblick, den die Welt von Ihm hatte, war der eines zwischen zwei Räubern am Kreuze hangenden Missetäters. Nun, Derselbe Jesus, Den die Welt dort zum letzten Mal sah, Dessen Leib man nachher in die Gruft bettete, in welcher noch niemand gelegen hatte, derselbe Jesus wurde aus den Toten auferweckt durch die Herrlichkeit des Vaters. Ihm ist Gewalt gegeben über alles Fleisch (Johannes 17,2). Ihm, dem Sohne des Menschen, ist das ganze Gericht übertragen (Johannes 5,22). Der Vater richtet niemanden. Jesus wird die Menschen richten, alle, die sich Ihm und Seiner Herrschaft nicht unterwerfen wollen. Alle Seine Feinde werden zum Schemel Seiner Füße gelegt werden.
In der Christenheit heute redet man vielfach anders von Jesu, als seiner Zeit in Jerusalem. Anstatt zu sagen: „Kreuzige Ihn", verurteilt man die, welche es getan haben. Man redet edlen Menschen, das Urbild aller menschlichen Tugenden.
Man freundlich von Jesu. Man nennt Ihn einen außergewöhnlich sagt: Lasst uns Ihm nachstreben, lasst uns handeln, wie Er gehandelt hat! Doch was sagt Gott zu dem allen? Hat Er ein Wort der Anerkennung für solche Reden? einen ermunternden Blick für die, welche so handeln wollen? Ach, nein! In heiligem Zorn blickt Er herab auf die Toren und Narren, die solche vermessenen, lästerlichen Worte im Munde führen. - „Dieser ist mein geliebter Sohn “ihn höret!" so rief Er einst, auf dem Berge der Verklärung, dem Jünger zu, der in bester Meinung und Absicht seinen Meister mit Männern wie Mose und Elias auf einen Boden gestellt hatte. Und wird Er heute das Gnadengeschenk annehmen, das der stolze, hochmütige Mensch in seinem Wahne Ihm machen will? Nein, und abermals nein! Vielmehr ruft Er ihm zu: „Küsset den Sohn (d. h. unterwerfet euch Ihm), dass er nicht zürne, und ihr umkommet auf dem Wege, wenn nur ein wenig entbrennt sein Zorn" (Psalm 2,12)! Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, hat bei Gott Annahme und Anerkennung gefunden; Er ist zum Eckstein, zur Felsen-Grundlage des göttlichen Baues geworden. Wehe allen, die Ihn als solchen nicht anerkennen wollen, die Ihn herabziehen möchten auf ihren Boden! „Jeder, der auf jenen Stein fällt, wird zerschmettert werden; auf welchen irgend er aber fallen wird, den wird er zermalmen" (Lk. 20,18).
Alle, die Jesum heute nicht als ihren göttlichen Heiland und Erretter annehmen wollen, werden Ihn auf dem Richterstuhl sitzen sehen und Ihm als ihrem Richter begegnen müssen. Vor Ihm stehend, werden sie gerichtet werden nach ihren Werken. O, was sind alle Gedanken des Menschen über Christum wert, wenn sie nicht mit dem Worte Gottes in Übereinstimmung stehen? Sie gleichen dem feinen Staube, der vor dem Winde dahinfliegt und höchstens das Auge am klaren Sehen hindert. Es geziemt uns, unsere Gedanken und Meinungen gefangen zu nehmen unter den Gehorsam des Christus und in Demut zu fragen: O Gott, wie redest Du? Was sagt Dein Wort? Wer in Wahrheit so fragt, wird eine göttliche Antwort erhalten und im Glauben Den kennenlernen, in Welchem Gott Sich geoffenbart hat und Der sagen konnte: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen". Und wenn er dereinst vor dem Richterstuhl geoffenbart werden wird, wird auch er sicherlich vor dem Jesus von Nazareth stehen, dem alles Gericht übergeben ist, aber es ist Der, an Welchen er geglaubt, Der ihn geliebt und Sich Selbst für ihn hingegeben hat; der wohl das Leben, die Wege, den Dienst Seiner Knechte und Mägde abwägen wird nach Seiner Allwissenheit und unendlichen Heiligkeit, Der aber niemals als Richter sie wegen ihrer Sünden und Verfehlungen zur Rechenschaft ziehen wird. Sie werden vor dem Richterstuhl stehen, aber zu einer ganz anderen Zeit als die Gottlosen. Wenn der Herr die entschlafenen Gläubigen aus den Toten auf erwecken und die Lebenden verwandeln, die Entkleideten wieder bekleiden, die noch Bekleideten über kleiden wird, dann wird auch die Offenbarung der Erlösten vor Ihm stattfinden.
Ein jeder wird dann empfangen, was er in dem Leibe getan, nach dem er in seinem Leben gehandelt hat. Vergessen wir indes nicht, dass es verherrlichte, dem Bilde des Sohnes gleichgestaltete Menschen sind, die dort offenbar werden, für die jedes Gericht vorübergegangen ist, die aber als Knechte und Mägde im Lichte vor ihrem Herrn erscheinen. Ein jeder wird für sich selbst Rechenschaft geben müssen, aber nicht in dem Sinne, als wenn Gericht und Verdammnis von dem Ausgang dieser Beurteilung abhängen könnten. Da ist keine Verdammnis für die, welche in Christo Jesu sind.
Der Herr wird eine gerechte Entscheidung treffen, aber Er wird auch urteilen nach dem Reichtum Seiner Gnade und der Größe Seiner Güte.
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Ein ganzes Herz für Christum
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 167ff
Dreißig Jahre lang hatte Missionar J. in fernem Lande für seinen Heiland gearbeitet. Gänzliche Hingabe für Christum, das war das Wesen seines Lebens. Einen der rührendsten Beweise für diese Hingabe gab er, nachdem er mit gebrochener Gesundheit in sein Vaterland zurückgekehrt war. Auf die Anzeige, dass er in einer Versammlung sprechen würde, war eine große Menge Menschen von nah und fern zusammengekommen. Nach Beendigung des gewöhnlichen Gottesdienstes stand er auf. Lautlose Stille lag über der großen Versammlung. Jedermann erwartete aus dem Munde dieses alten Arbeiters im Werke des Herrn interessante Neuigkeiten zu hören. J. sprach etwa 15 Minuten lang mit großer Wärme von dem teuren Heilande, von dem, was Er für uns getan hat und wie vieles wir Ihm zu verdanken haben. Dann setzte er sich wieder, sichtlich gerührt.
„Die Leute sahen sich sehr getäuscht", sagte auf dem Rückweg ein Freund zu ihm; „alle wunderten sich, dass Sie nicht von etwas anderem gesprochen haben." - „Was wünschten die Leute denn von mir"? erwiderte er; „ich habe ihnen doch, so gut ich konnte, die interessanteste Person von der Welt vor Augen gestellt." - „Aber davon hatten sie schon gehört; sie wünschten von einem Manne, der eben von den Antipoden gekommen ist, etwas Neues zu hören." - „Dann freut es mich, dass sie werden sagen müssen: ein Mensch, der von den Antipoden kommt, weiß uns nichts Besseres zu sagen, als die wunderbare Geschichte von der aufopfernden Liebe Jesu. Meine Arbeit ist, das Evangelium von Christo zu predigen; und als ich heute die vielen Leute vor mir sah und daran dachte, wo ich das nächste mal mit ihnen zusammentreffen würde, - wie hätte ich da aufstehen und ihrer Neugierde Nahrung geben können? Das ist es nicht, was Christus unter der Predigt des Evangeliums verstand. Und dann, wie könnte ich der furchtbaren Anklage begegnen: „Ich gab dir eine Gelegenheit, ihnen von Mir zu erzählen, du aber benutztest sie, um deine eigenen Erlebnisse mitzuteilen?"
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Das Reich der Himmel
Bibelstelle: Matthäus 5 – 7
Botschafter des Heils 1909 S. 169ff
Über das Gebet des Herrn selbst möchte ich an dieser Stelle nur ein paar Bemerkungen machen, indem ich nochmals betone, dass es durchaus persönlich ist. Viele mögen miteinander das „Vaterunser sprechen, aber auch eine einzelne Seele wird in ihrem Kammerlein sagen: „Unser Vater“, weil sie an andere denkt, an Jünger, die sich anderswo befinden. Aber es ist klar, dass der Herr den Gebrauch dieses Gebets nur anordnet für das Kämmerlein und für die Lage, in welcher die Jünger sich damals befanden. Wir finden nirgendwo eine Andeutung, dass es nach dem Pfingsttage noch gebraucht worden wäre. Da wurden andere Bedürfnisse und Wünsche laut; andere Kundgebungen der Zuneigung zu Gott wurden zum Ausdruck gebracht, in welche der Heilige Geist diejenigen leiten wollte, welche aus dem Zustande der Unmündigkeit herausgebracht waren; denn der Heilige Geist war in ihre Herzen gesandt, so dass sie rufen konnten: „Abba, Vater“. Das ist der Schlüssel zum Verständnis der großen Veränderung, die eingetreten war. Das Neue Testament redet über diesen Punkt ganz klar. (Vergl. Gal. 3, 23 — 26; 4, 1 — 7).
Doch lasst uns kurz das Gebet selbst betrachten. Nichts könnte gesegneter sein; und die ganze Wahrheit desselben bleibt uns für immer. „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die von den Nationen; denn sie meinen, dass sie um ihres vielen Redens willen werden erhört werden (V. 7). Es ist offenbar, dass unser Herr nicht die Wiederholung einer Bitte verbietet, sondern nur die unnütze Wiederholung. Wir hören Ihn selbst, als Er im Garten Gethsemane in ringendem Kampfe war, dieselben Worte dreimal wiederholen. Ähnliches mag bei gewissen Anlässen auch für uns ganz passend und Seinem Sinne entsprechend sein. Aber eine unnütze, äußere Wiederholung, sei es von Worten, die man aus einem Buche abliest, oder von frei gesprochenen Sätzen, verbietet Er ausdrücklich. Wieder möchte ich betonen, dass der Herr hier nicht damit beschäftigt ist, für die öffentlichen Bedürfnisse der Kirche zu sorgen; noch weniger hören wir, dass Seine Worte je so aufgefasst worden wären.
An etwas dergleichen wird nicht im Geringsten gedacht, nachdem einmal der Heilige Geist gegeben und die Kirche, in dem wahren Sinne des Wortes, in dieser Welt gebildet und in Tätigkeit getreten war. Wenn auch das Gebet des Herrn als das vollkommenste Muster eines Gebets gegeben und dazu bestimmt war, so wie es dasteht, von den Jüngern vor dem Tode unseres Herrn und der Gabe des Heiligen Geistes gebraucht zu werden, so scheint es doch klar zu sein, dass es späterhin nicht mehr so sein sollte. Das Neue Testament ist selbstverständlich der einzige Beweis hierfür. Die Überlieferung bereitet im Blick auf diese, wie auf viele andere Fragen, Schwierigkeiten, aber das Wort Gottes ist nicht dunkel. In keiner Hinsicht lässt es uns über die Gedanken Gottes im Ungewissen.
Was ist denn über den beständigen Gebrauch des Gebets zu sagen? Warum ist es in der Schrift mit- geteilt? Dem Grundsatz nach bleibt es immer wahr. Es gibt meines Erachtens keinen einzigen Satz in diesem Gebet, den man heute nicht aussprechen könnte, selbst bis zu dem: „Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben“. Denn es ist ein Irrtum, anzunehmen, dass dieser Satz den Sünder auf den Boden des Gebets stelle, damit er auf diesem Wege Vergebung seiner Sünden erlange.
Der Herr redet von Gläubigen, von Kindern Gottes. Unsere täglichen Fehler und Unterlassungen müssen wir vor unserem Gott und Vater bekennen; Er ermahnt uns, das Tag für Tag zu tun. Es handelt sich um die Regierung des heiligen Gottes, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeden Werk; und darum wird Er die Bitte dessen nicht anerkennen, der eine unversöhnliche Gesinnung offenbart, selbst wenn ihm ein noch so kränkendes Unrecht angetan worden wäre.
Diese Gewohnheit des Sichselbstdurchforschens und Bekennens vor unserem Vater ist sehr wichtig in der christlichen Erfahrung, so dass ich diesen Satz, für ebenso wahr und in der jetzigen Zeit anwendbar halte, wie er es damals für die Jünger war. Wenn der arme Zöllner sagt: „O Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig!“ so war das in seinem Fall ebenso passend, wie wenn das Kind lispelt: „Unser Vater“. Nachher, als der Heilige Geist gegeben, und das Kind fähig gemacht war, in dem Namen Christi dem Vater zu nahen, trat wieder etwas anderes ans Licht. Das Gebet des Herrn bekleidet den Gläubigen nicht mit dem Namen Christi; wie der Herr Jesus auch sagt: „Bis jetzt habt ihr nichts gebeten in meinem Namen“ (Joh.16, 24.) Was heißt das, in dem Namen Jesu den Vater bitten? Kann es nur das bedeuten, dass man am Ende eines Gebets sagt: „Wir bitten das in dem Namen Jesu“?
O nein. Als Christus starb und wieder auferstand, gab Er den Gläubigen Seine eigene Stellung- vor Gott; und nun heißt, den Vater bitten in dem Namen Christi: bitten in dem Bewusstsein, dass mein Vater mich liebt, wie Er Christum liebt; dass mein Vater mir die Annehmlichkeit Christi selbst vor Ihm gegeben hat, indem Er alle meine Sünden völlig austilgte, so dass ich in Christo Gottes Gerechtigkeit geworden bin. In dem Werte von allem diesem beten heißt: in Seinem Namen bitten. Wenn die Seele Gott naht in dem Bewusstsein, dass sie Ihm nahe gebracht ist, so kann das ein Bitten in Seinem Namen genannt werden.
Wer deshalb das Gebet des Herrn noch als eine Formel gebraucht, hat kein wirkliches Verständnis darüber, was es ist, den Vater in dem Namen Christi zu bitten; ein solcher ist nie in diese große Wahrheit eingedrungen. Es ist deshalb nicht zu verwundern, wenn er sich vielleicht schon in seinem nächsten Gebet auf den Platz eines elenden Sünders und unter das Gesetz stellt, indem er um Abwendung des Zornes Gottes bittet. Für eine Seele, welche weiß, was es bedeutet, wie Christus vor Gott zu stehen, ist es unmöglich, so systematisch in Zweifel und Ungewissheit zu beharren. Es war so bei den Juden. Aber ich bin kein Jude, sondern wenn ich überhaupt etwas bin, so bin ich ein Christ; und als solcher ist mein Platz in Christo. Für den aber, der in Christo ist, ist keine Verdammnis mehr. Anders könnte auch der Geist der Sohnschaft nicht da sein, noch ein priesterlicher Dienst ausgeübt werden. Wir sind kraft dieser gesegneten Stellung unserem Gott zu Priestern gemacht. Hienieden findet die Probezeit statt. Indem das Gewissen zu der Erkenntnis gebracht ist: ein Wandel mit Christo und der Welt zugleich ist unmöglich, wird die Seele vor die Wahl zwischen dem Himmel und der Welt gestellt. Der Christ ist ein Mensch, der in himmlische Gedanken und Beziehungen eintritt, während er diese Welt durchschreitet. Das ist die Berufung, mit welcher wir berufen sind. Ob alle Christen das erkennen und danach handeln oder nicht, Christus erwartet von uns nichts Geringeres. Er sagt: „Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin“. Das ist wahr von dem Augenblick an, da Christus unser Teil wird. Wenn wir wahre Streiter für Ihn sein wollen, so sind wir schuldig, sofort unseren Platz als solche einzunehmen, die nicht von der Welt sind, gleichwie Er es nicht ist.
Wir sehen also, dass das Gebet des Herrn, während es allezeit von unschätzbarer Kostbarkeit bleibt, doch gegeben wurde, um den damaligen persönlichen Bedürfnissen der Jünger zu entsprechen; die weitere Offenbarung der göttlichen Wahrheit änderte ihren Zustand völlig und leitete sie in eine ganz andere Art von Bitten, denen damals tatsächlich nicht Ausdruck gegeben wurde. Wenn der Herr selbst uns sagt: „Bis jetzt habt ihr nichts gebeten in meinem Namen, so müssen wir daraus entnehmen, dass man das Gebet des Herrn jeden Tag gebrauchen kann, ohne jemals etwas im Namen Christi zu bitten. „Bis jetzt habt ihr nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, und ihr werdet empfangen, auf dass eure Freude völlig sei. . . . An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen: Welcher Tag ist damit gemeint? Eine noch zukünftige Zeit? Nein, es ist die gegenwärtige Zeit, der Tag, den der Heilige Geist einführte, als Er vom Himmel herniederkam. Dieser Tag ist mit jener völligen Offenbarung der Wahrheit verbunden, welche so wichtig ist für die Freude und den Segen des Christen und für den von der Welt getrennten, himmlischen Wandel eines Kindes Gottes.
Wenn eine Seele die Wahrheit noch nicht verstanden hat, kann auch das andere nicht vorhanden sein. Sie mag Kraft des Glaubens und persönliche Liebe zu Christo offenbaren, aber bei alledem wird sie in ihrer geistlichen und religiösen Stellung etwas von der Welt an sich haben, und zwar so lange, bis sie den Platz, betreten hat, den der Heilige Geist uns jetzt gibt, den Platz des Hinzunahens zu Gott im Namen Jesu Christi.
Wir kommen jetzt zu einer äußerst wichtigen praktischen Ermahnung, die unser Heiland uns in Verbindung mit dem Gebet gibt, nämlich zu dem Geist des Vergebens. Wer die Hindernisse nicht kennt, welche eine harte, unversöhnliche Gesinnung mit sich bringt, der weiß noch wenig vom Gebet. Dies war eines von den Dingen, die der Herr besonders im Auge hatte. „Denn wenn ihr den Menschen ihre Vergehungen vergebet, so wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben; wenn ihr aber den Menschen ihre Vergehungen nicht vergebet, so wird euer Vater auch eure Vergehungen nicht vergeben“ (»V. 14 und 15). Er will damit nicht sagen, dass die Jünger nicht Vergebung ihrer Sünden haben würden am Tage des Gerichts, sondern Er spricht von dem Vergehen von Vergehungen als einer Sache der täglichen Fürsorge und Erziehung Gottes. Wenn mein Kind etwas Verkehrtes getan hat, verliert es dadurch sein Kindesverhältnis? Nein, es ist und bleibt mein Kind, aber ich verkehre nicht mit ihm in derselben Weise, wie wenn es im Gehorsam gewandelt hätte. Der Vater wartet, bis das Kind seine Sünde fühlt· Als irdische Eltern geben wir oft nicht genügend acht auf das, was verkehrt ist; zu anderen Zeiten beschäftigen wir uns vielleicht nur deshalb damit, weil es uns persönlich berührt. Wir züchtigen, wie es im Hebräerbrief heißt, unsere Kinder „nach unserem Gutdünken«, Gott aber züchtigt uns zu unserem Nutzen. Unser Vater richtet Sein Auge stets auf das, was am gesegnetsten für uns ist; aber gerade deshalb züchtigt Er uns beizeiten.
„Wer ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt?“ Wenn wir nicht Söhne wären, würden wir vielleicht ungestraft davonkommen; aber so gewiss wir Söhne sind, so gewiss kommt die Rate des Vaters für unsere Vergehungen über uns. Die Züchtigung mag, wenn es Sein Wille ist, für die Gegenwart sehr schmerzlich sein, aber das Eine ist gewiss: Gott wird bewirken, dass die Dinge, die am meisten gegen uns zu sein scheinen, sich unstreitig als für uns erweisen. Den Geist der Liebe zu bewahren, besonders solchen gegenüber, die uns unrecht tun, kostet etwas; aber am Ende wird Segen unser Teil sein, und gewiss auch schon vorher.
3. Als drittes in der Reihe der Dinge, welche die Gerechtigkeit des Heiligen ausmachen, wird jetzt das Fasten genannt. Ich glaube, dass im Fasten ein wirklicher Wert liegt, von dem die meisten von uns nicht viel kennen. Wenn man bei besonderen Veranlassungen, die persönliches Gebet erfordern, mit dem Gebet Fasten verbinden würde, so zweifle ich nicht daran, dass man den Segen davon verspüren würde. Durch das Fasten wird eine Unterwerfung und Demütigung des Geistes ausgedrückt. (Nebenbei bemerkt, ist es bei einigen Gebeten durchaus passend, zu stehen, bei anderen, zu knien). Fasten ist etwas, wodurch der Leib seine Anteilnahme an dem kundgibt, was der Geist durchzumachen hat; wir geben dadurch unserem Verlangen Ausdruck, vor Gott niedrig und in unserem Verhalten unterwürfig zu sein. Damit jedoch nicht das Fleisch gar noch aus dem Kasteien des Leibes Vorteil ziehen möchte, befiehlt der Herr an, dass man lieber Mittel anwenden solle, den Menschen nicht als Fastender zu erscheinen, als dies auf irgend eine Weise zur Schau zu stellen. Denn obschon ein wahrer Christ davor zu- rückschrecken wird, einen falschen Schein anzunehmen, könnte der Teufel ihn doch dazu verleiten, wenn er nicht sehr sorgfältig vor Gott über sich selbst wacht. „Du aber, wenn du fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Angesicht, damit du nicht den Menschen als ein Fastender erscheinest, sondern deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten“ (V. 17. 18).
Dann folgen Ermahnungen bezüglich der Dinge dieses Lebens. Vor allem führt der Herr in Bezug auf das Schätzesammeln auf der Erde einen Grundsatz geistlicher Weisheit und des Freiseins von Sorge ein, dessen die Seele sich erfreut, die hienieden nichts begehrt. Wenn man auf Erden etwas besitzt, das man sehr hoch schätzt, so wird eine entsprechende Furcht da sein, dass ein Dieb oder irgend eine zerstörende Macht den Schatz verderben könnte. Sehr verschieden davon ist das, wozu der Herr uns ermahnt: „Sammelt euch nicht Schätze auf der Erde, wo Motte und Rost zerstört, und wo Diebe durchgraben und stehlen; sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost zerstört, und wo Diebe nicht durchgraben noch stehlen“, — ein sehr ernster Prüfstein für uns, —- „denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein“ (V. 19 bis 21.) Wenn wir wissen wollen, wo wir uns befinden, so brauchen wir uns nur zu fragen, worauf unsere Gedanken am meisten gerichtet sind.
Gehen sie himmelwärts, so sind wir glückselig; gehen sie zur Erde, so werden wir finden, dass gerade die Dinge, nach denen unser Herz verlangt, sich heute oder morgen als ein Leid für uns erweisen werden. Der Herr führt dies alles aus eine große Wurzel zurück: man kann nicht zwei Herren dienen. Du hast nicht zwei Herzen empfangen, sondern eins; und dein Herz wird bei dem verweilen, was du am meisten schätzest. So wird alles bis zu seiner Quelle hin verfolgt: Gott aus der einen Seite, der Mammon auf der anderen. Der Ausdruck „Mammon“ umfasst die Begierden des Herzens in Bezug aus alles, was hienieden ist. Das Trachten danach mag sich in verschiedenen Formen offenbaren; aber die Wurzel ist: Begierde. „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“.
„Deshalb sage ich euch: Seid nicht besorgt für euer Leben, was ihr essen und was ihr trinken sollt, noch für euren Leib, was ihr anziehen sollt.“ Die wichtige Sache ist, unbekümmert zu sein um die gegenwärtigen Dinge, oder vielmehr ein friedevolles Vertrauen betreffs derselben zu nähren; nicht weil wir die Gnadenerweisungen Gottes nicht schätzen, sondern weil wir Vertrauen haben zu unseres Vaters Liebe und Fürsorge. Den schönsten Ausdruck hiervon zeigt uns der Apostel Paulus in den Worten: „Ich habe gelernt, worin ich bin, mich zu begnügen“. Er hatte den Wechsel der Umstände kennen gelernt: was es war, nichts zu besitzen, und was es war, Überfluss zu haben; aber die wichtige Sache war sein völliges Zufriedensein mit dem, was Gott für ihn gut fand. Es war nicht etwas, das ihm so ganz leicht wurde; aber er hatte es gelernt. Er war dahin gelangt, alles in dem Lichte der Gegenwart und Liebe Gottes zu beurteilen. So besteht auch für uns die Segnung darin, vorwärts zu blicken mit dem Gedanken: unser Vater handelt jetzt mit uns im Blick aus die Herrlichkeit. Deshalb fügt der Apostel hinzu: „Mein Gott aber wird alle eure Notdurft erfüllen nach Seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christo Jesu«. Wie köstlich ist das! „Mein Gott“ — der Gott, den ich erprobt, dessen Liebe ich geschmeckt habe. Ich kann auf Ihn rechnen für euch wie für mich; und Er „wird alle eure Notdurft erfüllen“, nicht nur nach dem Reichtum Seiner Gnade, sondern „nach Seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christo Jesu“.
Er hat euch als Christen aus dieser Welt genommen, Er wird euch als Genossen Seines Sohnes droben haben; und Er handelt jetzt mit euch, dem Platz und der Stellung entsprechend, die ihr dann haben werdet. Alles was diesem großen Plan Seiner Herrlichkeit und Liebe angemessen ist, wird der Herr uns geben.
Der Herr wolle uns Kraft schenken, dies mit dankbarem Herzen anzunehmen, wissend, dass wir nicht unsere eigenen Herren sind! Er will uns so gern vor den Gefahren, Schlingen und Leiden bewahren, welche Hast und Eigenwille in Bezug auf äußere Dinge mit sich bringen. Er zeigt uns in diesem Kapitel die außerordentliche Torheit davon, selbst im Blick auf den Leib. Er nimmt Beispiele aus der Schöpfung: Vögel, Blumen, Gras, um die gänzliche Nutzlosigkeit der eigenen Tätigkeit ans Licht zu stellen. Wahrlich, wir dürfen aus Gott vertrauen, dass Er Seine eigenen Vorsätze auf die beste Weise ausführen wird. Ja, mehr als das; der Herr erinnert uns daran, dass die äußeren Dinge, auf welche wir ein so großes Gewicht zu legen versucht sind, nur die Gegenstände sind, nach denen die Heiden trachten. Ein Heide war ein Mensch ohne Gott, im Gegensatz, zu dem Juden, der, wenn ich mich so ausdrücken darf, Gott in einer äußeren Art in dieser Welt besaß. Ein Christ ist ein Mensch, der Gott im Himmel hat. „Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr dies alles bedürfet.“ Also, wenn unser Vater dies weiß, warum sollten wir an Ihm zweifeln? Wir misstrauen unserem irdischen Vater nicht; wieviel weniger sollten wir an unserem himmlischen Vater zweifeln!
„Trachtet aber zuerst nach dem Reiche Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit; und dies alles wird euch hinzugefügt werden.“ Beachten wir diese Worte wohl. Es heißt nicht, dass wir zuerst nach dem Reiche Gottes und dann nach diesen Dingen trachten sollen; sondern: „trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit“, und alles übrige wird dann von selbst kommen. Da ist kein Trachten nach irgend Etwas außer dem, was Gott und Seine Gerechtigkeit betrifft. „So seid nun nicht besorgt auf den morgenden Tag, denn der morgende Tag wird für sich selbst sorgen.“ Das heißt, der Herr weist uns darauf hin, dass die Sorge, der morgende Tag möchte uns etwas Böses bringen, nichts als Unglaube ist. Wenn der morgende Tag kommt, mag das gefürchtete Böse wohl gar nicht da sein; und wenn es kommt, so ist Gott auch da. Er mag erlauben, dass wir schmecken, was es ist, dem eigenen Willen zu folgen; aber wenn unsere Seele Ihm unterworfen ist, wie oft tritt dann das gefürchtete Böse gar nicht ein! Wenn das Herz sich dem Willen Gottes beugt bezüglich einer Trübsal, die wir fürchten, so wird die Trübsal oft weggenommen, und der Herr kommt uns mit unerwarteter Freundlichkeit und Güte entgegen. Er vermag selbst die Trübsal in lauter Segen zu Verwandeln. Und was auch Sein Wille sein mag, er ist immer gut.
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Du kennst mein Sitzen und mein Aufstehen
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 180ff
„Du kennst mein Sitzen und mein Aufstehen«, sagt der Psalmist zu Jehova (Ps. 139, 2), und gut ist es, wenn wir im täglichen Leben uns oft daran erinnern. Denn „ein Wort zu seiner Zeit, wie gut ist es“ (Spr. 15, 23)!
Hat Er, der unser Sitzen kennt, uns wohl schon einmal sitzen sehen auf dem Sitze der Spötter (Ps.1,1), oder bei falschen Leuten (Ps. 26, 4), oder gar wie Lot im Tore von Sodom (1. Mose 19, 1), oder wie Petrus am wärmenden Ofen Seiner Feinde (Luk. 22, 55)?
Hat Er, der unser Aufstehen kennt, uns schon dabei ertappt, dass wir, ähnlich wie die Kinder Israel, welche aufstanden, um sich zu belustigen (2.Mose 32, 6), des Morgens uns erhoben, erfüllt mit der Vorfreude der Dinge dieser Welt, welche wir an jenem Tage zu genießen hofften? Oder hat Er gesehen, dass „wir uns mit Wonne in den Schatten unseres Geliebten setzten“ (Hohel. 2, 3), um Seine Früchte, süß dem Gaumen, zu genießen? dass wir wie Maria still zu Seinen Füßen saßen und Seinen Worten lauschten? oder auch, dass unser Aufstehen Seinem Lohe galt, so wie einst das Volk Gottes unter Nehemia aufstand, um Jehova, seinen Gott, zu preisen (Luk. 10, 39; Neh. 9, .5)?
Seinem Auge, das auf den Weg der Gerechten gerichtet ist, entgeht nichts, auch nicht unser Sitzenbleiben, wenn wir aufstehen sollten, wie z. B. einem grauen Haupte gegenüber (3. Mose 19, 32), oder unser Aufstehen, wenn wir sitzen bleiben sollten, wie es einst Martha im Gegensatz zu ihrer Schwester tat.
Ja, Er kennt unser Sitzen und unser Aufstehen; auch in Verbindung mit einer Sache, die für alle unter uns, denen Gott Kinder geschenkt hat, besonders wichtig ist; ich meine die Erziehung dieser Kinder in der Furcht und Ermahnung des Herrn. Heißt es doch in 5. Mose 6, 5 — 7: „Du sollst Jehova, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollen auf deinem Herzen sein. Und du sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzest, und wenn du aus dem Wege gehst, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst.“
Gerade so dringend, wie einst an die israelitischen Eltern, richtet sich an uns die Mahnung, unsere Kinder in dem Worte Gottes zu unterweisen, ja, es zur Richtschnur ihrer Erziehung, ihres ganzen Lebens zu machen — täglich, stündlich, beim Sitzen im Hause, beim Gehen auf dem Wege, beim Sichniederlegen und beim Aufstehen.
Des Herrn Auge ruht auf uns, und Er nimmt Kenntnis von unserem Sitzen und Aufstehen und von allem, was dabei vorgeht.
Eine christliche Erziehung kann nur das Wort Gottes zum Ausgangspunkt haben. Dieses Wort bildet die erste und wichtigste Quelle jeder Belehrung. Es bestimmt den Charakter der Erziehung nach jeder Seite hin, und der Heilige Geist gebraucht es, um auf die Kinder zu wirken, sie zu leiten und zu bilden. Beachtenswert ist hierbei, dass die israelitischen Väter, welche ihren Kindern die Worte Jehovas einschärfen sollten, zuvor selbst ermahnt werden, Gott zu lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und ganzer Kraft, und dann, die Worte Jehovas auf ihren eigenen Herzen zu tragen.
Eltern, welche das Wort Gottes nicht kennen, seine Belehrungen und Unterweisungen nicht im Herzen bewahren, sind schlechte Lehrer für ihre Kinder; sie wissen ja nicht, wie sie dieselben für Gott erziehen und regieren sollen. Und Eltern, welche Gott nicht mit ganzem Herzen, ganzer Seele und Kraft lieben, sind schlechte Erzieher, weil die Kinder das ihnen eingeschärfte Wort und die von den Eltern empfangenen Lehren nicht durch das Vorbild und Beispiel der Eltern bestätigt, erläutert und verwirklicht finden. Dort aber, wo beides zutrifft, wo die Eltern die göttlichen Dinge in die Kinderherzen einpflanzen, wo sie gewissermaßen durch ihr eigenes Vorbild und Vorleben die zarten Keime begießen, da wird Gott in Seiner Gnade auch das- Gedeihen geben.
Alle gläubigen Eltern haben die heilige Aufgabe, ihre Kinder für Gott zu erziehen, und sind ernst dafür verantwortlich, weil der Platz der ganzen Familie, der Eltern sowohl wie der Kinder, nicht „in der Welt“, sondern „im Herrn“ ist. Auch dürfen sie die Erziehung nicht anderen überlassen, wenn diese auch noch so geeignet dazu sein sollten. Es heißt nicht: Lasset erziehen! sondern: „Ziehet eure Kinder auf in der Furcht und Ermahnung des Herrn“ (Eph. 6, 4)! Da ist es nun ein großer Trost für uns, dass das Wort uns alle nötigen Unterweisungen, Mahnungen und Warnungen gibt, ja, dass wir alle Kraft und Weisheit, deren wir zur Erziehung unserer Kinder bedürfen, aus ihm schöpfen können.
Lasst uns denn früh mit der Erziehung beginnen; unser brennendster Wunsch ist es doch, dass die Kinder zu Jesu Füßen gebracht und so früh wie möglich errettet werden. Gott sei Dank dafür, das; wir wissen, dass unsere Kinder, wenn sie in zartem Kindesalter abgerufen werden, zum Herrn gehen. Wohl gehören sie ihrer Natur nach, wie alle Menschen, zu den Verlorene: sie sind in Ungerechtigkeit geboren und in Sünde empfangen (Ps. 51, 5); aber Gott stellt sie, da Sein geliebter Sohn in die Welt gekommen ist, um das Verlorene zu retten, in der Unumschränktheit Seiner Gnade unter die Segnung des Todes Christi. So lange sie noch nicht unterscheiden können, was gut und böse ist, stehen sie nicht aus dem Boden der Verantwortlichkeit; sie können noch nicht aufgefordert werden, zu glauben und das Evangelium anzunehmen.
Die Frage, wann bei dem Kinde das Bewusstsein von gut
und böse erwache und damit seine Verantwortlichkeit beginne, ist schwer zu beantworten. Der Zeitpunkt ist je nach Veranlagung und Entwicklung des Kindes wohl verschieden. Darum lasst uns, und das gilt in erster Linie den Müttern, so früh wie möglich den Kindern von Jesu erzählen, sie im Gebet vor Ihn bringen; ja, lasst es uns tun, wenn wir im Hause sitzen, wenn wir auf dem Wege sind, wenn wir uns niederlegen und wenn wir aufstehen!
Auch müssen wir, und hier kommen in erster Linie die Väter in Betracht, schon frühzeitig anfangen, den Grundsatz, des Gehorsams, des unbedingten Gehorsams, welcher ja in der Erziehungsweise Gottes mit Seinen Kindern obenan steht, auch bei unseren Kindern hochzuhalten, weil Eigenwille und Unabhängigkeit sich schon in der frühesten Kindheit bemerkbar machen und sogleich niedergehalten werden müssen. Dieser Grundsatz wird ja auch in der Welt, die nicht nach Gott und Seinem Worte fragt, anerkannt. Der Jugend Gehorsam gegen die Eltern, gegen die Lehrer, gegen das Gesetz, ja, gegen jegliche staatliche Autorität einzupflanzen, gilt ihr als ein hervorragender Teil der Erziehung, dessen Notwendigkeit sie aus der Geschichte der Welt und des Tages lernt. Aus Röm. 1, 30 erfahren wir, dass Ungehorsam gegen die Eltern ein Hauptcharakterzug des Verderbens im Heidentum war, und aus 2. Tim. Z, Z, dass diese Verderbtheit sich in den letzten Tagen des Christentums wiederfinden wird. Auch kann man zu allen Zeiten beobachten, dass die Autorität-Verachtung Anfänger und Vorläufer jedes sozialen und politischen Umsturzes ist.
Wir haben also den Grundsatz, von den Kindern unbedingten Gehorsam zu verlangen, mit der Welt gemein; wir befolgen denselben aber von ganz anderen Gesichtspunkten aus und mit einer ganz anderen Methode. Wir sollen uns nicht einfach kraft unserer Autorität Gehorsam erzwingen, sondern sollen den Kindern das Wort einschärfen: „Ihr Kinder, gehorchet euren Eltern in allem, denn dies ist wohlgefällig im Herrn“ (Kol. 3, 20). Unsere Aufgabe ist es, ihnen zum Bewusstsein zu bringen, dass Gott selbst es ihnen befiehlt, den Eltern zu gehorchen, dass es zu ihrer unmittelbaren persönlichen Verantwortlichkeit Gott gegenüber gehört. Die Kinder müssen verstehen lernen, dass ihre Eltern im Austrage und nach dem Willen des Herrn handeln, dass diese gebieten und verbieten, so wie es dem Herrn gefällt. Wir dürfen sie auf das heilige Vorbild hinweisen, das unser hochgelobter Herr ihnen zurückgelassen hat, welcher, obschon Er Gottes Sohn war, Seinen Eltern untertan war (Luk. 2, 51).
Zu dieser Erziehung gehört allerdings viel Weisheit von dem, der uns die Pflicht der Erziehung auferlegt hat, und auch derselbe Geist der Liebe, Geduld und des Wohlwollens, der uns von Seiten Gottes entgegentritt. Nicht wahr? Wir haben oft erfahren, was das Fleisch in uns ist, und oft, wenn wir auf Widerspruch stießen, die Mahnung vergessen: „Reizet eure Kinder nicht zum Zorn“ (Eph. 6, 4)! Auch haben wir es wohl manchmal übersehen, dass es Gottes Wille ist, die Gefühle und die Schwachheit unserer Kinder zu berücksichtigen, und bei allem festen Bestehen auf dem, was sie dem Herrn schuldig sind, doch nicht über Ertragen auf ihre Schultern zu legen, „damit sie nicht mutlos werden“. (Kol. 3, 21).
Andererseits müssen wir uns hüten, in den entgegengesetzten Fehler zu fallen und zu nachsichtig oder zu schwach zu fein, oder zu streng zu sein im Wechsel mit allzu großer Nachsicht, oder auch die notwendige Züchtigung zu unterlassen, um dem eigenen Herzen diesen Schmerz zu ersparen. Damit helfen wir den Kindern zum Verderben und bereiten uns selbst eine Zukunft voll bitterer Reue und Plage. „Wer seine Rate spart“, heißt es in Spr. 13, 24, „hasst seinen Sohn; aber wer ihn lieb hat, sucht ihn früh heim mit Züchtigung.“
Lasst es uns immer vor Augen halten, wie Gott. der so gnädig und langmütig ist, Seine Kinder zum Gehorsam erzieht! Er warnt uns zunächst, wenn wir nicht gehorchen wollen, ein-, zweimal, wie wir in Hiob 33, 14 sehen; wenn wir diese Warnungen unbeachtet lassen, so ziehen wir uns Verweise zu, indem Er uns Hindernisse in den Weg legt oder unsere eigenmächtigen Pläne durchkreuzt. Verharren wir dann trotzdem auf unserem schlechten Wege, so greift unser göttlicher Erzieher zur Rute, zur Züchtigung, aber auch dann nur in Liebe und nach Seiner Weisheit, und zu unserem „Nutzen, damit wir Seiner Heiligkeit teilhaftig werden“ (Hebr. 12, 10). Ja, das ist der Zweck Seiner Erziehung, uns von allem Bösen, von allem Eigenwillen zu befreien und gleichsam Sein Bild in uns zu gestalten. So muss auch unserseits der Zweck alles Erziehens der sein, die Kinder für den Herrn, in Absonderung und Heiligung für Ihn, auswachsen zu sehen, nicht für die Welt, sie vor dem Bösen in der Welt zu bewahren und die Herrschaft des Herrn in ihrem ganzen Lebenskreis aufrecht zu halten.
Jeder Tag der Entwicklung der Kinder stellt neue Ansprüche an die Eltern, und da genügt es nicht, den Kindern das Wort Gottes einfach mitzuteilen, ihnen alle Weltförmigkeit in Gewohnheiten, in Vergnügungen, in Kleidung, in der Wahl des Lesestoffs und was es sonst sein mag, zu verbieten, sondern wir Eltern müssen ihnen — und darin besteht unsere ernste Verantwortlichkeit — durch unser eigenes Verhalten, durch treuen Wandel in Abhängigkeit vom Herrn, durch strenge Absonderung von der Welt und ihrem Treiben, durch den ganzen Ton, der im Hause herrscht, ja, durch das Heim selbst, das wir ihnen schaffen, und womit wir sie liebevoll umgeben, beweisen, dass sie einer Familie angehören, welche dem Herrn dient, Seinen Willen in allem zu tun sucht und in Ihm ihre Freude, ihr Glück, ihr ganzes Genüge findet.
Dann blicken die Kinder nicht neidisch auf die Welt, von welcher sie durch die Verbindung mit ihren gläubigen Eltern getrennt sind, sondern werden dankbar für das hohe Gut, das Gott ihnen im Elternhause geschenkt hat. Dann nehmen sie Kraft mit in das Leben, in welches sie später selbständig eintreten müssen, und der Herr benutzt die Früchte ihrer Erziehung zu ihrem geistlichen Wachstum und zu Seinem Zeugnis.
Sollten wir uns da nicht jeden Tag prüfen und immer wieder im Wort und durch Gebet zu erforschen suchen, inwieweit wir unsere Kinder in der Zucht und Ermahnung des Herrn erziehen —- täglich, stündlich, beim Sitzen im Hause, beim Gehen auf dem Wege, wenn wir uns niederlegen und wenn wir aufstehen?
Und, vergessen wir nicht, Er kennt unser Sitzen und unser Aufstehen, Er versteht unsere Gedanken von ferne.
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Das Evangelium der Herrlichkeit
Bibelstelle: 2. Korinther 3 -5
Botschafter des Heils 1909 S. 188ff
Im Blick auf das Offenbarwerden vor dem Richterstuhl Christi hört man oft fragen: Werden wir denn nicht tief unglücklich sein, wenn wir dort sehen werden, dass so manche Stunde in unserem Leben dahingegangen ist, die nicht dem Herrn geweiht war? Werden wir sie nicht alle dort wiederfinden, die verlorenen Augenblicke, die vielen nicht benutzten Gelegenheiten, die kleinen und großen Untreuen und Verfehlungen? Ganz gewiss werden wir sie wiederfinden, ja, wir werden dann erst, angesichts der Fülle der Gnade, den Ernst dieser Dinge in seiner ganzen Tiefe ausmessen können. Wir haben uns deshalb früher schon gesagt, dass diese Erwägung sehr ernst ist, und dass sie uns dahin führen sollte, uns zu beeifern, Ihm wohlgefällig zu sein bei Seiner Ankunft. Ja, wir können es nicht genug betonen, wie ernst und bedeutungsvoll im Lichte des Richterstuhls jede Stunde unseres Weges hier ist. Gott lege uns allen diesen Ernst recht auf Herz und Gewissen!
Dennoch dürfen wir sagen, dass eine solche Entdeckung, wie wir sie eben besprochen haben, die Seligkeit droben nicht stören, das Glück nicht schmälern wird. Allerdings wird der Lohn, den der Herr austeilt, geringer ausfallen, als er hätte ausfallen können; das Maß der Glückseligkeit wird nicht die Höhe erreichen, die es hätte erreichen können. Das ist ein Verlust, ein großer Verlust. Aber die Erkenntnis der überschwänglichen, vergebenden und bewahrenden Gnade, die uns errettet und bis ans Ziel gebracht hat, wird jedes Herz mit Bewunderung und Anbetung erfüllen und jedes Auge mit tiefer, seliger Freude auf Ihn gerichtet sein lassen, Der uns geliebt und Sich Selbst für uns hingegeben hat.
Gott ist es Seiner Herrlichkeit als gerechter Richter und Regierer schuldig, dass jedes Werk, welches Menschen getan haben, in Seinem Lichte so offenbar wird, wie es ist. Und was uns betrifft, so würde an unserer Segnung etwas fehlen, sie würde nicht ganz vollkommen sein, wenn nicht alles, was wir im Leibe getan haben, es sei gut oder böse, ans Licht käme, wenn wir nicht auch in dieser Beziehung so erkennen würden, wie wir selbst erkannt worden sind. Nichts wird das Auge dann blenden, nichts den klaren Blick trüben; kein verkehrter Gedanke, kein falscher Beweggrund wird dort Herz oder Sinn irreführen. Welch ein unaussprechliches Glück wird das sein für Menschen, die das Licht lieben, die der göttlichen Natur teilhaftig geworden sind! Ist es nicht heute schon eine gesegnete, wenn auch ernste Sache für uns, die Unredlichkeit des natürlichen Herzens in Gottes Gegenwart erkannt und uns angesichts der Liebe, die nimmer aufhört, schonungslos gerichtet zu haben? Gibt es etwas Höheres, Herrlicheres, als im Lichte Gottes zu weilen und im Herzen keinen Rückhalt, im Geiste keinen Trug mehr zu haben? Nun, was heute schon in Unvollkommenheit wahr ist, wird dann in Vollkommenheit unser Teil sein.
Gott stellt uns hienieden zuweilen beiseite, lässt uns krank werden oder führt uns auf anderem Wege in die Stille, damit wir in der Einsamkeit mit Ihm unsere Wege überdenken und uns selbst prüfen, da, wo nicht mehr eigene Kraft oder Eigenliebe, oder Schmeichelei seitens anderer das heilige Selbstgericht beeinträchtigen. Sind solche Zeiten nicht ein großer Gewinn für uns? Vermehren sie nicht unsere Freude im Herrn, indem sie uns näher zu Ihm bringen und uns Ihn besser erkennen lassen in Seiner Heiligkeit und unveränderlichen Liebe? Was aber in solchem Maße schon auf dem Wege durch diese Welt von uns verwirklicht werden kann, wird an jenem Tage vollkommen sein, wenn wir in verherrlichten Leibern, dem Bilde des Sohnes Gottes gleichgestaltet, im Lichte des Richterstuhls stehen werden, ohne eine Spur von jener Neigung, welche die Sünde verbergen möchte oder doch nur mit Widerwillen bekennt.
Wenn der Apostel Johannes von einem Beschämt werden an jenem Tage (vergl. 1. Johannes 2,28) spricht, so steht das in Verbindung mit den Ergebnissen seines Dienstes. Er bittet seine Kinder, doch dem Herrn treu zu bleiben, damit keines von ihnen an jenem Tage fehlen möchte. Er hatte sie für den Herrn gewonnen, sie waren die Frucht seiner Arbeit, die Krone seines Ruhms. Was nun, wenn sie sich nicht bewährten, wenn sie nicht bis zum Ende ausharrten? Er würde bei der Ankunft des Herrn beschämt dastehen.
Wie ist das zu verstehen? Denken wir uns, ein Diener des Herrn hat das Evangelium gepredigt, und viele seiner Zuhörer haben an den Herrn Jesum geglaubt; er hat sich mit ihnen gefreut, hat dem Herrn für sie gedankt, hat auch eine Zeitlang beobachten können, dass sie auf den Pfaden der Wahrheit wandelten. Er hofft zuversichtlich, sie alle droben wiederzufinden. Nun kommt der Augenblick der Offenbarwerdung. Alle Erlösten stehen vor dem Richterstuhl Christi. Er schaut sich um nach denen, die er einst auf dieser Erde zum Herrn führen durfte, und siehe da, sie sind nicht da, oder sind doch nicht alle da. Er verliert, was er erarbeitet zu haben glaubte (2. Johannes 8).
In den Fehlenden war kein wahres Werk geschehen, kein wahres göttliches Leben war in ihren Seelen gewirkt. Wird der Arbeiter im Blick auf diese, die er dort vergeblich sucht, nicht beschämt sein? Es ist gar nicht anders möglich. Der Lohn ist nicht so „voll", wie er hätte sein können. Dennoch werden alle seine Gedanken in vollem Einklang stehen mit den Gedanken seines Herrn, er wird genauso urteilen, wie Jesus urteilt. In vollkommener Einsicht und rückhaltloser Anbetung wird er sich vor seinem Herrn niederbeugen und neidlos Ihn preisen, Der einem jeden Seiner Knechte seinen Platz im Reiche anweisen wird. Andererseits wird er auf das tiefste überrascht sein von dem Reichtum der Gnade und Güte, mit welchem Jesus alle seine kleine Mühe und Arbeit belohnen wird. Der Lohn, der ihm zuteil werden wird, wird alle seine Erwartungen weit übertreffen.
Vielleicht, so denken wir jetzt wenigstens, wird er auch überrascht sein, vieles dort nicht wiederzufinden, was er auf dieser Erde für sehr wertvoll gehalten hat. Aber wie bereits gesagt, unsere Gedanken werden dort völlig im Einklang stehen mit den Gedanken unseres Herrn. Dennoch bleibt für manche noch eine Schwierigkeit. Sie fragen: Wenn der Lohn und das Maß der Glückseligkeit so verschieden sind, wie kann man dann davon reden, dass alle vollkommen glücklich und selig sein werden? Es scheint freilich ein unlösbarer Widerspruch in den beiden Behauptungen zu liegen, in Wirklichkeit aber ist es nicht so. Es hat einmal ein bejahrter Diener des Herrn, der jetzt längst in die ewige Ruhe eingegangen ist, ein schönes Bild gebraucht, um die Sache zu erklären. Denken wir uns, sagte er, eine Reihe von Gläsern nebeneinander gestellt, das eine immer etwas größer als das andere.
Ich gieße alle Gläser, vom größten bis zum kleinsten, bis zum Rande voll. Nachdem die Arbeit getan ist, sagt eines der Gläser: Mein Nachbar zur Rechten hat aber mehr als ich. - Gut, sage ich, ich will noch etwas zuschütten. Es geschieht, aber - das Glas fließt über. Das kleine Glas ist genau so voll wie das große. Das größere fasst mehr als das kleinere, aber beide sind bis zum Rande gefüllt.
So wird es dort sein; ja, es ist in gewissem Sinne heute schon so. Wenn z. B. in einer Versammlung von Gläubigen die Herzen durch den Dienst eines Bruders in die wunderbaren Gedanken und Ratschlüsse Gottes eingeführt werden und alle mit derselben Aufmerksamkeit und Spannung lauschen, so werden alle glücklich sein; dennoch ist das Maß des Aufnehmens und Verstehen? ganz verschieden. Da sind solche, die nach Gottes Wort Erwachsene genannt werden können, und solche, die noch unmündig sind. Es gibt Väter, Jünglinge und Kindlein in Christo. Das Kindlein kann dem Vortrag selbstverständlich nicht so folgen wie der Jüngling oder der Vater, weil es noch nicht so weit herangereift ist, um das Geredete so aufnehmen und fassen zu können, wie der mehr Erwachsene in Christo. Gleichwohl ist das Kindlein in Christo überströmend glücklich, der Jüngling überströmend glücklich und der Vater überströmend glücklich. Das Kindlein könnte gar nicht mehr fassen, als ihm durch das teure Wort gegeben wird, obwohl der Vater eine viel verständnisvollere, tiefere Freude genießt als dieses. Beide sind ganz gefüllt, und neidlos erfreuen sie sich des Glückes des anderen.
Wie könnte es auch anders sein? Die Liebe freut sich in der Freude des anderen, ist befriedigt, wenn sie den anderen glücklich sieht. Je mehr der andere empfängt, je mehr Anerkennung ihm von Seiten des Herrn zuteil wird, desto mehr Freude ist auf der Seite der Liebe. So wird es dort in Vollkommenheit sein. Ein Apostel Paulus wird ein viel größeres Maß von Seligkeit fassen können als wir, oder gar als ein Gläubiger, der als Kindlein in Christo aus dieser Welt in die Herrlichkeit hinübergeht. Wie in dem Lohne, so wird es auch hierin eine große Verschiedenheit geben. Dennoch werden sich alle in derselben Herrlichkeit befinden, alle in derselben Nähe bei Jesu, alle auf demselben Boden. In dieser Beziehung wird kein Unterschied sein.
O, wie werden wir dort die Liebe, Güte und Gnade unseres Herrn preisen! Und wenn wir den Blick zurückwandern lassen über das vergangene Leben, wie wird unser Herz die Langmut, Treue und Geduld unseres Herrn in einem Lichte sehen wie nie zuvor! Wie schwach ist heute oft unser Erkennen! Und doch beugt es uns heute schon tief in den Staub, wenn wir sehen, mit welcher Güte unser Herr uns trägt und pflegt.
Was wird aber in unseren Herzen sein, wenn wir vor dem Richterstuhl Christi geschart stehen werden als das herrliche Ergebnis Seines Werkes, die Frucht der Mühsal Seiner Seele! Wenn wir sie alle dort sehen werden, welche die Gnade herausgeholt hat aus dem Schlamm der Sünde: die ehemaligen Trunkenbolde, Mörder, Ehebrecher, die Zöllner und Sünder; und neben ihnen die Ehrbaren und Selbstgerechten, die Eigenliebigen und Sorglosen, bei denen das Werk der Errettung wohl noch schwieriger war als bei jenen - alle um denselben Herrn geschart, desselben Heils teilhaftig, mit einem Munde Jesum preisend, Ihn anschauend, in Seinem Anblick sich verlierend! O, wie werden wir dann den Wert des Blutes Christi schätzen, wie viel besser als heute die Kostbarkeit des Werkes unseres Heilandes erkennen! Heute schon singen wir von den Wundern der Gnade, welche dieses Blut tut, sind erstaunt über Gottes Tun und tief beglückt durch das Wirken unseres Heilandes und des Heiligen Geistes. Und doch sehen wir hier nur einen ganz kleinen Teil dieser Wunder; dort werden wir das Ganze überschauen, werden erkennen, wie wir erkannt worden sind.
Und dies alles wird, wie ich schon früher bemerkte, vorgehen zwischen dem Herrn und uns allein. Da wird die Welt nicht Zuschauerin sein. Das ist eine Sache, welche den Herrn und die Seinen allein angeht. Es ist sozusagen eine Familien-Angelegenheit, die Ordnung eines Verhältnisses zwischen dem Herrn und Seinen geliebten Knechten und Mägden. Als Joseph sich seinen Brüdern zu erkennen gab, war kein Ägypter zugegen; sie hatten alle vorher hinausgehen müssen.
Bevor wir weitergehen, muss ich noch eines Einwandes gedenken, den man zuweilen machen hört. Man sagt: Wenn es wahr ist, dass ich vor dem Richterstuhl Christi mit allem, was ich bin und getan habe, vor aller Augen bloß und aufgedeckt dastehen werde, wie ernst und erschreckend ist das dann! Die Seele, welche so spricht, befindet sich noch nicht im Lichte des Richterstuhls. Sie steht noch nicht wirklich im Lichte Gottes. Da ist noch ein Rückhalt im Herzen, den sie nicht offenbaren will. Eine aufrichtige Seele erfreut sich des Lichts und wünscht vor Gott und Menschen nicht anders dazustehen, als sie ist.
Aber abgesehen davon, was werden wir dort sehen? Wir werden sehen, nicht wie der andere ein so schlechter Mensch oder untreuer Christ war; ein jeder wird sehen, was er war. Wir werden hineinschauen in die Tiefen der verderbten Natur, die wir hienieden an uns trugen, in die Tiefen und Höhen unserer Schuld, wie es auf Erden nicht möglich war; aber wir werden auch die Quellen und die Tätigkeit der Gnade in einem Lichte sehen wie nie vorher, den Reichtum der Barmherzigkeit, welcher den Anfang unseres Weges kennzeichnete, wie die schrankenlose Geduld Gottes in unserer wechselvollen Geschichte vom ersten bis zum letzten Tage. Noch einmal denn: Ist der Richterstuhl erschreckend? Nein; er ist für den Gläubigen nicht erschreckend, er ist vielmehr ein Gegenstand seiner Erwartung. Das aufrichtige Herz freut sich darauf, dass ein Augenblick kommt, wo es ganz offenbar sein wird vor seinem Herrn; wo nichts mehr verborgen, sondern alles, alles „heraus" sein wird in Licht und Liebe vor Ihm. Der Apostel Paulus hat sich auf diesen Augenblick gefreut. Auch wir werden uns darauf freuen, wenn wir anders in Lauterkeit und Aufrichtigkeit unseren Weg vor Gott gehen.
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Gedanken
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 196ff
Der Vernunftgläubige hat nur Zweifel und Fragen. Er nennt das freilich „Liebe zur Wahrheit“; aber niemals wird die Wahrheit von ihm geliebt noch erkannt. Der Herr bewahre uns in Gnaden vor einer solchen vorgeblichen Liebe zur Wahrheit, welche im besten Falle immerdar sucht, ohne zu finden, welche nichts zu bewahren und deshalb auch nichts zu verlieren hat, welche in Wirklichkeit die Wahrheit zerstört, die wir lieben!
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Jetzt ist die Zeit der Arbeit, nicht der Ruhe. Wir erwarten auch keine Ruhe hienieden, sondern wenden allen Fleiß an, „in jene Ruhe einzugehen“. Wir bedürfen des Ausharrens; aber wenn wir aus-harren, macht der Herr die Zeit kurz.
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Das Reich der Himmel
Bibelstelle: Mathäus 5 – 7
Botschafter des Heils 1909 S. 197ff
Kapitel 7.
Wir kommen jetzt zu einem Teil der Rede unseres Herrn, die sich von dem Vorhergehenden bestimmt unterscheidet. Es handelt sich fortan nicht so sehr um die Feststellung der richtigen Beziehungen einer Seele zu Gott, dem Vater, um das Verborgene innere Leben des Christen, als vielmehr um die gegenseitigen Beziehungen der Jünger zueinander, um ihr Verhalten gegenüber den Menschen, sowie um die verschiedenen Gefahren, die sie zu fürchten haben; vor allem aber um das gewisse Verderben, welches jeder Seele, die den Namen Christi nennt, bevorsteht, wenn sie Seine Worte hört und nicht tut. Der kluge Mann hört und tut sie; damit endet das Kapitel. Wenn wir uns jetzt mit diesen verschiedenen Unterweisungen unseres Herrn etwas näher beschäftigen, brauche ich wohl nicht zu sagen, dass es unmöglich sein wird, in alles völlig einzudringen, da die Reden des Herrn eine ganz besondere Gedankentiefe enthalten. Es gibt wohl keinen Teil des Wortes Gottes, in welchem man eine mehr charakteristische Tiefe findet als hier.
Der Punkt, mit welchem der Herr beginnt, ist dieser: Er hatte im Vorhergehenden ausführlich darüber geredet, dass wir als Kinder unseres Vaters in Gnade zu handeln haben; aber das bezog sich im Besonderen auf unser Verhalten gegen die Welt, unsere Feinde, gegen Personen, die uns unrecht tun. Hierbei könnte jedoch eine ernste Schwierigkeit im praktischen Leben entstehen. Gesetzt den Fall, dass unter denen, die uns unrecht tun, solche sind, die den Namen Christi tragen, was dann? Welche Gefühle sollen wir solchen gegenüber haben, und wie sollen wir mit ihnen handeln? Ganz gewiss gibt es hier einen Unterschied, und zwar einen sehr wichtigen. Doch da ist ein Ding, vor dem wir auf der Hut sein müssen, bevor wir an die Beurteilung des Verhaltens eines anderen» herantreten; und das ist der Geist der Tadelsucht, des Kritisierens, die Gewohnheit oder Neigung, böse Beweggründe vorauszusetzen bei Dingen, die wir nicht kennen, und die sich unserer Einsicht entziehen. Wir wissen alle, welch eine Schlinge dies für das Menschenherz ist, ja, für manche eine besondere Gefahr infolge ihres natürlichen Charakters und ihrer Unwachsamkeit gegenüber einer schlechten Gewohnheit, die sie bei sich dulden. Der eine besitzt mehr Unterscheidungsvermögen als der andere, und sollte deshalb ganz besonders gegen sich selbst auf der Hut sein.
Damit soll nicht gesagt sein, dass er seine Augen gegenüber dem Bösen schließen sollte; aber er sollte nicht etwas argwöhnen, das nicht aufgedeckt ist, noch in seinem Urteil über das hinausgehen, was Gott ans Licht stellt.
Das ist ein sehr wichtiges, praktisches Schutzmittel, ohne welches wir unmöglich Gott gemäß miteinander wandeln können. Es ist möglich, dass Menschen beieinander sind als ebenso viele getrennte Einheiten, ohne jede wirkliche innere Verbindung oder Kraft, um auf die Leiden, Schwierigkeiten und Versuchungen, oder gegebenen Falls auch auf das Böse der anderen einzugehen. Alle diese Dinge haben aber Anspruch an das Herz eines Jüngers. Selbst das Böse ruft nach Liebe, damit sie den göttlichen Weg ausfindig mache, aus welchem mit dem, was Gott entgegengesetzt ist, gehandelt werden kann. Denn das Wesen der Liebe besteht darin, dass sie das Beste des geliebten Gegenstandes sucht, und zwar ohne jede Rücksichtnahme auf sich selbst. Sie mag dabei erfahren müssen, wie bitter es ist, nicht wiedergeliebt zu werden, wie der Apostel Paulus es erfuhr, und dies sogar in jenen ersten Tagen der christlichen Kirche und seitens wahrer Christen, ja, selbst seitens solcher Personen, die in besonderer Weise durch den Geist Gottes begabt waren; und doch hat es Gott gefallen, uns diese ernsten Unterweisungen darüber zu geben, was das Herz ist, selbst in Heiligen Gottes.
Unter allen Umständen ist für jedes Gewissen die große Wahrheit bindend: „Richtet nicht, aus dass ihr nicht gerichtet werdet“ (V. 1). Andererseits kann kein Grundsatz leichter durch die Selbstsucht des Menschen missbraucht werden, als dieser. Würde z. B. jemand auf einem bösen Wege wandeln und diese Stelle benutzen, um zu leugnen, dass die Brüder berechtigt seien, sein Verhalten zu richten, so würde er offenbar einen großen Mangel an Gewissen und geistlichen: Verständnis verraten. Er würde damit beweisen, dass sein Auge durch das eigene Ich verblendet ist, und dass er die Worte des Herrn nur verdreht, um sie zu einer Entschuldigung für die Sünde zu machen· Der Herr hatte keineswegs im Sinn, das heilige Richten des Bösen abzuschwächen; im Gegenteil, Er ruft bei Gelegenheit Seinem Volke in ernster Weise zu: „Ihr, richtet ihr nicht die drinnen sind“ (1. Kor. 5, 12)? Es war der Fehler der Korinther, dass sie die, welche in ihrer Mitte waren, nicht richteten.
Es ist also klar, dass ich in einem Sinne zu richten habe, und in einem anderen nicht. Es gibt Fälle, wo ich gegen den Herrn sündigen würde, wenn ich nicht richtete; und es gibt Fälle, wo der Herr zu richten verbietet und mir sagt, dass ich, wenn ich es tue, Gericht über mich selbst bringe. Es ist eine Frage von großer praktischer Bedeutung für den Christen, wo er richten und wo er nicht richten soll. Was irgend klar zu Tage liegt, was Gott dem Auge der Seinigen zeigt, so dass sie es aus eigener Anschauung wissen oder auf Grund unzweifelhafter Zeugnisse kennen, das zu richten sind sie sicherlich verpflichtet.
Mit einem Wort, wir sind immer dafür verantwortlich, alles, was Gott verunehrt, zu verabscheuen, mag es nun aus mittelbarem oder unmittelbarem Wege zu unserer Kenntnis gelangen; denn „Gott lässt sich nicht spotten“.
Aber was meint unser Herr denn, wenn Er sagt: „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet“? Er denkt, wie bereits gesagt, nicht an etwas, das klar zu Tage liegt, sondern an verborgene Dinge, die, falls sie wirklich da sind, Gott noch nicht offen vor die Augen Seines Volkes hingelegt hat. Wir sind nicht verantwortlich, das zu richten, was wir nicht wissen; wir sind im Gegenteil verpflichtet, gegen den argwöhnenden Geist, der immer Böses vermutet, auf der Hut zu sein. Es mag sein, dass Böses vorhanden ist, und selbst Böses der schlimmsten Art, wie bei Judas. Der Herr sagte von ihm: „Einer von euch ist ein Teufel“; und doch ließ Er mit Absicht die Jünger im Dunkeln hinsichtlich der Einzelheiten.
Man beachte beiläufig, dass nur das Evangelium Johannes uns zeigt, dass die Kenntnis unseres Herrn über Judas Iskariot die einer göttlichen Person war. Er sprach jene Worte, lange bevor etwas ans Tageslicht kam. In den anderen Evangelien bleibt alles verborgen bis zu dem Abend, an welchem Judas seinen Verrat ausführte; Johannes dagegen wurde durch den Heiligen Geist geleitet, zu erwähnen, dass der Herr Seinen Jüngern von Anfang an gesagt hatte, dass es so sein würde. Und doch, obwohl Er es wusste, hatten sie sich nur auf Seine Kenntnis der Sache zu verlassen; denn wenn der Herr Geduld mit Judas hatte, mussten sie dann nicht dasselbe tun? Wenn Er ihnen keine Anleitungen gab, mit dem Bösen zu handeln, so mussten sie warten. Das ist stets die Zuflucht des Glaubens, der nie eilt, besonders in einem so ernsten Falle. „Wer glaubt, wird nicht ängstlich eilen“ (Jes. 28, 16). Wir brauchen uns nicht über das zu beunruhigen, was nicht sicher ist. Alles ist Gott offenbar, alles ist in Seinen Händen; und wir können uns auf Ihn verlassen. Geduld ist das Wort, bis der Herr die Zeit für gekommen erachtet, um mit dem, was Ihm entgegen ist, zu handeln.
Der Herr erlaubt Judas, sich völlig zu offenbaren, und dann galt es nicht mehr, den Verräter zu tragen. Während es gewisse Fälle des Bösen gibt, die wir zu richten haben, gibt es Fragen, zu deren Lösung der Herr die Kirche nicht auffordert. Die Bösesten von allen sind die, welche hinausgehen, nicht die, welche hinausgetan werden. Was verurteilt einen Menschen mehr, als die Tatsache, dass er selbst hienieden nicht in der Gegenwart des Herrn stehen kann? Dass nichts Böses im Himmel sich mit der Gegenwart des Herrn vertragen kann, ist selbstverständlich; aber auf die Dauer ist es auch auf der Erde nicht möglich. „Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns; denn wenn sie von uns gewesen wären, so würden sie wohl bei uns geblieben sein; aber auf dass sie offenbar würden, dass sie alle nicht von uns sind“ (1. Joh. 2, 19). Diese Menschen werden als Antichristen gekennzeichnet. Es handelte sich bei ihnen nicht einfach um Böses sittlicher Art, sondern um etwas, das sich gegen Christum persönlich richtete und daher die Grundlage der ewigen Wahrheit unmittelbar angriff.
Wo irgend also etwas sich zeigt, das sich bestimmt gegen die persönliche Herrlichkeit Christi richtet, da handelt Er mit demselben.
Es kann Fälle geben, wie im 2. Brief des Johannes, wo es den Heiligen geziemt, auch damit zu handeln; gewöhnlich aber finden wir, dass solche Personen hinausgehen. Gott zieht vor, wenn ich so sagen darf, selbst über sie zu verfügen, und das schon hienieden. Sie konnten nicht in Gottes Gegenwart bleiben, obwohl diese auf Erden einfach durch die Kraft des Geistes Gottes kundgetan wurde. Aber während es Fälle gibt, wo die Heiligen richten sollen, und Fälle, wo der Herr richtet, bleibt doch das Wort bestehen: „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet“. Wir müssen uns davor hüten, Beweggründe unterzuschieben oder über den wahren, inneren Zustand eines Menschen vor Gott zu urteilen. Er allein ist Herzenskündiger, und wir müssen Sorge tragen, dass wir Ihm nicht vorauseilen, damit wir uns nicht etwa, sei es in den Einzelheiten oder gar in der Hauptsache, im Widerstreit mit Gott befinden. Wir müssen nicht das Geknickte zerbrechen, dadurch dass wir verbitterten persönlichen oder parteiischen Gefühlen nachgeben. Welch eine Gefahr ist das! Die unvermeidliche Wirkung eines richtenden Geistes ist, dass wir selbst gerichtet werden. Von einer Seele, deren Gewohnheit ist, tadelsüchtig zu sein, wird allgemein übel geredet. „Mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden.“
Sodann behandelt der Herr einen besonderen Fall: „Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber in deinem Auge nimmst du nicht wahr“ (V. 3)? Das will sagen: da, wo jene Neigung zum Richter: vorhanden ist, wird eine noch weit ernstere Sache gefunden, nämlich das gewohnheitsmäßige Vorhandensein von ungerichtetem Bösen bei einem Menschen, sei er ein bloßer Bekenner oder ein Heiliger Gottes, und das daraus hervorgehende ruhelose Trachten, zu zeigen, dass es mit anderen auch nicht gut stehe. „Oder wie wirst du zu deinem Bruder sagen: Erlaube, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und siehe, der Balken ist in deinem Auge“ (V. 4)? Der Splitter ist naturgemäß nur klein, aber es wird viel daraus gemacht, und der Balken, eine ganz gewaltige Sache, wird übergangen. Der Herr offenbart hier in der nachdrücklichsten Weise Seine eigene Wahrhaftigkeit und zeigt, dass, wenn wir das Wohl Seines Volkes und dessen Befreiung Vom Bösen begehren, der richtige Weg dazu ist, mit Selbstgericht zu beginnen. Wenn wir wirklich den Splitter aus unseres Bruders Auge entfernt zu sehen wünschen, wie muss das geschehen? Indem wir mit den ernsten Verfehlungen in uns selbst beginnen, die wir, wie uns wohl bekannt ist, noch so wenig ernst gestraft und bekannt haben. Das ist Christi würdig. Denn wie muss mit dem Splitter in des Bruders Auge verfahren werden? Sagt der Herr: Gehe damit zu den Richtern? Nein; sondern: prüfe und erforsche dich selbst. Damit muss die Seele beginnen. Wenn ich das Böse richte, welches mein Gewissen kennt, oder, wenn es ihm bis dahin noch unbekannt geblieben ist, in Gottes Gegenwart kennen lernt — wenn ich damit beginne, so werde ich nachher klar sehen, was anderen not tut. Ich werde ein Herz haben, welches fähig ist, auf deren Umstände einzugehen, und ein Auge, welches von dem gereinigt ist, was das Herz betrüglich macht und ihm die Fähigkeit raubt, in der Sache Gott gemäß zu fühlen.
„Heuchler, ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter aus deines Bruders Auge zu ziehen“ (V. 5). Eine solch unaufrichtige Gesinnung kann grundsätzlich bei einem Gläubigen gefunden werden, obwohl der Herr, wenn Er „du Heuchler“ sagt, auf das Böse in seiner vollendeten Form anspielt. Fragen wir uns- nun, ob wir diese Gesinnung nicht schon in uns selbst kennen gelernt haben. Und doch, was könnte der Einfalt und göttlichen Aufrichtigkeit mehr entgegengesetzt sein, als sie? Der Herr zeigt, dass gerade ein solches Beginnen zu dem hassenswertesten Bösen, das unter dem Namen Christi gefunden werden kann, führt - zur Heuchelei, einer Sache, welche selbst das natürliche Gewissen entschieden von sich weist.
„Heuchler, ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter aus deines Bruders Auge zu ziehen“. O wie oft haben wir gefunden, dass, wenn der Balken entfernt war, der Splitter auch nicht mehr zu sehen war; er war verschwunden. Das ist eine große Ermunterung. Denn wenn das Herz aus den Herrn gerichtet ist, wird uns die Entdeckung, dass wir uns betreffs unseres Bruders getäuscht haben, wahrlich nicht traurig stimmen. Oder sollte ich mich nicht freuen, die Gnade des Herrn in meinem Bruder zu finden, wenn ich im Selbstgericht entdecke, dass nur ich im Unrecht war? So etwas mag schmerzlich für uns selbst sein; aber die Liebe Christi im Herzen eines Gläubigen ist erfreut zu sehen, dass Christo eine weitere Verunehrung erspart geblieben ist.
Das ist also der erste wichtige Grundsatz den unser Herr uns hier einprägt. Gegen die Angewohnheit, zu richten, muss ernstlich gemacht werden, auch schon deshalb, weil sie den Geist dessen, der ihr nachgibt, bitter und seine Seele unfähig macht, in der rechten Weise mit dem anderen handeln zu können. Wir sind ja, wie der Apostel Paulus uns belehrt, zu dem Zweck „an dem Leibe gesetzt“, einander zu helfen; und wir alle sind Glieder voneinander. Der Herr will bei uns den Geist der Gnade sehen, welcher das Wohl des anderen sucht, selbst wenn das nur unter eigener Verurteilung geschehen kann.
Doch es gibt hier noch etwas anderes zu beachten. Indem man gegen voreiliges und hartes Urteilen wacht, könnte ein Missbrauch der Gnade entstehen. Daher knüpft der Herr an das bisher Betrachtete unmittelbar die Worte an: „Gebet nicht das Heilige den Hunden; werfet auch nicht eure Perlen vor die Schweine, damit sie dieselben nicht etwa mit ihren Füßen zertreten und sich umwenden und euch zerreißen“. Beachten wir wohl, dass der Herr hier nicht von dem Evangelium spricht, das den Sündern gebracht wird. Gott gebietet, dass wir Seine Gnade allen Völkern, die unter dem Himmel sind, verkündigen sollen; nichts Geringeres als das sollte der Wunsch und das Streben eines jeden Heiligen Gottes sein. Alle sollten es tun; das heißt, der Geist tätiger Liebe, der andere zu erreichen sucht, und ein ernstes, tatkräftiges Verlangen nach dem Heil und Segen der Seelen sollte alle erfüllen. Und das nicht nur, damit Seelen zu Christo geführt werden; das hieße, weit hinter dem Ziele zurückbleiben. Der einzige, eines Christen würdige Gedanke ist die Verherrlichung Christi; und darum sollten wir in allem in Christum hineinzuwachsen begehren, um den Willen Gottes zu kennen und zu tun.
Der Herr spricht in diesem Verse also nicht über die Frage, ob das Evangelium ohne Unterschied zu allen hinausgehen soll; denn wir wissen, dass, wenn ein Unterschied da wäre, das Evangelium gerade für diejenigen am meisten passen würde, welche „Hunde“ (in der Sprache der Juden ein Bild von allem Abscheulichen) gewesen sind. „Solches sind euer etliche gewesen; aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerechtfertigt worden in dem Namen des Herrn Jesu und durch den Geist unseres Gottes“ .So lesen wir in 1. Kor. 6, 11. Der Apostel hat gerade vorher von Dieben, Trunkenbolden, Räubern &c. gesprochen. Es hätte gefragt werden können: Ist denn nicht die Bosheit des einen Menschen größer als die des anderen? Von einem irdischen Standpunkt aus könnte man antworten: Gewiss, in jeder Hinsicht; aber wenn Gott Seelen reitet, so macht Er diesen Unterschied nicht. So sagt Paulus von Gläubigen, die einst Juden gewesen waren, dass sie von Natur Kinder des Zorns waren wie auch die übrigen2. Vielleicht hat es Menschen von strenger Sittlichkeit, von menschlich edlem Charakter unter ihnen gegeben“.
Aber machte sie das der Gnade Gottes geneigter? Ach, wenn die Seele in dem, was sie ist, noch eine Rechtfertigung für sich findet, so steht sie auf einem überaus gefährlichen Boden. Für einen solchen Menschen ist es ein gar schweres Ding, sich vor der Wahrheit zu beugen, dass er nur aus dem Boden eines Zöllners und Sünders in den Himmel eingehen kann. Doch dahin muss die Seele kommen, wenn sie anders Errettung von Gott empfangen soll durch den Glauben an Jesum.
Der Herr will also keineswegs verhindern, dass das Evangelium zu allen Völkern hinausgehe; Er spricht vielmehr von den Beziehungen Seines Volkes zu solchen, die unheilig wandeln. Der Christ soll einen weltlichen Menschen nicht so behandeln, als ob er aus gemeinsamem Boden mit ihm stände; er soll dorthin nicht die besonderen Schätze ausbreiten, welche des Christen Teil sind. Das Evangelium soll überallhin gebracht und weit und breit verkündigt werden; es enthält die Reichtümer der Gnade Gottes für die Welt. Aber außer dem Evangelium kennen wir die besonderen Zuneigungen Christi zu Seiner Kirche, Sein Verhältnis als Herr zu Seinen Knechten, Sein Priestertum, die Hoffnung Seiner Wiederkunft und vieles andere. Wenn man nun über diese Dinge, die wir wohl die Perlen der Gläubigen nennen können, mit solchen reden würde, die augenscheinlich keine Christen sind, so würde man einen falschen Boden betreten. Wollte man ferner in weltlicher Gesellschaft die Pflichten des Gläubigen auseinander setzen, so würde das heißen, das Heilige den Hunden geben.
Gott hat in gesegneter Weise Vorsorge für den Hund getroffen: Er lässt ihm die Brosamen zukommen, die von des Meisters Tische fallen. Und so groß ist die Gnade Gottes gegen uns, dass die Brosamen, welche — uns — armen Hunden aus den Heiden, wie wir waren — zufallen, die besten sind. Was könnte wohl mit dem verglichen werden, das uns aus der Gnadenfülle des Herrn entgegen strömt? Wie groß auch die den Juden verheißenen Vorrechte sein mögen, die Gnade Gottes hat in dem Evangelium größere Segnungen ans Licht gebracht, als Israel verheißen waren. Was kann Israel je erfahren im Vergleich mit der großen Errettung, die wir jetzt kennen? Wir haben das Bewusstsein, in einem Augenblick von aller Sünde völlig gereinigt zu sein und für immer in Christo die Gerechtigkeit Gottes als die unsrige zu besitzen; wir haben einen gegenwärtigen Zugang zu Ihn: als Vater durch einen zerrissenen Vorhang, und sind durch den in uns wohnenden Heiligen Geist zu einem Tempel Gottes gemacht.
So sagt der Herr selbst zu dem Weibe von Samaria: „Wenn du die Gabe Gottes känntest und wer es ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken, so würdest du Ihn gebeten haben, und Er hätte dir lebendiges Wasser gegeben“. Wo jetzt Christus aufgenommen ist, von wem es sein mag, da ist diese Fülle des Segens. Die Quelle ist in dem Gläubigen selbst. „Das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt.“
Wir sehen also in manchen Stellen des Wortes Gottes, wie ausgedehnt und vollkommen die göttliche Gnade ist, aber auch, dass es uns verbietet, gewisse Dinge unterschiedslos unter weltliche Personen zu werfen, da diese keine passenden Gegenstände dafür sind. Jede Handlung, die Gemeinschaft zwischen einem Gläubigen und einem Ungläubigen in sich schließt, ist von vornherein unrichtig. Betrachten wir z. B. die Gewohnheit, alle Menschen ohne Unterschied zum Gottesdienst zu versammeln. Gottesdienst oder Anbetung setzt voraus, dass Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne und untereinander vorhanden ist. In den gebräuchlichen Formen des Gebets gibt es aber keine wahre Gemeinschaft, und sie kann nicht da sein. Tatsächlich wird man auch finden, das; in den protestantischen Kirchen im allgemeinen nicht viel Wert auf die Gebete gelegt wird; man nimmt sie mit in den Kauf und duldet sie um der Predigt willen. Wenn man nun, auf Grund einer leicht auszuführenden äußeren Handlung, welche wiedergebärende Kraft haben soll, Gläubige und Ungläubige in einer gemeinschaftlichen Form vereinigt und das Gottesdienst nennt, ist das dann nicht etwas von dem, was der Herr so ernst tadelt? Ist es nicht ein (allerdings leicht verhüllter) Versuch, Schafe und Hunde auf denselben Boden zu stellen? Die Bemühung ist freilich durchaus vergeblich. Man kann nicht die Feinde Christi und solche, die Ihm angehören, vor Gott vereinigen. Man kann nicht die, welche Leben empfangen haben, und solche, die es nicht empfangen haben, als ein Volk miteinander vermengen. Der Versuch, das zu tun, ist Sünde und endigt stets in Misslingen und Enttäuschung, ganz abgesehen davon, dass er zu beständiger Verunehrung· des Herrn dient. Jede Anstrengung, einen Gottesdienst von derart gemischtem Charakter zu haben, Verfällt dem Urteil des sechsten Verses in unserem Kapitel.
Andererseits ist das Predigen des Evangeliums, da wo es vom Gottesdienst gesondert gehalten wird, richtig und gesegnet. Wenn der Tag des Gerichts über die Welt hereinbricht, wohin wird dann der schlimmste Schlag fallen? Nicht auf die öffentlich gottlose Welt, sondern auf „Babylon“; denn Babylon ist die Vereinigung dessen, was von Christo ist, mit dem Bösen; es stellt den Versuch dar, Gemeinschaft zwischen Licht und Finsternis möglich zu machen. Hier ist der Punkt, wo unsere Verantwortlichkeit eintritt, wie der Apostel sagt: „Gehst aus ihr hinaus, mein Volk, auf dass ihr nicht ihrer Sünden mitteilhaftig werdet, und auf dass ihr nicht empfanget von ihren Plagen.“(Offbg. 18, 4). Der Sünden Babylons mitteilhaftig zu werden, das ist das Schwerwiegende bei Gott.
Es ist das Errichten und Annehmen eines gemeinsamen Bodens, auf welchem Kirche und Welt sich verbinden können, während die wahre Absicht Gottes und das, wofür Christus starb, darin bestand, ein für Ihn abgesondertes Volk zu haben, welches gerade durch seine Widmung für Gott ein Licht in dieser Welt sein soll; nicht ein hochmütiger Zeuge, der da spricht: „Bleibe für dich und nahe mir nicht, denn ich bin dir heilig“ (Jes. 65, 5)), sondern ein Brief Christi, welcher der Welt sagt, wo das lebendige Wasser zu finden ist, und der sie zu kommen auffordert mit den Worten: »Wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst“. Das Licht der Kirche, ein Widerschein von Christo selbst, wirst seine Strahlen auf das lebendige Wasser, welches Christus einem jeden gibt, der da will. Da wo man nicht die Religion der Welt mit der Anbetung vermengt, die von dem Volke Gottes zu Gott emporsteigt, da wird man auch die wahre Grenzlinie betreffs der Frage finden, wo wir richten und wo wir nicht richten sollen. Da wird ein tätiger Dienst sein für die Welt mittelst des Evangeliums, und zugleich eine sorgfältige Absonderung der Kirche von der Welt.
Das ist auch wahr, wenn es sich um einzelne Personen handelt. Wenn es an einem Orte nur einen einzigen Gläubigen gibt, so soll auch er nicht seine Perlen vor die Schweine werfen; und wenn eine Versammlung da ist, so hat sie als ein Ganzes gleichfalls gegen diese Gefahr zu wachen. Welch ein Prüfstein ist das für das Herz! Manche möchten Nutzen ziehen aus dem Worte: „Wenn jemand von den Ungläubigen euch einladet, und ihr wollt hingehen etc.“ (1. Kor. 10, 27). Aber, lieber Bruder, gib wohl acht, wie und zu welchem Zweck du hingehst. Wenn du in Selbstvertrauen hingehst, so wirst du nur Christum verunehren; gehst du, weil du Gefallen daran hast, so stehst du aus einem armseligen Boden; tust du es, um anderen gefällig zu sein, so ist der Boden nur wenig besser; wenn du aber hingehst, um Gott zu dienen, um deinem Nächsten zum Guten zu gefallen, zur Erbauung, so wirst du es tun mit Besorgnis um dich selbst, mit heiliger Scheu möchte ich sagen, und mit göttlicher Furcht im Herzen, dass du nicht den lebendigen Gott vergessest, noch außer acht lassest, dass Er ein verzehrendes Feuer ist. Denn der Gott des Gläubigen ist ein verzehrendes Feuer. Er offenbart sich als solches in Seinen Wegen mit uns, und dafür lasst uns Ihm danken. Er hat mit dem Bösen bei uns ebenso wenig Nachsicht, wie Er wünscht, dass wir sie haben möchten. Es mag Gelegenheiten geben, wo die Liebe Christi eine Seele drängt, zu gehen und in einer weltlichen Gesellschaft Zeugnis von Seiner Liebe abzulegen; doch wenn wir wissen, wie leicht ein Wort gesagt oder etwas getan werden kann, das eine Gemeinschaft mit dem, was Christo zuwider ist, zur Folge hat, so wird Furcht und Zittern unsere Herzen erfüllen. Wo aber Selbstvertrauen ist, da wird nie die Kraft Gottes sein.
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Das Evangelium der Herrlichkeit
Bibelstelle: 2. Korinther 3 -5
Botschafter des Heils 1909 S. 212ff
Zwei Dinge waren es, die der Gedanke an den Richterstuhl in dem Herzen des Apostels wachrief, zwei Folgen, die sich auch bei uns zeigen werden, wenn wir diesen Richterstuhl so sehen, wie Paulus ihn sah, oder mit anderen Worten, wenn das Offenbarwerden vor dem Richterstuhl als eine beständige Wirklichkeit vor unserem Geistesauge steht. Was sind diese beiden Folgen? Der Apostel nennt sie in den Worten: „Da wir nun den Schrecken des Herrn kennen, so überreden wir die Menschen, Gott aber sind wir offenbar geworden; ich hoffe aber, auch in euren Gewissen offenbar geworden zu sein" (V. 11). Die erste der Folgen ist also: wir überreden die Menschen; die zweite: wir sind Gott offenbar geworden.
Wir überreden die Menschen. Welche Menschen? Die Gläubigen? Nein, sondern die unbekehrten Menschen, die in Gefahr sind, von dem Gericht Gottes ereilt zu werden. Und wozu überreden wir sie? Dass sie eilen, dem kommenden Zorn zu entfliehen; dass sie sich aufmachen, um Heil und Frieden zu suchen in dem Blute des Lammes. Wir kennen den Schrecken des Herrn; wir wissen, belehrt durch Gottes Wort und durch die Erfahrungen unseres eigenen Gewissens, was der heilige Gott der Sünde gegenüber ist, was es heißt, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Wir haben am Kreuze, wo Jesus für uns zur Sünde gemacht war, gesehen, wie Gott die Sünde behandelt. Obwohl wir nicht ahnen können, was Jesus dort gelitten hat, wissen wir doch, dass Er, der Heilige und Gerechte, um unsertwillen von Gott verlassen war, dass Er durch die drei schrecklichen Stunden der Finsternis gehen musste.
Wenn nun Ihn, den Geliebten, ein solches Gericht traf, als Er die Sache des Sünders in Seine Hand nahm, was muss es dann sein, wenn der Mensch mit allen seinen Sünden vor den Richterstuhl gefordert wird! O, vor diesen Flammenaugen zu stehen, die hineinschauen in jede Falte des Herzens, dazustehen mit dem ganzen vergangenen Leben gleich einem aufgeschlagenen Buche vor sich, in dem Bewusstsein: die Zeit der Gnade ist vorbei, es ist zu spät; es hat eine Zeit gegeben, wo ich Frieden und Vergebung hätte finden können, aber ich habe nicht gewollt! Dazustehen in seiner ganzen Sündhaftigkeit, mit der schweren, schweren Schuld auf dem Gewissen, in der Erkenntnis: das Blut Jesu Christi reinigt nicht mehr, die Tür der Gnade ist verschlossen - hinter sich ein verlorenes Leben, vor sich die Verdammnis, und kein Schlupfwinkel, kein Bergungsort weit und breit, - o meine lieben Freunde, wie unsäglich furchtbar muss das sein!
Darum, da wir den Schrecken des Herrn kennen, so überreden wir die Menschen. Wir lassen uns nicht abweisen, werden nicht müde, ihnen zu sagen, dass Gott nicht den Tod des Sünders will, dass Er den Sünder liebt und in Seiner Liebe Seinen Sohn für ihn dahingab, dass Seine Arme weit ausgebreitet sind, um den Umkehrenden aufzunehmen.
Wir sagen ihnen, dass der gute Hirte dem verlorenen Schäflein nachgeht, dass es immer noch heißt: „Kommet her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, ich will euch Ruhe geben"; und: „Heute, wenn du seine Stimme hörst, verhärte dein Herz nicht"! Die Liebe, welche den Eingeborenen für Sünder und Feinde opferte, ist ausgegossen in unsere Herzen und leitet uns an, dasselbe zu tun, was Jesus tut, d. h. den Verlorenen, Verirrten nachzugehen und sie zu bitten: Kommet, lasst euch versöhnen mit Gott!
Der Mensch tritt allerdings die Liebe Gottes mit Füßen, beantwortet Seine Güte mit Hass und Feindschaft; und die liebevollen, herzlichen Einladungen eines Kindes Gottes verlacht und verspottet er, oder wendet ihnen doch achtlos den Rücken. Aber die Liebe lässt sich nicht erbittern; sie geht dem Widerstrebenden nach, bittet wieder und wieder, indem sie hofft, dass endlich doch der Augenblick kommen werde, wo das harte Herz schmilzt und der Mensch der Bitte Folge leistet.
Die erste der beiden gesegneten Folgen des Denkens an den Richterstuhl steht also mit der Natur Gottes in Verbindung. Er ist Liebe, und da wir Seiner Natur teilhaftig geworden sind, üben wir Liebe, und zwar in demselben Maße, wie wir den Schrecken des Herrn verwirklichen. Aber Gott ist nicht nur Liebe, Er ist auch Licht, und alle, die Sein sind, lieben das licht, wandeln in dem Lichte. Das ist es, was sie von den Kindern der Welt unterscheidet. Sie können freilich ihre Berufung vergessen und sich dem wieder zuwenden, was sie verlassen haben; aber dem wirkt dann der Gedanke an den Richterstuhl sehr heilsam entgegen.
Er erhält uns im Licht, oder bringt uns dahin zurück, wenn wir seinen gesegneten Kreis verlassen haben. Wir sind dann Gott offenbar. Da ist kein Rückhalt mehr vor Ihm, nichts, was nicht die Probe des Lichts aushalten könnte. Das Gewissen ist im Licht. Das war der beständige Zustand des Apostels und sollte der eines jeden Kindes Gottes sein: alles aufgedeckt vor dem allsehenden Auge Gottes, alles im Hause, in der Familie, im Geschäft, im täglichen Leben, in dem Sinnen des Herzens rückhaltlos bloßgelegt!
„Gott aber sind wir offenbar geworden"! Ist es so mit uns? Wandeln wir so im Lichte Gottes, als wenn wir morgen, vielleicht schon in dieser Nacht, entrückt werden sollten in die Luft, dem Herrn entgegen, um dann vor Ihm offenbar zu werden? Lebt diese Erwartung in unseren Herzen? Wenn es der Fall ist, dann werden wir auch vor dem Gewissen anderer offenbar sein, wie der Apostel weiter sagt: „Ich hoffe aber auch, in euren Gewissen offenbar geworden zu sein". Das Gewissen der gläubigen Korinther gab ihnen Zeugnis; der Apostel hofft wenigstens, dass es so sei, dass sie ehrlich genug seien, zuzugestehen: Dieser Mann wandelt tatsächlich im Licht Gottes, er ist offenbar vor Gott und sucht nur in Liebe uns zu dienen, in Treue und Hingebung sein Werk zu vollenden.
„Denn wir empfehlen uns selbst euch nicht wiederum, sondern geben euch Anlass zum Ruhm unserthalben, auf dass ihr ihn habet bei denen, die sich nach dem Ansehen rühmen und nicht nach dem Herzen" (V. 12). Es gab solche in der Mitte der Korinther, böse Arbeiter, die sich nach dem äußeren Schein rühmten, deren Herz aber nicht in der Gegenwart Gottes war. Da war „keine Wahrheit im Innern", an welcher Gott Lust hat, wie David in Psalm 51 sagt. Bei Paulus fand sich diese Übereinstimmung des Lebens mit den innersten Gedanken des Herzens; seine Schritte hielten fest an den Spuren Gottes, und sein Gedanke ging nicht weiter als sein Mund (Vergl. Psalm 17). Darum dachte er gar nicht daran, sich selbst zu empfehlen, irgend etwas Gutes von sich zu sagen; niemand sollte höher von ihm denken, als was er an ihm sah oder von ihm hörte (Kap 12,6). Im Anfang von Kapitel 3 unseres Briefes sagt er: „Bedürfen wir etwa, wie etliche, Empfehlungsbriefe an euch oder Empfehlungsbriefe von euch?" Nein, das Gegenteil war der Fall. Er gab den Korinthern Anlass zum Ruhme seinethalben. Sie konnten im Blick auf seinen Weg anderen sagen: „Seht, das ist der Mann, der uns zu Jesu geführt hat. Betrachtet seine Hingebung, seine Treue, seine Selbstlosigkeit, seine Liebe! Das ist unser Apostel! Das ist Paulus!"
Wie musste dieser Mann vor Gott wandeln, um so reden zu können! Und vergessen wir nicht, er redet durch den Heiligen Geist. Es ist Gottes Wort, das wir vor uns haben; es sind Worte, die der Heilige Geist ihm eingab.
„Denn sei es, dass wir außer uns sind, so sind wir es Gott, sei es, dass wir vernünftig sind - euch" (V. 13). Mit anderen Worten: Wenn wir mit Jesu beschäftigt sind, wenn wir, ganz dieser Erde entrückt, die himmlischen Dinge vor Augen haben, so ist Gott unser Gegenstand; sind wir vernünftig, d. h. erfüllen die Dinge hienieden unsere Gedanken, so seid ihr es. Wie völlig trat dieser Mann in den Hintergrund! Wo blieb da die Rücksichtnahme auf seine eigene Person? Er dachte gar nicht an sich, - die Liebe tut das nie, - sondern ging völlig auf in dem Dienst für Gott und für die Gläubigen. Wir wiederholen: welch ein wunderbarer Mann! Und es war derselbe Mann, der einst Drohung und Mord schnaubend die Jünger Jesu verfolgte, dessen ganzes Leben und Streben nur das eigene Ich als Mittelpunkt gekannt hatte. Aber er hatte auf dem Wege nach Damaskus Jesum in Herrlichkeit gesehen, den Gegenstand der Wonne Gottes und all Seiner Ratschlüsse. In diesem Jesus hatte er sich völlig verloren, er kannte jetzt nichts anderes als Ihn. „Ihn zu erkennen und in Ihm erfunden zu werden", das war fortan sein einziges Begehren.
Meine lieben Freunde, wir erblicken hier einen Christen in seinem normalen, regelrechten Zustand, einen Jünger Jesu, der in den Fußstapfen seines Herrn wandelt. O möchte dieser Zustand mehr bei uns allen gefunden werden!
Es war die Liebe Christi selbst, die den Apostel drängte. Er hatte geurteilt, „dass einer für alle gestorben ist und somit alle gestorben sind. Und er ist für alle gestorben, auf dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist und ist auf erweckt worden" (V. 14. 15). Jesus ist gestorben, gestorben für alle. Es genügte nicht, dass Jesus Mensch wurde, dass Er Gutes tat, Kranke und Besessene heilte, dass Er vor den geistlichen und weltlichen Würdenträgern dieser Erde Zeugnis von der Wahrheit ablegte. Es genügte nicht, dass Er still und stumm die Feindschaft und Bitterkeit, den Spott und Hass seiner Gegner ertrug, auch nicht, dass Er Sich die Dornenkrone von den rohen Kriegsknechten aufs Haupt setzen und Seinen Rücken blutig geißeln ließ.
Es war nötig, dass Er ans Kreuz geschlagen wurde, und dort starb, wirklich starb; dass Er den Tod als Sold der Sünde, als Gottes Gericht über die Sünde schmeckte, dass Er ihm begegnete als der Darstellung der Macht Satans. Das war der bittere Kelch, der Ihm vom Vater gereicht wurde und vor welchem Ihm so bangte. Der Fürst des Lebens musste sterben an unserer Statt, unter dem Gericht Gottes.
Er i s t gestorben, und somit sind, wie der Apostel hinzufügt, alle gestorben; d. h. der Beweis ist erbracht, dass alle im Tode liegen, und als weitere Folge: „Er ist für alle gestorben, auf dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist". Sein Tod ist für alle geschehen, aber nicht alle nehmen diesen Tod für sich an. Nicht alle beugen sich unter den Urteilsspruch Gottes, indem sie sagen: Ich habe den Tod, den Zorn Gottes, verdient. Aber da Er für alle gestorben ist, kann andererseits niemand sagen: Er ist nicht für mich da. Alle sind eingeladen, keiner ist ausgeschlossen. Doch nur die, welche der Einladung folgen und zu Jesu eilen, empfangen Leben.
Die aber, welche leben, sollen fortan nicht mehr sich selbst leben. Sie gehören mit Leib und Seele Ihm, Der für sie starb, Der ihr Gericht erduldete, indem Er ihre Schuld auf Sich nahm. Er hat sie erkauft durch Seinen Tod. Sie leben nur durch Ihn, und alles was sie haben, verdanken sie Ihm. Sie sind nicht mehr ihrer selbst, sondern Sein Eigentum. Sie sind um einen teuren Preis erkauft.
Der Charakter der Menschen dieser Welt ist, sich selbst zu leben. Das eigene Ich ist der Mittelpunkt ihrer Pläne und Wünsche. Alles dreht sich um die eigene arme Person. Der Glaubende aber ist herausgenommen aus dieser alten Ordnung der Dinge. Er steht mit seinem auferstandenen Herrn auf einem ganz neuen Boden, dem Boden der Auferstehung. Er gehört mit allem, was er ist und hat, Jesu an. Ich sage damit nichts Neues. Es ist eine alte, uns allen wohlbekannte Wahrheit. Gott schenke uns, sie ernster zu verwirkliche!!! Es gibt nichts Köstlicheres, als Dem zu leben, der uns so teuer erkauft hat. Paulus hat nach seiner Bekehrung nie mehr sich selbst gelebt. Das war aus, sobald er Jesum kennengelernt hatte. Von da an war Christus Anfang, Mitte und Ende seines Lebens. Und welch ein glücklicher Mensch war er! „Freuet euch mit mir!" konnte er den gläubigen Philippern zurufen angesichts der Erwartung, wie ein Trankopfer über das Opfer und den Dienst ihres Glaubens gesprengt zu werden.
O, möchten wir mit aufrichtigerem Herzen begehren, Nachahmer dieses sich hingebenden Knechtes zu werden (Philipper 3,17), damit unser Leben und Dienst ein wenig ähnlicher werde dem Leben und Dienst dieses außerordentlichen Mannes, und Jesus, unser Herr, ein wenig mehr „Nutzen an uns haben" möchte! Noch eine kleine Weile, und die Zeit des Dienstes ist vorbei.
Der Bräut'gam kommt! - O stärkt die schlaffen Hände!
Ein wenig noch harrt aus auf rauem, schmalem Pfad!
Der Kampf ist kurz, die Ruhe ohne Ende;
Hebt Herz und Haupt empor, denn der Geliebte naht!
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Zehrung für den Weg
Bibelstelle: Josua 1,11
Botschafter des Heils 1909 S. 220ff
Das Volk Israel stand am Ende seiner Wüstenwanderung. Nachdem es die Gnade Gottes noch einmal durch Mose in so lieblicher Weise hatte rühmen hören (5. Muse 32), sollte es jetzt ins Land einziehen. Ein ganz neuer Abschnitt der Reise war erreicht. Der sanftmütigste Mann auf dem Erdboden hatte seinen Mund für immer geschlossen, aber der Gott Abrahams, Jsaaks und Jakobs blieb für Sein Volk derselbe. Die Wüste mit ihren Erfahrungen lag hinter ihnen, das gesegnete Land vor ihnen. Und nun wird ihnen gesagt: „Bereitet euch Zehrung, denn in noch drei Tagen werdet ihr über diesen Jordan ziehen, um hinzukommen, das Land in Besitz, zu nehmen, welches Jehova, euer Gott, euch gibt, es zu besitzen“.
Die Verheißungen Gottes sind Ja und Amen. Der Glaube darf sich dessen erfreuen. Wie kostbar sind die Worte: „welches Jehova, euer Gott, euch gibt“! Er hatte einst den Vätern die Verheißung gegeben, und jetzt steht Er im Begriff, Sein Wort wahr zu machen: „in noch drei Tagen werdet ihr über diesen Jordan ziehen, um hinzukommen, das Land in Besitz; zu nehmen“, das Land mit all den herrlichen Segnungen, von welchen Gott so oft zu ihnen gesprochen hatte. Es war in der Tat ein feierlicher Augenblick, eine Stunde ernster, heiliger Freude.
Doch so nahe das Land vor ihnen lag, es war noch nicht erreicht; darum wurden sie ermahnt: „Bereitet euch Zehrung!“ Sie bedurften Kraft für die vorliegenden Tage. Das ist belehrend für uns. Auch wir sind ganz nahe am Ziel; und zwar liegt nicht ein Kanaan mit mächtigen Feinden vor uns, sondern das Vaterhaus, wo kein Feind uns je wieder beunruhigen wird. Unser teurer Herr ist hingegangen, um dort eine Stätte für uns zu bereiten; und Er sagt: Wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet“. (Joh. 14, 2. 3.) Und an einer anderen Stelle: „Vater, ich will, dass die du mir gegeben hast auch bei mir seien, auf dass sie meine Herrlichkeit schauen“.
Denkst du daran, geliebter Leser? Dein Jesus ist nahe, Er, der dich liebt, der das Werk vollbracht und deine Schuld gesühnt hat. Ich darf wohl voraussetzen, dass du Ihn mit glücklichem Herzen erwartest. Dennoch lass mich dir sagen: Bereite die nötige Zehrung für den Weg, der noch vor dir liegt.
Er mag nur noch ganz kurz sein, aber du bedarfst jeden Tag der Zehrung, und das um so mehr, je näher du dem Ziele kommst; denn die Tage sind böse und werden immer böser.
Worin fand der Vollkommene auf Seinem Wege durch diese Welt Seine Speise und Kraft? Darin dass Er den Willen des Vaters tat und in Seiner Gemeinschaft blieb. Schon der Psalmist sagt, geleitet durch den Geist Christi: „Das Gesetz Jehovas ist vollkommen, erquickend die Seele“ (Ps. 19, 7). Bei unserem hochgelobten Herrn war dies vollkommen wahr. Er bereitete sich unaufhörlich Zehrung für den Weg, indem Er den Vater verherrlichte und Seine Gebote hielt. Gottes Wohlgefallen zu tun war Seine Lust, und Gottes Gesetz, war im Innern Seines Herzens. Ermüdet von der Reise setzte Er sich an der Quelle bei Sichar nieder, um mit einem schlechten Weibe über das Heil ihrer armen Seele zu reden; und dann sagte Er zu Seinen Jüngern: „Ich habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennet“ (Joh. 4, 32).
Woher kommt es, dass in unseren Tagen das Leben der Kinder Gottes im allgemeinen so schwach ist und aus so niedriger Stufe steht, trotzdem man weiß, dass das Ende der Reise bald erreicht ist? Man bereitet sich so wenig Zehrung für den Weg! Die Herzen sind so viel mit den irdischen Dingen beschäftigt, anstatt in Christo zu ruhen und in Seiner Liebe zu bleiben. Man ist besorgt um viele Dinge, aber nicht um das Eine, was not ist. Und doch hat unser Gott und Vater uns alles verheißen, was wir auf dem Wege zur Unterhaltung des Leibes bedürfen. „Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugefügt werden“ (Matth. 6, 33). Das Streben nach den irdischen Dingen hat schon so manche Gläubige unglücklich gemacht. Es ist ihnen ergangen wie Israel, von welchem wir in Ps. 106, 15 lesen: „Da gab Er ihnen ihr Begehr, aber Er sandte Magerkeit in ihre Seelen“. Gott will die Seinen so gern speisen mit dem Fette des Weizens und sie sättigen mit dem Honig aus dem Felsen, aber sie hören nicht immer auf Ihn und wandeln nicht auf Seinen Wegen. (Vergl. Ps. 81, 13. 16).
Geliebter Mitpilger! Der Weg ist nur noch kurz. „Noch über ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen.“ Sollten wir uns nicht mehr befleißigen, für die Seelenspeise Sorge zu tragen, damit wir nicht umkommen aus dem Wege? Wie wichtig ist es, zu Jesu Füßen zu sitzen und auf Sein Wort zu achten; oder, wie Petrus sagt, begierig zu sein wie neugeborene Kindlein nach der unverfälschten Milch, um dadurch zu wachsen zur Errettung (1. Petr. 2, 2)! Das Ziel liegt nahe vor uns. „In noch drei Tagen“, hieß es zur Zeit Josuas — „ich komme bald!“ heißt es heute; aber es gilt, auszuharren und das Ziel im Auge zu behalten. Satan ist aus alle Weise bemüht, die Wahrheit zu verdrehen und durch überredende Worte die Gläubiger: irre zu führen. Je näher wir dem Ziele kommen, desto größer wird die Verwirrung, desto mannigfaltiger werden die Stimmen und Meinungen.
Nur das einfältige Festhalten an der Wahrheit, das beständige Trinken der vernünftigen, unverfälschten Milch kann uns vor jeder Gefahr bewahren. Hier liegen die Quellen unserer Kraft, das Geheimnis des Ausharrens im Kampf, selbst wenn der Weg schwer und rau werden sollte. Wenn wir alle unsere Hilfsquellen in Christo, dem lebendigen Wort, finden, wenn es unseres Herzens Bedürfnis ist, allezeit aus dem geschriebenen Wort zu schöpfen, so werden wir glückselig sein in unserem Tun. Unser Schritt wird fest, unser Auge klar, und wir sind treue Zeugen für Christum der Welt gegenüber. Wir entnehmen dann Segnung auf Segnung der reichen Schatzkammer, welche Gott uns in Christo und Seinem Wort aufgetan hat. Er selbst bereitet vor uns einen Tisch angesichts unserer Feinde und salbt unser Haupt mit Öl. Wo irgend wir das Wort aus- schlagen, finden wir Zehrung für unseren Weg, werden gestärkt und in den Stand gesetzt, auch andere zu erquicken. Zugleich wächst die Sehnsucht, Ihn zu schauen, den unsere Seele liebt, und wir wissen aus Erfahrung, - in welch inniger Verbindung diese Hoffnung mit unserem praktischen Leben steht.
Denken wir denn daran, teurer Leser, dass die Tage kurz und ernst sind! Paulus sagt: „Die Zeit ist gedrängt. . ., und die Gestalt dieser Welt vergeht“ (1. Kor. 7, 29. 31.) Der Herr hat uns hier gelassen, damit wir die fliehende Zeit auskaufen für Ihn, der uns um den Preis Seines eigenen Lebens erworben hat und nun mit sehnendem Verlangen der Stunde entgegenharrt, die uns mit Ihm vereinigen wird.
„Bereitet euch Zehrung, denn in noch drei Tagen werdet ihr über den Jordan ziehen!“
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Das Reich der Himmel
Bibelstelle: Matthäus 5 – 7
Botschafter des Heils 1909 S. 223ff
Nachdem der Herr über die missbräuchliche Anwendung von Gericht und Gnade geredet hat, weist Er auf die Notwendigkeit des Verkehrs mit Gott hin; und dies steht in besonderer Weise in Verbindung mit dem, was wir betrachtet haben. „Bittet, und es wird euch gegeben werden, suchet, und ihr werdet finden, klopfet an, und es wird euch aufgetan werden“ (V. 7). Wir begegnen hier verschiedenen Graden, einem wachsenden Maß des Ernstes beim Reden mit dem Herrn: „Denn jeder Bittende empfängt, und der Suchende findet, und dem Anklopfenden wird aufgetan werden“ (V. 8.) Danach gibt der Herr Seinen Jüngern einen Beweisgrund, um sie zu ernstem, anhaltendem Gebet zu ermuntern: „Welcher Mensch ist unter euch, der, wenn sein Sohn ihn um ein Brot bitten würde, ihm einen Stein geben wird? und wenn er um einen Fisch bitten würde, ihm eine Schlange geben wird? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisset, wieviel mehr wird euer Vater, der in den Himmeln ist, Gutes geben denen, die Ihn bitten“ (V. 9—11)! Es besteht ein interessanten Unterschied zwischen dieser Stelle und der entsprechenden in Luk. 11.
Dort heißt es nicht: „Gutes geben denen, die Ihn bitten“, sondern: „wieviel mehr wird der Vater, der vom Himmel ist, den Heiligen Geist geben denen, die Ihn bitten“. Der Heilige Geist war noch nicht gegeben; das heißt, Er wirkte wohl in der Welt, aber Er war noch nicht als Person mitgeteilt, weil Jesus noch nicht verherrlicht war. So redet die Schrift ausdrücklich. Bis zu der Zeit, da Er vom Himmel her ausgegossen wurde, war es deshalb ganz richtig, um die Gabe des Geistes zu bitten; und da die Heiden im Besonderen Personen waren, die sich hinsichtlich dieser Dinge in Unwissenheit befanden, so wird dies ausdrücklich im Evangelium Lukas erwähnt, welches besonders die Heiden im Auge hat. Niemand kann dieses Evangelium mit Aufmerksamkeit lesen, ohne die Überzeugung zu gewinnen, dass solche besonders in Betracht gezogen werden, die heidnischen Ursprungs sind. Es wurde von einem Gläubigen aus den Heiden an einen früheren Heiden geschrieben; und von Anfang bis zu Ende schildert es den Herrn als Sohn des Menschen —— ein Titel, der nicht eigentlich und sonderlich mit der jüdischen Nation, sondern vielmehr mit allen Menschen in Verbindung steht. Nun, das war das große Bedürfnis des Menschen: der Heilige Geist, welcher gegeben werden sollte; und Er ist die wahre Kraft des Gebets, wie geschrieben steht: „betend im Heiligen Geiste“. Lukas wurde geleitet, dies als das besondere Gute hinzustellen, welches die Betenden bedürfen würden, um dadurch wahre Kraft im Gebet zu empfangen.
Indem wir jetzt zu Matthaus zurückkehren, finden wir die ganze Stelle zusammengefasst in die Worte: „Alles nun, was immer ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, also tut auch ihr ihnen; denn dies ist das Gesetz und die Propheten“ (V. 12). Das heißt keineswegs: Geht mit den Menschen so um, wie sie gewohnt sind zu, handeln, sondern genau das Gegenteil. Es will mit anderen Worten sagen: „Ihr, die ihr den himmlischen Vater kennet, die ihr etwas von Seiner Gnade dem Bösen gegenüber kennen gelernt habt, ihr wisset, was sich in Seinen Augen geziemt; handelt stets danach! Handelt niemals nach dem, was andere gegen euch tun, sondern entsprechend dem, was ihr wollt, dass sie euch tun. Wenn ihr die geringste Liebe in euren Herzen habt, werdet ihr wünschen, dass sie als Kinder eures Vaters handeln möchten“. Was auch ein anderer tun mag, meine Sache ist, ihm gegenüber so zu handeln, wie ich wünsche, dass er gegen mich handeln möchte; nämlich in einer Weise, die sich für das Kind eines himmlischen Vaters geziemt. „Dies ist das Gesetz und die Propheten.“ Der Herr gibt denselben eine außerordentliche Ausdehnung, indem er das Wesen von allem, was gesegnet in ihnen ist, vorstellt.
Wir kommen jetzt zu Gefahren. Da sind nicht nur Brüder, welche die Seele auf die Probe stellen; nein, der Herr sagt jetzt: ,,Gehet ein durch die enge Pforte; denn weit ist die Pforte und breit der Weg, der zum Verderben führt, und viele sind, die durch dieselbe eingehen. Denn eng ist die Pforte und schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige find, die ihn finden. Hütet euch aber vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe“ (V. 18 —15). Zwischen diesen beiden Dingen besteht eine innere Verbindung. Ein Hauptzug oder Kennzeichen des „Falschen“ ist der Versuch, die Pforte weit und den Weg breit zu machen, oder die besondere Art zu leugnen, in welcher Gott Seelen zur Erkenntnis Seiner selbst beruft.
Es gibt in der religiösen Welt keine Einrichtung, die sich nicht hiermit beschäftigte. Da ist zum Beispiel das Absondern und Einteilen von solchen, die Gott angehören, in verschiedene Gruppen, als ob sie die Schafe eines Menschen wären; und man scheut sich nicht, das „unsere Kirche“ oder „die Herde von dem und dem“ zu nennen. Gottes Anrechte, Seine Forderungen, Seine Berufung einer Seele, um in Verantwortlichkeit Ihm gegenüber zu wandeln, werden durch eine solche Handlungsweise ganz beiseite gesetzt. Hören wir jemals selbst einen Apostel sagen: „meine Herde“? Es heißt immer: „die Herde Gottes“, weil dieser Ausdruck Verantwortlichkeit Gott gegenüber einführt. Wenn die Gläubigen Seine Herde sind, so muss ich Sorge tragen, dass ich sie nicht irreführe. Wenn ich mit einem Christen zu tun habe, so sollte es stets das Verlangen meines Herzens sein, seine Seele in unmittelbare Verbindung mit Gott selbst zu bringen, indem ich sage: Dies ist eines von Gottes Schafen. Welch eine Veränderung würde es in dem Ton und Verhalten mancher Pfarrer hervorrufen, wenn sie die Herde als die Herde Gottes betrachteten! Dem wahren, treuen Diener liegt es ob, die Schafe auf dem schmalen Pfade zu erhalten, auf welchem sie zur Herde Christi gekommen sind.
Doch es gibt auch eine christliche Welt, die auf dem breiten Wege wandelt, Menschen, welche denken, dass sie Gott angehören können durch ein äußeres Bekenntnis zu Christo und dadurch dass sie versuchen, die Gebote zu halten. Das Erweitern der Pforte und das Erbreitern des Weges hat stattgefunden in Verbindung mit dem, was der Herr sagt: „Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe«. Es mag wahre Lehrer geben, die von Gott gesandt sind; aber sie leiden mit den falschen, wenn sie mit der Welt vermengt sind. Indem alle (ob sie Gott angehören oder nicht) zu gemeinsamen Zwecken miteinander verbunden sind, werden die, welche wirklich ausrichtig sind, von den übrigen oft in Dinge hineingezogen, die sie als verkehrt erkennen. Das ist ernst; aber es gibt noch eine andere ernste Sache zu bedenken. Der Teufel würde nie imstande sein, einen seiner Pläne in der Christenheit zur Ausführung zu bringen, wenn er nicht gute Leute dazu veranlassen könnte, sich darin mit den bösen zu vereinigen. Der Unglaube hat beständig die Ausrede zur Hand: „Der und der gute Mann ist auch dabei“, oder: „Der Vortreffliche Herr Soundso tut das auch“.
Sollte aber die Meinung oder das Verhalten eines Christen der Prüfstein sein, nach welchem ich eine Sache beurteile? Wenn das der Fall ist, so gibt es nichts, wohinein ich nicht geraten könnte; denn welches Böse könnte es geben, das ein Mensch, und selbst ein Gläubiger, nicht schon getan hätte? Wir wissen, was David vor dem Herrn zu bekennen hatte. Nichts ist zu schlecht; und das ist der Weg, den der Teufel einschlägt, um andere ruhig im Bösen zu erhalten.
Die eine, allein wichtige Frage für den Christen ist: Was ist der Wille des Herrn? und da der einzige Maßstab für den Gläubiger: das geschriebene Wort Gottes ist, so wird alles zu einer Veranlassung, die Schrift zu erforschen, und dies ist unsere besondere Sicherheit in diesen letzten Tagen. Als Paulus Von den Ältesten in Ephesus Abschied nahm, war es Gott und das Wort Seiner Gnade, welchem er sie befahl. Mochten auch verderbliche Wölfe zu ihnen hereinkommen, die der Herde nicht schonen würden, und mochten aus ihnen selbst Männer aufstehen, die verkehrte Dinge redeten — das einzige Schutzmittel, die einzige Richtschnur für Glauben und Wandel der Heiligen, ist Gottes Heilige Schrift.
Die Messe ist gewiss eine Handlung, die unmittelbar gegen Gottes Wort verstößt; wenn nun aber die Gnade Gottes ungeachtet der erhobenen Hostie in Tätigkeit treten und durch den Heiligen Geist da wirken würde, wer wollte ihr Grenzen setzen? Aber ist das ein Grund für mich, in eine römisch-katholische Kirche zu gehen, oder zu der Jungfrau Maria zu beten? Gott kann in Seiner unumschränkten Gnade überallhin gehen; wenn ich aber als Christ zu wandeln begehre, wie muss ich das anfangen? Es gibt nur einen Maßstab für mich, und das ist der Wille Gottes; und diesen Willen kann ich nur aus den Schriften erfahren. Ich kann nicht urteilen nach einem gewissen Maße des Segens hier, noch nach einer offenbaren Schwachheit dort. Gott mag erlauben, dass einzelne Personen sehr schwach erscheinen, mit dem bestimmten Zweck, zu zeigen, dass die Kraft nicht in ihnen, sondern in Gott ist. Obwohl die Apostel solch mächtige Männer waren, ließ Gott doch oft zu, dass sie in den Augen anderer tatsächlich schwach erschienen. Das war es, was die Korinther auf den Gedanken brachte, dass Paulus kein Apostel sei, obwohl von allen Menschen gerade sie es hätten besser wissen sollen.
Alles dieses zeigt, dass ich weder nach dem Segen, den Gottes Gnade hervorbringen mag, noch nach der Schwachheit der Kinder Gottes urteilen kann. Was wir bedürfen, ist etwas, das ganz fehlerlos ist, und das ist das Wort Gottes.
Ich bedarf es zu meiner Richtschnur als Christ und für den gemeinsamen Wandel mit allen Heiligen. Wenn wir nach diesem Worte und nach nichts anderem wandeln, werden wir Gott aus unserer Seite finden. Man mag das vielleicht Unduldsamkeit nennen, aber das ist dann ein Teil der Schmach Christi. Der Glaube wird denen, die keinen haben, immer hochmütig erscheinen; aber am Tage des Herrn wird es sich zeigen, dass der Glaube allein Demut ist, und dass alles, was nicht Glaube ist, Stolz ist, oder doch nicht viel Besseres als das. Der Glaube gibt zu, dass der, welcher ihn besitzt, nichts ist, dass er weder Kraft noch Weisheit aus sich selbst hat; und er blickt auf Gott. Möchten wir stark im Glauben sein, indem wir Gott die Ehre geben!
Doch hören wir weiter: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen: Liest man etwa von Dornen eine Traube, oder von Disteln Feigen? Also bringt jeder gute Baum gute Früchte, aber der faule Baum bringt schlechte Früchte.“ Der Herr spricht hier nicht einfach davon, dass die Menschen an ihren Früchten erkannt werden, sondern Er redet von falschen Propheten (V. 15 — 20) „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ Wo die Gnade geleugnet wird, ist die Heiligkeit nicht echt oder im besten Falle gesetzlich. Wo irgend die Gnade wirklich festgehalten und gepredigt wird, wird man zwei Dinge finden: zunächst weit größere Sorgfalt in all den Dingen, die Gott betreffen, als da wo sie nicht in gleicher Weise gekannt ist; und zweitens größere Zartheit, Nachsicht und Geduld in alledem, was nur den Menschen angeht. Die Augen gegen die Sünde verschließen ist natürlich verkehrt; aber eine nicht schriftgemäße Strenge ist sehr weit entfernt von göttlicher Gerechtigkeit und kann zusammen gehen mit mancherlei Nachsicht gegen sich selbst. Es gibt Sünden, die Tadel erfordern; aber nur in den schwersten Fällen sollten die äußersten Maßnahmen getroffen werden. Es ist uns nicht überlassen, Gesetze bezüglich des Bösen für uns selbst zu machen; wir stehen unter Verantwortlichkeit, sowohl einer dem anderen als auch unserem Herrn gegenüber. Wir dürfen in dieser Hinsicht nicht uns selbst vertrauen, sondern müssen suchen, die Weisheit Gottes kennen zu lernen, und können uns nur auf die Vollkommenheit Seines Wortes verlassen; und dann ist es unsere Sache, das auszuführen, was wir in dem Worte finden. Mag die Hülfe kommen, woher sie will, wenn wir dadurch nur völliger dem Worte Gottes folgen können, so sollten wir außerordentlich dankbar dafür sein.
Ernst, sehr ernst sind die nun folgenden Worte. Die Augen des Herrn prüfen gleichsam das Feld des Bekenntnisses, wenn Er spricht: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! wird in das Reich der Himmel eingehen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der in den Himmeln ist. Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr! haben wir nicht durch deinen Namen geweissagt und durch deinen Namen Dämonen ausgetrieben und durch deinen Namen viele Wunderwerke getan? und dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch niemals gekannt; weichet von mir, ihr Übeltäter“ (V. 21 —- 23).
Der Herr zeigt die Zuverlässigkeit Seines Wortes für das gehorsame Herz in dem Bilde eines Mannes, der sein Haus aus einen Felsen baut; aber Er zeigt auch in einer Weise, wie nur Er es vermochte, das Ende eines jeden, welcher die Worte des Herrn hört und sie nicht tut. Doch hieraus möchte ich nicht noch einmal eingehen.
Der Herr gebe, dass unsere Herzen auf Ihn selbst gerichtet seien! Dann werden wir imstande sein, einander zu helfen, und uns selbst wird durch Seine Gnade geholfen werden. Wir werden, so schwach wir sein mögen, aufrecht gehalten werden. Und wenn wir durch Unwachsamkeit ausgeglitten sind, wird uns der Herr in Gnaden wieder auf die Füße stellen. Er gebe uns ein wachsames Herz und ein einfältiges Auge!
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Innerhalb des Vorhangs - außerhalb des Lagers
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 233ff
Dasselbe Kreuz, welches sich zwischen den Sünder und seine Sünden stellt und ihn mit Gott versöhnt, trennt ihn auch von der Welt und weist ihm in Christo den Platz. der Verwerfung und des Hasses seitens der Welt an. Weil mit Christo gekreuzigt, ist der Gläubige der Welt, und die Welt ist ihm gekreuzigt; weil mit Christo auferstanden, ist er mit Gott verbunden in der Kraft eines neuen Lebens, einer neuen Natur. Ein unzerreißbares Band verbindet ihn mit Christo und lässt ihn teilnehmen an Seiner Annahme bei Gott, und auch teilnehmen an Seiner Verwerfung vonseiten der Welt. Zu einem Anbeter Gottes und Himmelsbürger geworden, ist er hienieden ein Beisaß und Fremdling; oder mit anderen Worten: eingeführt „innerhalb des Vorhangs“, in die Gegenwart Gottes droben, ist er hienieden berufen, „außerhalb des Lagers“ zu Christo hinauszugehen, Seine Schmach tragend.
Der Anbeter im alten Bunde kam nie in das Allerheiligste, in die Gegenwart Gottes; der Hohepriester allein hatte dort Zutritt, und selbst er durfte nur einmal im Jahre, und auch dann nicht ohne Opferblut, nahen. Der Vorhang, hinter welchem die Strahlen der Herrlichkeit Gottes verborgen waren, versperrte ihm den Zugang. Draußen im Vorhof, wo der eherne Altar und das eherne Waschbecken standen, war der Platz, wo er mit Gott zusammentreffen musste; hier nur durfte er Ihm in der Kraft und Wirkung des Blutes der Versöhnung nahen. Erst als Jesus, der große und vollkommene Hohepriester, sich selbst ohne Flecken Gott durch den ewigen Geist geopfert hatte, war den Anforderungen des ehernen Altars volle Genüge geschehen; und Gott bezeugte Sein Befriedigtsein dadurch, dass Er den Vorhang im irdischen Heiligtum zerriss. Gekommen mit Seinem eigenen Blute, ging Jesus in das Heiligtum des Himmels ein, und wurde dort von Gott begrüßt als „Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks“.
Der „Urheber ewigen Heils“ für alle, die Ihm gehorchen, trat Er als ihr Vorläufer dort ein und thront nun droben in der wahrhaftigen Hütte, die der Herr errichtet hat und nicht der Mensch.
Hier nun, in dem vollen Licht des Angesichts Gottes, ist der Ort unserer Anbetung; hier treten wir ein, und das zu aller Zeit, kraft des kostbaren Blutes, das allezeit vor Gottes Auge ist und nie seinen Wert verliert, kraft eines Opfers, welches die Sünde hinweggetan und die Reinigung unserer Sünden vollbracht hat. Hier, „innerhalb des Vorhangs“, sind wir in der Kraft des Heiligen Geistes vor Gott mit Christo beschäftigt und bringen Gott die Anbetung dar, welche Er bei denen sucht, die Ihn in Christo Jesu erkannt haben. Von Sünde und Unreinigkeit befreit, dürfen wir immerdar als Priester dem Heiligtum nahen, dort anbeten und uns der vollen Offenbarung der Schönheit und Vollkommenheit Christi Jesu erfreuen. Wir dürfen ihn betrachten, der uns so Vollkommen liebt, dürfen Ihn schauen in dem ganzen Werte Seiner Fürsprache, dürfen uns mit Ihm beschäftigen als Dem, der nicht nur in der Vergangenheit alle Forderungen der göttlichen Gerechtigkeit befriedigt hat, sondern auch in der Gegenwart all unseren Bedürfnissen entspricht, dürfen uns von Ihm nähren, Ihn genießen, Sein Fleisch essen und Sein Blut trinken. Und wenn wir das tun, „frohlockt das Herz, singt jauchzend das Gemüte, und unsere Seele sättigt sich«. Wie groß und herrlich sind doch die Ergebnisse des Werkes Christi! Gott ist verherrlicht im Blick auf die Sünde, ein unmittelbarer Zugang zu Ihm ist uns geschenkt, unser Gewissen ist vollkommen gereinigt, eine ewige Erlösung zuwege gebracht, ewiges Leben und ewige Herrlichkeit sind unser Teil.
Nicht eher werden wir aufgefordert, „außerhalb des Lagers“ zu gehen, um die Tugenden Dessen zu verkündigen, der uns in Sein „wunderbares Licht“ berufen hat, als bis wir uns „innerhalb des Vorhangs“ befinden. Wir müssen unser Anrecht an eine Wohnung in Gottes Gegenwart verstehen, um, von dort ausgehend, die Welt erkennen lassen zu können, dass wir in ihr Fremdlinge sind. Das Bewusstsein, dass wir in dem vollen Frieden Gottes stehen, muss uns in den Kampf mit der Welt begleiten; denn der Kampf bleibt nicht aus. Dadurch aber, dass wir uns mit dem Herrn beschäftigen „innerhalb des Vorhangs“ und uns von Ihm nähren, werden wir willig gemacht, die Stellung auf der Erde einzunehmen, die Er einnahm, zu Ihm hinauszugehen „außerhalb des Lagers“, außerhalb der religiösen Verbindungen dieser Welt, Unsere Verbindung mit Christo trennt uns nicht allein von dem sittlich Bösen, sondern auch von jeder weltlichen Religion, von jeder Form, die an die Stelle der Anordnungen Gottes getreten ist, ja, selbst von den von Gott angeordneten Dingen, wenn der Mensch diese von Christo losgelöst hat und sie, von ihrer Quelle getrennt, als Mittel benutzt, um Gott zu nahen.
Schon in den ersten, apostolischen Zeiten wurden die Seelen der Christen durch den schönen Schein einer irdischen und menschlichen Religion verführt, welche in ihre Mitte einzudringen suchte und sie zur Verbindung mit einer Welt verleitete, die Jesum gekreuzigt hat. Ja, es dauerte gar nicht lange, bis Satan seinen Thron inmitten der Kirche aufrichtete, so dass der Herr der Gemeinde in Pergamus zurufen musste: „Bei euch, wo der Satan wohnt“ (Offbg. 2, 13).
Aus all der Verwirrung nun, die in der Christenheit herrscht, aus allem, was irgendwie »Lager« genannt werden kann, sollen wir hinausgehen zu Christo hin, Seine Schmach tragend. Er steht außerhalb all dieser Dinge. Ein Trost bleibt uns, auch wenn die Verwirrung noch größer werden sollte, und dieser liegt in dem Worte: „Der Herr kennt, die Sein sind“. (2.Tim. 2, 19.) Wir können und sollen nicht Hand anlegen, um zu bessern, auch nicht versuchen, das Böse auszurotten; für uns gilt es, uns zu reinigen von den Gefäßen zur Unehre, uns abzusondern zu Jesu hin und zwar mit allen denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen. Unsere Berufung ist, als Zeugen des Herrn „außerhalb des Lagers“ in der Welt dazustehen.
Man meint, dieses Zeugnis bestehe vornehmlich oder gar ausschließlich in der Trennung von diesem oder jenem, beziehungsweise in dem Einnehmen einer bestimmten Stellung den verschiedenen Bekenntnissen und Parteien gegenüber, während doch ein steter, lebendiger Gehorsam gegen Gottes Wort, eine wirkliche Gemeinschaft und ein heiliger Wandel mit Ihm in der Kraft und Energie des Heiligen Geistes mit jedem wahren Zeugnis verbunden sein müssen. Das 7. Kapitel im Buche der Richter, welches den Sieg Gideons und seiner dreihundert Männer über die Midianiter beschreibt, belehrt uns, worin ein wirkliches und wirkungsvolles Zeugnis besteht. Gideon gibt seinen Kämpfern drei Dinge in die Hand: Posaunen, leere Krüge und Fackeln in die Kruge. (V. 16.)
Wenn wir diese drei Gegenstände in bildlichem Sinne als die Elemente des Zeugnisses Gottes in dem Kampf mit Satan und der Welt betrachten wollen, so entdecken wir in den „Posaunen“ das Wort Gottes im Zeugnis, in den „leeren Krügen“ uns selbst, während „die Fackeln“ auf das Leben Jesu, auf das Licht Christi in uns, hinweisen. Die beiden ersten Teile dienen nur dazu, dieses Licht inmitten der Finsternis in die Erscheinung treten zu lassen.
Diese drei Elemente des Zeugnisses Gottes sollten sich in uns vereinigt finden. Wir kennen den Zweck der Posaune; sie rief das israelitische Volk zu den feierlichen Festen zusammen, bestimmte und regelte den Aufbruch der Lager und brachte das Volk ins Gedächtnis vor Gott. Wenn nun Kinder Gottes sich „außerhalb des Lagers“ in Gehorsam gegen Gottes Wort und auf dem Boden der Einheit im Namen des Herrn Jesu versammeln, wie es das Wort vorschreibt, so haben sie diesen Teil des Zeugnisses erfüllt.
Sie haben gewissermaßen in die Posaune gestoßen und durch ihre Darstellung des Volkes Gottes nach Gottes Gedanken der Welt Zeugnis davon gegeben, dass das Wort Gottes, und nur das Wort, ihnen in allen Dingen als Regel und Richtschnur gilt. Wenn sie aber dabei stehen bleiben würden, ohne sich auch das zweite Element des Zeugnisses Gottes zu eigen zu machen, so würden sie ihrer Berufung nicht entsprechen. Gott verherrlicht sich nur durch zerbrochene Werkzeuge, und als Seine Zeugen in dieser Welt müssen wir vor Ihm stehen gleich leeren Krügen, die nur tauglich sind, zerbrochen zu werden. Wenn Paulus von seinem Zeugnis in der Welt spricht, dass es seine Ausgabe sei, „die Wahrheit zu offenbaren“, „den Lichtglanz des Evangeliums der Herrlichkeit des Christus vor den Menschen aus-strahlen zu lassen“, so fügt er die Worte hinzu: „Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, auf dass die Überschwänglichkeit der Kraft sei Gottes und nicht aus uns" (2. Kor. 4, 7).
Ja, Gott kann unsere Gefäße nicht füllen, wenn sie zum Teil mit aus natürlichen Quellen Geschöpftem angefüllt sind. Was wir so sehr bedürfen, ist ein gänzliches Aufgeben unseres Ichs, damit dem Heiligen Geiste Raum gelassen werde, uns zu füllen und durch uns zu handeln. Nur leere Krüge konnten die Fackeln Gideons, und nur von sich selbst entleerte Herzen können das Licht Christi in sich aufnehmen und von sich ausstrahlen lassen zum Zeugnis.
So lasst uns denn nicht damit zufrieden sein, in die Posaune zu stoßen, der Welt zu verkünden, dass wir dem Worte Gottes betreffs unseres „Ausgehens aus dem Lager“ und der Art unseres Gottesdienstes Ehre und Gehorsam leisten, sondern lasst uns auch in Demut als leere Gefäße dastehen, als Gefäße, welche genügend zerbrochen sind, um die Fackeln, das von oben in uns gelegte helle Licht, weithin leuchten zu lassen und Christum in einer so lebendigen Weise darzustellen, dass „das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar wird“! (2· Kor. 4, 10).
Ich möchte noch einmal wiederholen, dass wir nur als wahre Anbeter „innerhalb des Vorhangs“ befähigt sind, lebendige Zeugen der Wahrheit „außerhalb des Lagers“ zu sein, und dass nur das Bewusstsein unseres himmlischen Bürgerrechts uns bereitwillig macht, hienieden als Fremdlinge und Pilgrime zu wandeln.
Einfluss auf die Kinder dieser Welt können wir nur dann ausüben, wenn wir uns in der Kraft der Gnade von ihr getrennt halten. Die Welt von der Sünde überführen zu wollen, während man des eigenen Nutzens oder Wohlgefallens halben mit ihr verbunden bleibt, ist ein törichtes Beginnen. Dabei möchte es uns wie dem Lot ergehen, der in den Augen seiner Eidame war wie einer, der Scherz treibt.
Je mehr wir Christum anschauen „innerhalb des Vorhangs“, desto mehr wird alles, was in der Welt ist, seinen Reiz für uns verlieren, und desto treuer werden wir den Geist und den Charakter himmlischer Fremdlinge offenbaren. Die Verwerfung unseres Herrn von Seiten der Welt muss stets unsere Stellung bestimmen und unsern Wandel kennzeichnen. Aber müssen wir nicht zu unserer Beschämung bekennen, dass wir oft einen geweckten Sinn für irdische Interessen haben und uns gern hier unten wohnlich einrichten? Kommt es nicht selbst vor, dass wir uns bei einem gewissen Gefühl der Vereinsamung ertappen, welches gerade durch die Trennung von der Welt hervorgerufen ist? Abraham hatte nicht das Gefühl der Fremdlingschaft, weil er Mesopotamien, das Land seiner Verwandtschaft, verlassen hatte, sondern weil er ein anderes Vaterland suchte.
Möchten wir denn viel „innerhalb des Vorhangs“ weilen und dort anbetend schauen die reichen Segnungen der Liebe unseres Gottes und Vaters; möchten wir treu im Glauben hienieden wandeln, »außerhalb des Lagers“, indem wir festhalten an der herrlichen Hoffnung, welche der Heilige Geist uns immer wieder vorstellt als „einen sicheren und festen Anker der Seele, der in das Innere des Vorhangs hineingeht“! Dann werden wir wahre Himmelsbürger, wahre Anbeter droben sein und wahre Zeugen, wahre Fremdlinge hienieden. Innerhalb des Vorhangs — außerhalb des Lagers.
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Das Evangelium der Herrlichkeit
Bibelstelle: 2. Korinther 3 -5
Botschafter des Heils 1909 S. 241ff
V.
„Die Liebe des Christus drängt uns, indem wir also geurteilt haben, dass einer für alle gestorben und somit alle gestorben sind" (2. Korinther 5,14). Der Apostel Paulus war ein wunderbarer Mensch. Er war in der Tat einer von denen, die Christum anschauen und in dasselbe Bild verwandelt werden von Herrlichkeit zu Herrlichkeit. Er kann hier davon reden, dass die Liebe des Christus ihn dränge. Im Brief an die Philipper kann er sagen: „Gott ist mein Zeuge, wie ich mich nach euch allen sehne mit dem Herzen Christi Jesu". Das Herz Christi Jesu, die Liebe des Christus - war es nicht gerade so, als ob Christus selbst in dem Apostel den Menschen gegenübergestanden hätte? Ja, und so soll es sein nach Gottes Gedanken: der Christ, eine Darstellung seines geliebten Herrn in dieser Welt.
Wir haben die Verse 14 und 15 unseres Kapitels schon bei unserem letzten Beisammensein betrachtet und gesehen, dass der Tod Christi der unwiderlegliche Beweis dafür ist, dass alle Menschen im Tode liegen, geistlich tot sind; denn wäre das nicht so, dann würde der Tod Christi nicht notwendig gewesen sein. Ich möchte nicht noch einmal darauf zurückkommen, sondern nur noch einen Augenblick bei dem Worte verweilen: „Er ist für alle gestorben". Wir lesen das in etwas anderer Form in Kapitel 2 des 1.Timotheusbriefes. Dort heißt es: „Denn Gott ist einer, und einer Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gab als Lösegeld für alle" (V. 5. 6). Christus ist für alle gestorben.
Darum ist kein Mensch von den Segnungen des Evangeliums ausgeschlossen; keiner kann sagen: Ich darf nicht kommen, mein Weg war zu böse, mein Herz ist zu hart, oder was für Einwendungen er sonst machen möchte. Christus ist für alle gestorben. Als ein Lösegeld für alle hat Er Sich Selbst gegeben. Der Mensch Christus Jesus ist Mittler zwischen Gott und Menschen geworden; nicht zwischen Gott und einer bestimmten Nation oder Klasse von Menschen, nein, ganz allgemein zwischen Gott und Menschen. Darum geht das Evangelium hinaus zu allen Völkern, es tritt an jedes Menschenkind heran. Darum darf der Evangelist allen zurufen: Jesus starb für euch! Kommt, lasst euch versöhnen mit Gott!
Der Mittler Jesus Christus ist gekommen und hat den Grund gelegt, auf dem wir Gott nahen und Vergebung und Heil empfangen können. Ein Lösegeld, groß genug, um alle Sünden zu tilgen, ist bezahlt worden; wer deshalb im Glauben zu diesem Jesus seine Zuflucht nimmt, empfängt Vergebung und Frieden. Für alle ist Jesus gekommen, für alle ist Er gestorben. Wir vernahmen zwar schon aus der Folgerung des Apostels: „auf dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist und ist auferweckt worden", dass nicht alle von dem Lösegeld Gebrauch machen, das für sie bereit liegt. Tausende und Millionen gehen achtlos an dem Heil Gottes vorüber und sterben dahin, ohne je zu Jesu gekommen zu sein. Für sie ist das Lösegeld umsonst bezahlt, Ihr Ende ist die Verdammnis. Sie machen, wie die Schriftgelehrten und Pharisäer in Israel, den Ratschluss der Gnade Gottes im Blick auf sich selbst wirkungslos. Eine große, unzählige Schar wird dereinst den Thron des Lammes umgeben; aber auch eine große, unzählige Schar wird ihren Platz finden in dem Feuersee, der mit Feuer und Schwefel brennt.
Viele möchten heute allerdings die Menschen glauben machen, dass im Jenseits noch Hoffnung für sie sei; man will aus verschiedenen Stellen der Schrift herauslesen, dass alle Menschen einmal noch errettet werden sollen. Aber es ist eine Lüge Satans, eine Erfindung von Menschen, die Satan benutzt, um die Gewissen einzuschläfern. Nein, meine lieben Freunde, hier ist die Zeit der Gnade, hier ist die Stätte, wo das ewige Los des Menschen sich entscheidet. Schon im nächsten Kapitel lesen wir: „Siehe, jetzt ist die wohlangenehme Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils". Sobald dieser Tag vorüber ist, gibt es kein Heil und keine Gnade mehr. Überdies, wenn alle Menschen errettet werden sollten, dann müssten auch die Sünden aller Menschen getragen und getilgt worden sein. Aber es findet sich nicht eine einzige Stelle in der ganzen Bibel, welche aussagt, dass die Sünden aller Menschen getragen sind.
Wenn in dieser Beziehung von den Sünden die Rede ist, so heißt es immer: für viele, oder für die Sünden vieler (Vergl. z. B. Mt. 26,28; Hebräer 9,28). Selbst in der bekannten Stelle in Markus 10, wo der Herr Jesus sagt, dass der Sohn des Menschen gekommen sei, nicht um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen, fügt Er hinzu: „und sein Leben zu geben als Lösegeld für v i e l e ". Es ist sehr beachtenswert, dass hier im griechischen Text ein anderes Wort steht, als in der eben angeführten Stelle aus 1. Timotheus 2,6, ein Wort, das mehr den Gedanken einer Stellvertretung in sich schließt. Es will nicht nur sagen, dass das Lösegeld für die Vielen da ist, d. h. ihnen zugänglich ist, sondern dass es wirklich für sie, an ihrer Stelle, gleichsam für ihre Rechnung, bezahlt worden ist. Ein anderer hat das, was sie schuldig waren, auf sich genommen und entrichtet.
Eine weitere Stelle, die oft angeführt wird, um die Meinung zu stützen, dass die Sünden aller Menschen getragen seien, ist 1. Johannes 2,2. Dort heißt es: „Er (Christus) ist die Sühnung für unsere Sünden (die Sünden der Gläubigen), nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die ganze Welt". Beachten wir wohl die Worte: „für die ganze Welt"; es heißt nicht etwa: „für die der ganzen Welt". Das ist ein gewichtiger Unterschied. Christus ist eine Sühnung für die ganze Welt: Jude und Grieche, Heide und Namenchrist, wer da will, darf kommen und von dieser Sühnung Gebrauch machen; aber nur wer kommt, wird leben. Nur für ihn tritt die Sühnung in Kraft. Nur wer hört und glaubt, kommt nicht ins Gericht; und heute, jetzt ist die wohlangenehme Zeit, der Tag des Heils.
Noch eine Stelle lasst mich anführen und dann weitergehen. In Johannes 1,29, wo Johannes auf Jesum als das Lamm Gottes hinweist, sagt er: „Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünde (nicht die Sünden) der Welt wegnimmt". Das Lamm Gottes ist gekommen, um die Sünde, die zwischen Gott und der Welt stand, wegzunehmen, um den heiligen, gerechten Gott in den Stand zu setzen, den Sünder zu segnen.
Das ist eine kostbare Wahrheit. Christus ist gekommen, um die Frage der Sünde zu ordnen, um Gott im Blick auf die Sünde zu verherrlichen; und Er hat das so vollkommen getan, dass selbst diese Schöpfung einmal die Folgen des Erlösungswerkes genießen wird. „Es war das Wohlgefallen der ganzen Tülle (der Gottheit), in ihm zu wohnen und durch ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen" (Kolosser 1,19. 20). „Er ist einmal in der Vollendung der Zeitalter geoffenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch sein Opfer" (Hebräer 9,26). So lasst uns denn den Unterschied wohl beachten! Das Sühnungswerk ist geschehen und für alle da, Christus ist für alle gestorben; aber nicht aller Sünden sind getragen, nicht alle werden gerettet werden. Nur wer die Zeit der Gnade benutzt und an das kostbare Blut glaubt, nur wer jetzt, so lange er lebt, von dem Lösegeld Gebrauch macht, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht.
In Verbindung mit der Wahrheit, dass Christus gestorben und wieder auferstanden ist, sagt dann der Apostel weiter: „Daher kennen wir von nun an niemand nach dem Fleische; wenn wir aber auch Christuni nach dem Fleische gekannt haben, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr also" (V. 16). Christus wandelte einst als Mensch auf dieser Erde. Nachdem Er Fleisch und Blut angenommen hatte, war Er ein Mensch unter den Menschen, so dass man mit Ihm reden, Ihn betasten, mit Ihm essen und trinken konnte. So hatten die Apostel Christum einmal gekannt; so ist Er auf dieser Erde gewesen. So aber kennen wir Ihn jetzt nicht mehr. Wie denn? Paulus hatte Ihn auf dem Wege nach Damaskus als den verherrlichten Menschensohn gesehen, als Den, Der zur Rechten der Majestät in der Höhe mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt ist, als Den, Der gestorben und wieder auferstanden und dann in den Himmel zurückgekehrt ist und nun in der himmlischen Herrlichkeit thront.
Jesus war in die Mitte Seines Volkes Israel getreten. Er war der Messias, der Sohn Davids, der König Israels, mit all den Rechten, die mit diesen Titeln verbunden waren. Aber als Er in Sein Eigentum kam, nahmen die Seinen Ihn nicht auf; sie verwarfen Ihn und gaben Ihm einen Platz am Fluchholz. Und was tat Er? Er unterwarf Sich, gab alle Seine Rechte an diese Erde, alle Seine Rechte als Messias, als König Israels, für jene Zeit auf und - starb. Er, von dem die Propheten der, Alten Testaments geredet hatten, Der Tote lebendig machen konnte, Der über die Fische des Meeres gebot, Der Tausende speiste mit wenigen Broten, Er verzichtete auf alle Seine Rechte als Herr, als König, als Messias und starb zwischen zwei Übeltätern am Kreuz. Er brach jede Verbindung mit der Erde und Seinem irdischen Volke ab. Seitdem hat die Welt Ihn nicht mehr gesehen. Auch wir kennen Ihn so nicht mehr, sondern erblicken Ihn in einer ganz neuen Stellung zur Rechten des Vaters.
Wird Er denn nicht einmal wiederkehren, um Seine Rechte an diese Erde geltend zu machen? Ganz gewiss. Gott wird Seinen Erstgeborenen wieder in den Erdkreis einführen, und dann wird alles Seinen Füßen unterworfen sein, dann wird Er als Herr und König über alles herrschen. Aber in der Zwischenzeit, von Seiner Verwerfung und Kreuzigung bis zu Seiner Wiederkehr, um als König zu herrschen, um Gericht zu halten über Seine Feinde, liegt die Zeit der Gnade, der Tag des Heils - die Zeit, in der Gott die Ratschlüsse zur Ausführung bringt, die Er vor Grundlegung der Welt gefasst hat im Blick auf Seinen Sohn und das Weib, das Er Ihm geben wollte, liegt die Zeit, wo Gott ein himmlisches Volk sammelt in Verbindung mit Christo, dem Erstgeborenen vieler Brüder. Viele Gläubige beachten oder verstehen diese Wahrheit nicht; darum hört man heute so viel reden von den Rechten des Königs Jesus, man will Sein Reich bauen, Ihm zur Herrschaft in dieser Welt verhelfen usw. Alles das mag sehr gut gemeint sein, aber wer so redet, vergisst ganz die Gedanken Gottes über Seinen Christus. „Wir kennen von nun an niemand nach dem Fleische", sagt Paulus.
Wir kennen nur einen Christus droben, einen zur Rechten Gottes verherrlichten Menschen, den auferstandenen und verherrlichten Menschensohn, der als Haupt der neuen Schöpfung in der Herrlichkeit thront. „Wenn wir aber auch Christum nach dem Fleische gekannt haben, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr also".
Wie schon gesagt, werden sicherlich einmal alle Verheißungen, die Gott hinsichtlich der Unterwerfung dieser Welt und ihrer Bewohner unter Seinen Sohn gegeben hat, zu ihrer Erfüllung kommen, aber es ist jetzt nicht die Zeit dazu; Gott führt heute etwas ganz anderes aus. Die Erfüllung jener Verheißungen ist für eine Zeit aufgeschoben, und die Bildung der Kirche, der Versammlung Gottes, ist eingeführt worden. Der Heilige Geist ist herniedergekommen, um aus den Völkern der Erde eine Braut für den Sohn zu sammeln, die mit Ihm in der Herrlichkeit vereinigt werden soll, ehe das Gericht diese Erde trifft. „Wenn deine Gerichte die Erde treffen,- so lernen Gerechtigkeit die Bewohner des Erdkreises", sagt Jesaja (Kap. 26,9). Aber ehe das geschieht, wird die Braut heimgeholt werden und zur Rechten des Bräutigams droben ihren Platz finden. Wenn Er dann Seine Herrschaft antritt, wird sie mit Ihm kommen und alles mit Ihm teilen, gerade so wie heute - daher das kostbare Bild - eine Braut, sobald sie Weib wird, mit ihrem Manne alles teilt, was sein ist.
„Wir kennen von nun an niemand nach dem Fleische". Da ist eine neue Schöpfung, in welcher das Alte vergangen und alles neu geworden ist. Wir kennen von nun an nur Christum, den Auferstandenen und zur Rechten Gottes Verherrlichten, und die, welche mit Ihm durch Tod und Auferstehung hindurchgegangen sind, die mit Ihm auf einem ganz neuen Boden stehen, dem Boden der Auferstehung, als das himmlische Volk Gottes, als die Ihm vom Vater Gegebenen. „Daher, wenn jemand in Christo ist, da ist eine neue Schöpfung" (V. 17). Möchtet ihr alle, meine lieben Freunde, diese kostbare Wahrheit in eure Herzen aufnehmen! Bittet Gott, die Augen eurer Herzen zu erleuchten, um Seine Gedanken zu verstehen, die Gedanken und Ratschlüsse Seines Herzens vor Grundlegung der Welt über Christum und Seine Versammlung!
Ein auferstandener Mensch sitzt also verherrlicht zur Rechten Gottes. Freilich, es ist der Sohn Gottes, aber dieser Sohn Gottes ist der Mensch Christus Jesus, und Er ist nicht mehr allein; nein, das Weizenkorn ist in die Erde gefallen und gestorben und hat so viel Frucht gebracht. „Ich u n d die Kinder, die Gott mir gegeben hat", sagt Jesus. „Der, welcher heiligt, und die, welche geheiligt werden, sind alle von einem" (Hebräer 2,11-13). „Viele Söhne", durch Ihn zur Herrlichkeit gebracht, werden bald dort mit Ihm vereint stehen vor dem Angesicht Gottes. Unzählige Scharen sind schon durch den Heiligen Geist für Ihn geworben worden und in Jesu entschlafen. Millionen und abermals Millionen leben heute auf der Erde und warten auf den seligen Augenblick, der die Braut dem Sohne entgegenführen wird. Dann wird der Heilige Geist diese Erde wieder verlassen. Er ist nicht gekommen, um für Christum jetzt ein Reich auf dieser Erde zu errichten. Das Reich wird später errichtet werden. Er ist gekommen, um eine Braut für den Sohn, geliebte Kinder für das Vaterhaus zu sammeln. Ist dieses Werk vollbracht, ist das letzte Glied dem Leibe eingefügt, dann wird der Heilige Geist, „welcher das Unterpfand unseres Erbes ist", die Braut dem Sohne Gottes entgegenführen.
Jesus Selbst wird sie dann ins Vaterhaus geleiten, damit sie mit Ihm regiere, herrsche und richte, ja, alles mit Ihm besitze, was Er Selbst besitzt - wie Er einst gesagt hat, ehe Er aus dieser Welt ging: „Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben", und: „Vater, ich will, dass die, welche du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, auf dass sie meine Herrlichkeit schauen" (Johannes 17,22. 24). Seine göttliche, persönliche Herrlichkeit können wir natürlich nicht besitzen, wir sollen sie schauen; aber die Herrlichkeit, die Er als Menschensohn erworben hat, die hat Er uns gegeben, und Er will, dass wir da seien, wo Er ist! O, was wird es sein, teure Freunde, wenn dieser Ratschluss Gottes, dieser Herzenswunsch unseres geliebten Herrn in Erfüllung gehen wird! Wenn der Heilige Geist, der Bote Gottes, Seinen Dienst auf dieser Erde vollendet hat und Er dann die Braut dem Herrn entgegenführt in die Luft! Das wird eine Begegnung sein! Das Herz jauchzt bei dem Gedanken daran. Über alle Beschreibung herrlich wird die Anerkennung Christi auf dieser Erde sein, der Antritt Seiner Herrschaft über alles, was im Himmel und auf Erden ist. Wir werden es mit Ihm erleben, mit Ihm alles teilen. Aber das Seligste und Herrlichste, das die Gläubigen erwarten, ist, den Morgenstern zu schauen, Jesum zu sehen, wie Er ist.
„Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der glänzende Morgenstern. Und der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, spreche: Komm! Und wen da dürstet, der komme, wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst... . Der diese Dinge bezeugt, spricht: Ja, ich komme bald. - Amen; komm, Herr Jesu" (Offenbarung 22,16. 17. 20).
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Deine Sprache macht dich offenbar
Bibelstelle: Matthäus 26,73
Botschafter des Heils 1909 S. 251ff
Unbewußterweise hatte Petrus durch seine Sprache verraten, dass er ein Nachfolger des gesegneten, aber so verachteten Herrn, des Jesus von Nazareth, war. Wie oft lesen wir diese Worte, ohne ihnen weitere Aufmerksamkeit zu schenken, ohne sie tiefer zu unseren Seelen reden zu lassen! Und doch sind sie dazu angetan, unser ernstes Nachsinnen wachzurufen.
Wenn ich mich frage: Macht wohl auch meine Sprache mich immer als Seinen Jünger offenbar? So muss ich betrübt antworten: Wenn auch manchmal, ach! viel öfter noch ist es nicht der Fall. Tief gedemütigt muss ich meinem geliebter! Herrn bekennen, dass ich Ihn oft selbst durch mein Stillschweigen verleugnet habe.
O mein lieber Leser, denke mit mir über diese einfachen Worte nach! Geben wir acht, dass wir uns nicht, wie Petrus, an den Feuern dieser Welt in ihrer Gesellschaft wärmen, sondern mischte in unserem täglichen und notwendigen Verkehr mit der Welt selbst unsere Sprache es offenbar machen, dass, gleichwie Er, so auch wir nicht von ihr find! Muss es uns nicht zu Herzen gehen, wenn wir daran denken, wie oft wohl schon unser treuer Herr uns, wie einst den Petrus, traurig angeblickt haben mag, wenn wir, vielleicht nur durch eine kleine Handlung oder ein Wort, eine leicht hingeworfene Bemerkung, oder selbst durch unser Stillschweigen, Ihn verleugneten, oder wenn wir doch die Gelegenheit versäumten, für Ihn zu sprechen, für Ihn zu zeugen, oder zu bekennen, dass Er in allen Dingen unser Führer, unser Licht, unsere Kraft und unsere Zuflucht sei?
Es ist so leicht, mit dem Strom zu schwimmen und über das Wetter und die Jahreszeit, über Politik und Geschäfte und über tausenderlei anderes zu sprechen, was an und für sich nichts Böses ist; allein lasst uns stets des Wortes des Apostels eingedenk sein: „Euer Wort sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt“.
Möchten alle unsere Reden ein wenig Salz haben! Wie würden wir damit unseren Herrn erfreuen, der jede Missachtung, jede stillschweigende Verleugnung gar wohl fühlt und darüber betrübt ist, während diejenigen, die Ihn ehren, und deren Wunsch es ist, Ihn in allem zu verherrlichen, solch liebevolle, ermunternde Verheißungen haben.
Es ist eine Freude und ein großer Segen für alle, die den Herrn fürchten, sich oft miteinander von Ihm zu unterhalten, von Seiner Liebe, Seiner Gnade und Freundlichkeit und von dem, was Er für sie getan hat und für sie ist. Aber lasst uns doch andererseits auch oft von Ihm zu denen sprechen, die Ihn noch nicht fürchten, die noch in Unkenntnis sind betreffs Seiner herrlichen Person, und deren Herz und Sinn noch in Ketten Satans und der Finsternis gefangen liegen, auf dass auch sie verlangen mögen, mit Ihm bekannt zu werden, den zu erkennen das ewige Leben ist!
Der Psalmist bittet: „Lass die Reden meines Mundes und das Sinnen meines Herzens wohlgefällig sein vor dir, Jehova, mein Fels und mein Erlöser!“ (Ps. 19, 14).
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Der Brief an Judas
Bibelstelle: Judas
Botschafter des Heils in Christo 1909, S. 253ff
Von H. R.
Der Brief des Judas umfasst, obwohl er sehr kurz ist, einen weiten geschichtlichen Zeitraum: er stellt uns den Abfall vom Christentum vor, von der Zeit an, wo die Anfänge des Bösen sich in den Tagen der Apostel unter die Christen eingeschlichen hatten, bis zu dem Augenblick, an dem das endgültige Gericht über die Christenheit hereinbrechen wird. Dieser Brief zeigt uns, wie die Kirche, weil sie die Wahrheiten, die Gott ihr anvertraut hatte, aufgab, vorangeschritten ist in der Gottlosigkeit, deren Höhepunkt die Verwerfung des Vaters und des Sohnes sein wird. Dann wird moralische Finsternis an die Stelle des Lichtes des Evangeliums treten, das heute noch in der Welt leuchtet; aber wir sehen heute schon alle Elemente, die diesen Abfall kennzeichnen, in Tätigkeit, und der Brief des Judas belehrt uns über die Haltung, die jeder Christ in unseren Tagen gegenüber dem Bösen einnehmen soll, und über die Art und Weise, in der er in dieser traurigen Umgebung Gott verherrlichen kann. Lasst uns nicht vergessen, dass der Christ in einer Zeit des Verfalls Gott ebenso völlig verherrlichen kann wie in den glücklichsten ersten Tagen der Kirche. Die Umstände haben sich allerdings geändert, aber Gott kann von den Seinen geehrt werden, in anderer Weise vielleicht, aber ebenso wirklich wie damals, als der Geist am Pfingsttag auf die Jünger gefallen war.
Gott fordert heute nicht von uns, dass wir den durch unsere Schuld in Verfall geratenen Zustand wiederherstellen; wir sollen uns auch in der Christenheit nicht verhalten, als wenn alles in Ordnung wäre, indem wir über ihren Niedergang die Augen schließen; Er zeigt uns vielmehr inmitten der Trümmer einen Pfad, den Er gutheißt, den das Auge des Adlers nie hätte erspähen können, den Gott aber kennt, und den der Glaube zu unterscheiden lernt.
Beachten wir zunächst die ganz allgemeine Art, in der Judas die Christen kennzeichnet, an die er schreibt: "Judas, Knecht Jesu Christi und Bruder des Jakobus, den in Gott, dem Vater, geliebten und in Jesu Christo bewahrten Berufenen" (V. 1). Die anderen Briefe reden die Gläubigen mit ganz anderen Worten an; allerdings werden sie zweimal "berufene Heilige" genannt, d. h. Heilige durch Berufung, aber nie kurzweg "Berufene". Wenn Gott eine Seele für Sich erwerben will, so beginnt Er damit, sie zu berufen.
So machte Er es mit Abraham, dem Vater der Gläubigen; und man kann den Kindern Gottes keine allgemeinere und alle mehr umfassende Bezeichnung geben, denn alle ohne irgendeine Ausnahme sind Berufene.
Liegt dem nicht augenscheinlich eine Absicht zugrunde? Der Brief des Judas redet von der gegenwärtigen Zeit und wendet sich an alle Kinder Gottes, ohne irgendjemand auszuschließen, ohne Unterschied des Wandels und der Erkenntnis, ohne dem Rechnung zu tragen, was sie vielleicht voneinander trennt. Alle sind demnach verantwortlich, zu hören und sich nach dem Gehörten zu richten; daher dieser umfassende und zugleich so persönliche Ausdruck "Berufene". Wenn ein Apostel an eine örtliche Versammlung schrieb, so hätte vielleicht der eine oder andere Christ, der nicht zu ihr gehörte, sich nicht durch den ganzen Inhalt dieses Briefes angesprochen fühlen können, wenn er dadurch auch einen großen Mangel an Verständnis an den Tag gelegt hätte; bei Judas aber würde ein derartiger Gedanke unentschuldbar sein. Jedes Glied der Familie Gottes in dieser Welt muss sich sagen: Der Herr wendet sich hier ganz persönlich an mich. Es ist beachtenswert, dass zwei Dinge diesen "Berufenen" eine völlige Gewissheit geben bezüglich ihrer Beziehungen zu Gott. Sie sind "in Gott, dem Vater, Geliebte und in Christo Jesu Bewahrte".
Niemals sollte es in der großen Familie Gottes eine einzige Seele geben, die an ihren Beziehungen zu dem Vater zweifelt und die nicht die Gewissheit ihrer Errettung besitzt. Möchten die Zweifelnden über jene Worte nachdenken! Die Liebe des Vaters zu uns ist ebenso vollkommen wie Seine Liebe zu Christus, Seinem Geliebten; daher sagt Judas: "in Gott, dem Vater, Geliebte".
Unsere Sicherheit ist ebenso vollkommen wie diejenige Jesu Christi; deshalb heißt es: "in Jesu Christo Bewahrte". Wenn die Errettung der Berufenen von ihrer Treue abhinge, so würde keiner von ihnen das Ziel seines Weges erreichen. Wir können uns ebenso wenig bewahren wie erretten. Unsere ewige Sicherheit beruht nicht darauf, dass wir treu sind (obwohl wir sicher treu sein sollten), sondern darauf, dass der Gott der Liebe uns in Christo vor Sich sieht.
Der Gruß des Apostels ist sehr bedeutsam: „Barmherzigkeit und Friede und Liebe sei euch vermehrt!" (V. 2) Auch in den Briefen an Timotheus bildet das Wort "Barmherzigkeit" einen Teil des Grußes, aber kein Brief, der an eine Gesamtheit von Christen gerichtet ist, enthält dieses Wort. Das hat seinen Grund darin, dass Barmherzigkeit nicht so sehr für eine Gesamtheit, als vielmehr für den einzelnen Gläubigen persönlich notwendig ist. Ich bin ein armes, schwaches Wesen, das in vieler Hinsicht fehlt und beständigen Gefahren ausgesetzt ist. Mein Zustand ruft das göttliche Mitleid hervor, das mir zu Hilfe kommt, mich aufmerksam macht und sich für alle Einzelheiten meines Weges interessiert.
Das ist der Charakter der Barmherzigkeit. Woher kommt es nun, dass ein Brief, der an alle Berufenen ohne Unterschied gerichtet ist, Barmherzigkeit für sie erbittet? Wie soll man diese Ausnahme erklären? In einer Zeit des Verfalls nimmt das christliche Zeugnis einen immer persönlicheren Charakter an. Das bedeutet keineswegs, (wie man zuweilen von Gläubigen sagen hört, die durch das reißend schnelle Umsichgreifen des Bösen entmutigt sind) dass das christliche Zeugnis nicht mehr den gemeinschaftlichen Charakter eines Sammelns der Heiligen haben könne. Wer so spricht, befindet sich in einem großen Irrtum, und gerade der Brief des Judas ist ein Beweis dafür. Er redet von Leuten, die sich unter die Treuen eingeschlichen haben, die Flecken bei ihren Liebesmahlen sind; gerade ihre Anwesenheit ist also ein Beweis, dass es ein Sammeln der Heiligen gibt. Aber die Unterweisung, die wir hier empfangen, besteht darin, dass wir gehalten sind, angesichts des schrecklichen sittlichen Zustandes der Christenheit in unserem persönlichen Zeugnis immer treuer zu werden, denn Gott nimmt in besonderer Weise Kenntnis davon. Es ist ohne Zweifel ein sehr großes Vorrecht für das Herz einsichtsvoller Christen, sich gemeinsam des Tisches des Herrn, des ganz besonderen Zeichens des gemeinschaftlichen Zeugnisses, erfreuen zu können, und dies in einer Zeit, wo die Verkündigung der Einheit des Leibes Christi in der bekennenden Christenheit wie mit Füßen getreten wird. dass dieses Zeugnis heute im Vergleich mit dem, was es in der Vergangenheit war, außerordentlich schwach ist, brauchen wir nicht zu sagen, und doch nimmt Gott Notiz davon; denn mit dem Zusammenkommen Seiner Kinder außerhalb der Welt steht das Erhabenste, was es im Christentum gibt, der Gottesdienst, in Verbindung. Aber wenn auch unser gemeinschaftliches Zeugnis so arm geworden sein mag, dass es nur noch in dem Zusammenkommen von zweien oder dreien um den Herrn besteht, so sollte doch, und dies möchten wir besonders betonen, das persönliche Zeugnis keineswegs durch solche Hindernisse leiden. Es kann ebenso kräftig sein wie damals, als der Heilige Geist in den ersten Zeiten der Kirche die Christen persönlich erfüllte.
Diese Kraft des Heiligen Geistes in dem Einzelnen ist heute nicht mehr begrenzt als damals, wenn wir nur Sorge tragen, diesen göttlichen Gast nicht in unserem Wandel zu betrüben; die Weltlichkeit und Untreue der Kirche, und schließlich ihr Verfall, beschränken dagegen notwendigerweise die Wirksamkeit des Geistes in der Versammlung.
Ein in der gegenwärtigen Zeit mit Treue aufrecht gehaltenes persönliches Zeugnis und eine heilige Absonderung vom Bösen in allen seinen Formen sind um so notwendiger, da wir bei der in der Kirche herrschenden Ungerechtigkeit nicht viel Stütze und Hilfe bei unseren Brüdern finden können; doch der Herr bleibt uns, und wir können völlig mit Ihm rechnen.
Hier denke ich, dass viele Christen mich unterbrechen wollen mit den Worten: Du redest nur von Fortschritten des Bösen, von dem Zustand des Verfalls der Christenheit und von ihrem bevorstehenden Gericht. Du scheinst deine Augen vor all dem Guten zu verschließen, das um dich her vor sich geht, vor der eifrigen Tätigkeit in unseren Kirchen, vor den großartigen Beweisen christlicher Liebe und Mildtätigkeit, vor dem einmütigen Zusammenhalten, das heute die christliche Weit kennzeichnet, vor den ungeheuren Summen, die zur Förderung des Reiches Gottes verwandt werden.
Ich bin weit davon entfernt, das zu leugnen, was der Glaube bei den Kindern Gottes hervorbringt; aber denen, die so reden, möchte ich antworten: Gott betrachtet den Zustand der Christenheit mit anderen Augen als du oder als die Welt. Er beurteilt den Zustand der Menschen nach der Art und Weise, wie sie sich verhalten gegen Seinen Sohn und gegen die Schriften, die Ihn offenbaren ; und du wärest nicht aufrichtig, wenn du leugnen wolltest, dass die bekennende Menge, zu der du gehörst, schnelle Fortschritte macht auf dem Weg zum völligen Aufgeben des Wortes und zur Leugnung des Sohnes Gottes.
Dass dies der Charakter des Urteils Gottes ist, wird man vom Anfang bis zum Ende der Heiligen Schrift bestätigt finden. Der innere, sittliche Zustand der Weit Gott gegenüber, nicht ihre äußeren, materiellen Fortschritte oder die hohe Meinung, die sie selbst von ihren Verdiensten und ihrer Ergebenheit hat, bilden den Maßstab für das Urteil Gottes. Der völlige Abfall besteht in der Leugnung des Vaters und des Sohnes, und das ist es, was unter anderem der Brief des Judas, der zweite Brief des Petrus und der erste Brief des Johannes ans Licht treten lassen. Satan hat tausend Mittel, um die Menschen von Gott abzulenken, und unter diesen ist nicht das Geringste dies: er macht sie blind, indem er ihren Stolz nährt und sie mit ihren Fortschritten beschäftigt.
„Friede und Liebe sei euch vermehrt!" Teure Geschwister, das ist es, was der Apostel uns allen wünscht. Er redet hier nicht von dem Frieden mit Gott und von Seiner Liebe, denen nichts mehr hinzugefügt werden kann, sondern er wünscht, dass wir diese praktisch genießen und ausstrahlen. Er kennt die Schwierigkeiten der Christen in diesen letzten Tagen, wo die Welt gekennzeichnet wird einerseits durch eine nie endende Aufregung und andererseits durch das Erkalten aller natürlichen, gebotenen Zuneigungen und durch eine Selbstsucht, die jede andere Rücksicht verdrängt: "Liebe sei euch vermehrt!" Ich glaube, wenn in den gegenwärtigen Tagen die "Berufenen" des Herrn in ihren Herzen aufnähmen, was der Geist Gottes ihnen hier wünscht, so würden sie alle gute Zeugen Jesu Christi sein.
Der Feind sucht auf alle Weise die Liebe erkalten zu lassen, welche die Kinder Gottes miteinander verbindet. Dies sollte ihm nicht gelingen. Ach, es ist für uns nicht schwer, das Böse zu sehen, darauf aufmerksam zu machen und ausführlich darüber zu anderen zu reden; aber ich frage: Ist das Aufdecken des Bösen ein Heilmittel? Nein, die Liebe ist es, die heilt, die wiederherstellt und unsere Brüder in ihrem Wandel wieder aufrichtet. Gnade gewinnt das Herz. Strenge kann dem Bösen Einhalt tun, hat aber noch nie jemand gewonnen. Wenn es so steht im Blick auf unsere Brüder, so gilt das Gleiche im Blick auf das der Welt verkündigte Evangelium. Die Gnade zieht an, erreicht das Gewissen, bringt Buße hervor, führt zu Christus; und wenn es nötig ist, dem Menschen die Wahrheit zu sagen, ihn seinen Zustand des Entferntseins von Gott verstehen zu lassen, so ist es auch wieder die Gnade, die diesen Zustand bloßstellt, um dann Heilung zu bringen, denn die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. In einer Zeit, wo die Liebe bei vielen erkaltet und die Ungerechtigkeit die Oberhand gewinnt, haben wir da nicht alle nötig, dass die Liebe uns vermehrt wird?
Wenn der Apostel jetzt zu dem eigentlichen Thema seines Briefes übergeht, fühlen wir uns da nicht getroffen von dem Ernst, mit dem er beginnt? "Geliebte, indem ich allen Fleiß anwandte, euch über unser gemeinsames Heil zu schreiben, war ich genötigt, euch zu schreiben und zu ermahnen, für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen" (V. 3). Er hatte die Feder ergriffen, erfüllt von dem lebhaften Wunsch, ihnen einen Gegenstand vorzustellen, der immer die Freude der Erlösten hervorrufen wird: "unser gemeinsames Heil". Sein erster Gedanke war, die Gläubigen gemeinschaftlich etwas von den Wundern des Werkes des Heilandes sehen und genießen zu lassen ... doch es kommt ganz anders. Was ist geschehen? Gefahren sind aufgetaucht, und diese armen Christen ahnen es vielleicht nicht. Da ist es dringend nötig, sie darauf aufmerksam zu machen, damit sie sich nicht einer gefährlichen Untätigkeit hingeben. Der Apostel lässt daher sein erstes Vorhaben fahren und ergreift die Feder aufs Neue, um sie zu ermahnen, für den Glauben zu kämpfen.
Teure Freunde! Diese Ermahnung ist jetzt zeitgemäßer denn je. Der Krieg ist erklärt, der Feind steht im Felde. Gefahren bedrohen euch von allen Seiten. Schlingen werden euch gelegt. Die Falschheit umringt euch. Sind nicht vielleicht die Schafe des Herrn zu wenig auf der Hut gegen diese Fremden, die zu ihnen kommen mit schönen Reden und schmeichlerischen Worten, indem sie die Grundlagen des Glaubens zu untergraben suchen? Sind ihre Herzen wohl einfältig genug, um sich allein an die Stimme des guten Hirten zu halten? Der Apostel hat sich entschlossen, uns zu schreiben. Es handelt sich darum, dass wir aufwachen, uns erheben und gegen die Macht des uns umringenden Bösen kämpfen. Welches ist die Fahne, die wir berufen sind hochzuhalten? "Der einmal den Heiligen überlieferte Glaube."
Wir finden in einer Anzahl Stellen, dass „der Glaube" hier nicht die Gabe Gottes ist, die in unser Herz gelegt ist und es fähig macht, das Heil zu ergreifen; „der Glaube" ist hier vielmehr das Ganze der christlichen Lehre, die den Heiligen überliefert ist, und die ihr Glaube ergriffen hat. Nun, der Charakter des Bösen in den letzten Tagen ist das Aufgeben dieser Lehre. Beachtet das Wörtchen einmal! Diese Überlieferung hat einmal stattgefunden; sie ist unveränderlich und hat nicht die geringste Wandlung erfahren.
Als Judas schrieb, sprach er von dieser Überlieferung als der Vergangenheit angehörend; es handelte sich um das, was die ersten Christen durch das Wort der Apostel gelernt hatten. Gott hat Sorge getragen, sie für uns in den Heiligen Schriften, den Erfordernissen entsprechend, niederzulegen, und es gibt nichts anderes für uns.
Es liegt mir am Herzen, den gläubigen Leser zu überzeugen, dass die große Aufgabe, die wir heute haben, darin besteht, mit fester Hand die Fahne hochzuhalten, die uns anvertraut ist, und um die alle "Berufenen" ohne Ausnahme sich scharen sollten, die Fahne, auf der zwei Namen (die nur einen ausmachen) geschrieben stehen und die da heißen: Das Wort Gottes und der Herr Jesus Christus!
Wenn wir uns im Kampf mit dem sittlich Bösen befinden, das beständig in der Weit zunimmt, die Verachtung der Religion und den Unglauben überall zur Schau trägt und, was noch gefährlicher ist, sich auf die Vernunft beruft, um die Wahrheit umzustoßen, so möge niemand glauben, dass es uns darum geht, uns in allerlei gelehrte Auseinandersetzungen einzulassen. Dazu genügen unsere Kräfte nicht, und ich bin überzeugt, dass wir in unserem Zustand der Schwachheit gar nicht mehr fähig dazu sind. Seit der Reformation und selbst bis in das vorige Jahrhundert hinein mochten solche Auseinandersetzungen (ohne die Gegner zu überzeugen) die Seelen der Christen im Kampf mit dem Feind befestigen. Angesichts unserer geringen Kraft ist jedoch unsere jetzige Aufgabe vielmehr die, uns nicht von dem ablenken zu lassen, was einmal den Heiligen überliefert worden ist, sondern es standhaft festzuhalten. Darin bestand der Kampf der Gläubigen in Philadelphia: "Halte fest, was du hast“, sagt ihnen der Heilige und der Wahrhaftige (Offenbarung 3,11). Dazu ist nicht viel Kenntnis und Einsicht erforderlich; es bedarf dazu nur einer ganz einfachen Sache, der Liebe zu Christus, und diese kann der Unwissendste unter uns besitzen. Wenn der Herr den Ihm gebührenden Platz in unseren Herzen hat, werden wir gewiss den Sieg davontragen, denn Satan vermag nichts wider Ihn; und wir werden den den Heiligen überlieferten Glauben aufrechthalten, denn er hat nur Ihn zum Gegenstand.
Man sieht aus diesem Brief, dass zu der Zeit, in welcher der Apostel schrieb, die Trennung sich wohl schon innerlich in der Kirche vorbereitete, aber noch nicht vollzogen war. Sie trat erst nach dem Verschwinden des letzten Apostels ein; aber Judas sieht das, was kommen würde, voraus, kündigt es an und wendet sich, wie wir gesehen haben in der einfachsten und weitesten Bedeutung des Wortes, an die ganze Familie Gottes, damit nicht ein Christ seiner Pflicht ausweichen kann, wenn es sich darum handelt, die Angriffe auf den Glauben zurückzuweisen. Es ist zu beachten, dass der Zustand der Christen, an die der Apostel schrieb, bei weitem nicht dem entsprach, was er hätte sein sollen.
Er sagt ihnen: „Ich will euch, die ihr einmal alles wusstet, erinnern". Sie standen auf dem Punkt, diese einst wohlbekannten Dinge, die ihnen im Anfang überliefert worden waren, zu vergessen. Sie hatten die Salbung des Heiligen Geistes empfangen, durch die sie alles wussten; aber ihr Glaube war schwach geworden, ihre Gedanken hatten sich der Welt zugeneigt, und Judas fühlte das Bedürfnis, sie an das zu erinnern, was den Schauplatz betraf, auf den sie leider ihre Blicke warfen. So fühlte auch dar Apostel Petrus in seinem zweiten Brief das Bedürfnis, die eingeschlafenen Christen aufzuwecken, indem er ihnen diese Dinge ins Gedächtnis rief (2. Petrus 1, 13). Und wir, die Gläubigen der Jetztzeit, meinen wir, es sei nicht an der Zeit, uns daran zu erinnern? Sind wir schon aus unserem Schlaf aufgewacht? Die Trompete hat längst zum Kampf gerufen. Wollen wir zögern, uns um die Fahne zu scharen, bis der Feind uns wehrlos überrascht und uns über den Haufen geworfen hat, zur Schmach unseres glorreichen Anführers? O möchten die Worte des Apostels in unsere Ohren dringen: "Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten!"
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Zwei Brautwerbungen
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 265ff
Die Tage des Verfalls bringen für jung und alt mancherlei Gefahren mit sich. Der allgemeine Zustand unter den Gläubigen öffnet der Verflachung und Verweltlichung immer mehr die Tür, so dass der wahre, christliche Ernst, die einfältige, treue Hingebung mehr und mehr verschwinden. Im Geschäfts- und Familienleben zeigt sich vielfach ein Handeln, das den Beobachter unwillkürlich an das Wort in Richter 21, 25 erinnert: „Ein jeder tat was recht war in seinen Augen“.
Aber wie dem auch sei, die persönliche Verantwortung bleibt, und der Gottesfürchtige bewahrt sich, indem er sich leiten lässt durch das treue, ewig bleibende Wort Gottes. Er ist bemüht, die göttlichen Grundsätze zu verwirklichen, unbekümmert darum, wie andere reden und handeln. Auf diesem Pfade genießt er den Frieden Gottes, den Jesus einst genoss (Joh. 14, 27); er weiß sich mit Gott im Einklang und erspart sich auf diesem Wege viele Schmerzen und Enttäuschungen. Wie oft hat ein leichtfertiger, unbesonnener Schritt einzelne Gläubige oder ganze Familien in jahrelange, ja, selbst lebenslange Röte und Schwierigkeiten gebracht, deren Folgen man unterlag, während zugleich der Name des Herrn sehr verunehrt wurde! Vielleicht lässt die Gnade trotzdem Gutes daraus hervorkommen, indem Gott die Fehler der Gläubigen zu ihrer Erziehung und Unterweisung benutzt; aber die äußeren Folgen des Nichtbeachtens des Wortes Gottes bleiben. „Was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten“ (Gal. 6, 7. 8). Ach, wie vielen Tränen, wie vielen bitteren Wegen würde mancher Gläubige entgangen sein, wenn er dem Worte Gottes gefolgt wäre und sein Tun und Lassen unter die göttlichen Grundsätze gestellt hätte (Vergl. Ps. 81, 11 — 16)!
Schreiber dieses möchte heute, an der Hand von zwei Beispielen aus der Heiligen Schrift, eine Frage behandeln, die für dieses Leben eine der wichtigsten ist und doch vielfach nicht die ernste Beachtung findet, welche sie verdient; ich meine das sogenannte Verlöbnis von Gläubigen zwecks ehelicher Verbindung. Es ist einerseits ein so überaus wichtiger Schritt, wenn zwei Menschen sich gegenseitig Versprechungen geben, die für ihr ganzes Leben bindende Kraft haben sollen, und andererseits sucht so viel weltlicher Geist auf diesem heiligen Boden Eingang unter den Gläubigen zu finden, dass es gut sein wird, einen Augenblick bei den Grundsätzen Gottes bezüglich dieser ernsten und wichtigen Frage zu verweilen. Dass dieser Schritt von Gläubigen zunächst nur „im Herrn« getan werden (1. Kor. 7, 39), also nur zwischen wahrhaft Gläubigen, zwischen Bruder und Schwester, geschehen sollte, darf wohl als bekannt vorausgesetzt werden.
Die Schrift redet über diesen Punkt verschiedentlich klar und bestimmt (Neben 1. Kor. 7, 39 vergl. Neh. 13, 23 — 27 ; Esra 10,18; 2.Kor. 6,14).
Im Worte Gottes finden wir nun zwei schöne Beispiele, die uns bezüglich der vorliegenden Frage viel Unterweisung und Belehrung zu geben vermögen und sicherlich nicht ohne Absicht niedergeschrieben worden sind. Das erste Beispiel finden wir in 1. Mose 24, wo der älteste Knecht Abrahams zu einer Brautwerbung nach Mesopotamien ausgesandt wird. Wie allgemein bekannt sein dürfte, haben wir in dieser schönen Geschichte ein liebliches Vorbild von der Aussendung des Heiligen Geistes, um auf dem fremden Boden dieser Welt, aus Juden und Heiden, eine Brautgemeinde für Christum, den wahren Isaak, droben zu werben und ihm, dem himmlischen Bräutigam, zuzuführen. Doch über das Vorbild möchte ich heute nicht reden, sondern vielmehr die Geschichte in ihrer nächstliegenden Bedeutung ins Auge fassen, als ein Stück aus dem Familienleben Abrahams, als ein Beispiel, wie der Vater der Gläubigen eine solch wichtige Familienangelegenheit ordnete.
Die äußeren Umstände sprachen dafür, dass die Stunde für den noch lebenden alten Vater Isaaks gekommen war, um nach der Sitte der damaligen Zeit für seinen bereits 40 Jahre alten Sohn eine Lebensgefährtin zu suchen. Dass Abrahams Name und der des Knechtes allein genannt werden, hat seinen Grund wohl nur darin, dass der Heilige Geist uns in diesen Mitteilungen das bereits erwähnte Vorbild geben wollte. Über die Sache selbst herrschte jedenfalls ein völliges Einverständnis zwischen Vater und Sohn. Dazu geschah alles unter der Leitung des Herrn, vor dem Auge Gottes. Abraham fühlte, dass die Aussendung seines Knechtes für den ins Auge gefassten Zweck von außerordentlicher Tragweite war, und so sehen wir ihn weit davon entfernt, unbesonnen oder gar leichtfertig, ohne Gott, in dieser Frage zu handeln. Eine überaus feierliche Handlung leitet die Sache ein, die er in völligem Vertrauen auf Gottes gnädige Leitung unternimmt. Abraham wusste, dass er auch in dieser Angelegenheit völlig auf Gott rechnen konnte. (V. 7.) Dabei war er völlig willenlos, wie dies aus Vers 8 hervorgeht.
Elieser muss schwören, genau nach Abrahams Anweisung zu handeln und nichts eigenmächtig zu unter- nehmen.
Er soll erstens für Isaak nur ein Weib nehmen aus dem Geschlecht und dem Familienkreise Abrahams, und zweitens soll er Isaak unter keinen Umständen von dem heiligen Boden des dem Abraham und seinem Samen geschenkten Landes entfernen; Isaak darf nicht in das Land zurückgeführt werden, aus welchem Abraham ausgegangen war. Das war der Ausgangspunkt, die Grundbedingung für die vorzunehmende Handlung. Alles geschah so, dass wir den mächtigen Eindruck empfangen: Abraham war sich bewusst, in dieser Sache vor dem Angesicht Gottes zu stehen und nach Seinen Gedanken zu handeln. Auch diese Angelegenheit konnte und durfte keine Ausnahme bilden in dem Glaubensleben Abrahams. Sie musste vor Gott und mit Gott geordnet werden; und indem er so handelte, verurteilte sein Herz ihn nicht, er hatte Freimütigkeit zu Gott (1. Joh. 3, 21) und durfte völlig auf Ihn rechnen. Und wie mit dem Vater, so war es mit dem Sohne. Isaak wartete auf Gott und vertraute auf Seine treue, väterliche Leitung.
Der zweite Teil unserer Geschichte berichtet über die Ausführung der Sendung Eliesers. Auch diese geschieht in völliger Abhängigkeit von Gott· Da ist keine Übereilung oder gar Überstürzung; nein, alles entwickelt sich in heiliger Ruhe. Da werden auch nicht klug durchdachte menschliche Mittel in Anwendung gebracht, um den beabsichtigten Zweck zu erreichen; nein, alles trägt das Gepräge tiefer Gottesfurcht und stillen Wartens auf Ihn. Gott allein konnte und sollte die Jungfrau anzeigen, welche Er Seinem Knechte, dem Isaak, bestimmt hatte (V· 14). Elieser wendet sich zu Jehova, bespricht mit Ihm die ganze Sachlage und bittet in einfältigem Glauben um Seine Leitung. Die Umstände sollen ihm klar zeigen, an welche von den· Töchtern der Männer der Stadt er sich zu wenden habe. Ein schwacher Mensch erbittet im Gefühl seines Nichts von dem großen, allmächtigen Gott, dass Er alles so führen möchte, dass Sein Wille klar erkannt werden könne. Gott geht in Seiner herablassenden Gnade genau auf die Vorschläge des Knechtes Abrahams ein. Ja, Er liebt Aufrichtigkeit und erfreut sich an dem kindlichen Vertrauen der Seinigen. In Richter 6, 36 — 40 finden wir einen ähnlichen Fall. Gideon bestimmt, und Gott lässt sich zu seinen Wünschen herab.
Er ist ja eingedenk, dass wir Staub sind (Ps. 103, 14), und Er hat Mitleid mit unseren Schwachheiten. Wir besitzen heute zwar das ganze Wort Gottes und den Heiligen Geist als unseren Führer und Leiter, um den Willen Gottes zu erkennen; aber dennoch kann auch in unseren Tagen der einfältige Christ oft in den äußeren Führungen Gottes Weg und Gedanken erkennen, und der Gottesfürchtige stützt sich nicht auf seinen Verstand, sondern hat acht darauf, Gott zu erkennen auf allen seinen Wegen (Spr. 3, 5. 6).
Im Hause der Familie Rebekkas eingekehrt, teilt der Bote Abrahams offen Zweck und Ziel seiner Reise mit, und es ist sehr bemerkenswert, dass der Knecht nicht mit Rebekka allein ein Abkommen trifft. Alles geschieht unter völliger Rücksichtnahme auf ihren Vater wie auch auf die übrigen Familienglieder. Alles trägt den Stempel offenen und ehrlichen Vertrauens. Nichts wird verheimlicht. Wieder finden wir eine Szene, wo man vor dem Angesicht Gottes redet und von Ihm alles abhängig macht.
Nachdem Elieser seine Botschaft ausgerichtet hat, harrt er der Entscheidung. Er hat nichts weiteres hinzuzufügen und sieht nun einer bestimmten Antwort entgegen. Diese konnte nicht lange ausbleiben, denn es war klar und deutlich zu sehen: „Von Jehova war die Sache ausgegangen“ (V. 50). Jetzt erst hören wir, dass Rebekka gerufen und um ihre Meinung befragt wird. Auch sie ist durch alles, was sie gesehen und gehört hat, völlig überzeugt, dass der Herr Seine Hand in der Sache hat, und gibt in drei Worten, in bescheidener aber bestimmter Weise, ihre Zusage. „Ich will gehen“, sagt sie.
Das Ende dieser schönen Szene im Hause Bethuels bildet der Segenswunsch, mit welchem man Rebekka entlässt. So ist alles Frieden und Segen. Rebekka kann in Frieden ihre Straße ziehen, denn der Eltern Segen baut den Kindern Häuser.
Isaak wartet unterdessen auf die Rückkehr des ausgesandten Knechtes. Wie schön und einfach ist dann die Begegnung! Elieser macht Mitteilung von dem Ergebnis seiner Reise und bringt gerade das, was im Hause Abrahams erwartet und gewünscht wird. Isaak nimmt Rebekka aus der Hand des Herrn, führt sie in das Zelt seiner heimgegangenen Mutter und hat sie lieb (Eph. 5, 25). Für beide Teile war das Eine klar: Jehova hat uns zusammengeführt. Welch ein schönes und wichtiges Bewusstsein für ihren ganzen ferneren Pfad, alle Tage ihres Lebens! Weder der Wille Isaaks noch die Wünsche Rebekkas hatten die Verbindung herbeigeführt. Von Anfang bis zu Ende sehen wir das deutliche Leiten und Walten des Herrn. Er drückte das Siegel Seiner Bestätigung auf die ganze Handlung.
Noch einmal: Wie wunderbar gnädig und herablassend ist unser Gott! Sein Herz wird erfreut, wenn Seine Kinder alles mit Ihm und vor Ihm tun, Ihn in alles mit hineinziehen und auf Ihn warten. O wie töricht sind wir, wenn wir von dieser Gnade so wenig Gebrauch machen! Möchten wir doch nie vergessen, dass der Schöpfer des Weltalls, der Erhalter aller Menschen, ein besonderes Interesse hat an den Familien und Häusern der Gläubigen, als der Pflanzstätte ungeheuchelten Glaubens, reiner Liebe und lebendiger Hoffnung! Er sagt stets: „Du und dein Haus«, und die eifrige Pflege und Erhaltung der von Ihm geschaffenen Familienbande find besonders wohlgefällig vor Ihm (Vergl. 1. Mose 18, 19; Spr.15,6; Ioh.12,1.2; Kol. 3, 18 - 25; 2.Tim.1,5).
Die zweite Brautwerbung finden wir in Richter 1, 12 — 15. (Vergl. Jos. 14, 13 —15.) Auch diese ist von ausnehmender Schönheit und reich an praktischer Belehrung für gläubige Eltern, Söhne und Töchter. Das charakteristische Kennzeichen des Buches der Richter ist Verfall und Niedergang des geistlichen Lebens in Israel, und als Folge davon Unordnung, Schwachheit und Niederlage vor ihren Feinden. Mit Ausnahme von einigen glücklicheren Zeitabschnitten, die durch treue Glaubenszeugen, Männer und Frauen, und deren Taten herbeigeführt wurden, könnte man den Inhalt des Buches wohl mit „Bochim“ (Weinende) bezeichnen. (Kap. 2, 5).
Mit wehmütigen, schmerzlichen Gefühlen liest man die inspirierten Mitteilungen über den Zustand des Volkes im allgemeinen, wie auch die Schilderungen der traurigen Familienverhåltnisse unter dem erlösten Volke Gottes. .Hie und da standen ja wackere Männer auf, ausgerüstet mit Glauben und Kraft, von Gott benutzt und so ein Segen für viele; aber indem sie den schmalen Pfad des Glaubens wieder verließen, wurden sie mit ihren Familien ein betrübendes Beispiel für andere (Vergl. Kap, 8, 27 — 32).
Doch, wie gesagt, es gibt Lichtpunkte in dem finstern Gemälde. Verweilen wir denn ein wenig bei dem ersten Glaubenszeugen, dessen der Heilige Geist im Buche der Richter Erwähnung tut. Es ist Kaleb, der Sohn Jephunnes, und in Verbindung mit ihm sein ganzes Haus. Kaleb ist gleichsam ein alter, lieber Freund, den wir aus 4. Mose 14 und Josua 14 kennen. Der treue Mann war jetzt 85 Jahre alt, aber er glich einem Baume, der an Wasserbächen gepflanzt ist und seine Frucht bringt zu seiner Zeit, dessen Blatt nicht verwelkt; ja, alles was er tut, gelingt. Es ist die besondere Freude des Heiligen Geistes, in den Tagen des Verfalls und der Verweltlichung die einzelnen Zeugen hervorzuheben, welche in Einfalt und Treue mit ihren Familien im Ausblick zu Gott ihren Weg gingen.
Zu ihnen bekannte sich Gott auch in wunderbarer Weise.
Kaleb ist ein ähnlicher Mann wie Abraham. Gleich ihm am Abend seines Lebens stehend, ist er besorgt um sein Haus und seine Kinder. Auch er wünscht alles in Übereinstimmung mit Gott zu sehen. Wenn Abraham besorgt war, dass sein Sohn Isaak eine Lebensgefährtin bekam, wie Gott sie ihm zugedacht hatte, so sehen wir hier Kaleb in gleicher Weise besorgt um seine Tochter Aksa. Wie hätten auch Männer wie Abraham und Kaleb gleichgültig sein können in Bezug auf ihre Kinder! Bei beiden Familienhäuptern lässt der Heilige Geist uns einen Blick tun in die Besorgnisse und Wünsche ihrer Herzen. Kalebs Sorge ging allerdings zunächst nicht dahin, dass Aksa einem Manne gegeben werden könnte, der nicht zu Israel gehörte, wie dies bei Abraham der Fall war, sondern dass es einer aus dem Volke Gottes sei, dessen Herz im Einklang stand mit Gott und in Übereinstimmung mit der Gesinnung und dem Glauben Kalebs. Auch hier zeigten die äußeren Umstände Kaleb an, dass Zeit und Stunde da sei, dieser wichtigen Frage näher zu treten; aber Kaleb wie Aksa lassen wiederum Gott für sich wählen.
Zwischen Isaak und Aksa gibt es auch manche Ähnlichkeiten. Beide überlassen Gott eine Angelegenheit, die sie aufs höchste interessieren musste. Beide stehen in keiner Weise im Widerspruch mit dem Geist ihrer Väter. Beide haben im Gegenteil Gemeinschaft mit dem noch lebenden Vater, und beide nehmen gleichsam aus der Hand Gottes das ihnen zufallende Los. In beiden Fällen wird das innige Verhältnis zwischen Vater und Kind durch die Verlobung keineswegs getrübt, sondern wenn möglich noch inniger gestaltet.
Die Umstände und Verhältnisse waren anderer Art wie einst bei Abraham; dennoch finden wir dieselben schönen Züge und Kundgebungen eines Glaubens, der auf Gott rechnet und nicht selbst überlegend und wirkend auf dem Plane ist. Wir finden Kaleb und das Volk Israel auf dem Kampfplatz. Umgehen von Feinden, sind sie beschäftigt. nach dem Gebote Gottes das kostbare Land in Besitz zu nehmen. Die Ereignisse und Erscheinungen rings um Kaleb her waren nichts weniger als ermunternd für ihn. Keiner der Stämme Israels stand auf der Höhe des Glaubens; keiner offenbarte das einfältige Vertrauen, welches sie Gott gegenüber hätten bekunden sollen. Ihre Werke wurden nicht völlig erfunden von Seiten Gottes, und die ersten Verse unseres Kapitels zeigen deutlich, dass der Schild des Glaubens nicht so erhoben war, wie Gott es hätte erwarten können. Juda vertraute auf Simeon und Simeon auf Juda. Man machte Fleisch zu seinem Arm.
Kalebs Glaube wurde indes durch den Kleinglauben seiner Brüder nicht beeinflusst· Sein Vertrauen auf Gott ist unerschütterlich; die Kinder Enaks sind für ihn, den 85 jährigen, nicht mehr erschreckend als im Anfang, bei seiner Aussendung als Kundschafter. (Vergl. Vers 10 mit Jos. 14, 12 — 15.) Er war nicht ein Mann, der einen schönen Anlauf nahm und eine Zeitlang mit Gott wandelte, nein, „er folgte Jehova, dem Gott Israe!s, völlig nach“. Wir finden bei ihm einen der schönsten Züge des Glaubens: „das Ausharren“. Sein Zeugnis und Vorbild wirkten deshalb auch so ermunternd und belebend auf seine Gefährten und wurden ein Segen für seine ganze Familie. Kaleb ist nicht ein Glied in der Kette, das lähmend und aufhaltend wirkt, sondern er erweist sich bis zum Ende hin als ein Mann, der durch seinen Glauben und sein Beispiel andere anspornt. Er ist ein Familienhaupt, dem es am Herzen liegt, seine Familie auf dem Wege zu erhalten, den er selbst gewandelt ist.
Er wünscht seine Tochter nur in Verbindung mit einem Israeliten zu sehen, bei welchem sich wahre Früchte des Glaubenszeigen. Das war die einzige Bedingung. Kaleb war ein geachteter und sicherlich auch ein vermögender Mann, ähnlich wie Abraham. Hebron z. B. gehörte ihm als erworbener Besitz, und er war imstande, seiner Tochter eine reiche Mitgift zu geben. Aber fordert er deshalb einen ebenbürtigen, äußerlich gutgestellten Gatten für Aksa? Nein, er verstand sehr wohl, dass die Zuwendung irdischer Segnungen, wie Reichtum, Ehre und dergleichen, allein in der Hand Gottes stehen (Vergl. Spr. 3, 16). 275
Die Bedingung lautet: „Wer Kirjath-Sepher schlägt und es einnimmt, dem gebe ich Aksa, meine Tochter, zum Weibe“. Othniel, ein Neffe Kalebs, erfüllt diese Bedingung. Im Glauben erwirbt er Aksa durch Kampf und Sieg. Später hatte Aksa das Vorrecht, ihren Mann als Richter über Israel zu sehen und als seine Genossin diesen Platz mit ihm zu teilen. Kalebs Glaube wurde also nicht beschämt, seine Erwartung nicht getäuscht. Othniel war ein würdiger Sohn Kalebs.
Doch auch in Aksa wohnte der Glaube ihres Vaters. Das verheißene Land hatte auch für sie Wert, und sie wünschte möglichst viel davon zu besitzen. Darum trieb sie ihren Mann an, ein Feld von ihrem Vater zu fordern. (V. 14.) Das alles entsprach dem Herzen Gottes. Sie erwies sich so als eines Othniel würdig.
In Vers 15 erblicken wir noch weitere schöne Züge ihres Glaubens. Aksa springt von dem Esel herab, um persönlich bei ihrem Vater vorstellig zu werden. Dies zeigt uns zunächst, dass sie ihren alten Vater liebte und ehrte. Als dann Kaleb sie fragt: „Was ist dir?“ antwortet sie: „Ein Mittagsland hast du mir gegeben, so gib mir auch Wasserquellen!“ Ein Mittagsland, d. h. ein Land, das gegen Süden lag und den brennenden Strahlen der morgenländischen Sonne ausgesetzt war, hatte an und für sich wenig Wert für sie; es war dürr und unfruchtbar, und so bittet sie: „Gib mir auch Wasserquellen“. Ihre Bitte lautet ganz bestimmt, wie bei dem Manne, der um Mitternacht zu seinem Freunde kommt und zu ihm sagt: „Freund, leihe mir drei Brote“ (Luk. 11, 5). Und siehe da, sie empfängt ihre Bitte: „Da gab ihr Kaleb die oberen Quellen und die unteren Quellen“. Jetzt war die beste Aussicht vorhanden, dass gerade das Mittagsland sich zu einem recht fruchtbaren Lande gestalten würde.
Das Verhalten Aksas zeigt uns eine demütige, gläubige Israelitin, die das von Gott geschenkte Land schätzt, aber auch mit kühner Freimütigkeit um das bittet, was dieses Land erst einträglich für sie machen kann. Sie erbittet sich Quellen, und ihrer Bitte wird überströmend entsprochen: von oben und von unten her berieseln Segnungen das Mittagsland. Sie tut ihren Mund weit auf, und Gott füllt ihn (Ps. 81, 10).
Das Mittagsland dieser jungen Eheleute erinnert uns unwilIkürlich an das ernste Wort in 1. Kor. 7, 28: „Wenn du heiratest, so hast du nicht gesündigt, und wenn die Jungfrau heiratet, so hat sie nicht gesündigt; aber solche werden Trübsal im Fleische haben“. Unser Gott und Vater hat in Seiner Weisheit und Liebe es so geordnet: wo die Natur des Menschen am meisten Gefahr läuft, nur für das eigene Fleisch zu säen (Gal. 6, 8), da gibt Er in Seiner Gnade ein Mittag-Land; aber Er gibt auch Quellen, um gerade aus den Schwierigkeiten und Prüfungen - kostbare Früchte des Geistes- hervorzubringen.
So bleibt der Gläubige vor dem Verderben bewahrt und bringt Frucht für die Ewigkeit. Zugleich sind die Trübsale im Fleische, welche den Verheirateten in besonderer Weise verheißen werden, für Gott eine Gelegenheit, sich den Seinigen als der Gott alles Trostes und der Vater der Erbarmungen zu offenbaren. Wenn wir nur in Demut uns vor Ihm niederwerfen und in nicht zweifelndem Glauben unsere Bitten Ihm vortragen, so wird Er antworten. Denn dem Demütigen gibt Er Gnade, und dem Aufrichtigen lässt Er’s gelingen. Er wird zu aller Zeit obere wie untere Quellen uns erschließen; durch die Gnade wird das Tränental zu einem Quellenort werden, und von oben her wird der Frühregen es mit Segnungen bedecken (Ps. 84, 6).
Wir schließen hiermit unsere Betrachtung über die Brautwerbungen. Vieles hat sich seit jenen alten Zeiten verändert. Menschen, Verhältnisse und Sitten sind anders geworden, und vieles, was damals gebräuchlich war, würde heute sonderbar und auffallend erscheinen. Aber Gottes Gedanken haben sich nicht verändert, und der Glaube wird heute noch in derselben Weise und nach denselben Grundsätzen geleitet wie damals. Möchte denn der Herr in Seiner Gnade diese kurzen Ausführungen segnen zum Heil für jüngere Gläubige, wie auch zur Unterweisung von Eltern gläubiger Söhne und Töchter! Die Tage sind ernst und böse. Es gilt, den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen und nicht müde zu werden bis ans Ende. Der Herr ist nahe!
Ehe wir schließen, sei indes noch auf zwei besondere Gefahren in Liebe aufmerksam gemacht. Die erste liegt in den verderblichen allzu frühen Verbindungen, den sogenannten „Verhältnissen“, die zweite in dem unbedachtsamen Eingehen von Eheversprechen. Jene ersteren entspringen durchaus dem Geist der Welt und bringen in neunzig von hundert Fällen nur Schmerz über die Familien und sehr oft viel Schmach aus den Namen des Herrn Jesu. Sie gehören mit zu dem „Vorsorgetreiben für das Fleisch zur Erfüllung seiner Lüste“, vor welchem der Apostel uns in Röm. 13, 14 warnt. Die jungen Seelen, welche in diese Schlinge geraten, leiden in jedem Falle großen Schaden.
Auch das unbesonnene Eingehen eines Eheversprechens ist sehr böse. Es hat manche Gläubige in Gefahr gebracht, ihr einmal gegebenes Wort zurückzunehmen oder gar die Verlobung abzubrechen, unbekümmert darum, wie der andere Teil sich dazu stellte. In den meisten dieser Fälle sah man sich getäuscht in irgend einer Hoffnung oder Erwartung, und obwohl man vorher alles aus der Hand des Herrn angenommen zu haben bekannte, sah man doch mit einemmale alles in einem anderen Lichte und ließ sich durch die wechselnden Gefühle bestimmen, einen anderen Weg einzuschlagen.
Anstatt ruhig im Blick auf Gott voranzugehen und auch selbst ein in Aussicht stehendes „Mittagsland“ aus Seiner Hand anzunehmen, erblickte man nur noch Gespenster und schreckte zurück. Auch dies hat schon viel Herzeleid über die betreffenden Familien gebracht, und der Name Gottes wurde verunehrt. O möchten wir kurzsichtige Menschen, die wir doch nie wissen, was am besten für uns ist, Gott allezeit für uns wählen lassen, wie wir dies bei Isaak und Aksa sahen! Aksa ließ sich durch das „Mittagsland“ nicht beirren. Sie bestand die kleine Probe und erbat sich zu dem Mittagsland auch die nötigen Quellen. So handelt der einfältige Glaube. Er geht ruhig seinen Pfad und rechnet auf Gott angesichts der Schwierigkeiten.
Wir möchten nicht leugnen, dass der Fall eintreten kann, wo Gläubige besser tun, das gegenseitig gegebene Versprechen mit beiderseitiger EinwilIigung wieder zu lösen; aber jedenfalls sollten dann solche Gründe vorliegen, die vor Gott und Menschen als berechtigt Anerkennung finden können. Aber auch in diesem Falle ist die Sache selbst betrübend, und für die Beteiligten wird immer Ursache genug bleiben, sich vor Gott zu demütigen; denn hätten sie in Einfalt und Abhängigkeit von Ihm gehandelt, so würden sie gewiss vor einem solchen Irrwege bewahrt geblieben sein. Sie hätten sich und anderen viele schmerzliche Übungen erspart und dem Feinde nicht Anlass zu üblem Nachreden gegeben.
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Glückselig die ihre Kleider wuschen
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 279ff
„Glückselig, die ihre Kleider waschen, auf dass sie ein Recht haben an dem Baume des Lebens und durch die Tore in die Stadt eingehen!“ (Offbg. 22, 14). Die heilige Stadt, das neue Jerusalem, welches aus dem Himmel herniederkommt von Gott (Kap. 21, ist eine Stätte vollkommener Reinheit und Heiligkeit. Ihre Straße ist „reines Gold, wie durchsichtiges Glas“. Nirgendwo ist ein Stäubchen oder ein Fleckchen zu erblicken. Nie mehr kann der Fuß der seligen Bewohner dieser Stadt durch irgendwelche Unreinigkeit besudelt werden. Der Bau ihrer Mauer ist Jaspis (Gottes Herrlichkeit), sie selbst ist reines Gold (göttliche Gerechtigkeit), gleich reinem Glase (vollkommene Reinheit).
Nichts Gemeines oder unreines geht in sie ein, noch irgend Etwas, das Gräuel und Lüge tut; das will sagen: nicht nur ist die Stadt von allem Bösen und Verderbenbringenden abgesondert, sondern sie kann auch nie wieder von irgend etwas Verunreinigendem berührt werden. „Draußen sind die Hunde und die Zauberer und die Hurer und die Mörder und die Götzendiener und jeder, der die Lüge liebt und tut“ (Kap. 22, 15). Weder Satan noch der Mensch vermag das Werk Gottes je wieder zu verderben. Die Sünde hat keinen Zutritt, und nur solche gehen durch die Tore ein, deren Namen in dem Buche des Lebens des Lammes geschrieben sind; nur die haben ein Recht an dem Baume des Lebens, welche ihre Kleider waschen. Sie werden deshalb auch glückselig gepriesen.
Nichts anderes kann ein Recht aus die Stadt und die Segnungen in ihrer Mitte geben, als die wahre, lebendige Verbindung mit dem Lamme und mit dem durch dasselbe vollbrachten Erlösungswerk. Beachtenswert ist indes, dass wir nicht lesen: ,,Glückselig, die ihre Kleider gewaschen haben«, wie an anderen Stellen dieses Buches (z. B. Kap. 7, 14), sondern „die ihre Kleider waschen“. Es soll dadurch vielleicht auch auf die Verantwortlichkeit der Erlösten hingewiesen werden, in Reinheit und Heiligkeit zu wandeln, ihre Kleider rein zu erhalten; geradeso wie zwei Verse vorher das Kommen des Herrn als des gerechten Vergelters der Werke eines jeden eingeführt wird. „Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir“.
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Das Evangelium der Herrlichkeit
Bibelstelle: 2. Korinther 3 - 5
Botschafter des Heils 1909 S. 281ff
„Daher, wenn jemand in Christo ist, da ist eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden" (V. 17).
Der Apostel nennt hier die Glaubenden „Menschen in Christo". Wenn jemand in Christo ist, da ist eine neue Schöpfung. Das geht unendlich weiter, als die Gedanken unserer armen, engen Herzen gewöhnlich gehen. Man ist dankbar, wenn man Vergebung seiner Sünden gefunden hat, wenn man singen und sagen darf: „Da wo Gott mit Wonne ruhet, bin auch ich in Ruh' gesetzt", oder: „Der Schuldbrief ist zerrissen, befreit ist das Gewissen, die Sünde ist zunicht gemacht". Und wahrlich, man hat Ursache, dankbar zu sein. Welche kostbaren Segnungen sind das! Aber so groß sie sind, der Vorrat ist damit nicht erschöpft. Gott ist ein wunderbar reicher Gott. Er hat den Seinigen nicht nur Vergebung ihrer Sünden, Ruhe des Herzens und Gewissens und ewiges Leben geschenkt, sie sind nicht nur Kinder Gottes, Erben Gottes und Miterben Christi, nein, sie sind in Christo vor Gott hingestellt, sie sind angenehm gemacht in dem Geliebten (Epheser 1,6), angetan mit dem Werte und der Kostbarkeit Seines Werkes und Seiner Person. Nachdem sie im Tode mit Ihm zu einer Pflanze geworden, mit Ihm gekreuzigt und begraben worden sind, hat Gott sie mit Ihm auferweckt und in Ihm jetzt schon mitversetzt in die himmlischen Örter.
Ein „Mensch in Christo" - fürwahr, das ist die höchste Ehrung, der erhabenste Titel, der einem Menschen zuteil werden kann.
Der Apostel wendet ihn im 12. Kapitel unseres Briefes auf sich selbst an. „Ich kenne einen Menschen in Christo", sagt er, „vor vierzehn Jahren, (ob im Leibe, weiß ich nicht; Gott weiß es,) einen Menschen, der entrückt wurde bis in den dritten Himmel" (V. 2). Paulus redet von sich selbst, aber indem er in seiner Bescheidenheit seinen Namen nicht nennt, legt er sich, geleitet durch den Heiligen Geist, eine Bezeichnung bei, wie sie herrlicher nicht gedacht werden kann. „Ich kenne einen Menschen in Christo". Gott sei gepriesen! jeder Gläubige darf sich heute diesen herrlichen Titel beilegen. Als auferstanden mit Christo ist er eine „neue Schöpfung" geworden. Gott sieht ihn nicht mehr in dem alten Zustande, „im Fleische", in welchem niemand Gott zu gefallen vermag, sondern „im Geiste" (Römer 8,8. 9). Der Gläubige ist dem Alten gestorben und in eine ganz neue Ordnung der Dinge versetzt; er steht in Christo auf einem ganz neuen Boden, auf dem Boden der Auferstehung. Christus ist der Erstling, das Haupt der neuen Schöpfung; wir sind eine neue Schöpfung geworden in Ihm.
Wir begegnen in Epheser 4,24 der gleichen kostbaren Wahrheit. Es heißt dort, dass wir „angezogen haben den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit". Der erste Adam war nicht so geschaffen, er war ein unschuldiges Geschöpf. Aber er fiel, und jetzt ist der Mensch ein gefallenes Geschöpf, ein sündiges, unreines, von Gott entfremdetes Wesen.
Doch Gott in Seiner Barmherzigkeit beschäftigt Sich mit dem Gefallenen. Nicht so, dass Er das zerlumpte Kleid flickt oder dem Menschen das alte Kleid der Unschuld wiedergibt. Nein, Er schafft ihn völlig um in Christo, Er bringt eine neue Schöpfung hervor, indem Er am Kreuze (in Christo) mit dem Alten auf immerdar Abschluss macht. „Wir wissen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, auf dass der Leib der Sünde abgetan sei" (Römer 6,6). Der Gläubige ist mit Christo im Tode gewesen, ist in Ihm gerichtet, mit Ihm gekreuzigt worden; er ist auf Golgatha in richtiger Weise zu seinem Ende gekommen, und nun, mit Christo auferweckt, ist er als ein neuer Mensch, als eine ganz neue Schöpfung, vor Gott hingestellt.
Aber, sagst du, - der Mensch ist immer voll „Aber", voll ungläubiger Einwürfe, - wie ist das möglich? Ich trage doch noch diesen Leib an mir, in dem die Sünde wohnt. Das ist allerdings so, aber das ist auch das einzige, was noch an der Vollendung des wunderbaren Werkes Gottes fehlt. Darum seufzte der Apostel, wie wir im Anfang von Kapitel 5 hörten, indem er sich sehnte, mit der Behausung, die aus dem Himmel ist, überkleidet zu werden. Er verlangte danach, diesen armen Leib abzulegen und Christo in der Herrlichkeit gleich zu sein. Und so seufzen auch wir und sehnen uns, mit jener Behausung überkleidet zu werden. „Wir erwarten die Sohnschaft: die Erlösung unseres Leibes" (Römer 8,23). Wenn diese kommt, wenn der Ruf von oben erschallt, der „gebietende Zuruf" des Anführers an Sein streitendes Heer, mit einem Wort, wenn der Herr wiederkehrt, dann wird dieses Verwesliche Unverweslichkeit anziehen, diese irdene, zerbrechliche Hütte wird fallen, und wir werden einen Leib empfangen, der Seinem Leibe der Herrlichkeit gleichgestaltet ist.
Dann wird alles neu sein; tadellos nach Leib, Seele und Geist werden wir vor Gott dastehen (1. Thes. 5,23; Judas 24). Das ist es, was wir erwarten, wonach wir uns sehnen: Jesum zu schauen, Ihm gleich zu sein in der Herrlichkeit, fern von aller Sünde und Schwachheit, fern von der Erde mit all ihrem Leid. Und „treu ist, der euch ruft, der wird es auch tun" (1. Thes. 5,24).
Doch vergessen wir nicht, dass, je kostbarer und gesegneter unsere Stellung ist, je vollkommener sie uns als von Gott Selbst uns geschenkt vor Augen geführt wird, desto mehr auch unsere Verantwortlichkeit wächst. Wenn wir eine neue Schöpfung in Christo sind, dann sollte das sicherlich in uns und an uns offenbar werden. Die Menschen um uns her sollten es sehen, dass wir den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen und den neuen angezogen haben, „der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit"; dass wir wirklich solche sind, die, der göttlichen Natur teilhaftig geworden, ermahnt werden können, „Nachahmer Gottes zu sein als geliebte Kinder".
Es sind hohe Dinge, die Gottes Wort von uns sagt als solchen, die in Christo sind; aber es sind Gottes Gedanken, die in Verbindung stehen mit Seinem Christus. Es können darum nur hohe und herrliche Gedanken sein. Möchten wir uns durch Seinen Heiligen Geist nur mehr einführen lassen in das Verständnis dieser Dinge, zugleich aber auch von Herzen begehren, dass in unserem Leben zur Darstellung komme, was Er uns in Christo geschenkt, wozu Er uns in Ihm gemacht hat!
Das Alte ist vergangen, alles ist neu geworden. Ist es wirklich so bei uns, ihr lieben Freunde? Sieht unsere Umgebung, unsere Familie, unser Bekannten- und Freundeskreis, sehen unsere Kameraden, unsere Mitarbeiter in der Fabrik oder wo wir immer sind, dass wir eine neue Schöpfung geworden sind? O möchte ein jeder von uns sich und sein Leben in das Licht dieser Schriftstelle bringen: da ist eine neue Schöpfung, alles ist neu geworden!
Nunmehr fährt der Apostel fort: „Alles aber von dem Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Jesum Christum". Wir können gut verstehen, dass in einer solchen Erlösung alles von Gott sein muss. Was könnte der Mensch dazu beitragen? Es kann nur alles von Gott sein, und es ist alles von Gott. Sein Name sei ewig dafür gepriesen! Gleichwie wir im Anfang des Kapitels lasen: „Der uns aber eben hierzu (zu der Herrlichkeit droben) bereitet hat, ist Gott, der uns auch das Unterpfand des Geistes gegeben hat", so ist auch im Blick auf unsere jetzige Stellung, als eine neue Schöpfung in Christo, „alles von dem Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Jesum Christum".
Jesus ist die Grundlage, Gott der Vater die Quelle von allem.
Und dieser Gott „hat uns den Dienst der Versöhnung gegeben". Diese Worte beziehen sich ohne Zweifel zunächst auf den Apostel und seine Mitarbeiter, aber im weiteren Sinne auch auf uns, auf alle, die als eine neue Schöpfung in diese Welt hineingestellt sind. Auch wir haben in unserem geringen Maße den Dienst auszuführen. Dieser Dienst wird der Dienst der Versöhnung genannt, und was ist der Gegenstand, sein Inhalt? O hört es, meine lieben Freunde! „Gott war in Christo, die Welt mit sich selbst versöhnend, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend". Das war die Predigt, die der Apostel überall hintrug; das ist die wunderbare Botschaft, die wir heute weit und breit verkündigen dürfen: Gott war in Christo. Im alten Bunde erschien Gott auf dem Berge Sinai, Seine Herrlichkeit erfüllte die Stiftshütte; aber stets wohnte Er für den Menschen im Dunkel, Er blieb hinter dem Vorhang verborgen. Niemand konnte Ihn sehen, niemand durfte Ihm nahen. In Christo aber hat Gott Sich geoffenbart. Er ist aus dem Dunkel herausgetreten und in dieser Welt, vor den Augen der Menschen, erschienen. „Gott ist geoffenbart worden im Fleische", lesen wir in 1. Timotheus 3,16.
Ja, Gott war in Christo. Das Kindlein, das in der Krippe zu Bethlehem lag, der Knabe, der Seinen Eltern Untertan war, der Mann, der durch die Städte und Dörfer Judas zog, der Mensch, der am Kreuze hing und starb, war Gott, geoffenbart im Fleische. In Ihm ist „die Güte und Menschenliebe Gottes erschienen", „die Gnade Gottes, heilbringend für alle Menschen", kundgeworden (Titus 3,4; 2,11).
Gott war in Christo. Zu welchem Zweck? Um die Menschen zu richten, wie sie es verdient hatten? Nein, Er war in Christo, die Welt mit Sich Selbst versöhnend, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend, und Er hat in uns das Wort der Versöhnung niedergelegt. Die Segensabsicht Gottes war, die Welt mit Sich Selbst zu versöhnen, indem Er den Menschen ihre Übertretungen nicht zurechnete.
Aber, höre ich wieder fragen, ist denn die Welt wirklich versöhnt worden? Nein. Luther übersetzt allerdings, aber mit Unrecht: „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit Ihm selber". Die Versöhnung der Welt ist nie zur Tatsache geworden. Wohl hat Gott uns, die Glaubenden, mit Sich Selbst versöhnt, aber im Blick auf die Welt redet das Wort nicht so. Der Unterschied der Zeitformen in dem 18. und 19. Verse ist sehr beachtenswert. Es war die Absicht Gottes, die Welt mit Sich zu versöhnen. Jesus kam in diese Welt, um ihr das Leben zu geben. Er Selbst sagt: „Ich bin nicht gekommen, auf dass ich die Welt richte, sondern auf dass ich die Welt errette" (Johannes 12,47). Aber was hat die Welt demgegenüber getan? Sie hat Ihn hinausgeworfen und ans Kreuz geschlagen.
In Johannes 3,16 lesen wir: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe"; und in unmittelbarem Anschluss daran: „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, auf dass er die Welt richte, sondern auf dass die Welt durch ihn errettet werde". Die Antwort der Welt auf diese Liebestat Gottes war, wie gesagt, das Kreuz. Danach blieb nichts anderes für die Welt übrig als Gericht. Beachten wir wohl, dass es nicht heißt: Also liebt Gott die Welt, sondern: Also hat Gott die Welt geliebt, d. h. Gott hat der Welt einmal den Beweis Seiner Liebe gegeben; Gott war einmal in Christo, die Welt mit Sich Selbst versöhnend, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend.
Nachdem die Welt aber gesagt hat: Wir wollen diese Offenbarung nicht, „hinweg mit ihm!" und dadurch ihr unheilbares Verderben und ihre unversöhnliche Feindschaft gegen Gott gezeigt hat, sagt Jesus: „Jetzt ist das Gericht dieser Welt, jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden" (Johannes 12,31). Die Welt hat die letzte Probe, auf die sie gestellt wurde, nicht bestanden, sondern die Sprache der Liebe mit bitterem Hass beantwortet. So ist denn das endgültige Urteil, das Gericht, über sie ausgesprochen. Sie hat nichts anderes mehr zu erwarten als Gericht. Gott beschäftigt sich auch nicht mehr mit der Welt als solcher, sondern holt aus ihr Einzelne heraus, die sich retten lassen wollen von dem kommenden Zorn. Jeder, - die Errettung ist eine durchaus persönliche Sache, - der sich zu Jesu ziehen lässt und an Seinen Namen glaubt, empfängt Vergebung seiner Sünden und kommt nicht ins Gericht.
So lange ein Mensch also noch zu den Kindern dieser Welt gehört, steht er unter dem Gericht und Zorn Gottes.
Er gehört zu denen, die „keine Hoffnung" haben. Darum werden die Menschen immer wieder so ernst und feierlich aufgefordert, Buße zu tun und die kurze, fliehende Gnadenzeit zu benutzen, ehe es für ewig zu spät ist. Gott ist heute noch bereit, zu vergeben, alles zuzudecken; denn Er hat Den, Der Sünde nicht kannte, in Dessen Mund nie ein Betrug gefunden wurde, Ihn, den Reinen und Heiligen, für uns zur Sünde gemacht (V. 21). Da wir von Natur nicht nur Sünder, schuldige Sünder, sondern Sünde sind, so mussten wir vor Gottes Augen ganz entfernt werden, und dies konnte nur dadurch geschehen, dass Er Seinen Geliebten für uns zur Sünde machte, d. h. dass Er Ihn so behandelte, als wäre Er in dem Zustande gewesen, in welchem wir von Natur sind. So hat Christus unter den niederschmetternden Schlägen des Zornes Gottes Sein heiliges Leben für uns dahingegeben. „Was er gestorben ist, ist er ein für allemal der Sünde gestorben" (Römer 6,10). Einen anderen Weg zu unserer Errettung gab es nicht. Sollten wir von der Macht der Sünde befreit werden, so musste Er, als zur Sünde gemacht, der Sünde sterben. Und Gott sei gepriesen! Er hat es getan, und nun lautet die gesegnete Folgerung, der herrliche Schluss: „auf dass wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm".
Hört es, ihr lieben Freunde, und staunet! Wir, die Glaubenden, sind nicht nur rein gewaschen von aller Schuld, nein, Gott hat uns in Christo eine Stellung gegeben, in der sich Seine Gerechtigkeit aufs Herrlichste erweist. Wir sind Gottes Gerechtigkeit. Gott hat Seine Gerechtigkeit im Blick auf die Person Seines Geliebten darin gezeigt, dass Er Ihn zu Seiner Rechten droben erhöht hat, und wir, als mit Ihm dort vereinigt, sind in Ihm Gottes Gerechtigkeit geworden. Ist das nicht eine wunderbare, unerschütterliche Grundlage jenes Dienstes der Versöhnung, dessen erste und eigentliche Träger die Apostel waren? Und alles ist von Gott und wird uns zuteil durch den Glauben.
Da mag man wohl mit dem Apostel fragen: „Wo ist denn der Ruhm?" Wahrlich, er ist ausgeschlossen, es gibt keinen für uns. „Durch was für ein Gesetz? der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens" (Römer 3,27). Wenn wir noch etwas zu unserer Errettung hätten beitragen, wenn wir noch irgendein Werk hätten tun können, so würden wir Ruhm haben; aber alles ist von Gott. Und gerade das gibt dem Herzen Ruhe und der Seele Frieden. In dem bewussten Besitz dieser vollkommenen Errettung dürfen wir hingehen und, gleich dem Apostel, andere verlorene Sünder einladen, von der in Jesu geoffenbarten Gnade Gottes Gebrauch zu machen.
„So sind wir nun Gesandte für Christum, als ob Gott durch uns ermahnte; wir bitten an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott"! Einst, als Christus auf dieser Erde wandelte, hat Er Selbst die frohe Botschaft verkündet; jetzt hat Er Seine Gesandten, Seine Stellvertreter, und es ist, wie wenn Gott Selbst durch diese ermahnte. Einst ist der Herr Jesus durch Stadt und Dorf gezogen und hat, über Jerusalem weinend, ausgerufen: „Ach, wenn du erkannt hättest, was zu deinem Frieden dient"! Heute bitten Seine Jünger und Jüngerinnen an Seiner Statt: Kommt, lasst euch versöhnen mit Gott! Alles ist bereit!
Ich schließe mit den Worten unseres Apostels: „Mitarbeitend aber ermahnen wir auch, dass ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt; (denn Er spricht: „Zur angenehmen Zeit habe ich dich erhört, und am Tage des Heils habe ich dir geholfen. Siehe, jetzt ist die wohlangenehme Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils" (Kap. 6,1. 2).
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Der Brief an Judas
Bibelstelle: Judas
Botschafter des Heils in Christo 1909, S. 291ff
Der zweite Teil des Judasbriefes (V. 5-16) beschreibt das Böse, das die letzten Tage kennzeichnet. Wenn ich euch, liebe Geschwister, diese Dinge vorstellen will, fühle ich lebhaft, dass das weder erfreulich noch erbaulich ist, aber zu gewissen Zeiten führt Gott uns an den Rand eines Abgrundes und fordert uns auf, einen Blick hineinzuwerfen. Dieser Blick ist sehr heilsam, wenn wir uns, wie einst Lot, durch das schöne Aussehen der Jordan-Ebene haben verführen lassen. Nur Lasst uns daran denken, dass, wenn es sich darum handelt, dem Bösen zu widerstehen, nichts uns dazu fähig macht als die Beschäftigung mit dem Guten. Dabei drängt sich uns ganz von selbst die Oberzeugung auf, dass „die ganze Waffenrüstung Gottes" (Epheser 6), die nötig ist, um an dem bösen Tage zu widerstehen, vor allem in einem guten Zustand unserer Seele besteht; davon hängt der Sieg ganz und gar ab. Worte allein tragen nicht den Sieg davon; dazu bedarf es eines Lebens, das Christus gewidmet ist und in Seiner Gemeinschaft gelebt wird.
„Denn gewisse Menschen haben sich neben eingeschlichen, die schon vorlängst zu diesem Gericht zuvor aufgezeichnet waren, Gottlose, welche die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren und unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesum Christum verleugnen" (V. 4). Diese Menschen hatten sich unter die Gläubigen eingeschlichen, indem sie "verderbliche Sekten neben einführten" (2. Petrus 2,1). Aber das Wort offenbart uns in Bezug auf diese Menschen, dass sie vor alters, vorlängst schon, d. h. lange bevor sie wirklich hereingekommen sind, "zu diesem Gericht zuvor aufgezeichnet" waren. Dieser Ausdruck bedeutet keineswegs, dass Gott sie zum ewigen Gericht zuvor bestimmt hat; das ist ein großer Irrtum, der einen Teil der Lehre Calvins ausmachte.
Unsere Stelle will vielmehr sagen, dass Gott von diesen Bösen der Endzeit zuvor gesprochen und das Urteil, das auf ihnen ruhen sollte, schon vor alters angekündigt hatte, und dass sie infolgedessen verdammt werden. Als zum ersten Mal in dieser Welt ein Prophet (Henoch) erweckt wurde, kündigte er an, dass über die Bösen unserer Tage ein Strafurteil und in seiner Folge ein schreckliches Gericht kommen werde. O könnten ihnen nur beizeiten die Augen geöffnet werden, dass sie das Los, das sie bedroht, erfahren und den Abscheu erkennen, den Gott vor ihren Lehren hat, und den Er durch die Tatsache bewiesen hat, dass Er von Anbeginn der Welt an, vor der Flut schon, die heute gelehrten Grundsätze verurteilte!
Diese Menschen sind „Gottlose, weiche die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren und unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus verleugnen". Zwei Charakterzüge des Bösen werden hier angedeutet, damit wir jene Menschen leicht erkennen können. Denn die Gottlosen, von denen der Apostel spricht, sind die Menschen unserer Tage, die nicht unter der Herrschaft des Gesetzes, sondern in dem Zeitalter der Gnade geboren sind. Aber was machen sie mit der Gnade? Sie verachten sie, lassen die sittlichen Verpflichtungen, die sie ihnen auferlegt, völlig unbeachtet und benutzen sie, um sich einer zügellosen Verderbtheit hinzugeben.
Das zweite Merkmal der Gottlosen ist, dass sie „unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus verleugnen". Dieser Ausdruck kommt mehrmals im Laufe dieses Briefes vor. Das Wort sagt hier nicht, dass die Gottlosen die Person Christi verleugnen, sondern dass sie Ihn als unseren alleinigen Gebieter und Herrn verleugnen. Sie wollen Seine Autorität nicht, und das ist das charakteristische Kennzeichen der Christenheit vor der endgültigen Offenbarung des Abfalls. Diese Menschen suchen die Autorität nur in sich selbst und in dem, was sie ihr Gewissen nennen. Das ist „die Gesetzlosigkeit", von der Johannes in seinem ersten Brief (Kap. 3,4) spricht, der eigene Wille, oder die Abweisung eines jeden Gesetzes außer sich selbst, indem jeder sich selbst ein Gesetz ist. Die Rechte Christi werden so mit Füßen getreten. Sein Wort bildet nicht die Richtschnur.
Jeder ist frei, es zu beurteilen, davon zu nehmen, was ihm gefällt, und zu verwerfen, was ihm nicht gefällt. Vergessen wir nicht, dass diese „Gottlosen" in ihrem Bekenntnis oft der größten Bewunderung und der tiefsten Ehrerbietung für die Person Jesu Ausdruck geben, während sie zugleich die Herrschaft Christi verwerfen. Angesichts des Wortes, das Ihn offenbart, behalten sie sich das Recht und die Autorität vor, zu urteilen, was doch Gott allein zukommt. Ihre Religion ist also die Erhöhung des Menschen, und darin schreitet sie fort bis zu dem Tag, wo "der Mensch der Sünde sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, dass er Gott sei" (2. Thes. 2, 4).
Nachdem der Apostel so die beiden Charakterzüge der "Gottlosen", das Verlassen der Gnade und die Verwerfung der Autorität des Herrn, gezeigt hat, geht er zu dem Gericht des Bösen über; aber zunächst stellt er fest, dass von Seiten Gottes dem Menschen kein Hilfsmittel gefehlt hat. Die Geschichte des Volkes Israel bezeugte das. Gott hatte das Volk durch die Erlösung aus Ägypten gerettet; warum war es denn in der Wüste vertilgt worden? Weil sie nicht geglaubt hatten; der Mangel an Glauben lag ihrem Gericht zugrunde, denn es gibt keine wirkliche Segnung, die nicht vom Glauben abhängt.
Wie bei Israel, so bildet auch bei der bekennenden Christenheit der Unglaube die Grundlage ihres Gerichts; aber vor allem will der Apostel den Abfall, die Folge dieses Unglaubens, und die Gerichte, die ihn treffen, kennzeichnen. "Gott", sagt er, "hat Engel, die ihren ersten Zustand nicht bewahrt, sondern ihre eigene Behausung verlassen haben, zum Gericht des großen Tages mit ewigen Ketten unter der Finsternis verwahrt" (V. 6). Das Aufgeben unseres ersten Zustandes, unter welcher Form es sich auch vollziehen möge, ist der Abfall. Der Apostel bezieht sich hier auf geheimnisvolle Ereignisse, die im 1. Buch Mose berichtet werden, und die das Wort in Dunkel versunken sein lässt, wie auch die gefallenen Engel, weiche die Urheber dieser Verirrungen gewesen sind. Es kommt uns nicht zu, den Schleier zu lüften, aber was wir wissen, ist, dass das Gericht des großen Tages diese verderbten Geister treffen wird, wie die Strafe des ewigen Feuers die gottlosen Städte Sodom und Gomorra schon getroffen hat, die in der selben Weise wie jene gehandelt hatten (V. 7). Wir finden also hier zwei Arten von Gericht, das eine zukünftig, das andere unmittelbar und schon endgültig, das eine unter der Finsternis in Ketten, in Erwartung des göttlichen Gerichtsurteils, das andere gegenwärtig mittelst des Feuers, das ein ewiges Feuer ist.
Judas wendet sich nun zu den Bösen, die zu seiner Zeit lebten, und deren Charakter bis zum Endgericht immer deutlicher hervortritt. "Gleicherweise beflecken auch diese Träumer das Fleisch und verachten die Herrschaft und lästern Herrlichkeiten" (V. 8). Er nennt sie Träumer, Leute, die nicht durch die Wahrheit geleitet werden, sondern durch eine Einbildungskraft, die keine Regel kennt. Sobald der Mensch das Wort Gottes aufgibt, hat er keinen Grund mehr, sich nicht unvernünftigen Geschwätzen und Fabeln hinzugeben. [1] Diese Träumer haben zwei bereits in Vers 4 erwähnte Kennzeichen: sie beflecken das Fleisch, verachten die Herrschaft und lästern Herrlichkeiten. Das Verachten der Herrschaft Christi hat zur schlimmen Folge ein beleidigendes Verhalten gegenüber den Herrlichkeiten (oder Würden, Gewalten), wogegen es dem Christen, der die Autorität des Herrn anerkennt, nicht schwer wird, sich der Herrschaft solcher, die von Ihm eingesetzt sind, zu unterwerfen.
Diese Gewalten mögen blutdürstige Tyrannen oder Obrigkeiten ohne Sittlichkeit sein, aber der Gläubige wird sich ihnen unterwerfen, ausgenommen in den Dingen, wo der Gehorsam gegen Gott an die Stelle der Unterwürfigkeit tritt, die man den Menschen schuldig ist. Sogar Michael, der Erzengel, wagte nicht ein lästerndes Urteil über Satan zu fällen, als dieser sich des Leibes Moses bemächtigen wollte, ohne Zweifel um das Volk aufs Neue dadurch zum Götzendienst zu verführen.
„Diese aber", fährt der Apostel fort, "2ästern was sie nicht kennen; was irgend sie aber von Natur wie die unvernünftigen Tiere verstehen, darin verderben sie sich" (V. 10). Das Wort „diese" nimmt einen sehr wichtigen Platz in diesem kurzen Briefe ein. Es bezeichnet die Menschen, die sich gegen Gott erheben von den Tagen Judas an, durch unsere Zeit hindurch, bis zu dem Augenblick der Ankunft des Herrn zum Gericht. Diese Menschen sind also in unseren Tagen da. Petrus spricht in seinem zweiten Briefe in derselben Weise von ihnen: "Diese aber, wie unvernünftige, natürliche Tiere, geschaffen zum Fang und Verderben, lästernd über das, was sie nicht wissen, werden auch in ihrem eigenen Verderben umkommen" (Kap. 2,12). Mit weichen Ausdrücken der Verachtung behandelt der Geist Gottes diejenigen, deren Stolz sich gegen Gott zu erheben wagt, die sich brüsten mit ihrer Einsicht und sich auf die Stufe der unvernünftigen Tiere erniedrigen, indem sie meinen, der Mensch, der sich Gottes entledigt, könne verständig sein.
Der Apostel fügt hinzu: "Wehe ihnen!" denn Gott muss sie verachten, und sie ziehen sich Sein Gericht zu. Der Herr hat manches Wehe über die Bewohner Jerusalems und die Städte von Galiläa ausgesprochen, wie die Propheten des Alten Testamentes über das jüdische Volk, und über die Nationen-, hier aber und in der Offenbarung (Kap. 8,13) er geht das Wehe über die Christenheit und es ist ein schrecklicheres Wehe als alle früheren, weil den christlichen Völkern höhere Vorrechte verliehen worden sind als jenen.
Liebe Freunde! Fühlt ihr das Wehe, das auf der verchristlichten Welt ruht, in deren Mitte ihr zu leben berufen seid? Ist es euch zum Bewusstsein gekommen?
„Wehe ihnen! denn sie sind den Weg Kains gegangen und haben sich für Lohn dem Irrtum Balaams überliefert, und in dem Widerspruch Korahs sind sie umgekommen" (V. 11). In diesem Verse finden wir drei Beispiele, die uns den Fortschritt des Bösen beschreiben, von seinen Anfängen bis zum Abfall - drei Schritte, die den Menschen zur schließlichen Empörung gegen Gott und gegen Christus führen.
Der erste Fall ist derjenige Kains. Die Religion Kains will nicht zugeben, dass der Fluch Gottes der Sünde wegen auf dem Menschen und auf der Welt ruht. Kain tritt vor Gott in der falschen Meinung, dass ein Sünder aus sich selbst seine Sache mit Ihm in Ordnung bringen könne; er bringt sein schönstes Getreide, die Frucht seiner Tätigkeit und seiner Anstrengungen, als ein Opfer Gott dar. Diese Religion, der Beginn des Abfalls, unterscheidet sich nicht von derjenigen der Menschen unserer Tage, denn von "diesen" spricht der Apostel, wenn er sagt: "Sie sind den Weg Kains gegangen".
Ihre Religion besteht darin, durch ihre Werke ihre Sache mit Gott ins reine zu bringen. Unter Verachtung Seines ausdrücklichen Wortes nimmt diese Religion dem Gewissen den Gedanken an ein unvermeidliches Gericht. Doch das Beispiel Kains hat noch eine andere Bedeutung. Das treue Zeugnis Abels für die Rechtfertigung aus Glauben wird die Veranlassung zu dem Hass Kains gegen seinen Bruder, ein Bild des Hasses der Welt gegen die Gläubigen, wie auch des Hasses des jüdischen Volkes gegen Christus. Dieser Hass gegen den aus Gott Geborenen kennzeichnet besonders die letzten Zeiten im ganzen Buch der Offenbarung.
Wenn Kain den Zustand der gesamten religiösen Welt darstellt, so hat der Fall Bileams eine beschränktere Tragweite. Er stellt, wenn ich mich so ausdrücken darf, das kirchlich Böse dar. Wir wissen, was Bileam war: ein Prophet; nicht ein falscher Prophet, denn er hatte seine Gaben von Gott empfangen, aber, indem er sie mit götzendienerischen Gebräuchen verband, "ging er auf Wahrsagerei aus". Er, der die Gedanken Gottes kannte, [ehrte mit Wissen und Willen Irrtümer; und zu weichem Zweck? Für Lohn! Er wurde für seine Belehrung, die dazu bestimmt war, das Volk Gottes zu vernichten, bezahlt. dass Satan seine Hand dabei im Spiele hatte, machte für Bileam wenig aus, wenn er sich nur dadurch bereicherte. „Er liebte", sagt Petrus, „den Lohn der Ungerechtigkeit." Die Offenbarung enthüllt uns einen zweiten Charakterzug Bileams, eine notwendige Entwicklung des ersteren. Sie spricht von der „Lehre Balaams, der den Balak lehrte, ein Ärgernis vor die Söhne Israels zu legen, Götzenopfer zu essen und Hurerei zu treiben" (Kap. 2, 14). Sie teilt uns mit, was das 4. Buch Mose mit Stillschweigen übergeht, dass Bileam, als er sah, dass sein Lohn ihm entgehen sollte, dem Balak den Rat gab, Israel durch die Töchter Moabs zu verführen, um das Volk dahin zu bringen, sich vor dem Baal-Peor niederzuwerfen (4. Mose 25,1 - 4).
Wie traurig ist es, feststellen zu müssen, dass das Lehren des Irrtums gegen Lohn einer der Züge des Abfalls ist und zum Christentum unserer Tage gehört! Man sieht Menschen die Kanzel besteigen, welche die wichtigsten Glaubenswahrheiten leugnen und den Irrtum lehren, indem sie ihn in Worte kleiden, die geeignet und dazu bestimmt sind, die Einfältigen über das darin enthaltene Gift zu täuschen. Dieser Irrtum ist nicht etwas Zukünftiges, er begann schon in den Tagen Judas hervorzutreten. Er besteht heute, und das Wort Gottes spricht sein Wehe aus über die, welche ihn verbreiten.
Bei Korah finden wir gleichsam den letzten Schritt im Bösen: „In dem Widerspruch Korahs sind sie umgekommen". Korah war ein Levit, der den Ehrgeiz hatte, die Würde Aarons im Hohepriestertum an sich zu reißen. Er wollte über das Volk Gottes herrschen, indem er sich eines Amtes bemächtigte, weiches zu seiner Zeit dem Bruder Moses zuerteilt worden war und jetzt Christus verliehen ist. Wir lesen ferner im 4. Buch Mose, dass er sich mit den Rubenitern, Dathan und Abiram verbunden hatte, die sich gegen Mose erhoben und sich ausdrücklich weigerten, ihm zu gehorchen.
Moses war zu seiner Zeit der wahre König in Israel (5. Mose 33,5). Heute ist dieser wahre König Christus; Ihm ist die Autorität von Seiten Gottes anvertraut. Korah, Dathan und Abiram verweigerten ihm den Gehorsam. Das ist das Bild der offenen Empörung gegen Christus, der letzte Charakterzug des Abfalls, der teilweise noch zukünftig ist. Der Tag ist nahe, wo die Christenheit nichts mehr von Ihm wissen will, weder als Priester, noch als König, noch als Gott. Sie wird den Vater und den Sohn leugnen. Dieser letzte Charakterzug, der Abfall Korahs, ist der schlimmste von allen. Man sieht an den Gerichten, die über diese verschiedenen Personen kommen, wie Gott ihre Taten einschätzt. Kain, von Gott verflucht, ist unstet und flüchtig auf der Erde; Bileam fällt durch das Schwert Israels mit den Königen von Midian; Korah und seine Genossen verschlingt die Erde, und sie fahren lebend in den Scheol hinab, als Vorläufer ihres letzten Vertreters, des Antichristen, den dasselbe Los im Feuersee ereilen wird.
Das ist, liebe Freunde, die Entwicklung der Grundsätze des Bösen. Es ist nötig, dass wir alle uns Rechenschaft darüber geben, was die Weit in Bezug auf Gott ist, sowie über das Los, das sie erwartet; und wenn wir das tun, so wird ihre Zukunft uns mit tiefem Mitleid erfüllen und, wie wir am Ende dieses Briefes sehen werden, mit einem brennenden Eifer, die zu ihr gehörenden Seelen zu retten. Aber andererseits werden wir ihre Freundschaft nicht suchen in dem Augenblick, da das Gericht über ihrem Haupt schwebt. Bei der Empörung Korahs sagt Moses zu dem Volk: "Weichet doch von den Zelten dieser gesetzlosen Männer!" (4. Mose 16,26) Wäre wohl ein Israelit dem Wort Jehovas gehorsam gewesen, wenn er jenen Männern die Hand gedrückt und sich zu ihrem Freunde erklärt hätte? Hätte ein solcher Ungehorsam ihn nicht in die Gefahr gebracht, ihr Los zu teilen?
„Diese", fährt der Apostel fort, "sind Flecken bei euren Liebesmahlen, indem sie ohne Furcht Festessen mit euch halten und sich selbst weiden; Wolken ohne Wasser, von Winden hingetrieben; spätherbstliche Bäume, fruchtleer, zweimal erstorben, entwurzelt; wilde Meereswogen, die ihre eigenen Schändlichkeiten ausschäumen; Irrsterne, denen das Dunkel der Finsternis in Ewigkeit aufbewahrt ist" (V. 12.13).
Alle diese Beispiele der Endzeit beziehen sich, gleich den ehemals aus dem Munde des Propheten Henoch hervorgegangenen Worten, auf "diese", das heißt auf die Menschen der letzten Zeiten, und diese Zeiten sind für uns die, in denen wir leben. Der Apostel fügt seinem Gemälde einen allgemeinen Zug hinzu, der die heutige Welt in besonderer Weise kennzeichnet; es ist die beständige Unruhe und die rastlose Bewegung. Sie sind, sagt er, wasserlose Wolken, von Winden hingetrieben, wilde Meereswogen. Jesajas gibt demselben Gedanken Ausdruck in den Worten: "Die Gesetzlosen sind wie das aufgewühlte Meer; denn es kann nicht ruhig sein, und seine Wasser wühlen Schlamm und Kot auf“ (Jesaja 57,20). Wenn sie Wurzel zu fassen scheinen, so sind sie „zweimal erstorbene, entwurzelte Bäume".
Ja, die Welt unserer Tage macht das perpetuum mobile, die ewige Bewegung, zur Wirklichkeit, und ihr Lauf beschleunigt sich immer mehr. Gleich ihren Eisenbahnen, ihren Automobilen usw. rast sie dahin, dem Abgrund entgegen; sie fürchtet sich, in ihrem schwindelerregenden Lauf einen einzigen Augenblick dem Nachdenken zu widmen, um sich zu fragen, wohin es mit ihr geht. Ach! den Irrsternen gleich wird sie in der ewigen Finsternis verschwinden. Der Christ allein besitzt Ruhe in dieser Welt, weil seine Ruhe in Christus ist. Sein Herz und sein Gewissen haben auf den Felsen der Zeitalter, das ewige Fundament des Glaubens, gebaut.
Von „diesen", den Menschen unserer Tage, hat auch Henoch, der siebente von Adam, geweissagt: "Siehe, der Herr ist gekommen inmitten seiner heiligen Tausende, Gericht auszuführen wider alle und völlig zu überführen alle ihre Gottlosen von allen ihren Werken der Gottlosigkeit, die sie gottlos verübt haben, und von all den harten Worten, welche gottlose Sünder wider ihn geredet haben" (V. 14.15). Henoch weissagte vor der Flut. Offenbar sah sein Prophetenauge das Gericht, das einige Jahrhunderte später über die Welt hereinbrechen sollte, aber er blickte viel weiter in die Zukunft. Seine Weissagung reicht durch die Jahrtausende hindurch bis in unsere Tage, denn sie redet zu uns von dem Kommen Christi zum Gericht mit Seinen heiligen Tausenden. Henoch erwartete nicht die Flut, durch die er nicht gegangen ist, sondern den Herrn. Auch ist seine Hoffnung in Erfüllung gegangen: er wurde entrückt, ohne durch den Tod zu gehen, und wird mit Christus wiedergebracht werden, wenn Er, von Seinen Heerscharen begleitet, kommen wird, um Seine Rache an den gottlosen Menschen unserer Tage auszuführen.
Nachdem der Apostel die Gottlosen in ihren Beziehungen zu Gott geschildert hat, betrachtet er noch ihren sittlichen Charakter. Diese Prüfung ist sehr wichtig, denn es ist eine alltägliche Erscheinung, dass, sobald man von dem schrecklichen Zustand der Gottlosen redet, Gutgesinnte uns erwidern: Es ist allerdings betrübend, dass jene Leute über diese Dinge anders denken als wir, aber es sind doch ehrbare Menschen, voll Eifer und Hingebung, tadellos in ihrem Verhalten usw. Drückt sich das Wort in gleicher Weise über sie aus? Hören wir, was es uns sagt: "Diese sind Murrende, mit ihrem Lose Unzufriedene, die nach ihren Lüsten wandeln; und ihr Mund redet stolze Worte, und vorteilshalber bewundern sie Personen" (V. 16).
„Mit ihrem Lose unzufrieden" - ist es nicht tatsächlich das, was heutzutage die ohne Gott lebende Welt mehr und mehr kennzeichnet? Ein Schleier von Unzufriedenheit und bitterem Trübsinn breitet sich überall über die Geister aus; man sucht ihn durch eine fieberhafte Tätigkeit zu entfernen, aber es will nicht gelingen. Hat man je in der Welt einen glücklichen Menschen gefunden? Aber weiter: der Gedanke, dass andere erreicht haben was sie begehren, erzeugt Neid in ihrem Herzen: "Sie sind mit ihrem Lose unzufrieden". Der Apostel fügt hinzu, dass sie "nach ihren Lüsten wandeln, während ihr Mund stolze Worte redet". Die Prahlerei, die Selbstbefriedigung, das Pochen auf die Tugend gehen einher mit dem verborgenen Trachten nach Befriedigung der geheimen Lüste ihres Herzens. Ferner: „vorteilshalber bewundern sie Personen". Ist das nicht der Brauch der Welt? Man zeigt Bewunderung für die anderen, man sagt ihnen angenehme Worte wegen des Vorteils, den die Schmeichelei einbringt.
Wir haben diese betrübende Aufzählung der Grundzüge des Bösen, die in unseren Tagen bereits in weitem Maße entwickelt sind, aber im Begriff stehen, sich in unwiderstehlicher Eile zu entfalten, bis zum Ende hin verfolgt. Es geht mit dem Abfall wie mit den Lawinen, die man auf den Bergen sich bilden sieht. Anfänglich sind es nur einige Stückchen Eis, die auf einem mit Schnee bedeckten Abhang dahin rollen. Diese Stückchen reißen andere mit sich fort, und schon im nächsten Augenblick eilt eine gewaltige Masse, ein reißender Strom, mit schwindelerregender Schnelligkeit voran und erdrückt auf seinem Wege alles, bis er das Tal mit seinen Trümmern anfüllt. Diesen moralischen Zusammenbruch hat die Welt jeden Augenblick zu erwarten.
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Aus einem alten Briefe
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 304ff
Geliebter Bruder! — Du fragst, wie es mir in Eurer Mitte gefallen habe. Ich kann Dir antworten, dass ich im Allgemeinen unter Euch erquickt und gesegnet worden bin. Besonders erfreute mich die gegenseitige Offenheit. Es ist sicher eine schöne Sache, wenn einer dem anderen ins Herz schauen darf. Der Charakter des brüderlichen Verhältnisses erfordert dies auch, ohne daran zu erinnern, dass in Christo noch innigere Bande uns vereinigt haben. Und ich kann Dir sagen, dass ich mich immer beengt fühle, wenn es unter Brüdern so fremd und kalt hergeht, wenn einer den anderen fürchtet, oder wenn man schweigt, aus Furcht, man möchte sich nicht schön und gelehrt genug ausdrücken. Das ist mir immer peinlich und ist sicher nicht, wie Jakobus schreibt, die Weisheit von oben.
Ich meine immer, die Herzen müssten sich begegnen und nicht nur die freundlichen Blicke. Überdies, wer sich so gern versteckt, mag wohl zusehen, ob er nicht das Licht scheut. Damit will ich nicht sagen, dass der, welcher sein Herz, wie man sagt, auf der Zunge trägt und in den Tag hineinspricht, nicht oberflächlich und leichtfertig genannt werden muss.
Was nun das gegenseitige Aussprechen, wie Ihr es nanntet, betrifft, so hat das gewiss seinen großen Segen, wenn es immer im rechten Geiste geschieht. Doch darüber haben wir sehr zu wachen. Ist ein Geist· des Richtens wirksam, so geht’s gewiss ohne Schaden nicht her. Wer einen solchen Geist bei sich entdeckt, der schweige lieber und denke zuerst an den Balken im eigenen Auge. So lange dieser vorhanden ist, sehen wir nicht klar, um den Splitter aus des Bruders Auge wegnehmen zu können. Wenn man nun aber ohne Mitgefühl, oder gar mit Wohlgefallen die Fehler jemandes ans Licht zu stellen sucht, so beweist das in der Tat einen traurigen Zustand des Herzens. Das ist wahrlich nicht der Geist Christi. Dieser Geist offenbart sich in Liebe, Gnade und Sanftmut. So handelte und handelt Er stets gegen die Seinigen, und zwar gegen die schwächsten am meisten, weil sie es am meisten bedürfen. Sicher geziemt sich auch für uns, die wir Sein sind und Seinen Geist besitzen, keine andere Gesinnung.
Was könnte auch den fehlenden Bruder bessern, wenn nicht die Liebe? Wodurch könnte er gewonnen werden, wenn nicht durch den Geist der Sanftmut und Gnade? In der Tat sollte bei einem fehlenden Bruder, wenn er von einem anderen ermahnt wird, nie der Gedanke Raum gewinnen können, dass er vor einem Richter stehe. Er muss fühlen, dass es ein geliebter und liebender Bruder ist, der ihn ermahnt. Leitet uns bei der Beschäftigung mit den Fehlern anderer nicht allein die Liebe zu den Seelen und die Sorge für die Ehre Gottes, so sind wir zu einem solchen Dienst unfähig.
Nur Liebe zum Herrn und Liebe zu den Seinigen darf die gesegnete Triebfeder unserer Handlungen sein. Ohne Liebe hat nichts vor Gott Wert. Darum ist auch durch den Heiligen Geist Seine Liebe in unsere Herzen ausgegossen; und der Apostel Petrus ruft uns die herzliche Ermahnung zu: „So liebet einander mit Inbrunst aus reinem Herzen“. Wir werden umso geschickter dazu, je mehr wir die vollkommene Liebe Dessen betrachten, der mit Seinem eigenen Blut uns von unseren Sünden gewaschen hat, und der uns stets mit vollkommener Liebe trägt und pflegt. Je mehr wir in der Erkenntnis und dem Genuss dieser Liebe zunehmen, desto mehr werden unsere Herzen weit in der Liebe gegen andere. Seine Liebe ist die einzige Quelle und das allein würdige Vorbild der unsrigen. O möchten unsere Herzen nur recht begierig fein, stets aus dieser Quelle zu schöpfen und Ihn anzuschauen!
Zum Schluss möchte ich, geliebter Bruder, noch mit wenigen Worten auf eine Sache kommen, die keinen guten Eindruck auf mich gemacht hat; und ich weiß, Du wirst es in Liebe aufnehmen, wenn ich mich darüber offen ausspreche. Es schien mir nämlich, als wenn bei Euren Zusammenkünften die Herzen zu wenig von dem Gefühl der Gegenwart des Herrn durchdrungen wären. Dies fiel mir besonders kurz vor und nach der Versammlung am Sonntagmorgen auf. Fast auf den meisten Gesichtern der Eintretenden war deutlich zu lesen, dass sie nicht von dem Gedanken erfüllt waren: Ich komme dahin, wo Jesus mit den Seinigen versammelt ist. Auch das Benehmen und die Unterhaltungen einiger vorher verrieten, dass der Gedanke an den Ernst der bevorstehenden Stunde nicht die Herzen beherrschte. Ebenso war es nach Schluss der Versammlung. Es schien, als wenn das, was noch kurz vorher die Herzen bewegt hatte, plötzlich verschwunden wäre. Das Benehmen und die Gespräche trugen mehr oder weniger einen weltlichen Charakter, und man hätte veranlasst werden können zu glauben, man sei auf einmal in eine ganz andere Umgebung versetzt worden, in eine Versammlung, die nicht soeben erst aus der Gegenwart des Herrn komme.
Ich verwerfe gewiss alles gesetzliche Wesen, alles Gemachte und Gezwungene, aber es geziemt uns, stets so zu erscheinen, wie es der Gegenwart des Herrn angemessen und vor Ihm wohlgefällig ist, und dies besonders, wenn wir uns um den Herrn und Sein Wort scharen. Wenn wir bekennen, frei von allen menschlichen Formen und Satzungen uns allein im Namen Jesu zu versammeln und von Seiner Gegenwart jede Segnung zu erwarten, so müssen wir auch beweisen, dass uns das Bewusstsein dieser Gegenwart mit dem ihr angemessenen Ernst erfüllt. Anders hat die Erkenntnis dieser gesegneten Wahrheit keinen Wert für uns, sie dient vielmehr zum Unsegen für uns und zur Unehre für den Herrn.
Ich weiß, geliebter Bruder, dass es Euer aller Begehren ist, dem Herrn in allem wohlzugefallen, und bin deshalb versichert, dass auch diese Zeilen Dir und den übrigen Brüdern Veranlassung geben werden, über diesen beherzigenswerten Gegenstand nachzudenken. Die Gnade des Herrn sei mit Euch und wolle Euch in allem leiten! . . .
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Auf allen Pfaden
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo 1909, S. 308ff
Auf allen Pfaden wo ich auch bin
fließt`s wie ein Gnadenstrom über mich hin.
Tauche mich in Segen – kostbare Flut!
Nimm allerwegen mein Leben in Hut.
Schafft aus der Steppe blühendes Land,
wandelt zur Schleppe der Armut Gewand.
Weckt mich am Morgen, gibt mir Geleit,
scheucht alle Sorgen, versüßet das Leid.
Reichet mir immer Stecken und Stab,
dass ich nun nimmer Mangel mehr hab.
Herrliche Fülle! Gnade allein
wird mir zur Hülle, schließet mich ein.
Auf allen Pfaden, wo ich auch bin,
fließt`s wie ein Gnadenstrom über mich hin.
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Der Brief an Judas
Bibelstelle: Judas
Botschafter des Heils in Christo 1909, S. 309ff
Wir haben den gegenwärtigen Zustand der Christenheit und das Gericht, das sie sich zuzieht, gesehen. Jetzt wendet sich der Apostel an die Treuen, an alle Berufenen Jesu Christi, um sie zu ermahnen: "Ihr aber, Geliebte, gedenket an die von den Aposteln unseres Herrn Jesu Christi zuvor gesprochenen Worte" (V. 17). Dieses Wort "ihr aber" bezeichnet den Gegensatz zu "diese". Euch alle, so viele ihr Kinder Gottes seid, belehrt hier der Heilige Geist darüber, was ihr zu tun habt und was euer Schutz ist angesichts des zunehmenden Bösen. Er führt euch zum Wort Gottes zurück, so wie es euch in dem Neuen Testament durch die Apostel unseres Herrn Jesu Christi überliefert worden ist. Der 2. Brief des Petrus, der dieselbe Ermahnung enthält, fügt dem Neuen Testament den Inhalt des Alten hinzu: "Damit ihr", so heißt es dort, "gedenket der von den heiligen Propheten zuvor gesprochenen Worte und des Gebotes des Herrn und Heilandes durch eure Apostel" (Kap. 3,2). Ebenso entspricht der 18. Vers unseres Briefes: „dass sie euch sagten, dass am Ende der Zeit Spötter sein werden, die nach ihren eigenen Lüsten der Gottlosigkeit wandeln", dem in 2. Petrus 3,3 Gesagten: "Zuerst dieses wissend, dass in den letzten Tagen Spötter mit Spötterei kommen werden, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln".
Wir haben uns daran zu erinnern, dass "am Ende der Zeit“ oder "in den letzten Tagen" Spötter kommen werden. Ihr gegenwärtiges Auftreten beweist deutlich, dass wir bei den letzten Tagen angelangt sind. Diese Tatsache hat eine doppelte Wirkung. Einerseits fühlen wir eine große Erleichterung bei dem Gedanken, dass in kürzester Frist all dieses Böse aufhören wird und dass wir in die Herrlichkeit unseres Herrn Jesu Christi eingehen werden, andererseits aber ist die Feststellung dieser letzten Form des Bösen außerordentlich ernst und muss uns alle dahin bringen, auf der Hut zu sein.
Das 3. Kapitel des 2. Petrusbriefes gibt uns eine ins Einzelne gehende Beschreibung dieser Spötter: "Es werden Spötter mit Spötterei kommen, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln und sagen: Wo ist die Verheißung Seiner Ankunft? Denn seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so von Anfang der Schöpfung an." Es sind nicht, wie man meinen könnte, Leute, die mit allem Scherz treiben und göttliche Dinge ins Lächerliche ziehen; diese Geistesrichtung war vor ungefähr hundert oder hundertfünfzig Jahren in der Mode. Die Spötter der letzten Tage sind ernsthafte Spötter, die das Wort Gottes im Namen der Wissenschaft und der Vernunft verwerfen und nur das für glaubwürdig halten, was sie sehen.
Sie glauben an das ewige Bestehen der Materie, weil sie sich nicht geändert hat "von Anfang der Schöpfung an". Wenn sie zuweilen Hochachtung für die Person Jesu Christi an den Tag legen, als einer geschichtlichen und urkundlich erwiesenen Persönlichkeit, so ist doch für sie Seine Laufbahn mit dem Tode beendigt. Sie verwerfen Seine Auferstehung und infolge dessen Seine Ankunft.
„Diese sind es, die sich absondern, natürliche Menschen, die den Geist nicht haben (V. 19). Als Judas schrieb, bestand die christliche Versammlung noch als ein Ganzes und enthielt Menschen, die sich absonderten. Vergesst nicht, teure Freunde, dass es zwei Arten der Absonderung gibt, deren eine von Gott gebilligt wird, während Er die andere verurteilt. Die erste ist die Absonderung von der Welt, wie geschrieben steht: "Darum gehet aus ihrer Mitte und sondert euch ab, spricht der Herr, und rühret Unreines nicht an, und ich werde euch aufnehmen; und ich werde euch zum Vater sein, und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der Allmächtige" (2. Korinther 6,17.18). Die andere ist die Absonderung dieser "natürlichen Menschen, die den Geist nicht haben", und zwar aus der Mitte der Christen. Sie hatten sich unter die Gläubigen eingeschlichen, ohne zu ihnen zu gehören, und bildeten in ihrer Mitte "verderbliche Sekten' , während sie an den Liebesmahlen teilnahmen und den Kreis, in dem sie sich eingedrängt hatten, und der sie nie hätte zulassen sollen, verdarben. Der 1. Johannesbrief zeigt uns einen zweiten Schritt in der Absonderung dieser Menschen: "Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns; denn wenn sie von uns gewesen wären, so würden sie wohl bei uns geblieben sein" (1. Johannes 2,19). Die Pflicht eines jeden Christen in der gegenwärtigen Zeit ist, von solchen Menschen abgesondert zu sein - sie weder in den Versammlungen der Gläubigen zuzulassen, noch sich auf dem Boden, auf dem sie stehen, mit ihnen zu verbinden. Aber wird so gehandelt? Ach! der schädliche Einfluss der "natürlichen Menschen, die den Geist nicht haben", wird heute inmitten der bekennenden Christenheit geduldet und zugelassen!
Nachdem das Wort Gottes uns gewarnt hat, ermahnt es uns und zählt unsere Hilfsquellen gegenüber dieser Sachlage auf. Wir finden hier wieder die kostbare Wahrheit, von der wir bereits gesprochen haben, dass Gott inmitten einer im Verfall befindlichen Christenheit durch die Seinigen völlig verherrlicht werden kann. "Ihr aber, Geliebte, euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben, betend im Heiligen Geiste ..." (V. 20). Die erste Ermahnung ist, uns zu erbauen auf unseren allerheiligsten Glauben, auf das, was "den Heiligen einmal überliefert" worden ist (V. 3). Es ist klar, dass das, was sich in unseren Herzen vorfindet, ein armseliges Fundament ist, auf dem wir uns nicht erbauen können. Dagegen ist dieser Glaube die christliche Lehre, die in dem uns anvertrauten Wort enthalten ist, ein allerheiligster Glaube, weil der Herr uns mittelst desselben gänzlich von der Welt für Sich absondern will. "Heilige sie durch die Wahrheit", sagt Jesus, "dein Wort ist Wahrheit." Das ist unser erstes Hilfsmittel, um den Herrn zu verherrlichen.
Die zweite Ermahnung ist: "betend im Heiligen Geiste". Wenn Gott uns für sich heiligt oder absondert durch Sein Wort, die Heiligen Schriften, so tut Er es auch durch das Gebet. Es drückt unsere Abhängigkeit von Gott aus. Durch das Gebet nahen wir Ihm und stellen Ihm unsere Bedürfnisse vor. So treten wir in unserem täglichen Leben in unmittelbare Beziehung zu Ihm; jedoch kann das Gebet nur dann wirksam sein, wenn es im Heiligen Geist geschieht. Auf diese Weise werden wir geheiligt, für Gott abgesondert, zunächst durch das Wort, dann durch die beständige Ausübung des Gebets.
Die dritte Ermahnung: "erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes", ist von der höchsten Bedeutung. Der Heilige Geist hat diese Liebe in unsere Herzen ausgegossen, und wir sollen uns darin erhalten, indem wir darüber wachen, dass wir nicht das Geringste in unsere Herzen sich eindrängen lassen, was den Genuss dieser Liebe stören könnte.
Die vierte Ermahnung lautet: "erwartend die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesu Christi zum ewigen Leben" (V. 21). So enthält diese ganze Stelle die drei Charakterzüge des Kindes Gottes, die im Neuen Testament so oft erwähnt werden: Glaube, Liebe und Hoffnung. Die letzte ist ebenso wichtig wie die beiden anderen; sie erwartet das ewige Leben, in das nur die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesu Christi uns einführen kann. Das ewige Leben ist hier nicht, wie in den Schriften des Johannes, das was der Christ besitzt, sondern das, worin er eintreten wird, während er es hienieden nur unvollkommen genießt. - Lasst uns auch beachten, dass in diesen beiden Versen unsere Hilfsmittel in unseren Beziehungen zu dem Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geist bestehen.
Doch wir haben als Christen auch Pflichten gegenüber denen, die streiten, und Pflichten gegenüber unseren Brüdern: "Und die einen, weiche streiten, weiset zurecht, die anderen aber rettet mit Furcht, sie aus dem Feuer reißend, indem ihr sogar das von dem Fleische befleckte Kleid hasset" (V. 22.23). Was die Spötter betrifft, die streiten, wie einst Satan, ihr Meister, mit dem Erzengel Michael stritt, so haben wir sie, gleich diesem, mit den Worten zurechtzuweisen: "Der Herr schelte dich!" Es ist unnütz, sie zu überzeugen zu suchen. Wir leben gewissermaßen schon in der Zeit, von der gesagt wird: "Wer unrecht tut, tue noch unrecht, und wer unrein ist, verunreinige sich noch" (Off. 22,11). Wir müssen sie sich selbst überlassen.
Aber die Seelen unserer Brüder können durch diese Streitenden verführt werden, sowie durch ihre falschen Lehren, die das Wort Gottes und die Person des Heilandes angreifen. Was haben wir für sie zu tun? Wir sollen sie mit Furcht retten, indem wir sie aus dem Feuer reißen. Ein Christ hat den Zustand der Namenchristenheit mit einem Hause verglichen, das in Brand geraten ist. Man muss die Bewohner um jeden Preis herausreißen, auf Gefahr des eigenen Lebens; keine Anstrengung darf uns zu viel sein, uns, die wir das Lösegeld dieser Seelen kennen. Es ist nötig, dass sie sich über die Gefahr, die ihnen droht, Rechenschaft geben. Retten wir sie mit Furcht! Das ist unser Hauptzweck, indem wir diesen ernsten Mahnruf an die Christen richten.
Was uns betrifft, so Lasst uns, wenn wir anderen von Nutzen sein wollen, lernen, "sogar das von dem Fleisch befleckte Kleid zu hassen", das ist jede Gemeinschaft zu vermeiden mit einem Bekenntnis (wovon das Kleid immer ein Bild ist), ja, mit einem unreinen Bekenntnis, von dem dieser Brief redet, und das er die Befleckung des Fleisches nennt. (vgl. Off 3,4) So fügt auch der Apostel Paulus in seinem 2. Brief an die Korinther, nachdem er von der Pflicht gesprochen hat, als Familie Gottes von der Weit getrennt zu sein, betreffs unseres persönlichen Zeugnisses hinzu: "Lasst uns uns selbst reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes, indem wir die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes" (Kap. 7, 1).
Gott wolle allen Seinen geliebten Kindern geben, dass sie diese Dinge verwirklichen und dass jeder sich fragt: Trägst du die in diesem Briefe anbefohlenen Charakterzüge angesichts der jetzigen Zeit zur Schau? Wenn wir auf diese Frage nicht mit einem bestimmten Ja antworten können, sollten wir uns dann nicht tief demütigen, weil wir so wenig das offenbaren, was der Herr von uns erwartet?
Doch wenn wir es nicht verstanden haben, uns vor den uns umgebenden schädlichen Einflüssen zu bewahren, so haben wir noch eine Hilfsquelle: Gott bleibt uns. Er allein ist imstande, uns zu bewahren. Lasst uns Vertrauen zu Ihm haben, denn, nicht wahr? auf uns selbst können wir nicht vertrauen. "Dem aber, der euch ohne Straucheln zu bewahren und vor seiner Herrlichkeit tadellos darzustellen vermag mit Frohlocken ...“ (V. 24). Ist es nicht wunderbar, dass dieser Brief, der vor unseren Augen ein Bild von der unaufhaltsamen Entfaltung des Bösen in den letzten Tagen entrollt, uns zugleich die Möglichkeit zeigt, auf einem mit Hindernissen und Schlingen besäten Weg vor jedem falschen Schritt bewahrt zu bleiben? Er ermutigt uns durch die Gewissheit, dass Gott imstande ist, das völlig zu vollenden, was wir unfähig sind zu tun, und uns für die Ewigkeit vor Seiner Herrlichkeit tadellos darzustellen mit Frohlocken.
Welch eine Ermunterung liegt in diesen Worten! Wie köstlich ist es, dass sie für die gegenwärtige Zeit an uns gerichtet sind und nicht für eine Zeit, in der alles verhältnismäßig in Ordnung war! Wie gut, dass wir uns sagen können: Gottes Macht hat sich nicht verändert! Sie lässt sich nicht durch die Umstände verringern und verherrlicht sich umso mehr, je mehr sie sich in einer Zeit der sittlichen Verwüstung und des Verfalls entfaltet. Je größer der Abfall wird, desto notwendiger ist es, kein Vertrauen auf uns selbst zu haben, sondern uns auf Den zu stützen, der uns bewahren und in den ewigen Genuss Seiner Herrlichkeit einführen will.
„Dem alleinigen Gott, unserem Heilande, durch Jesum Christum, unseren Herrn, sei Herrlichkeit, Majestät, Macht und Gewalt vor aller Zeit und jetzt und in alle Ewigkeit! Amen" (V. 25). Man wird keinen Brief im Neuen Testament finden, in dem das Lob des Heiland-Gottes so reich überströmt wie in diesem kurzen Briefe des Judas. Nicht nur kann unser Wandel in diesen bösen Zeiten zur Verherrlichung Gottes sein, sondern wir werden Seine Herrlichkeit umso höher schätzen, je schwieriger die Umstände sind, in denen wir uns befinden. Die Tatsache allein, dass wir an dem Namen unseres Herrn Jesu Christi festhalten und Ihn nicht verleugnen, während Er von allen Seiten angegriffen wird, befähigt uns, diese Herrlichkeit zu verstehen und zu rühmen, und gibt uns den Vorgeschmack von der großen himmlischen Versammlung, wo ähnliche Worte, wie hier, um den Thron her ausgesprochen werden: "Du bist würdig, o unser Herr und unser Gott, zu nehmen die Herrlichkeit und die Ehre und die Macht“ (Offenbarung 4,11). "Würdig ist das Lamm, das geschlachtet worden ist, zu empfangen die Macht und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Segnung." "Dem, der auf dem Throne sitzt, und dem Lamme die Segnung und die Ehre und die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit!" (Kap. 5,12.13).
Geliebte Geschwister, Gott gebe uns, dass wir diese Dinge zu Herzen nehmen, dass wir uns keiner Täuschung hingeben über den Charakter der Tage, in denen wir leben, und dass wir die Ermahnungen dieses Briefes wohl beachten! Dann werden wir, anstatt eine sträfliche Gleichgültigkeit bezüglich des Bösen an den Tag zu legen oder uns entmutigen zu lassen, von Kraft zu Kraft gehen; wir werden die Macht Gottes, und zwar ganz nahe, uns zur Seite haben, die uns führt, uns stützt und uns vor Straucheln bewahrt bis zu der herrlichen Ankunft unseres Herrn Jesu Christi!
Fußnote:
[1] Ist es nicht auffallend, zu sehen, dass In diesem kurzen Brief Gott den Träumereien der Menschen mehrere Offenbarungen gegenüberstellt, die sonst nirgendwo erwähnt werden, wie um zu zeigen, dass allein das, was In dem Rahmen der Schriften enthalten Ist, Wert hat?
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Ich sorge nicht um morgen
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 317ff
Ich sorge nicht um morgen,
der Herr wird für mich sorgen,
Er schenkt mir Kraft für jeden Tag.
Und geht es auch durch Ungemach,
bin ich doch wohlgeborgen.
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Elieser und Rebekka
Bibelstelle: 1. Mose 24
Botschafter des Heils 1909 S. 318ff
In Abraham, als dem eigentlichen Empfänger und Träger der den Patriarchen gegebenen Verheißungen Gottes, finden wir die wesentlichen Grundsätze, welche den Gläubigen: kennzeichnen. In der Opferung seines Sohnes Isaak und darin, dass er ihn zurückerhielt, erblicken wir ein Bild des Todes und der Auferstehung Jesu, der, wie Isaak, der Erbe aller Güter Seines Vaters geworden ist. Rebekka, das Bild der Kirche, wird zur Braut des gleichsam aus den Toten auferstandenen Isaak berufen. Hernach haben wir in Jakob die vorbildliche Geschichte des jüdischen Volkes.
In Abraham tritt uns der Grundsatz der Beziehung des Menschen zu Gott entgegen: reine Gnade ohne Gesetz. Hagar wird eingeführt als ein Bild des später kommenden Gesetzes. Isaak, der von den Toten Auferstandene, zeigt uns Christum, das Haupt, der nach vollendetem Werke in der Lage ist, alle Ergebnisse der göttlichen Ratschlüsse herbeizuführen und aufrecht zu halten.
In dem obengenannten Kapitel sendet Abraham seinen Knecht Elieser aus, um ein Weib für Isaak zu suchen. Elieser stellt den Heiligen Geist dar, welchen der Vater in diese Welt gesandt hat, um die Kirche, „die Braut, das Weib des Lammes“, zu suchen. Isaak geht nicht selbst aus, um sich nach einer Braut umzusehen. So kehrt auch Christus nicht selbst auf diese Erde zurück, um sich Seine Kirche zu erwählen. Rebekka muss ihre Heimat verlassen und in das Land der Verheißung ziehen. Wir erblicken in diesem Kapitel die verschiedenen Züge des Wirkens des Heiligen Geistes, und wie eine Seele unter Seiner Führung geleitet wird. Das eine in Elieser, das andere in Rebekka.
Nachdem Abraham alt geworden war, sagte er zu dem ältesten Knechte seines Hauses, der alles verwaltete, was er hatte: „Lege doch deine Hand unter meine Hüfte, und ich werde dich schwören lassen bei Jehova, dem Gott des Himmels und dem Gott der Erde, dass du meinem Sohne nicht ein Weib nehmen wirst von den Töchtern der Kanaaniter, in deren Mitte ich „wohne“ (V. 1 u. 2). Elieser hatte also die Verwaltung über das ganze Besitztum seines Herrn. Er war nicht der Erbe; der Sohn ist der Erbe. So hat auch der Heilige Geist die Verfügung über alle Dinge. Er nimmt von den Dingen Christi und zeigt sie uns.
Elieser durfte kein Weib von den Töchtern der Kanaaniter für Isaak nehmen, sondern: „in mein Land und zu meiner Verwandtschaft sollst du gehen und ein Weib nehmen meinem Sohne, dem Isaak. Und der Knecht sprach zu ihm: Vielleicht wird das Weib mir nicht in dieses Landfolgen wollen; soll ich dann deinen Sohn in das Land zurückbringen, aus welchem du weggezogen bist? Da sprach Abraham zu ihm: Hüte dich, dass du meinen Sohn nicht dorthin zurückbringest“ (V. 4 — 6)! Unmöglich könnte es irgend eine Beziehung geben zwischen dem auferstanden Christus und dieser Welt. Isaak geht nicht aus, um Rebekka zu suchen, sondern sie muss zu ihm kommen.“
Abraham gibt seinem Knecht Anweisungen über sein Verhalten. So ist es auch für uns immer das Erste, dass wir durch das Wort Gottes Anleitung empfangen. Dann aber macht sich Elieser, ohne weitere Fragen zu stellen, auf den Weg. Er zieht nach Mesopotamien, zu der Stadt Nahors, ohne irgend welche andere Weisungen erhalten zu haben. (V. 9. 10).
Es ist wichtig, dass wir in gleicher Weise handeln. Natürliche Weisheit kann sich bis zu einem gewissen Punkte ein Urteil bilden, aber sie entfernt die Seele aus der Gegenwart Gottes, selbst wenn wir Dinge tun, die Gott gemäß sind. Sobald wir anfangen zu überlegen, gibt es Unschlüssigkeit: wir gehen mit Fleisch und Blut zu Rate. Das Erste ist, dass wir uns in Gottes Gegenwart stellen; ohne das gibt es weder Weisheit noch Kraft, während wir, wenn wir uns auf dem Pfade der Segnung befinden, alle nötige Einsicht von Ihm erhalten. Beachten wir nur, wie die Reise des Knechtes Abrahams sich weiter entwickelt.
Elieser sagt in Vers 12: „Jehova, Gott meines Herrn Abraham“. Er sagt nicht „mein Gott“. Die Verheißungen waren Abraham gegeben worden, und Gott hatte sich als den Gott Abrahams geoffenbart. So legt der Knecht hier völlige Abhängigkeit an den Tag; wir finden ihn auf dem Pfade der Verheißung (vergl. V. 7), aber keine Spur von Selbstüberhebung ist in ihm. Er handelt vielmehr den Ratschlüssen Gottes gemäß in gänzlicher Abhängigkeit, ohne sich. anzumaßen, irgend Etwas zu besitzen, es sei denn da wo Gott den Segen verordnet hatte; denn die Verheißungen waren dem Abraham gegeben worden. Für uns ist diese Segnung in Christo. Dort finden wir auch die Antwort auf alle unsere Bitten, und wir wünschen, wenn es richtig mit uns steht, nicht, irgend Etwas zu erlangen, es sei denn da, wo Gott den Segen für uns verordnet hat, nämlich auf dem Pfade des Glaubensgehorsams.
Elieser wendet sich also zu dem Gott seines Herrn Abraham und bittet Ihn, Güte an seinem Herrn zu erweisen. „Jehova, Gott meines Herrn Abraham“, so betet er, „möge es geschehen, dass das Mädchen, zu dem ich sagen werde: Neige doch deinen Krug, dass ich trinke, und welches sagen wird: Trinke, und auch deine Kamele will ich tränken, diejenige sei, welche du für deinen Knecht, für Isaak, bestimmt hast; und daran werde ich erkennen, dass du Güte an meinem Herrn erwiesen hast“.
Er sagt mit anderen Worten: O Herr, du musst ins Mittel treten. Nur so kann ich die erkennen, welche du deinem Knechte Isaak zum Weibe bestimmt hast. Lass denn diejenige, welche so und so handeln wird, die sein, welche du erwählt hast. „Und es geschah, er hatte noch nicht ausgeredet, siehe, da kam Rebekka heraus, die dem Bethuel geboren worden, dem Sohne der Milka, des Weibes Nahors, des Bruders Abrahams, mit ihrem Kruge auf ihrer Schulter. Und das Mädchen war sehr schön von Ansehen, eine Jungfrau, und kein Mann hatte sie erkannt; und sie stieg zur Quelle hinab und füllte ihren Krug und stieg wieder herauf. Und der Knecht lief ihr entgegen und sprach: Lass mich doch ein wenig Wasser aus deinem Kruge schlürfen. Und sie sprach: Trinke, mein Herr. Und eilends ließ sie ihren Krug auf ihre Hand hernieder und gab ihm zu trinken. Und als sie ihm genug zu trinken gegeben hatte, sprach sie: Ich will auch für deine Kamele schöpfen, bis sie genug getrunken haben. Und sie eilte und goss ihren Krug aus in die Tranke und lief abermals zum Brunnen, um zu schöpfen; und sie schöpfte für alle seine Kamele. Und der Mann sah ihr staunend zu und schwieg, um zu erkennen, ob Jehova zu seiner Reise Glück gegeben habe oder nicht.“
Warum schweigt Elieser? Warum zögert er und verbleibt in abwartender Stellung, nachdem doch seine Bitte eine so unmittelbare Antwort erhalten hat? Der Grund ist folgender: Wie augenscheinlich die Hand Gottes sich auch offenbaren mag, bildet doch das Wort Gottes eine bestimmte Regel, eine Richtschnur, welcher der Christ Aufmerksamkeit schenken muss. Er darf sie nicht außer Acht lassen, wegen seiner Schwachheit in der Unterscheidung dessen, was von Gott ist. Der Glaube schaut nach dem Wirken der Macht Gottes aus, aber er beurteilt alles durch das Wort; denn Gott muss stets Seinem Worte gemäß handeln, und der Knecht, der in Gemeinschaft mit Gott ist, sollte dies im Gedächtnis behalten. Selbst wenn deutliche Zeichen vorhanden zu sein scheinen, sollte er nicht eher eine Entscheidung treffen, bis er den Willen Gottes Seinem Wort gemäß erkennt. Er muss sagen können: „Dies ist in der Tat nach Gottes Gedanken“.
„Und es geschah, als die Kamele genug getrunken hatten, da nahm der Mann einen goldenen Ring, ein halber Sekel sein Gewicht, und zwei Spangen für ihre Arme, zehn Sekel Gold ihr Gewicht; und er sprach: Wessen Tochter bist du? sage mir’s doch an. Ist im Hause deines Vaters Raum für uns zu herbergen? Und sie sprach zu ihm: Ich bin die Tochter Bethuels, des Sohnes der Milka, den sie dem Nahor geboren hat. Und sie sprach zu ihm: Sowohl Stroh als auch Futter ist bei uns in Menge, auch Raum zu herbergen.“
Gott hatte auf den Wunsch Abrahams in vollkommener Weise geantwortet. Elieser seinerseits erkennt, dass seine Bitte Erhörung gesunden hat. Bevor er indes weitergeht, ja, ehe er selbst das Haus betritt, verneigt er sich, wirft sich vor Jehova nieder und sagt: „Gepriesen sei Jehova, der Gott meines Herrn Abraham, der von Seiner Güte und Seiner Wahrheit nicht abgelassen hat gegen meinen Herrn! Mich hat Jehova geleitet auf den Weg zum Hause der Brüder meines Herrn“.
Der gleichen Erscheinung begegnen wir bei Daniel: er vereinigt sich mit seinen Freunden zum Gebet. Dann, nachdem er die Offenbarung bezüglich des Traumes Nebukadnezars empfangen hat, geht er nicht sogleich zum König, der ihn vor sich befohlen hatte, sondern preist vorher Gott dafür, dass Er ihm das, was der König zu wissen begehrte, kundgetan hatte. So ist es stets, wenn wir Gott im Herzen haben. Wir fühlen, dass Er der Handelnde ist, und wir danken Ihm.
„Und das Mädchen lief und berichtete diese Dinge dem Hause ihrer Mutter. Und Rebekka hatte einen Bruder, sein Name war Laban; und Laban lief zu dem Manne hinaus zur Quelle. Und es geschah, als er den Ring sah und die Spangen an den Armen seiner Schwester, und als er die Worte seiner Schwester Rebekka hörte, welche sagte: Also hat der Mann zu mir geredet, da kam er zu dem Manne; und siehe, er stand bei den Kamelen, an der Quelle. Und er sprach: Komm herein, Gesegneter Jehovas! warum stehst du draußen? Denn ich habe das Haus aufgeräumt, und Raum ist für die Kamele.“
Nachher, als Abrahams Knecht die Umstände seiner Reise erzählt hat, müssen Laban und Bethuel anerkennen, dass die Sache vom Herrn ist, und sagen: „Wir können dir nichts sagen, weder Böses noch Gutes“ (V. 50). So wird Gott, wenn wir in den Umständen unseres Christenlebens in wahrer Abhängigkeit von Ihm handeln, unseren Weg ebnen und wird selbst unsere Feinde besänftigen. „Wenn eines Mannes Wege Jehova wohlgefallen, so lässt Er selbst seine Feinde mit ihm in Frieden sein“ (Spr. 16, 7). Und wann gefallen Ihm unsere Wege? Wenn wir in Abhängigkeit von Ihm allein leben. Indem wir den Herrn stets vor uns stellen, wird Er zu unserer Rechten sein (Ps. 16, 8).
Wenn ich in Demut etwas von Gott erbeten und Seine Antwort erhalten habe, so handle ich mit Festigkeit; denn ich darf überzeugt sein, dass ich mich auf dem Ihm wohlgefälligen Pfade befinde, und ich bin glücklich und zufrieden. Stellt sich mir eine Schwierigkeit entgegen, so hält mich das nicht auf; es ist nicht mehr als ein Hindernis, welches der Glaube zu überwinden hat. Wenn ich aber, ehe ich beginne, diese Sicherheit nicht besitze, so bin ich in Ungewissheit und weiß nicht, was ich tun soll. VielIeicht tue ich etwas, was ich gar nicht tun sollte, und kommt eine Glaubensprobe, so bin ich unschlüssig, ich zögere; selbst wenn ich den Willen Gottes tue, bin ich meiner Sache doch nicht sicher, und ich bin nicht glücklich. Darum: ehe wir zu handeln beginnen, lasst uns die Gewissheit suchen, dass wir Gottes Willen tun.
Im Vorbeigehen möchte ich bemerken, dass Gott alle Dinge dem Wunsche Eliesers gemäß lenkte. Wird es nicht immer so sein bei denen, die ihre Freude am Herrn haben? Die Räder der göttlichen Vorsehung laufen stets auf dem Wege Seines Willens, den ich ausübe. Der Heilige Geist gibt mir durch das Wort die Erkenntnis Seines Willens. Das ist alles, was ich brauche. Gott macht, dass alle Dinge zur Ausführung Seines Willens mitwirken. Wenn wir infolge unseres geistlichen Verständnisses nach Gottes Gedanken wandeln, so ist Er uns behilflich in der Ausführung Seines Willens, Seiner Zwecke. Wir bedürfen dieser geistlichen Unterscheidungskraft, und Gott will, dass sie in uns überströme in aller Weisheit und geistlichen Einsicht. „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein.“ Ich weiß nicht, wohin Er mich führen wird, aber ich kenne den Schritt, den ich tun muss, um auf dem Wege, den ich zu gehen habe, voranzukommen.
Abrahams Knecht tritt nunmehr in das Haus ein. „Und es wurde ihm zu essen vorgesetzt; aber er sprach: Ich will nicht essen, bis ich meine Worte geredet habe.“ Laban antwortet: „Rede!“ Welch eine Charakterfestigkeit besitzt doch dieser Knecht! Besieh dir dagegen einen unentschiedenen Mann! Er holt sich bei diesem und jenem Menschen Rat, wenn es sich um die Frage handelt, was er tun soll; und selbst wenn er seinen eigenen Gedanken folgen möchte, fragt er doch lieber solche um Rat, die noch weniger Glauben haben als er selbst. Paulus ging weder mit Fleisch noch mit Blut zu Rate. Er sah, dass Christus es war, der ihn rief, und so schritt er voran.
Elieser, ganz in der ihm anvertrauten Sache aufgehend, weist die ihm angebotene Speise zurück. Er tut, was er zu tun hat. Eines der Geheimnisse des Lebens eines treuen Christen ist, dass er, sobald er Gottes Willen kennt, zu handeln beginnt; er wartet nicht, er duldet keinen Aufschub, nicht einmal um die Bedürfnisse seines Leibes zu befriedigen. Das ist die Wirkung des Heiligen Geistes und das Zeichen Seines Wirkens. Elieser wünscht seine Botschaft auszurichten. Und um was handelte es sich dabei? Um die Interessen und die Ehre seines Herrn Abraham. Dieser hatte ihn mit den Interessen seines Sohnes Isaak betraut.
Uns hat Gott hienieden die Verherrlichung Seines Sohnes Jesu anvertraut; und diese Verherrlichung nimmt Besitz von uns durch den uns gegebenen Heiligen Geist, das heißt insoweit unser Auge einfältig ist in geistlichem Unterscheidungsvermögen, der Stellung gemäß, in welche Gott uns versetzt hat. Steht es so mit uns, so gibt es kein zögerndes Überlegen. Sind wir an unserem Platze, so handeln wir mit Freiheit und Freude. Wenn ich dagegen an meine Bequemlichkeit denke, an meine Interessen, an das, was mich selbst oder meine Familie betrifft (es gibt da tausenderlei Dinge, die sich einem unverzüglichen Gehorsam in den Weg drängen wollen), so heißt das, mit Fleisch und Blut zu Rate gehen. Doch wenn ich frage, was das Interesse Christi erfordert, so ist die Sache sehr bald entschieden. Wenn ich an irgend Etwas anderes denke, liegt die mir anvertraute Verherrlichung mir nicht am Herzen; auch habe ich kein Vertrauen zu Ihm, der mich an diesen Platz gestellt hat.
Elieser denkt beständig an seinen Herrn, der ihm alles anvertraut hatte. Abraham ist der Mittelpunkt all seiner Gedanken, wenn er Rebekka die Vorrechte und all das Gute von dem Hause seines Herrn vorstellt.
Dasselbe wird bei uns der Fall sein, wenn unsere Herzen mit dem Heiligen Geist erfüllt sind. Es ist sehr wichtig für uns, dessen eingedenk zu sein, dass Gott uns die Verherrlichung Jesu anvertraut hat. Er braucht uns wahrlich nicht! Überdies, was könnten wir tun? Er ist es, der in uns wirkt, und an uns ist es nur, Ihn handeln zu lassen. Aber es ist Sein Wille, durch die Gegenwart des Heiligen Geistes in uns verherrlicht zu werden. Dasselbe, was wir bei Elieser finden, nehmen wir bei denen wahr, welchen die fünf und die zehn Talente anvertraut waren. In der Entschiedenheit des Knechtes zeigt sich Vertrauen zu seinem Herrn. So sagt Elieser hier: „Ich will nicht essen, bis ich meine Worte geredet habe“.
Da die Ehre seines Herrn für ihn allem anderen voranging, so weigert er sich, Speise zu nehmen, bis seine Botschaft ausgerichtet ist. Das heißt wirklich Gottes Willen tun. Elieser erstattet Laban Bericht über die Sache und teilt ihm mit, wie er bis dahin geleitet worden ist; und er tut dies, ohne irgend einen Grund für sein Vorgehen anzuführen, auch ohne zu sagen: „Es würde weise sein, jetzt so und so zu handeln“; in voller Einfalt überlässt er den Ausgang der ganzen Angelegenheit seinem Gott. „Da antworteten Laban und Bethuel und sprachen: Von Jehova ist die Sache ausgegangen.“ Wenn wir, anstatt unsere Zeit mit Erörterungen zuzubringen, einfältiger und gehorsamer wären und die Dinge so darstellten, wie der Heilige Geist sie uns mitteilt, so würde das Ergebnis gewiss ein besseres sein. Aber wir setzen oft unsere menschliche Weisheit an die Stelle der Gebote Gottes und erreichen nichts, während die in aller Einfalt vorgebrachten Dinge oft die größten Wirkungen hervorrufen. Petrus sagte zu den Juden: „Den Urheber des Lebens habt ihr getötet«. Das ist es, was ihr getan habt, und das habe ich euch von Seiten Gottes zu sagen (Vergl. Apftgsch. 3).
Wenn wir die Dinge so erfassen und sie den Menschen so darstellen, wie sie vor Gott sind, begleitet der Heilige Geist das Zeugnis, und das Gewissen wird getroffen. So denken in der eben angeführten Stelle die Zuhörer nicht an Petrus oder Johannes, (außer dass sie in ihnen Männer erkennen, die ein Verständnis Gott gemäß besitzen,) sondern sie hatten Gott gefunden, oder besser: Gott hatte sie gefunden. Wenn Gott uns diese Einfalt schenkt, welche uns befähigt, Angelegenheiten so zu behandeln, wie Gott sie sieht, so sollten wir zu jedermann dem Zustande gemäß reden, in welchem er sich vor Gott befindet. Wenn wir fühlen, dass er verloren ist, so lasst uns ihm das in einfachen Worten sagen. Die einfachsten Ansprachen sind gewöhnlich die besten und gesegnetsten.
„Und sie aßen und tranken, er und die Männer, die bei ihm waren, und übernachteten. Und des Morgens standen sie auf, und er sprach: Entlasset mich zu meinem Herrn! Da sprachen ihr Bruder und ihre Mutter: Lass das Mädchen einige Tage oder zehn bei uns bleiben, danach magst du ziehen. Er aber sprach zu ihnen: Haltet mich nicht auf, da Jehova Glück gegeben hat zu meiner Reise; entlasset mich, dass ich zu meinem Herrn ziehe!“
Elieser bitter darum, seine Abreise beschleunigen zu dürfen. Es darf in dieser Angelegenheit keinen Aufenthalt geben: Rebekka muss so rasch wie möglich dem Sohne seines Herrn zugeführt werden. Nachdem der Zweck seiner Sendung erledigt ist, sagt Elieser: „Haltet mich nicht auf!“ Er kümmert sich nicht um Labans Haus, zieht auch dessen Einwendungen nicht in Erwägung; er lässt sich durch nichts aufhalten. Die Liebe zu seinem Herrn lässt vor seinen Befehlen alles andere zurücktreten.“
Gerade in diesem Stück zeigt sich bei uns viel Schwachheit. Wir schonen gern das Fleisch und vernachIässigen das, was wir Gott schulden; oder vielleicht richtiger: wir schonen uns selbst, aus Furcht, anderen Menschen unangenehm zu sein, während wir andere sehen, die, treu in dem was sie ihren Mitmenschen zu sagen haben, von Gott gesegnet werden, indem sie einfältig und ohne zögernde Bedenklichkeit sprechen. „Und sie sprachen: Lasst uns das Mädchen rufen und ihren Mund befragen.
Und sie riefen Rebekka und sprachen zu ihr: Willst du mit diesem Manne gehen? Und sie antwortete: Ich will gehen“ Auch bei Rebekka zeigt sich kein Zögern. So sagt auch heute, durch den Einfluss des Heiligen Geistes, die Braut oder die einzelne glaubende Seele: „Ich will gehen“. Sogleich und in der entschiedensten Weise fasst Rebekka ihren Entschluss und verlässt alles.
Lasst uns einen Augenblick bei Rebekkas Lage verweilen. Wenn sie ging, so hatte sie kein Anrecht mehr an Labans Haus, und Isaaks Haus besaß sie auch noch nicht. Genauso verhält es sich mit uns. Weder gehört uns die Erde, wo wir weilen, noch ist der Himmel, wohin wir gehen, schon unser Teil. Rebekka verlässt alles mit den Worten: „Ich will gehen“. Elieser, das Vorbild des Heiligen Geistes, erzählt Rebekka während der Reise von dem, was in dem Hause des Vaters ihres Bräutigams ihrer wartet. Welch eine kostbare Unterredung für die Seele, die der Ermunterung durch das Anschauen dieser Dinge bedarf, damit sie fähig sei, die Mühen und Beschwerden der Reise zu ertragen und den Blick abzulenken von dem Hause und dem Lande, aus welchem sie kommt! Rebekka musste, gleich uns, die Wüste durchschreiten, und Elieser, der treue Knecht, ihr Führer, suchte sie zu trösten, indem er ihr von den kostbaren Dingen im Vaterhause erzählte, sowie von der Größe und dem Ansehen des Vaters, und dass er seinem Sohne all seine Habe übergeben habe.
Für uns ist, wie schon gesagt, der Knecht ein Vorbild des Heiligen Geistes, des Trösters, der uns in gleicher Weise Von alledem Bericht gibt, was im Vaterhause für die bereitet ist, welche die Braut Christi ausmachen. Er ist es, der von den Dingen Christi nimmt und sie uns verkündigt. Er ist es auch, der uns alles lehrt und uns in die ganze Wahrheit leitet (Joh. 14, 26; 16, 13 — 15), während wir die Wüste dieser Welt durchschreiten.
Wenn Rebekka an das Land gedacht hätte, das sie verlassen hatte, so wäre sie unglücklich gewesen; sie hätte dann weder Isaaks Haus noch das ihres Vaters Bethuel gehabt· Alles verlassen zu haben und weder dies noch jenes zu besitzen, hätte ihr Herz, allein in der Wüste, in eine ganz unhaltbare Lage gebracht.
Aber es war nicht so. In ihren Unterredungen mit Elieser mit dem beschäftigt, was für ihr Herz Interesse hatte, wurde sie über die Dinge erhoben, welche für immer hinter ihr lagen; und so reiste sie in Frieden der Heimat ihres Bräutigams entgegen.
Gerade so ist es heute mit uns. Der nicht geistliche, weltlich gesinnte Christ hat ein trauriges Los; er kann nicht glücklich sein in seinem Trachten nach der Welt. Der Weltmensch hat wenigstens etwas: er versucht’s mit den zeitlichen Vergnügungen und hat an ihnen seine Freude, so nichtig und wertlos diese Freude auch sein mag, denn in Wahrheit befriedigt sie ihn nicht. Aber der Christ fühlt sich inmitten dieser Dinge nur unbehaglich, weil er ein Gewissen mit sich trägt, auf welches der Heilige Geist wirkt. Begehrt er an den irdischen Dingen sich zu freuen, und sein Herz wird lässig in der Nachfolge des Herrn, so wird er unglücklich; er kann das ihn quälende Gewissen nicht durch Scheltworte zum Schweigen bringen. Er ist den Mahnungen und Warnungen des Heiligen Geistes nicht gefolgt, und so gibt es keine Freude für ihn. Andererseits ruft die gelegentliche Erinnerung an die geistlichen Dinge, an welchen er seine Freude haben sollte, nur Anklagen in seinem Herzen wach. Aber, Gott sei gepriesen! Die Gnade und Treue Dessen, der uns beruft, Wanken nicht. Wenn wir treu sind, so leitet Er uns auf einem steten, gleichförmigen Pfade um Seines Namens willen. Wenn wir sündigen, so bringt Er uns wieder zurecht; wir stehen nicht unter Gesetz und somit nicht unter dem Fluch, sondern wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, der sich für uns verwendet; und Gott, der treue Gott, kann nicht fehlen, wenn Berufung bei Ihm eingelegt wird. „Was wirst du für deinen großen Namen tun?“ fragt Josua, als Israel gesündigt hatte.
Außerdem kommt bei unserer Wiederherstellung Gottes Herrlichkeit in Frage, und das ist Gnade. Ja, wir haben einen Heiland, der sich bei dem Vater für uns verwendet, und der ohne Aufhören tätig ist, um die Abgeirrten zu dem gnädigen Gott zurückzuführen, welcher Sein Werk in uns begonnen hat und es Vollenden wird auf den Tag Christi, indem Er alles erfüllt, was uns angeht.
Elieser bringt Rebekka bis zu ihrem Bräutigam. So führt auch uns der Heilige Geist unserem Ziele zu. Was Rebekka in der neuen Heimat zuerst erblickt, ist Isaak, und Isaak führt seine Braut in seiner Mutter Zelt. Im Besitz des Bräutigams hat Rebekka für anderes keine Gedanken mehr; nicht das Hab und Gut des Bräutigams, sondern er selbst füllt ihr ganzes Herz und Sinnen aus. Die wichtige Sache, um welche es sich handelte, die Braut dem Bräutigam zuzuführen, ist jetzt vollendet.
Zum Schluss noch ein kurzer Rückblick auf die vorbildliche Bedeutung unseres Kapitels: Gott sucht uns in dieser Welt der Sünde. Er findet uns. Aber dann will Er auch, dass wir, wenn wir gesagt haben: „Ich will gehen“, nicht zögern, Ihm zu folgen. Er führt uns in die Gegenwart Jesu. Der Heilige Geist ist auf der Reise unser Begleiter, um uns zu helfen, uns zu trösten, uns von den Segnungen und der Herrlichkeit zu erzählen, die unser warten, und uns zu Jesu, unserem himmlischen Bräutigam, zu bringen.
Was die Art und Weise des Handelns Gottes angeht, so mag diese je nach den Umständen verschieden sein, aber die Wirkungen der Macht des Heiligen Geistes sind stets dieselben. Und unsere Berufung sollte sich dadurch kennzeichnen, dass wir uns ohne Zögern dafür entscheiden, uns willig von Ihm führen zu lassen, indem wir wissen, dass wir, also geführt, das ersehnte Ziel sicher erreichen werden. „Und also werden wir allezeit bei dem Herrn sein.“
Möge Gott uns allen diese Gnade schenken!
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Der Jünger welchen Jesus liebte
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 333ff
Der Schreiber des Evangeliums Johannes nennt sich wiederholt „den Jünger, welchen Jesus liebte“. (Vergl. Joh. 13, 23; 19, 26; 20, 2; 21, 7. 20.) Manchem Leser hat das Verständnis dieser Worte Mühe gemacht, aber ich meine ohne Grund. Wenn wir die Person des Johannes, soweit sie uns in der Schrift vor Augen gemalt ist, näher betrachten, werden uns jene Worte viel eher erfreuen als befremden; sie wecken zugleich das Verlangen in uns, mehr von ihrer Bedeutung zu verstehen und persönlich zu genießen.
Ich brauche kaum zu sagen, dass sie nicht etwa andeuten wollen, dass der eine Gläubige mehr als der andere an der Gnade und dem Heile Gottes interessiert oder beteiligt sei, oder mehr in der Gunst Gottes stehe; auch nicht, dass der eine mit einer treueren oder anhaltenderen Liebe geliebt werde als der andere. Nichts von alledem. Die Worte wollen uns vielmehr sagen, dass zwischen dem Meister und einigen Seiner Jünger ein innigeres, vertrauteres Verhältnis, ein näheres persönliches Verbundensein bestehen kann, als zwischen Ihm und anderen. Alle Jünger lagen an jenem letzten Abend mit Jesu zu Tische, aber nur einer von ihnen lag in Seinem Schoße, oder lehnte sich an Seine Brust.
Alle hatten mit Ihm ausgeharrt in Seinen Versuchungen, aber nur drei waren mit Ihm auf dem heiligen Berg und im Garten Gethsemane — bei jenen so hochwichtigen und ernsten Abschnitten in dem Leben unseres Herrn. Es gibt eben in dem einen mehr Einheit oder Übereinstimmung des Denkens und Fühlens mit Jesu, als in dem anderen. Es ist schon so unter uns. Der eine versteht uns besser, geht mehr aus unsere innersten Gedanken und Gefühle ein, steht in einer innigeren Herzensverbindung und Harmonie mit uns, als ein anderer. Wir können uns ihm deshalb auch mehr anvertrauen, mehr kundgeben, als anderen.
Wenn wir einen Bruder sehen, dessen Wesen und Verhalten viel von dem offenbart, was das Herz Jesu erfreut, wenn er den Wohlgeruch Christi mit sich umherträgt, indem er sanftmütig, selbstverleugnend, von Herzen demütig und dabei doch würdig und ernst, von der Welt abgeschieden ist, so mögen wir uns wohl an Johannes erinnern und in unserem Bruder einen Widerschein des Jüngers erblicken, welchen Jesus liebte. Aber wie beglückend ist es dann andererseits, daran zu denken, dass Johannes selbst nur einer von denen war, welche derselbe Herr auserwählt, berufen und mit sich verbunden hatte auf immerdar! Schloss der bevorzugte Platz, welchen Johannes einnahm, Thomas oder Bartholomäus aus? Schob er irgend einen der anderen Jünger beiseite? Nein, Thomas und Bartholomäus waren in einem Sinne genau so viel für Christum wie Johannes; der eine war nicht im Geringsten annehmlicher oder wertvoller als die anderen.
Gott sei Dank, dass das so ist! Es ist eine ebenso gesegnete wie einfache und klare Wahrheit, welcher wir uns mit aller Gewissheit erfreuen dürfen. Dennoch sollten wir sehnlich danach verlangen, persönlich mehr von dem innigen, vertrauten Verhältnis eines Johannes zu seinem geliebten Herrn zu kennen. Andererseits aber wird die Liebe zu Dem, der uns in eine so sichere und ewige Beziehung zu sich gebracht hat, uns vor Neid und Missgunst bewahren. Denn sollte es mich nicht erfreuen zu sehen, dass der Herr in meinem Bruder oder meiner Schwester einen Gegenstand findet, an welchem Er mehr Seine Wonne haben kann, als (wie ich sehr wohl weiß) an mir und meinen Wegen? Ja, wenn wir es im rechten Lichte betrachten, werden wir uns herzlich darüber freuen, immer und immer wieder den Worten zu begegnen: „der Jünger, welchen Jesus liebte“; und der Gedanke, dass diese Wahrheit auch heute noch unter den Gläubigen ihre Darstellung findet, wie in früheren Tagen in der Mitte der Apostel, wird wiederum unsere Herzen mit Dank und Freude erfüllen.
Die Liebe, mit welcher wir es zu tun haben, ist· zu vollkommen, dass sie parteiisch sein könnte. Sie handelt niemals sorglos, unbedacht oder nach schwankenden Grundsätzen. Sie ist treu, unwandelbar, zielbewusst.
Wir alle sind Gegenstände derselben. Ein Thomas wird nicht vernachlässigt, weil ein Johannes da ist, der in so besonderer Weise vom Herrn geliebt wird. Gerade weil diese Liebe so echt und wirklich ist, wird sie durch einen Johannes in Tätigkeit gesetzt. Wenn wir aber einen Johannes an Jesu Brust liegen sehen, während wir selbst weiter entfernt stehen, lasst uns dann Gnade haben, das still anzuschauen, uns an dem Gesicht zu erfreuen und zu sagen: „Meister, es ist gut, dass wir hier sind!“ Wenn wir selbst auch nicht dieselben Erfahrungen machen, dürfen wir uns doch darüber freuen, dass andere sie genießen. Petrus wurde beglückt durch den Anblick der Herrlichkeit in Mose und Elia, obgleich sie ganz und gar über ihm war und er nur ihren Glanz sah. So ist auch mein Geist glücklich und dankbar bei dem Gedanken, dass mein mehr himmlisch gesinnter Bruder im Schoße Jesu liegt.
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Zum Jahresabschluss
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1909 S. 336ff
Bald kommt die Nacht, da niemand wirken kann!
O Volk des Herrn, es tritt an dich heran
die Mahnung, festen Tritts zu wandeln
und treu mit deinem Pfund zu handeln.
Bald kommt die Nacht, da niemand wirken kann!
Die Abendschatten nahen schon heran.
Doch noch ist Zeit — noch darfst du's wagen,
das Wort des Heils hinauszutragen.
Bald kommt die Nacht, da niemand wirken kann!
Drum frisch ans Werk! Mit Jesu geh voran!
Tu unverdrossen, ohne Wanken
der Liebe Dienst an Schwachen, Kranken!
Bald kommt die Nacht, da niemand wirken kann!
Was dem geringsten hier du hast getan,
das wird der Herr dir droben lohnen,
Am Ziele teilt Er aus die Kronen!
Bald kommt die Nacht, da niemand wirken kann!
O Volk des Herrn, dein Ruhetag bricht an!
Drum schmück die Lampen, gürt die Lenden. –
noch heute kann dein Lauf sich enden.