Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1915 | Seite |
Joseph und Benjamin | 1 |
Betrachtungen über das Buch Esther | 13 |
Die Sorge | 21 |
Ich steh' auf hoher Zinne (Gedicht) | 28 |
Wenn es nötig ist | 29 |
Jannes und Jambres | 48 |
Stillsein | 53 |
Es trifft uns Schuld (Gedicht) | 56 |
Paulus in Milet | 57 |
Vertrauen | 73 |
Was Kummer scheint und Herzeleid (Gedicht) | 84 |
Dreimal in Bethanien | 85 |
Der Prophet Maleachi | 91 |
Paulus und Silas in Philippi | 107 |
„Siehe, der Bräutigam!" (Gedicht) | 112 |
Der Gläubige und die von Gott verordneten Autoritäten | 113 |
Gemeinschaft mit dem Herrn | 134 |
Unser Reden mit Gott und Gottes Reden mit uns | 141 |
„Sein Panier über mir ist die Liebe." | 160 |
„Wir sehen Jesum." | 166 |
Liebe ohne Gleichen! | 169 |
Das prophetische Wort | 184 |
Wie sollen wir das Wort Gottes in der Familie lesen? | 196 |
Zwei Wege | 197 |
Ein Wort von Lavater | 214 |
Gleich | 215 |
„Sterben ist Gewinn." (Gedicht) | 223 |
Ein Soldatenbrief | 225 |
Überführt, doch voll Vertrauen | 232 |
Der Weg" Gottes | 248 |
Wem gleichst du, A. oder B.? | 250 |
Herr, bleib bei uns!" (Gedicht). | 252 |
Botschafter des Heils in Christo
Dreiundsechszigster Jahrgang
Elberfeld – Verlag von R. Brockhaus
1915
Joseph und Benjamin
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 1ff
Jakob war bereits Vater über zehn Söhne, als das lange Harren der Rahel endlich belohnt wurde. Gott schenkte ihr zwei Söhne, den Joseph und später den Benjamin, bei dessen Geburt sie starb.
Joseph erblickte noch in Mesopotamien das Licht der Welt, und seine Mutter begrüßte seine Geburt mit den Worten: „Gott hat meine Schmach weggenommen! Und sie gab ihm den Namen Joseph und sprach: Jehova füge mir einen anderen Sohn hinzu" (1. Mose 30,23. 24)!
Unter allen Söhnen Jakobs tritt dieser als „Sohn seines Alters" (1. Mose 37,3) und als Kind der geliebten Rahel bevorzugte Liebling des Vaters durch seine reichen Anlagen und edlen Charaktereigenschaften besonders hervor; auch bildet er in der „Geschichte Jakobs" (1. Mose 37,2) die Hauptperson, weil gerade durch seine Lebensschicksale die Verpflanzung der ganzen Familie nach Ägypten herbeigeführt wurde, wo sie nach Gottes Ratschluss zu einem großen Volke erwachsen sollte.
„Er war schön von Gestalt und schön von Angesicht" (Kap. 39,6), und „Israel hatte Joseph lieber als alle seine Söhne" (Kap. 37,3). Was Joseph aber besonders von seinen Brüdern unterschied, ist das Zeugnis, das die Schrift über ihn ausstellt: „Jehova war mit Joseph, und er war ein Mann, dem alles gelang" (Kap. 39,2). Der Psalmist zählt später die Vorbedingungen auf, die einen Menschen dahin führen, dass ihm „alles was er tut, gelingt". Er sagt: „Glückselig der Mann, der nicht wandelt im Rate der Gottlosen, und nicht sitzt auf dem Sitze der Spötter, sondern seine Lust hat am Gesetz Jehovas und über sein Gesetz sinnt Tag und Nacht! Und er ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und dessen Blatt nicht verwelkt; und alles, was er tut, gelingt" (Psalm 1,1 - 3).
Alles das finden wir auf dem Wege Josephs. Durch alle Umstände und Versuchungen hindurch bleibt er stets der Mann Gottes, der, abgesondert von dem Bösen, in der Furcht Gottes vor Gott wandelt. „Das Wort Jehovas läuterte ihn" heißt es von ihm in Psalm 105,19. So offenbarte sich bei ihm, dem von seinen Brüdern Abgesonderten, viel Frucht und eine große Kraft der Gottseligkeit. Die Folge war Gottes reicher Segen. Der Geist Gottes, der Seine Gedanken dem sterbenden Jakob in den Mund legt, preist ihn: „Sohn eines Fruchtbaumes ist Joseph, Sohn eines Fruchtbaumes am Quell; die Schösslinge treiben über die Mauer. Und es reizen ihn und schießen und befehden ihn die Bogenschützen; aber sein Bogen bleibt fest, und gelenkig sind die Arme seiner Hände, durch die Hände des mächtigen Jakobs ... Die Segnungen deines Vaters überragen die Segnungen meiner Voreltern bis zur Grenze der ewigen Hügel. Sie werden sein auf dem Haupte Josephs und auf dem Scheitel des Abgesonderten unter seinen Brüdern" (1. Mose 49,22 - 26).
Und nachdem der Geist von der Fruchtbarkeit und der Kraft gesprochen hat, benutzt Er ihn als ein Bild von einem Größeren als er, und lässt Jakob weiter sagen: „Von dannen ist der Hirte, der Stein Israels" (V. 4). Wir erblicken hier Christum in Joseph, sehen Ihn im Bilde.
Und das ist in der ganzen Geschichte Josephs so. Mögen wir Jesum in der Liebe des Vaters sehen oder als den von Seinen Brüdern Beneideten und Gehassten, mögen wir Ihn in Seiner Erniedrigung, in Seinen Leiden und Seinem Tode, oder in Seiner Erhöhung und Herrlichkeit betrachten - immer finden wir Ihn durch Joseph vorgebildet.
Überaus lohnend ist es bekanntlich, in das Leben Josephs von diesem Gesichtspunkt aus einzugehen; aber wir wollen uns heute nicht weiter damit beschäftigen, sondern mehr den schwachen Menschen betrachten, der aber mit Gott wandelte, mit dem Gott war, und der in Schwachheit den göttlichen Charakter und die himmlischen Grundsätze zum Ausdruck brachte, die in Vollkommenheit nur ein Einziger, unser hochgelobter Herr Selbst, geoffenbart hat. Der Wandel des Herrn auf Erden kann ja nur das einzig zuverlässige und vollkommene Vorbild für unseren Wandel sein; aber es kann in den Gläubigen mehr oder minder getreue Abbilder dieses Vorbildes geben. Da wir in Ihm dasselbe Leben, dieselbe Liebe und denselben Geist haben, so kann und soll unser Leben die Darstellung des Lebens sein, das wir in dem gekreuzigten und erhöhten Herrn besitzen, und das Muster davon sehen wir in Seinem Leben auf der Erde. Nach unserer Wiedergeburt drängt es uns, von dem Großen und Herrlichen, das uns zuteil geworden ist, zu erzählen und jede Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis von der Hand zu weisen, ja, sie vielmehr zu strafen (vergl. Epheser 5,11). Wir verabscheuen das Böse und reden mit dankbarer Freude von der Gnade, die wir erfahren haben. Dasselbe finden wir schon in der Jugendgeschichte Josephs. Er erzählte seinem Vater die bösen Taten der Brüder und teilte diesen selbst seine Träume mit, die von seiner zukünftigen Herrlichkeit zeugten. Beides rief Neid und Hass hervor. Es ist auch heute noch so, um so mehr, wenn es, wie es möglicherweise auch bei Joseph der Fall war, ungeschickt geschieht, indem wir vielleicht einen unpassenden Ausdruck gebrauchen oder einen unrichtigen Maßstab anwenden. Die gute Wirkung eines gerechten Tadels wird aufgehoben, wenn ich meinen Bruder bei anderen anklage, und das Bewusstsein einer von Gott erteilten Würde darf nicht in Prahlerei ausarten, wenn ich anderen nützen will. Von unserem Herrn heißt es: „Jesus, wissend, dass der Vater ihm alles in die Hände gegeben, und dass er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe", - also gerade in dem Bewusstsein Seiner erhabenen Würde, - „stand von dem Abendessen auf und legte die Oberkleider ab ... und fing an, die Füße der Jünger zu waschen" (Johannes 13,3-5).
Als Joseph durch die Schule der Leiden hindurchgegangen war, machte er es nach der Weise des Herrn. „Er gedachte der Träume, die er von ihnen gehabt hatte" (Kap. 42,9), dieser Träume, die von seiner Herrlichkeit und Erhebung handelten. Aber anstatt sich sogleich seinen Brüdern zu offenbaren und so den Triumph zu haben, dass sie sich, wie vor der bevorzugten Garbe auf dem Felde oder vor der Sonne am Himmel, jetzt vor ihm bücken würden, leitete ihn nur der Gedanke, ihre schuldigen Herzen zu reinigen und ihre Seelen vor Gott wiederherzustellen.
Waren solche Beweggründe im Anfang unserem Joseph weniger bekannt? Wir wissen es nicht. Jedenfalls waren Leiden die Folgen seiner Handlungsweise. Siebzehn Jahre alt, wurde er für 20 Sekel Silber - der Verkaufspreis entspricht dem Alter Josephs (vergl. 1. Mose 37,2 mit 3. Mose 27,5) - nach Ägypten verkauft, und seine Trübsal, die unter Brüdern begann, setzte sich inmitten der Fremden fort. Aber „Jehova war mit ihm" (Kap. 39,2), und sein Verhalten als der Sklave des Kämmerers Potiphar gab Zeugnis davon. Gerade darum fand er Gnade bei seinem Herrn und wurde über alles was dieser hatte, über sein ganzes Haus, bestellt (V. 4). Gott segnete seine Treue im Dienst und war auch mit ihm, als durch das Weib Potiphars die große Versuchung an ihn herantrat - ein Vorbild der zahllosen Anfechtungen, die viele Menschenherzen aller Altersstufen und aller Länder zu erfahren bekommen. Es war eine schwere Stunde für den 27 jährigen Jüngling, als diese Versuchung auf ihn anstürmte, auf ihn, den Sklaven in einem sittlich verdorbenen Lande, der, fern von der Heimat und dem guten Einfluss des Vaterhauses, unter dem Druck eines erlittenen Unrechts stand. Aber Joseph wies die Sünde in dem Namen und der Kraft Gottes zurück. „Wie sollte ich dieses große Übel tun und wider Gott sündigen" (Kap. 39,9)? Für ihn war es nicht nur eine große Sünde gegen Potiphar, sondern Sünde wider Gott. Er wusste, dass Gott bei ihm war, dass Sein Auge auf ihn blickte. Wie konnte und sollte er wider Gott sündigen? Sein Wandel mit Gott machte ihn zu einem Manne der Kraft, und das Bewußtsein der Gegenwart Gottes war das Geheimnis seines Sieges. Der Feind griff ihn mit starken Waffen an, aber vergeblich. Joseph war Herr über sich selbst in göttlicher Lauterkeit. Das Zimmer war, wie einmal jemand gesagt hat, auch „gekehrt und geschmückt", aber es war nicht „leer" (vergl. Mt. 12,44). Gott war darin. Und das war es auch, was ihn stark machte, die Gefangenschaft, in die seine Treue ihn gebracht hatte, mit Geduld zu ertragen. Wieder heißt es da: „Jehova war mit Joseph und wandte ihm Güte zu, und gab ihm Gnade in den Augen des Obersten der Feste" (Kap. 39,21). Nie leuchtet der Glaube, dessen Quellen in Gott sind, heller, als wenn alles um uns her recht dunkel ist. Gott war mit Joseph, und „das Geheimnis Jehovas ist für die, welche ihn fürchten". Deshalb, gleich Abraham, dem Freunde Gottes, oder gleich Daniel, dem treuen Zeugen in späterer Zeit, wurde auch Joseph der Vertraute der verborgenen Gedanken des Herrn. Alle Rätsel dieser Zeit und der Lauf der kommen» den Dinge sind vor Gott offen und klar, und Er kann sie denen klar machen, die mit Ihm wandeln und in der Heiligkeit Seiner Gegenwart leben. Und so befähigt Er auch Seinen treuen Knecht, die Träume seiner beiden Mitgefangenen und des Königs Pharao zu deuten und auszulegen.
Nach dreijähriger Gefangenschaft wurde Joseph die Freiheit wieder zurückgegeben. Seine Leidenszeit war zu Ende. Der Pharao überschüttete ihn mit Segnungen und gab ihm Asnath, die Tochter Potipheras, des Priesters von On, zum Weibe. Das war eine solche Freude für ihn, dass er in gewissem Sinne, wie die Namen seiner Kinder beweisen, Heimat und Vaterhaus darüber vergessen und sich in seiner Trübsal freuen konnte. Manasse bedeutet: „der vergessen macht", und Ephraim: „doppelte Fruchtbarkeit".
Ja, „Sohn eines Fruchtbaumes ist Joseph, Sohn eines Fruchtbaumes am Quell; die Schösslinge treiben über die Mauer". Aus diesem einen Joseph sprossten zwei, ja wenn man will, drei Stämme hervor: Ephraim, halb Manasse an dieser, und halb Manasse an jener Seite des Jordan. Es war eine „ doppelte Fruchtbarkeit", denn Ephraim war von allen Stämmen der größte, und jede Hälfte Manasse gleich einem anderen Stamm.
Was aber so überaus schön ist in der Geschichte Josephs, das ist die Beständigkeit des Wandels mit Gott sowohl in der Zeit der Leiden, als auch der Freuden. Wir sehen die Früchte davon bis zum Ende seines Lebens. Glaube, Liebe, Hoffnung grünten und blühten auf seinem Pfade.
„Durch Glauben", so lesen wir in Hebräer 11,22, „gedachte Joseph sterbend des Auszugs der Söhne Israels und gab Befehl wegen seiner Gebeine". Gott hatte dem Abram gesagt: „Gewisslich sollst du wissen, dass dein Same ein Fremdling sein wird in einem Lande, das nicht das ihre ist; und sie werden ihnen dienen, und sie werden sie bedrücken vierhundert Jahre. Aber ich werde die Nation auch richten, welcher sie dienen werden, und danach werden sie ausziehen mit großer Habe" (1. Mose 15,13. 14). An diesen göttlichen Ausspruch glaubte Joseph und dachte daran. Er sah durch den Glauben Israels Bedrückung zu einer Zeit, wo sich seine Familie in den denkbar glänzendsten Umständen befand. Er sah die Feindschaft Ägyptens zu einer Zeit seiner Freundschaft und gedachte an die verheißene Heimsuchung Gottes.
Und mit dem Glauben Hand in Hand gingen die Bemühungen der Liebe. Beobachten wir nur, wie die Liebe den rechten Weg zu den Herzen seiner Brüder zu finden wusste, wie sein Zartgefühl sich mit Festigkeit und Besonnenheit verband, bleiben wir auch dabei stehen, dass uns das erste Buch Mose sechsmal von seinen Tränen berichtet. Es wird uns nicht erzählt, dass er geweint habe, als er von seinen Brüdern misshandelt und verkauft wurde, als er auf dem Sklavenmarkt zum Verkauf stand, oder als er ins Gefängnis geschleppt wurde. Aber als er die Reue seiner Brüder sah (Kap. 42,24), als er seinen geliebten Bruder Benjamin wiedererblickte (Kap. 43,30), als er sich seinen Brüdern zu erkennen gab (Kap. 45,2), als er sie küsste und umarmte (Kap. 45,14), und bei der Leiche seines Vaters (Kap. 50,1), da weinte er; und auch zuletzt, als seine Brüder noch immer nicht an die Wahrheit seines und Gottes Vergebens ihrer sündigen Taten glauben konnten, da flössen seine Tränen (Kap. 50,17). Welch eine zarte Liebe strahlt daraus hervor! Aber nicht nur Glaube, nicht nur Liebe zierten seinen Weg; auch die Hoffnung erfüllte, wie wir gesehen haben, sein Denken. Im Höhepunkt seines Glücks dachte er an den Auszug der Kinder Israels. Sein Herz war in Kanaan. Die unsichtbare Welt war, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, für ihn das Wirkliche. Dort waren seine Gedanken und sein Herz, bevor er selbst dahin gelangte, ja, als er noch in Ägypten lebte Glaube, Liebe, Hoffnung - diese drei sind aber die Merkmale eines Wandelns vor und mit Gott (vergl. 1. Thes. 1,3; 1. Korinther 13,13).
Wie ganz anders steht Benjamin vor unseren Blicken! Er wurde auf der Heimreise der Familie Jakobs aus dem fernen Aram von Rahel unweit Ephrata geboren. Für die Mutter war er ein Schmerzenssohn (Benoni), denn sie starb über der Geburt; Jakob aber nannte ihn Benjamin, d. h. Sohn der rechten, d. h. des Glückes (1. Mose 35,18).
Bedeutsam sind die beiden von Jakob und Mose über ihn ausgesprochenen Segensworte, die, ebenso wie bei Levi, in unmittelbarem Gegensatz zueinander stehen.
Jakob gibt die kurze Charakterbeschreibung: „ B e n j a m i n ist ein Wolf, der zerreißt; am Morgen verzehrt er Raub, und am Abend verteilt er Beute (1. Mose 49,27).
Mose sagt hingegen: „Benjamin ist der Liebling Jehovas! in Sicherheit wird er bei ihm wohnen; Er beschirmt ihn den ganzen Tag, und zwischen seinen Schultern wohnt er" (5. Mose 33,12).
Bei einer sorgfältigen Vergleichung der im 1. und 3. Buche Mose ausgesprochenen Segensworte bemerken wir, dass Jakob im allgemeinen seine Söhne in ihrer persönlichen Geschichte betrachtet und von ihren menschlichen Schwachheiten redet, während Mose sie in ihrem Bundesverhältnis zu Jehova sieht und von göttlicher Treue und Güte berichtet.
So begegnen wir bei Jakob der Natur Benjamins, wie sie in seinem Leben zum Ausdruck kam; dagegen hören wir bei Mose von der Gnade, die Jehova dem Stamme Benjamin verlieh, und von den Früchten, die diese Gnade hervorbrachte.
Benjamin ist ein Wolf, der zerreißt - das war seine Natur.
Benjamin ist der Liebling Jehovas - dazu hatte die Gnade ihn gemacht.
Welch ein Tadel liegt in der Bezeichnung: ein zerreißender Wolf! In der Heiligen Schrift wird der Wolf als der Hauptfeind der Schafherden bezeichnet, weshalb sie auch mit dem friedlichen Zusammensein von Wolf und Lamm den im Tausendjährigen Reiche wiederkehrenden völligen Frieden in der Schöpfung veranschaulicht (Jesaja 11,6; 65,25). Weil der Wolf bei Tag ruhig im Versteck zu liegen pflegt und sich erst am Abend aufmacht, um in gefräßiger Gier nach Beute zu suchen, so bezeichnet auch der Prophet die ungerechten Richter als „Abendwölfe, die nichts für den Morgen übriglassen" (Zephanja 3,3), und nennt die ungestüm aufs Ziel losstürzenden Schlachtrosse der Chaldäer „rascher als Abendwölfe" (Habakuk 1,8).
Auch Hesekiel, der in Kap. 22 die Sünde Jerusalems, seiner Propheten, Priester und Fürsten schildert, sagt: „Seine Fürsten in ihm sind wie Wölfe, die Beute zerreißen, indem sie Blut vergießen, Seelen vertilgen, um unrechtmäßig Gewinn zu erlangen" (V. 27).
Eine solche Wolfsnatur besaß also Benjamin. Ungestüme Leidenschaft steckte in ihm, und die Geschichte seines Stammes bestätigt die Aussage Jakobs. Er war von alters her berühmt durch seine Lust am Kriegshandwerk; seine Krieger bewährten sich vornehmlich als tüchtige Schleuderer und Bogenschützen (1. Chronika 8,40; 2. Chronika 14,8). Die Ansehnlichsten unter ihnen waren gewohnt, mit der linken Hand zu kämpfen. So war Ehud, der Richter aus Benjamin, links (Richter 3,15), und unter den in Richter 20,15 ausgemusterten Kindern Benjamin waren nicht weniger als 700 erlesene Männer, die Linkskämpfer waren.
Die Erfahrung lehrt, dass kriegerischer Sinn leicht mit zuchtloser Wildheit Hand in Hand geht, und es braucht uns daher nicht zu wundern, dass Benjamin, als er kurz nach der Ansiedlung im gelobten Lande in einen wütenden Kampf mit seinen Brüdern geriet, sich wie ein blutdürstender Wolf gebärdete. Er hatte schwer gesündigt, indem er das Böse in seiner Mitte duldete. Aber die ernsten Vorstellungen ganz Israels, statt ihn zu demütigen, reizten ihn nur um so mehr. Am ersten Tage „streckten die Kinder Benjamin unter Israel 22000 Mann zu Boden", später nochmals „18000 Mann" (Richter 20,21. 25). Beinahe hätte dieser blutige Kampf zu seiner eigenen gänzlichen Ausrottung geführt. „Heute ist ein Stamm aus Israel abgehauen!" klagte ganz Israel (Richter 21,6), nachdem Benjamin, der in seiner Wildheit sich selbst wehren wollte, wie ein Wolf von ganz Israel zu Tode gehetzt worden war. Doch nachdem Benjamin so tief aus dem Becher der Sünde getrunken hatte und daraufhin gestraft und gedemütigt worden war, gefiel es Gott, ihn mit einer Ehre zu segnen, wie sie nächst Juda selbst ein Joseph nicht empfing. Jehova wählte seine Wohnung in Benjamin. Auf seinem Erbteil lag der Berg Morija, und auf Morija der Tempel Gottes, darunter die Stadt Jerusalem: „Denn Jehova hat Zion erwählt, hat es begehrt zu seiner Wohnstätte: Dies ist meine Ruhe immerdar; hier will ich wohnen, denn ich habe es begehrt" (Psalm 132,13-14).
Im Lande Benjamin lagen auch viele der heiligen Stätten Israels: Nob, Gibeon, Gibea, Bethel, Gilgal, Mizpa und Kirjath-Jearim. Sie waren der Obhut Benjamins unterstellt, der von Natur ein reißender Wolf war, der am Morgen Raub verzehrt und am Abend Beute verteilt, aber durch die freie, unverdiente göttliche Gnade der Liebling Jehovas wurde.
Ja, die Gnade vermag den reißenden Wolf umzuwandeln! Welch ein Unterschied ist auch zwischen dem Saulus vom Stamme Benjamin, der „Drohung und Mord wider die Jünger des Herrn schnaubend, sowohl Männer als Weiber gebunden nach Jerusalem führen wollte" (Apg. 9,2), und dem Paulus, der später sagen konnte: „Wenn ich aber auch als Trankopfer über das Opfer und den Dienst eures Glaubens gesprengt werde, so freue ich mich und freue mich mit euch allen" (Philipper 2,17).
O unendliche Gnade, o Tiefe des Reichtums!
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Betrachtungen über das Buch Esther
Bibelstelle: Esther Kapitel 5
Botschafter des Heils 1915 S. 13ff
Lasst uns im Blick auf das, was nun folgt, noch einmal hervorheben, dass das Buch Esther, und hierin unterscheidet es sich von seinen Zeitgenossen, den Büchern Esra und Nehemia, ‑ Vorbilder darbietet, aber, in Verbindung mit seinem ganzen Charakter, mehr oder weniger verborgene Vorbilder. Wenn dieses Buch nicht da wäre, so gäbe es in den göttlichen Schriften eine Lücke. Ich frage nun: Ist während der großen Drangsal, deren Vorbild wir in dieser Erzählung sehen, eine Hilfsquelle für den Überrest vorhanden, der fern von Jerusalem und unter die Nationen zerstreut ist? Ja. Wir sehen da eine jüdische Gemahlin gnädig empfangen von dem, der die höchste Autorität darstellt, und das, nachdem die heidnische Gemahlin verstoßen ist. Infolge der ihr gewährten Gunst wird diese Gemahlin, was ihre Herkunft betrifft, öffentlich anerkannt und in Würden und Ehren erhoben werden als die jüdische Königin der Nationen, sie, der Gegenstand der Liebe ihres Gemahls, deren Hofdamen Königstöchter sein werden (Psalm 45, 9). Esther stellt den jüdischen Überrest nach dem Herzen Jehovas dar, welcher der Mittelpunkt des erneuerten Volkes wird. Doch weiter wird uns in dem vorliegenden Buch während dieser Drangsalszeit ein R e t t e r des Volkes gezeigt: Mordokai, der allen Folgen der Untreue Israels unterworfen ist und unter dem Joch der Nationen steht, unternimmt es ganz allein, Haman, dem Agagiter, dem Widersacher der Juden, zu widerstehen. Er widersteht ihm auf Gefahr seines eigenen Lebens, doch er wird vom Tode gerettet, den er nur von weitem sieht.
Hierin unterscheidet Mordokai sich weit von Dem, Der allein den Tod in seiner schrecklichen Wirklichkeit schmecken und siegreich daraus hervorgehen konnte. Mordokai wird gerettet, um, wie wir sehen werden, auf den höchsten Ehrenplatz erhoben zu werden und schließlich seinem Volk den Frieden zu verschaffen. Alles das ist mehr oder weniger dunkel und m u ß e s s e i n zu einer Zeit, wo Gott Sein Angesicht von Seinem Volke abgewendet hat; aber dieses Volk findet in der Gnade des Höchsten ein Hilfsmittel, das nur durch den Glauben ergriffen werden kann. Auf diese Weise wird der Überrest aus der großen Drangsal gerettet. Wenn aber nun auch der Glaube allein dieses Hilfsmittel erkennen und ergreifen kann, so hängt die Ausführung dieser Rettung doch auch von der Treue Esthers ab.
Gerade so ist es in den Psalmen, die den Schrei des Glaubens, der auf die Gnade Gottes rechnet, zugleich aber auch die Rechtschaffenheit der Herzen enthalten, die den Worten und den Geboten Gottes treu sind. So gehorcht Esther dem Gebot Mordokais, wie groß das Wagnis ihres Schrittes auch sein mag. Die Rettung ist also einerseits abhängig von der unumschränkten Gnade und andererseits von dem Glauben und der Treue der jüdischen Gemahlin.
Im Vertrauen auf das Wort Mordokais erscheint Esther vor dem König. Kaum hat der König sie gesehen, so reicht er ihr das goldene Szepter entgegen. S i e w i r d g n ä d i g e m p f a n g e n ! Wie wird da ihr Herz vor Freude übergeströmt sein! Zwar ist die Rettung noch nicht vollendet, aber die Gnade, die sie herbeigeführt hat, ist den Augen Esthers erschienen. "Was ist dir, Königin Esther?" fragt der König, "und was ist dein Begehr? Bis zur Hälfte des Königreiches, und sie soll dir gegeben werden!" Vom ersten Augenblick an ist sie sicher, dass die Hälfte von dem, was der König besitzt, ihr gehört. Ihre Bitten können weit über das Maß dessen, was sie erbitten wollte, hinausgehen. Doch so lange der Feind mächtig ist, muß die Schlangenklugheit mit der Taubeneinfalt gepaart gehen. Esther verschiebt ihr Gesuch bis auf später, ladet den König und Haman zu ihrem Mahl ein und gibt so dem König Gelegenheit, sein Versprechen zu bestätigen (Siehe Verse 3 und 6). Und ein b e s t ä t i g t e s Versprechen, zu dem der König ganz von selbst sich verpflichtet, kann nicht aufgehoben werden.
Wie verschieden ist diese Szene von der, die wir im 6. Kapitel des Evangeliums Markus sehen! Da spricht auch ein König, Herodes, die gleichen Worte zu der Tochter der Herodias: "Was irgend du von mir bitten wirst, werde ich dir geben, bis zur Hälfte meines Reiches." Doch Herodes spricht aus einem von bösen Leidenschaften entzündeten Herzen, und die, die ihm antwortet, will die Ermordung des Vorläufers, des Zeugen und Propheten des großen Königs. Satan ist der Urheber von allem, er, der Mörder, der durch die Lüste des Fleisches regiert. Welch einen Gegensatz haben wir hier!
Die Zuneigung des Königs wird geweckt durch die Anmut seiner Gemahlin. Sie zeigt sich ihm, und er begehrt sie, er, der gesetzmäßige Anrechte an sie hat. Freilich hat er sie eine Zeitlang vernachlässigt. Aber als sie nun nach dreitägigem Fasten mit den Spuren der Angst und der Leiden auf ihrem Angesicht wieder zu ihm kommt, da wird sein Interesse rege, sein Herz schlägt ihr entgegen, er bewilligt ihr alles im voraus, und sie hat nur zu bitten, in der vollen Gewissheit, beim ersten Wort die Antwort zu empfangen. Wir entdecken Gott hinter dieser Szene. Und wenn Ahasveros, der berufen ist, Ihn darzustellen, im Grunde auch nur ein unwürdiges, durch seine unumschränkte Macht verderbtes Wesen ist, 5o benutzt Gott, der Gott Israels, dennoch diese Macht und darauf ihr berufendes Begnadigungsrecht, um Seinen eigenen Charakter zu, zeigen und Seine Pläne auszuführen.
Wir haben bereits gesagt, dass Esther unter göttlicher Eingebung die Klugheit der Schlange besitze. Damit aber das Gericht über Haman komme, muss der Stolz und der Hass dieses Mannes seinen Höhepunkt erreichen und er selbst sich dem Geschlecht gegenübergestellt sehen, das er vertilgen will, aber dessen Verteidigung Gott übernommen hat. Das erste Mahl Esthers lässt seinen Stolz nur noch größer werden. "Aber", sagt er, "dieses alles gilt mir nichts, so lange ich Mordokai, den Juden, im Tore des Königs sitzen sehe" (V. 13). So ist es immer mit dem, was Satan den Menschen anbietet, um sie zu verführen. Wenn sie es besitzen, wie Haman, nachdem er die Befriedigung seines Stolzes erlangt hat, so gilt es ihnen nichts, so lange nicht eine neue Begehrlichkeit befriedigt worden ist. So werden die Sünder von einer Begierde zur anderen, von einem Trugbild zum anderen geleitet bis zum Tage des Gerichts, So bringt hier der Hass Hamans, der nur durch die Ermordung Mordokais befriedigt werden kann, ihn in unmittelbare Berührung mit dem rächenden Gott, dem Beschützer Seines treuen Knechtes. Was wird dann das Los des Agagiters sein? Sein Sturz bereitet sich vor, wie der von Schebna, von dem es heißt: "Dort sollst du sterben, und dorthin sollen deine Prachtwagen kommen, du Schande des Hauses deines Herrn! Und ich werde dich von deinem Posten hinwegstoßen, und von deinem Standorte wird er dich herunterreißen" (Jes 22, 18. 19).
Der satanische Hass Hamans ist noch größer als sein Stolz. Seine ganze Herrlichkeit hat keinen Wert mehr, so lange er nicht seine Rache befriedigt sieht. Freunde und Frau ermuntern ihn: "Geh mit dem König fröhlich zum Mahle". Er empfängt so all die Glückwünsche, welche die Welt darbieten kann, eine Welt, die sich, nachdem sie seinen Begehrlichkeiten geschmeichelt hat, nicht scheut, ihm zu sagen: "Du wirst gänzlich vor ihm fallen" (Kap. 6, 13).
Das alles ist ein Bild, nicht nur von dem Kampf zwischen Haman und Mordokai, sondern zwischen Satan und Christo. Der Gegner muss sich in seiner wahren Gestalt zeigen, bevor Gott einschreitet. Am Kreuz hat Satan gleichsam gesagt: Alles gilt mir nichts, so lange ich nicht Christum beseitigt habe. Er fürchtet, sehen zu müssen, dass Christum die ganze Macht und Obergewalt an sich nehme, dass in seinem eigenen Reiche der Heilige und Gerechte an seine Stelle trete; er fürchtet sehen zu. müssen, dass der Herr Seine Gnadenabsichten zum Heil Seines Volkes ausführe, und diese Furcht zwingt ihn, sich am Kreuz ganz zu enthüllen, indem er Jesum zum Tode bringt. Und wie im Buch Esther, so vollzieht sich diese Szene gerade in dem Augenblick, wo Gott sein Angesicht vor Christo verbirgt! Hier wie dort handelt es sich um einen einzigen Menschen. In Seiner Laufbahn der Erniedrigung hatte Christus "andere gerettet", wie Mordokai den König selbst gerettet hatte. Und was hatte dieser Mann, was hatte Mordokai gefordert, was hatte er zur Belohnung erhalten? Nichts, nicht mehr als der Heiland, von dem er ein schwaches Bild ist. In seiner Liebe hatte er für die Tochter seines Volkes in zärtlicher Weise Sorge getragen und sie in sein Haus aufgenommen, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt. Was hatte er dafür bekommen? Nichts. Der Galgen ist für ihn zugerichtet, fünfzig Ellen hoch; er kann ihn sehen, wie er über den Palast der Stadt Susan emporragt. Was tut er, um ihm zu entgehen? Nichts. Dieser Mann wandelt in Rechtschaffenheit, führt ein verborgenes Leben, beobachtet das Gesetz, widmet sich dem Dienst anderer, leidet und weint über ihre Leiden und findet am Ende seines Weges nur einen Galgen.
Und wie in unserer Geschichte, so offenbart sich Satan am Kreuz, und Gott bleibt verborgen. Gott scheint dem Triumph des Bösen gegenüber schwach zu sein. Sein Knecht ist schwach gegenüber der furchtbaren Macht des Feindes. Doch das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen, als Satan selbst, und Gott verherrlicht sich schließlich durch das Gericht über den Gegner, durch die Erhöhung Christi und durch die Rettung Seiner Geliebten.
In diesem Kapitel tritt in äußerst beachtenswerter Weise die geheime Vorsehung Gottes zu Gunsten Seines Volkes zu Tage. Die Welt nennt das Zufall , der Gläubige sieht G o t t darin und betet Ihn an. Aber wenn er nun auch mit Dankbarkeit die tausend Gelegenheiten seines Lebens wieder durchgeht, wo Gott durch scheinbar zufällige Umstände ihn bewahrt oder ohne sein Wissen ihn geleitet hat, was sind diese persönlich erfahrenen Hilfen, verglichen mit dem, was wir hier sehen? Gott deckt Seine Hand über einen Menschen, um ein ganzes Volk zu retten, und Er rettet Mordokai, damit Israel gerettet werden könne. Nun, wir haben schon in diesem Buch gesehen, das scheinbar so einfach und in Wirklichkeit doch so voller Geheimnisse ist, dass Mordokai ein Vorbild von Christo ist. Vergessen wir jedoch nicht, dass Christus allein durch den Tod wirklich hindurchgegangen ist, um uns zu retten; denn da alle im Tode lagen, musste Er für alle sterben. Ein Isaak geht nicht über das Todesurteil hinaus; ein David ist unter der Bedrückung seines Feindes alle Tage d e m Tode preisgegeben ; ein Jona gerät, lebendig verschlungen , in den Bauch eines Fisches und kommt lebend wieder daraus hervor, nachdem er bildlich durch den Tod gegangen ist; ein Mordokai sieht den fünfzig Ellen hohen Galgen, ohne jemals daran gehängt zu w er den, und kann also nur insoweit, gleich vielen anderen vorbildlichen Personen, uns ein Bild von Christo geben.
Christus allein ist an das Holz gehängt worden, um unsere Sünden zu tragen, um für uns zum Fluch gemacht zu werden, die zerstreuten Kinder Gottes in eins zu versammeln und alle zu Sich zu ziehen. Doch diese Bilder erläutern in wunderbarer Weise die Gedanken Gottes und lassen in deren Tiefen sehen. Ganz anders als Mordokai hat Christus in Seiner Seele in Gethsemane die Drangsal Israels unter dem Zorn der Regierung Gottes durchgemacht; weit mehr als jener hat Er das laute und bitterliche Geschrei" ausgestoßen Dem gegenüber, Der Ihn und Sein Volk aus der Finsternis des Todes zu erretten vermochte; weit mehr als jener ist Er um Seiner Frömmigkeit willen erhört worden.
Andererseits, wieder ganz anders als bei Mordokai, sind Seine gesegneten Beziehungen zu Gott, Seinem Vater, nie unterbrochen worden. Mit Ausnahme der drei Stunden der Finsternis sind sie immer unverletzt geblieben. Selbst in Gethsemane sagte Jesus: "Abba, Vater", als Er in ringendem Kampfe im Voraus die Drangsal Seines Volkes durchmachte. Auf dem Kreuz sagt Er vor den finsteren Stunden des Verlassenseins: "Vater, vergib ihnen", und nachher: ,Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist". Wenn Er in Gethsemane die Drangsal in ihrer ganzen Heftigkeit durchmacht (siehe Ps. 102), so tut Er es als ein heiliges, unschuldiges, unbeflecktes Wesen, indem Er freiwillig den Platz seines Volkes einnimmt, wogegen der Überrest Israels die Drangsal als die Folge seiner persönlichen und gemeinsamen Sünden erleiden wird. Die innere Drangsal in Gethsemane ist die Tat eines einzelnen Menschen, der prophetisch in Gnade den Platz des zukünftigen Überrestes einnimmt, damit dieser ermutigt werde durch die Erkenntnis, dass sein Stellvertreter befreit worden ist, und dass es infolgedessen für die Seinigen eine Befreiung gibt. Außerdem aber ist die Drangsal Israels in den Wegen Gottes dazu bestimmt, bei diesem Volk die Buße hervorzubringen.
Der Glaube Mordokais verwirklicht dies durch das Fasten in Sack und Asche, allerdings nur dunkel, denn er kann nicht einen Augenblick die Stellung verlassen, in welcher der gerechte Unwille Jehovas ihn und seine Nation gestellt hat; er wagt nicht einmal (wir reden hier von dem, was wir im Buche Esther finden) seine Stimme zu G o t t zu erheben, wie Jesus es in Gethsemane tat.
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Die Sorge
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 21ff
Wenn der Krieg auch nicht in jede Familie Tod, Krankheit und Herzenskummer trägt Wenn der Krieg auch nicht in jede Familie Tod Krankheit und Herzenskummer trägt, so bringt er doch überall Sorgen und Beunruhigungen mit sich. Er wird dadurch für einen jeden Gläubigen eine Zeit besonderer Übung und Erziehung.
Alles was sich als Sorge auf die Seele legen will, gleicht ebenso vielen kostbaren Fäden, die unsere Seele mit Gott verbinden und gesegnete Früchte für die Ewigkeit reifen lassen sollen. Alle diese Dinge bilden ein jedes für sich ein notwendiges Glied der Kette, die uns aufwärts und näher zu Gott zieht und in Seiner Gegenwart erhält.
Wie mancher gerät infolge des Krieges in Umstände, die es ihm schwierig machen, nach wie vor für den Unterhalt seiner vielleicht zahlreichen Familie zu sorgen! Er möchte gern arbeiten, kann aber keine lohnende Arbeit finden. Wie mancher, der ein eigenes Geschäft hat, wird von großen Sorgen gepeinigt! Schon in Friedenszeiten hielt es schwer, in dem allgemeinen Wettbewerb mitzukommen, und jetzt, wo er durch empfindliche Verluste geschädigt, wo ihm das für den Weiterbetrieb notwendige Kapital entzogen oder geschmälert ist, wo die Aufträge ausbleiben — da sieht er dem scheinbar unausbleiblichen Verfall seines Geschäfts entgegen, und er fragt sich ängstlich: Was soll werden? Wie soll ich meinen Verpflichtungen nachkommen, wie meiner Familie Nahrung und Kleidung verschaffen?
Diese Sorge ist von Gott vorausgesehen. Er weist die Ängstlichen auf die Worte unseres Herrn hin: „So seid nun nicht besorgt, indem ihr saget: Was sollen wir essen? oder: was sollen wir trinken? oder: was sollen wir anziehen? denn nach allem diesem trachten die Nationen; denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr dies alles bedürfet“ (Matth. 6,31.32).
Ist es nicht ein großer Trost, dass unser Vater weiß, dass wir Nahrung und Kleidung unbedingt zum Leben notwendig haben, und dass Er durchaus willig ist, sie uns zu geben? Gott nennt uns Seine Hausgenossen (Eph. 2, 19), und Er, der es so scharf tadelt, „wenn jemand für die Seinigen, und besonders für die Hausgenossen, nicht sorgt“ (1. Tim. 5, 8), lässt es sicherlich nicht daran fehlen, reichlich für uns zu sorgen. Wir find auch ganz von Ihm abhängig. Wie sich unsere Zukunft auch gestalten mag, durch unsere Sorgen ändern wir gar nichts daran. „Niemand kann mit Sorgen seiner Größe eine Elle zusetzen“ (Matth. 6, 27). Was wir aber zu tun haben, ist, unser tägliches Brot aus Seiner Hand zu nehmen und, „indem wir um nichts besorgt sind, durch Gebet und Flehen mit Danksagung unsere Anliegen vor Gott kundwerden zu lassen“ (Phil. 4, 6).
Nun könnte man denken: Ich will einfach Gott alles anheimstellen und mich um meine Pflicht, für die Erhaltung meiner Familie zu sorgen und zu arbeiten, nicht weiter kümmern. O nein; Pflicht und Sorge sind zwei verschiedene Dinge, die nichts miteinander gemein haben. Wir sehen es an unseren Kindern. Ein Kind ist schuldig, seine Pflicht zu tun, d. h. allen Forderungen der Eltern nachzukommen. Muss es darum auch sorgenvoll sein? Gewiss nicht. Das Kind kümmert sich nicht im Geringsten um Speise und Kleidung; dafür sorgt der Vater. Es ist sich bewusst, dass das Auge der Mutter liebend auf ihm ruht. In dem Bewusstsein, dass die Eltern seine Bedürfnisse kennen, und im Vertrauen zu ihrer Liebe bittet es einfach um das Nötige und hält die Erfüllung der Bitte für selbstverständlich. Zugleich ist es sich aber bewusst, dass es den Eltern in allen! zu gehorchen hat.
So auch wir. Wir haben, wie ein Kind seine Mutter, unseren Herrn kennen gelernt durch die Hilflosigkeit und Abhängigkeit, in welcher wir uns befinden. Wir dürfen die Sorge um Nahrung und Kleidung Ihm überlassen, der da weiß, dass wir dieser Dinge bedürfen; zugleich aber nehmen wir als gehorsame Kinder zu Herzen, was Er uns in dieser (wie in jeder anderen) Beziehung sagen lässt. „Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit, und dies alles (Essen, Trinken, Kleidung), wird euch hinzugefügt werden« (Matth. 6, 33), so ruft Er uns zu, und, gleichsam als Antwort auf diese Ermahnung, sagt der Apostel Paulus: „Wenn wir Nahrung und Bedeckung haben, so wollen wir uns daran genügen lassen“ (1. Tim. 6, 8). Es ist uns nicht verheißen, alles im Überfluss zu genießen, oder alle in Samt und Seide zu gehen.
Trachten wir also zuerst nach den göttlichen Dingen, und begnügen wir uns mit den irdischen Gaben, die Gott uns zu geben für gut findet, indem wir uns nach der Decke strecken — dann zerrinnt die Sorge, was wir essen, trinken oder anziehen sollen, wie Schnee vor der Sonne.
Doch es gibt noch eine Reihe von anderen Sorgen, die auf unserem Wege liegen und unser Herz bedrucken können. Für alle diese Beunruhigungen und Schwierigkeiten gilt der ermunternde Zuruf: „Alle eure Sorge werfet auf Ihn, denn Er ist besorgt für euch“ (1. Petr. 5, 7). Gottes Besorgtsein für uns erstreckt sich nicht allein auf unsere Nahrung und Kleidung, auf die Durchhilfe durch die Umstände des Lebens, nein, viel mehr noch ist Er auf unser geistliches Wohl bedacht, auf unser Wachsen in der Gnade und Erkenntnis Jesu Christi, auf unser Verwandeltwerden in Jesu Bild, auf unsere Gleichförmigkeit mit Ihm in Gesinnung und Wandel.
Zu diesem Zweck benutzt Er die vielen Sorgen hienieden, alles das was das Herz verzagt machen will. Da gibt es freilich Schwierigkeiten, die nur durch die Macht des Herrn überwunden werden können, und Sorgen, die nur die Liebe und Treue des Herrn uns abzunehmen vermögen. Lernen wir aber in ihnen die große Wahrheit, dass alle Schwierigkeiten, alle Sorgen, auch die größten und schwersten, schwinden, sobald wir sie in Glaubenseinfalt in die Hände unseres mächtigen und liebenden Vaters, unseres helfenden und tröstenden Herrn legen!
Was es heißt, Gott in Seiner Kraft allein sorgen zu lassen, hat Josaphat, der König von Juda, erfahren (2.Chron. 20).
Gegen ihn kämpften die „Kinder Ammon, Moab und die vom Gebirge Seir“. Jhre mächtigen Heere lagerten zu Engedi am Toten Meere und bedrohten Jerusalem. Die Gefahr war aus den Höhepunkt gestiegen. Da betete der König in der Versammlung Judas und Jerusalems im Hause Jehovas: „. . In deiner Hand ist Kraft und Macht, und niemand vermag gegen dich zu bestehen. . . . In uns ist keine Kraft vor dieser großen Menge, die wider uns kommt, und wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern auf dich sind unsere Augen gerichtet“.
Die göttliche Antwort auf dieses Gebet lautete: ,,Fürchtet ihr euch nicht und erschrecket nicht vor dieser großen Menge, denn nicht euer ist der Streit, sondern Gottes“. Und siehe da, während Israel noch lobsang : ,,Preiset Jehova, denn Seine Güte währet ewiglich«, stellte Jehova einen Hinterhalt wider die Feinde und schlug sie. Der Sieg war schon erstritten, noch ehe Josaphat herzukam, und das feindliche Lager, voll von den Leichen der Erschlagenen, samt einer unermesslichen Beute fiel in seine Hände. Er konnte mit seinem königlichen Ahnen singen: »Ich werde Jehova anrufen, der zu loben ist, und ich werde gerettet werden von meinen Feinden“ (Ps. 18, 3).
Aber nicht allein Gottes Macht, auch Seine vorsorgende Liebe steht uns zu Gebote. Wie nahm sich zum Beispiel Gott des ganz und gar entmutigten Elia an, als er auf der Flucht vor Isebel unter einem Ginsterstrauch lag! Er sandte ihm durch einen Engel einen Kuchen, auf heißen Steinen gebacken, und einen Krug Wasser. Elia isst und trinkt und legt sich wieder zum Schlafen hin. Doch nochmals —— Gott konnte nicht aufhören, sich mit ihm zu beschäftigen — wird er durch den himmlischen Wächter geweckt. Dieser sagt ihm: „Stehe auf, iss! denn der Weg ist zu weit für dich«. Gott, der so väterlich für uns besorgt ist, sorgt nicht bloß für den Augenblick, sondern auch für unseren Unterhalt auf dem ferneren Wege, dessen Bedürfnisse Er im voraus kennt. Wie sollte doch dieser Blick in Gottes Tun Mut und Vertrauen bei uns beleben! Die im Vertrauen aus Gottes Hand genommene Speise lässt uns dauernde Kraft gewinnen. „Elia ging in der Kraft dieser Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis an den Berg Gottes, den Horeb" (1. Kön. 19, 8).
Ja, der Herr hilft so gern über unser Bitten und Denken hinaus. „Tue deinen Mund weit auf, und ich will ihn füllen“, heißt es in Ps. 81, 10. Erinnern wir uns nur der geängstigten Witwe, die sich in ihrer Not zu dem Propheten Elis a geflüchtet hatte. Sie sah keine Möglichkeit, ihre Schulden zu bezahlen. Ihre ganze Habe war nur ein Krug Öl. Aber der Prophet, der wohl wusste, in wessen Namen er sprach, sagt ihr: „Gehe hin, erbitte dir Gefäße von draußen, von allen deinen Nachbarn, leere Gefäße, nimm nicht wenige, und . . . gieße in alle diese Gefäße“ (2. Kön. 4, 3. 4.) Wir wissen, dass das Öl erst stand, als kein Gefäß mehr da war.
Mögen also die Sorgen sein, welcher Art sie wollen, mag dein Herz niedergebeugt sein in dem Gedanken an dein Geschäft oder an andere Umstände, mag es sich um Nahrungssorgen oder um den Kummer einer verwundeten Seele handeln —- immer lautet die kostbare Botschaft an dich: „Gehe hin, erbitte dir Gefäße, leere Gefäße, nimm nichtwenige, und ich will sie füllen“.
Denke aber daran, dass die Gefäße leer sein müssen, nicht etwa zur Hälfte gefüllt mit deinen eigenen Gedanken, mit Selbsthilfe und Menschenhilfe, nein, ganz leer. Und zweitens: Nimm nicht wenige! Gott ist nicht nur willig, dir zu helfen, sondern Er möchte deinem Glauben überströmend begegnen. Er ist reich an Barmherzigkeit, und bis an die Wolken reicht Seine Treue. Darum: Fürchte dich nicht, sondern glaube nur; und — es wird dir geschehen nach deinem Glauben.
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Ich steh auf hoher Zinne
Bibelstelle: Lukas 12,37
Botschafter des Heils 1915 S. 28ff
Autor: L. W.
„Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn Er kommt, wachend finden wird!“
Ich steh auf hoher Zinne und halte stille Wacht,
seh`, wie die Zeit so dunkel, so sturmbewegt die Nacht.
Ich seh` ins Weltgetriebe, ins große Völkermeer –
Ich seh` nur düstre Bilder, nur Schrecken ringsumher.
Ich höre allerorten nur wildes Kriegsgeschrei;
ich höre von Verwüstung und Gräueln mancherlei.
Seh’, Gottes Kinder müssen mit in die Schlachten ziehn,
indessen ihre Lieben zu Hause betend knien.
Ich seh’ die weite Erde mit Strömen Bluts ertränkt —-
So manches junge Leben ins stille Grab gesenkt.
Wer zählet wohl die Tränen? Wer fasst das Herzeleid,
den Kummer und die Sorgen in dieser schweren Zeit?
O Herr, wie soll das enden? Gib Du Belehrung mir!
Wir meinten doch, Dein Kommen, es stände vor der Tür!?
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O zage nicht! — In Wahrheit, es wird gar bald geschehn;
Gar bald wird jeder Gläub’ge den Morgenstern — mich -— seh’n.
„Ich muss nur noch in Eile die Leisten zu mir ziehn,
Das; sie, gleich dir, dem Zorne, der kommen soll, entfliehn.
,,Inzwischen brich mit Freuden dem Hungrigen dein Brot,
Und wenn du kannst, so tröste Bedrängte in der Not.
,,Streu’ weiter guten Samen für andre aus zum Heil;
Nimm als ein treuer Diener an meinem Werke teil.
Ich komme unversehens — mit mir mein großer Lohn;
Dann trägt, der mir gedienet, ein volles Maß davon.
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Wenn es nötig ist
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 29ff
Es wird heute viel Es wird heute viel geredet und geschrieben über die Größe und den Ernst unserer Zeit. Mit Recht, denn sie ist groß und ernst. Wer von uns hätte je daran gedacht, derartiges durchmachen zu müssen? Wie fühlte man sich so wohl auf Erden bei dem Gedanken, die Ruhe werde nicht mehr ernstlich gestört werden, der Herr Jesus werde vor dem Eintreten größerer Umwälzungen kommen und uns in Sicherheit bringen. Wohl erkannte man, dass die politischen Zustände einer gewaltigen Entscheidung zudrängten, dass etwas Besonderes kommen müsse, aber man meinte vielfach, das von dem Standpunkte des Unbeteiligten aus betrachten zu dürfen. Wie sehr hat man sich getäuscht! Wie ernst war das Erwachen!
Der Mensch sagt allerdings, dass dieses Furchtbare mit mathematischer Sicherheit habe kommen müssen. Wir wissen aber, dass der Höchste, der über alle Könige der Erde Macht hat, es bis nach der Aufnahme der Braut hätte zurückhalten können. Auch jetzt noch kann der Herr kommen, bevor der Krieg zu Ende geht. Und wer von uns möchte nicht von Herzen Wünschen, dass Er heute noch käme?
Vielleicht aber will der Herr, dass wir den Krieg durcheben; Und so schwer die Tage heute schon sein mögen, noch schwerere stehen dann in Aussicht. Da mögen wir uns wohl an ein Wort in 1. Petr. 1, 6 erinnern, wo wir lesen: . . . „die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es nötig ist, betrübt seid durch mancherlei Versuchungen“.
„Eine kleine Zeit betrübt“ — ja, Gott sei Dank! im Vergleich mit der vor uns liegenden Ewigkeit währt die Prüfung nur eine kurze Spanne Zeit, und Gott selbst misst sie ab nach Seiner Weisheit und Barmherzigkeit. Und wann sendet Er sie? „Wenn es nötig ist!“
Verstehen wir, was das sagen will? Die züchtigende Hand Gottes ruht auf der Erde, auf den Völkern um uns her, auf dem deutschen Volke, auf uns, Seinen Kindern. Und wenn Er züchtigt, so ist dadurch der Beweis erbracht, dass es notwendig ist. Es bedarf keines anderen Beweises. Und in der Tat, wohin ist die Christenheit gekommen! In welch ernsten, sittlichen Verfall war unser Volk und Land geraten! Ja, wo standen wir, die wir zur Verherrlichung Gottes hienieden bestimmt sind! Was wollen wir nun tun, wenn wir unseren Gott und Vater sagen hören, dass Er uns nur dann durch Trübsale führe, wenn’s nötig ist? Wir wollen uns vor Ihm beugen, in Anerkennung der Notwendigkeit unserer Züchtigung, erschreckend darüber, dass eine solch große Trübsal für uns nötig war. Wie schlimm muss es um uns gestanden haben, wie sehr muss der Geist dieser Welt und das Verderben von Laodicäa in unsere Reihen eingedrungen sein! O- wie müssen wir unseren Heiland, der einst für uns Sein Leben darlegte, betrübt und Seinen heiligen Namen verunehrt haben! Lasst uns alle von Herzen rufen: „Herr, gib mir mehr Licht über mich, über meinen Wandel, über meine Gesinnung, über die Beweggründe all meines Tuns! Vertiefe in mir die wahre Erkenntnis des Bösen und deiner Heiligkeit!“
Wir Gotteskinder erleben ohne Frage die gegenwärtige Drangsal zu unserer Beschämung, zu unserer Demütigung, zur notwendigen Heilung. Schon lange hatten ernste Christen um Wiederbelebung der Gemeinde Christi zum Herrn gerufen. Sie seufzten unter dem gewaltigen überall zutage tretenden Niedergang in der Verwirklichung all des Heiligen und Kostbaren, das den Gläubiger: geschenkt ist, aber leider vielfach nur mit dem Verstande erfasst wurde. Sie flehten um Heilung von Selbstsucht und Oberflächlichkeit, um Vertiefung der Gottesfurcht in den Herzen. Aber es war, wie wenn alles Rasen ungehört verhalle. Man wartete auf Antwort, und es kam keine. Wohl griff Gott in das Leben Einzelner in ernster Weise ein, um das Herz durch Sturm und Drang in die praktische Lebensgemeinschaft mit Ihm zurückzuführen. Aber selbst so waren Seine Bemühungen oft umsonst. Und wie es an dem einen Orte stand, so war es fast überall. Weltsinn und Mangel an Ernst und Treue machten sich breit auf allen Seiten! Manche erleuchtete Christen wollten schier alle Hoffnung aufgeben. Da erschien der Herr mit gewaltigem Zuruf auf dem Schauplatz. Alle vernehmen heute Seine Stimme· Er ist gekommen, um auf das Rasen der Seinen zu antworten, um durch die gegenwärtigen Stürme Demütigung, Beugung, Umkehr und Heilung, eine allgemeine Belebung Seiner Gemeinde zu schenken. Zur Erhörung des vielen Flehens war diese -große, schwere Züchtigung nötig. Deshalb lasst uns Ihm dafür danken, so schwer und schmerzlich dieser Weg ist! Er lässt uns nicht, lässt auch nichts unversucht, um uns zu dienen, zu helfen und uns zu fördern. Welch eine Gnade, dass wir in dem Sturmeswehen Seine Stimme vernehmen dürfen!
Wir wollen darum, trotz allem, auch nicht verzagen, sondern alles in die guten und treuen Hände Dessen legen, der diesen furchtbarsten aller bisherigen Kriege notwendig senden musste. Vielleicht ist er auch der einzige Weg, der noch übrig war, um vielen Menschen zum Heil ihrer Seele nahezukommen. Wer könnte die Tränen und Seufzer um all die verlorenen Söhne und Töchter zählen, die schon zum Gnadenthron emporgestiegen find! Wer kennt all die furchtbaren Ketten, mit denen Satan sie gebunden hielt, Ketten, die in den gegenwärtigen letzten Zeiten wohl schrecklicher und gefährlicher find, als je zuvor? Vielleicht hatte Gott schon an vielen Herzen alles versucht, und als letztes Gnadenmittel blieb nur noch dieser Krieg übrig. Wie herrlich, dass auch dieser Spruch, »wenn es nötig ist«, zwei Seiten hat: die eine Seite Licht, die andere Liebe.
Gott redet in dieser ernsten Zeit aber nicht nur zur Allgemeinheit, sondern ganz besonders zu jedem Einzelnen. Mein lieber gläubiger Leser! Haft du dich deshalb schon gefragt: „Herr, was hast du mir zu sagen?“ Hast du dein Leben im Lichte der Ewigkeit beurteilt? Sind in deinem Herzen jetzt wirklich gebahnte Wege? Hast du gebrochen, völlig gebrochen mit schlechten Angewohnheiten, unreinen Neigungen und dergleichen? Hast du den „alten Sauerteig“ gründlich ausgefegt? Wenn nicht, so war für dich dieser Krieg ganz besonders nötig. Und wenn Leben aus Gott in dir ist, dann musst du fühlen, dass Beugung und Demütigung sich für dich geziemen. O welch kostbare Frucht würde aus dieser Tränensaat ausgehen, wenn alle Gläubigen den ihnen gebührenden Platz, vor Gott einnehmen würden, und zwar ein jeder persönlich!
Wie nötig die Trübsal war, darüber herrscht unter einsichtsvollen Christen nur eine Stimme. Ein bejahrter Diener des Herrn schreibt: „Der Herr ist am Werk, um uns alle vor der Gefahr toten Wissens zu bewahren und uns demütig zu machen, damit wir das Tun, das Ausleben und Verwirklichen des Wortes lernen. Er will die Gefahr beseitigen, dass man vielfach die biblische Heiligung missachtete aus Furcht vor einer unbiblichen Heiligung des Fleisches. Um diese Gefahr zu überwinden, bedarf es einer tiefgreifenden Wandlung bei manchen Geschwistern.“
Ein anderer drückt sich folgendermaßen aus: »Gott redet durch diesen schrecklichen Krieg ernst und eindringlich zu allen, besonders zu uns Gläubigen. Er konnte nicht anders. Mit banger Sorge blickten die Gottesfürchtigen in die Zukunft angesichts des Verfalls um sie her. Ach! es liegen Tage hinter uns, in denen nicht nur die breiten Schichten des Volkes ihre Ohren von der Wahrheit ab- und zu den Fabeln hingewendet haben, sondern auch solche, die da bekennen, das Salz der Erde zu sein. Die Wahrheit von unserer himmlischen Berufung und unserer Stellung in Christo hatte bei manchen ihren Wert verloren, und das Forschen im Worte Gottes hatte bedenklich nachgelassen. Anstatt des Buches des Lebens studierte man Zeitungen und nährte sein inneres Leben mit wertlosen Geschichten. Von der abscheulichen Mode der Frauenwelt gar nicht zu reden, die auch unter den Schwestern Aufnahme gefunden hat. Was hilft es zu sagen: „Wir haben die Wahrheit“, oder: „Hier ist die Wahrheit“, wenn Gottesfurcht und Demut fehlen?
„Darf man sich da wundern, wenn Gott Seine Hand zum Schlage erhoben hat? Der Herr erwartet von den Seinigen die tiefste Beugung. „Wem viel gegeben ist, viel wird von ihm gefordert werden“. Doch trotz allem, unser Gott ist ein gnädiger Gott. Er hat Seinen Arm nicht erhoben zum Verderben, sondern zur Reinigung und Wiederherstellung.“
Ein Dritter klagt: »Wie war die Bruderliebe aus unserer Mitte so vielfach verschwunden! Wie wenig hat man sich umeinander bekümmert! Wie schwach war die Fürbitte füreinander, wie arm und kraftlos waren oft die Gebetsversammlungen! *)
„Wie wenig haben wir einander geholfen mit den zeitlichen und geistlichen Gaben, die der Herr uns geschenkt hatte! Wie wenig Anreizung zur Liebe und zu guten Werken war da! Wie wurde von vielen das Zusammenkommen versäumt, wie wenig die persönliche Gemeinschaft mit dem Herrn gepflegt! Ja, wie hing diese Seele am Gelde, jene an schöner Kleidung, diese am Haushalt, jene am Geschäft! Die irdischen Dinge nahmen uns viel mehr in Anspruch, als gut war. Wir dachten, urteilten und handelten wie die Welt. Unzufrieden und oft selbst undankbar für Essen und Trinken, Kleidung, Obdach, Arbeit, Gesundheit, nahmen wir so viele herrliche Gottesgaben als selbstverständlich hin.“
Wir können zu dem allen nur Ja und Amen sagen und müssen hinzufügen: Zu was allem die heutigen Zeiten der Trübsal notwendig sind, das entzieht sich noch zum großen Teile unserer Beurteilung. Und wie sehr sie nötig waren, das werden wir erst in der Zeit aller Rätsellösung und Fragenbeantwortung verstehen. Aber wir müssten nicht Kinder Gottes sein, fühlten wir nicht schon heute den Druck des Fingers Gottes auf so mancher Wunde. Wir können wohl mit der Witwe zu Zarpath in 1. Könige 17 sagen: „Du bist zu mir gekommen, um meine Ungerechtigkeit ins Gedächtnis zu bringen“. Wohl uns, wenn wir den Grund der ernsten Heimsuchung Gottes erkennen und uns von Herzen demütigen! Wir haben viel Licht über die Gedanken und Ratschlüsse Gottes. Aber wie stand unser Herz, unser praktisches Leben dazu? Wie war und ist unser Verhalten in der Familie? Wie den Nachbarn gegenüber? Nach welchen Grundsätzen wurden unsere Geschäfte geführt? Wie standen wir den Arbeitsgenossen gegenüber? Lauter wichtige Fragen! Mussten die Kinder der Welt, die mit uns in Berührung kamen, aus unserem Verhalten, aus den in die Erscheinung tretenden Grundsätzen, den Schluss ziehen, dass wir Jünger oder Jüngerinnen des Herrn Jesu sind, die nicht an sich denken, sondern das Wohl der anderen Menschen und die Verherrlichung des Vaters erstreben? Wie traurig ist es, wenn man von einem Christen sagen hört: „Das ist ein kluger Mensch! Der weiß ganz genau was er tut, und versteht aus alle Weise seinen Vorteil zu wahren«. Wir erfreuen uns einer herrlichen, himmlischen Berufung und Wollen Nachfolger des verachteten Nazaräers sein; aber wie haben wir uns verhalten? O, es ist sehr, sehr ernst — Gott musste uns schlagen, musste die gegenwärtigen Trübsale notwendig senden.
Wenn wir schließlich auf die Zersplitterung unter den wahren Christen sehen, auf die Uneinigkeit und vielfache gegenseitige Befehdung, so müssen wir wieder mit Beschämung zugestehen: auch dieser Dinge wegen war die Trübsal nötig. Wollen wir andere verurteilen? Nein, wir wollen an uns denken und zum Herrn um Gnade flehen, auf dass wir unsere Fehler recht erkennen. Vielleicht nehmen wir in dem einen oder anderen Punkt nicht die richtige Stellung unseren Geschwistern gegenüber ein, vielleicht haben wir nach Gottes Urteil viel mehr gefehlt, als wir im allgemeinen denken. Möchte der Herr- in Gnaden Augen öffnen, wo und wie es nötig ist! Lasst uns Seine Stimme auch in diesem Stück erkennen! 37
Der Apostel Johannes gibt am Schlusse seines ersten Briefes den Gläubigen ein Wort mit auf den Weg, ruft es gewissermaßen laut hinter ihnen her, auf dass sie es ja nicht vergessen möchten, und das ist: „Kinder, hütet euch vor den Götzen!“ Ich glaube, wir wissen gar nicht, wieviel wir uns vor ihnen nicht gehütet haben. Wer könnte all die Hausgötzen, die zum großen Teil verborgen sind und von anderen nicht oder nur wenig gesehen werden, auszahlen? Wir haben schon oben einige genannt: Geld und Gut, Haus und Hof, Geschäft, gemächliches Leben, Eigenwille, Hochmut, Selbstgefälligkeit, Ehre vor den Menschen u. s. w., u. s. w. Immer ist es etwas, das dem eigenen Ich zugute kommt; deshalb ist wohl das eigene Ich der vornehmste Hausgötze. Was sollen wir dem gegenüber tun? Was Jakob in 1. Mose 35, 2 tat. Er rief seinem ganzen Hause zu: „Tut die fremden Götter hinweg, die in eurer Mitte sind, und reiniget euch, und wechselt eure Kleider!“
Fußnoten:
*) Es ist damit nach Ausdruck) des Krieges ja an vielen Orten anders geworden. Es gibt wohl kaum eine Versammlung, wo man seitdem nicht regelmäßig an mehreren Abenden in der Woche zum Gebet zusammenkommt. Viel Gebet und Flehen ist zum Gnadenthron emporgestiegen, verbunden mit ernstem Bekenntnis und Selbstgericht. Mancher Mund hat sich in den gemeinsamen Zusammenkünften geöffnet, der sonst gewöhnlich stumm war. Aber leider macht sich auch hier schon wieder ein Rückgang bemerkbar. Von manchen Orten her werden Klagen laut, dass die im Anfang erfreulich und verheißungsvoll einsetzende Bewegung schon bedenklich nachzulassen beginne, trotzdem doch der Krieg seitdem nur immer größere Ausdehnung genommen habe, und die Anlässe zu heißem, anhaltendem Ringen im Gebet nur umso zahlreicher geworden seien.
O was ist der Mensch! Was find wir! Wie klein ist die geistliche Kraft, wie gering dass Ausharren! Wie rasch verblassen die tiefsten Eindrücke, verlieren die ernstesten Warnungen ihre Kraft! Muss Gott noch ernster reden? noch schmerzlicher schlagen?
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Betrachtungen über das Buch Esther
Bibelstelle: Esther
Botschafter des Heils 1915 S. 38ff
Kehren wir jedoch zu dem Hauptgegenstand unseres Kapitels, den geheimnisvollen Wegen der Vorsehung Gottes mit Seinem Volk, zurück. Hier drängen sich die Fragen geradezu auf unsere Lippen, und das Ergebnis dieser Ereignisse ist allein imstande, uns die Antwort darauf zu geben. Der Galgen für Mordokai ist aufgerichtet; der mit so viel Geschicklichkeit ersonnene Plan Hamans scheint seiner gewissen Verwirklichung nahe gerückt zu sein. Warum flieht gerade in dieser Nacht den König der Schlaf? Warum kommt er, um seine Schlaflosigkeit zu beseitigen, auf den Gedanken, sich das Gedächtnisbuch der Chronik vorlesen zu lassen? Warum fällt der Vorleser gerade auf die Stelle, die sich auf Mordokai bezieht? Warum erkundigt sich der König nach den seinem Retter erwiesenen Auszeichnungen? Woher seine Frage: "Wer ist im Hofe"? Warum ist genau in diesem Augenblick Haman da, der kommt, um von seinem Herrn die Hinrichtung Mordokais zu fordern? Warum gibt der König seiner Frage an ihn ein Wendung, die seinen Günstling in die Schlinge fallen lässt? Warum wird Haman gezwungen, selbst der Herold des Mannes zu werden, den er mit der ganzen Kraft seiner Seele hasst?
Sollte das Volk gerettet werden, so musste zunächst Mordokai Rettung finden. Wozu konnte fortan der errichtete Galgen dienen, da ja Mordokai öffentlich als der anerkannt worden war, an dessen Ehre der Herrscher Gefallen hatte? Ein einzelner Mann musste (und hier finden wir wieder in Mordokai das so interessante Vorbild von Christo) der Befreier des Volkes werden; und zu. diesem Zweck musste er, nachdem er bis zur untersten Stufe der Erniedrigung, unter Sack und Asche, hinabgestiegen war, zur höchsten Würde erhoben werden, deshalb machte der Allmächtige ihn (bildlich) zum Herrn und Christus. Doch alle Ehrenbezeugungen, die ihm erwiesen werden, hindern Mordokai nicht daran, seinen Platz als Diener zu bewahren: „er kehrte zum Tore des Königs zurück" (V. 12). Wahrlich, ganz verschieden von Haman, der in seinem maßlosen Stolz sich erhob und von allen bedient werden wollte, vollendet Mordokai hier das Vorbild von Christo. Christus hat Knechtsgestalt angenommen, allerdings nicht gezwungen wie Mordokai, sondern freiwillig, aus Liebe, indem Er kam, um Sich zu unterwerfen, zu dienen und Sein Leben zu lassen. Wie Mordokai wurde Er im voraus auf dem heiligen Berge erhöht, und von da stieg Er hinab, um sogleich seinen Dienst wieder aufzunehmen. Doch noch mehr. Nachdem Er das Kreuz erduldet hatte, wurde Er erhöht zur Rechten des Vaters, und, Seinen Dienst fortsetzend, wäscht Er von dort die Füße Seiner Jünger. Ja, schließlich, wenn Er völlig von allen anerkannt sein wird, wird Er immer noch fortfahren, Seinem himmlischen und Seinem irdischen Volk zu dienen, „wohlgefällig der Menge Seiner Brüder" (Kap. 10, 3).
Den Freunden Hamans, seinen Weisen und selbst seinem Weibe beginnen die Augen aufzugehen: "Wenn Mordokai vor dem du. zu fallen angefangen hast, vom Samen der Juden ist, so wirst du nichts gegen ihn vermögen, sondern du wirst gänzlich vor ihm fallen" (V. 13). Wo ist ihr Mitgefühl mit dem, der "traurig und mit verhülltem Haupte" vor ihnen steht? Sie, die ihm noch am Abend vorher gesagt hatten: "Gehe fröhlich zum Mahle", haben kein Wort des Trostes mehr für den niedergeschmetterten Bösen. "Du hast angefangen zu fallen . . . du, wirst gänzlich vor ihm fallen". Bitterer Schmerz wird all seinem Herzeleid in dem Augenblick hinzugefügt, wo die Drangsal ihn selbst erreicht. Kann man von der Sehnsucht natürlicher Herzen etwas anderes erwarten? Wenn das Übel nur nicht sie trifft, was kümmert es sie dann? Der, welcher ihnen Gunstbeweise austeilte, kann nichts mehr für sie tun. Keiner von ihnen versucht auch nur ein Mittel anzuraten, durch das er seinem Schicksal entfliehen könnte. Alles um ihn her bricht zusammen. Von außen hat er keine Stütze mehr, und die innere Stütze seines Stolzes hält auch nicht stand. Wohl oder übel muss er sein Schicksal tragen; denn gerade in diesem Augenblick "kamen die Kämmerer des Königs herbei und führten Haman eilends zu, dem Mahle, das Esther vorbereitet hatte".
Ach! dieses Wort: "Auch auf morgen bin ich mit dem König von ihr geladen", es wendet sich gegen ihn; die Sonne seiner Herrlichkeit erlischt. Dieses Mahl ist die schwere Gewitterwolke, aus welcher der Blitz auf sein schuldiges Haupt fallen wird!
Die Stunde des Mahles ist gekommen, Ahasveros wiederholt Esther gegenüber zum dritten Mal das Anerbieten der Hälfte seines Reiches. Was auch geschehen mag, sie kann volles Vertrauen haben, da das Versprechen durch den Mund des Königs zweimal bestätigt worden ist. Daher fasst sie sich denn gleich ein Herz und sagt: „Wenn ich Gnade gefunden habe in deinen Augen, o König, und wenn es den König gut dünkt, so möge mir mein Leben geschenkt werden um meiner Bitte willen, und mein Volk um meines Begehrs willen. Denn wir sind verkauft, ich und mein Volk, um vertilgt, ermordet und umgebracht zu werden; und wenn wir zu Knechten und Mägden verkauft worden wären, so hätte ich geschwiegen, obgleich der Bedränger nicht imstande wäre, den Schaden des Königs zu ersetzen". Der Augenblick ist gekommen, wo die jüdische Gemahlin vor der heidnischen Macht, deren Gunst sie erlangt hat, ihre Abstammung offenbart.
Wir haben hier den zweiten Abschnitt der Geschichte Esthers, der Geschichte des Überrestes. Im ersten Abschnitt befindet sich Esther unter der Knechtschaft der Nationen; ihre Schönheit und Anmut lassen diese Knechtschaft nur noch mehr hervortreten. Es ist ihr untersagt, sich zu erkennen zu geben, bis die ungerechte Macht, die durch Haman dargestellt wird, auf dem Gipfelpunkt angelangt ist. Aber als Mordokai, in dem wir ein Vorbild von Christo gesehen haben, vom Feinde angegriffen wird, der sich seiner zu entledigen sucht, als die Pläne des durch die höchste Gewalt schon erhöhten Gegners gegen ihn der Erfüllung nahe zu sein scheinen, da offenbart sich Esther und tut, weil sie Haman nicht den Sieg davontragen lassen kann, ihre Verwandtschaft mit dem Volke Gottes kund, das sie "mein Volk" nennt; und zwar tut sie dies vor dem Herrscher, der ihr unendlich gewogen ist und sie zärtlich liebt. Sie ist, sozusagen, all den Stufen gefolgt, durch die Mordokai gegangen ist. Als er verborgen war, war sie es ebenfalls, obgleich sie damals schon einen Lieblingsplatz im Herzen des Herrschers einnahm und noch niemand wusste, dass sie eine Jüdin war. Wenn Mordokai erhöht wird, bevorr er die höchste Gewalt über die Nationen erlangt hat, bekennt Esther sich sofort als Glied des Volkes dessen, der die Regierung der Nationen noch nicht in der Hand hat, aber vor aller Augen erhöht und als der Mann geoffenbart ist, der das Recht auf die königliche Würde besitzt. Die bestimmte Zeit ist gekommen: Jehova wird aufstehen und sich Zions erbarmen (Psalm 102,13). Die Stunde hat geschlagen. Schon hat sich die Herrlichkeit Mordokais gezeigt, wenn auch seine Regierung noch nicht errichtet ist. Warum soll man jetzt nicht öffentlich erklären, dass man dem Volke Gottes angehört?
Die erste Offenbarung der Herrlichkeit ist noch nicht die Errichtung der Regierung. Von ihr wird in Sacharja 2, 8 gesagt: Nach der Herrlichkeit hat er mich zu den Nationen gesandt, die euch geplündert haben; denn wer euch antastet, tastet seinen Augapfel an". So wird auch nach der Herrlichkeit Mordokais Esther als die jüdische Gemahlin anerkannt, und die Feinde Israels fallen dem Volk zur Beute, das sie unterjocht hatten. Wenn es sich nur darum gehandelt hätte, die Knechtschaft Israels noch dadurch zu erschweren, dass man sie „zu Knechten und Mägden verkauft" hätte, so hätte Esther schweigen können; aber kann sie noch schweigen, wenn ihr Beschützer zur Würde erhoben ist und ihr Volk vertilgt werden soll? In diesem Augenblick wird Haman, der Agagiter, gerichtet. Das wird auch der Augenblick sein, wo der Antichrist, in dem Satan sich verkörpert, von seiner Höhe herabgestürzt und in den Abgrund geworfen werden wird.
Hernach folgt der dritte Abschnitt der Geschichte Esthers: der friedliche Besitz des Reichs unter der höchsten Gewalt und unter der Verwaltung Mordokais, eines Vorbildes von Christo, dem diese Verwaltung anvertraut werden wird. In unserem Kapitel befinden wir uns indes noch im zweiten Abschnitt, in dem der Königin Esther, als Unterpfand des ihr Versprochenen, die Rache an dem Feinde zuteil wird, der schließlich erfüllt wird, als "der Bedränger, der Feind, der Böse", Namen, die im Worte Gottes Satan und dem Antichristen gegeben werden. Es ist jetzt für ihn zu spät. Todesangst überfällt diesen Menschen, der nach dem Tode des Gerechten getrachtet hatte, und dessen Torheit so weit gegangen war, sich an dem Beschützer Israels zu vergreifen! Der Zorn des Königs legt sich erst, als Haman an den Galgen gehängt ist, den dieser für Mordokai bestimmt hatte. Das Gericht Hamans wird, wie es mit dem des Antichristen der Fall sein wird, ausgeführt, bevor Gott zur völligen Befreiung Seines Volkes eingeschritten ist. jedoch wird Esther (der Überrest von Juda) in ihrer königlichen Würde und als zum Volke Gottes gehörend anerkannt, ehe der Antichrist gestürzt wird.
Die Rettung naht. Doch vorher tut Esther kund, was Mordokai ihr ist, nicht allein ihre Herkunft und das Volk, zu dem sie gehört. Das ist das höchste Bekenntnis der jüdischen Gemahlin. Sie verkündet öffentlich die Bande, die sie mit dem verbinden, der die Waise erzogen, der sie beraten und in allen ihren Ängsten aufgerichtet hat, Mordokai war, weil er "Gutes für den König geredet hatte", schon vor den Augen aller Bewohner von Susan mit der königlichen Würde bekleidet worden; aber diese Würde war bis dahin gleichsam nur sittlicher Art. Gleich nahm er seine Stellung als Diener im Tore des Königs wieder ein (Kap 6, 12). Fortan aber ist er nicht mehr "im Tore"; er kommt vor den König. Seine Würde wird wirklich und amtlich. Er trägt „königliche Kleidung von purpurblauer und weißer Baumwolle und eine große goldene Krone" und empfängt den königlichen Ring, der ihm die Verwaltungsbefugnis über die Völker verleiht. Das alles ist ohne Zweifel lediglich ein verborgenes Bild, wie all die Bilder in diesem Buch; aber der Glaube entdeckt darin den Menschen Jesus Christus, der bekleidet ist mit den Kennzeichen, den Vorrechten und Pflichten der höchsten Macht seitens des Oberherrn, der die Macht besitzt. *) Wahrhaftig, Christus als Mensch ist von Gott abhängig; Er wird von Ihm die Zügel der Regierung empfangen und wird sie in die Hände Seines Vaters zurückgeben, nachdem Er das Reich zu Seiner Verherrlichung verwaltet hat.
Mordokai wird fortan zu Gunsten des Volkes Gottes die Anordnungen treffen, wie Haman, der satanische Mensch, sie bisher zu dessen Vernichtung getroffen hatte. Esther erkennt ihm das Recht über alles zu, was Haman gehört hatte; er nimmt als Befreier den Platz ein, den sich der Unterdrücker der Juden angemaßt hatte. Doch Esther hat noch eine Pflicht gegen den, der die höchste Gewalt besitzt. Sie redet mit Ahasveros, wirft sich ihm zu Füßen, weint und fleht ihn an. Früher hatte sie gefastet und drei Tage lang weder gegessen noch getrunken; jetzt beugt sie sich vor dem Herrscher nieder und ruft seine Gnade an. Er allein, ihr gesetzmäßiger Gemahl, kann das Unheil abwenden. Er reicht Esther das goldene Szepter entgegen. Dann bringt sie ihre Bitte vor in dem Bewusstsein, dass die Erfüllung gänzlich von der Gnade abhängt:
„Wenn es den König gut dünkt, und wenn ich Gnade vor ihm gefunden habe und die Sache vor dem König recht ist und ich ihm wohlgefällig bin, so werde geschrieben, die Briefe zu widerrufen, nämlich den Anschlag Hamans" (V. 5). Das wird auch die Haltung der jüdischen Gemahlin an dem zukünftigen Tage sein, wenn das von den Menschen gegen das Volk geschmiedete Böse im Begriff stehen wird, es zu treffen. Die Gnade allein wird das Gericht aufhalten können. Doch wie ist das möglich? Ist der Herrscher nicht durch Seine eigenen Beschlüsse gebunden? Er ist nicht ein Menschensohn um zu bereuen; was Er gesagt hat, wird Er ausführen. Das Gericht muss ausgeübt werden; aber anstatt auf Esthers Volk zu, fallen, wird es über dessen Feinde kommen. Das Gericht bleibt, aber durch die Gnade wird es vom Haupt derer abgewandt, die, nachdem sie durch die Hand Jehovas Zwiefältiges empfangen haben für alle ihre Sünden, jetzt der Tröstung bedürfen. Die Gnade redet zu ihrem Herzen und sagt ihr, dass die Zeit der Mühsal vollendet ist (Vergl. Jesaja 40, 1. 2).
Diese ganze Szene scheint in gewissem Maße dem zu entsprechen, was uns in Offenbarung 12 von Israel gesagt wird. Dort wirft die Schlange aus ihrem Maul Wasser wie einen Strom, einen Strom von Nationen, die unter ihrem Einfluss stehen, um das Volk des Messias zu verschlingen und zu vernichten. Doch die Erde, der Schauplatz der göttlichen Ordnung in der Welt, tut ihren Mund auf und verschlingt den Strom. Geschieht hier nicht das Gleiche? Die Nationen werden verschlungen, nicht aber das Volk Gottes, sobald die Regierung in die Hände des Einen gelegt wird, der würdig ist sie auszuüben. So tut es uns dieses geheimnisvolle Buch Esther kund.
Auf diese Weise wird der für den Untergang Israels bestimmte Tag zum Tag seiner Befreiung, jedoch durch das Gericht und die Rache an seinen Feinden. Der König macht sich eins mit allen, was geschieht. Er, der alle Bitten Esthers gnädig aufgenommen hat, indem er ihr das goldene Szepter entgegenreichte, bestätigt sein Wort in der schleunigen Erfüllung dessen, was er versprochen hat (V. 14).
Welch eine Veränderung der Szene! Für die in die Nacht der Verzweiflung versenkten Seelen ist die Sonne aufgegangen; es gibt Licht für die Juden „zur Zeit des Abends" (Sacharja 14, 7). Wo Furcht und Schrecken herrschten, findet man nur Freude und Jubel. Es ist ein Tag des Gastmahls, ein Festtag, Ein einziger Mann, Mordokai, ist das Werkzeug und der Veranstalter dieser außerordentlichen Rettung gewesen. Die Freude teilt sich der Hauptstadt der Nationen mit: „Die Stadt Susan jauchzte und war fröhlich", als sie den, der ihre Stadt bereits als Retter durchzogen hatte, erscheinen sah mit Macht bekleidet, in königlicher, blauer und weißer Kleidung, mit einer großen goldenen Krone und einem Mantel von Byssus und Purpur. Aber auch fällt Furcht vor den Juden auf viele; sie werden Juden, um dem Gericht zu entrinnen.
Das gleiche wird am Ende der Zeiten geschehen, „In jenen Tagen", sagt Sacharja, „da werden zehn Männer aus allerlei Sprachen der Nationen ergreifen, ja, ergreifen werden sie den Rockzipfel eines jüdischen Mannes und sagen: „Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist" (Kap. 8, 23). Noch ehe die Rache ausgeübt ist, sind die Juden voll Freude. Eine Ruhe, ein vollkommenes Vertrauen entsteht in ihren Herzen mit der Erscheinung dessen, der allein den Zorn vom Haupt des Volkes abwenden kann. So wird die Erscheinung Christi der großen Drangsal ein Ende machen, noch ehe der endgültige Schlag selbst geschehen sein wird. Vertrauen wird die Herzen erfüllen, weil Der, Welcher die Jungfrau Israel geliebt hat, Der das gefangene Volk auf Seinem Herzen getragen hat, Der „in all ihrer Bedrängnis bedrängt war", jetzt die Allmacht hat, um die herrlichen Ratschlüsse Seiner Liebe auszuführen.
Fußnote:
*)Wir können nicht oft genug wiederholen, dass Ahasveros, was seinen natürlichen Charakter betrifft, einer der traurigsten Herrscher Persiens ist. Er ist gewalttätig, aber ohne festen Willen, ausschweifend, je nach den Einflüssen, unter denen er steht, dem Bösen wie dein Guten unterworfen; er ist sich seines Wankelmutes nicht bewusst, wenn er seinen Entschluss ändert; er schreibt niemals sich selbst, sondern anderen das Böse zu, welches er, wenn auch nicht ausgeübt, so doch geduldet und gefördert hat. (Vergl. Kap. 8, 7.) Doch ‑ ganz unabhängig von seinen Verdiensten und seinem Charakter ‑ die Macht in seinen Händen, und so wird er uns bei gewissen Gelegenheiten nicht als das was er sittlich ist, sondern als der Träger der höchsten Macht vorgestellt. In diesem Sinne wird auch gesagt: „Ihr seid Götter", und: „Es ist keine Obrigkeit außer von Gott".
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Jannes und Jambres
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 48ff
Der Apostel Paulus gibt Der Apostel Paulus gibt im 2. Brief an Timotheus (Kap. 3) eine genaue Charakterbeschreibung von den „in den letzten Tagen«, d. h. also in der gegenwärtigen Zeit lebenden Menschen.
Die ihnen zugeschriebenen sündigen Eigenschaften sind fast dieselben, in sittlicher Hinsicht sogar ganz dieselben, wie sie Römer 1 von dem in Finsternis und Götzendienst versunkenen Heidentum berichtet — dieselbe verderbte Natur, dieselben Leidenschaften; aber es fehlen hier die hässlichen, erschreckenden Auswüchse. Eine verdeckende Form der Gottseligkeit und Heuchelei sind an ihre Stelle getreten. Satan steht nicht da mit dem Schwert in der Hand, wie in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt, sondern streitet, in den Mantel eines äußeren Bekenntnisses gehüllt, indem er die Früchte der Wahrheit von solchen nachahmen lässt, die „das Vergnügen mehr lieben als Gott“, die „eine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen“.
Und es ist so heute. Überall sehen wir Namen- oder Formenchristen, Menschen, die sich äußerlich zum Christentum bekennen, ihren Neigungen und Vergnügungen folgen, ihr Herz nicht reinigen und Gott nicht gehorchen, aber dabei nicht ohne eine Form der Gottseligkeit sein wollen. Sie verrichten vielfach dieselben Dinge, führen dieselbe Sprache, bekennen dieselben Ansichten, wie die Zeugen der göttlichen Wahrheit. Wenn diese, gedrängt durch die Liebe Christi, Hungrige speisen, Arme unterstützen, Kranke pflegen, die Gebote christlicher Fürsorge für die Schwachen erfüllen — so vermag mancher Formenchrist dasselbe und tut es sogar vielfach mit beschämendem Eifer. Man kann ruhig sagen, dass selbst in den Kreisen, wo Unglaube und ausgesprochene Feindschaft gegen Christum herrschen, die gesellschaftliche Fürsorge und die christliche Liebestätigkeit als eine Pflicht der menschlichen Gesellschaft anerkannt werden.
Dies ist der besondere Charakter des gegen die Wahrheit geübten Widerstandes in den letzten Tagen, und der Apostel vergleicht darum die Führer dieser Widerstrebenden mit „Jannes und Jambres“ (2. Tim. 3, 8). Wir erfahren so die Namen jener Beschwörer am Hofe des Pharao, welche, als Jehova Sein Volk für sich beanspruchte und durch Zeichen und Wunder den Pharao zum Nachgeben zu bringen suchte, Gott dadurch widerstanden, dass sie durch Nachahmung der Wunder von Moses und Aaron die Wahrheit herabzusetzen, verächtlich zu machen und das lebendige Zeugnis von ihrer Kraft zu unterdrücken suchten.
So ist auch das Zeugnis unserer Tage auf allen Seiten von dem Geiste der Jannes und Jambres umringt.
Rund um uns her erblicken wir eine Nachbildung des wirklichen Werkes Gottes. Dinge, die den Schein des Guten und Wahren an sich tragen, werden von Menschen verrichtet, welche weder das Leben Christi besitzen, noch die Liebe Gottes im Herzen oder die Kraft des Heiligen Geistes in ihrem Gewissen haben. Der Teufel, der hinter Jannes und Jambres steckte, sieht es ja gern, wenn die Wahrheit bloß den Kopf und nicht das Herz und Gewissen berührt; aus diesem Wege bringt er es dahin, dass die Menschen „die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen“, über welche nach Röm. 1, 18 Gottes Zorn vom Himmel geoffenbart werden wird.
Gerade die trügerische Nachbildung schläfert den Unbekehrten ein, täuscht ihm sogar den Glauben vor, ein wahrer Christ zu sein.
Finden wir nicht etwas vom Geiste der Jannes und Jambres in den sogenannten Wohltätigkeits-Konzerten und selbst in den Gottesdiensten, in denen man durch Singchöre und christliche Kunst die Erbauung zu fördern, den Gottesdienst zu vertiefen meint und dabei das Urteil Gottes überhört, das genau wie bei den heuchlerischen Pharisäern in Mark. 7, 6 lauten würde: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir“?
Wie gern schleicht sich der Jannes- und Jambres-Geist auch in die zu löblichem Zweck gebildeten Vereine, selbst in die verschiedenen Kreuzvereine ein, da ja, wie ein anderer sagt, „Jesus nicht Sein Kreuz, das hehre Symbol Seines furchtbaren Leidens, zu einer blauen, weißen, roten Dekoration, zum Abzeichen irgend einer Tugend vor der Welt, herabgewürdigt hat“.
Treffen wir nicht schließlich diesen verderblichen Geist in manchen Vereinigungen, die mit Eifer und Selbstlosigkeit eine Welt zu verbessern und zu veredeln suchen, welche der Herr rettungslos verloren nennt?
Wie täuschend aber auch die List, wie verführerisch die Macht dieses Jannes- und Jambres-Geistes sein mag, beides hat doch sein Ende, wie wir aus der Geschichte der Zauberer am Hofe des Pharao sehen können (2. Mose 7, 8).
Diese beiden Werkzeuge in der Hand Satans verwandelten ihre Stäbe in Schlang en, genau wie es die Männer Gottes vorgemacht hatten. Da zeigte sich die Macht des teuflischen Geistes, obschon die Macht Gottes sie übertraf, denn „Aarons Stab verschlang ihre Stäbe“.
Auch verwandelten sie, ebenso wie Moses und Aaron, das Wasser des Stromes in Blut, so dass die Fische im Strome starben; denn der Teufel „hat die Macht des Todes“, lesen wir in Hebr. 2, 14.
Auch das dritte Wunder — die Herbeiführung der Frösche über das ganze Land, welche Haus, Bett und Menschen verunreinigten — machten sie den Gottesmännern nach. *)
Mit diesen drei Wundern war aber die Kraft der Zauberei: erschöpft. Als Gott durch Moses und Aaron den Staub der Erde schlug und Stechmücken daraus hervorrief, als Er, mit anderen Worten, Leben aus dem Staube, aus der erniedrigten Natur, hervorbrachte, da vermochten es die Zauberer nicht nachzumachen, und sie sagten bestürzt: „Das ist Gottes Finger!“
Ja, Satan kann nur den Tod, nicht Leben schaffen, auch bei den Menschen nur tote, nicht lebendige Werke, nur Nachahmungen, nicht wahre Tugenden hervorbringen. Darum lasst uns all unser Tun sorgfältig prüfen und besonders auf der Hut sein, wenn der Teufel »die Gestalt eines Engels des Lichts annimmt« (2. Kor. 11, 14), oder an uns herantritt in dem Gewande der Jannes und Jambres!
Aus dem Staube brachte Jehova Leben hervor, und Gott bringt auch in den Menschen, die von der Erde, aus Staub sind, Leb en hervor, wenn sie als verlorene Sünder zu Jesu ihre Zuflucht nehmen.
„Denn gleichwie in dem Adam alle sterben, also werden auch in dem Christus alle lebendig gemacht werden“ (1. Kor. 15, 22).
Fußnote:
*) Schließlich zeigte sich Satan in Ägypten, um mich eines dichterischen Ausdrucks zu bedienen, „als der Geist, der stets verneint“, der nur Böses schaffen, aber den angerichteten Schaden nicht wieder beseitigen kann. Denn die Macht Gottes musste sich ins Mittel legen, um die Schlangen zu vernichten und um —- auf das flehentliche Bitten Pharaos hin — das Land von der Verunreinigung der Frösche zu befreien; auch hörte der Tod im Wasser erst auf, als die von Jehova bestimmten sieben Tage erfüllt waren.
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Stillsein
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 53ff
Wie schwer ist`s doch, ganz still zu sein,
wenn Gott wir nicht verstehen;
wie redet man so bald Ihm drein,
als ob Er was versehen!
Wie stellt man Ihn zur Rede gar,
wenn Seine Wege wunderbar
und unbegreiflich werden!
So hat vor Jahren ein Mann gesungen, der Erfahrungen gemacht hatte von den mancherlei Widerwärtigkeiten dieses Lebens und von der Schwachheit der menschlichen Natur inmitten derselben. Und es ist wahr: nichts fällt dem Menschen so schwer wie still sein. Still sitzen und still liegen geht noch eher, ist unter Umständen sogar der Natur angenehm oder gar selbst ein Beweis von ihrer Verkehrtheit und ihrem Trotz. So werden z. B. die aus ihr Land und ihren Strom vertrauenden, hochmütigen Bewohner Ägyptens genannt: „Großtuer, die still sitzen“ (Jes. 30, 7), d. h. also wohl: die in Hochmut und Eigendünkel behaglich der Ruhe pflegen; und von den trotzigen und prahlerischen Moabitern wird gesagt: »Sorglos war Moab von seiner Jugend an, und still lag es aus seinen Hefen . . . Daher ist sein Geschmack ihm geblieben und sein Geruch nicht verändert“ (Jer. 48, 11·) Aber still sein muss gelernt werden.
Warum? Weil es unserem ungläubigen, verkehrten und verzagten Herzen ganz und gar zuwider ist. Es ist genau das Gegenteil von dem, wozu wir neigen. Unruhig Erwägungen anstellen, widersprechen, klagen, verzagen, sich selbst helfen wollen — das ist uns allen eigen; aber still sein und geduldig harren, nur auf Gott vertrauen und schweigend warten — das ist unserer Natur unmöglich, das muss erbeten und gelernt werden, und meist lernen wir’s in Kampf und Not.
David, der Mann nach dem Herzen Gottes, hat’s gelernt, als er von Saul wie ein Rebhuhn über die Berge Judas gejagt wurde, als er in großer Bedrängnis war und sich selbst vorkam wie „eine überhangende Wand, wie eine angestoßene Mauer“, zu deren völIigem Einsturz es nur noch eines leichten Druckes bedarf. In jener Zeit hat er gesungen: „Nur auf Gott vertraut still meine Seele, von Ihm kommt meine Rettung. Nur Er ist mein Fels und meine Rettung, meine hohe Feste“ (Ps. 62, 1. 2). David war kein Schwächling oder Feigling. Das hatte er im Terebinthental im Kampfe mit Goliath und nachher bei vielen anderen Gelegenheiten zur Genüge bewiesen. Da hatte er im Vertrauen auf den Gott der Heerscharen Israels geredet und gehandelt. Jetzt aber war eine Zeit des völligen Stillseins für ihn gekommen. Gegen den Gesalbten Jehovas, der ihn so grausam bedrängte, durfte er seine Hand nicht erheben, er durfte nicht kämpfen.
So lag denn seine einzige Stärke im Stillsein und im Vertrauen (Jes. 30, 15). Und diese gesegnete Unterweisung hat er so gründlich gelernt, dass er in dem angeführten 62. Psalm nicht nur der Glaubensgewissheit, dass von Gott allein seine Rettung komme, Ausdruck geben, sondern auch im 5. Verse seine Seele zum alleinigen, stillen Vertrauen auf Gott ermuntern und hinzufügen kann: „denn von Ihm kommt meine Erwartung“. Das ist mehr, als zu wissen, dass Gott ein Retter und Fels ist. Weder „auf Menschensöhne noch auf Männersöhne“ zu vertrauen, weder auf Macht noch Reichtum seine Hoffnung zu setzen (V. 9.10), von keiner anderen Seite mehr Hilfe und Heil zu erwarten, als von Gott allein, das ist der Standpunkt des einfältigen Glaubens, der vor Ihm so kostbar ist. Wer diesen Standpunkt wirklich einnimmt, kann auch anderen eine Ermunterung sein, wie David es war: „Vertrauet auf Ihn allezeit, o Volk! Schüttet vor Ihm aus euer Herz!“ (V. 8).
Ja, still sein ist eine Kunst, die» mancher erst auf langem, schmerzlichem Wege lernt. Über Stillsein reden ist nicht schwer; aber die vielen törichten Einwendungen des Herzens, all seine trotzigen Fragen und kleinmütigen Zweifel wirklich zum Schweigen bringen und aufrichtig sagen können: „Rede, Herr, dein Knecht hört«, oder: „Herr, dein Wille geschehe!“ ist schwer, besonders wenn die Wege, die Er uns führt, so ganz gegen unser Hoffen und Erwarten gehen, wenn sie, wie der Dichter sagt, ,,wunderbar und unbegreiflich« werden. Aber wie glücklich ist die Seele, die still wird zu Gott, die Ihm nicht mehr darein redet, sondern aufmerkt, wenn Er reden will; die auch still bleibt, wenn die erbetene Hilfe oder Antwort verzieht, wenn es dunkel wird um sie her und der Verstand sagt: „Was solI’s, was wird’s werden?“
In dem Falle Davids stürmten alle gegen einen Mann an, und es war ihm zu Mute, wie wenn er eine überhangende Wand, eine angestoßene Mauer wäre. Bemerkenswerte Bilder! Gar keine Kraft in ihm, dem Einsamen, nur Schwachheit und das tiefe Gefühl der Schwachheit. Aber kam der Ratschlag der Feinde, ,,ihn von seiner Höhe zu stoßen«, zur Ausführung? Nein! David warf sein Anliegen auf Gott und vertraute still nur auf Ihn. Und siehe da, zweimal (unmittelbar und auf dem Wege der Erfahrung) durfte er hören, dass die Stärke Gottes sei. Ja, nicht nur das, jubelnd konnte er hinzufügen: „Und dein, o Herr, ist die Güte“ (V.11. 12). Stärke und Güte vereinigten sich, um den Schwachen aufrecht zu erhalten und seine Sache herrlich hinauszuführen.
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Es trifft uns Schuld
Bibelstelle: 2. Könige 7
Botschafter des Heils 1915 S. 56ff
Wir tun nicht recht! — So lasset uns nun eilen,
die gute Botschaft andern kund zu tun.
Es trifft uns Schuld, wenn wir noch länger weilen,
um, sattgeworden, sorglos auszuruhn.
Denn hinter jenen dunklen Mauern wütet
die Hungersnot, und nichts ihr Halt gebietet
ls diese Rettung, o so wunderbar!
Der Tag der guten Botschaft heißer: Heute!
Des Feindes Lager ist gefüllt mit Beute.
Erbarmen reicht jetzt überfließend dar!
So sprachen jene Männer, die verstoßen
von ferne standen, außerhalb der Stadt;
Hilflos, gemieden von den Volksgenossen —-
Der Hungertod unheimlich ihnen naht.
Die Stadt war da; doch ach! was konnt’ sie geben?
Der Feinde Banner ringsum sich erheben,
Und nirgend zeigt’ sich Hilfe in der Not. —-
Kommt, lasst uns in der Syrer Lager gehen,
Und sterben wir, so mag es dort geschehen.
Ob hier, ob dort, wir sehen nur den Tod!—
Sie wussten nicht, dass schon das Heil bereitet
durch einen mächt’gen, gnadenreichen Arm,
der für sein Volk, das undankbare, streitet,
bewegt von einem Herzen liebewarm.
Die Syrer flohn, durch ein Getös’ erschrecket,
es schien von großer Heeresmacht erwecket,
und all der Habe wird nicht mehr gedacht.
Die Männer dürfen ihren Hunger stillen,
dem armen Volk das Herrliche enthüllen:
Kommt, seht und nehmt; die Rettung ist vollbracht!—
Und du, Erlöster, dem das Heil geschenket
aus Jesu Hand, in reicher Gnade Schein;
Du hast in Seine Liebe dich versenket,
Begehrst du nun, dein Leben Ihm zu weihn?
Bedenke es, wie viele sterbend wanken
Dem Würger zu, in eitelen Gedanken!
Tritt liebevoll zu ihnen nun heran
Und sprich von Jesu herzlichem Erbarmen,
von Seiner Liebe, Seinen Retterarmen,
die das Verlorene so gern umfahn!
H, H.
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Paulus in Milet
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 57ff
Wir finden in der Schrift Wir finden in der Schrift an mehreren Stellen Berichte von sterbenden Gläubigen oder von Knechten Gottes, wie sie Abschied nehmen von dem Schauplatz hienieden und dem Dienst, den sie auf demselben getan haben. Wir finden einen solchen Bericht von Jakob, von Mose und auch von Josua und David. Samuel gehört ebenfalls zu diesen Männern; ein ergreifender Bericht in 1. Sam. 12 redet davon.
In dem 20. Kapitel der Apostelgeschichte ist der Apostel Paulus in dieser Lage. Er nimmt an der Küste von Milet, in Gegenwart der Ältesten von Ephesus, Abschied von seinem Dienst.
Die Geschichte dieses auserwählten Rüstzeugs, wie die Apostelgeschichte sie berichtet, besteht aus zwei Teilen, aus seinem Dienst und aus feinen Leiden; mit anderen Worten: in dem einen Teil haben wir Paulus, den Knecht Jesu, in dem anderen Paulus, den Gefangenen. Der erste Teil beginnt etwa mit dem dreizehnten und schließt mit dem zwanzigsten Kapitel. Der zweite Teil beginnt mit dem einundzwanzigsten Kapitel und endet mit dem Buche selbst.
Überaus anziehend und belehrend ist der Unterschied zwischen Paulus in den Umständen, wie unser Kapitel sie schildert, und dem Herrn Jesu, als Er sich in der gleichen Lage befand wie Sein Diener. In Joh. 13 — 17 nimmt der Herr in Gegenwart der Zwölf von Seinem Dienst Abschied, wie der Apostel es hier in Gegenwart der Ältesten der Gemeinde von Ephesus tut.
Ja mehrfacher Hinsicht gibt es hier Gegensätze, die, wie man sagt, in die Augen springen. Das Menschliche in seinen besten Eigenschaften steht neben dem, was sowohl göttlich wie menschlich war, und die Unterschiede werden in lieblicher Weise aufrecht gehalten und zum Ausdruck gebracht.
Etwas anderes hätten wir auch gar nicht erwartet. Es versteht sich für uns ganz von selbst, dass Paulus, das glänzendste, erhabenste Beispiel eines von Gott gesalbten und mit dem Geiste erfüllten Gefäßes, dennoch ganz anders vor den Zuneigungen und Erinnerungen des Herzens steht wie der Herr selbst. Unsere Liebe zu ihm ist die Liebe, die wir einem Mitgeschöpf schenken, nicht mehr als das; die Liebe zu dem Herrn Jesus dagegen ist eine anbetende Liebe. Das fühlen wir ganz unbewusst, ohne einer Belehrung darüber zu bedürfen. Wir wissen es, und so besitzen wir in den Empfindungen unseres erneuerten Geistes ein Zeugnis von dem, was die Schrift uns lehrt, nämlich dass Jesus sowohl Gott als Mensch war, und weiter, dass das meistbegnadigte Gefäß im Hause Gottes, mag es auch der hingebendste Mensch sein, doch nur ein Mitgeschöpf ist.
Die Gegensätze in den genannten Schriftabschnitten, wo wir den Herrn sowohl wie Paulus in einer Abschiedsstunde vor uns haben, sind uns Beispiel und Erläuterung für das Gesagte, und drücken den Empfindungen unserer Seelen, zu denen wir, wie ich schon sagte, unbewusst gekommen sind, ihr Siegel auf.
Diese Gegensätze sind hanptsächlich folgende:
1. Der Apostel unterwirft seinen Dienst dem Urteil seiner Brüder. Er spricht von der Demut und den Tränen, mit denen derselbe ausgeführt worden sei; dann redet er von dem dabei entfalteten Fleiß, wie er die Gläubigen öffentlich und in den Häusern belehrt und sowohl Juden wie Heiden gepredigt habe. Alles das ist sehr schön und geziemend für Paulus. Er behandelt seine Zuhörer als Genossen im Dienste Gottes und unterwirft das ihm zugewiesene Maß und die Art seines Dienstes ihrem Urteil, gerade so wie sie es ihm gegenüber hätten tun können.
Aber wie steht es in Bezug hierauf mit dem Herrn Jesus? Unterwirft Er nach der Art des Apostels Sein Werk der Begutachtung der Menschen? Nein. Er tut es in den oben angeführten Kapiteln nicht einmal Seinem Vater gegenüber. Vielmehr legt Er Seinen Dienst als nunmehr volIbracht aus der Hand. „Das Werk habe ich vollbracht, welches du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte“, so lautet Seine Sprache, während Sein Auge nach oben und Seine Stimme an den Vater gerichtet ist. Er überreicht gleichsam ein vollbrachtes Werk, ein Werk, das, wie Er wusste, ganz vollkommen war. Das war Seine Herrlichkeit als Diener, Seine Herrlichkeit in Seinem Dienste. Anstatt es der Begutachtung Seiner Apostel zu unterwerfen, übergibt Er es, wie gesagt, als ein Werk, das vollbracht, ja, bis zur Vollkommenheit vollbracht war *)
2. Paulus sagt den Ältesten von Ephesus, dass er, gebunden in seinem Geiste, nach Jerusalem hinausgehe, aber dass er nicht wisse, was ihm begegnen werde, außer dass der Heilige Geist ihm bezeugt habe, dass Bande und Drangsal seiner warteten.
War es so mit dem Herrn? frage ich wiederum. Gerade das Gegenteil zeigt sich bei Ihm. Als Er von Seinem Dienst und Seinen Knechten Abschied nimmt, tut Er ihnen kund, dass Ihm alle Dinge bekannt seien, die nahen und die fernen, die Dinge im Himmel und auf der Erde, die Geschichte der feindlichen Welt und der Leiden des Gerechten in ihr, ja, selbst die Geschichte der Ewigkeit; denn Er teilt ihnen mit, dass Er wiederkommen werde, um die Seinigen heimzuholen ins Vaterhaus, wo sie für immer wohnen sollen. Wahrlich, hier tritt uns abermals die Herrlichkeit des Herrn entgegen, die Herrlichkeit des Einen, mit dem wir in Joh. 13 — 17 im Geiste Zwiesprache halten.
3. Weiter sagt der Apostel den ihn umringenden Gläubigen, dass, wie vertraut er auch bis dahin mit ihnen gewesen sein möge, er sie doch jetzt verlassen müsse, und dass sie ihn nie wieder sehen würden. Was sagt der Herr im Gegensatz hierzu? Paulus konnte weiter nichts sagen. Als ein Mensch, als ein Mitgeschöpf, das in kurzem seine Laufbahn und seinen Dienst hienieden durch den Tod beendigen sollte, konnte er nur sagen: „Ihr werdet mein Angesicht nicht mehr sehen«. Wie ganz anders aber lauten die Worte des Herrn! Er lässt Seine Knechte wissen, dass Er nie aufhören werde sie zu sehen, und dass sie ihrerseits nie aufhören würden, Ihn zu sehen. »Weil ich lebe, werdet auch ihr leben«, sagt Er zu ihnen. »Die Welt sieht mich nicht mehr, ihr aber· sehet mich.« Und so sollte es immer bleiben. Er würde zu ihnen und für sie zurückkehren. Sie sollten Ihn im Geiste sehen, bis jene Zeit käme, und dann, mit Ihm im Vaterhause droben, in Herrlichkeit Ihn anschauen dürfen von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Welch ein Licht werfen diese Worte auf den Weg des Gläubigen! Paulus hätte keine erhabenere Sprache führen können, als er tat, Jesus keine niedrigere. Wir haben hier eben das Geschöpf und Gott vor uns; auf der einen Seite menschliche Gemeinschaft und Genossenschaft in ihrer lieblichsten, anziehendsten Form, auf der anderen die Strahlen persönlicher göttlicher Herrlichkeit.
4. Des Weiteren hören wir von dem Apostel, wie er weder nach Gefangenschaft noch Tod fragt. Das ist schön. Es mag uns wohl beschämen, einen solchen, sich selbst aufopfernden Glauben bei einem Anderen zu finden. Paulus legte sein Leben auf den Altar, völlig bereit, es zu opfern. Wenn wir uns dann aber wieder zu dem Herrn Jesus wenden, so vernehmen wir eine andere Sprache. Er wusste, dass Er in Herrlichkeit zum Vater zurückkehren würde, weil Er Seinen Gott und Vater bereits auf der Erde verherrlicht hatte. Paulus war in gesegneter Weise bereit, fiel) zu gürten zur Vollendung dessen, was noch übrig war von dem Kampf und den Drangsalen des Weges; aber Jesus befand sich am Ende dieses Weges in der bewussten Vollkommenheit eines Menschen, der Gott hienieden so verherrlicht hatte, dass es Ihm Platz, und Anrecht darauf gab, bei Gott in den Himmeln verherrlicht zu werden.
5. hören wir, wie der Apostel seinen Brüdern einen Rat erteilt. Und dieser Rat war zeitgemäß und richtig; ja, wir mögen wohl sagen: er konnte nicht richtiger und passender sein. Er riet ihnen, Gott in Seiner Gemeinde zu dienen und auf sich selbst zu achten; denn Gefahren waren im Anzuge.
Finden wir etwas Dementsprechendes auch in Christo? Er berät ebenfalls Seine Apostel. Mannigfache Worte richtet Er an sie. Aber dabei sagt Er ihnen, dass sie von Ihm zeugen sollten. Ferner teilt Er ihnen mit, dass der Heilige Geist, der vom Himmel kommen sollte, gleichfalls von Ihm zeugen und Seinen Namen dadurch verherrlichen würde, dass Er von dem Seinigen nehme und ihnen verkündige.
Welch einen unendlichen und doch durchaus angemessenen Unterschied finden wir hier! Hätte Paulus den Ältesten von Ephesus irgend etwas Derartiges sagen können? Konnte, wollte, oder durfte er sich selbst zu einem Gegenstand für sie machen für die Zeit, da er fern von ihnen sein würde? Sollten sie von ihm reden, aus seine Person aufmerksam machen? Im Gegenteil. Er fordert sie auf, Gott zu dienen und auf sich selbst acht zu haben. Jesus dagegen stellte sich, ohne dass Er dadurch einen Raub begangen hätte, auf gleichen Boden mit Seinem Gott und Vater, indem Er sich mit dem Vater zum Gegenstand des Zeugnisses des Heiligen Geistes und des Dienstes der Apostel machte.
Fürwahr, aus jedem einzelnen dieser Gegensätze strahlt die Herrlichkeit Dessen hervor, der unendlich erhaben war über den ersten der Menschenkinder. Alles dieses bestätigt die unwillkürlichen Eindrücke unserer Seele, dass wir in Jesu, aber auch nur in Jesu, dem Sohne des Menschen, in eine bewusste innige Verbindung mit dem lebendigen Gott gebracht worden sind, in Ihm, den wir sowohl anbeten als auch lieben.
6. Paulus befiehlt dann seine Brüder und Genossen Gott und dem Worte Seiner Gnade. Was hätte er mehr tun können? Aber was tut der Herr, welcher, in ähnlicher Lage, Seine Apostel und Heiligen zurückließ, so wie Paulus seine Genossen und Brüder zurücklassen musste? Er handelt in ganz anderer, aber dabei nur herrlicher Weise. Er lässt ihnen Seinen Frieden zurück; Er wäscht ihre Füße, damit sie vor Gott „ganz rein“ erscheinen können; Er verheißt ihnen den Geist, als ihr Licht und ihren Tröster, und Er befiehlt sie dem Vater, damit dieser in Seiner Abwesenheit weiter das für sie tun möchte, was Er selbst für sie getan hatte, während Er bei ihnen war. Wie strahlt aus all diesem die göttliche Herrlichkeit hervor! Und Er selbst will für sie sorgen, an sie denken und ihnen dienen, bis sie (und das auf ewig) im Hause des Vaters zur Vollkommenheit gelangt sind!
Wenn Paulus, als Mensch, nichts mehr tun konnte, als er tat, so tut Jesus hier etwas, was kein Geringerer als der „Genosse Jehovas“ (Sach. 13, 7) zu tun vermochte.
7. Schließlich unterwirft Paulus sein Verhalten dem Urteil seiner Brüder. Er sagt: „Ich habe niemandes Silber oder Gold oder Kleidung begehrt. Ihr selbst wisset, dass meinen Bedürfnissen und denen, die bei mir waren, diese Hände gedient haben.“ Er steht vor ihnen mit dem Zeugnis eines guten Gewissens. Wer würde daran denken, ihn wegen dieses Ausspruchs zu tadeln oder ihn dieser halb geringer zu schätzen, wenn er auch bei einer anderen Gelegenheit sagen konnte, dass es ihm das Geringste sei, von einem menschlichen Tage beurteilt zu werden (1. Kor. 4, 3), oder zugab, dass er ein Tor geworden sei, indem er sich rühmte? (Vergl. 2. Kor. 11. 12). Ich sage noch einmal, niemand wird den Apostel dieser halb tadeln oder geringer schätzen. Aber, möchte ich fragen, redet der Herr Jesus auch so? Unterwirft Er Sein Verhalten dem Urteil der Menschen? Nein. Statt dessen betont Er drei große und herrliche Tatsachen, die mit Ihm selbst, mit Seinem Wege und Leben und mit Seinem Verhalten in dieser Welt in Verbindung standen. Er sagt Seinen Aposteln, dass Er Gott auf der Erde verherrlicht habe; Er sagt Seinem Vater, dass Er Ihn verherrlicht habe in Seinem Dienst für die Auserwählten; und Er sagt von sich selbst: „Der Fürst der Welt kommt und hat nichts in mir“.
Welch eine bewusste sittliche Erhabenheit drückt sich darin aus! Was wir hier haben, ist eine Herrlichkeit, die notwendigerweise und ihrem Wesen nach göttlich ist; ein Leben und Verhalten, das nur Gott, geoffenbart im Fleische, zur Darstellung bringen konnte. Wir dürfen dergleichen nirgendwo suchen, als in Jesu allein. Ja, es ist unsere Freude zu wissen, dass es nirgend, weder im Himmel noch auf der Erde, weder unter den Engeln noch unter den Menschenkindern, gefunden werden kann, und dass außer dem Sohne, der im Schoße des Vaters ist, zugleich aber der Sohn des Menschen war, niemand ein solch lebendiges Schlachtopfer reinen Weihrauchs und lieblichen Wohlgeruchs darzubringen vermocht hätte — ein Opfer, das für Gott unendlich mehr war, als der Gehorsam einer ganzen Schöpfung gewesen wäre.
Wir haben somit einen kurzen Blick auf die „überschwängliche Herrlichkeit« geworfen. Gewiss sehen wir in Paulus liebliche sittliche Schönheit. Wir haben allen Grund, uns zu demütigen, wenn wir einen solchen Mann an- schauen oder an ihn denken. Aber unsere eigenen Seelen müssen es sich sagen, und die Berichte besagen es in gleicher Weise, dass diese Schönheit ganz anderer Art, ganz und gar verschieden ist von dem, was sich uns in dem Herrn Jesus zeigt. Die Schönheit in Ihm war göttlicher Art. Es waren, um in der vorbildlichen Sprache des Alten Testaments zu reden, die in dem priesterlichen Ephod verarbeiteten „Goldfäden“ (2. Mose 39, 3). 65
Zum Schluss möchte ich auch noch fragen: Finden wir in den letzten Vorgängen an der Meeresküste von Milet nicht etwas Menschliches, das in der verwandten Szene zwischen dem Herrn und Seinen Aposteln nicht hätte zutage treten können? Wir lesen dort: „Paulus kniete nieder und betete mit ihnen allen. Es entstand aber viel Weinens bei allen; und sie fielen Paulus um den Hals und küssten ihn sehr.“ Für das Herz ist das köstlich. «Wir möchten mehr haben und mehr sehen von derartigen Gefühlen. Wir sind oft so kalt und verengt in unseren Herzen. Sie besitzen nur wenig von der Fähigkeit, in solcher Weise überzuströmen. Aber hätte ein solcher Vorgang zwischen Jesu und Seinen Aposteln stattfinden können? Welche Antwort geben die Empfindungen der neuen Schöpfung in uns auf diese Frage? Und vor allem, was sagt die Geschichte? Jesus betete auch, ebenso wie Paulus, aber Er wandte Seine Augen gen Himmel und redete zu Seinem Vater auf Grund und gemäß des Anspruchs, den Sein völlig ausgeführt« Gehorsam Ihm gab; und was Er sagte, war der Ausdruck Seines Willens und Seiner Wünsche betreffs Seiner Heiligen. Die Jünger waren traurig, so wie die Gefährten des Paulus es waren, sehr traurig. Traurigkeit hatte ihre Herzen erfüllt, weil sie Ihn nach ihrer Meinung jetzt verlieren würden. Aber sie wussten sehr wohl, dass Er mehr, dass Er ein ganz Anderer für sie war, als Paulus für seine Brüder. Schwerlich würden. Sie in menschlich-liebevoller, warmherziger Vertraulichkeit Dem um den Hals gefallen sein, der ihnen noch vor kurzem in göttlicher Gnade die Füße gewaschen und ihnen so ein Anrecht darauf gegeben hatte, in fleckenloser Reinheit vor Gott, ihrem Vater, zu erscheinen.
Wahrlich, die Unterschiede, die wir in den beiden Abschnitten finden, sind von tiefster Bedeutung und vollkommener Schönheit. Und ich möchte nicht schließen, ohne noch einmal daraus hinzuweisen — denn es ist mir ein köstlicher Gedanke —, dass die Empfindungen und Triebe unserer neuen Natur als Gläubige ganz von selbst diese Gegensätze vermutet haben würden, die wir hier in den beiden geheiligten Erzählungen finden.
Fußnote:
*) So wird Er zu seiner Zeit „das Reich übergeben“ (1. Kor. 15, 24). In beidem ist Er vollkommen, jetzt, nachdem Er als Zeuge gedient, und bald, wenn Er als König Seinen Dienst vollendet haben wird. Er übergibt Seine Verwaltung als Einer, der treu gewesen ist.
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Betrachtungen über das Buch Esther
Bibelstelle: Esther
Botschafter des Heils 1915 S. 67ff
Dieses Kapitel führt uns zur völligen Rettung, Im 6. Kapitel hatte die Furcht vor den Juden viele dazu getrieben, Juden zu werden, um dem Gericht zu entrinnen. In Kap. 9, 2 kann "niemand vor ihnen bestehen, denn die Furcht vor ihnen war auf alle Völker gefallen". Man sieht hier wieder das verborgene Wirken der Vorsehung Gottes zu Gunsten Seines Volkes. Die Völker des Reiches hätten sich gegen die schwache jüdische Minderheit, die in ihrer Mitte wohnte, zusammentun können, aber niemand setzt sich vor dieser Furcht den Juden gegenüber zur Wehr. Ja, noch mehr, "alle Fürsten der Landschaften und die Satrapen und die Landpfleger und diejenigen, welche die Geschäfte des Königs besorgten, unterstützten die Juden; denn die Furcht vor Mordokai war auf sie gefallen". So wird es auch am Ende des Zeitalters sein; die Furcht, die der Messias einflößen wird, wird bewirken, dass „Könige ihren Mund vor ihm verschließen", sobald sie Ihn sehen, und dass sie Ihm gehorchen müssen. Um die ganze Schärfe der Unterdrückung zu verstehen, muss man sich der Gefühle erinnern, welche alle Völker des Reichs gegen die Juden beseelten. Als das Gericht ausgesprochen war, wurden sie von Furcht ergriffen. Aber das war nicht der Fall, als ihre feindlichen Gefühle gestillt zu werden schienen. In jenem Augenblick waren sie "Feinde" der Juden und "hofften, sie zu überwältigen"; sie „hassten" sie und "suchten ihr Unglück". Dieser Hass musste naturgemäß seine gerechte Vergeltung empfangen, und als der Augenblick gekommen war, brachte allein die Furcht vor Mordokai die Großen dahin, den Juden beizustehen. „Wegen der Größe deiner Stärke", heißt es von Christo, „unterwerfen sich deine Feinde mit Schmeichelei". – „Die Söhne der Fremde unterwarfen sich mir mit Schmeichelei" (Psalm 66, 3; 18, 44).
Was Mordokai betrifft, so „war er groß im Hause des Königs, und sein Ruf ging durch alle Landschaften; denn der Mann Mordokai wurde immerfort größer" (V. 4). Er ist eine gute Darstellung des Herrn, wie Er in zunehmender Kraftentfaltung Besitz nimmt von der irdischen Gewalt. Wie bei David bei seiner Thronbesteigung, wird auch diese Oberhoheit nicht mit einem Schlage errichtet. Es ist noch nicht die endgültige Aufrichtung des Königtums; noch in der Bildung begriffen, wird es erst gültig sein, wenn der letzte Sieg über den letzten Feind davongetragen ist; aber die Oberhoheit des Herrn wird anerkannt werden, ehe alle Nationen Ihm unterworfen sind.
Der Unterdrücker der Juden wird gerichtet samt seinem ganzen Geschlecht (V. 6 ‑ 10); ebenso wird das abgefallene Geschlecht des Antichristen an einem zukünftigen Tage umkommen, denn die Stunde der Rache hat geschlagen. Aber das Volk legte seine Hand nicht an die Beute" (V. 10. 15, 16), in Übereinstimmung mit den Vorschriften bezüglich Amaleks oder der Feinde Israels (Jos 6, 19. 20; 1. Samuel 15, 9). Es handelt sich nur darum, das Gericht Gottes zu vollziehen, ohne dass die Vollstrecker irgend einen Nutzen davon haben. Ahasveros nimmt die Rache als eine Notwendigkeit hin. Seine Hauptstadt, wo der Anschlag gegen die Juden ersonnen worden war, fällt einen Tag länger dem Gericht Gottes anheim, als die anderen Städte des Reiches. Der vierzehnte und der fünfzehnte Tag werden überall Tage der Freude und des Gastmahls und der Ruhe.
So schließt das Jahr der großen Drangsal.
Der König der Nationen erscheint nicht mehr auf dem Schauplatz, außer in Abhängigkeit von Esther und Mordokai; nur von ihnen ist bis zum Schluss des Kapitels die Rede. Mordokai ordnet, wie der zukünftige Messias es tun wird, die Freude und Ruhe an. „Und die Juden nahmen als Brauch an, was sie zu tun anfangen, und was Mordokai ihnen geschrieben hatte". Sie unterwarfen sich dem Worte, das von dem geschrieben wurde, der allen und auch ihnen unbekannt gewesen war, und den Gott jetzt vor aller Augen erhöht hatte.*)
Das Andenken an diese Tage setzt sich fort von Jahrhundert zu Jahrhundert. Ein einziges Fest, das der Purim, wird in diesem Buche erwähnt, ein neues Fest, das Jahr für Jahr währt im Andenken an die Errettung des irdischen Volkes Gottes. Zwischen Esther und Mordokai und dem Volk besteht völlige Übereinstimmung; was Esther und Mordokai festsetzen, beschließt das Volk für sich selbst (V. 31). Das was bei Gelegenheit ihres Fastens und ihrer Wehklage "in ein Buch geschrieben" worden war, wird in allen Geschlechtern gefeiert. So endet diese Erzählung, die uns bis an den Anbruch der herrlichen Zeit bringt, die der Befreiung folgt, und uns zur prophetischen Schwelle des Tausendjährigen Reiches Christi führt.
Das 10. Kapitel ist wie ein Anhang, indem es das Endergebnis der vorhergehenden Ereignisse in einigen Worten zusammenfasst. Die höchste Macht, deren Stellvertreter Ahasveros ist, sieht infolge der Befreiung der Juden das ganze Land, ja, über dieses hinaus auch die Meeresküsten, die ursprünglich dem König nicht gehörten, sich unterwerfen und Tribut bezahlen, ein schwaches Bild des Reiches Christi über die ganze Welt.
Mordokai ist groß, erhoben von dem König, der zweite nach Ahasveros, das heißt, er nimmt eine untergeordnete Stellung gegenüber der höchsten Macht ein. So wird es auch mit der Erhöhung Christ, als Haupt der Nationen, sein. Wie Jesajas sagt: "Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln; er wird erhoben und erhöht werden und sehr hoch sein. Gleichwie sich viele über dich entsetzt haben, ‑so entstellt war sein Aussehen, mehr als irgend eines Mannes, und seine Gestalt, mehr als der Menschenkinder, ‑‑ebenso wird er viele Nationen in Staunen setzen, über ihn werden Könige ihren Mund verschließen. Denn sie werden sehen, was ihnen nicht erzählt worden war; und was sie nicht gehört hatten, werden sie wahrnehmen" (Jesaja 52, 13 ‑ 15; siehe auch Maleachi 1, 11).
Indessen wird der Charakter Mordokais seinem Volk gegenüber hier noch besonders geschildert: „Er war groß bei den Juden, und wohlgefällig der Menge seiner Brüder" wie einst der Sohn Isais (1. Sam 18, 5); "er suchte das Wohl seines Volkes", wie David, der Gesalbte, das Beste Jerusalems suchen will (Ps. 122, 9), oder wie Jehova gedenken wird dem Hause Juda Gutes zu tun (Sacharja 8, 15); und "er redete zur Wohlfahrt seines ganzen Geschlechts". Dieses Buch schließt also in dem Augenblick, wo das Reich des Friedens beginnt. Das ganze einst unterdrückte Volk wird anerkannt als das Geschlecht (oder der Same) Mordokais. Welch ein Ende! So wird in gewissem Maße das Wort verwirklicht: "Friede auf Erden, an den Menschen ein Wohlgefallen!
Fassen wir den Inhalt dieses Buches und den Charakter der Hauptperson noch in einigen Worten zusammen:
In einer Zeit, wo Gott Sein Angesicht Seinem Volk noch verbirgt, wird die Gemahlin aus den Nationen verstoßen, und die Jungfrau Israel nimmt ihren Platz ein im Herzen des Herrschers. Was ihre Herkunft betrifft, so ist sie noch verborgen; sie wird seine Gemahlin, um Königin der Nationen zu werden. Der Widersacher erweckt eine große Trübsal über das Volk, aber er wird von dem Befreier Israels besiegt, der von allen seinen Gütern Besitz ergreift, während ihn selbst das Los ereilt, das von ihm dem Gegenstand seines Hasses zugedacht war. Die jüdische Gemahlin wird als solche öffentlich anerkannt; die Feinde des Volkes werden die Gegenstände der Rache, die sie gegen die Juden ausüben wollten. Die Verwaltung des Reichs wird dem Manne anvertraut, der einst der Diener aller war, und der schließlich das Reich der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freude feierlich einweiht.
In diesem Buch zieht Mordokai ganz besonders unsere Aufmerksamkeit auf sich. Man kann an ihm zwei Arten oder Ordnungen von Eigenschaften unterscheiden, seinen sittlichen und seinen amtlichen Charakter.
Sein sittlicher Charakter ist ein kostbares, treffendes Gemälde von dem des Heilandes. Seine zärtliche Liebe, das Zartgefühl seines Herzens, die innige Zuneigung zu seiner Familie, seine beständige Sorgfalt für die Waise, alles das fesselt unsere Aufmerksamkeit. Aber er ist ebenso bemerkenswert durch Gerechtigkeit und Geradheit, durch Mut und Entschiedenheit, sowie durch eine unerschütterliche Anhänglichkeit an das Wort Gottes. Indem er den Platz des Überrestes Israels einnimmt, weigert er sich nicht, ein Knecht zu sein, er, der als ein Großer vor aller Augen dargestellt werden sollte; dabei lehnt er es aber ab, vor dem Gegner das Haupt zu beugen, und widersteht dem Feind um den Preis seines eigenen Lebens. Er macht sich eins mit der höchsten Not seines Volkes und erduldet sie in seiner Seele, aber er ist geduldig in Hoffnung, und das ist der Triumph des Glaubens, wenn der Feind allmächtig ist und Gott Sein Angesicht verbirgt.
Sein amtlicher Charakter ist ebenso beachtenswert. Mordokai wacht am Tore des Königs und wird so der Retter der Nationen; er wird als solcher anerkannt in dem Augenblick, wo der satanische Gegner gestürzt wird. Er ist der Retter seines Volkes und trägt, als Verwalter des Reichs, selbst die Zeichen des Königtums und die große Krone. Er macht sich einen gefürchteten Namen im Gericht und übt die Rache aus, aber nur als Vorspiel der Ruhe und regiert in Gerechtigkeit. Er trifft die Einrichtungen bei der Freude und dem Jubel, die er seinem Volke verschafft hat. Er ordnet alles an in Gemeinschaft mit der jüdischen Gemahlin, seiner angenommenen Tochter, die über die Nationen herrscht und sein Interesse für sein Volk teilt. Er wird der Fürst der Könige der Erde, angenehm Gott und seinen Brüdern, ein großer Mann und, indem er seinem königlichen Charakter entsprechend in allem das Wohl seines Volkes sucht, führt er schließlich die Friedensregierung ein.
Unser Herr, das große vollkommene Gegenbild Mordokais , ist es, auf den der Geist Gottes uns im Buche Esther hinweisen will.
Fußnote:
*) Das von Mordokai geschriebene Wort nimmt eine bis dahin ganz unbekannte Wichtigkeit an in einem Buche, in welchem das Gesetz, nicht einmal erwähnt wird.
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Vertrauen
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 73ff
„Vertrauen“ — welch trautes, anheimelndes Wort! Wie schön ist das stille, ungetrübte Vertrauen zwischen Mutter und Kind, Mann und Frau, Freund und Freund, und das dies alles weit überstrahlende vertraute Verhältnis des Gläubigen zu seinem Gott und Vater in Christo Jesu, seinem Herrn! In dieser ernsten Zeit der Unruhe vertrauensvoll an der Hand eines treuen, mächtigen Vaters, unter der wachsamen Obhut Seiner Augen und in der Pflege Seines zärtlich liebenden Herzens nach dem Vaterhause pilgern zu dürfen, in aller Ruhe, in tiefem Frieden — können wir uns Lieblicheres vorstellen?
Wir dürfen Ihm völlig vertrauen. „Er ist“, sagt der Prophet, „eine Feste am Tage der Drangsal, und Er kennt die, welche auf Ihn vertrauen“ (Nahum 1, 7). Als eine solche Feste hatte Mose Ihn auf seiner langen Wüstenreise kennen gelernt; er nannte Ihn darum am Abend seines Lebens im Liede: „den Fels“ und sagt dann weiter von Ihm: „Vollkommen ist Sein Tun; denn alle Seine Wege sind recht. Ein Gott der Treue und sonder Trug; gerecht und gerade ist Er“ (5. Mose 32, 4). Ein Gott der Treue hält, was Er verspricht, und man darf Ihm trauen. „Ihr wisset“, redete Josua zu den Kindern Israel, als sie in das gelobte Land eingezogen waren, „mit eurem ganzen Herzen und mit eurer ganzen Seele, dass nicht ein Wort dahingefallen ist von all den guten Worten, die Jehova, euer Gott, über euch geredet hat; sie sind euch alle eingetroffen, nicht ein Wort davon ist dahingefallen“ (Jos. 23, 14). Und wenn wir heute auf unser bisheriges Leben zurückblicken und an all die guten Worte denken, die uns aus Seinem Worte entgegentönen, müssen wir dann nicht auch zugestehen, dass keines derselben dahingefallen ist, dass „Er Seine Güte nicht hat von uns weichen lassen und Seine Treue nicht verleugnet hat“? (Ps. 89, 33).
Fürwahr, wir sollten ein unbegrenztes Vertrauen zu Ihm haben, der uns trägt, „wie ein Mann seinen Sohn trägt“ (5. Mose 1, 31), und uns tröstet, „wie einen seine Mutter tröstet“ (Jes. 66, 13), der einst „acht gab auf Sein Volk in der Wüste und es behütete wie Seinen Augapfel“ (5. Mose 32, 10), — und wie all die vielen guten Worte lauten.
Es gibt kaum eine größere Glückseligkeit, als alles Ihm überlassen zu dürfen, der alle Fäden in Seiner Hand hat und nach Seiner Liebe und Weisheit alles für uns plant und geschehen lässt. In diesem Vertrauen ist unser Geist ruhig, unser Herz still. Wir genießen, den Segen der Gemeinschaft mit unserem Vater, indem wir wissen, dass alle Umstände, Leiden und Schwierigkeiten dieses Lebens zu unserem Guten mitwirken müssen. Und in dieser vertrauten Gemeinschaft wird der gefahr- volle Weg durch den Sand der Wüste zu einem Pfade, „den der Raubvogel nicht kennt, den das Auge des Habichts nicht erblickt hat, den die wilden Tiere nicht betreten, über den der Löwe nicht hingeschritten ist“ (Hiob 28, 7. 8). In unseren Herzen sind dann auch gebahnte Wege, die uns das Tränental zu einer Quelle machen lassen, während zugleich die Quellen des Himmels es mit Segnungen bedecken. Unsere Stärke ist in Gott, und wir gehen von Kraft zu Kraft (Ps. 84).
Der Herr will unser ganzes Herz haben. Er will uns ganz für sich besitzen. Wir erfreuen Ihn, wir erquicken Sein Herz, wenn wir rückhaltlos auf Ihn vertrauen. Wir ehren Ihn damit und werden wieder geehrt. (Vergl. 1. Sam. 2, 30.) Wir verherrlichen dann Seinen Namen, und das bringt dankbare Freude in unseren Seelen hervor. „Rufe mich an am Tage der Bedrängnis: ich will dich erretten, und du wirst mich verherrlichen!« ruft Gott Seinem Volke im 50. Psalm zu; und gleichsam als Antwort darauf ermuntern die Söhne Korahs im 42. und 43. Psalm sich selbst dreimal mit den Worten: „Was beugst du dich nieder, meine Seele, und was bist du unruhig in mir? Harre aus Gott! denn ich werde Ihn noch preisen, der das Heil meines Angesichts und mein Gott ist.“ Unser Vertrauen, unser Harren wird immer reicher belohnt, als wir erwarteten. Es geht uns meistens wie dem Patriarchen Jakob, der seiner Zeit zu Joseph sagte: „Ich hatte nicht gedacht, dein Angesicht wiederzusehen, und siehe, Gott hat mich sogar deinen Samen sehen lassen“ (1. Mose 48, 11).
Aber wir werden so nicht nur zur Freude und zum Preisen Seines Namens ermuntert. Das Vertrauen zu Ihm stärkt und stählt auch unseren Charakter. Furchtlos bewegen wir uns durch die Stürme und Widerwärtigkeiten, die uns umtoben, denn »die aus Jehova vertrauen, sind gleich dem Berge Zion, der nicht wankt, der ewiglich bleibt“ (Ps. 125, 1.) Wir tragen stets das Bewusstsein in uns: Gott ist mit uns, und „nichts wird uns zu scheiden vermögen von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserem Herrn“, (Röm. 8, 39), und wir werden davor bewahrt, dem Manne im Jakobusbrief zu gleichen, der „wankelmütig und unstet ist in allen seinen Wegen“.
Neben der Freude und Charakterstärke, dem Lohn der Abhängigkeit von unserem treuen Gott, reifen am Baume des Vertrauens auch die Früchte, welche für die Ewigkeit bleiben. „Gesegnet ist der Mann, der auf Jehova vertraut und dessen Vertrauen Jehova ist! Und er wird sein wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und am Bache seine Wurzeln ausstreckt, und sich nicht fürchtet, wenn die Hitze kommt; und sein. Laub ist grün, und im Jahre der Dürre ist er unbekümmert, und er hört nicht auf, Frucht zu tragen“ (Jer. 17, 7. 8).
Ja, „gesegnet ist der Mann, der auf Jehova vertraut und dessen Vertrauen Jehova ist!“ Wir haben das so oft erfahren. Was hindert uns nun daran, diesen gesegneten Platz beständig einzunehmen? Es ist unser eigenes Herz. Jeremia macht uns in der soeben angeführten Stelle gleich warnend darauf aufmerksam, indem er sagt: „Arglistig ist das Herz, mehr als alles, und verderbt ist es; wer mag es kennen?“ (V. 9).
Unser arglistiges Herz verführt uns so gern, uns- in Zeiten der Not und Verlegenheit nach menschlicher Hilfe umzusehen und zu vergessen, dass der Herr uns angeraten hat, »in allem durch Gebet und Flehen. mit Danksagung unsere Anliegen vor Gott kund- werden zu lassen (Phil. 4, 6).
„David sprach in seinem Herzen: Nun werde ich eines Tages durch die Hand Sauls umkommen; mir ist nichts besser, als dass ich eilends in das Land der Philister entrinne“ (1. Sam. 27, 1). So sprach derselbe Mann, der kurz vorher im Vertrauen zu seinem Gott dem ihn verfolgenden König Saul zugerufen hatte: „Meine Seele möge hochgeachtet sein in den Augen Jehovas, und Er möge mich erretten aus aller Bedrängnis!“ (1. Sam. 26, 24). So arglistig ist das Herz. Gestern hat es allein auf Gott gerechnet und in nichts dem Fleische vertraut, und heute setzt es seine Hoffnung auf die Hilfe der Menschen.
Schon einmal hatte sich dieser Zwiespalt in dem Leben Davids gezeigt. Vor Beginn des Kampfes mit dem Riesen Goliath hören wir ihn sagen: „Jehova, der mich aus den Klauen des Löwen und aus den Klauen des Bären errettet hat, Er wird mich auch aus der Hand dieses Philisters erretten“ (1. Sam. 17, 37); und nun vergleichen wir damit das Verhalten des Flüchtlings bei Achis, dem Könige von Gath: „David fürchtete sich sehr . . . Und er verstellte seinen Verstand vor ihren Augen und tat unsinnig unter ihren Händen, und er kritzelte an die Flügel des Tores und ließ seinen Speichel aus seinen Bart herabfließen“ (1. Sam. 21,12. 13.) Welch ein Gegensatz! Sobald das Vertrauen zu Jehova aus dem Herzen Davids schwand, wurde er ein anderer Mann und verlor seinen wahren Charakter. Aus dem Helden wurde ein Feigling. Er hatte kein gutes Gewissen mehr, die Kraft zum Zeugnis war dahin, und er zeigte sich als ein Lügner und Heuchler! Wie klein steht auch der gewaltige Prophet Elias vor uns, nachdem er das Vertrauen zu dem Gott, „vor dessen Angesicht zu stehen“ er sich rühmen konnte (1. Kön. 17, 1), verloren und diese einzige Quelle seiner Kraft eingebüßt hatte! Er, aus dessen Gebet der Himmel verschlossen wurde, so dass es 3,5 Jahre nicht im Lande regnete, er, der dem Ahab furchtlos entgegengetreten war und den 850 Propheten des Baal und der Aschera keinen Augenblick nachgegeben hatte —- dieser treue Mann begann zu zittern und floh vor einem Weibe!
Solche oder ähnliche Erfahrungen lässt uns der treue Herr immer wieder machen, wenn wir „Fleisch zu unserem Arm machen" und nicht auf die Rettung Gottes harren. Denn obwohl wir auf dem Wege der Selbst- und Menschenhilfe mancherlei Enttäuschungen er- leben, lassen wir uns doch nicht abschrecken, da Hilfe zu suchen, wo meistens die Macht und oft auch die Liebe fehlt, uns zu helfen, wenn wir gerade der Hilfe am dringendsten bedürfen. „Nur Eitelkeit sind die Menschensöhne, Lüge die Männersöhne«; auf Gott aber baut man nie vergebens. Er wird auch niemals müde. Wir wissen das, haben es häufig erfahren, und doch ertappen wir unser arglistiges Herz immer wieder dabei, wie es zu Gott beten und doch gleichzeitig zu eigenen Plänen oder zu irgend einem Menschen seine Zuflucht nehmen möchte. Wir überreden uns, dass Gott unsere Stütze sei, dass wir uns Seinen Händen anvertrauen, während wir in Wirklichkeit auf eigene Kraft und Pläne bauen. Wie rührend und vertrauensvoll ist das Gebet, welches Jakob in der Furcht vor seinem Bruder Esau an Jehova richtete! (1. Mose 32, 9 — 12.) Und doch setzte er in Wirklichkeit nicht sein Vertrauen auf die Dazwischenkunft Gottes, denn er versuchte, Esau „durch ein Geschenk“ zu versöhnen (1. Mose 33, 10).
Wir machen es oft so, bis wir zu der Erkenntnis kommen, dass wir uns aus nichts, auf keinen Menschen, auch nicht auf unser arglistiges und verderbtes Herz verlassen dürfen, dass „alles Fleisch Gras ist und alle seine Anmut wie die Blume des Feldes“ (Jes. 40, 6).
Selbst die „Anmut“ des Fleisches bei Petrus, wenn wir sie so nennen dürfen, da er ja in Wahrheit und Aus-richtigkeit Jesum liebte und eben auf diese Liebe seine Zuversicht setzte, erwies sich als kraftlos und führte zum Fall. Das Selbstvertrauen Petri beruhte weniger auf einer zu hohen Meinung von sich selbst, wie sie sich bei uns so oft findet, sondern hatte seine Wurzel mehr in dem starken Vertrauen, das er in seine Liebe zum Herrn setzte. Dies zeigt uns wohl das Verhalten des Herrn in Joh. 21, 15 ff.
Petrus verleugnete Den, den er über alles liebte, an welchem sein Herz am meisten hing. Wohl hatte der Herr ihn vor der Stunde der Versuchung gewarnt, dass Satan ihn wie den Weizen zu sichten begehre, und hatte ihm gesagt, dass Er für ihn gebetet habe, auf dass sein Glaube nicht aufhöre. Aber anstatt dadurch misstrauisch gegen sich selbst zu werden, offenbarte Petrus die Torheit seines Herzens in der Antwort: „Herr, mit dir bin ich bereit auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen«, worauf Jesus ihm sagte, dass der Hahn nicht krähen würde, bevor er dreimal geleugnet hätte, dass er Ihn kenne. So war alle Mühe bei Petrus vergeblich. Er liebte seinen Herrn aufrichtig; das wusste er und vertraute darauf. Andere mochten Ihn verleugnen und verlassen, er nicht; nein, eher würde er mit Ihm sterben. (Luk. 22.) Er traute sich mehr Liebe zu, als den übrigen Jüngern, und darum fehlte er mehr als sie alle. Die Stunde der Versuchung kam, und derselbe Mann, der Christum als „den Sohn des lebendigen Gottes“ (Matth. 16, 16) und als „den Heiligen Gottes“ (Joh. 6, 69) bekannt hatte, „fing an sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne diesen Menschen nicht, von welchem ihr redet“ (Mark. 14, 71).
Doch Gott sei gepriesen! Wenn wir auch wankelmütig und selbst untreu sind, Er bleibt unveränderlich Derselbe in Seiner Gnade und Barmherzigkeit. Wenn wir aus Unglauben, aus Menschenfurcht oder auch durch Selbstvertrauen die zarten Bande des Vertrauens zu unserem Herrn zerrissen haben, so bleibt Er bemüht, die zerschnittenen Fäden wieder anzuknüpfen und unser Vertrauen wiederherzustellen. Angesichts der Verkehrtheit des Fleisches handelt Er in Gnade. Er, der alles weiß, zeigt uns was das Fleisch ist, und gibt uns, nachdem wir gedemütigt sind, das freudige Bewusstsein wieder, dass wir zu Ihm das alte volle Vertrauen haben dürfen. Ja, Er lässt selbst unsere Untreue dazu dienen, um unsere Erkenntnis von dem, was Er ist und was Er für uns ist, zu vertiefen. Erinnern wir uns nur an die Stunde, in welcher der Herr den Petrus warnte. Gerade hatte Er den Jüngern gesagt, dass Er sich mit Sehnsucht danach gesehnt habe, das Passah mit ihnen zu essen, ehe Er leide, und hatte ihnen mitgeteilt, dass einer aus ihrer Mitte Ihn verraten würde. Wie mag es da Sein Herz betrübt haben, dass sie alle, statt traurig und mitfühlend zu sein, sich darüber stritten, wer von ihnen für den Größten zu halten sei! Aber was tut Er? Anstatt die Jünger zu schelten, wie sie es wohl verdient hätten, handelt Er in wunderbarer Gnade und Sanftmut. Er vergisst sich selbst in der Sorge um Seine Jünger und sagt: »Der Größte sei unter euch wie der Jüngste, und der Leiter wie der Dienende«. Er weis; sie durch Sein eigenes Beispiel zu belehren, was die Liebe Gottes ist, und zeigt ihnen zugleich die Gnade, die in Ihm ist. Wie strahlt diese Gnade auch aus den Worten hervor: „Ihr seid es, die mit mir ausgeharrt haben in meinen Versuchungen; und ich verordne euch, gleichwie mein Vater mir verordnet hat, ein Reich, auf dass ihr esset und trinket an meinem Tische in meinem Reiche und auf Thronen sitzet, richtend die zwölf Stämme Israels“ (Luk. 22). Er sagt ihnen gleichsam: Ihr habt nicht nötig, euch selbst zu erheben; mein Vater hat euch das Reich verordnet, Er wird euch erheben.
Unter dieser Gnade, die sich so zart und treu um uns bemüht, wenn wir in unserem Vertrauen wankend geworden sind, standen auch David, Elia und Petrus.
Sobald David sich wegen seines Verstellens bei dem König Achis vor Gott gedemütigt hatte, kehrte sein Vertrauen zu Gott zurück, und sein schwankendes Herz brach in dem eigens für diese Zeit der Untreue gedichteten Psalm 34 in den Jubelruf aus: „Schmecket und sehet, dass Jehova gütig ist! Glückselig der Mann, der auf Ihn traut!“ (V. 8). Und auch später, als sich in Ziklag die Folgen seiner Flucht in das Land der Philister zeigten, und er „in großer Bedrängnis war“, lesen wir: „Aber David stärkte sich in Jehova, seinem Gott“ (1. Sam. 30, 6).
Und wie rührend ist es zu sehen, wie sich der Herr seines missmutigen und verzagten Knechtes Elia annahm. Wie mühte Er sich in herablassender Gnade, das alte Vertrauensverhältnis wiederherzustellen! Der große Gott bereitete Seinem armen Knecht Speise und Trank und sorgte für seinen Unterhalt für die weite Reise, so dass er in der Kraft dieser Speise bis an den Berg Gottes, den Horeb, gelangen konnte. Und dort offenbarte sich ihm im Tone eines leisen Säuselns die traute Stimme der Gnade (1. Kön. 19).
Sie spricht auch heute noch zu uns, wenn unser Vertrauen erlahmt, wenn wir uns vor Menschen fürchten oder nach ihrer Hilfe uns umsehen; sie redet noch dieselbe Sprache, wie bei Petrus, sobald unser Selbstvertrauen uns zum Fall geführt hat. Der Herr lässt Sein Wort, wie bei Petrus, auf unser Gewissen wirken, und stehen wir dann gedemütigten Herzens in Seiner Gegenwart, „dann blickt Er uns an“ mit einem Auge, in welchem Schmerz und Trost zugleich liegen, mit einem Auge, aus dem die wunderbare Liebe hervorleuchtet, die uns nimmer aufgeben kann. Das bricht unser Herz und führt uns zugleich zu Ihm, zu Seinem Herzen zurück und stellt das alte Vertrauen wieder her. Vielleicht geschieht es mit bitteren Tränen, wie bei Petrus: „Er ging hinaus und weinte bitterlich“. Ja, er hatte Ursache dazu, und wie oft haben wir es! Sind wir aber dann hergestellt, so vermögen wir uns mit David in unserem Gott zu stärken, vor Seinem Angesicht zu stehen, wie Elia, ja, noch mehr, wir sind sogar imstande, „unsere Brüder zu stärken“, wozu die Gnade den Petrus aufforderte (Luk. 22, 32).
Welch eine überwältigende Gnade! Sollte man es für möglich halten, dass unser Herz so arglistig und verkehrt sein könnte, dass es trotz solcher Liebe und Gnade von dem selbstgewählten Wege nicht abweichen will? Das Wort gibt uns hierfür ein warnendes Beispiel.
In 2. Chron. 16, 11 wird im Blick aus Asa, den König von Juda, von der ersten und der letzten Geschichte seines Lebens geredet, gerade so wie wir auch bei Salomo von einer ersten und letzten Geschichte lesen. (2. Chron. 9, 29.) In seiner ersten Geschichte zeigte sich Asa als ein treuer, gottesfürchtiger Mann, der sich vertrauensvoll vom Herrn leiten ließ und darum Erfolg auf allen seinen Wegen hatte. Seine letzte Geschichte berichtet aber von einem Verblendeten, der sich Jehova widersetzte und Vertrauen nicht mit Vertrauen erwiderte, sondern sogar im Zorn den Propheten Gottes ins Stockhaus legen ließ. Gott strafte ihn daraufhin mit Krankheit. Aber auch das brachte ihn nicht zur Besinnung. Sein Herz wandte sich nicht zu Gott zurück. Die letzte Geschichte Asas schließt mit den Worten: „Aber auch in seiner Krankheit suchte er nicht Jehova, sondern die Ärzte. Und Asa . . . starb!“ (2.Chron.16, 12. 13).
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Was Kummer scheint und Herzeleid
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 84ff
Was Kummer scheint und Herzeleid,
mit göttlicher Geschicklichkeit
hat’s Deine Hand bereitet;
mit laut’rem Herzen voller Lieb’
hat mich die Zuchthand, die mich trieb,
behütet und geweidet.
Die Tröstungen sind ohne Zahl,
die nach den Schlägen jedes mal
das Herz mir aufgerichtet,
die Hand gestärkt, das Aug’ erfrischt,
Bis ich gemerkt, dass, was mich drischt,
vom Korn die Spreu nur sichtet.
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Dreimal in Bethanien
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 85ff
Die Überschrift soll nicht besagen, dass der Herr nur dreimal in Bethanien gewesen sei. Wahrscheinlich hat Er viel, viel öfter bei den Seinigen dort geweilt. Aber bei drei Gelegenheiten hat Er daselbst, wie uns im Worte mitgeteilt wird, einen besonderen Ausspruch getan. Und hierüber möchte ich einige kurze Bemerkungen machen.
In Luk. 10, 42 sagt der Herr: „Eins aber ist not“. Wir wissen, was Er damit der unruhigen, viel beschäftigten Martha zum Bewusstsein bringen wollte.
Aber was will Er uns sagen?
Er tritt auch heute in die Häuser der Seinigen. Er sieht die Geschäftigkeit und Unruhe der Mutter, und in liebevollem Ernst hebt Er den Finger und sagt: „Eins ist not“. Hast du nicht eine halbe Stunde Zeit, um deine Bibel zu lesen? Nimm sie zur Hand und lies einmal Ps. 32, 7. 8. Ist es nicht schön, einen solchen Bergungsort zu kennen? Dort darfst du alle deine Sorgen niederlegen. Welch eine Beruhigung liegt weiter in Vers 8: ,,Ich will dich unterweisen«! Wird dir die Erziehung der Kinder schwer? Der Herr gibt Weisheit. Hast du viel Arbeit und einen schwachen Körper? Der Herr gibt Kraft. Hast du Dienstboten und wirst leicht erregt Der Herr sagt „Lerne von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“ (Matth. 11, 29).
Dann tritt der Herr Jesus zu dem Manne und Vater im Hause. Er sieht seine mancherlei Pläne für den Tag, und mahnend spricht Er: „Eins ist not“. Hast du vergessen, dass du ein Fremdling hienieden bist? Warum schlägst du die Pflöcke deines Zeltes so tief? Merkst du nicht, wie dein Herz immer mehr von den Dingen dieser Welt erfasst wird? Denke an den armen Lot und erkenne den Ernst der Zeit. Was will der Herr dir und uns allen sagen mit dem furchtbaren, nicht enden wollenden Kriege? Er will die Herzen lösen von allem Irdischen und sie mit dem Himmlischen erfüllen. Warum? „Der Herr ist nahe!“ (Phil. 4, 5). Ja, „eins ist not“. Wie betrübend ist es, wenn der Gläubige so viel an sich denkt und so wenig an den Herrn! So machte es einst Israel. Schlage nur deine Bibel auf und lies Haggai 1. Dort kannst du sehen, wie es mit Israel stand.
Und wir? Ach, möchten wir 1. Petr. 5, 6. 7 doch heute viel beachten und befolgen! Aber wie steht es? Was beweisen die vielen leeren Plätze bei den Zusammenkünften der Kinder Gottes? Muss nicht der Herr vielleicht auch dem Leser dieser Zeilen zurufen: „Eins ist not“? Besorgt um viele Dinge, lässt du das Wichtigste vielleicht unbeachtet. Mancher ist zufrieden, des Sonntags seinen Platz, am Tische des Herrn einzunehmen, aber in der Woche bleibt sein Platz leer. Wie beschämend ist das! Zweimal sagt der Herr Jehova in Haggai 1: „Richtet euer Herz auf eure Wege!“ Das gilt auch uns. Wir haben viel Ursache, uns über manches zu demütigen und zu beugen im Selbstgericht. Wir haben auch viel Ursache, zu danken für all die Güte, die Gnade, das Erbarmen und die Hilfe des Herrn, dafür dass wir uns in Ruhe und Frieden versammeln können zum Lesen des Wortes und zum Gebet. Auch gibt es viel Ursache zu bitten: für Kaiser, Land und Volk, für die Errettung von Sündern, für die Ausbreitung des Wortes, für die Bewahrung unserer Brüder im Feld und in den Garnisonen. O wieviel Flehen ist für sie nötig, wo sie auch stehen mögen, dass der Herr sie benutzen könne zur Verherrlichung Seines Namens und zum Heile der Verlorenen! Wieviel Flehen ist au-:l) nötig, dass der Herr sie bewahre in Reinheit und Heiligkeit! Denken wir nur an die Besatzungstruppen in Belgien und anderen besetzten Gebieten, wo Ausschweifung und Sittenlosigkeit so überaus groß sind! Hast du einen Sohn in diesen Gebieten, so sollte es dich viel auf deine Knie treiben.
Dann tritt der Herr auch zu dem Sohne und der Tochter mit Seinem ernsten: „Eins ist not“. Du bist errettet! Aber benimmst du dich demgemäß? Wünschest du für Christum zu leben? Wenn dein Leben es nicht zeigt, wie ernst klingt dann das: „Eins ist not“!
Schließlich wendet Er sich auch zu den unbekehrten, gleichgültigen Kindern, und da ertönt mit Donnerstimme Sein: „Eins ist not“. Bald schließt sich die Gnadentür, du stehst draußen, und es ist für immer zu spät! Welch ein furchtbarer Gedanke! VerschIieße ihm dein Herz nicht! Wache auf, der du schläfst! Eins ist not. Bekehre dich! (Lies Matth. 11,28; Sprüche 28, 13: Ps. 7, 12).
So geht der Herr durch das ganze Haus. Er sieht Mann, Frau, Kinder, Knecht und Magd. Er steht vor jedem, kennt jeden von innen und außen. Ja, Er durchschaut uns. Möchten wir Ihm still halten und auf Ihn hören und was not tut von Herzen tun!
Das zweite, in Bethanien gesprochene Wort des Herrn, auf das ich hinweisen möchte, finden wir in Joh. 11, 25. 26. Hier kam Jesus in ein Trauerhaus. Lazarus, der Bruder der beiden Schwestern Maria und Martha, war gestorben, und der Herr kam, um ihn aufzuerwecken. Martha ging Ihm entgegen, und diesmal sprach der Herr zu ihr das kostbare Trosteswort: „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist; und jeder, der da lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit“. Dasselbe ermunternde und so tief bedeutungsvolle Wort, dessen eigentlichen Sinn Martha damals wohl nicht begriffen hat, ruft der Herr auch heute den trauernden Seinigen zu. Wie viele Tränen fließen in unseren Tagen über Väter, Männer und Brüder, die im Kampfe draußen gefallen sind! Aber wie gern tritt der Herr dann in ein solches Trauerhaus, aus dem der Tod eins der geliebten Angehörigen gerissen hat, und spricht mit liebevoller Stimme: „Weine nicht!“ (Luk. 7, 13). Und dann richtet Er das Auge der Seinen auf das Trosteswort, das Er einst zu Martha sprach. Wer an Ihn glaubt, der lebt, auch wenn er gestorben ist. Über ihn hat der Tod keine Gewalt mehr. Seine Seele geht zu Jesu, seinem geliebten Herrn, und bald wird der Augenblick kommen, wo der Herr mit gebietendem Zuruf auch die Leiber der in Ihm Entschlafenen auferwecken wird. Dann werden alle Gläubigen, die hier durch den Tod oder die Umstände voneinander getrennt waren, in alle Ewigkeit miteinander vereinigt sein und auf immerdar mit Ihm leben, der für sie gestorben ist und ist auferweckt worden. Dann wird es auch kein Warum? mehr geben. Alle Rätsel werden ihre Lösung finden, und aller Herzen werden sich freuen mit einer Freude, die niemand von ihnen nimmt (Vergl. Joh. 16, 22).
Dann wird auch das weitere Wort des Herrn in Erfüllung gehen: »Und jeder, der da lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit«. Wenn die große Stunde herannaht, in welcher der Herr als das Leben und die Auferstehung geoffenbart werden wird, dann werden viele Gläubige hienieden noch im Leibe wallen. Und diese — welch ein wunderbarer Gedanke! — brauchen überhaupt nicht durch den Tod zu gehen. Sie sterben nicht in Ewigkeit. Welch ein erquickendes Trosteswort für uns alle, besonders auch für die, welche zwar nicht um den Tod eines der Ihrigen trauern, aber welche — und wie groß ist heute ihre Zahl! — in banger Sorge sind um das Schicksal ihrer Lieben! Heute noch kann der Herr kommen. Wir Gläubige dürfen und sollen Ihn heute erwarten. Und wenn der Herr nun heute käme, so würden wir, ohne dass einer von uns die Bitterkeit des leiblichen Todes zu schmecken brauchte, in einem Nu, in einem Augenblick die Unsrigen wiedersehen und also mit ihnen allezeit bei dem Herrn sein (1. Thess. 4, 17). Fürwahr, eine Hoffnung, die uns allezeit zu ermuntern imstande ist.
In Mark. 14, 8 kommt der Herr Jesus zum letzten mal nach Bethanien. Es war kurz vor Seinem Tode. Bei dieser Gelegenheit war es, wo Maria an den Herrn herantrat mit der kostbaren Salbe, die das ganze Haus mit ihrem Wohlgeruch erfüllte. Als etliche unwillig wurden über diese vermeintliche Verschwendung, trat der Herr für Seine geliebte Jüngerin ein, verteidigte sie vor allen und sprach das Wort: „Sie hat getan, was sie vermochte“ (V. 8). Welch ein wunderschönes Zeugnis! „Sie hat getan, was sie vermochte“. Damit ist alles gesagt. In dieser Salbung brachte Maria nicht nur die Gefühle ihres dankbaren und liebenden Herzens zum Ausdruck, sie hatte auch das, was sie besaß, dafür geopfert, und sie legte vor allen Anwesenden, ob diese es nun verstehen mochten oder nicht, Zeugnis ab von dem großen Werke, das Jesus zu tun im Begriff stand. Mehr konnte sie nicht tun, und der Herr erkennt das voll und ganz an.
Wenn nun der Herr jetzt in unser Haus träte, zu dir und mir, würde Er dann wohl auch so zu uns sprechen können? Ach, ich glaube, wir müssten alle mehr oder weniger beschämt an unsere Brust schlagen und antworten: Nein, was wir zu tun vermochten, haben wir nicht getan. Da hätte viel mehr Eifer und Treue, weit mehr Dankbarkeit und Liebe geoffenbart werden können, und manches, das für Ihn hätte verwendet werden sollen, ist für nichtige Dinge ausgegeben worden.
Die eben angeführten Worte sprach der Herr, als Er zum letzten mal nach Bethanien kam. So wird Er auch einmal bei uns zum letzten mal eintreten. Lasst uns das täglich bedenken! Jeden Morgen sollten wir uns zurufen: „Heute kann es das letzte Mal sein, dass ich etwas für den Herrn tun darf. Es ist unser Vorrecht, für unseren Herrn zu arbeiten und zu leben. Er sagt in Joh. 15, 8: „Hierin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringet“. Möchte die schwere Zeit, die Gott für nötig befunden hat, über unser Land und Volk kommen zu lassen, dazu dienen, dass alle Gläubigen, alle Kinder Gottes, ob jung oder alt, Mann oder Weib, Sohn oder Tochter, Knecht oder Magd, mehr Frucht bringen! Denn dadurch wird der Vater verherrlicht. Möchten wir alle so dem Herrn dienen, dass Er am Abend unseres Lebens oder am Schluss unserer Arbeit uns allen dasselbe schöne Zeugnis geben kann wie einst der Maria!
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Der Prophet Maleachi
Bibelstelle: Maleachi
Botschafter des Heils in Christo 1915, S. 91ff
Autor: H. R.
Einleitung
Maleachi ist der letzte der Propheten, welche nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft an Juda gesandt wurden. Haggai und Sacharja weissagten zur Zeit der Ereignisse, die im Buch Esra mitgeteilt werden. Maleachi dagegen gehört einer späteren Zeit an, denn er erwähnt die Ereignisse, die im 13. Kapitel des Buches Nehemia berichtet werden; aber alles gibt Veranlassung zu denken, dass seine Prophezeiung sich geschichtlich über diesen Zeitabschnitt hinaus erstreckt. Wie dem auch sei, seine Tragweite geht weit über diesen beschränkten Rahmen hinaus. Maleachi beschreibt den sittlichen Zustand des Volkes, wie er teilweise noch unter Johannes dem Täufer bestand, dem letzten Propheten des Alten Bundes, als Jesus, der dem Volke Israel verheißene Messias, nahe daran war auf dem Schauplatz zu erscheinen.
Viele Ereignisse von großer Wichtigkeit haben während der viereinhalb Jahrhunderte stattgefunden, die zwischen Nehemia, dem letzten Geschichtsschreiber des Alten Testaments (das Buch Esther ist älteren Datums als dasjenige Nehemias), und dem Dienst Christi verflossen. Maleachi macht keine prophetische Anspielung auf diese Ereignisse, - Sacharja, der darin Daniel ähnlich ist, erwähnt sie bestimmt – weil eben Maleachi nur den sittlichen Zustand des Volkes im Auge hat, welches berufen ist, den Messias aufzunehmen, sowie die Gerichte, die Israel treffen werden, wenn sein abgestumpftes Gewissen selbst dieser Heimsuchung gegenüber nicht aufwacht, während zugleich sein wahrer Überrest das Kommen des Herrn erwarten wird.
Wie man in den drei letzten Propheten sieht, hatte Gott Juda aus der babylonischen Gefangenschaft wieder heraufziehen lassen, um die Herrschaft Christi aufzurichten, für den Fall, dass das Volk Ihn annehmen würde; würde es aber seinem Unglauben die Krone aufsetzen, indem es seinen König verwarf, so wollte Gott ein wunderbares Heil sich erfüllen lassen, das allen Nationen angeboten werden sollte.
Maleachi redet deshalb prophetisch weder von dem Reich Alexanders des Großen, noch von den heldenhaften Zeiten der Makkabäer, noch von der Eroberung durch die Römer; sondern entwirft das überaus düstere Gemälde von dem sittlichen Zustand des Volkes und hebt auf diesem dunklen Hintergrund das Bestehen eines kleinen Überrestes ab, der durch die Prüfung zubereitet wird, das Kommen des Erretters zu begrüßen.
Das alles ist von großem Interesse und wohl wert, unsere Aufmerksamkeit zu fesseln, da es sich um die Zukunft Israels und um das Kommen Christi handelt; aber das Buch Maleachi hat, wie wir in der Folge sehen werden, für uns noch eine unmittelbare und wichtige Tragweite, wenn wir es nämlich auf den gegenwärtigen Zustand der Christenheit in ihren Beziehungen zu der zweiten Ankunft des Herrn anwenden. Wir wollen damit nicht sagen, dass Maleachi in irgendeiner Weise eine Anspielung auf diesen Gegenstand mache: Der ganze Zeitabschnitt der Kirche und die Geschichte der Christenheit werden dem Neuen Testament und seinen Propheten überlassen, wohingegen das Alte Testament sie mit völligem Schweigen übergeht; aber vergessen wir nicht, dass die Geschichte Israels dem Christen eine Unterweisung darbietet, die er schuldig ist zu lernen. Denn die Dinge, welche diesem Volk widerfuhren, widerfuhren ihm als Vorbilder, und sind geschrieben worden zu unserer Ermahnung, auf welche das Ende der Zeitalter gekommen ist. (1. Korinther 10,11 )
Wir werden also im Verlauf dieser Betrachtung einerseits den Zustand Israels in Bezug auf das erste Kommen Christi zu untersuchen haben, und andererseits den der Christenheit in Bezug auf Seine zweite Ankunft, wenn Er vom Himmel kommen wird, um die Seinigen zu Sich zu versammeln. Dieser Gegenstand wird umso eindrucksvoller für uns sein, je mehr er beschränkt ist. Entgegen anderen Propheten sagt Maleachi uns nicht ein Wort über die Verwerfung Christi und über Seine sühnenden Leiden. Er kündigt Sein Kommen an; und wer wird dieses ertragen, wenn der Messias nicht ein Volk vorfindet, welches wohl zubereitet ist, Ihn zu empfangen?
Die Überbleibsel von Juda waren schon im Voraus für diesen Empfang vorbereitet worden. Die Gnade Gottes hatte diesen Stamm von Babel wieder heraufziehen lassen. Er wäre der wahre Überrest gewesen, wenn sein Herz verändert gewesen wäre. Johannes der Täufer ruft ihn in dringender Weise dazu auf durch die Taufe der Buße. Die große Mehrheit des Volkes ist jedoch unter der Leitung seiner Anführer taub gegenüber der Sendung des größten Propheten. Nur einige hören auf ihn, nehmen den Messias auf, der in ihre Mitte kommt, und werden so der Mittelpunkt, an den sich später das prophetische Israel wieder anschließen wird. Infolge der Auferweckung des Heilands bilden allerdings dieselben Jünger den Mittelpunkt der Kirche, eine himmlische Einschiebung zwischen die Erscheinung des jüdischen Messias hienieden und Seine Erscheinung in Herrlichkeit, um die Regierung Israels und der Welt in die Hand zu nehmen; aber das hindert keineswegs, dass sie, nachdem sie als jüdische Jünger den Messias aufgenommen haben, nicht das erste Glied der Kette bilden, womit die Treuen des jüdischen Überrestes am Ende sich verbinden werden.
Die erste Frage, die sich vor uns auftut, ist also diese: In welchem sittlichen Zustand befand sich das von Babel hinauf gezogene Volk, um das erste Kommen Christi zu erwarten? In welchem sittlichen Zustand befindet sich heute die Christenheit, um Sein zweites Kommen zu erwarten?
Kapitel 1 - 2,9
"Ausspruch des Wortes Jehovas an Israel durch Maleachi." (V. 1)
Obwohl Maleachi inmitten der kümmerlichen Überreste von Juda und Benjamin prophezeit, die aus der Gefangenschaft zurückgekehrt waren, umfasst er in seinen Gedanken doch Israel, das heißt die Gesamtheit des Volkes. Er unterscheidet sich hierin von Sacharja, der nur Juda und Jerusalem im Auge hat. Der sittliche Zustand, den unser Prophet beschreiben will, umfasst also das Volk als ein Ganzes, und das Gericht, welches es treffen muss, wird allgemein sein; ebenso umfasst auch das erste Kommen des Messias in seiner Tragweite das ganze Volk. (Lk. 1,54 ; 2,10.25.32 )
"Ich habe euch geliebt, spricht Jehova; aber ihr sprecht: "Worin hast du uns geliebt?" War nicht Esau der Bruder Jakobs? spricht Jehova, und ich habe Jakob geliebt; Esau aber habe ich gehasst." (V. 2 und 3) "Ich habe euch geliebt", welch rührendes Wort! Damit beginnt Jehova. Es steht am Anfang all Seiner Beziehungen zu den Menschen, all Seiner Wege mit Seinem Volk. Von Ewigkeit her war die Wonne der Weisheit bei den Menschenkindern (Sprüche 8,31 ); und hatte, was Israel betrifft, Gott nicht von Anfang an Seine Liebe darin bewiesen, dass Er mit Seiner Gandenwahl anfing: "Ich habe Jakob geliebt?" Weiterhin hatte Jehova Israel aus Ägypten befreit, hatte es auf Adlers Flügeln getragen, um es zu Sich zu bringen, hatte es in der Wüste durch die Wolke geleitet, um es endlich in das Land der Verheißung einzuführen. Und auch nachdem Seine Gerichte, der Beweis Seines unwandelbaren Charakters der Gerechtigkeit und Heiligkeit, sich über dieses untreue Volk hatten ergießen müssen, hatte die Liebe Gottes es nicht schließlich doch wiederhergestellt und es wieder hinaufziehen lassen in sein Land? Konnte Israel einen Augenblick an einer Liebe zweifeln, die sich auf so mannigfache Art zu seinen Gunsten verwendet hatte?
Dieses selbe Wort spricht Gott auch heute noch. Trotz ihres reißenden Hineilens dem schließlichen Abfall zu, kann die Christenheit täglich die Worte hören: "Ich habe euch geliebt, spricht Jehova". Ist nicht das Kreuz Christi der unbestreitbare Beweis dieser Liebe?
Ohne Zweifel, sollte man sagen, wird dieses Wort ein Echo finden in dem bewegten Herzen des Volkes, welches von einer so unverdienten Gnade berührt wird. Doch hört, was es antwortet: "Worin hast du uns geliebt?"
Kann man eine solche Verhärtung begreifen? Nachdem das Volk 60 Jahre lang die bittere Erfahrung der Folgen seiner Untreue gemacht, hat es, und zwar gerade in dem Augenblick, wo die unverdienten Gnadenwege zu seinen Gunsten wieder aufgenommen werden, die Kühnheit zu sagen: "Worin hast du uns geliebt?" Sie kennen den Gott nicht, mit dem sie es zu tun haben, und noch weniger kennen sie sich selbst. Sie wissen nicht, dass Gott sich nie verändert, und dass, wenn Seine Gerichte unwandelbar sind, Seine Liebe ebenso unwandelbar ist wie Seine Gerechtigkeit. Das ist der erste Charakterzug dieses Volkes.
Ist der Zustand der Christenheit davon verschieden? Vor nicht langer Zeit hat Gott die Welt geschlagen durch Erdbeben, Überschwemmungen etc. von einer Schwere, wie die Menschen sich keiner ähnlichen erinnern konnten. Aber was haben solche, die an Gott zu glauben bekennen, getan? Anstatt Buße zu tun haben sie gefragt: "Wo ist da Gottes Liebe?" Trotzdem haben die vergangenen und gegenwärtigen Gerichte Gottes (und sicherlich auch der Veröffentlichung dieser Betrachtung tobende 1. Weltkrieg [Anm. d. Übersetzers]), obschon sie Seinen Abscheu gegen das Böse beweisen, zum Zweck, die Seelen zu Sich zu ziehen und ihnen zu beweisen, dass Er sich trotz ihrer Sünden mit ihnen beschäftigt. Seine Liebe gegen sie hat sich nicht verändert; sie hat sich ein für allemal auf dem Kreuz Christi erwiesen, und durch Seine Gerichte will Er nur die Gewissen erreichen und die Augen, wie einst die der Israeliten auf die eherne Schlange, auf das einzige Heilmittel hinlenken. Dass es eine gerechte Regierung Gottes in der Welt gibt, ist zweifellos, und es ist nötig, dass der Mensch sie verstehe und die Erfahrung davon mache, damit er lerne, dass die einzige Hilfsquelle für ihn in der unwandelbaren Liebe Gottes liegt.
Stattdessen aber finden die Sünder in den gerechten Gerichten Gottes einen Anlass, den Charakter Dessen, der sie ruft, in Zweifel zu ziehen. Nichts bewegt das Herz des Menschen; er kommt nicht dahin zu urteilen, dass er nur das Gericht verdient, und anstatt zur Gnade seine Zuflucht zu nehmen, sagt er wie der faule Knecht: "Ich kannte dich, dass du ein harter Mann bist; du erntest, wo du nicht gesät, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast". (Mt. 25,24 ) – "Worin hast du uns geliebt?"
Wie es bei Israel der Fall war, ist also der erste Charakterzug der bekennenden Christenheit: Gleichgültigkeit gegenüber der Liebe Gottes, ja, mehr noch: Unkenntnis des Charakters Gottes und Seines besonderen Charakters ihr gegenüber.
Auf die trotzige Frage: Worin hast du uns geliebt? antwortet Jehova, indem Er ihnen den Ursprung des Volkes wieder vor Augen stellt: "War nicht Esau der Bruder Jakobs? und ich habe Jakob geliebt; Esau aber habe ich gehasst." Worauf war denn die Auswahl Jakobs gegründet? Wenn Jehova sagte: "Der Ältere wird dem Jüngeren dienen" (1. Mose 25,23 ), was bestimmte dann Gottes Wahl? Weder der eine noch der andere der beiden Brüder hatte in jenem Augenblick Gutes oder Böses getan; was den Unterschied zwischen ihnen ausmachte, war also der feste Vorsatz, die freie Wahl Gottes, nach Wahl der Gnade (Römer 9 ). Und warum sagte Er jetzt: "Ich habe Jakob geliebt"? Hatte es etwas in dem Verhalten Jakobs gegeben, das ihn hätte beliebt machen können? Wahrlich, der Charakter Jakobs hat nichts Anziehendes für uns, wie viel weniger für Gott; denn niemals hat ein Mensch einen Glauben besessen, der mehr mit Betrug vermischt gewesen wäre. Aber vielleicht hatten die Werke Jakobs trotz seines Charakters die Liebe Gottes angezogen? Auch nicht. Es gibt wenige unter den Patriarchen, die ein Leben geführt haben, das ärmer an guten Werken gewesen wäre als das seinige; und wie die Werke seiner Nachkommen beschaffen waren, darüber gibt uns Maleachi selbst Auskunft. Woher kam denn diese Liebe Jehovas zu einem Menschen, und dann zu einem Volk, das so elend war? Sie entsprang dem Bedürfnis des Herzens Gottes, sich zu erkennen zu geben und den Sündern zu zeigen, was Er ist. Israel hatte Nutzen daraus gezogen, dass Gott Sich, d.h. Seine Natur und Sein Herz, solch elenden Wesen, wie wir sind, offenbaren wollte.
Doch Jehova fügt hinzu: "Esau aber habe ich gehasst". Gab es vielleicht Ungerechtigkeit und Parteilichkeit bei Gott, dass Er diesen Mann gehasst hatte? Keineswegs. Die freie Wahl des unumschränkten Gottes ist nicht Hass. Im 1. Buch Mose wird uns diese Wahl mitgeteilt. "Der Ältere wird dem Jüngeren dienen", aber wir sehen da keinen Hass gegen Esau. Gott spricht dort nicht Gericht über Esau aus; um dies zu erfahren, müssen wir bis zu Maleachi kommen, dem letzten prophetischen Buch des Alten Testaments. Die Sache ist aber die, dass der Hass Gottes gegen Esau die Folge des Verhaltens Esaus ist. Jehova hatte ihm, wie seiner Nachkommenschaft, Tausende von Jahren bewilligt, um durch seine Werke zu beweisen, ob er würdig sei, von Ihm geliebt zu werden; aber Edom hatte bei jeder Gelegenheit gezeigt, dass er der geschworene Feind Gottes und Seines Volkes war, und hatte endlich das Maß seiner Ungerechtigkeiten voll gemacht durch sein Verhalten gegen Jerusalem und seine Brüder in ihrer Not. (Obadja 10 -1 4 ) Daher macht Gott ihn auf Grund seiner Werke zum Beispiel eines Gerichts ohne Gnade, indem nach Maleachi Edom das Volk ist, "welchem Jehova ewiglich zürnt", während nach dem Propheten Obadja es "ausgerottet werden wird auf ewig", und "das Haus Esau keinen Übriggebliebenen haben wird". (Obadja 10.18 )
Nach Feststellung dieser beiden Grundsätze: auf der einen Seite Seine Liebe und Seine Gnadenwahl, auf der anderen Seine Gerechtigkeit und Heiligkeit, die das Böse nicht ungestraft lassen können, geht Gott auf den gegenwärtigen Zustand des Volkes, das Er geliebt hatte, ein. Hatte Israel sich so vieler Liebe würdig gezeigt, oder hatte es vielmehr verdient, dem Gericht anheim zu fallen? Das ist es, was uns Kapitel 1,6 - 2 zeigen wird.
Der einzige Unterschied zu Gunsten Israels, wenn es mit Edom verglichen wird, ist der, dass es unter Israel einen Überrest Entronnener nach Wahl der Gnade gibt. Dieser Überrest wird ein Beispiel davon sein, wie Gott Seinen Hass gegen die Sünde und Seine Liebe zu dem Sünder zu vereinen weiß. Nun, wir wissen, dass das Kreuz Christi der einzige Platz ist, wo die Gerechtigkeit Gottes sich darin offenbart, dass sie den Sünder rechtfertigt, anstatt ihn zu verdammen.
Wenden wir uns jetzt wieder der Prophezeiung zu und untersuchen wir zunächst den sittlichen Zustand Israels, des Besitzers so vieler Vorrechte. Diese ganze Stelle (Kap. 1,6 - 2,9) beschreibt den Zustand des Priestertums, sodann (Kap. 2,10 - 17) den des Volkes.
Der Priester war zugleich der Mittler zwischen Gott und dem Volk und der Vertreter des Volkes vor Gott; aber hier trägt er vielmehr den Charakter dessen, der Gott im Gottesdienst naht. Wenn das Volk aufmerksam auf die Stimme Jehovas gehört hätte, so wäre es insgesamt ein "Königreich von Priestern und eine heilige Nation" gewesen. (2. Mose 19,6 ) Statt dessen aber hat Israel am Fuß des Sinai, wo es seiner Verantwortlichkeit überlassen war, mit seiner ersten Handlung, indem es das goldenen Kalb machte, jedes Recht verloren, diesen Dienst zu erfüllen.
Nach langen geduldigen Versuchen mit Seinem irdischen Volk, um zu sehen, ob es nicht durch sein Verhalten die verlorenen Vorrechte wiedergewinnen könnte, hat Gott dann ein neues allgemeines Priestertum erweckt, indem Er Seine Kirche absonderte. Hat diese letztere sich nun des ihr anvertrauten Priestertums würdig gezeigt? Die Geschichte der bekennenden Christenheit beantwortet diese Frage in verneinendem Sinn, obwohl sie behauptet, in Betreff des Gottesdienstes in Verbindung mit Gott zu stehen. Sie führt den Namen Gottesdienst im Mund, aber sie hat die Bedeutung desselben ganz vergessen. Selbst die Gläubigen in ihrer Mitte beweisen ihre Unkenntnis in Bezug hierauf. Ohne Zweifel sind sie in Gottes Augen tatsächlich Priester, aber sie erfüllen nicht mehr die priesterlichen Verrichtungen. Israel ist also nicht das einzige Beispiel von Unwissenheit bezüglich der Verehrung, welche Gott rechtmäßigerweise von Seinem Volk zu erwarten hat.
"Ein Sohn soll den Vater ehren, und ein Knecht seinen Herrn. Wenn ich denn Vater bin, wo ist meine Ehre? Und wenn ich Herr bin, wo ist meine Furcht? Spricht Jehova der Heerscharen zu euch, ihr Priester, die ihr meinen Namen verachtet." (Kap. 1,6)
Wiewohl die Familienbeziehungen, von denen diese Stelle redet, damals lockerer wurden, geradeso wie es in unseren Tagen des fortschreitenden Abfalls geschieht, so blieb doch noch bestehen, dass der Sohn seinen Vater ehren und der Knecht seinen Herrn fürchten sollte. Nun, Gott war Vater und Herr zugleich, und die Priester verachteten Seinen Namen. Aber sie sagten: "Womit haben wir deinen Namen verachtet?" Gott antwortet ihnen: "Ihr bringet auf meinem Altar unreines Brot dar und doch sprechet ihr: Womit haben wir dich verunreinigt? Damit, dass ihr saget: Der Tisch Jehovas ist verächtlich." Ihre Frage war bezeichnend für jene Unkenntnis, die wir soeben erwähnt haben: eine Unkenntnis des Charakters Gottes, dessen was sie Ihm schuldig waren, und der Schuldbarkeit ihrer eigenen Handlungen.
Wenden wir diese Worte auf das an, was in der bekennenden Christenheit geschieht, die vorgibt, Gottesdienst auszuüben, sich Seinem Tisch zu nähern, teilzunehmen an dem Gedächtnismahl des Opfers Christi … Was bringt sie an diesen Platz? Die Reinheit oder die Befleckung? Sind es mit ihren Sünden beladene Wesen, oder von ihren Sünden gereinigte Heilige, die sich dort einfinden? Auch sagt man: Womit haben wir deinen Namen verunreinigt, oder womit haben wir dich entweiht? Haben wir hiermit Böses getan? Haben wir nicht unsere religiösen Pflichten pünktlich erfüllt? "Damit, dass ihr sagt", antwortet Jehova, "der Tisch Jehovas ist verächtlich!" Das will nicht sagen, dass diese Worte tatsächlich ausgesprochen würden, aber ihre Taten beweisen, wie sie Jehova und Seinen Tisch achten. "Und wenn ihr Blindes darbringt, um es zu opfern, so ist es nichts Böses; und wenn ihr Lahmes und Krankes darbringt, so ist es nichts Böses. Bringe es doch deinem Landpfleger dar; wird er dich wohlgefällig annehmen, oder Rücksicht mit dir haben? Spricht Jehova der Heerscharen." (V. 8) Was ist es, was der religiöse Mensch aller Zeiten Gott gibt, und was er für Ihn tut? Er verrichtet öffentlich Handlungen, die ihn in den Augen anderer Menschen ehrenwert erscheinen lassen. Der Pharisäismus, sei er jüdisch oder christlich, hat keinen anderen Bewegrund. Seine mildtätigen Werke bewirken, dass unter den Menschen von ihm geredet wird, aber im Geheimen, was kann er, der Gott nicht kennt, Gott anderes darbieten als "ein krankes Tier"?
Was sollen wir denn tun, um Gott angenehm zu sein?: rufen dieselben Menschen. Dies: "Und nun, flehet doch Gott an, dass Er uns gnädig sei! – von eurer Hand ist das geschehen, - wird Er um euretwillen Rücksicht haben? Spricht Jehova der Heerscharen." (V. 9)
Tut Buße; verlasset eure Wege; fleht Gott an; rufet Seine Gnade an! Das ist eure einzige Hilfsquelle, das einzige Mittel für euch, die Gunst Gottes zu erlangen. Ihr könnt nicht gute Werke tun, euer Verhalten beweist es; die in euren Augen besten Werke sind für Gott nur tote Werke, von denen euer Gewissen gereinigt werden muss. (Hebräer 9,14 )
"Wäre doch nur einer unter euch, der die Türen verschlösse, damit ihr nicht vergeblich auf meinem Altar Feuer angezündet! Ich habe keine Lust an euch, spricht Jehova der Heerscharen, und eine Opfergabe nehme ich nicht wohlgefällig aus eurer Hand an." (V. 10)
Wir finden hier einen anderen Zug des entarteten Priestertums: Den Eigennutz, welcher den Menschen beim Gottesdienst leitet. Er kann nicht anders handeln, weil er Gott nicht kennt. Darum spricht Gott das völligste Gericht über dieses Bekenntnis ohne Leben aus und erklärt, dass es keinerlei innere Verbindung gibt zwischen diesem Bekenntnis und Ihm: "Ich habe keine Lust an euch, und eure Opfergabe nehme ich nicht wohlgefällig aus eurer Hand an!"
"Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang wird mein Name groß sein unter den Nationen; und an jedem Orte wird geräuchert, dargebracht werden meinem Namen, und zwar reine Opfergaben. Denn mein Name wird groß sein unter den Nationen, spricht Jehova der Heerscharen." (V. 11)
Der Prophet erklärt hier, dass Gott sich zu den Nationen wenden will. Dies hat in der Tat stattgefunden. Jehova verließ Sein Volk in Gericht, und das Evangelium wurde den Heiden verkündigt. Eine große Menge unter ihnen wurde bekehrt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und ihre Hoffnung auf Christum zu setzen. Dieses Wort des Propheten kann daher unmittelbar auf die Segnung der Heiden durch den christlichen Glauben angewandt werden, aber es geht weiter: Der Geist lenkt unsere Gedanken auf eine noch zukünftige Zeit, in welcher dem Gott Israels eine reine Opfergabe durch die Nationen dargebracht werden wird. Diese Tatsache, welche die Prophezeiung des ganzen Alten Testaments ausfüllt, wird erst stattfinden nach dem endgültigen Gericht, welches an dem aufrührerischen Volk und an seinen Unterdrückern vollzogen werden wird. Dann wird eine unzählige Menge aus den Heiden vor dem Thron und vor dem Lamm stehen (Offenbarung 8 ), und an jedem Ort, nicht nur in dem Tempel zu Jerusalem, wird dem großen Namen Jehovas geräuchert werden.
"Ihr aber entweihet ihn, indem ihr sprechet: Der Tisch des Herrn {Nach anderer Lesart: Der Tisch Jehovas} ist verunreinigt, und sein Einkommen, seine Speise ist verächtlich. Und ihr sprechet: Siehe, welch eine Mühsal!" (V. 12 u. 13) Gott sah, was im Grunde des Herzens der Priester in Israel verborgen war. Die bekennende Christenheit bietet dasselbe Schauspiel. Die Freude der Gegenwart Gottes, die Gemeinschaft mit Ihm, die Wertschätzung des Opfers Christi, sind ihr unbekannt und bringen nur ein Wort auf ihre Lippen: Welch eine Mühsal! Kann sie das Glück fassen, welches die Gläubigen in der Gemeinschaft mit dem Vater und mit dem Sohn haben? Kann sie ihre Freude in dem Wort finden, zu welchem der Heilige Geist allein das Verständnis gibt?
"Und ihr blaset ihn an, {d.h. verachtet ihn} spricht Jehova der Heerscharen." (V. 13) Die Offenbarung Gottes und Christi ist für den Menschen gleichsam ein lästiger Staub, dessen er sich zu entledigen sucht; sie bringt seinem Herzen und Gewissen nichts, weil er weder Herz noch Gewissen für Gott hat. Die Welt ist der Meinung, dass die Zerstreuungen und Vergnügungen dem wahren Gottesdienst vorzuziehen sind. Kann der Herr die Opfer annehmen, welche Ihm unter solchen Bedingungen dargeboten werden? Selbst in dem, was man "ein Gelübde" nannte, d.h. einen freiwilligen Dienst, opferten sie "ein Verdorbenes", indem der Schein des Eifers ihnen genügte. (V. 14)
Wenn wir jetzt die Charakterzüge des entarteten Priestertums, so wie sie in diesem ersten Kapitel vorgestellt werden, zusammenfassen, so entdecken wir eine völlige Unkenntnis von der Liebe Gottes, die Unkenntnis von Seiner Heiligkeit und Nichtvorhandensein der Gottesfurcht. Verunreinigung wird auf Seinen Tisch gebracht; wertlose Gaben werden zum Schein dargebracht; der Eigennutz regelt die Handlungen, ohne denselben wird nichts für den Dienst Jehovas getan. Dieser Mangel an Wirklichkeit in dem religiösen Leben erzeugt schließlich Überdruss und Widerwillen gegen göttliche Dinge.
Möchte Gott uns vor diesem Geist und diesen Neigungen behüten, von denen unsere natürlichen Herzen nur zu geneigt sind, sich mit fortreißen zu lassen! Gott fordert von uns keinen eitlen Schein, sondern Wahrheit im Herzen, Handlungen, die unseren Worten, und Worte, die dem Zustand unserer Seele entsprechen. Glücklich derjenige, von dem Jesus sagen kann: „Siehe, wahrhaftig ein Israelit, in welchem kein Trug ist!"
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Paulus und Silas in Philippi
Bibelstelle: Apostelgeschichte 16, 9 – 34
Botschafter des Heils 1915 S. 107ff
In dem vorstehenden Abschnitt lesen wir, dass Paulus und Silas überzeugt waren, dass der Herr sie nach Mazedonien gerufen habe, um daselbst das Evangelium zu verkündigen (V. 10). Die Kinder Gottes, und namentlich die Arbeiter im Dienste des Herrn, sollten immer die Überzeugung haben, dass sie vom Geiste Gottes geleitet werden. Sie werden dann in allen Lagen den Trost haben, dass Gott sie segnet. Es erfordert aber eine stete Gemeinschaft mit Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus, um Seinen Willen recht zu verstehen und sich ihm mit aller Freudigkeit hinzugeben. Wo das Herz wenig in innigem, kindlichem Verkehr mit Gott steht, da wird Sein Wille wenig erkannt und befolgt. Statt dessen wird man oft den eigenen Willen für den Willen Gottes halten. Nur das stete Schauen auf Jesum macht uns frei von uns selbst. Geht es uns nur darum, dass der Name Gottes verherrlicht werde, so werden wir durch den uns gegebenen Heiligen Geist den Willen Gottes immer besser verstehen. Und wandeln wir nach Seinem Willen und lassen wir uns von Seinem Geiste leiten, so werden wir nie vergeblich arbeiten, wenn Er uns zu Seinem Dienst berufen hat. Unsere Arbeit wird dann immer gesegnet sein. Wir finden dies auch an den beiden Knechten Gottes in dem vorliegenden Abschnitt bestätigt. „Die Erstlingsfrucht des Apostels in Philippi war die Purpurkrämerin Lydia aus der fernen Stadt Thyatira. Der tat „der Herr das Herz auf, dass sie acht gab auf das, was von Paulus geredet wurde“ (V. 13 —15). Eine bekehrte Seele ist in den Augen Gottes etwas Großes. Sie ist ein Gegenstand der Freude im Himmel und auf Erden.
Aber der Feind schlummerte auch in Philippi nicht. Satan ist ja immer beschäftigt, das Werk Gottes zu hindern und zu verderben. Vor allem ist er bemüht, den Trägern der guten Botschaft allerlei Drangsale zu bereiten, sie mutlos und verzagt zu machen und sie womöglich ganz aus dem Wege zu räumen. Paulus mochte selbst wohl wissen, dass, wenn er den Wahrsagergeist von der Magd austrieb, der ihren Herren so vielen Gewinn brachte (V. 16), er sich und Silas Verfolgung bereiten würde. Allein er beschäftigte sich nur mit dem göttlichen Willen. So macht es der Christ immer, der sich ganz seinem Gott übergeben hat. Seine Sorge ist allein die, als ein gehorsames Kind und ein treuer Knecht erfunden zu werden. Für alles andere lässt er Gott sorgen. Es ist etwas Köstliches, wenn man also willenlos geworden ist. Man wird alsdann immer finden, wie Gott sich herrlich an einem erweist. Scheint es oft selbst, als ob Satan den Sieg davongetragen habe, so wird der Herr dennoch offenbaren, dass dieser Sieg eine Niederlage für ihn ist. Mochte Satan auch triumphieren, als er den Sohn Gottes unter Mördern am Kreuz hangen sah, so war dies dennoch der größte Sieg Gottes, der uns das unaussprechliche Heil brachte. Wird es auch Satan zugelassen, den Knechten Gottes Drangsale zu bereiten, wie es in unserem Kapitel der Fall war, Schläge und Gefängnis, ja selbst den Tod über sie zu bringen, ihr Gott und Vater wird sich dennoch immer an ihnen verherrlichen.
In Vers 22 — 24 sehen wir, was Paulus und Silas um des Namens Jesu willen in Philippi zu leiden hatten. Nicht allein wurden ihnen die Kleider abgerissen und ihnen blutige Striemen geschlagen, sie wurden noch dazu in ein tiefes, „das innerste“ Gefängnis geworfen und ihre Füße in dem Stock befestigt. In solchen Drangsalen ist es ein großer Trost zu wissen, dass man nicht nach dem eigenen, sondern nach dem Willen des Herrn gewandelt hat. Man darf dann zuversichtlich Auge und Herz zu Gott, dem Vater, erheben, der sich in den für den Gläubigen schwierigsten Lagen zu verherrlichen weiß. So war auch hier Gott nahe, als die beiden treuen Zeugen, von allen verlassen, in dem dunklen Gefängnis lagen. Obgleich gebunden in der Finsternis, waren sie dennoch frei und wandelten im Licht. Sie litten im Fleisch, aber ihr Geist ruhte in Gott. Zu Ihm beteten sie in der Mitternachtstunde und wurden von Ihm getröstet. „Sie lobsangen Gott.“ Da wo die Welt jammert und wehklagt, singt der Christ Loblieder; wo sie sich verlassen sieht, erfährt er die herrliche Nähe seines Gottes.
Wie fremd mussten die Lobgesänge in den Ohren der übrigen Gefangenen klingen! Denn sie waren gefesselt an Leib und Seele. Sie kannten den Gott nicht, der sich also an den Seinigen verherrlicht, dass sie inmitten großer Drangsale Loblieder singen können. Bei ihnen war es Nacht sowohl nach außen als nach innen. Die arme Welt hat keinen Gott und Vater, der überall nahe ist mit Seiner großen Gnade und Liebe.
Gott weiß aber auch die Seinen aus aller Drangsal zu erretten. Seine Hand ist nirgends zu kurz. „Plötzlich geschah ein großes Erdbeben, so dass die Grundfesten des Gefängnisses erschüttert wurden; und alsbald öffneten sich alle Türen, und aller Bande wurden gelöst“ (V. 26). Der Herr ist immer beschäftigt, sich den Seinen als ihr Gott und Vater zu erweisen. Wer seine Hoffnung auf Ihn fetzt, der wird nimmer zuschanden. Wer in Seinem Willen vorangeht, wird stets die Güte und Treue seines Gottes erfahren. Wenn auch Paulus und Silas im innersten Gefängnis lagen und ihre Füße im Stock befestigt waren, was war dies alles für Gott? Nicht eine einzige Nacht vermochten diese eisernen Fesseln auszuhalten, als Er redete. Mögen die Schwierigkeiten auch noch so groß sein, für Gott sind sie nicht da.
Der Herr wollte jedoch in jener Nacht in Philippi Seine Gnade und Macht noch herrlicher kundtun. Nicht nur sollten die Fesseln der Gefangenen gelöst werden, sondern auch noch andere Bande, die Ketten der Finsternis und des Todes, sollten abfallen von einem Manne, der ganz frei zu sein schien. Es handelte sich um den Kerkermeister, jenen Unbarmherzigen, welcher, der Wunden und Striemen der armen Gefangenen nicht achtend, sie in das innerste Gefängnis geworfen hatte. Bis Mitternacht hatte dieser Mann ruhig und sicher in seinen Sünden geschlafen; aber als Gott redete, fuhr er aus dem Schlafe empor. Doch verstand er die göttliche Stimme noch nicht. Das Schwert, mit dem er sich das Leben nehmen wollte, war in seiner Hand. Ein Stoß — und er lag in ewiger Nacht und Finsternis. Doch noch einmal redete Gott zu ihm durch den Mund Seiner Knechte: „Tue dir nichts Übles, denn wir sind alle hier“. Ein anderes Schwert drang jetzt durch seine Seele, das« Schwert des Geistes Gottes, und wir wissen, dass noch in derselben Nacht jener Mann in das ewige Leben einging. Er glaubte und war errettet.
Blicken wir in die zweite Hälfte dieser Nacht, so tritt uns so recht die Macht und der Reichtum der göttlichen Gnade entgegen. Diese Gnade hat einen Weg zu dem Herzen des Kerkermeisters gefunden. Die Ketten der Sünde und der Finsternis sind gesprengt, das Licht des Lebens ist in das dunkle Herz gedrungen und die Liebe Gottes darin ausgegossen. Sogleich nehmen auch die Handlungen des Kerkermeisters eine andere Richtung. Sie tragen einen himmlischen Charakter. „Er nahm sie in jener Stunde der Nacht zu sich und wusch ihnen die Striemen ab.“ Sein Herz ist jetzt mit Erbarmen und Liebe erfüllt. Ja einem Augenblick hat die Gnade und die Macht Gottes einen völlig anderen aus diesem Manne gemacht. „Und er führte sie hinauf in sein Haus, setzte ihnen einen Tisch vor und frohlockte an Gott glaubend mit seinem ganzen Hause“.
Welch ein großer Unterschied besteht zwischen der ersten und der zweiten Hälfte dieser Nacht! In der ersten schläft der Kerkermeister noch ruhig und sicher in seinen Sünden, in der zweiten freut er sich mit seinem ganzen Hause des gewonnenen Heils. In der ersten liegen Paulus und Silas im finstern Gefängnis, unter vielen Schmerzen Gott lobend, in der zweiten werden sie durch die Liebe und das Erbarmen ihres eigenen Kerkermeisters erquickt.
O wie unendlich reich ist die Liebe, Gnade und Macht unseres Gottes! Wie weiß Er Seinen Namen zu verherrlichen! Lasst uns denn .mit aufrichtigem Herzen und völligem Glauben unsere ganze Hoffnung auf Ihn setzen und in Seinem wohlgefälligen Willen wandeln! Sein Geist sei immerdar unser Führer! So werden wir gewisse Tritte tun und nie matt und mutlos werden. Er wird uns überall Seine Gegenwart kundtun und uns in stetem Frieden wandeln lassen.
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Siehe der Bräutigam
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 112ff
Der Bräut’gam kommt! —— Jungfrauen, stehet auf!
Die Nacht sinkt hin, und dämmernd steigt herauf
ein neuer Tag. Drum ist es höchste Zeit,
Ihn zu erwarten. Seid ihr auch bereit?
Es währt nicht lang — nur einen Augenblick;
Wer nicht bereit, der bleibet dann zurück.
Verschlossen wird die Tür zum Himmelssaal,
wo Christus hält Sein großes Hochzeitsmahl.
Vom Turme ruft der Wächter dringlich laut:
Glückselig, wer das Kommen Jesu schaut!
Er geht mit ein in Gottes Vaterhaus,
wo alle Gläub’gen ruhen ewig aus,
Bald höret auf des Heil’gen Geistes Wehn —-
bald wird die Welt dem Zorn entgegen gehn;
Dann wehe dem, wer’s Leben hier verträumt
und Christi Heil für immer hat versäumt!
Schon schauen wir in Gottes heil’gem Licht,
wie schnell der Stolz der Welt zusammenbricht.
Sie gleicht schon heute einem Trümmerfeld,
ja, keine Macht sie ferner aufrecht hält.
Und mächtig ruft der Herr durch diese Zeit:
Ich komme bald ! — Vielleicht kommt Er noch heut’!
Hast du das Licht, das Leben in dem Sohn? -—
Dann winkt auch dir des Glaubens schönster Lohn.
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Der Gläubige und die von Gott verordneten Autoritäten
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 113ff
Angesichts der Offenbarung der unumschränkten Gnade Gottes kann der Gläubige in Gefahr kommen, von den natürlichen Verbindungen, in denen er hienieden steht, gering zu denken, und bei der Freude über die himmlischen Segnungen die Pflichten zu vergessen, welche ihm für die Erde auferlegt sind. Die gegenseitige Beziehungen zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern, Herr und Knecht, König und Untertan gibt es in der neuen Schöpfung freilich nicht, aber so lange wir in diesem Leibe find, liegt uns die Verantwortlichkeit für diese menschlichen, von Anfang an bestehenden und von dem Herrn und dem Heiligen Geist anerkannten Verbindungen täglich ob.
Was unsere Stellung in Christo vor Gott betrifft, so „sind wir nicht im Fleische, sondern im Geiste, wenn anders Gottes Geist in uns wohnt“ (Röm. 8, 9); der Tod und die Auferstehung Jesu Christi haben uns von dieser Welt getrennt und in jene neue Schöpfung versetzt. Aber dem Leibe nach gehören wir noch dieser Schöpfung an, und Gott sendet uns sozusagen in die Welt zurück, damit wir auf dem neuen Boden der Gnade jeder Verpflichtung nachkommen, welche wir als Seine Geschöpfe· hienieden haben. Gerade der Brief an die Epheser, der uns unsere himmlische Stellung so klar vor Augen stellt, spricht ausführlich von den Pflichten, die sich aus unseren natürlichen Verhältnissen ergeben. Er belehrt uns, wie sich die Kinder gegen die Eltern, Mann gegen Weib, Herr gegen Knecht (und umgekehrt) verhalten sollen; ja, während der Geist uns auf der einen Seite sagt, dass „Gott uns mitauferweckt hat und hat mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christo Jesu“, warnt Er uns auf der anderen, „nicht mehr zu stehlen, sondern mit eigenen Händen zu arbeiten“ (Eph. 2, 6; 4, 28). In der Welt, „in welcher, aber nicht von welcher wir sind“ (vergl. Joh. 17, 11 — 19), offenbaren wir durch unser Verhalten, wie weit wir unseren Platz droben verstehen. In Christo in die himmlischen Örter mitversetzt, sollen wir — gleichsam von dort kommend, wie es bei unserem Herrn ja in Wirklichkeit der Fall war —— auf Erden den Charakter Gottes offenbaren, so wie der Herr uns ein Beispiel gegeben hat.
Es besteht eben ein großer Unterschied zwischen den beiden Begriffen „Welt“ und „Erde“, der wohl nicht immer genügend beachtet wird. Der Gläubige ist herausgenommen aus der gegenwärtigen bösen Welt (Gal.1, 4), er ist nicht von der Welt, gleich- wie sein Herr und Heiland nicht von der Welt ist; aber er ist nicht herausgenommen aus seinen irdischen Verhältnissen und Beziehungen, er ist nicht der Erde gekreuzigt oder aus seinen Verbindungen mit der Erde gelöst. Diese Beziehungen und Verbindungen bestehen nach wie vor und werden endgültig erst gelöst werden, wenn der Herr kommen und alles neu machen wird. Sie werden zwar beeinflusst, empfangen einen anderen Charakter durch seine neue Stellung in Christo, aber sie werden nicht aufgehoben.
Was die Welt betrifft, so sagt Paulus: Ich bin der Welt gekreuzigt, und die Welt ist mir gekreuzigt“. Da ist jede Verbindung für immer abgeschnitten. Im Blick auf die Erde aber blieb er Zeit seines Lebens „ein jüdischer Mann aus Tarsus, Bürger einer nicht unberühmten Stadt in Cilicien“ (Apstgsch. 21, 39), und berief sich wiederholt auf dieses Bürgerrecht, in welchem er „geboren“ war. (Apstgsch. 16, 37; 22, 25—28; 25, 10——12.) Man mag über Anlass und Zweck dieser Berufung verschiedener Meinung sein, aber das ändert nichts an der Tatsache. So lange wir das Bild „dessen von Staub“ tragen, bleiben die daraus hervorgehende rein menschlichen oder irdischen Beziehungen bestehen. Aber während der natürliche, nicht wiedergeborene Mensch in dem Sichtbaren und Zeitlichen sein Genüge, sein Alles findet, sinnt der Christ, wenn es anders richtig mit ihm steht, nicht aus das, was auf der Erde ist, sondern trachtet nach dem, was droben ist, wo der Christus ist (Kol. 3, 1. 2). Er hat hier keine bleibende Stadt, sondern sucht die zukünftige. Er ist im Blick auf die sichtbaren Dinge nicht ein Besitzer, sondern nur ein Verwalter (1.Kor. 7, 30.31). Er weiß wohl, dass sein Herr einmal auch diese Erde besitzen wird, aber er weiß auch, dass Er heute verworfen ist, und nimmt deshalb freudig mit Ihm den Platz der Verwerfung ein, wartend auf die Zeit, da Gott Seinen Erstgeborenen wieder in den Erdkreis einführen wird.
Was die Erde betrifft, so wissen wir auch, dass Gott einen Bund mit ihr gemacht hat und desselben eingedenk bleibt, selbst wenn am Ende der Tage Seine Gerichte sie treffen werden. Johannes sieht in Offbg. 4, 3 rings um den Thron des Gerichts „einen Regenbogen, von Ansehen gleich einem Smaragd«. (Vergl. 1. Mose 9.) Und während Gott mit der Welt als solcher sich heute nicht anders beschäftigt, als dass Er aus ihr Seelen errettet, gehen Seine Regierungswege mit der Erde und ihren Bewohnern, mit den Königen und Völkern auf ihr, nach wie vor ihren Gang.
In den Tagen Seines Fleisches ist unser Herr Jesus freiwillig und aus Gnaden in dieselben natürlichen Verhältnisse eingetreten, in welchen wir uns befinden. Als Kind war Er Seinen Eltern untertan (Luk. 2, 51); Er arbeitete als Zimmermann in der Werkstatt Josephs (Mark. 6, 3); Er hatte auch ein irdisches Vaterland oder eine Vaterstadt, wie uns in Matth. 13, 54 und Mark. 6, 1 berichtet wird. Er bezahlte willig die verlangte Steuer, obschon Er sie persönlich nicht einmal schuldig war, und auch niemand das Recht hatte, sie von Ihm zu fordern. Er berief sich nicht aus Sein Recht. (Matth. 17, 27.) Auch lehrte Er das Volk, „dem Kaiser zu geben, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist“ (Matth. 22, 21; Mark. 12, 17; Luk. 20, 25). Und in alle diese menschlichen Verhältnisse führte Er stets Gott als die Autorität über alles ein. Christus hat uns so auch in diesem „ein Beispiel hinterlassen, auf dass wir Seinen Fußstapfen nachfolgen“ (1. Petr. 2, 21). So erfüllen wir denn als Seine Jünger unsere Pflichten auf der Erde als in Seiner Gegenwart, um Ihm zu gefallen, und bekennen gleichzeitig, dass Er unser Herr ist. Diese Obergewalt des Herrn wird überall im Worte geltend gemacht, um die für unseren Wandel bestimmten Gebote damit zu bekräftigen.
Das Kind hat den Eltern „in allen Dingen“ — nicht bloß in denen, die ihm gefallen“ — zu gehorchen im Herrn (Eph. 6, 1; Kol. 3, 20).
Die Frau soll ihrem Mann unterwürfig sein als dem Herrn (Eph. 5, 22).
Der Knecht ist verpflichtet, seinem Herrn nach dem Fleische zu gehorchen mit Furcht und Zittern (d. h. in der steten Furcht, nur ja nicht irgendwie unrecht zu tun, sondern in allem wohlgefällig zu sein) als dem Christus (Eph. 6, 5).
Der Untertan muss sich den obrigkeitlichen Gewalten unterwerfen, denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott, und diese, welche sind, sind von Gott verordnet. (Röm. 13, 1.) Auch hat er sich aller menschlichen Einrichtung um des Herrn willen unterzuordnen, „es sei dem Könige als Oberherrn, oder den Statthaltern, als denen, die von ihm gesandt werden zur Bestrafung der Übeltäter, aber zum Lohe derer, die Gutes tun“ (1. Petr. 2, 13. 14).
Gott verlangt also in diesen vier Verhältnissen eine unbedingte Unterwerfung im Blick auf die auf allen ruhende göttliche Autorität. Der Vater mag ungerecht, der Mann selbstsüchtig, die Herrschaft rücksichtslos, der König ein Tyrann sein — an der Pflicht der ihnen Unterstellten ändert das nichts. Wie diese Autoritäten ihre Aufgabe erfüllen, das geht uns zunächst nichts an; es ist das eine Frage zwischen ihnen und Gott. Tun sie unrecht, so haben sie es vor Gott zu verantworten, aber wir müssen uns ihrem Urteil beugen. Sie sind nicht uns gegenüber verantwortlich; Gott wird sie richten.
Unterwerfung unterscheidet sich ein wenig von Gehorsam. Man unterwirft sich der Oberhoheit eines Anderen, was er auch mit einem vornehmen mag; gehorchen heißt: das tun, was zu tun befohlen wird. Es kann nun vorkommen, dass man wohl unterwürfig ist, indem man den Willen Gottes über allem anerkennt, ohne aber gehorchen zu können. Dieser Zwiespalt tritt ein, wenn die menschlichen Autoritäten Dinge fordern, welche gegen den Willen Gottes sind.
Bei solchen Gewissensfragen ist indes große Vorsicht und Wachsamkeit am Platze. Unter Umständen sind eifriges Forschen im Worte, viel Gebet und Warten auf Gott erforderlich, um zu erkennen, ob wir recht tun, den Gehorsam zu verweigern. Die Sache ist so ernst, weil Gott es ist, der die Eltern, den Mann, die Herrschaft und die Obrigkeit als die höchste Autorität in den betreffenden Kreisen betrachtet wissen will, und der nicht duldet, dass diese beiseite gesetzt wird, es sei denn dass Seine eigene Ehre es verlangt. Der Beweggrund zur Verweigerung des Gehorsams kann, wenn wir auch wirklich meinen, sie dem Herrn schuldig zu sein, sich herleiten aus eigenen Neigungen oder Einbildungen. Diese Möglichkeit liegt umso näher, weil Unterwürfigkeit und Gehorsam für unsere Natur so unangenehme Dinge sind, dass wir uns gern verleiten lassen, das Wort Gottes zur Rechtfertigung unseres Handelns unrichtig anzuführen, oder gar es zu unseren Gunsten fälschlich auszulegen.
Lasst uns prüfen, welche Grenzen das Wort für unseren Gehorsam den genannten Autoritäten gegenüber zieht.
Den Kindern wird gesagt — es handelt sich um die Kinder der Gläubigen —, dass sie ihren Eltern in allem in dem Herrn gehorchen sollen. Dadurch sind sie in eine unmittelbare persönliche Verantwortlichkeit dem Herrn gegenüber gebracht. Unter elterlicher Autorität stehend, werden sie gleichzeitig als auch Christo verantwortlich betrachtet, und sie haben dem Herrn zu gehorchen. Ein ·Gebot für das Kind von seiten der Eltern kann somit in dem Falle nicht bindend sein, wenn es gegen die höhere Autorität des Herrn verstößt, das Gewissen des Kindes also gröblich verletzen würde.
Von der Frau wird Unterwürfigkeit gegen ihren Mann verlangt. Der Gehorsam bleibt auch hier durchaus nicht der Wahl der Frau überlassen; doch ist ihm in Kol. 3, 18 neben einer Richtschnur auch eine Grenze gezogen: „Ihr Weiber, seid euren Männern unterwürfig, wie es sich geziemt in dem Herrn“. Wenn also der Wille des Mannes die persönliche Verantwortlichkeit des Weibes gegenüber dem Herrn antasten, wenn er dem in Seinem Worte ausgedrückten Willen Gottes zuwiderlaufen würde, so dass Gehorsam gegen den Mann Ungehorsam gegen Gott wäre — dann muss der Herr zunächst berücksichtigt werden.
In nicht weniger als fünf Briefen wird die Pflicht der Knechte (Sklaven) hervorgehoben, ihren Herren nach dem Fleische zu gehorchen. (Eph. 6, 5 — 8; Kol. 3, 22 — 25; 1. Tim. 6, 1. 2; Tit. 2, 9. 10; 1.Petr. 2, 18 --20). Jedoch finden auch sie eine Beschränkung dieser Pflicht in den höheren Pflichten gegen den Herrn selbst. Es ist dies zwar nicht ausdrücklich gesagt, doch klar aus den Worten herauszulesen: „Ihr dienet dem Herrn Christ o«. (Kol. 3, 24.) Diese Worte enthalten sicherlich zunächst eine kostbare Ermunterung für die armen Sklaven, stecken aber im weiteren Sinne bestimmte Grenzpfähle für ihr Tun. Bis zu diesem Punkte, d. h. so lange der erteilte Befehl nicht dem zuwiderläuft, was man als ein Sklave Christi Ihm schuldig ist, soll das Wort des Herrn oder der Herrin Gehorsam finden. Sonst wird die Gehorsamspflicht durch nichts, auch nicht durch den unangenehmen Charakter oder das Verkehrtsein der Herrschaft (siehe 1. Petr. 2, 18) irgendwie abgeschwächt. Würde man von dem Charakter der Herrschaft oder etwas ähnlichem den Gehorsam abhängig machen, so vergäße man ja, dass man dem Herrn Christo dient, und würde Gefahr laufen, je nachdem unlustig seinen Dienst zu tun und widerspenstig zu werden, oder in Augendienerei zu verfallen und Menschengefällige, anstatt Diener Christi, zu sein. Das Auge soll immer höher blicken, als auf das Angesicht des Vorgesetzten.
Das gilt auch besonders für den Untertan, für den Gläubigen in seinem Verhältnis zur Obrigkeit, zum Staatsoberhaupt, welchen Namen es tragen mag, ob Kaiser, König oder Präsident, und zu den Behörden. Der Brief an die Epheser berührt diese Beziehungen nicht, denn er richtet sich an solche, die „nicht mehr Fremdlinge und Beisassen, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes sind“ (Eph. 2, 19), die, aus dieser Welt herausgenommen, sich im Genuss der himmlischen Segnungen befinden, an einem Platze, wo von einem irdischen Vaterlande überhaupt keine Rede mehr ist. Wenn wir etwas über unser Verhalten als Fremdlinge und Pilgrime gegenüber den obrigkeitlichen Gewalten erfahren wollen, so müssen wir zum 1. Brief des Petrus greifen, sowie zu verschiedenen Briefen des Apostels Paulus, besonders zu dem an die Römer.
Petrus wendet sich an die verfolgten und zerstreuten Judenchristen, welche aus ihrem Vaterland vertrieben waren und sich als Fremdlinge in fremdem Lande aufhalten mussten. Sie waren in ähnlicher Lage wie Abraham, ihr Vater im Glauben, als derselbe in Kanaan war. Sie hatten kein Vaterland, keine feste Wohnung und konnten, ebenso wie die Patriarchen, (Hebr. 11) bekennen, dass sie Fremdlinge und „ohne Bürgerschaft« im Lande seien. Es ist bezeichnend, dass das griechische Wort, welches wir im Petribrief mit „Fremdling« (Kap. 1, 1) und mit „ohne Bürgerrecht“ (Kap. 2, 11) oder in Hebr. 11 mit „ohne Bürgerschaft“ übersetzt finden, nur an diesen drei Stellen vorkommt. Es hat die Bedeutung von „nicht dem Volke angehörend, bei dem man sich befindet“, und weist darauf hin, dass man sein Vaterland verloren hat und sich als Beisasse irgendwo aufhält.
Paulus schreibt an Gläubige, die in Rom (wenigstens zum Teil) sesshaft waren. Diese besaßen zwar ein irdisches Vaterland mit seinen Rechten und Vorzügen, waren aber trotzdem als solche, die durch« das Kreuz Christi von dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf getrennt waren, Fremdlinge in ihrem Lande.
Beide Schreiber stimmen, weil durch denselben Geist geleitet, darin überein, dass alle Gläubigen, ob sie nun irgendwo ein irdisches Bürgerrecht besitzen oder nicht, die Verpflichtung haben, sich den obrigkeitlichen Gewalten zu unterwerfen. Wir gehorchen Gott in der Obrigkeit. Da sie, als von Gott verordnet, eine Dienerin Gottes ist, unterwerfen wir uns ihr nicht bloß, weil sie die Macht in Händen hat, sondern auch um des Gewissens willen. Wenn wir uns widersetzen, so widersetzen wir uns der Anordnung Gottes und bringen dadurch Gericht auf uns. Wo auch der Gläubige sich befinden mag, stets hat er sich der Obrigkeit, unter welcher er „heute“ steht, zu unterwerfen. Kommt „morgen“ eine andere Regierung ans Ruder, so hat er sich dieser zu unterwerfen, ohne sich darum zu kümmern, wie sie entstanden ist. Auch hat er nicht zu untersuchen, ob die von der Obrigkeit erlassenen Gesetze recht oder unrecht sind, ob sie ihm zum Nutzen oder zum Schaden gereichen. Den Kindern der Welt mag eine Beurteilung der Regierung zustehen, uns nicht. Weder die Briefe von Paulus noch die von Petrus kennen in dieser Hinsicht irgendwelche Kritik. Zur Zeit der Apostel gab es eine gottlose Regierung, welche die Christen hasste, verfolgte und grausam tötete, und doch erkannten jene treuen Zeugen dieselbe als eine von Gott eingesetzte an, der sie Ehrfurcht und Unterwerfung schuldig waren.
Nehmen auch wir diese uns gebührende Stellung ein, dann weigern wir uns nicht, die uns auferlegten Steuern zu zahlen. Wir tun es willig, »nicht allein der Strafe wegen, sondern auch des Gewissens wegen«. (Röm. 13, 5.) Wir tun es auch dann, wenn wir wissen, dass diese Steuern zu Zwecken benutzt werden, die unserem guten Gewissen entgegenstehen. Uns genügt es, dass das Wort Gottes die Obrigkeit „Gottes Dienerin, uns zum Guten«, nennt. (Röm. 13, 4.) Vielleicht ist es eine Obrigkeit, die den Kindern Gottes Böses zufügt. Der Apostel spricht nicht davon. Jch soll sie mit den Augen Gottes ansehen, und zwar so, wie sie durch Ihn eingesetzt ist. Danach ist sie »zum Lobe derer, die Gutes tun«. (1. Petr. 2, 14.) Gott regiert, wenn auch nicht mehr unmittelbar, wie einst in Israel, doch mittelbar durch diese Gewalten und Mächte; und diese Regierung ist uns zu gut, »auf dass wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und würdigem Ernst«. (1. Tim. 2, 2.) Deshalb werden wir auch an der letztgenannten Stelle ermahnt, für Könige und alle, die in Hoheit sind, zu beten, damit sie sich wirklich als Diener Gottes erweisen, und damit Gott ihre Herzen so lenken möge, dass wir eben dieses ruhige Leben führen können. Wir sind zu einem Wandel durch Glauben, nicht durch Schauen berufen, und haben daher bei jeder Pflichterfüllung Gott und nicht den Menschen im Auge. Wir gehorchen Gott in der Obrigkeit, und weil das so ist, muss unser Gehorsam nicht allein ein freiwilliger, sondern auch ein gutwilliger sein. Ein Gehorsam, der nur zögernd oder nur gezwungen geleistet wird, ist kein wahrer Gehorsam. Wir haben der Stimme der Obrigkeit nicht nur schnell, sondern auch freudig zu gehorchen, indem wir uns das an die Knechte gerichtete Wort vor Augen halten: „Tut den Willen Gottes von Herzen und dienet mit Gutwilligkeit, als dem Herrn und nicht den Menschen“ (Eph. 6, 6. 7). Tun wir das, so werden wir auch nicht versäumen, den König zu ehren, wozu uns das Wort in 1. Petr. 2, 17 ausdrücklich ermahnt. An dieser Stelle werden wir auch aufgefordert, allen Menschen Ehre zu erweisen. Doch ist es beachtenswert, dass die im Griechischen für die beiden Fälle gewählte Zeitform von „ehren“ verschieden ist. Vielleicht soll durch den Unterschied angedeutet werden, dass wir alle Menschen ehren sollen, wann immer die Gelegenheit sich dazu bietet, dass aber die Ehrung des Königs eine fortdauernde, immerwährende Sache sein soll. Wir ehren ihn wegen des ihm von Gott verliehenen Charakters. In der Welt kann es niemand verwehrt werden, von seinem König unehrerbietig zu denken, wenn er es nur nicht ausspricht; der Gläubige dagegen macht sich vor Gott schuldig, wenn er nur in seinem Herzen unehrerbietig über seinen König urteilt. Ich brauche nicht zu wiederholen, dass die Autorität des Herrn immer und unerschütterlich über jeder menschlichen Macht steht. Wenn auch Gott den obrigkeitlichen Gewalten Macht verliehen hat, so legt Er doch die eigene niemals nieder, noch erlaubt Er, dass menschliche Ansprüche Seine Autorität beiseite setzen. Es muss daher auch bei dem Gehorsam gegen den König oder irgend eine andere obrigkeitliche Gewalt das Gewissen vor Gott unbedingt rein bleiben.
Als Nebukadnezar den drei Freunden Daniels, Sadrach, Mesach und Abednego, befahl, vor dem goldenen Bilde, das er in der Ebene Dura, in der Landschaft Babel, ausgerichtet hatte, niederzufallen und es anzubeten, da sprachen sie: „Wir werden deinen Göttern nicht dienen und das goldene Bild, welches du aufgerichtet hast, nicht anbeten“ (Dan. 3, 18).
Als das Synedrium Petrus und Johannes verbot, in dem Namen Jesu zu lehren und zu reden, da antworteten sie: „Ob es vor Gott recht ist, auf euch mehr zu hören als auf Gott, urteilet ihr“, und gaben später die noch bündigere Antwort: „Man muss Gott mehr gehorchen, als Menschen“ (Apstgsch. 4, 19; 5, 29).
In beiden Fällen war der Befehl der von Gott eingesetzten Obrigkeit gegen die höhere Autorität, gegen Gott selbst, gerichtet. Gott hatte den Menschen Götzendienst und Bilderdienst streng verboten, und es war Sein ausgesprochener Wille, dass überall im Namen Jesu gepredigt werden solle, damit alle zur Erkenntnis der Wahrheit kämen. Die Gehorsarnsverweigerung war also hier durchaus keine Empörung gegen Nebukadnezar oder gegen die Führer des Volkes Israel, sondern eine Unterwerfung unter die höchste Autorität. Wir würden auch den Gehorsam verweigern und die Folgen auf uns nehmen müssen, wenn die Obrigkeit uns zur Übertretung eines bestimmten Befehls unseres Herrn zwingen wollte, was sie aber, Gott sei Dank! nicht tut.
Hier liegt nun die Frage nahe, die sich in unseren ernsten Tagen wohl der eine oder andere Bruder gestellt haben wird, ob uns nicht das Teilnehmen an dem Kriege, den unser Land führt, mit dem sechsten Gebot; „Du sollst nicht töten!“ in Widerspruch bringt. Diese Frage dürfen wir wohl bestimmt verneinen. Denn Kriegführen oder der Gebrauch der Waffe im Felde ist nicht mit Mord und Totschlag auf eine Stufe zu stellen. Wenn es nicht so wäre, würde ja ein Christ überhaupt nicht Soldat werden können. In dem so· genannten Fahneneid schwört der Soldat seinem Fürsten oder Lande Treue in Friedens- und Kriegszeiten, zu Wasser und zu Lande. Wäre es aber Treue, wenn er in der Stunde der Gefahr sich weigern würde, von seinen Waffen Gebrauch zu machen?
Gott schenke uns, dass die Welt an uns Gläubigen immer sehen möge, wie wir bemüht sind, überall, im Hause, im Beruf und in unseren bürgerlichen Beziehungen, die Autorität des Herrn in den Obrigkeiten und den menschlichen Einrichtungen anzuerkennen und hochzuhalten! Die Tage werden immer dunkler, und der Augenblick des Abfalls rückt immer näher. Eines der ersten Kennzeichen der letzten Tage ist die Verachtung der Autorität in jeder Form. Umso mehr ist es unsere Aufgabe, Gott und den Obrigkeiten unterwürfig zu sein in einer Furcht, die aus der Liebe hervorkommt, und uns täglich der Worte unseres Herrn zu erinnern: „Gebet dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gott was Gottes ist“ (Matth. 22, 21), sowie der Mahnung Pauli an Titus: »Erinnere sie, Obrigkeiten und Gewalten untertan zu sein, Gehorsam zu leisten, zu jedem guten Werke bereit zu sein; niemand zu lästern, nicht streitsüchtig zu sein, gelinde, alle Sanftmut erweisend gegen alle Menschen“! (Tit. 3, 1. 2).
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Der Prophet Maleachi
Bibelstelle: Maleachi
Botschafter des Heils in Christo 1915, S. 127ff
Die ersten 9 Verse des 2. Kapitels gehören eigentlich zum vorhergehenden; sie geben uns ebenso wenig wie das 1. Kapitel eine völlige Beschreibung des schließlichen Abfalls, schildern aber den Charakter der ihrer Verantwortlichkeit überlassenen Priesterschaft. Wir werden dadurch in den Stand gesetzt, einen Blick in das Herz des religiösen Menschen zu werfen, um so zu lernen, die Züge, die ihn kennzeichnen, für uns selbst zu vermeiden. Zu diesem Zweck braucht der Gläubige nur das erste Wort des Propheten zu behalten: "Ich habe euch geliebt". Unser Schutzmittel ist die Kenntnis der Liebe Christi. Lasst uns immer wieder zu dieser Quelle zurückkehren, denn wir haben kein anderes Mittel, um ein treues Zeugnis abzulegen. Der Herr sagt zu Philadelphia nicht: "Sie werden erkennen, dass du mich geliebt hast", sondern: "Sie werden erkennen, dass ich dich geliebt habe" (Off 3,9 ). Wenn wir uns an die Brust Jesu lehnen, fühlen wir da nur den Herzschlag der Liebe. Da lernen wir sie kennen und suchen sie nicht mehr in der immer unvollkommenen Art, mit der wir unseren Dienst tun.
Und nun, ihr Priester, an euch ergeht dieses Gebot! Wenn ihr nicht hört, und wenn ihr es nicht zu Herzen nehmt, meinem Namen Ehre zu geben, spricht Jehova der Heerscharen, so werde ich den Fluch unter {O. wider} euch senden, und eure Segnungen verfluchen; ja, ich habe sie auch verflucht, weil ihr es nicht zu Herzen nehmt. Siehe, ich schelte euch die Saat und streue euch Mist in das Angesicht, den Mist eurer Feste, und man wird euch zu ihm hintragen. (V. 1 - 3) Die Menschen, die durch ihre Vorrechte Gott am nächsten stehen, werden am strengsten gerichtet. Diese hier brüsteten sich mit ihren Vorrechten, aber sie hatten Gott vergessen, der für sie eine Sache geworden war, um die man sich nicht zu kümmern braucht. Zu welch anderem Zweck waren die Priester da, als nur, "um Seinem Namen Ehre zu geben"? Entsprachen sie diesem Zweck nicht, so wollte Gott ihre Segnungen verfluchen, und ihre Vorrechte sollten sich für sie in Fluch verwandeln. Ja, diese Drohung war zur Zeit des Propheten Maleachi schon zur Tatsache geworden.
"Und ihr werdet wissen {O. erkennen, erfahren}, dass ich dieses Gebot an euch gesandt habe, damit mein Bund mit Levi sei, spricht Jehova der Heerscharen." (V. 4) Wir begegnen hier einer absichtlichen und im Alten Testament sehr häufigen Vermengung der Priester mit den Leviten. Das Priestertum, im wahren Sinn des Wortes, hatte schon am Fuß des Sinai gefehlt, als Aaron, der Hohepriester, "das Volk zügellos gemacht hatte", indem er ihm das goldene Kalb machte (2. Mo 32,25 ). Es hatte von neuem gefehlt, als Nadab und Abihu, die Söhne Aarons, fremdes Feuer vor Jehova darbrachten (3. Mo 10,1 ) und verzehrt wurden. Es hatte wiederum gefehlt, als Eli, der Nachkomme Ithamars, seine Söhne mehr ehrte als Jehova, und Gott ihm ankündigen ließ, dass Er an seiner Statt einen treuen Priester erwecken würde, der vor Seinem Gesalbten wandeln solle alle Tage (1. Sam 2,29.35 ). Zadok, von der Familie Eleasars, wurde damals erweckt, und diese Familie bekleidete fernerhin den ersten Rang im Priestertum (1.Chronika 6,50 - 52 ; 24,1 - 6 ); aber wir sehen am Ende des Buches Nehemia, was aus dieser Familie geworden war: "Verunreiniger des Priestertums und des Bundes des Priestertums und der Leviten". (Nehemia 13,29 ) Gerade so heißt es hier bei unserem Propheten: "Ihr habt den Bund Levis zerstört". (Kap 2,8) Das änderte allerdings nichts an dem festen Beschluss Jehovas, für die Zukunft in dieser Familie ein treues Priestertum zu bewahren, welches sogar besser als Zadok unter der Regierung Davids, "vor Seinem Gesalbten wandeln wird alle Tage". Aber infolge der gegenwärtigen Treulosigkeit der Priesterschaft besteht Jehova auf Seinem Bund mit Levi.
Der hier über das jüdische Priestertum ausgesprochene Fluch wird in gleicher Weise das christliche Bekenntnis treffen. Auf 2. Mose 19,6 anspielend, sagt der Apostel Petrus den Christen: "Ihr seid ein heiliges Priestertum". "Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation" (1. Pet 2,5.9 ). Wenn wir es seinem äußeren Bekenntnis nach betrachten, ist dieses Priestertum untreu geworden und kann keinen Bestand haben; aber die Ratschlüsse Gottes sind unbereubar und werden trotz allem bestehen bleiben. Wenn einmal das Ganze unter das Gericht fällt, und wenn Gott, indem Er die bösen Knechte straft, sich gezwungen sieht zu sagen: "Der Herr jenes Knechtes wird kommen an einem Tag, an welchem er es nicht erwartet, und in einer Stunde, die er nicht weiß, und wird ihn entzweischneiden und sein Teil setzen mit den Heuchlern; da wird sein das Weinen und das Zähneknirschen" (Mt. 24,50.51 ), - dann wird es nicht weniger wahr sein, dass "Sein Bund mit Levi besteht".
Die Söhne Levis hatten bei zwei bemerkenswerten Gelegenheiten Eifer für Jehova bewiesen. Nach der Errichtung des goldenen Kalbes und der Sünde Aarons stellte sich Moses auf im Tore des Lagers und sprach: "Her zu mir, wer für Jehova ist! Und es versammelten sich zu ihm alle Söhne Levis. Und er sprach zu ihnen: Also spricht Jehova, der Gott Israels: Legt ein jeder sein Schwert an seine Hüfte, geht hin und wieder, von Tor zu Tor im Lager, und erschlagt ein jeder seinen Bruder und ein jeder seinen Freund und ein jeder seinen Nachbar. Und die Söhne Levis taten nach dem Wort Moses; und es fielen von dem Volk an selbigem Tage bei dreitausend Mann. Und Moses sprach: Weiht euch heute dem Jehova, ja, ein jeder in seinem Sohn und in seinem Bruder, um heute Segen auf euch zu bringen" (2. Mose 32,26 - 29 ).
Dieser Eifer zeigte sich zum zweiten Mal gelegentlich der Verbindung Israels mit den Töchtern Moabs, um Baal-Peor anzubeten. Pinehas, der Sohn Eleasars, durchbohrte damals in seinem Eifer für Jehova die Schuldigen mit einer Lanze. Dieses Ereignis liegt unserer Stelle hier zu Grunde: "Mein Bund mit ihm war das Leben und der Friede". (V. 5) Denn Jehova hatte tatsächlich zu Mose gesagt: "Pinehas, der Sohn Eleasars, des Sohnes Aarons, des Priesters, hat meinen Grimm von den Kindern Israel abgewendet, indem er in meinem Eifer in ihrer Mitte geeifert hat, so dass ich die Kinder Israel nicht in meinem Eifer vertilgt habe. Darum sprich: Siehe, ich gebe ihm meinen Bund des Friedens; und er wird ihm und seinem Samen nach ihm ein Bund ewigen Priestertums sein, darum dass er für seinen Gott geeifert und für die Kinder Israel Sühnung getan hat" (4. Mose 25,10 - 13 ). Auf Grund der Treue des Pinehas sollte das ewige Priestertum in der Familie Eleasars, dessen Sohn dieser Levit war, verbleiben.
So wird es am Ende der Zeiten wirklich sein. Aus Hesekiel 48,11.12 geht hervor, dass die priesterliche Familie, von welcher die Söhne Zadoks unter der Regierung Davids in den Besitz des Amtes kamen, während der tausendjährigen Regierung Christi wieder da sein wird. Es heißt dort: "Den Priestern, - wer geheiligt ist von den Söhnen Zadoks - die meiner Hut gewartet haben, welche, als die Kinder Israel abirrten, nicht abgeirrt sind, wie die Leviten abgeirrt sind, ihnen soll ein Gehobenes von dem Hebopfer des Landes gehören, ein Hochheiliges an der Grenze der Leviten." (Vergl. Kap. 40,46; 43,19; 44,15) Wir haben hier eines der Beispiele der weiter oben erwähnten absichtlichen Vermengung der Priester mit den Leviten, denn es waren die Priester, die "den Bund Levis zerstört" hatten (V. 8)
"Mein Bund mit ihm war das Leben und der Friede; und ich gab sie ihm zur Furcht, und er fürchtete mich, und er, er zitterte vor meinem Namen. Das Gesetz der Wahrheit war in seinem Munde, und Unrecht fand sich nicht auf seinen Lippen; er wandelte mit mir in Frieden und Geradheit, und viele brachte er von ihrer Ungerechtigkeit zurück. Denn die Lippen des Priesters sollen Erkenntnis bewahren, und das Gesetz sucht man aus seinem Munde, denn er ist ein Bote Jehovas der Heerscharen. (V. 5 - 7)
Levi hatte fünf Charakterzüge: 1. Was sein Herz betraf: er fürchtete Jehova; er wandte sich ab von jenen unheiligen Opfern, von denen Gott sagte: Wo ist meine Furcht? 2. Was seine Worte betraf: das Gesetz der Wahrheit war in seinem Munde, und Unrecht fand sich nicht auf seinen Lippen. 3. Was seinen Wandel betraf: er wandelte mit Jehova in Frieden und Geradheit. 4. Was seinen Dienst betraf: er hatte viele von der Ungerechtigkeit zurückgebracht. 5. Was seine Botschaft betraf: er war ein Bote Jehovas der Heerscharen.
Das Wort betrachtet hier den schwachen Dienst der Leviten im Lichte des Dienstes des Sohnes Eleasars. Es schätzt diesen Dienst nach seinem Ursprung, ebenso wie es den unsrigen im Lichte des Dienstes Christi betrachtet. Diese ganze Stelle redet tatsächlich von Ihm und zeigt uns ein bewunderungswürdiges Bild von Seiner Tätigkeit als Mensch. Auf Erden war Jesus nicht Priester. Er ist es erst geworden kraft Seiner Auferstehung aus den Toten (Psalm 110 ). Aber Seine ganze Laufbahn hienieden entsprach derjenigen des treuen Leviten. Er war der vollkommene Diener Jehovas sowohl, als auch des gefallenen Menschen. Auch hat Gott Ihm ein unverändertes Priestertum anvertraut: weil Er auf Erden vor den Menschen für Gott gewesen war, konnte Er fortan im Himmel für die Menschen vor Gott sein.
Eine Stelle im 5. Buch Mose stellt uns ebenfalls Levi vor unter dem vorbildlichen Charakter Christi: "Und von Levi sprach er: Deine Thummim und deine Urim sind für deinen Frommen. ... Segne, Jehova, sein Vermögen, und das Werk seiner Hände lass dir wohlgefallen" (5. Mose 33,8-11 ).
In diesem herrlichen Kapitel haben zwei Persönlichkeiten vor allen anderen den Vorrang: Joseph und Levi. Alle beide werden gekennzeichnet durch die Absonderung für Gott. Einerseits kommen die Segnungen auf Joseph, weil er von seinen Brüdern abgesondert worden war. Sein Charakter war der eines Nasiräers, einer von Gott geordneten Absonderung. In dieser Stellung war er treu; auch kommt die Gunst Gottes "auf das Haupt Josephs und auf den Scheitel des Abgesonderten unter seinen Brüdern". (V. 16) Was Levi betrifft, so war seine Absonderung freiwillig: die Frucht seiner Treue. Auch segnet Jehova sein Vermögen, und das Werk seiner Hände ist Ihm wohlgefällig. Und zwar ist ihm nach dem Gebot Moses das ewige Priestertum zugewiesen: die Urim und die Thummim, begleitende Kennzeichen des Priestertums, durch welche man Jehova befragte (1. Samuel 28,6 ; 23,9 ; vgl. 4. Mose 27,21 ; Esra 2,63 ; Nehemia 7,65 ), sind "für Seinen Frommen" (5. Mose 33,8 ) Geschichtlich ist diese Verheißung verwirklicht worden in der Familie Eleasars, des Vaters Pinehas'; aber hier ist Levi eine Persönlichkeit, ein einzelner Mensch. Das Verhalten Levis (Pinehas), wie dasjenige Christi, wovon es ein Vorbild war, bildet die Grundlage jedes Priestertums.
"Ihr aber seid abgewichen von dem Wege, habt viele straucheln gemacht im Gesetz, ihr habt den Bund Levis zerstört, spricht Jehova der Heerscharen. So habe auch ich euch bei dem ganzen Volke verächtlich und niedrig gemacht, in demselben Maße, wie ihr meine Wege nicht bewahrt und die Person anseht beim Gesetz" (V. 8.9). Der Prophet kommt hier auf die Priester zurück, die nur den Schein und das Bekenntnis von Priestern haben. Anstatt auf den Wegen des wahren Knechtes zu wandeln, der von Anfang an ihr Muster hätte sein sollen, waren sie, obwohl sie seinen Namen trugen, verderbte Wege gegangen, indem sie so vielen ein Beispiel gaben, das Gesetz zu verlassen, oder auch indem sie es verschieden anwandten, je nachdem es sich um Arme oder Angesehene handelte. So wollte auch Gott sie vor aller Augen verächtlich machen.
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Gemeinschaft mit dem Herrn
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 134ff
In der heutigen ernsten Zeit, wo uns der mörderische Weltkrieg noch immer mit seinem fragenden Warum? anstarrt, wo der eine in Trauer und Elend versetzt, der andere von schweren Sorgen gequält ist, wo so viele in ihrem Vertrauen zu Gott erschüttert werden, da fühlen wohl alle Kinder Gottes unwillkürlich, dass es mit ihnen nicht so steht, wie es stehen sollte· Es erfasst viele etwas von der tiefen Sehnsucht, von welcher David in Psalm 27 spricht, von der Sehnsucht nach einer Sache, die in den Tagen der Ruhe und des Wohllebens leider, leider so vielfach vernachlässigt worden ist, nach einer engeren Gemeinschaft mit unserem geliebten Herrn.
„Die Tage des Übels“ wecken unser Begehr nach dem Wohnen im Hause Jehovas, nach einem ständigen Weilen in der trauten Heimat, wo wir „sicher geborgen sind in Seiner Hütte“, „versteckt in dem Verborgenen Seines Zeltes“, „erhoben auf den unerschütterlichen Felsen des Allmächtigen“. Die schwere Not stellt uns die Schönheit des Hauses Gottes vor Augen, die Wohnung, die uns gehört, die wir nie verlassen, in der wir uns beständig aufhalten sollten. In heitern, glücklichen Tagen lernen wir so schwer, dass diese schöne ·Erde, die so manches der Natur Angenehmes bietet, in Wirklichkeit für den himmlischen Fremdling nur eine dürre Wüste ist. Und der Herr muss uns trägen Schülern zu Hilfe kommen, indem Er uns Trübsale sendet und das Anziehende wegnimmt, damit wir doch mehr Zeit finden, die himmlische Wohnung mit ihren Lieblichkeiten kennen zu lernen, im Hause Gottes zu verweilen und uns Seiner Gegenwart zu erfreuen. Freilich ist es tief beschämend, wenn uns nur die Not in der Fremde, und nicht die Schönheit und die Herrlichkeit der himmlischen Stätte, zu der Heimat zieht, in welcher Christus vor Gott alles ist, wo es Gott gefällt, sieh in Seiner ganzen Fülle uns zu erkennen zu geben, wo wir wirklich die Gemeinschaft genießen mit dem Vater und Seinem Sohne Jesu Christo. Aber doch sei der Gott der Treue für Sein gnädiges Tun mit uns gepriesen!
Der Gedanke an seine Person und seine Sicherheit war es nicht allein, der David zum Dichten des 27. Psalms antrieb. Bevor er das Verborgensein in der Hütte Gottes rühmte, sang er: „Eines habe ich von Jehova erbeten, nach diesem will ich trachten: zu wohnen im Hause Jehovas alle Tage meines Lebens“. Alle Tage seines Lebens wollte er dort verweilen. Es genügte ihm nicht, nur dann und wann dort einzukehren, oder nur in den Zeiten der Not dorthin zu flüchten.
Bei David handelte es sich um den Tempel, um die Stätte, wo die Zeichen der Gegenwart Gottes gefunden wurden; bei uns um den Himmel selbst, in dessen Herrlichkeit wir mit Christo vereinigt sind, zu dem wir im Glauben stets Zutritt haben, und von wo aus wir in die Welt gesandt werden, um da die Grundsätze des Himmels, dem wir angehören, darzustellen. Dort beständig zu weilen, das stellt uns das Wort als den einzig richtigen Zustand des Lebens Gottes in uns vor. Und doch begehren so manche Gläubige diese Stätte nur als einen schönen Zufluchtsort, wenn sie einmal die Erde verlassen müssen, oder sie sehnen sich nach ihr bloß in der Trübsal, gleich Schiffern, die bei hohem WelIengang dem sicheren Hafen zustreben, um ihn wieder zu verlassen, sobald der Sturm vorüber ist.
Warum aber wünschte David, beständig im Hause Jehovas zu sein? Nur eine Sache leitete ihn, nur ein Wunsch erfüllte sein Herz: „Die Lieblichkeit Jehovas anzuschauen, nach Ihm zu forschen in Seinem Tempel“.
Und ist es nicht etwas Großes, etwas Begehrenswertes, die Lieblichkeit unseres Herrn anschauen zu dürfen? Gottes Wille ist es, unseren Blick aus Christum zu lenken, an dessen vollkommener Schönheit Er Seine Wonne hat. Hier auf der Erde, inmitten der Welt, können wir wohl Seine Macht und Güte erfahren, Seine Sorgfalt, Sein Mitgefühl, Seine Hilfe; aber Sein Innerstes, Sein Herz, kann Er uns nur dann offenbaren, wenn wir Seine Gemeinschaft aufsuchen, in Seinem Hause weilen, wo nichts Ihn hindert, uns zu segnen, und wo nichts uns hindert, gesegnet zu werden. Um die Schönheit und Herrlichkeit des Herrn voll zu erkennen, müssen wir Ihn im Heiligtum sehen. Da strahlt das volle Licht des Angesichts Christi in unsere Seele und erfüllt sie mit Glück und Frieden. Zugleich liegt in dem Anschauen Seiner Lieblichkeit für uns eine unversiegliche Quelle der Kraft, wie wir lesen: „Mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden wir verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist“ (2. Kor. 3, 18). In diesem anhaltenden Anschauen werden wir geistlicherweise in dasselbe Bild verwandelt, und zwar ist diese Verwandlung eine fortschreitende, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, von Kraft zu Kraft. Die unmittelbare Folge des Anschauens ist: Trennung vom Bösen und Wachsen in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn Jesu Christi. Das Schönste, was die Erde bieten kann, wird zu einer Sache, die interesselos am Herzen vorüberzieht. Wir fühlen uns nicht mehr im Einklang mit den Dingen dieser Welt. Die zärtliche Liebe Jesu und Seine Schönheit überstrahlen alles; unser Ohr öffnet sich für alles, was die göttliche Heiligkeit fordert, bringt uns in Übereinstimmung mit den Gedanken und Gefühlen des lebendigen Gottes und befähigt uns, „Mit Gott zu wandeln“. Um mit Gott zu wandeln, muss mein Herz einen Gegenstand haben, der es ganz erfüllt, Gott selbst, und wir dürfen heute hinzufügen: so wie Er sich in Christo geoffenbart hat.
Wandeln mit Gott, das ist mehr, als das Bewusstsein, dass Gott mit uns geht. In einem Sinne steht Gott uns immer zur Seite. Er begleitet uns auf unserem Wege. Er kann uns nicht lassen, weil wir erlöst sind. Sobald Israel aus Ägypten erlöst war, wurde Jehova in der Wolke der Reisebegleiter eines Volkes, das in Seinen Augen Gnade gefunden hatte und von Ihm für Seine Gegenwart passend gemacht war.
Aber mit Gott wandeln ist eine andere Sache; es setzt eine völlige Trennung vom Bösen und eine innige Gemeinschaft mit Gott voraus. Schon von Henoch wird gesagt, dass er mit Gott wandelte. Obwohl auf der Erde, wandelte er in der Gesellschaft Gottes, da wo Gott sich befand. Er kannte Gott ja nicht, wie wir Ihn heute in Christo kennen, aber er lebte ein himmlisches Leben, außerhalb aller Grundsätze, welche die Wege der Menschen leiteten. Sein ganzes Verhalten richtete sich nach den Anordnungen, die er aus der Gemeinschaft mit dem Gott des Himmels schöpfte. Und darin war er beständig. 300 Jahre blieb er sich in seinem Charakter als Fremdling gleich. (1. Mose 5, 22.) Gott lohnte es und machte ihn, wie Abraham, „den Freund Gottes“, zum Vertrauten Seiner verborgenen Gedanken. Henoch war auch der Bote dessen, was ihm anvertraut wurde: er verkündete es vor der Welt und wurde so der erste Prophet. (Judas 14 —16).
Wir sehen also, dass Gemeinschaft ohne ein Wandeln mit Gott undenkbar ist. „Wandeln wohl zwei miteinander, es sei denn dass sie übereingekommen sind?“ fragt der Prophet (Amos 3, 3).
„Mögen wir uns prüfen, inwieweit wir unser Leben in Übereinstimmung, in Gemeinschaft mit Gott verbringen! Es kann sein, dass wir in Bezug auf einige Dinge in die Gedanken des Herrn eingehen, doch dabei in Betreff anderer, die Ihm gleichfalls am Herzen liegen, gleichgültig sind. Wie oft schätzen wir Dinge, die bei Gott in hohem Werte stehen, gering, und legen anderen, die in Seinen Augen wertlos, ja, vielleicht hässlich sind, große Bedeutung bei! Woran liegt das? Wir lassen es fehlen an dem regen Verkehr mit dem Herrn, der uns über alles richtig belehren und unterweisen würde, an der Pflege der kostbaren Gemeinschaft, die uns allein in einer geistlichen Gesinnung erhalten kann.
Daher kommt es denn auch, dass unser Dienst für den Herrn oft so schwach ist. Wir haben zu wenig Gemeinschaft mit Seinem Herzen, sind Ihm so wenig nahe, dass wir Seinen Sinn nicht verstehen und darum die Gedanken Seiner Liebe nicht ausführen können. Ein unermüdlicher Eifer im Werke des Herrn, verbunden mit großen Fortschritten in der Erkenntnis, kann das nicht ersetzen, was die Gemeinschaft bei uns zu bewirken vermag. Wenn wir die Gnade Christi mitteilen wollen, müssen wir im Innersten der Seele mit ihr in naher Verbindung stehen; wenn wir anderen Sein Bild zeigen wollen, müssen wir uns zunächst selbst in Seinen Anblick vertiefen und in Sein Bild verwandeln lassen. Indem das Herz dann von Seiner Lieblichkeit erfüllt wird, kommt die Kraft zum Dienst von selbst. Was das Herz unseres Herrn bewegt, findet dann durch uns der Welt und den Seinigen gegenüber seinen Ausdruck. Diese innere Herzensstellung, welche den Dienst so fruchtbar macht, kann man aber nur im innigen Umgang mit dem Herrn erlangen, indem man beständig mit Ihm Gemeinschaft pflegt und von Seinem Geist durchdrungen wird.
Als unser hochgelobter Herr als Mensch auf dieser Erde wandelte, vermochte nichts Ihn in dem ständigen Verweilen in der Gegenwart Gottes zu stören. Wie stürmisch es auch um Ihn her sein mochte, die Ruhe Gottes herrschte in Seiner Seele. Sein Herz war stets im Himmel, und alles erschien Ihm in dem vollen Licht der Liebe des Vaters. Er wandelte hienieden in einer fortdauernden Gemeinschaft mit allem, was der gesegneten Stätte angehörte, woher Er kam und wohin Er ging. Er sagte: „Ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe“ (Joh. 8, 14).
Wandeln auch wir wie Menschen, welche wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen? Ist all unserem Tun der Stempel des Himmels ausgedrückt, als ein Beweis, dass wir im Hause des Herrn wohnen, und dass wir uns bewusst sind, woher wir gekommen sind und wohin wir gehen? Ich fürchte, dass viele von uns erröten müssten, wenn der Herr, der Herzen und Nieren erforscht, heute die Frage an uns richten würde: Woher kommst du, und wohin gehst du? Es ist dieselbe Frage, die vor Zeiten ein Engel des Herrn an die Hagar richtete, als sie vereinsamt und verbittert an einer Wasserquelle in der Wüste saß. (1. Mose 16, 7. 8.) Die Antwort Hagars war wahr und aufrichtig; es lag Selbstanklage darin, und willig ließ sich die Frau, welche auf einem Irrwege ging, durch den Engel auf den Weg tiefer Demütigung leiten.
Folge ihr auf diesem Wege, wenn die Frage des Herrn: Woher kommst du und wohin gehst du? Auch dein Gewissen trifft. Demütige dich vor Ihm, dann wirst du Ihn wie Hagar preisen, und diese Stunde der Umkehr wird auch für dich ein „Beer-Lachai-Roi“ werden, d. h. ein Brunnen des Lebendigen, der sich schauen lässt oder der mich gesehen hat. Freudig wirft du dann in der Kraft der wiedergewonnenen Verbindung die Pilgerreise fortsetzen, um bald im Vaterhause droben die Lieblichkeit des Herrn anzuschauen in inniger, nie unterbrochener Gemeinschaft.
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Unser Reden mit Gott und Gottes Reden mit uns
Bibelstelle: Richter 1
Botschafter des Heils 1915 S. 141ff
Unser Reden mit Gott, und Gottes Reden mit uns — zwei überaus wichtige Dinge für den gläubigen Pilger auf dieser Erde.
In Richter 1 finden wir das Volk Israel vor dem Kampf mit den Kanaanitern. Die Lose sind gefallen (lies Jos. 18 und folg. Kap.), das Land ist verteilt, aber es ist noch nicht völlig in Besitz, genommen. Schwere Kämpfe stehen noch bevor. Josua, der große Kriegsheld, ist gestorben. Was soll nun werden? Israel schlägt den richtigen Weg ein: „sie befragen Jehova“. Ruben sagt nicht: „Ich bin der Älteste und habe infolge dessen zu bestimmen“. Juda sagt nicht: „Ich bin der Stärkste, darum muss alles mir folgen“. Nein, sie erkennen ihre Abhängigkeit von Jehova an und kommen zusammen, um mit Gott über die schwierige und bedeutungsvolle Angelegenheit zu reden. Und Jehova gibt Antwort, und zwar eine klare, bestimmte Antwort.
Wir finden einen ähnlichen Fall, wenn auch selbstverständlich unter ganz anderen Umständen, in der Apostelgeschichte. Der Herr hatte die Seinigen auf der Erde zurückgelassen und war in den Himmel gegangen. Nun war in die Reihe der Apostel durch den Verrat und den schrecklichen Tod des Judas eine Lücke gerissen worden, die nach den Worten Petri (Kap. 1, 21. 22) wieder ausgefüllt werden musste. Wie sollte das aber geschehen? Bei dem Gedanken an den besonderen, ihm vom Herrn selbst angewiesenen Platz hätte Petrus sich wohl für befugt halten können, den einen oder anderen Stellvertreter vorzuschlagen; aber er tut es nicht. Gemeinschaftlich treten alle vor Gott hin und beten: „Du, Herr, Herzenskündiger aller, zeige den einen an, den du auserwählt hast“ (V. 24). Und Gott antwortet. Auch bei späteren Gelegenheiten finden wir die Gläubigen immer wieder versammelt, um mit Gott zu reden. Im Gebet und im Hören des Wortes Gottes lag ihre Kraft.
In Richter 1 bestimmt die göttliche Antwort Juda, zuerst hinauszuziehen. Zugleich erhält er die Versicherung, dass Jehova das Land in seine Hand gegeben habe. So konnte Juda getrost in den Kampf ziehen. Gott war mit ihm. Er half ihm den mächtigen Adoni-Besek schlagen und gefangen nehmen, der siebzig Könige bezwungen, verstümmelt und zu Sklavendiensten erniedrigt hatte.
Wenn nun in den Tagen vor alters das Volk Israel, das doch so wunderbar geführt worden war auf seinem Wege, nötig hatte Jehova zu befragen, und wenn im Anfang der Christenheit, als die Apostel noch lebten und Gottes Geist so mächtig wirkte, die Gläubigen sich wieder und wieder zusammenfanden, um vor Gott hinzutreten und Seine Hilfe und Leitung zu erbitten, wie viel mehr sollten dann in der heutigen Zeit, in den Tagen der kleinen Kraft und der großen Schwachheit und Verwirrung, die Kinder Gottes im Gebet vor ihrem Herrn sein und Sein Angesicht suchen! Wieviel Veranlassung dazu gibt es, ganz abgesehen von den großen Fragen, die uns heute in besonderer Weise bewegen!
Denken wir nur an die Dinge des täglichen Lebens, an das Verhalten im Hause, an Kindererziehung, Eheschließung, Geschäftsführung, besonders an das Anfangen von Geschäften, an das Wechseln von Stellen und vieles andere mehr. In allen Stauden und Lebenslagen treten täglich ernste Fragen an Mann und Weib, Jüngling und Jungfrau heran. Handelt man in solchen Fällen, wie es in Hiob 5, 8 heißt, indem man „Gott sucht und Ihm seine Sache darlegt“, oder steht eigenes Gutdünken und Ermessen an erster Stelle? Man fragt so leicht, wie und wo man die meisten Aussichten auf Erfolg, Verdienst und Vorwärtskommen habe, wo man am meisten geehrt werde usw.; aber die Frage: Wird der Herr auf diesem Wege verherrlicht? wird Frucht für Ihn dabei herauskommen? kommt erst in zweiter oder dritter Reihe, wenn sie überhaupt erwogen wird. Geschieht es nicht selbst, dass man, trotzdem der Herr den Weg durch Sein Wort oder durch die Umstände klar und bestimmt bezeichnet hat, ihn dennoch nicht geht, weil er dem Fleische nicht passt? Ein Schiff, das nach Tarsis fährt, ist schnell gefunden; aber nachher geht’s, wie bei Jona, in die Tiefe. Wie mancher hat schon bald zu seiner tiefen Beschämung erkennen müssen, wie sehr er geirrt hatte!
Israel ging in Richter 1 nicht mit Fleisch und Blut zu Rate. Es befragte Jehova, folgte Seiner Anweisung und schritt so von Sieg zu Sieg. Es ist auch ein lieblicher Zug, dass Juda zu seinem Bruder Simeon sprach: ,,Ziehe mit mir hinauf in mein Los, und lass uns wider die Kanaaniter streiten, so will auch ich mit dir in dein Los ziehen“ (V. 3). Dieses Wort erinnert uns, wenngleich es uns andererseits zeigt, dass Juda nicht ganz auf der Höhe des Glaubens stand, an die Ermahnung in Gal. 6, 2: „Einer trage des anderen Lasten“. Es ist immer schön, wenn Geschwister, die in Schwierigkeiten und Leiden gekommen find, andere Gläubige daran teilnehmen lassen, indem sie ihnen mit Vertrauen ihre Lage darlegen und sie um Fürbitte und Rat ersuchen. Aber leider fehlt es oft an diesem brüderlichen Vertrauen. Und doch, welch eine Gnade ist es für einen Gläubigen, zu wissen, dass andere in treuer Fürbitte für ihn beschäftigt sind! Das bezeugen in unseren Tagen so manche Brüder, die im Felde stehen. In ihren Kämpfen, Nöten und Entbehrungen ist ihnen das Bewusstsein, dass von vielen Betern daheim ihre Namen immer wieder vor dem Herrn genannt werden, ein starker Trost, eine große Ermunterung.
Ja, das Gebet, welch eine Macht ist es! Es gibt keine bessere Waffe gegen den Feind. Fragen wir einen Gläubigen, der vom Wege abgeirrt und in Sünden gefallen ist, wie das seinen Zugang gehabt habe, so wird er, wenn er ehrlich ist, in den meisten Fällen antworten müssen: Ich habe zunächst im Gebet nachgelassen. Dann habe ich das Wort nicht mehr gelesen, und wenn ich es gehört habe, es nicht beachtet. Schließlich habe ich die Gemeinschaft der Gläubigen gemieden und an ihrer Statt andere Gesellschaft gesucht. So hat Satan leichtes Spiel mit mir gehabt, und ich bin dahin gekommen, wo ich mich jetzt befinde. Erst Stillstand, dann Rückgang. So ist es stets im christlichen Leben. Beim Stillstand bleibt es da nie. Entweder wir wachsen, oder wir nehmen ab.
Es wird in unseren Tagen viel gepredigt. Herrliche »Wahrheiten werden verkündigt. Gott redet auf allerlei Weise zu uns. Wenn wir aber nach der Wirkung des geredeten Wortes fragen, so ist diese oft gar schwach. Wenn auch im Augenblick des Hörens das Herz bewegt und das Gewissen in Tätigkeit gesetzt wird, so dauert die Wirkung doch meist nicht lange. Woran liegt das? Der persönliche Verkehr, die Gemeinschaft mit Gott ist mangelhaft. Man hört wohl die Worte, aber man „isst“ sie nicht. (Vergl. Jer. 15, 16.) Anstatt über das Gehörte nachzusinnen, zu Hause nochmals die Bibel zur Hand zu nehmen und den Abschnitt nachzulesen, über den gesprochen worden ist, und dann vor den Herrn zu treten und Ihn zu bitten, dass Er Sein Wort lebendig und wirksam in der Seele machen möge, ist man bald wieder mit anderen Dingen beschäftigt, und so sind ,,Seine Worte nicht zur Wonne und zur Freude des Herzens“. Es ist überhaupt in unseren Tagen vielfach arm bestellt mit dem persönlichen Lesen des Wortes. Würde man durch die Häuser der Gläubigen gehen und die Einzelnen fragen: „Was hast du heute in deiner Bibel gelesen?“ so würde gewiss in sehr vielen Fällen die Antwort lauten: „Der Vater hat bei Tisch gelesen, aber. . .“ Selbst das Wort zu lesen, ach! dazu hat man so wenig Zeit, während man zum Essen vier- oder gar fünfmal am Tage Zeit findet. So bekommt der Leib Nahrung, oft mehr als ihm gut ist, aber die Seele leidet Hunger und Durst. Welch ein Schaden, welch ein Verlust! O möchten wir es uns doch alle zur Gewohnheit machen, jeden Tag wenigstens eine Zeitlang ein jeder für sich seine Bibel zu lesen! Unsere Seele muss Nahrung haben. Nur so lernen wir und wachsen am neuen Menschen. Nur so nehmen wir zu an Erkenntnis und sind imstande, etwas zu sein für unseren geliebten Herrn.
Jetzt naht der schöne Sommer mit seinen Blüten und Früchten. Da zieht es jedermann mächtig hinaus in Gottes herrliche Natur. Der Herr hat sicher nichts dagegen, wenn wir uns an Seinen Werken erfreuen. Aber Er fragt uns auch heute, wie einst die Jünger: „Was habt ihr auf dem Wege verhandelt?“ mit anderen Worten: Was ist der Gegenstand eurer Unterhaltungen, eures Sinnens und Denkens? Was müssen wir antworten? Sind nicht die Welt und ihre Dinge, Geschäft, Familie, die politische Lage usw. ungleich mehr Gegenstand unserer Beschäftigung, als der Herr und Sein Wort?
Ich möchte bei dieser Gelegenheit ein kurzes Wort über Spaziergänge an Sonntagen sagen. Es gibt Geschwister, besonders jüngere, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, am Tage des Herrn wenigstens eine Versammlung zu versäumen und während dem spazieren zu gehen, weil sie die ganze Woche im Hause, im Geschäft oder in der Fabrik sein müssen und so außerstande sind, die frische Lust zu genießen. Dass diese Geschwister das Bedürfnis fühlen, die frische Luft zu genießen, wird ihnen gewiss niemand verübeln. Aber kann das nicht geschehen, ohne dass die Versammlung versäumt wird? Es gibt kaum etwas Schöneres, als am Sonntagmorgen früh aufzustehen (viele meinen freilich, an diesem Tage besonders lang schlafen zu müssen), und dann hinauszugehen in Wald und Flur. O wie ist da alles so still und feierlich, so angetan, um die Seele nach oben zu ziehen und das Herz mit Dem zu beschäftigen, dem der Tag gehört! Da hat man Genuss für Leib und Seele, und mit tiefer, heiliger Freude wird man hernach zur Versammlung gehen, um Den zu preisen, dem unser Dank und unsere Anbetung gebühren! O lasst uns doch nicht vergessen, dass „die leibliche Übung“, wozu wir auch wohl das Spazierengehen rechnen dürfen, „zu wenigem nütze, die Gottseligkeit aber zu allen Dingen nütze“ ist! Darum lasst uns unser Zusammenkommen nicht versäumen, sondern gern und viel zu Jesu Füßen sitzen. Wahrlich, es ist „das gute Teil“.
Juda scheint die anfängliche Verbindung mit Jehova leider bald verloren zu haben. Nachdem er unter Gottes gnädiger Hilfe siegreich von Höhe zu Höhe, von Stadt zu Stadt gezogen war, machte er plötzlich Halt. In Vers 19 lesen wir, nachdem noch gerade zuvor gesagt worden ist, dass „Jehova mit ihm war“: „Die Bewohner der Niederung trieb er nicht aus, weil sie eiserne Wagen hatten“. Da möchte man wohl fragen, ob das derselbe Juda sei, wie im Anfang. Bis dahin mutig und kühn, schrickt er jetzt auf einmal vor den eisernen Wagen der Bewohner der Niederung zurück; Wie war das möglich? Es lag daran, „dass seine Augen nicht mehr auf Jehova, sondern auf die eisernen Wagen gerichtet waren. Es steht nicht da, dass er sie nicht austreiben konnte. War Jehova, der mit ihm war, nicht stark genug, um ihm auch über diese Schwierigkeit hinweg zu helfen? Gewiss, der Fehler .lag einzig und allein an Juda. Sein Glaube war schwach geworden. Sein Gott war derselbe wie der Gott Davids, aber er war nicht imstande, mit David zu sagen: „Mit dir werde ich gegen eine Schar anrennen, mit meinem Gott werde ich eine Mauer überspringen“ (2. Sam. 22, 30), oder: „Mit Gott werden wir mächtige Taten tun; und Er, Er wird unsere Bedränger zertreten“ (Ps. 60, 12).
Ja wahrlich, es liegt nicht an Gott, wenn wir verzagen und in unseren Schwierigkeiten versinken. Der Herr, der einst den Wind bedrohte und dem See gebot: „Schweig, verstumme!“ so dass eine große Stille ward, ist auch heute noch derselbe. Ihm „ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden“. Bei einem solchen Führer braucht man wahrlich keine Angst, keine Befürchtungen zu haben, selbst wenn es sich um den Weg durch eine Welt und Wüste handelt wie die, durch welche wir pilgern. Aber es tut uns not, dass wir dazu »die ganze Waffenrüstung Gottes«, die uns zur Verfügung steht, anlegen und sie nicht ausziehen, bis wir am Ziele sind. (Vergl. Eph. 6, 13).
An dieser rechten Rüstung hatte Juda es fehlen lassen, und so versagte seine Kraft. Den übrigen erging es dann ähnlich wie ihm. Immer wieder heißt es von ihnen: ,,sie trieben nicht aus«. Ach! und nicht gar lange dauerte es, da wurden sie Knechte ihrer Feinde. Das Land wurde völlig unterjocht. Das war die Folge des Unglaubens und der Untreue gegenüber dem klaren, bestimmten Gebot Jehovas. Josua hatte einst seinen Fuß auf den Nacken der Kanaaniter gesetzt. Das hätten sie auch tun sollen. Er hatte ferner gesagt: „Ich aber und mein Haus, wir wollen Jehova dienen!« So hätte auch ihr Wahlspruch lauten müssen, nicht im Vertrauen auf eigene Kraft und gute Vorsätze, sondern in Abhängigkeit von Gott. Aber weil es daran fehlte, weil das Wort Jehovas nicht die Wirkung bei ihnen hatte, die es hätte haben sollen, wurden sie nach gutem Anfang bald schwach und erschlafften schließlich völlig. Nur ein Mann machte mit seiner Familie eine rühmliche Ausnahme. Das war Kaleb. Er, der alte Mann, ging mutig in den Kampf gegen die Riesen. Sein Neffe, der junge Othniel, schlug Kirjath-Sepher und erhielt dafür Aksa, ein Mittagsland und obere und untere Quellen. So wurde der Glaube belohnt.
Ich habe soeben gesagt, dass das schlechte Beispiel von Juda und Simeon für die übrigen ein Anlass geworden sei, auch matt zu werden in der Ausführung des göttlichen Wortes. Hütten Juda und Simeon auf Jehova vertraut, so wären die eisernen Wagen nur eine Gelegenheit zur Entfaltung der Größe und Helfermacht Gottes geworden. So aber wurde Judas Mangel an Glauben und Vertrauen den anderen zum Fallstrick.
Von welcher Bedeutung kann doch das Vorbild eines Einzigen sein! Wieviel Nutzen kann es bringen, und andererseits auch wieder wieviel Schaden! Überaus viel hängt von der Treue des Einzelnen ab. Und keine Treue ohne Gemeinschaft mit dem Herrn. Lasst uns deshalb diese Gemeinschaft suchen! Lasst uns auf Sein Reden mit uns merken und unserseits dann wiederum viel mit Ihm reden! Dann werden wir die Kraft des Wortes erfahren: „Glückselig die Seine Zeugnisse bewahren, die von ganzem Herzen Ihn suchen!“ (Ps. 119, 2).
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Der Prophet Maleachi
Bibelstelle: Maleachi 2,10 – 3, 15
Botschafter des Heils in Christo 1915, S. 150ff
Kapitel 2,10 - 3,15
Der zweite Teil des 2. Kapitels bespricht einen neuen Gegenstand. Es handelt sich nicht mehr um das Priestertum, sondern um das Volk.
Der 10. Vers ist, wie es scheint, ein allgemeines Bekenntnis: "Haben wir nicht alle einen Vater? Hat nicht ein Gott uns geschaffen? Warum handeln wir treulos einer gegen den anderen, indem wir den Bund unserer Väter entweihen?" Es ist wie ein Wort der Reue, das in den Mund Judas gelegt ist, und welches sich später verwirklichen wird, wenn der Überrest seine Sünde erkennen wird. Wie die Priester den Bund Levis zerstört hatten (V. 8), so hatte das Volk den Bund seiner Väter entweiht. Aber waren sie nicht alle Kinder eines Vaters, Geschöpfe eines Gottes? Es handelt sich hier nicht um das Verhältnis zu dem Vater, welches durch Jesus hienieden offenbart, durch das Werk am Kreuz geschaffen und bei der Auferweckung Christi verkündigt worden ist. An diesem Verhältnis haben nur die Christen teil; das Alte Testament hat es nicht enthüllt, und es wird dem jüdischen Volk als solchem niemals gehören. Das Verhältnis, von welchem diese Stelle redet, ist Teil aller Menschen, Juden oder Heiden, obwohl die Gläubigen es zugleich in einer ganz besonderen Weise besitzen.
Darum finden wir in Epheser 4,6 die Worte: "Da ist ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in uns allen." Von diesem Verhältnis spricht unsere Stelle. Die hier Redenden waren Brüder, gezeugt von demselben Gott. Handeln Brüder treulos gegeneinander? Sollte nicht ihr gemeinsamer Ursprung Gefühle der Liebe und des gegenseitigen Wohlwollens in ihre Herzen legen? Der Tadel, der in diesem Vers enthalten ist, entspricht dem, welchen Jehova in Kap. 1,6 an die Priester richtet: "Wenn ich denn Vater bin, wo ist meine Ehre? Und wenn ich Herr bin, wo ist meine Furcht?" Nur legt der Geist Gottes hier dieses Wort nicht in den Mund Jehovas, sondern in den Mund derer, die ein Bewusstsein von dem elenden Zustand hatten, in welchen Israel gefallen war.
Ach! Für den Augenblick stellte dieser 10. Vers keineswegs den sittlichen Zustand des Volkes dar. Anstatt dahin geführt zu sein, seine Sünden zu bekennen, heißt es: "Juda hat treulos gehandelt, und ein Gräuel ist verübt worden in Israel und in Jerusalem: denn Juda hat das Heiligtum Jehovas entweiht, welches Er liebte, und ist mit der Tochter eines fremden Gottes vermählt." (V. 11) Zwei Züge kennzeichnen hier den sittlichen Zustand des Volkes: Entweihung und Treulosigkeit. Die hier erhobene Anklage erinnert uns an das Ende des Buches Nehemia. Trotz aller an das Volk und die Priesterschaft gerichteten Ermahnungen Esras hatte das Volk nicht aufgehört, sich mit götzendienerischen Frauen zu verbinden, und die Priester waren ihm darin vorangegangen. Der Prophet spielt auf diesen geschichtlichen Umstand an. Wie Juda den Bund entheiligt hatte, so hatte es auch das mit eigener Hand von ihm wiederhergestellte Heiligtum Jehovas entweiht und hatte sich mit der Tochter eines fremden Gottes vermählt (Nehemia 13,23 - 31 ). Das aus der Gefangenschaft zurückgekehrte Juda war nicht götzendienerischer als seine Priester, aber das Bündnis mit dem Götzendienst war ebenso verwerflich wie die Götzen selbst, ja, es war umso verächtlicher, weil es sich mit dem Dienst des wahren Gottes zu verbinden wagte.
Gerade so ist es mit den Christen, die sich mit der Welt verbinden. Ob diese verchristlicht ist oder nicht, sie bleibt immer dieselbe Welt, die den Heiland zum Tod gebracht hat. Die Vermischung der Gläubigen mit ihr kann keinen Bestand haben, und notwendiger Weise muss ein Augenblick kommen, wo das edle Metall von den Schlacken geschieden und das Unkraut von dem Weizen abgesondert werden wird, um der Verbrennung anheim zu fallen. Auch hier wird gesagt: "Jehova wird den Mann, der solches tut, aus den Zelten Jakobs ausrotten". (V. 12)
Weiterhin hatten sie, wahrscheinlich infolge ihrer sündigen Verbindungen mit den Götzendienern, treulos gegen ihre eigenen Frauen gehandelt: "Und zweitens tut ihr dieses: ihr bedecket den Altar Jehovas mit Tränen, mit Weinen und Seufzen, so dass er sich nicht mehr zu eurer Opfergabe wendet, noch Wohlgefälliges aus eurer Hand annimmt. Und ihr sprechet: Warum? Weil Jehova Zeuge gewesen ist zwischen dir und der Frau deiner Jugend, an welcher du treulos gehandelt hast, da sie doch deine Genossin und die Frau deines Bundes {d.h. mit der du dich feierlich verbunden hast} ist." (V. 13.14) Die Frauen, mit denen sie rechtmäßig verbunden waren, wurden entlassen, damit sie götzendienerische Frauen heiraten konnten; und die armen Verstoßenen bedeckten dann den Altar Jehovas mit Tränen und Seufzern, während ihre Männer am gleichen Ort ihre Opfer darbringen wollten. Diese übertraten so, indem sie Schmerz und Verderben säten, den bei der Schöpfung zwischen Mann und Frau errichteten göttlichen Bund. Im Anfang hatte Gott eine Gefährtin für Adam gemacht. "Und hat nicht einer sie gemacht? Und sein war der Überrest des Geistes. Und was wollte der eine? Er suchte einen Samen Gottes." Selbst wenn sie das, was Gott bei der Schöpfung eingesetzt hatte, gebrochen hatten, besaß dieses Volk nach Haggai 2,5 doch noch "den Überrest des Geistes" in der Person einiger Treuer, die sich, wie wir in Kapitel 3 sehen werden, in ihrer Mitte befanden. Warum hatte dieser eine Gott die Ehe zwischen dem ersten Mann und der ersten Frau eingesetzt? Weil Er "einen Samen Gottes" suchte. Er konnte nur auf diese Weise ein Volk für sich besitzen, und nicht durch einen unheiligen Bund, dessen Stifter Satan war.
Der Prophet fügt hinzu: "So hütet euch in eurem Geiste, und handle nicht treulos gegen die Frau deiner Jugend! Denn ich hasse Entlassung, spricht Jehova, der Gott Israels; und er bedeckt mit Gewalttat sein Gewand, spricht Jehova der Heerscharen." (V. 15.16) Die Priester hatten ihre Gewänder besudelt, das Volk hatte seine Kleider mit Gewalttat bedeckt, indem es ohne Gnade die geheiligten Bande der Ehe zerriss und so der Treulosigkeit Gewalttat hinzufügte.
All die Charakterzüge, die wir soeben beschrieben haben, sind moralisch auch diejenigen der Christenheit unserer Tage: Die Beziehungen zwischen Kindern eines Vaters sind aufgegeben: alle Bande, die Gott gebildet hat, sind gelockert; der Bund mit der Welt ist zur Regel geworden; die Götzen haben die Herzen eingenommen; Verderben und Gewalttat herrschen überall. Die christliche Welt ist über das, was Gott von ihr denkt, gleichgültig und kümmert sich nur um die Meinung der Menschen. Sie fragt: "Warum?", wenn Gott ihr sagt, dass Er unzufrieden mit ihr sei und so ihr Gewissen zu erreichen sucht. Sie verbindet das Böse mit dem Namen Jehovas, wie wenn Gott es billigen oder ertragen könnte: "Ihr habt Jehova mit euren Worten ermüdet; und ihr sprechet: Womit haben wir ihn ermüdet? Damit, dass ihr saget: Jeder Übeltäter ist gut in den Augen Jehovas, und an ihnen hat er Gefallen; oder {d.h. oder wenn es nicht so ist} wo ist der Gott des Gerichts?" (V. 17)
Wenn wir zum Schluss einen Rückblick auf das 2. Kapitel werfen, so müssen wir sagen, dass es nichts, auch gar nichts Erfreuliches darin gibt. Alles ist, um mit Jesaja zu reden, "Wunden und Striemen und frische Schläge; sie sind nicht ausgedrückt und nicht verbunden". Ein einziger Lichtstrahl glänzt in dieser Finsternis: die Treue des wahren Levi. Dieser entspricht allen Wünschen des Herzens Gottes, und Gott wird trotz allem Seine Absichten der Liebe und Gnade gegen diejenigen verfolgen, die Seine Gnade mit Levi in Verbindung bringt.
Kapitel 3
Das 3. Kapitel wird uns zeigen, was der Herr von diesen letzteren erwartet, sowie die Charakterzüge, welche die Treuen in den Tagen des Endes kennzeichnen.
Erinnern wir uns an dieser Stelle, dass die Entronnenen von Juda, die den Tempel zu Jerusalem gebaut hatten, nicht als ein bekehrter Überrest in ihr Land zurückgekehrt waren. Sie waren ein Volk von Bekennern, das äußerlich dem Gesetz anhing und den Tempel wieder aufbaute; aber die babylonische Gefangenschaft hatte keineswegs ihr Herz verändert.
An sie wenden sich, wie wir gesehen haben, die beiden ersten Kapitel nebst dem Anfang des dritten. Die Verse 1 - 15 dieses 3. Kapitels setzen die innere Geschichte des Volkes fort, welche mit dem 10. Vers des 2. Kapitels begann. Das Wörtchen ihr, dem man fünfzehnmal in diesem Kapitel begegnet, wendet sich an ein nicht gläubiges Volk, welches das Gesetz bekannte; indes überschreitet es auch, wie der erste Vers von Kap. 1 uns gezeigt hat, die Grenzen von Jerusalem und Juda, um sich auf das ganze Volk auszudehnen. So heißt es auch hier im 9. Vers: "und doch beraubet ihr mich, ihr, die ganze Nation".
Im Vergleich mit den beiden ersten Kapiteln gibt es indes in den Versen, die uns beschäftigen, einen wichtigen Unterschied. Während jene sich nur an das Volk wenden, betrachtet in seinem religiösen oder bürgerlichen Charakter, lässt das 3. Kapitel von Anfang an einen wahren Überrest ans Licht treten, nicht mehr Levi allein, einen einzelnen Menschen, ein Vorbild von Christus (Kap. 2,5.6), sondern die Kinder Levi (V. 3), die in ihrem Dienst mit ihrem treuen Haupt verbunden sind, wie wir Christen mit Christus. Das zeigt also wiederum, wie Gott Sorge trägt, sich einen Überrest zu bilden inmitten eines Volkes, welches, ohne jede Erkenntnis und Liebe zu Ihm, in Seinen Augen ohne sittlichen Wert ist. Dieser Überrest oder diese Gesamtheit von Gläubigen setzt ihr Vertrauen auf Jehova und erwartet Sein Kommen.
Ich habe schon wiederholt auf die Übereinstimmung des durch Maleachi beschriebenen Zustands mit dem der bekennenden Christenheit unserer Tage hingewiesen. Wenn wir unseren Propheten mit den drei letzten Sendschreiben in der Offenbarung vergleichen, so finden wir, dass der Zustand des Todes und der Verunreinigung, der in Sardes getadelt wird, sowie die Lauheit und Selbstzufriedenheit, welche Laodicäa kennzeichnen, - diese Züge des entarteten Protestantismus unserer Tage - gleichsam eine Auslegung dieser Kapitel von Maleachi sind. Und wie dieser letztere uns zeigt, dass Gott Seinen Dienst den Söhnen Levis anvertraut, so belehrt uns die Offenbarung, dass der Herr sich in Philadelphia einen Zeugen für die Tage des Endes aufbewahrt, bis Er kommt, um Seine Auserwählten zu sammeln und sie mit sich in die Herrlichkeit einzuführen.
Diese großen Wahrheiten werden um so bestimmter zum Vorschein kommen, je weiter wir in der Betrachtung unseres Kapitels fortschreiten. Vorher jedoch kündigt der Prophet dem Volk ein Ereignis von großer Tragweite an, das Kommen Christi: "Siehe, ich sende meinen Boten, dass er den Weg bereite {Eig. bahne} vor mir her. Und plötzlich wird zu seinem Tempel kommen der Herr, den ihr suchet; und der Engel des Bundes, den ihr begehret: siehe, er kommt, spricht Jehova der Heerscharen." (V. 1)
Wenn der Prophet sagt: "Der Herr, den ihr suchet", so bedeutet das nicht, dass in dem Herzen des Volkes als solchem sich irgendwie Leben für Gott geregt habe. Israel, Juda im besonderen, hoffte auf das Kommen seines Messias, wie die Evangelien uns dies zeigen, in dem Gedanken, dass dieser Messias, der Sohn Davids, alle Dinge wiederherstellen und Sein Volk vom Joch der Nationen befreien würde, um Sein eigenes Reich in Israel aufzurichten. Das Volk erwartete mit Ungeduld diesen verheißenen König, um von der Knechtschaft der Heiden befreit und in seine herrlichen Vorrechte wieder eingeführt zu werden. Darum wird Er genannt: "Der Herr, den ihr suchet", und der "Engel des Bundes, den ihr begehrt". Er sollte das Volk kraft Seines Bundes mit Israel, in die zukünftigen Segnungen einführen.
Man kann sehr wohl auf ein zukünftiges Glück hoffen, ohne sich von seinen gegenwärtigen Beziehungen zu Gott Rechenschaft zu geben. Kürzlich noch hörte ich einen Weltmenschen behaupten, dass es ein Friedensreich auf Erden geben werde, der Krieg würde abgeschafft werden, und die Menschen würden sich des Glücks hienieden erfreuen. Zu aller Zeit ist es so gewesen. Schon im heidnischen Altertum kündigte "einer ihrer eigenen Propheten" dies dem römischen Volk an. Man kann daran glauben oder es herbeisehnen, ohne im Blick auf den eigenen sündigen Zustand oder die Notwendigkeit, vor einem heiligen und gerechten Gott erscheinen zu müssen, irgendwie in seinem Gewissen berührt zu sein.
Der Prophet sagt hier voraus, dass das Kommen des Herrn durch den Vorläufer angekündigt werden würde: "Siehe, ich sende meinen Boten, dass er den Weg bereite vor mir her", was stattgefunden hat, als Johannes der Täufer in der Mitte des Volkes erschien. In Mt. 11,9 sagt Jesus zu der Volksmenge: "Was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Einen Propheten? Ja, sage ich euch, und mehr als einen Propheten. Denn dieser ist es, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Boten vor deinem Angesicht her, der deinen Weg vor dir bereiten wird."
"Und plötzlich wird zu seinem Tempel kommen der Herr, den ihr suchet." Diese Stelle trennt nicht das Kommen des Herrn zu Seinem Tempel von dem Augenblick, in welchem Johannes der Täufer erschien, um dieses Kommen anzukündigen. Aber sollte diese große Tatsache wirklich zur Wahrheit werden, so musste das Volk die Taufe zur Buße empfangen; das war das einzige Mittel, um den Weg vor den Schritten des Messias zu bereiten.
Die Geschichte Israels lehrt uns, dass, als Salomo den Bau des Tempels vollendet hatte, Jehova dorthin kam, um in der Mitte Seines Volkes zu wohnen. Wenn das Volk treu gewesen wäre, würde Gott Seine Wohnung nie verlassen haben. Aber Israel und seine Könige verleugneten Jehova und verübten Gräuel aller Art. Infolge dessen erreichten sie die Gerichte. Das Königtum verschwand, und das Volk wurde in die Gefangenschaft geführt. Der Prophet Hesekiel (Kap. 10 und 11) sieht den Thron Jehovas, wie mit Widerstreben, den Tempel zu Jerusalem verlassen. Das Haus Gottes war fortan leer und wurde schließlich unter Nebukadnezar, dem König von Babel, zerstört.
Im Buch Esra wird uns mitgeteilt, wie die in ihr Land zurückgekehrten Überreste von Juda den Tempel auf Befehl des Kores wiederaufbauten, aber Jehova kehrte nicht wieder dahin zurück. Das Haus wurde von neuem geplündert, verwüstet und zerstört, und später von Herodes, zur Zeit des Kommens Jesu, wieder aufgebaut. Das war der Augenblick, wo Johannes der Täufer das Volk darauf vorbereitete, den Herrn in Seinem Tempel zu empfangen.
Das Evangelium Johannes zeigt uns im zweiten Kapitel (nicht ohne Grund, denn diese Handlung wird in den anderen Evangelien erst am Ende der Laufbahn Christi erzählt,) als erste Handlung des Herrn, wenn Er nach Jerusalem hinausgeht, wie Er in den Tempel eintritt und die Verkäufer und die Wechsler daraus vertreibt mit den Worten: "Macht nicht das Haus meines Vaters zu einem Kaufhaus". Doch indem Er so handelt, sieht Er Seine Verwerfung im Voraus; denn tatsächlich war Er allein der Tempel Gottes in der Mitte eines Volkes, welches nichts von Ihm wissen wollte. "Brecht diesen Tempel ab", sagt Er, "und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten." Er sprach aber von dem Tempel Seines Leibes. (Johannes 2,13 - 21 )
Später kommt der Tag, wo Jesus aus dem Tempel zu Jerusalem hinausgeht und ihn endgültig verlässt, indem Er sagt: "Hier wird nicht ein Stein auf dem anderen gelassen werden, der nicht abgebrochen werden wird". (Mt. 24,1.2 ) Darauf wird der Heiland gekreuzigt. Ist damit alles beendet? Nein. Gott weckt Ihn auf und lässt Ihn zu Seiner Rechten sitzen, von wo Er den Heiligen Geist herabsendet, der einen neuen Tempel bildet, nicht aus Steinen und Gold, sondern aus lebendigen Steinen zusammengesetzt, einen geistlichen Tempel, ein Gebäude, in welchem Gott mittels Seines Geistes wohnt.
Dieses Haus wurde gebildet, um sich hienieden rein und heilig erhalten, aber es verderbte sich wie alles, was der Verantwortlichkeit des Menschen anvertraut worden ist. Es wurde zu einem großen Haus, das durch die Gefäße zur Unehre verunreinigt ist, und der Augenblick ist nahe, wo es gleich dem Tempel zu Jerusalem von dem Herrn gänzlich verworfen werden wird. Vor dieser endgültigen Verwerfung bildet Gott jedoch inmitten der verderbten Christenheit einen christlichen Überrest, der einen Teil des geistlichen Hauses bildet, welches Er bei der Wiederkunft Christi in den Himmel aufnehmen, und das der Tempel sein wird, in welchem Er von Ewigkeit zu Ewigkeit wohnt, und von dem Er am Ende sagen wird: "Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen! – Und Er wird bei ihnen wohnen" (Offenbarung 21,3 ).
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Sein Panier über mir ist die Liebe
Bibelstelle: Hohelied 2,4
Botschafter des Heils 1915 S. 160ff
Jedermann kennt die Wichtigkeit eines Paniers oder Banners. Ein Heer, das seine Fahnen verloren hat, ist auf dem Wege gänzlicher Zerstreuung. Es hat das verloren, was ihm seinen Charakter verleiht; der Mittel- und Sammelpunkt fehlt ihm.
Durch die Banner, welche die verschiedenen Truppenverbände führen, wird auch der Zugehörigkeit zu demselben Heere und derselben Sache Ausdruck gegeben. Wenn es sich nun um geistliche Dinge handelt, wie wichtig und köstlich ist es dann, von Seiten Gottes die Gewissheit zu besitzen, dass man Ihm bestimmt angehört, und weiter zu wissen, auf welchen Boden diese Beziehung gegründet ist, mit anderen Worten: unterwelchem Panier man marschiert.
Das Erste, was Gott uns im Evangelium vor Augen stellt, ist Seine Liebe. Der Herr Jesus selbst hat sie uns geoffenbart, denn „also hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab“ (Joh. 3,16). Und im ersten Briefe des Johannes lesen wir hierüber: ,,Hierin ist die Liebe Gottes zu uns geoffenbart worden, dass Gott Seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, auf dass wir durch Ihn leben möchten. Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt und Seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden“ (Kap. 4, 9. 10).
Aus den beiden angeführten Stellen geht also klar hervor: Die Liebe ist aus Gott, und sie entfaltet sich zu unseren Gunsten in völlig unverdienter und unerwarteter Weise. Sie ist keineswegs eine Antwort auf unser Begehren. Wir wissen, dass das Verlangen unserer natürlichen Herzen ein ganz anderes ist. Die Liebe kommt von Gott, sie ist Seine Natur. Durch sie wendet Er sich an unsere Herzen, wie geschrieben steht: „Gott erweist Seine Liebe gegen uns darin, dass Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist“ (Röm. 5, 8).
Diese Liebe ist außerdem persönlich. Nur derjenige, welcher dem Zeugnis Gottes glaubt, genießt sie. Niemand kann für einen anderen glauben. „Euch geschehe nach eurem Glauben“, sagte der Herr (Matth. 9, 29; vergl. auch Kap. 15, 28). Wir finden in den Evangelien auch oft Worte wie: „Dein Glaube hat dich geheilt“, oder: „Dein Glaube hat dich errettet“, im Ganzen siebenmal. (Matth. 9, 22; Mark. 5, 34; 10, 52; Luk. 7, 50; 8, 48; 17, 19; 18, 42). Es gibt nichts Persönlicheres, als den Glauben. Alles was Gott uns anbietet ist „aus Glauben, auf dass es nach Gnade sei“; mit anderen Worten, unsere Unfähigkeit, die Gnade zu erringen, wird immer wieder betont. So heißt es an einer anderen Stelle: „Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittelst des Glaubens, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, auf dass niemand sich rühme“ (Röm. 4, 16; Eph. 2, 8. 9). Auch aus dem Grunde muss das Herz persönlich ergriffen sein, um mit dem Apostel antworten zu können: „Was ich jetzt lebe im Fleische, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Gal. 2, 20).
Lassen uns diese kostbaren Stellen aus dem „lebendigen und bleibenden“ Worte unseres Gottes nicht den Reichtum und die Wirklichkeit unseres Textes verstehen: „Sein Panier über mir ist die Liebe“? Doch sein Wert wird noch vermehrt durch den Rahmen, in welchem die Worte erscheinen: „Er hat mich in das Haus des Weines geführt“. Der Wein ist in der Schrift bekanntlich ein Bild der Freude. Wenn wir nun, bildlich gesprochen, „in das Haus des Weines geführt werden«, so will das nicht weniger besagen, als dass wir nicht nur für einen Augenblick berufen sind, die Wonnen der Gegenwart des Herrn zu genießen, sondern dass Er uns auf ewig daran teilgeben will. Und obwohl Er wünscht, dass Seine Freude jetzt schon in uns sei und dass dadurch „Unsere Freude völlig“ werde, so ist doch Sein Herz nicht eher befriedigt, als bis Er uns bei sich hat im Hause Seines Vaters, wo Seine Gegenwart bereits die Stätte für Seine Erkauften bereitet hat. (Vergl. Joh. 14, 1 —- 3; 15, 11; 17, 24.) Alsdann wird Er „die Frucht sehen von der Mühsal Seiner Seele“ (Jes. 53, 11), und mit welch frohlockender Freude wird jeder ausrufen: „Er hat mich in das Haus des Weines geführt“! Andreas und sein Gefährte haben schon einen kleinen Vorgeschmack von dieser Freude genossen, als Jesus ihnen auf ihre Frage: „Lehrer, wo hältst du dich auf?“ zur Antwort gab: „Kommet und sehet!“ (Joh. 1, 38. 39).
Wie sollte in uns allen das sehnliche Verlangen leben, den Herrn kennen zu lernen und Seine Liebe zu genießen! Aber man erreicht das Ziel nicht, ohne Erfahrungen von der eigenen Unbeständigkeit und Untreue zu machen. Wir sehen das, wenn wir das Hohelied etwas näher betrachten. In drei verschiedenen Arten wird dort von der Liebe zu dem Geliebten geredet; sie zeigen uns, wie sehr diese Liebe anfänglich vermischt ist mit einem gewissen Selbstvertrauen, von welchem man gänzlich befreit sein muss, wenn man die Vollkommenheiten des Herrn erkennen will. Unsere eigenen Anstrengungen und Bemühungen genügen dazu nicht. Das durch den Heiligen Geist unterwiesene Herz muss mit Ihm allein beschäftigt sein, damit die nichtigen Gedanken, die unserer Selbstsucht entspringen, verschwinden. Im Anfang sagt Sulamith: „Mein Geliebter ist mein, und ich bin Sein“ (Kap. 2, 16). Sie glaubt Ihn ganz für ihre Seele zu besitzen und denkt nicht, dass jemand Ihn ihr werde rauben können. Aber dann verliert sie Ihn und kann Ihn nicht wiederfinden. Doch Er denkt an sie, und in dem Augenblick, da sie es nicht meint, erscheint Er ihr aufs neue. Und diese Erfahrung wiederholt sich, bis sie weiß, wo sie Ihn finden, und wie sie es anderen sagen kann. Alsdann dreht sie, mit weniger Selbstvertrauen als vorher, den Satz um und sagt: „Ich bin meines Geliebten, und mein Geliebter ist mein“ (Kap. 6, 3). Aber das ist noch immer nicht die völlige Ruhe der Seele. Wir haben hier eine Art gegenseitiger Übereinstimmung: Er wird treu sein, während ich es meinerseits auch bin. Es ist aber nötig, dass das »Ich« überhaupt nicht mehr in Frage komme, mag es sich um noch so erklärliche Bemühungen handeln, selbst etwas tun zu wollen. Und dahin kommt es endlich mit der Sulamith. Im 7. Kapitel sagt sie, indem sie nichts weiter als die Stärke und Tiefe- Seiner Liebe zu erfassen wünscht: „Ich bin meines Geliebten, und nach mir ist Sein Verlangen“ (Kap. 7, 10).
Wie oft wiederholt sich in den persönlichen Erfahrungen eines Gläubigen diese rührende Geschichte! Von solchen, die das Heil, welches Gott dem Menschen anbietet, eben angenommen haben, hört man in den ersten schönen Tagen ihrer Bekehrung oft Ausdrücke wie: „Ich habe den Heiland gefunden“, oder: „Ich habe Christum gefunden“. Und sie haben recht. Andreas sprach so zu feinem Bruder Simon, ebenso Philippus zu Nathanael. Aber dennoch musste der letztere nachher aus dem Munde des Herrn selbst das Wort hören: „Ehe Philippus dich rief, als du unter dem Feigenbaum warst, sah ich dich“ (Vergl. Joh. 1, 41 — 48). Der Herr ist der erste und der letzte, und nur in Ihm, in Seiner unveränderlichen Liebe, kann das Herz des Gläubigen seine völlige Ruhe finden.
Auch ist Sein Herz größer als das unsrige. Es bedarf für jeden Sünder eines Heilandes, der gleichsam ganz allein für ihn da ist; andererseits aber finden auch alle Sünder ihre Zuflucht in Ihm. Er ist „ausgezeichnet vor Zehntausenden“, oder, wie es auch übersetzt werden kann, „hervorragend (wie ein Banner) unter Zehntausenden“ (Kap. 5, 10). Er ist der Mittelpunkt, der Sammelpunkt für alle diejenigen, welche Ihm angehören. Und in dem Maße, wie das Herz sich zu diesen hinneigt, die alle in gleicher Weise Gegenstände Seiner Liebe sind, tritt man mehr und mehr in den Genuss dieser Liebe ein. Zweimal sagt der Geliebte zu Sulamith: „Du bist . . . furchtbar wie Bannerscharen“ (Kap. 6, 4. 10). Die Liebe, deren jeder Gläubige sich erfreuen darf, erstreckt sich zugleich ohne irgendwelche Einschränkung auf alle Erkauften. Das lesen wir in 1. Joh. 5, 1. 2. Wer da sagt: „Er hat mich geliebt“, sagt auch in Bezug auf alle Gläubigen: „Er hat uns geliebt“. An einer anderen Stelle heißt es: ,,Christus hat die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben, auf dass Er sie heiligte“ — ein anderer Gedanke, der aber auch von größter Wichtigkeit für unsere Seelen ist. Denn die Liebe des Herrn ist unzertrennlich verbunden mit einer bedingungslosen Heiligkeit, welche jeder kennen lernen wird, wenn er „Ihn sieht, wie Er ist“ (1. Joh. 3, 1 — 3; Eph. 5, 2. 25. 26). Auch im Hohenliede ist von dieser Reinheit die Rede. Sulamith wird dort „rein wie die Sonne“ genannt (Kap. 6, 10).
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Wir sehen Jesum
Bibelstelle: Hebräer 2,9
Botschafter des Heils 1915 S. 166ff
Es ist ebenso lehrreich wie köstlich, beim Lesen der Evangelien zu bemerken, dass uns darin nicht ein Lehrsystem vorgestellt wird, sondern eine lebendige Person, der Herr Jesus Christus, Gottes Sohn, selbst. Wir lesen in Joh. 1, 14: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, (und wir haben Seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater,) voller Gnade und Wahrheit«. Seine Person lebt und webt in den einfachen, aber so lebendigen und schönen Erzählungen der Evangelisten. Wir hören Seine Worte der Gnade und sehen Seine Handlangen der Liebe. Die Jünger hingen an Ihm. Sie durften Ihn hören, sehen, anschauen und betasten (1. Joh. 1, 1). Sie waren unwissend in Bezug auf manche Wahrheit, aber sie kannten Ihn, der das Fleisch gewordene Wort ist. In Ihm, der unter die Menschen herabkam, ist Gnade und Wahrheit geworden. So konnte Petrus in seinem und der übrigen Jünger Namen sagen: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist“ (Joh.6, 68. 69).
Ist es heute anders wie damals? Nein, es ist noch genau so. Zwar ist der Herr Jesus „für unsere Sünden gestorben2, aber Er ist auch „wieder auferweckt“. „Denn wenn wir, da wir Feinde waren, mit Gott versöhnt wurden durch den Tod Seines Sohnes, vielmehr werden wir, da wir versöhnt sind, durch Sein Leben gerettet werden“ (Röm. 5, 10.) Das Auge des Glaubens ist nicht auf einen gestorbenen Christus, sondern auf einen auferstandenen, lebendigen und verherrlichten Heiland gerichtet. 167
Die beständige Bemühung Satans geht dahin, unsere Gedanken und Herzen von Christo, dieser lebendigen Person, abzuziehen. Es ist ihm recht, uns mit Satzungen, Lehren, ja, selbst mit dem Dienst für Christum beschäftigt zu sehen, wenn nur dadurch eine beständige und unmittelbare Gemeinschaft mit Jesu selbst verhindert wird. Häufig genug gelingt Satan seine Absicht! Wie oft wird mehr an das Juwelenkästlein gedacht, als an die Juwelen, wird das Kleid mehr beobachtet, als die Person! Doch die einzige wahre Segnung der Seele wird darin gefunden, dass das Auge des Glaubens unverrückt auf die herrliche Person unseres Herrn Jesus Christus gerichtet bleibt. „Wir alle aber, mit ausgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu HerrIichkeit, als durch den Herrn, den Geist“ (2. Kor. 3, 18).
Vor einer Reihe von Jahren wurde in dem Dorfe C. regelmäßig das Evangelium verkündigt und für Gläubige das Wort ausgelegt. Unter denen, welchen der Herr das Herz auftat, dass sie acht gaben auf das geredete Wort, befand sich auch eine gewisse B. Die einfache Auslegung des Wortes Gottes war etwas ganz Neues für sie. Der Herr benutzte die Versammlungen, um ihrem Geist eine ganz neue Gedankenrichtung zu geben, worin sie reichen Segen fand. Nach einiger Zeit vereinigte sie sich auch mit anderen Kindern Gottes, die einfach als solche zusammenkamen, in Gemeinschaft am Tische des Herrn; doch konnte sie der Entfernung und ihrer Kränklichkeit wegen nicht regelmäßig daran teilnehmen. Schließlich wurde sie ernstlich krank, so dass sie dauernd ans Lager gefesselt blieb. In dieser Zeit wurde offenbar, was der Herr an ihr getan hatte, und was Er für sie war. Sie legte ein herrliches Zeugnis ab. Bei einer Gelegenheit sagte sie: „Bevor ich so einfach das Wort Gottes verkündigen hörte, kannte ich die Lehre, aber da erst fand ich den Herrn selbst«. Das war das Geheimnis ihrer Kraft. Sie konnte sich in Dem erfreuen, der gestorben und auferstanden ist, und der jetzt immerdar für uns lebt. Ihre Leiden waren sehr groß. Aber in der innigen Gemeinschaft mit ihrem Herrn war der Friede ihres — Herzens beständig, und ihre geduldige Unterwürfigkeit unter den Willen Gottes dauerte bis ans Ende. In dieser Zeit öffnete der Herr ihr auch das Herz, um die gesegnete Hoffnung zu erfassen, dass Er selbst in Person wiederkommen wird, um. Seine Versammlung oder Gemeinde zu sich zu nehmen.
Ist es nicht ein köstliches Vorrecht, zu dem Sohne Gottes aufschauen zu dürfen mit dem Ruf: „Mein Heiland, mein Herr und mein Gott!« und zu wissen, dass Er ,,mein Leben, meine Gerechtigkeit, mein Hoherpriester« in der Gegenwart Gottes droben ist? Nichts vermag den Segen der persönlichen und beständigen Gemeinschaft mit Ihm, dem lebendigen Herrn, zu ersetzen.
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O Liebe ohne Gleichen *)
Bibelstelle: Römer 8, 18 – 39
Botschafter des Heils 1915 S. 169ff
Wir haben soeben gesungen: „Damit selbst in den schwersten Proben an mir dein Name werd’ erhoben“. Das ist ein Wunsch, der für uns gerade jetzt von großer Bedeutung ist. Wie viele werden in dieser Zeit auf eine harte Probe gestellt, sei es durch die äußeren Umstände, die schwer auf vielen lasten, sei es dadurch, dass der eine oder andere plötzlich abgerufen wird. Wir leben in einer schweren Zeit, und es ist gut und nötig für uns, uns immer wieder der großen Liebe und Güte unseres Gottes und Vaters in Christo zu erinnern. In diesem Kapitel wird von der wunderbaren Liebe Gottes zu uns geredet. Wir sind errettet, und zwar sind wir »in Hoffnung errettet worden. Eine Hoffnung aber, die gesehen wird, ist keine Hoffnung; denn was einer sieht, was hofft er es auch?« Gott hat uns errettet zu einer lebendigen Hoffnung. Wir erwarten die Sohnschaft, die Erlösung unseres Leibes. (V. 23.) Und diese Hoffnung wird in Erfüllung gehen, wenn unser geliebter Herr kommt, um uns zu sich zu nehmen. Und Er wird kommen. Sollte Er aber noch etwas verziehen, und sollten wir durch den Tod gehen müssen, so wird auch dadurch unsere Hoffnung nicht getrübt, denn wir haben eine lebendige Hoffnung, dort in der Herrlichkeit bei Jesu zu sein, fern von allem Leid und allen Sorgen dieser Erde, mit Ihm vereinigt. Und bald werden wir Ihn sehen, wie Er ist, in Seiner Herrlichkeit und Schönheit. Ia, wir werden Ihm gleich sein. Welch eine Hoffnung ist das! Ihm, dem Sohne Gottes, unserem geliebten Herrn und Heilande, gleich zu sein!· In derselben Herrlichkeit mit Ihm zu erscheinen auf dieser Erde, wenn Er kommt, um die Welt zu richten und Sein Reich der Herrlichkeit auszurichten! Indem wir dann mit Ihm kommen, wird die Welt uns sehen in derselben Herrlichkeit, wie sie Jesum sieht. Wie werden unsere Herzen erfreut werden! Wie werden wir frohlocken! Aber ehe das geschieht, werden wir Ihn kommen sehen, um uns heimzuholen, damit wir für immer bei Ihm seien. Möchten wir in dieser Erwartung leben und Ihn preisen, wie Er es wert ist!
So lange wir noch hier auf der Erde sind, müssen wir durch allerlei Leiden und Trübsale gehen. Aber inmitten derselben verwendet sich der Geist Gottes allezeit für uns. Der Apostel sagt im 26. Verse: „Wir wissen nicht, was wir bitten sollen, wie sich`s gebührt, aber der Geist selbst verwendet sich für uns in unaussprechlichen Seufzern“. Wir wissen in den Umständen dieses Lebens nicht, was Gottes Wille ist, was Er in Seinem wunderbaren Ratschluss über uns beschlossen hat; darum können wir auch nicht bitten, wie sich’s gebührt, wie es Seinem Willen entspricht. Wir können und dürfen Ihm alle unsere Anliegen, alle unsere Wünsche, Befürchtungen usw. vortragen, aber wir müssen bei allem, um was wir flehen, hinzufügen: „wenn es nach deinem Willen ist“. Doch da ist Einer, der uns bei Gott vertritt und sich unserer Schwachheit annimmt. Und dieser Eine ist der Heilige Geist. „Er bittet für Heilige Gott gemäß“ Gott versteht den Sinn des Geistes. Er, der die Herzen erforscht, weiß, was Er bittet. Wir möchten vielleicht bitten: O Gott, erhalte mich gesund, erhalte die Meinigen gesund; oder: Stelle mein krankes Kind wieder her; oder: Nimm diesen schweren Druck von mir. Vielleicht aber hat Gott in Seiner Liebe und Weisheit es anders beschlossen. Nun, der Geist weiß, was dem Willen Gottes entspricht, und Er bittet für uns Gott gemäß. Ist das nicht ein kostbares Bewusstsein, dass der Geist Gottes sich so für uns bei Gott verwendet?
Dazu gesellt sich noch ein anderes, gleich kostbares Bewusstsein: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken, denen, die nach Vorsatz berufen sind“. Also alle Dinge, wie sie auch sein und sich gestalten mögen, müssen denen, die Gott lieben, zum Besten dienen. In diesem Bewusstsein können wir ruhig und getrost unseren Weg gehen, da ja alles, was uns widerfährt, uns zum Guten mitwirken muss. Es kann uns nichts geschehen, es kann uns selbst nichts Böses zugefügt werden, oder es muss, durch Gottes Gnade, Gutes daraus hervorkommen. Wie ruhig können wir deshalb Gott alles überlassen, Ihm alles anheimgeben und auf Seine Güte rechnen, auf Ihn vertrauen!
Es heißt hier: „denen, die nach Vorsatz, berufen: sind“. Was will das sagen: die nach Vorsatz berufen sind? Wir hören manchmal in dem Worte Gottes von Berufenen, von solchen, an die sich das Wort Gottes wendet, um sie aus ihrem Sündenschlaf aufzuwecken. Aber in diesem Kapitel wird von solchen geredet, die nach Vorsatz berufen sind; das heißt: sie sind nach dem ewigen Vorsatz Gottes herausgerufen aus der Welt und für Gott abgesondert als Gottes geliebte Kinder. „Denn welche Er zuvor erkannt hat, die hat Er auch zuvor bestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern“.
Welch ein wunderbarer Ausspruch: Von Gott zuvor bestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein! Damit Christus der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern, hat Gott uns vor Grundlegung der Welt dazu bestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförn1ig zu sein. Ist das nicht wunderbar? Welch herrliche Gedanken Gottes mit Menschen, die auf dem Wege zur ewigen Verdammnis dahingingen! Wie wunderbar, jetzt schon das Bewusstsein zu haben, dass wir bald dem Bilde des Sohnes Gottes gleichförmig sein werden! Schon stehen wir in Ihm vor Gott als geliebte Kinder und als solche, denen alle Dinge zum Guten mitwirken müssen; aber es ist nach nicht offenbar geworden, was wir sein werden: wir werden Christo gleich sein, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist.
Weiter lesen wir: „Und welche Er berufen hat, diese hat Er auch gerechtfertigt“. Das heißt, Gott hat uns nicht nur zu sich gerufen, um uns in Christo zu begnadigen und uns freizusprechen von aller Strafe, sondern Er hat uns auch vollkommen gerecht gesprochen, so dass Er jetzt von uns sagen kann: Ich sehe keine Schuld mehr an ihnen. Er hat uns nicht nur alle unsere Sünden vergeben, sondern Er hat uns auch gerechtfertigt. Wenn ein Angeklagter als unschuldig erfunden wird, wenn es sich erweist, dass er die Tat, deren er angeklagt war, nicht getan hat, so muss der Richter ihn rechtfertigen; hat er die Tat aber begangen, so muss er verurteilt werden. Der König kann ihn zwar begnadigen, so dass das über ihn verhängte Urteil nicht vollzogen wird; aber freigesprochen, gerechtfertigt kann er nicht werden. Hier ist aber nicht von Begnadigung die Rede, sondern von Rechtfertigung. Daraus geht hervor, dass alle unsere Schuld beseitigt sein muss, dass Gott an uns keine Sünden mehr sieht; sie sind vollkommen vor Seinen Augen hinweggetan.
„Welche Er aber gerechtfertigt hat, diese hat Er auch verherrlicht.“ Der Apostel stellt also die Verherrlichung, die unser wartet, schon als eine vollendete Tatsache hin. Was bei Gott beschlossen ist, ist so gut wie ausgeführt. Niemand kann Ihn hindern, einen Entschluss auszuführen. Darum kann der Apostel mit solcher Bestimmtheit sagen: „Diese hat Er auch verherrlicht“. Mögen wir auch noch auf der- Erde wandeln und Leiden und Schwierigkeiten durchzumachen haben, so weist der Apostel uns doch auf die herrlichen Verheißungen hin, die wir von Gott haben, und die in Christo alle Ja und Amen sind. Sie sind so wunderbar, dass der Apostel beim Sinnen darüber ausruft: „Was sollen wir nun hierzu sagen!“ Ähnlich ist der Apostel Johannes von dieser wunderbaren Liebe berührt. Er ruft uns zu: „Sehet, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Kinder Gottes heißen sollen!“ Der Gedanke, zu einem Kinde Gottes gemacht worden zu sein, erschien Johannes zu groß, schier unbegreiflich. Gerade so ist es mit Paulus. Was Gott an den Menschen getan hat, ist so überwältigend groß für ihn, dass er nur ausrufen kann: „Was sollen wir hierzu sagen!“ Als die elendesten Menschen hat Gott uns aus der Welt herausgerufen und uns nicht nur zu Seinen Kindern gemacht, sondern auch zuvor bestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein! Es wird sich in aller Kürze zeigen, was wir jetzt durch den Glauben wissen und was unsere lebendige Hoffnung ist. Der Herr Jesus kann heute noch kommen, um uns zu sich zu nehmen. Und dann wird das Wort in Erfüllung gehen, dass wir Ihm gleich sei« sollen. Welch eine Gnade, weich ein kostbares Vorrecht, das zu wissen!
Gott hat somit bewiesen, dass Er für uns ist. Die Menschen stellen sich Gott gewöhnlich vor als einen strengen Richter, oder im entgegengesetzten Falle als einen Gott, der über alles hinwegsieht. Beides ist falsch. Gott muss die Sünde richten. Als der gerechte und heilige Gott kann Er die Sünde nicht ungestraft lassen. Sein heiliges Auge kann keine Ungerechtigkeit übersehen. Aber Gott hat die gerechte, volle Sühnung für die Sünde empfangen. Der eingeborene Sohn Gottes, der Reine, Fleckenlose, hat alle Schuld für uns getragen. Er hat sie freiwillig an unserer Stelle auf sich genommen am Kreuz auf Golgatha, wo Er deshalb ausrufen musste: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Derselbe, über dem sich einst die Himmel geöffnet hatten und eine Stimme geschehen war: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe", musste von Gott verlassen werden! Gott musste Sein Angesicht von Seinem Geliebten abwenden. Verstehen wir, was es heißt, von Gott verlassen zu sein? Bis zum heutigen Augenblick ist noch kein Mensch von Gott verlassen worden, auch der gottloseste nicht. Aber unser geliebter Herr musste, als Er für unsere Sünden zum Fluche gemacht war, dieses Schreckliche erfahren. Im 22. Psalm wird uns die ganze Tiefe Seiner Leiden in den Stunden des Verlassenseins von Gott vor Augen gestellt. „Mein Gott! ich rufe des Tages, und du antwortest nicht; und des Nachts, und mir wird keine Ruhe. . . . Auf dich vertrauten unsere Väter; sie vertrauten, und du errettetest sie. Zu dir schrien sie und wurden errettet; sie vertrauten auf dich und wurden nicht beschämt. — Ich aber bin ein Wurm und kein Mann.“
Wenn irgend ein Mensch zu Gott schreit, findet er Erhörung. Selbst für einen solchen, der in seinen Sünden dahinlebt, ohne je an Gott gedacht zu haben, ist Gottes Ohr offen, wenn er zu Ihm ruft. Aber alle, die ohne Gott aus der Welt scheiden, werden einmal von Gott verlassen sein. In der gegenwärtigen schweren Zeit, wo Tag für Tag Tausende unversöhnt mit Gott in die Ewigkeit gehen, ist dieser Gedanke besonders ernst. Das Verlassensein von Gott bedeutet für den Menschen die ewige Verdammnis. Alle, die einmal in der Verdammnis sein werden (bis jetzt ist noch niemand da), werden fühlen, was es ist, von Gott verlassen zu sein. Selbst wenn sie zu Gott riefen und um Erhörung und Gnade schrien, würden sie keine Antwort erhalten. Die Zeit der Gnade ist dann zu Ende. Sie haben während ihres Lebens auf Erden nicht auf die einladende Stimme Christi hören wollen, und nun ist die kostbare Gnadenzeit für sie verstrichen, sie haben sie für immer verscherzt. Es ist schrecklich, von Gott verlassen zu werden! Wenn darum jemand unter uns ist, der noch nicht Vergebung seiner Sünden empfangen hat, o möchte er dann doch nicht säumen, das Heil in Christo zu ergreifen! Er wende sich heute noch zu Jesu, damit er nicht abgerufen werde in seinen Sünden und dann für immer von Gott verlassen sein müsse! Das ist das Schrecklichste, was einem Menschen begegnen kann. Aber noch währt die Zeit der Gnade. Noch fragt Gott: »Ist noch jemand da, an dem ich Gnade erweisen kann?“ O wenn doch alle, die diese Gnade noch nicht kennen, sie suchen und errettet werden möchten. Gott hat ja Seines eigenen Sohnes nicht geschont, um unser schonen zu können.
Auch darin erkennen wir, wenn es noch eines Beweises bedürfte, dass Gott für und nicht wider uns ist. Er ,,hat Seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben«. Wie groß ist Sein Erbarmen! Gott schonte Seines einzigen geliebten Sohnes nicht. Er hat Ihm nichts von dem erspart, was die Sünde an Strafe forderte. Der Herr Jesus hat den bitteren Kelch der Leiden bis auf den letzten Tropfen geleert. Er musste durch diese furchtbaren Leiden gehen, um alle unsere Sünden austilgen zu können. Wir können unmöglich ergründen, wie tief die Leiden unseres Herrn auf dem Kreuze in den drei Stunden der Finsternis gewesen sind. Nur hören wir in Gethsemane, als die ganze Schwere der kommenden Stunde sich auf Ihn herabsenkte, den dreimaligen Ruf: „Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber!« Seine Seele war betrübt bis zum Tode angesichts der furchtbaren Verantwortung, die Er auf sich nehmen wollte· Und Gott ersparte Seinem Sohne nichts von den Leiden des Todes und der Finsternis. Er konnte es nicht, wenn Er anders ein vollgültiges Opfer für die Sünde stellen wollte. »Es geziemte Ihm, um deswillen alle Dinge und durch den alle Dinge sind, indem Er viele Söhne zur Herrlichkeit brachte, den Anführer ihrer Errettung durch Leiden vollkommen zu machen“ (Hebr. 2, 10). Und Er hat das getan. So groß war die Liebe Gottes zu verlorenen Sündern! Gott hat eine Liebestat für uns vollbracht, wie sie größer nie gedacht werden könnte. Nicht Engel, nein Seinen einzigen, geliebten Sohn hat Er für uns in den Tod gegeben. Und nun fragt der Apostel: „Wie wird Er uns mit Ihm nicht auch alles schenken?“ Ja, Gott wird uns nichts Gutes vorenthalten. Wenn Er schon im Alten Testament gesagt hat: „Gnade und Herrlichkeit wird Jehova geben, kein Gutes vorenthalten denen, die in Lauterkeit wandeln“ (Psalm 84), dann wird Er denen, die Er berufen hat, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein, ganz gewiss nichts Gutes vorenthalten. Er wird uns alles darreichen, was wir auf dem Wege zur Herrlichkeit bedürfen.
,,Wer wird wider Gottes Auserwählte Anklage erheben?« Kann denn wirklich gegen uns keine Anklage mehr erhoben werden? O gewiss! Wir wissen ganz gut, dass Satan Ursache genug hat, uns bei Gott zu verklagen. „Wir alle straucheln oft“, sagt Jakobus. Aber was tut Gott, wenn Satan Anklage erheben will? Er weist ihn ab, Er rechtfertigt. Das hat Er schon bei Israel getan, als Balak den Bileam dingte, um das Volk zu verfluchen. Er bewirkte, dass Bileam statt eines Fluches einen Segen über Israel aussprechen musste. Bileam hätte Israel gern verflucht, aber er musste erkennen, dass es keine Zauberei wider Jakob und keine Wahrsagerei wider Israel gab. Er musste im Gegenteil verkünden, dass „Gott keine Ungerechtigkeit in Jakob erblickt und kein Unrecht in Israel sieht. Jehova, sein Gott, ist mit ihm, und Jubelgeschrei wie um einen König ist unter ihm“ (4. Mose 23). Gott hat Israel später wiederholt daran erinnert, dass Er nicht zugelassen habe, dass Bileam es verfluche. So z. B. in 5. Mose 23, 5: „Jehova, dein Gott, wollte nicht auf Bileam hören, und Jehova, dein Gott, wandelte dir den Fluch in Segen; denn Jehova, dein Gott, hatte dich lieb“.
Wer will Gott zwingen, zu verfluchen, wenn Er segnen will? Das vermag weder ein Mensch noch Satan. „Siehe, zu segnen habe ich empfangen“, sagt Bileam, „und Er hat gesegnet, und ich kann es nicht wenden.“ Wenn Gott uns rechtfertigen will, wer kann Ihn dann zwingen, noch eine Sünde in uns zu sehen? Und warum kann Gott so handeln? Dem unbußfertigen Sünder gegenüber kann Er es nicht, denn Er ist und bleibt der gerechte Gott, der die Sünde richten muss. O dem herrlichen Worte: „Gott ist es, welcher rechtfertigt; wer ist, der verdamme?“ folgt das gleich kostbare, jenes begründende: „Christus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auch auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist, der sich auch für uns verwendet«. Christus ist zur Rechten Gottes. Wenn nun Satan kommt, um uns vor Gott anzuklagen, so sagt Christus gleichsam: »Ich habe die Strafe für alles erduldet“. Und wenn das so ist, dann erfordert es die Gerechtigkeit Gottes, dass Er den Sünder rechtfertigt und Satan zurückweist.
Ist das nicht überaus kostbar? Gott rechtfertigt, wer will verdammen? Christus sitzt zu Seiner Rechten, und Er hat alle unsere Sünden getragen und tritt allezeit für uns ein.
Etwas anderes ist es, was der Vater mit Seinen Kindern tut, während sie durch dieses Leben gehen. Er muss sie züchtigen, wenn es nötig ist, gleichwie ein Vater seinen Sohn züchtigt. Gott übersieht die Sünde bei uns nicht. Er straft sie, damit wir sie erkennen und von ihr gereinigt werden. Er will, dass wir immer mehr zu des Herrn Verherrlichung hienieden seien. Aber wenn es sich um unsere Stellung vor Ihm handelt, um die Errettung der Seele, so sieht Gott keine Sünde mehr in Seinen Kindern· Er rechnet die Ungerechtigkeit nicht mehr zu (Psalm 32, 1. 2).
Auch das lässt uns wieder die herrliche Liebe Gottes erkennen, einmal weil der Vater Sein Kind züchtigt, das andere Mal, weil Gott nicht mehr mit uns handelt nach unseren Sünden; und das alles um Christi willen. Bei dem Gedanken daran ruft der Apostel aus: „Wer wird uns scheiden von der Liebe Christi?“ und zählt dann alles auf, was uns möglicherweise aus Erden begegnen könnte, all die Schrecken, denen wir ausgesetzt sind, so lange wir hienieden wandeln: Drangsal, Angst, Verfolgung, Hungersnot, Blöße, Gefahr, Schwert; aber nichts, nichts ist imstande, uns von der Liebe zu scheiden, die in Christo, unserem Herrn, uns geschenkt ist. Die Liebe des Herrn ist immer da. Sie bleibt immer dieselbe. Wir können Sein liebendes Herz wohl betrüben, und es ist schrecklich, wenn wir es tun, aber wir können Seine Liebe nicht ändern. Er hat sich selbst für uns hingegeben, wie sollte Er je von uns lassen können? Möchte doch jedes betrübte Herz unter uns sich dieser Liebe öffnen!
Schließlich lesen wir die triumphierenden Worte: »Aber in diesem allem find wir mehr als Überwinder durch Den, der uns geliebt hat«. Christus steht uns zur Seite. Er hält uns aufrecht im schwersten Leid —— damit selbst in den schwersten Proben an mir dein Name werd erhoben —, und so können wir in allem in Seiner Kraft mehr als Überwinder sein. Der Apostel war überzeugt davon, dass keine Gewalt im Himmel und auf Erden uns von der Liebe Gottes zu scheiden vermag. Wir können ihrer immer sicher sein. Weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Höhe noch Tiefe ist imstande, uns die Liebe unseres Gottes, die in Christo Jesu, unserem Herrn, ist, zu rauben. Sie ist immer für uns da und verwendet sich für uns. So wollen wir denn getrost sein. Jesus sitzt zur Rechten Gottes, und der Liebe unseres Gottes und Vaters, die so unendlich Großes für uns getan hat, dürfen wir uns allezeit erfreuen.
Fußnote:
*) Eine der letzten Ansprachen unseres am 4. Juni heimgegangenen Bruders Ernst Brockhaus. Sie wurde am 9. Mai in Köln gehalten und von einer Schwester nachgeschrieben, in der Absicht, sie einigen gläubigen Soldaten zur Ermunterung ins Feld zu schicken. Indem wir sie hiermit einem größeren Leserkreise zugänglich machen, glauben wir der Zustimmung der vielen Freunde, die den teuren Entschlafenen gekannt haben, sicher zu sein. Wir hören ihn so noch einmal in seiner schlichten, herzlichen Art über den Gegenstand zu uns reden, den er so gern behandelte: die Liebe Gottes.
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Der Prophet Maleachi
Bibelstelle: Maleachi
Botschafter des Heils in Christo 1915, S. 181ff
Das ist die Geschichte des himmlischen Tempels; aber auch der irdische hat seine Zukunft, denn er wird wiederhergestellt werden, und der Herr wird auf der Erde in ihm wohnen.
Die letzten Kapitel des Propheten Hesekiel erzählen von diesem zukünftigen Tempel (Kap. 40 - 44), der errichtet wird, nachdem der letzte Tempel – der des Antichristen, welcher von dem sich gegen Gott empörenden Menschen erbaut wird – endgültig zerstört ist. Dann wird Jehova Seinen Tempel wieder aufbauen, und "der Engel des Bundes wird plötzlich dahin kommen" (Maleachi 3,1 ). Der Prophet Hesekiel lässt uns diesem wunderbaren Schauspiel beiwohnen. "Und die Herrlichkeit Jehovas kam in das Haus … und die Herrlichkeit Jehovas erfüllte das Haus … Und Er sprach zu mir: Menschensohn, dies ist der Ort meines Throns und der Ort meiner Fußsohlen, wo ich inmitten der Kinder Israel wohnen werde ewiglich." (Hesekiel 43,1 - 7 )
Der Prophet Haggai redet gleichfalls von diesem zukünftigen Tempel: "Und das Ersehnte aller Nationen wird kommen, und ich werde dieses Haus mit Herrlichkeit füllen, spricht Jehova der Heerscharen". (Kap. 2,7) So spielt auch unser Prophet auf diesen zukünftigen Augenblick an: "Plötzlich wird zu Seinem Tempel kommen der Herr." "Siehe, Er kommt, spricht Jehova der Heerscharen!" Dieses Kommen des Herrn in Seinen Tempel wird nicht mehr in Gnade geschehen, wie das erste mal, sondern in Herrlichkeit, und es wird, wie wir gleich sehen werden, nach dem Gericht stattfinden. Es wird wie das erste durch einen Vorläufer angekündigt werden, der unter den Schlägen des Antichristen fallen wird. Wenn Johannes der Täufer angenommen worden wäre, so wäre dieser Elias, der kommen sollte, gewesen. (Mt. 11,13 ; 17,10 - 12 ) Aber er ist verworfen worden, und der Herr wird von neuem einen Elias senden, nach Kap 4,5 unseres Propheten: "Siehe, ich sende euch Elia, den Propheten, ehe der Tag Jehovas kommt, der große und furchtbare." Wir werden später auf die Erklärung dieser Stelle zurückkommen.
Wir Christen, die wir zu dem Haushalt der Gnade gehören, haben keinen Boten mehr zu erwarten, der uns das zweite Kommen Christi ankünde, wie Johannes der Täufer das erste angekündigt hat. Unser Bote ist schon lange erschienen in der Person des Heiligen Geistes, der am Pfingsttag herabgekommen ist. Er hat uns unterwiesen, zwar auch das "plötzliche" Kommen des Herrn zu erwarten, aber ein Kommen in Gnade, um uns in die Herrlichkeit einzuführen, deren Mittelpunkt das himmlische Jerusalem sein wird. Ja, Er wird bald kommen; Er will, dass wir Ihn von einem Augenblick zum anderen erwarten, nicht wie einen Dieb in der Nacht, sondern als den glänzenden Morgenstern. Es ist möglich, dass Sein Kommen sich noch etwas hinzieht, aber wir sollen Ihn heute erwarten. Er rechnet in dieser Beziehung auf unsere Anhänglichkeit an Seine Person.
Mit Israel zur Zeit Maleachis war es ebenso. Der Prophet wollte das Volk wartend erhalten; es sollte verstehen, dass das Kommen des Befreiers nahe sei. Mehr als vier Jahrhunderte verflossen zwischen dieser Weissagung und dem Kommen des Heilandes und Seines Vorläufers; aber die Absicht des Herrn war, dass die Treuen Ihn erwarteten.
Hat Sein Volk dieser Absicht entsprochen? Zwischen der Weissagung Maleachis und dem ersten Kommen Christi sind, wie gesagt, Jahrhunderte voll verschiedener Ereignisse dahingegangen. Als Er erschien, hatte Juda diese Weissagung vergessen, aber einige Arme der Herde erwarteten Ihn, wie man am Ende unseres Kapitels und im Anfang des Evangeliums sieht.
Tatsächlich können die Gläubigen allein den Herrn mit Freude erwarten; die Ungläubigen werden immer zu vergessen oder zu leugnen suchen, dass Er kommt. Was ist auch dabei zu verwundern? Das Kommen des Herrn in Herrlichkeit bedeutet für die Welt Gericht, wie wir in unserer Stelle sehen: "Siehe, er kommt, spricht Jehova der Heerscharen. Wer aber kann den Tag seines Kommens ertragen, und wer wird bestehen bei seinem Erscheinen? Denn er wird wie das Feuer des Schmelzers sein und wie die Lauge der Wäscher." (Kap 3,2) Könnte Israel sich auf diese Ereignis freuen? Ach! Wenn der Herr zum zweitenmal zu Seinem Tempel kommt, wird Er ohne Gnade die abtrünnige Nation richten, und "wer wird bestehen bei Seinem Erscheinen?" Die Errichtung des Reiches Christi wird sich auf das Gericht derer gründen, die den Messias verworfen haben.
Dann fügt der Prophet hinzu: "Und er wird sitzen und das Silber schmelzen und reinigen; und er wird die Kinder Levi reinigen und sie läutern wie das Gold und wie das Silber, so dass sie Opfergaben dem Jehova darbringen werden in Gerechtigkeit." (V. 3)
Hier finden wir nicht mehr, wie im vorhergehenden Vers, das Gericht des untreuen Volkes, sondern die Art, in welcher der Herr ein Volk bilden wird, das Ihm eigentümlich gehört, und das Er anerkennen kann. Indem Er sich zu diesem Zweck des Gerichts bedient, wird Er sich setzen. Er wird die Haltung eines Menschen annehmen, der das Silber schmilzt und reinigt. Er wird durch das Feuer das kostbare Metall von den Schlacken absondern, das Gute von dem Schlechten. So werden die Wege Gottes mit dem Überrest sein, den Er sammeln wird inmitten der großen Drangsal. (siehe Psalm 66,10 - 12 ) Dieser Überrest muss durch den Schmelzofen gehen, um gereinigt und von seinen Banden befreit zu werden; doch wird er aufrechterhalten, wie einst die Gefährten Daniels, durch die Anwesenheit des Engels Jehovas bei ihnen.
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Das prophetische Wort
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 184ff
In der Heiligen Schrift, „dem lebendigen und bleibenden Worte Gottes" (1. Petrus 1,23), besitzen wir eine göttliche Offenbarung an den Menschen von dem, was Gott ist. Sie ist die Stimme Gottes, unfassbar für den Menschen von Natur, aber verständlich für alle, welche an den Herrn Jesus Christus geglaubt und Vergebung ihrer Sünden empfangen haben. Durch den von Gott herniedergesandten Heiligen Geist verstehen sie, was in der Schrift von dem Vater und dem Sohne geoffenbart ist. „Der natürliche Mensch nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist; ... der geistliche aber beurteilt alles" (1. Korinther 2,14 - 16).
So kann es sein, dass ein natürlicher Mensch sich mit der Bibel von Anfang bis zu Ende bekannt macht und dabei doch so fern von Gott bleibt, als ob er sie niemals in die Hand genommen hätte. Zwar wird seine Verantwortlichkeit dadurch sehr vermehrt; denn „der Knecht, der den Willen seines Herrn wusste und sich nicht bereitet, noch nach seinem Willen getan hat, wird mit vielen Schlägen geschlagen werden; wer ihn aber nicht wusste, aber getan hat, was der Schläge wert ist, wird mit wenigen geschlagen werden" (Lk. 12,47. 48). Möchte deshalb jeder zunächst mit seinen Sunden vor Gott hintreten und Buße und Vergebung suchen; dann wird auch für ihn das göttliche Wort zum Nutzen und zur Belehrung offenstehen.
Alles, was die Heilige Schrift enthält, ist zur Verherrlichung Gottes und zum Segen Seiner Kinder bestimmt und notwendig. „Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Worte, das durch den Mund Gottes ausgeht" (Mt. 4,4). Wir dürfen uns daher nicht damit zufrieden geben, die Bedeutung des Wortes zu verstehen und seine Schönheit zu bewundern, sondern müssen suchen, „das eingepflanzte Wort, das unsere Seele zu erretten vermag, mit Sanftmut zu empfangen" (Jakobus 1,21), „es im Herzen zu bewahren" (Psalm 119,11), ja, wir müssen, wie Jeremia sagt, es „essen", d. h. es uns ganz zu eigen machen, davon leben (Jeremia 15,16). Nur wenn wir so unser innerstes Herz diesem heiligen Buch öffnen und in dem tiefen Gefühl seines Wertes und seiner Kraft darin lesen, werden wir Ihn darin mehr und mehr erfassen, von dem es von Anfang bis zu Ende zeugt, Ihn, unseren Herrn Jesus Christus. Die herrlichsten Schätze, der „unausforschliche Reichtum des Christus" (Epheser 3,8), tun sich vor uns auf, wenn wir beim Lesen aufrichtig auf Gott harren und von Seinem Geist abhängig bleiben. Sein gesegnetes Amt ist es, uns in die ganze Wahrheit zu leiten und Christus zu verherrlichen, indem Er von den Dingen Christi nimmt und uns verkündigt (vgl. Johannes 16,13 - 15).
Das ganze Buch, vom 1. Buch Mose bis zum Ende der Offenbarung, ist voll von Christus, und wir tun Unrecht, wenn wir, wie es so oft geschieht, gewisse Teile der Schrift, die unmittelbar das Heil der Seele oder den persönlichen Wandel der Gläubigen betreffen, vorziehen und dafür andere, schwer verständlichere vernachlässigen. Denn „alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, auf dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werke völlig geschickt". So schreibt Paulus an Timotheus in 2. Timotheus 3,16. 17.
Zu diesen von Gott eingegebenen Schriften, die ein Kind „weise zur Seligkeit", und den Mann „vollkommen, zu jedem guten Werke völlig geschickt" machen können, gehören auch die prophetischen Bücher. Sie haben gleichfalls Christus, den Sohn des Menschen, zum Brennpunkt, in dem alle Strahlen der göttlichen Wege und Ratschlüsse zusammenlaufen. Sagt doch schon Petrus, dass „keine Weissagung der Schrift von eigener Auslegung ist" (2. Petrus 1,20). Das will sagen: Keine prophetische Mitteilung darf für sich hingestellt und herausgerissen werden aus der Gesamtheit der Gedanken und Ratschlüsse Gottes, deren letzter Zweck ist, Christus zu erhöhen, Ihn mit Ruhm und Ehre zu krönen und über die Werke Seiner Hände zu setzen. Nach Epheser 1 hat Gott sich vorgesetzt, alles, was in den Himmeln und was auf der Erde ist, unter e i n Haupt in dem Christus zusammenzubringen.
Das prophetische Wort nimmt in der Bibel einen breiten Platz ein. Von Jesaja bis Maleachi ist alles Prophezeiung, und viele Abschnitte in den geschichtlichen Büchern, vor allem aber in den Psalmen, sind prophetisch. Sie reden eine bedeutungsvolle Sprache zu uns. Aber vielleicht glaubt jemand, es handle sich doch nur um Weissagungen aus dem Alten Testament, die nicht gerade für unseren unmittelbaren Gebrauch geschrieben seien. Was sagt aber der Apostel Petrus über diesen Punkt? „Welchen", den Propheten nämlich, „es geoffenbart wurde, dass sie nicht für sich selbst, sondern für euch die Dinge bedienten, die euch jetzt verkündigt worden sind durch die, welche euch das Evangelium gepredigt haben durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist" (1. Petrus 1,12). Und als unser Herr auferstanden war, erklärte Er den Emmaus-Jüngern, „von Moses und allen Propheten anfangend, in allen Schriften das, was ihn betraf" (Lk. 24,27).
Aber auch im Neuen Testament ist das ganze letzte Buch prophetisch, und es finden sich Weissagungen in den Briefen von Judas, Jakobus und Petrus. Ich erinnere ferner an die für uns so wichtigen Weissagungen im 1. und 2. Thessalonicherbrief, an solche in den übrigen Schriften des Paulus, in der Apostelgeschichte usw. Auch aus dem Munde des Propheten aller Propheten, unseres Herrn Jesus Christus selbst, hören wir in jedem Evangelium Weissagungen. Vgl. z. B. Matthäus 13,24. 25; Markus 13; Lukas 21; Johannes 14,3 u. a. Stellen.
Sollte uns das nicht zum ernsten Studium der prophetischen Bücher anreizen? Dazu kommt noch die wichtige Aufforderung des Apostels: „Wir besitzen das prophetische Wort befestigt, auf welches zu achten ihr wohltut (als auf eine Lampe, die an einem dunklen Ort leuchtet), bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen" (2. Petrus 1,19). Die Prophezeiungen werden also mit einer Lampe verglichen, die die Füße des Pilgers auf einem finsteren und gefährlichen Wege beleuchtet.
So haben wir Gläubige „das prophetische Wort" zu unserer Freude und zum Licht in der dunklen Nacht der Welt. Wir stehen kurz vor dem anbrechenden Tag. „Die Finsternis vergeht, und das wahrhaftige Licht leuchtet schon" (1. Johannes 2,8), und der Morgenstern ist bereits in unseren Herzen aufgegangen. Zu diesem anbrechenden Tag zieht das prophetische Wort den Gläubigen hin, indem es zugleich wie eine Lampe den Zustand der Welt beleuchtet, damit er sich hier nicht aufhalten lässt, sondern die Welt als einen Ort durchpilgert, über den das Gericht kommen wird, sobald Christus als Sonne der Gerechtigkeit aufgeht und Sein Reich errichtet.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, der uns zum Sinnen über das prophetische Wort veranlassen sollte. Gott hat uns so nahe zu sich gebracht, dass es Ihm eine Freude ist, Seinen Kindern auch Seine Geheimnisse anzuvertrauen. „Sein Geheimnis ist bei den Aufrichtigen" (Sprüche 3,32). „Das Geheimnis Jehovas ist für die, welche ihn fürchten, und seinen Bund, um ihnen denselben kundzutun" (Psalm 25,14).
Die Weissagungen beschäftigen sich zwar größtenteils nicht mit uns, sondern mit anderen Personen. Sie entwickeln besonders die Wege Gottes mit Seinem irdischen Volk und mit den Nationen, in Verbindung mit der Aufrichtung des Reiches des Sohnes des Menschen. In diesem Reich werden wir nicht Untertanen sein, sondern als Seine Miterben mit Ihm herrschen. Gott teilt uns aber das alles mit, ähnlich wie Er mit Sodom zu tun vorhatte, obwohl der Patriarch selbst mit dem Schauplatz des Gerichts in keiner Verbindung stand. „Jehova sprach: Sollte ich vor Abraham verbergen, was ich tun will?" (1. Mose 18,17) Abraham war so von Gott geliebt, und er verwirklichte so treu seine Stellung oder seinen Charakter als „Freund Gottes", dass Gott keine Geheimnisse vor Seinem Freunde haben wollte. Hat nicht der Herr Jesus zu Seinen Jüngern gesagt: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut; aber ich habe euch Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem Vater gehört, euch kundgetan habe"? (Johannes 15,15) Demgegenüber könnte man sagen: Ein Abraham wurde zwar „Freund Gottes" genannt (Jakobus 2,23), und Jesus machte die Apostel, die treu mit Ihm ausgeharrt hatten (Lk. 22,28), zu vertrauten Freunden; dürfen wir uns aber eine solche Würde anmaßen? Gewiss; denn wir sind nicht nur Freunde, Gott nennt uns sogar Seine Kinder und „hat den Reichtum seiner Gnade gegen uns überströmen lassen in aller Weisheit und Einsicht, indem er uns kundgetan hat das Geheimnis seines Willens nach seinem Wohlgefallen, das er sich vorgesetzt hat in sich selbst für die Verwaltung der Fülle der Zeiten".
Es ist also beschämend, wenn wir für die in den prophetischen Büchern niedergeschriebenen vertrauten Mitteilungen unseres Vaters so wenig Interesse zeigen. Das entspricht nicht dem Kindesverhältnis, in dem wir zu Ihm stehen. Wir sollen nicht nur auf Seine Gebote hören, sondern auch auf Seine vertrauten Worte lauschen. Als Seine Kinder sind wir zu einem einsichtigen Gehorsam, zu einem Dienst mit Verständnis berufen. „Seid nicht töricht, sondern verständig, was der Wille des Herrn sei" (Epheser 5,17) Ein Knecht kann dem Willen seines Herrn folgen, der ihm sagt: Tue dies, oder tue das nicht! Er braucht gar keine Kenntnis von den Beweggründen zu haben, die seinen Herrn zu dem Gebot oder dem Verbot veranlassen Das erwachsene Kind aber, obwohl zehnmal mehr zurr unbedingten Gehorsam verpflichtet als der Knecht, gehorcht auf eine ganz andere Weise. Man darf von einem Sohn, der den Charakter und die Grundsätze seines Vaters kennt und aus seinem Mund manches über seine Erziehungsabsichten und Pläne erfahren hat, erwarten, dass er von selbst versteht, was seinen Vater beim Gebot öde Verbot leitet, was ihm gefällt und was ihn erfreut.
Haben wir also verstanden, wie wichtig das prophetische Wort ist, so drängt sich uns von selbst die Frage auf, wie wir dieses untrügliche Wort lesen, und in welchem Geist wir darüber nachsinnen sollen. Ein wahres Verständnis ist an zwei wichtige Voraussetzungen geknüpft: man muss seines Heils, seiner Errettung sicher sein, und man muss den Heiligen Geist haben.
Ohne die Gewissheit der Errettung kann man nicht in Ruhe die feierlichen Ereignisse der Zukunft betrachten, auch nicht über Herrlichkeiten sinnen, an denen teilzunehmen man für sich selbst im Zweifel ist, um so weniger als die Belehrungen des Wortes, wenn sie nützen sollen, unsererseits mit Glauben vermischt sein müssen, wie von gewissen Hörern im Hebräerbrief gesagt wird: „Das Wort der Verkündigung nützte jenen nicht, weil es bei denen, die es hörten, nicht mit dem Glauben vermischt war" (Hebräer 4,2). Die Schriftgelehrten am Hof des Königs Herodes kannten und verstanden die Prophezeiung über die Geburt des Messias; sie hatten aber keinen Nutzen davon, obwohl sie sie andere lehren und ihnen auslegen konnten. Sie schickten die Magier aus dem Morgenlande, genau nach der klaren Verheißung in Micha 5,1, von Jerusalem nach Bethlehem, „wo der Stern oben über dem Orte stand, wo das Kindlein war", blieben aber selbst am Hof des Königs (Mt. 2). Diese Schriftgelehrten kannten die Wege Gottes nach den Schriften, wurden aber in keiner Weise dadurch beeinflusst.
Ferner ist zum wahren Erfassen der prophetischen Wahrheiten die Leitung und Belehrung des Heiligen Geistes erforderlich, der herniedergesandt worden ist, um uns in die ganze Wahrheit zu leiten und uns das Kommende zu verkündigen (Johannes 16,13).
Wohl handelt es sich in den Weissagungen um Dinge, die die Menschen auf der Erde betreffen, aber es sind zugleich Dinge Gottes, eine Darstellung Seiner Wege und Ratschlüsse. Und nur der Geist, der die Mitteilungen gemacht hat, kann sie uns richtig erklären. Aus diesem Grunde „haben wir den Geist empfangen, der aus Gott ist, auf dass wir die Dinge kennen, die uns von Gott geschenkt sind" (1.Korinther 2,11. 12). Wir sind also in Bezug auf die Auslegung allein auf den Heiligen Geist angewiesen, der sich aber niemals damit begnügt, uns einfach mit den Wahrheiten bekannt zu machen, sondern sich zugleich immer an Herz und Gewissen wendet. Herz und Gewissen müssen durch das prophetische Wort so berührt werden, dass es sich im Wandel und Benehmen zeigt. Wenn z. B. der Heilige Geist unseren Blick auf Offenbarung 11,15 richtet, wo es heißt, dass „bald das Reich der Welt unseres Herrn und Seines Christus gekommen sein wird", so will Er uns nicht nur diese Tatsache mitteilen, sondern dadurch bewirken, dass wir das Interesse an dem politischen Leben unserer Tage verlieren. Die Erinnerung in 2.Petrus 3,10, dass die Erde und die Werke auf ihr verbrennen werden, trägt die ernste Warnung in sich, doch kein Gefallen mehr an Dingen zu haben, die einem solchen Gericht verfallen sind. Und wenn wir in 1. Korinther 15,25 belehrt werden, dass Christus „herrschen muss, bis er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat", wie kann es uns da noch drängen, in einer Welt Platz und Ansehen zu haben, die Ihn verworfen hat und noch täglich sagt: Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche?
Es ist ein feststehender Grundsatz, dass wir nur in dem Maße in wirklicher Erkenntnis fortschreiten, wie wir das, was uns der Geist hat erkennen lassen, im Leben verwirklichen. Ein ernstes Studium des prophetischen Wortes trägt mit dazu bei, uns von den Grundsätzen des gegenwärtigen bösen Zeitlaufs frei zu machen, so dass wir unseren Mitgläubigen zum Nutzen sind. Aber, wie gesagt, nur ein ernstes Studium bewirkt das. Wenn wir die Wahrheiten nur mit dem Verstand erfassen, werden wir auch bei anderen, denen wir sie mitteilen, nur den Verstand erreichen. Wenn aber unsere Seele in der bewussten Abhängigkeit von der Leitung des Heiligen Geistes und mit aufrichtigem Gebet um Licht an die Schrift herantritt, dann wird auch das Wasser des prophetischen Wortes in uns zu einer lebendigen Quelle werden und wird von uns ausfließen und anderen Segen bringen.
Hüten wir uns vor allem davor, die Weissagungen zum Gegenstand ungeziemender Spekulationen des menschlichen Geistes zu machen. Sie sind uns nicht geschenkt, um der Phantasie Nahrung zu geben, auch sind sie kein Gebiet, auf dem sich die Kräfte unseres Geistes üben sollen; sie richten sich an den Glauben und sollen einfach als Gottes Wort aufgenommen werden. Wie leicht entstehen gerade dadurch irrige Auffassungen, dass man seine eigenen Gedanken in eine Stelle hineinlegt, anstatt dass man sucht, Gottes Gedanken herauszufinden. Der Verstand, so wichtig er auf diesem Gebiet sein mag, muss doch immer der demütige Knecht des Glaubens bleiben. Gar manches, was den Überlegungen unseres Geistes entspringt und sich unserem natürlichen Verstand empfiehlt, steht im Widerspruch mit dem Geist, der das Wort eingegeben hat. „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht Jehova. Denn wie der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege, und meine Gedanken als eure Gedanken" (Jesaja 55,8. 9).
Lasst uns daher unserem Verstand Zügel anlegen und das Zeugnis Gottes durch Seinen Propheten beherzigen: „Auf diesen will ich blicken, auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist, und der da zittert vor meinem Worte" (Jesaja 66,2).
So spricht Jesaja, und gerade er wurde von Gott in einer Weise für den Prophetendienst vorbereitet, die für jeden, der das prophetische Wort erforscht, vorbildlich ist. Er sah den Herrn sitzen auf hohem und erhabenem Thron und hörte die Seraphim einander zurufen: „Heilig, heilig, heilig ist Jehova der Heerscharen, die ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit". Dieses Anschauen der Majestät Jehovas rief ein tiefes Bewusstsein von seinem und seines Volkes sündigem Zustand in ihm wach: „Wehe mir!" ruft er aus, „denn ich bin verloren; denn ich bin ein Mann von unreinen Lippen, und inmitten eines Volkes von unreinen Lippen wohne ich; denn meine Augen haben den König, Jehova der Heerscharen, gesehen". Gott lässt aber den Propheten nicht dabei stehen. Einer der Seraphim berührt mit einer vom Altar genommenen glühenden Kohle seinen Mund und spricht: „Siehe, dieses hat deine Lippen berührt, und so ist deine Ungerechtigkeit gewichen und deine Sünde gesühnt" (Jesaja 6,5 - 7).
Ähnlich ist es mit uns. Wenn sich mit einem zerschlagenen Geist die Kenntnis der Gnade verbindet, wenn wir nicht nur „den Herrn der Heerscharen" betrachten, sondern mehr noch schauen auf Ihn am Kreuz, wo wir volle Vergebung empfangen haben, dann können wir uns mit einem in der Liebe Gottes ruhenden und doch gedemütigten Herzen mit den schrecklichen Gerichten beschäftigen, die auch wir verdient haben und auch wir erleiden müssten, wenn die Gnade nicht dazwischengetreten wäre.
Für alle, die so das prophetische Wort zu ergründen suchen, wird Nutzen und Segen nicht ausbleiben. Sie werden dieselben Erfahrungen machen wie Abraham und Daniel.
Abraham „stand vor dem Herrn" (1. Mose 19,27), als er das Schicksal von Sodom erfuhr, und das erste, was in seinem Herzen hervorgerufen wurde, war Fürbitte für andere vor Gott. Er legte Fürbitte ein für jene, die sich mit dem verderbten Volke Sodoms vermischt hatten und in Gefahr standen, in das Gericht dieser Stadt verwickelt zu werden (1. Mose 18).
Und Daniel? Als er durch die prophetischen Bücher erfuhr, dass die 70 Jahre der Gefangenschaft zu Ende gingen, „richtete er sein Angesicht zu Gott, dem Herrn, um ihn mit Gebet und Flehen zu suchen, in Fasten und Sacktuch und Asche", und bekannte seine und des Volkes Sünde und Verkehrtheit (Daniel 9).
Ja, demütiges Gebet und warme Fürbitte für andere, das sind die ersten Wirkungen des aufrichtigen Forschens im prophetischen Wort. Haben wir dann Ihn, den Kernpunkt aller Prophezeiungen, erfasst und uns in Sein herrliches Bild vertieft, das aus den Schriften immer wieder hervorstrahlt, dann wird es uns ergehen wie den Magiern aus dem Morgenlande, als sie den in den Propheten angekündigten Herrn erblickten. Wir werden uns „mit großer Freude freuen", vor Ihm niederfallen, Ihm huldigen und Ihn anbeten, Ihn, unseren Herrn, der in Ewigkeit gepriesen wird. (Mt. 2)
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Wie sollen wir das Wort Gottes in der Familie lesen?
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 196ff
Man bitte zunächst gemeinsam den Herrn, dass Er Sein heiliges und lebendiges Wort an den Herzen segnet! möge. Dann lese der Vorleser nur so viele Verse vor, als mit Aufmerksamkeit von allen aufgenommen werden können, und zwar so laut und deutlich, dass jeder es gut hören kann. So- dann gebe er, soweit er es vermag, den Sinn an, damit alle möglichst viel davon verstehen. (Neh. 8, 8.) Die einzelnen Familienglieder sollten nicht nur zuhören, sondern möglichst selbst eine Bibel zur Hand nehmen und mitlesen.
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Zwei Wege
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 197ff
Das Wort Gottes teilt uns zu unserer Belehrung manche Geschichte von Gläubigen und Ungläubigen mit, und es ist gut, wenn wir diesen Mitteilungen der Schrift unsere sorgfältige Beachtung schenken. Wir können da vieles lernen. Von besonderer Wichtigkeit sind in dieser Hinsicht die Lebensbeschreibungen der beiden Männer Abraham und Lot, die uns allen gewiss gut bekannt sind, aus denen wir aber vielleicht nicht immer die darin enthaltenen Lehren ziehen.
Die beiden Männer hatten lange Zeit ihren Pilgerlauf anscheinend in glücklicher Gemeinschaft miteinander fortgesetzt. Plötzlich aber brachen Streitigkeiten zwischen ihren Hirten aus, und diese Streitigkeiten veranlassten die Trennung zwischen Oheim und Neffe. Abraham setzte den Pfad eines Pilgers und Fremdlings, den Pfad des Glaubens mit Gott, allein fort, während Lot den Weg der weltlichen Weisheit und der Selbstsucht wählte. Ach! der Aufenthalt in Ägypten, wohin Abraham sich in einer Zeit der Prüfung gewandt hatte, scheint für Lot ein verhängnisvolIer Wendepunkt geworden zu sein. Da hatte die Welt und ihr Glanz sein Auge geblendet und neue Gedanken über die Reichtümer dieser Erde und ihre Vorzüge in seinem Herzen geweckt. Und der Gegenstand, auf den das Herz gerichtet ist, wird bald das Ziel der Füße. So war es bei Lot.
Sein erster Rückschritt bestand darin, dass er „Zelte aufschlug bis nach Sodom“. Er ging noch nicht in die blühende, aber gottlose Stadt hinein. Das Gewissen war noch nicht ganz eingeschlafen, aber Satan sorgte dafür, dass der goldene Köder immer verlockendere Formen annahm. Und nachdem der Niedergang einmal eingesetzt hatte, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Lot mit seiner Familie in der Stadt Wohnung nahm.
Der Prophet Hesekiel teilt uns verschiedene Dinge mit, derentwegen die Stadt Sodom bekannt war; er nennt unter ihnen ihre ,,Fülle von Brot«. Mit anderen Worten, es war eine reiche Stadt, voll der guten Dinge dieses Lebens, wo das Ich mit seinen großen Ansprüchen jede Lust zu befriedigen vermochte. Es war auch eine Stadt, die der „sorglosen Ruhe“ ergeben war, eine Stadt, deren Bewohner das Leben leicht nahmen und es sich so angenehm wie möglich zu gestalten suchten. Einmal in Sodom angelangt, ist jede Verbindung Lots mit dem weltfremden Sonderling Abraham gelöst. Er nimmt fortan einen hervorragenden Platz in der Stadt ein.
Kurz nachdem Lot nach Sodom gezogen war, ließ Gott in Seiner gnädigen Vorsehung es zu, dass das von dem gläubigen Mann erwählte gemächliche Leben eine plötzliche Störung erlitt. Er wurde in die Streitigkeiten des Königs von Sodom ver·-wickelt, wurde von dem Feinde gefangen genommen und nur durch die edelmütige Hilfe Abrahams befreit. Aber diese ernste und deutliche Sprache Gottes, der sich in Seiner Treue des irrenden Mannes erinnerte, machte keinen Eindruck mehr auf ihn. Die Dinge dieser Welt hatten bereits einen solchen Wert für ihn gewonnen, dass er wie taub und blind war. Er kehrte in die Stadt zurück, um dauernd dort zu wohnen, bis — ach! bis zum Tage ihres Untergangs.
Von einem weltlichen Standpunkt aus betrachtet, hatte Lot gutes Gelingen gehabt. Was hatte er nicht alles in Sodom gefunden? Neben Ehre und Ansehen zweifellos mancherlei von den Reichtümern dieser Welt. Was seine Kinder anging, so hatten sie in Sodom die besten Aussichten für ihr Fortkommen.
Aber plötzlich, ganz unerwartet, kam für Sodom die Erntezeit, das Verderben. Es war zugleich der Augenblick, wo die traurigen Folgen von Lots untreuem Wandel in ihrer ganzen Furchtbarkeit zutage traten· Schon damals bewahrheitete sich das Jahrhunderte später geschriebene Wort: ,,Wisset, dass eure Sünde euch finden wird“ (4. Mose 32, 23). Wie schrecklich war die Ernte für Lots Torheit, für seinen Unglauben, seinen Ungehorsam und seine Habsucht! Wie wurde jetzt mit einen mal auch seine ganze Weltweisheit zu Schanden! Denn was hatten seine Kinder heute von den großen Vorzügen Sodoms, wohin er sie in seiner vermeintlichen Klugheit gebracht hatte? Sie dienten lediglich zu ihrem Verderben. Sein Zeugnis macht nicht den geringsten Eindruck auf sie. Es erweist sich als gänzlich kraftlos, um Weib und Schwiegersöhne oder irgend jemand aus der verfluchten Stadt zu erretten. Fast alle kehren seinen Bitten ein taubes Ohr zu. Seine Warnung, dem kommenden Gericht zu entfliehen, erscheint ihnen als ein bloßer Scherz.
Ja, unendlich ernst sind die Wirkungen eines weltlichen Wandels auf Familie, Verwandte und Bekannte. Die gläubige Seele, welche es ausgibt, ein lebendiges Zeugnis abzulegen gegen die mannigfachen Formen des Bösen um sie her, wird gänzlich unfähig, andere zu Warnen und zu Christo zu führen. Versucht sie es, so ist sie in ihren „Augen wie einer, der Scherz treibt“.
Gottes Gericht wird bald diese arme, gottlose Welt treffen. Wäre es nicht entsetzlich, wenn auch unsere Söhne, unsere Töchter, unsere Verwandten und Bekannten davon ereilt würden, weil wir in Weltlichkeit, Gleichgültigkeit und Ungehorsam gegen Gottes Wort unseren Weg gegangen sind? Ja, es wäre entsetzlich, und Gott wolle es in Gnaden verhüten!
Der Reichtum, den Lot sich in Jahren erworben, und für den er ungezählte geistliche Segnungen und ewige Güter geopfert hatte, ohne etwas davon zu haben als nur Tage voll Quälereien (vergl. 2. Petr. 2, 7. 8), dieser Reichtum musste zurückgelassen werden und fiel den gierigen Flammen zum Raube. Genau dasselbe wird bei uns der Fall sein, wenn wir, anstatt den ewigen Gütern nachzujagen, unsere Tage dazu verwenden, die Güter dieser Erde aufzuhäufen, auf Erden vorwärts zu kommen. Ja, hüten wir uns davor, dass nicht schließlich uns selbst das Wort: „Du Tor!“ zugerufen werde, wie jenem reichen Manne, dessen Leben darin bestand, ,,auszuruhen, zu essen, zu trinken und fröhlich zu sein“! (Luk. 12, 19. 20).
Nicht einmal Lots Weib entging dem Verderben. Die göttliche Gnade hatte sie gezwungen, die Stadt zu verlassen, über welcher das Racheschwert hing, aber als sie dann zurück blickte nach dem Orte, dem alle ihre Zuneigungen gehörten, da ereilte sie die Strafe. Sie wurde zur Salzsäule. Nur Lot selbst und zwei seiner Töchter retteten das nackte Leben.
So ging die Frucht eines ganzen arbeitsreichen Lebens in Rauch auf. In den Flammen des göttlichen Strafgerichts verbrannten alle Güter zu Asche, und, was noch weit schrecklicher war, auch die Familie des unglücklichen Lot kam bis auf die zwei Töchter um. Die Ewigkeit nahm sie auf. Ihr Teil war der Ort des unauslöschlichen Feuers, „wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt“ (Mark. 9, 46). Was blieb dem armen Manne jetzt noch? Dahin waren Ehre und Ansehen, dahin aller Reichtum, geschwunden jede Aussicht auf Gedeihen in dieser Welt, und was seine Seele anging, so hatte sie unendlichen Schaden gelitten. Wenn einmal die Stunde kommen wird, in welcher der Lohn ausgeteilt werden wird, so wird, müssen wir fürchten, Lot mit leeren Händen dastehen.
Doch wie steht es mit dir, mein lieber gläubiger Leser? Bist du vielleicht auch in dem einen und anderen Stück „gleichförmig dieser Welt“? Finden sich auch bei dir Götzen? Ist es Geld oder Vergnügen oder Ansehen oder irdisches Gedeihen, das einen Platz in deinem Herzen einnimmt? Lebst du nicht im Geiste auch in Sodom, wo „Hoffart, Fälle von Brot und sorglose Ruhe“, mit anderen Worten: ein reiches, bequemes Leben, alte Neigungen und Gewohnheiten, sowie die Lust der Welt nicht erkennen lassen, ob du ein Kind Gottes bist? Sollte es der Fall sein, so bist du ein trauriges Hindernis für das Werk des Evangeliums und für deine Umgebung. Und solltest du selbst dick; aufzuraffen vermögen, ein Wort mit dem einen oder anderen zu reden oder ihm ein Schriftchen zu geben, so ist dein Zeugnis doch bedeutungslos, weil dein Wandel nicht mit deinen Worten in Übereinstimmung steht.
O möchten wir uns alle, ein jeder für sich, diese ernsten Fragen vorlegen! Möchten wir diese einfachen Wahrheiten, möchten wir unsere Wege überdenken, und — sollte da etwas fehlen — unsere „Füße kehren zu Seinen Zeugnissen“! (Ps. 119, 59.) Wie wichtig ist es, „Sein Wort zu halten“! (Joh. 14, 23). Das Gericht steht vor der Tür. „Gleicherweise wie es geschah in den Tagen Lots: sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten; an dem Tage aber, da Lot von Sodom ausging, regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und« brachte alle um. Desgleichen wird es an dem Tage sein, da der Sohn des Menschen geoffenbart wird“ (Luk. 17, 28 — 30).
Sollten wir uns nicht alle täglich die Frage vorlegen: Auf welchem Wege befinden wir uns? Wandeln wir, wie Abraham, abgesondert von der Welt und ihren Dingen, in Gehorsam und Abhängigkeit von Gott, indem wir uns von Seiner Hand leiten lassen? Oder sind wir, wie Lot, auf den gegenwärtigen irdischen Gewinn bedacht und erfüllt von den Erwartungen und Hoffnungen der Menschen dieser Welt? Vergessen wir das ernste Wort nicht: „Denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden, auf dass ein jeder empfange, was er in dem Leibe getan, nach dem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses“ (2. Kor. 5, 10).
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Der Prophet Maleachi
Bibelstelle: Maleachi
Botschafter des Heils in Christo 1915, S. 203ff
Der jüdische Überrest des Endes wird sich in vielem von dem christlichen Überrest unserer Tage unterscheiden. Christus wird für uns in Gnade kommen, für jenen Überrest in Herrlichkeit. Das Kommen in Herrlichkeit beschließt das Alte Testament, wie dasjenige in Gnade das Neue. Christus kommt zu dem jüdischen Überrest in Gericht, zu uns in Frieden und Erbarmen. Nichtsdestoweniger gebraucht der Herr den Schmelztiegel auch für den christlichen Überrest. Wenn Er sich mit Seiner Gemeinde beschäftigt, so geschieht es, um sie zu heiligen, indem Er sie reinigt durch das Wort. (Epheser 5 ) Er wirkt an den Seelen und Gewissen der Heiligen, um sie von der Welt, die dem Gericht entgegengeht, abzusondern. Er will ein heiliges Volk haben, das fähig ist, Ihm zu dienen und Ihn zu erwarten, und so beschaffen, dass Er es sich als Seine Kirche herrlich, ohne Flecken und Runzel, tadellos, ohne Fehler darstellen kann. 1.Petrus 1,7 zeigt uns auch den Schmelztiegel: "Auf dass die Bewährung eures Glaubens, viel köstlicher als die des Goldes, das vergeht, aber durch Feuer erprobt wird, erfunden werde zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi."
Wir haben auf die Tatsache hingewiesen, dass die Beschreibung des Zustandes des Volkes und der Priesterschaft in Kap. 2 nicht einen einzigen ermunternden Zug aufweist. Aber sehen wir, was uns der Prophet in Kap. 3 sagt: "Er wird die Kinder Levi reinigen und sie läutern wie das Gold und wie das Silber, so dass sie Opfergaben dem Jehova darbringen werden in Gerechtigkeit." Die Kinder Levi sind für Gott der wahre Überrest. Ist das nicht merkwürdig? In Kap. 2 wird Levi ganz allein erwähnt, als Vorbild von Christus, dem wahren Diener. Mit ihm ist der Bund des Lebens und des Friedens geschlossen. Aber hier sind es die Kinder Levi, die geläutert werden müssen, um in diesen Bund eintreten zu können. So wird es auch mit dem Überrest Israels in den letzten Tagen sein. Die Beziehungen zu Christus werden ihn vor Gott angenehm machen, aber nicht ohne dass das Gericht ihn vorher gereinigt hätte. "Dann wird die Opfergabe Judas und Jerusalems Jehova angenehm sein wie in den Tagen vor alters und wie in den Jahren der Vorzeit." (V. 4) Kraft ihrer Annahme als Genossen des Messias werden die Beziehungen Judas und Jerusalems zu Gott - um Ihm Gottesdienst darzubringen - wiederhergestellt werden können.
Es ist gut für uns, diese Wahrheit festzuhalten. In dem Zustand der Dinge, wie er uns heute umgibt, hat ein wahrer Gottesdienst, der durch einige dargebracht wird, Wert in Gottes Augen, denn er stellt den allgemeinen Gottesdienst dar, der Ihm einst dargebracht werden wird, und ist gleichsam der Vorläufer desselben. Das ist wohl geeignet, uns zu ermuntern. Sicher sollten wir mit ganz anderer Kraft den Gottesdienst ausüben, aber die Anbetung und das Lob, die aus einem wahrhaftigen Herzen vor dem Herrn aufsteigen, sind Gott ebenso wohlgefällig wie damals, als die Kirche ein Herz und eine Seele war, und werden ebenso von Ihm angenommen wie das zukünftige Lob, wenn einmal die ganze Versammlung um Christus in der Herrlichkeit versammelt sein wird. Wie könnte es auch anders sein, da der Herr selbst es ist, der inmitten der Versammlung lobsingt? (Psalm 22 )
Nachdem der Prophet die Kinder Levi erwähnt hat, wendet er sich von neuem an das Volk: "Und ich werde euch nahen zum Gericht und werde ein schneller Zeuge sein gegen die Zauberer und gegen die Ehebrecher und gegen die falsch Schwörenden; und gegen die, welche den Tagelöhner im Lohn, die Witwe und die Waise bedrücken und das Recht des Fremdlings beugen, und mich nicht fürchten, spricht Jehova der Heerscharen."
Es ist wichtig zu wiederholen, dass in diesem ganzen Kapitel das "ihr" sich an das ungläubige Volk und nicht an den gläubigen Überrest richtet. Wir bestehen besonders hierauf, weil es den Schlüssel zu dem: Ihr werdet in das Tal meiner Berge fliehen" in Sacharja 14,5 bildet, eine Stelle, die gewöhnlich auf den Überrest bezogen wird. In Wirklichkeit zeigt uns der Geist Gottes, nachdem er sich in Vers 4 mit den Folgen der Treue der Kinder Levi für Juda und Jerusalem beschäftigt hat, das Ergebnis der Untreue des Volkes. Diese Untreue ist nicht mehr der Götzendienst von früher, sie wird vielmehr in zwei Worten zusammengefasst: Verachtung Gottes und des Nächsten. Dieselben Züge werden von Sacharja genannt (Kap. 5,4; 8,17), als kennzeichnend für den sittlichen Zustand des jüdischen Volkes in den letzten Tagen.
Äußerlich betrachtet schien alles in Ordnung zu sein; wird auch die Zauberei erwähnt, so waren doch keine Götzen da; aber das Herz des Volkes war ebenso verderbt wie damals, als der Götzendienst in Israel herrschte. Wegen des Herzenszustands der Nation sollte daher das Gericht Gottes sie treffen. Dies kennzeichnet jedes Bekenntnis, welches nicht "mit dem Glauben vermischt´" ist. Gott bezeichnet einen derartigen Zustand mit einem einzigen Wort: "Sie fürchten mich nicht" (V. 5) Der Anfang, der erste Schritt auf dem Weg der Weisheit, fehlt ihnen, und wir werden in Vers 16 sehen, dass die wahren Gläubigen gerade durch diese Furcht gekennzeichnet werden.
Was heißt, im Grunde, Jehova fürchten? Die Furcht ist das Gefühl eines Untergeordneten einem Höheren gegenüber. Gott fürchten heißt also, als Geschöpfe Seine Oberhoheit und Seine völligen Rechte über uns, sowie die Autorität Seines Wortes anerkennen. So ist es auch mit unseren Beziehungen zu Christus, insoweit wir Seine Knechte sind, wir, die Er für sich erworben hat, indem Er das Lösegeld für uns bezahlte. Die Furcht schließt auch das Gefühl des Gehorsams mit ein, den wir der Oberhoheit, ihren Anordnungen und Befehlen, schuldig sind, desgleichen das Gefühl des Dienstes, der ihr erwiesen werden muss. Dann aber, indem der Knecht gehorcht, sucht er seinem Herrn, dem er alles verdankt, zu gefallen. Ein Knecht fürchtet seinen Herrn, ein Mensch die Obrigkeit, eine Frau ihren Mann, ein Sohn seinen Vater, denn diese alle sind die Vertreter einer ihnen von Gott anvertrauten Autorität. Wir reden hier nicht von der Liebe, welche diese verschiedenen Beziehungen zulassen, wir sagen nur, dass die Furcht ihre Grundlage bilden und unseren ganzen Wandel hienieden regeln muss. Darum weist der erste Brief des Petrus, der von dem christlichen Verhalten redet, beständig auf die Furcht hin. Ich kenne Gott als meinen Vater, ich nahe Ihm mit einem vollen kindlichen Vertrauen als Sohn, aber ohne die Ihm schuldige Ehrerbietung aus dem Auge zu verlieren. Ich erkenne Seine Rechte über mich als Gott, Schöpfer und Meister an, nicht zitternd wie ein Sklave unter dem Joch, sondern in dem vollen Genuss meiner Beziehung zu Ihm als Sohn.
Wenn es bei dem Menschen keine Furcht Gottes gibt, so gibt es überhaupt kein sittliches Band zwischen der Seele und Ihm. (vgl. Psalm 36,1 - 4 ) Und wie den ungläubigen Menschen, so fehlt gerade dies auch jedem religiösen, leblosen Bekenntnis. Der natürliche Mensch, selbst wenn er den Namen Christi trägt, steht immer unter der Leitung seines eigenen Willens, der dem Willen Gottes entgegengesetzt ist und sich ihm nicht unterwerfen kann (Römer 8,7 ), wohingegen die Tatsache, Christ zu werden, von Anfang an eine Glaubensunterwerfung unter Gottes Willen in sich schließt. "Was soll ich tun, Herr?" sagte Paulus auf dem Wege nach Damaskus. (Apg. 22,10 ) Der eigene Wille ist gebrochen und gerichtet und der Wille Gottes als das einzige Heilmittel angenommen: "Nach Seinem eigenen Willen hat Er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt, auf dass wir eine gewisse Erstlingsfrucht Seiner Geschöpfe seien". (Jakobus 1,18 )
"Denn ich, Jehova, ich verändere mich nicht; und ihr, Kinder Jakobs, ihr werdet nicht vernichtet werden {O. vergehen}." Mag das menschliche Herz Gott zurückstoßen und Ihn verachten, Gott verändert sich nicht. Er gibt Jakob Verheißungen und wird sie, koste es was es wolle, halten, denn Er ist ein treuer Gott, und Er kann Seine ewige Güte nicht verleugnen. Aber Er ist auch ein gerechter Gott, der das Böse nicht dulden kann; es müssen also die Gottlosen verzehrt werden, und Seine Gnade allein hält das Schwert des Gerichts noch zurück. Ich will euch beweisen, sagt Jehova, euch, die ihr meinen Namen nicht fürchtet, und unter den Schlägen meines Zorns fallen werdet, dass ich meine Verheißungen nicht habe fahren lassen; der Beweis dafür ist, dass ich euch nicht verzehrt habe. Ich habe noch Geduld mit euch, damit ihr euch vom Bösen abwendet, denn meine Geduld ist Rettung. "Seit den Tagen eurer Väter seid ihr von meinen Satzungen abgewichen und habt sie nicht bewahrt." Ich habe Geduld, auf dass ihr dahin umkehrt; wollt ihr nicht auf mich hören? "Kehret um zu mir, so will ich zu euch umkehren, spricht Jehova der Heerscharen." Auf meiner Seite hat sich nichts geändert; was wollt ihr eurerseits tun?
Wir finden an dieser Stelle das erste Wort des Propheten Sacharja wieder: "Kehret zu mir um, und ich werde zu euch umkehren, spricht Jehova der Heerscharen" (Sacharja 1,3 ), aber es ist hier um so dringender und eindringlicher, da der Prophet Maleachi ihm das andere Wort hatte vorhergehen lassen: "Ich habe euch geliebt" (Kap 1,2), welches so geeignet war, das empörerische Herz Israels zu rühren. Bei diesem letzten Versuch, das verhärtete Gewissen des Menschen zu erreichen, wünschte Gott, bevor Er ihm seine Verantwortlichkeit vorstellte, ihn von dem zu überzeugen, was in Seinem Herzen für ihn war. "Also hat Gott die Welt geliebt"; das ist das Evangelium, und weit mehr als Sacharja kommt schon Maleachi, der letzte Prophet, ihm an einigen Punkten nahe.
Was antwortet das Volk auf diesen Ruf? "Und ihr sprecht: Worin sollen wir umkehren?" Bringen wir nicht Opfer dar? Beobachten wir nicht den Sabbat und die vorgeschriebenen Feste? Ist Jehova nicht sehr hart, wenn Er noch mehr von uns fordert? Worin haben wir gefehlt, dass Er uns eine Umkehr auferlegt? Es ist genau die Sprache des älteren Sohnes in der Geschichte vom verlorenen Sohn: Bist du es nicht, der gegen mich gefehlt hat, indem du mir nicht einmal ein Ziegenböcklein gegeben hast, damit ich mit meinen Freunden fröhlich wäre?
In der Tat, der Gedanke an Umkehr oder Bekehrung kommt in dem Herzen eines bloßen Bekenners nicht auf, zu welchem Haushalt er auch gehören möge. Worin, wird er heute sagen, habe ich nicht getan, was ich tun sollte? Bin ich nicht getauft worden? Habe ich nicht mein Taufgelübde bestätigt? Benehme ich mich etwa wie ein götzendienerischer Heide? Gehe ich nicht in die Kirche? Erfülle ich nicht meine religiösen Pflichten? Gebe ich keine Almosen?
Man behandelt Gott als seinesgleichen. Du sprichst vom Umkehren? Ich habe kein Bedürfnis dazu! Diese Gleichgültigkeit ist eine schwere Beleidigung Gottes. Das Herz des Bekenners bleibt trotz alles äußeren Anscheins gefühllos, ebenso sein Gewissen. Das jüdische Volk hat das bewiesen, als 420 Jahre später der Herr in Seinen Tempel kam. Mit denselben religiösen Charakterzügen, wie Maleachi sie beschreibt, werfen diese Menschen den Messias zu Tür hinaus und kreuzigen Ihn. Was würden sie heute tun?
"Darf ein Mensch Gott berauben, dass ihr mich beraubet? Und ihr sprechet: Worin haben wir dich beraubt? In dem Zehnten und in dem Hebopfer. Mit dem Fluche seid ihr verflucht, und doch beraubet ihr mich, ihr, die ganze Nation!" (V. 8 u. 9) Die Gewissenlosigkeit ist ein neuer Zug, der alle ohne Ausnahme kennzeichnet.
Dann stellt Gott sie auf die Probe, oder vielmehr Er fordert sie auf, Ihn zu prüfen. Bringet, sagt Er zu ihnen, die durch das Gesetz vorgeschriebenen Zehnten, damit Speise in meinem Haus sei, und prüfet mich dadurch. Ich verpflichte mich, wenn ihr meinem Wort gehorcht, euch die Fenster des Himmels aufzutun, Segnungen über euch auszugießen bis zum Übermaß, zu euren Gunsten den zu schelten, der eure Ernten verzehrt und vernichtet. (V 10 u. 11) So war es zur Zeit Nehemias geschehen. (Nehemia 13,10 - 14 ) Damals hatten die Vorsteher für den Augenblick gehört, und die Leviten, denen es an allem fehlte, hatten wieder Vertrauen gewonnen. Dieser Zustand war aber nicht von Dauer gewesen.
Man könnte sagen, dass es zur Zeit des Herrn damit anders bestellt war; denn die Pharisäer bezahlten den Zehnten vom Anis und vom Kümmel, indem sie noch über die Vorschriften des Gesetzes hinausgingen. Aber obwohl das so war, hatten sie doch "die wichtigeren Dinge des Gesetzes beiseite gelassen: das Gericht und die Barmherzigkeit und den Glauben"; diese hätten sie tun und jene nicht lassen sollen. (Mt. 23,23 ) Weiter hatten sie, indem sie genau ihre religiösen Pflichten erfüllten, nur den Zweck im Auge, die Blicke der Menschen auf sich zu lenken, ohne sich um Den zu kümmern, der den Zustand ihrer Herzen sah und beurteilte.
Hier zeigt das Volk keine Lust, die Probe zu machen, die Jehova ihm vorschlägt; es hat gar kein Vertrauen zu Gott. Ist es heute unter der Herrschaft der Gnade anders? Heben die Menschen gegenwärtige Vorteile auf im Blick auf zukünftige Segnungen? Sie würden fürchten arm zu werden, wenn sie ihre Almosen nach Gottes Gedanken gäben.
Geliebte christliche Freunde! Müssen wir nicht bekennen, dass wir diese Gefühle der Welt zuweilen teilen, wenn es sich darum handelt, freigebig für Gottes Diener zu spenden, wie jenes Volk damals für die Ernährung der Leviten zu sorgen hatte? Ich spreche hier nicht von Opfern, die wir glauben bringen zu müssen, um unsere Sache oder unsere Parteien zu unterstützen, sondern von unserer Freigebigkeit überall, wo wir Arbeiter des Herrn im Dienst Seines Hauses tätig finden. Geben wir in den Fällen, wo Gott allein davon Kenntnis nehmen kann, für Ihn alles, was wir geben sollten? Schon im Anfang der Geschichte der Kirche hat sich in dem Fall von Ananias und Saphira diese Wunde gezeigt. Ich denke jetzt nicht an die Tatsache, dass sie den Heiligen Geist belogen, was eine Sünde zum Tode war und das Gericht Gottes über sie brachte, sondern daran, dass sie durch das Verhehlen eines Teiles ihrer Habe ihren Mangel an Vertrauen auf einen Gott bewiesen, der ihnen hundertfältig erstattet hätte, was sie für Ihn und die Seinigen getan haben würden. Wie sehr sollten wir lernen, unbedingter auf diese Verheißung Gottes zu rechnen: "Ich werde euch die Fenster des Himmels auftun und euch Segen ausgießen bis zum Übermaß!"
Es ist wohl möglich, dass viele Prüfungen, von denen die Christen heimgesucht werden, in diesem Mangel an Vertrauen auf Gott ihre Quelle haben. "Der Fresser" wird nicht für uns gescholten, weil wir nicht verstanden haben, dass alles, was Gott uns gibt, Er uns für Seinen Dienst anvertraut. Lasst uns deshalb dieses Wort zuallererst auf uns anwenden, bevor wir andere richten. Gott allein kennt und wägt die Beweggründe unseres Handelns ab. Die arme Witwe gab zum Schatze des Tempels mehr als den Zehnten; sie opferte für das Haus Gottes ihren ganzen Lebensunterhalt. Die treuen Knechte, denen die Talente anvertraut wurden, verwerteten sie ganz und gar für ihren Herrn. Die ganze Frucht der Siege Davids kam dem Hause Jehovas zu gute, er behielt nichts für sich zurück.
Die Welt rühmt sich ihrer mildtätigen Bestrebungen, die, wie sie sagt, die Zusammengehörigkeit der menschlichen Familie beweisen. Lasst es uns Gott überlassen zu entscheiden, was in diesen Ausflüssen der Freigebigkeit für Ihn getan wird. Jeder andere Beweggrund hat keinen Wert in Seinen Augen, denn die Zehnten müssen zum Tempel Jehovas gebracht werden. Was uns Christen betrifft, so lasst uns Sorge tragen, uns einem Gott anzuvertrauen, der ein Belohner ist, und lasst uns freigebig für Ihn über das verfügen, was tatsächlich Ihm gehört. Wir werden sicher kein Verdienst dabei haben; aber lasst uns dennoch versichert sein, dass stets überreiche Segnungen die Hingebung unserer Herzen für Ihn begleiten werden: "Der Weinstock auf dem Felde wird euch nicht mehr fehltragen, und alle Nationen werden euch glücklich preisen, denn ihr werdet ein Land des Wohlgefallens sein, spricht Jehova der Heerscharen". (V. 11.12)
Der Unglaube des Volkes, seine Gleichgültigkeit, sein Mangel an Vertrauen zu Gott führen es zu einer letzten Behauptung, die weit schrecklicher ist als alle anderen; "Eure Worte sind trotzig gegen mich gewesen, spricht Jehova. Und ihr sprechet: Was haben wir miteinander wider dich beredet? Ihr sprechet: Vergeblich ist es, Gott zu dienen, und was für Gewinn, dass wir seiner Hut warteten, und dass wir in Trauer einhergingen vor Jehova der Heerscharen? Und so preisen wir nun die Übermütigen glücklich: nicht nur sind die Täter der Gesetzlosigkeit aufgebaut worden, sondern sie haben auch Gott versucht und sind entronnen." (V. 13 - 15) In einem Sinn war das Volk unter Nehemia in der Frage der Zehnten gehorsam gewesen (Nehemia 13,10 - 14 ), und doch waren sie noch arm und in Knechtschaft. Hier, anstatt in sich zu gehen, empören sie sich gegen Gott. So endigt die sittliche Geschichte Israels, ebenso wie die der Welt. Sie sieht, wie der Stolz Gelingen hat, wie die Gottlosen zu Reichtum und Ehre kommen, und sie beneidet nicht allein die Ungerechten (Psalm 73 ), sondern sie nimmt Anlass daraus, Gott zu leugnen und Ihn zu lästern.
Ehe wir zu einem neuen Gegenstand übergehen, wollen wir den sittlichen Zustand des Volkes und des Priestertums, der durch die verschiedenen in diesen Kapiteln enthaltenen Fragen gekennzeichnet wird, noch einmal kurz zusammenfassen. Dieser Fragen sind neun; sie bekunden eine strafbare Unkenntnis:
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Ein Wort von Lavater
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 214ff
Glaube nicht, das; du dich erkannt hast, wenn du nicht schon mehr Böses in dir entdeckt hast, als dein ärgster Feind und Verleumder laut wider dich sagen darf.
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Gleich
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 215ff
„Alle sind abgewichen, sie sind allesamt untauglich geworden; da ist keiner, der Gutes tue, da ist auch nicht einer“ (Röm. 3, 12).
So urteilt Gott über die ganze Menschheit, über Sittenlose und Sittenreine, über Gebildete und Ungebildete, über Ehrbare und Ehrlose. Alle, ohne Ausnahme, sind gleich verdammungswürdig. „Es ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes“ (Röm. 3, 23).
Als eines Tages die Juden kamen und dem Herrn Jesus von dem blutigen Strafgericht berichteten, welches einige Galiläer von dem römischen Landpfleger Pilatus erlitten hatten, benutzt der Herr diese Gelegenheit zu den ernsten Worten: „Meinet ihr, dass diese Galiläer vor allen Galiläern Sünder waren, weil sie solches erlitten haben? Nein, sage ich euch, sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen“. Und zur Bekräftigung dieser Lehre von der Gleichheit aller Menschen, als Sünder vor Gott, fügt Er hinzu: „Oder jene achtzehn, aus welche der Turm in Siloam fiel und sie tötete: meinet ihr, dass sie vor allen Menschen, die in Jerusalem wohnen, Schuldner waren? Nein, sage ich euch, sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle gleicherweise umkommen“ (Luk. 13,1 — 5).
Also alle Menschen sind vor Gott gleich sündig und alle gleich unfähig, ihre Schuld zu bezahlen, und werden gleicherweise, der eine wie der andere, umkommen d. h. verloren gehen, wenn sie nicht Buße tun und Vergebung ihrer Schuld erlangen. Das sagt der Sohn Gottes, der „bereit ist, Lebendige und Tote zu richten“ (1. Petr. 4, 5). In der Tatsache der Verschuldung vor einem Gott, »der zu rein von Augen ist, um Böses zu sehen“ (Hab. 1, 13), in dessen „Augen selbst die Himmel nicht rein sind“ (Hiob 15, 15), gibt es keinen Unterschied unter den Menschen.
Beim Sündenfall des ersten Menschenpaares gab es kein Abwägen, ob und inwieweit die Schuld Evas größer war, als die des von ihr verführten Adam. Wenn auch eine gewisse Abstufung zwischen den beiderseitigen Versündigungen war, wurden sie doch beide gleicherweise aus dem Paradiese vertrieben. Auch wir, selbst wenn der eine sich nur einer Gedankensünde schuldig gemacht-, und der andere in groben Sünden gelebt hätte, sind gleicherweise schuldig und unrein, und werden, wenn wir nicht Buße tun, gleicherweise umkommen. „Wer irgend das ganze Gesetz halten, aber in einem straucheln wird, ist aller Gebote schuldig geworden“ (Jak. 2, 10).
Da nun kein Unterschied ist und alle gesündigt haben, hat keiner das Recht, über die Sünden des Mitmenschen zu richten, oder sie gegen die seinigen vergleichsweise abzuwägen, und hat keiner die Befugnis, den Stein aufzuheben und ihn auf den anderen zu werfen. „Deshalb bist du nicht zu entschuldigen, o Mensch, der da richtet, denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst; denn du, der du richtest, tust dasselbe“ (Röm. 2, 1).
Du stehst mit deiner eigenen unbezahlbaren Schuld vor einem Rechenschaft fordernden Richter; mit der Schuld des anderen, mag sie größer oder kleiner als die deine sein, hast du nichts zu tun. Das ist allein Gottes Sache. So werden wir schon auf den ersten Seiten der Bibel belehrt.
Um den Menschen von der allgemeinen Verderbtheit zu überzeugen, um ihm zu zeigen, dass Gott allein das Recht hat, über die Sünde zu Gericht zu sitzen, ließ der Herr es nicht zu, dass der Brudermörder Kain von irgend einem Mitglied der menschlichen Familie angetastet wurde. „Jeder, der Kain erschlägt“, sagt Er, „siebenfältig soll es gerächt werden“ (1. Mose 4, 15). Später, als die Regierung Gottes auf der Erde den Menschen geoffenbart werden sollte, hieß es: „Wer Menschenblut vergießt, durch den Menschen soll sein Blut vergossen werden«. (1. Mose 9, 6.) Aber damals wie heute, wo es eine von Gott eingesetzte Regierung gibt, ist es nicht die Sünde als solche, welche diese zu strafen hat. Verbrechen und Vergehen gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit, wie auch das an dem Einzelnen begangene Unrecht, wird durch den Menschen gerichtet und gesühnt, nicht aber die Sünde selbst. Rache oder Strafe für die Sünde könnte nur ein Sündloser ausüben; ein Sündloser ist aber auf Erden nicht zu finden, denn ,,da ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt“.
Wohl gibt es einen Unterschied in dem äußeren Verhalten der einzelnen Menschen und in der Größe der Schulden. Das Wort berichtet von solchen, welche 50 Denare schulden, und von solchen, die 500 Denare schuldig sind (Luk. 7, 41). Das tut aber der Wahrheit, dass alle Menschen vor Gott gleicherweise schuldig sind, keinen Abbruch. Die Natur des Menschen ist gleicherweise verderbt, der eine ist nicht besser als der andere. „Wie könnte ein Reiner aus einem Unreinen kommen? Nicht ein Einziger“ (Hiob14, 4). Der Unterschied in der Höhe der Schulden liegt nicht in der je nachdem mehr oder minder verderbten Natur des Betreffenden, diese ist überall dieselbe, sondern ist größtenteils durch außer ihm liegende Umstände, durch Erziehung, Lebensumstände, Umgebung u. s. w., bedingt.
Darum ist es falsch, sich für besser zu halten, als irgend einen anderen Mitmenschen, zumal uns ja auch der richtige Maßstab für eine gerechte Beurteilung der verschiedenen Schulden fehlt. Auf der Wage des Heiligtums wird das Tun, das Verhalten der Menschen anders gewogen, als wir es tun können oder zu tun pflegen. Das natürliche Gewissen, das sittliche Gefühl, die Selbstgerechtigkeit, die gesellschaftlichen Regeln, das Urteil des Menschen -— alles das versieht uns vielfach mit falschen Maßen und Gewichten. Wir alle tragen sie wohl mehr mit uns herum, als wir uns bewusst sind. Nach menschlichen Gedanken z. B. sind die Handlungen der Zöllner und Huren viel schlechter, als der gefällige, vornehme, ehrbare, aber gottverachtende Lauf der Welt. Was sagt aber Jesus zu den hochmütigen, geldliebenden Pharisäern? „Was unter den Menschen hoch ist, ist ein Gräuel vor Gott“ (Luk. 16, 15).
Der Mensch schätzt mit Recht einen Mann hoch, der tapferen Herzens seine Pflichten erfüllt, das Gesetz hält und seiner Erkenntnis gemäß treu und gewissenhaft lebt; Gott aber schätzt den Menschen, der im Gefühl seiner Schwachheit sich an Ihn klammert, höher. Er will „blicken auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist, und der da zittert vor Seinem Wort“ (Jes. 66, 2). Dem menschlichen Gerechtigkeits- sinn will es nicht entsprechen, dass es den in Laster und Üppigkeit versunkenen Städten Tyrus und Sidon am Tage des Gerichts erträglicher ergehen soll, als den ehrenwerten Bewohnern von Chorazin und Bethsaida, oder dass das berüchtigte Sodomerland weniger gestraft werden soll, als das bis zum Himmel erhöhte Kapernaum (Matth. 11, 22. 24).
Was war es denn, das die Schuld Kapernaums Gott gegenüber derartig anwachsen ließ, dass sie selbst die der Stadt Sodom übertraf, deren ,,Geschrei groß und deren Sünde sehr schwer« gewesen war, wie Jehova in 1. Mose 18, 20 sagt?
Kapernaum hatte oft das Evangelium, die frohe Botschaft, aus dem Munde Jesu selbst gehört, war aufmerksam gemacht worden auf seine große Schuldenlast, und dass nur Buße und Vergebung sie ihm abnehmen könne. Aber seine Bewohner hatten die rettende Hand zurückgewiesen und die Schwere ihrer Schuld nicht anerkannt. Das hatte ihre Schuld derart in die Höhe getrieben, dass sie selbst die von Sodom, welche Stadt von der Gnadenbotschaft nichts wusste, weit übertraf.
Und so ist es noch heute. Die Schulden der in der Christenheit Geborenen sind weit höher, als die Schulden der Heiden; und selbst unter den christlichen Völkern ist die Verantwortlichkeit der Einzelnen je nach Umständen außerordentlich verschieden. Doch wie die Höhe der Schuld auch sei, alle haben gesündigt; alle bedürfen der gleichen Errettung und der gleichen Reinigung ihrer Sünden durch das kostbare Blut Jesu Christi. Da ist kein Unterschied. Aber, Gott sei Dank! „es ist auch kein Unterschied . . . denn derselbe Herr von allen ist reich für alle, die Ihn anrufen“ (Röm. 10, 12).
Er ist derselbe Herr von allen; Er ist gleicherweise reich für alle, für den Sünder mit vielen oder für den mit wenigen Sünden. Er ist reich für alle, die Ihn anrufen, die ihre Schuld anerkennen und sie mit der Bitte um Vergebung vor Gott bringen.
Das Heil hängt nicht davon ab, ob wir nicht zu viele Schulden auf uns geladen haben, oder davon, ob wir weniger haben als andere Menschen. Sicherlich wird der, dem viel vergeben wird, auch viel lieben; je tiefer die Erkenntnis über die vergebene Schuld, desto heißer der Dank. Aber damit haben wir es zunächst nicht zu tun. Wir alle find in· derselben Lage, sind alle Schuldner und werden, wenn wir nicht Buße tun, gleicherweise verloren gehen.
Der Herr schildert uns in einem Gleichnis, wie zwei vor Gott schuldige Sünder diesen Gott, reich für alle, anriefen. Der eine war ein ehrbarer, frommer und tugendhafter Pharisäer, und der andere ein schlechter, gottloser Zöllner. Wer sollte denken, dass sie vor Gott gleich verloren, gleich schuldig waren! Und doch stehen sie da, beide Söhne des gefallenen Adam, beide schuldige Sünder. Der eine ein verlorener Pharisäer, der andere ein verlorener Zöllner. Beide gleicherweise verloren, aber während der eine nur die Schuld des anderen sah und sich für schuldlos hielt, stöhnte der andere unter der furchtbaren Last eigener Schuld.“
Der Pharisäer betet bei sich selbst also: „O Gott, ich danke dir“. Beachte es: er betet bei sich selbst. Es zeigt sich gleich, wie sehr sein „Ich“ ihn erfüllt. Und wofür dankt er Gott? Dankt er Ihm für Sein Erbarmen und im Blick auf seine große Sünde, oder für die Gnade, die bereit ist, alle seine Schuld zu tilgen? Nein, er betet: „Ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen der Menschen: Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser ZölIner. Ich faste zweimal in der Woche, ich verzehnte alles, was ich erwerbe. „Immer ich — ich -— ich! Er redet nur von sich und seinem Tun, nicht von Gott und Gottes Tun. Er blickt mit Anmaßung auf die Schuld der anderen; er selbst hat ja keine. Seine Rechnung vor Gott ist durch Fasten und Zehnten ausgeglichen. Er betrachtet sich, nicht Gott, der Licht ist und offenbar macht, was der Mensch wirklich und nicht nur im Vergleich mit anderen ist.
Als Jesaja die göttliche Herrlichkeit schaute, sagte er nicht: „Ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen“, sondern: „Wehe mir, ich bin verloren, denn ich bin ein Mann von unreinen Lippen!“ (Jes. 6, 5). Das war ihm nicht durch den Vergleich mit anderen Menschen zum Bewusstsein gekommen, sondern weil —- wie er weiterhin sagt — seine Augen „den König, Jehova der Heerscharen“, gesehen hatten.
So erging es auch Hiob. Er ruft: „Nun hat mein Auge dich gesehen, darum verabscheue ich mich und bereue in Staub und Asche.
So war es bei Petrus, als er zu den Knien Jesu niederfiel und sprach: „Gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr!“ (Luk. 5, 8). Er sagte nicht: „Ich danke dir, dass ich dich mehr liebe, als die anderen Jünger“ ·— obwohl er das, bis er auf die Probe gestellt wurde, glauben mochte. Nein, kein Mensch denkt so, sobald er in die Gegenwart Gottes tritt und den Namen des Herrn in Wahrheit anruft.
Wir sehen es an dem Zöllner. Er steht von ferne. Er wusste, was er war. Es liegt ihm nicht daran, zu wissen, ob er besser oder schlechter als andere ist. Er nimmt den Platz des Schuldigen vor Gott ein- und steht von ferne. — „Ihr, die ihr einst ferne wart“, schreibt Paulus an die Epheser. (Eph. 2, 13.) Der Zöllner fühlt, dass er nicht das Recht hat, nahe zu kommen. Er wagt nicht einmal, die Augen gen Himmel aufzuheben, sondern „schlägt an seine Brust“, als wolle er sagen: Hier, tief in meiner Brust, da liegt die Quelle all meines Bösen, der Sitz meines Elends. Ja, er schlägt an seine Brust und ruft: „O Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig!“ Er tut noch mehr als der Blinde in demselben Kapitel (Luk. 18, 39), der mit den Worten: „Erbarme dich meiner!“ das Mitleid Jesu für sein körperliches Leiden anrief. Der Zöllner fleht nicht bloß Gott um Hilfe, um Rettung von zeitlichem Elend an, sondern sagt, indem er seinen Platz als Sünder einnimmt: „O Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig!“ Das hier für „gnädig sein“ gebrauchte griechische Wort enthält den Gedanken an Sühnung der Schuld. Der Zöllner ist demnach eingedenk der Gerechtigkeit Gottes, die ihn, den Schuldigen, strafen musste, und zugleich der Versöhnung, deren er bedurfte. . Gottes Gerechtigkeit und Versöhnung lässt sich für uns nicht anders finden, als wenn wir im Glauben an das Opfer von Golgatha bei Gott Zuflucht suchen.
Und der Zöllner fand Versöhnung und „ging gerechtfertigt hinab in sein Haus vor jenem“, d. h. dem Pharisäer wurde keine Rechtfertigung zu teil.
Bei beiden, bei dem Pharisäer wie bei dem Zöllner, war eine gleich untilgbare Schuld, beiden stand der gleiche Rettungsweg offen, und Gott war willig, beiden gleicherweise zu helfen, wenn sie nur ihre Schuld anerkennen und in Buße und Reue zu Seiner Gnade ihre Zuflucht nehmen würden.
So sind denn hinsichtlich des sündigen Zustandes vor einem heiligen Gott alle Menschen sich gleich, „es ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt . . .“, aber auch die errettende Gnade des Herrn ist gleich gegen alle; „es ist kein Unterschied, denn derselbe Herr von allen ist reich für alle, die Ihn anrufen“.
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Sterben ist Gewinn
Bibelstelle: Philipper 1, 21
Botschafter des Heils 1915 S. 223ff
Wo ist, o Tod, dein Stachel,
o Hades, wo dein Sieg,
seitdem am Stamm des Kreuzes
dess’ Mund erblassend schwieg,
der, nach dem schweren Kampfe
mit Satans finstrer Macht,
als Sieger triumphierend
ausrief: Es ist vollbracht!?
Wohl netzen heiße Tränen
die Wange — und das Herz
will brechen schier in herbem,
unsäglich tiefem Schmerz,
wenn Gott in Seiner Weisheit
ruft eins der deinen ab,
wenn du vielleicht das Liebste
still senkest in das Grab.
Doch ist es recht, zu klagen?
Ist’s Eigenliebe nicht,
wenn dann dein Mund, im Schmerze
verzagend, also spricht:
Warum, o Vater, nahmst du
mir doch das Liebste fort?
Seitdem ist mir die Erde
ein öder, leerer Ort?
O armes Herz, wie töricht
macht dich dein Leid und Harm!
Erheb’ den Blick nach oben,
wo in des Heilands Arm
du siehst, was du geliebet,
in ungetrübten: Glück —
Möcht’st du es wirklich wünschen
auf diese Erd’ zurück?
Ist’s nicht von allem Jammer
und aller Sünde fern?
Ausheimisch von dem Leibe,
einheimisch bei dem Herrn?
Nicht da, wo weder Trauer,
noch Klage wird gehört,
wo weder Pein noch Leiden
das Glück der Sel’gen stört?
Ist’s nicht bei Christo droben,
Ist ew’ger, sel’ger Ruh’?
Du sagst, du liebst’s so innig -—
und dennoch seufzest du?
Nicht länger darfst du klagen,
denn was du gabst dahin,
hat sicher nichts verloren,
nein: Sterben ist Gewinn!
Fußnote:
*) Auf Wunsch aus dem „Botschafter“, Jahrgang 1883, wieder abgedruckt.
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Ein Soldatenbrief
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 225ff
Sonntag, den 16. Mai 1915.
Liebe Schwester!
Nachdem ich durch meine Verwandten erfahren habe, dass der Herr Ihren lieben Gatten zu sich genommen hat, habe ich viel an Sie gedacht, die Sie in Ihren innigsten Gefühlen so schwer getroffen worden sind. Ich benutze einen ruhigen Augenblick, — denn der Marsch war heute frühzeitig beendet, — um Ihnen meine Teilnahme auszusprechen. Diese ist ja, angesichts der Tiefe Ihres Schmerzes, gewiss schwach, aber sie ist aufrichtig im Herrn. Zu einem Leibe vereinigt, leiden, wenn ein Glied leidet, alle Glieder mit. Aus diesem Grunde, wegen der Zuneigung, die uns in der Liebe Christi vereint, fühle auch ich ein wenig, wenn auch gewiss nicht genug, von dem Schmerz Ihres Herzens, das da blutet an der empfangenen tiefen Wunde. Ich habe die Tröstungen des Wortes gesucht, was mir wohlgetan hat, und jetzt möchte ich sie Ihnen mitteilen, denn Gott sagt: „Ermuntert einander mit diesen Worten!“ Ich maße mir nicht an, Sie trösten zu können. Das zu tun ist Sache unseres Gottes. Er wird es zu seiner Zeit selbst tun, und zwar in völliger Weise. Was mich betrifft, so möchte ich Sie nur von dem Balsam mit- genießen lassen, den mir einige Stellen dargereicht haben.
Welch ein Wechsel war es für Ihren teuren Gatten, fast plötzlich den Schauplatz dieser armen Erde zu verlassen und unmittelbar in die Gegenwart seines Herrn einzugehen, um fortan für immer bei seinem Heiland zu sein, der ihn geliebt und sich selbst für ihn hinge- geben hat! Diese herrliche Stunde wird auch für uns kommen. Auch wir werden bei Jesu sein. Dann wird eine ewige Freude unsere Herzen erfüllen. Eine Krone der Freude wird gleichsam auf unser aller Haupt gesetzt sein. (Vergl. Jes. 35, 10.) Es ist die vollkommene Ruhe, weil es die Ruhe ist, die unser Heiland selbst erworben hat. Keine Tränen gibt es mehr für uns in der himmlischen Heimat. Die, welche noch fließen, wird unser Gott selbst in unendlicher, zärtlicher Liebe trocknen. „Ich“, sagt Er, „werde euch trösten!“ (Jes. 66, 13; vergl. auch Offbg. 21, 4.) Welch ein friedlicher, glücklicher Aufenthalt wird es sein!
Nun, liebe Schwester, dort befindet sich der, welchem Ihre Liebe gehört. Er genießt schon jetzt diese Segnungen. Ein Mensch, der in den dritten Himmel entrückt wurde und dann wieder auf diese Erde zurückkehrte, hat dort unaussprechliche Worte gehört, welche der Mensch nicht sagen darf. Dort, in diesem Himmel, weilt Jesus, und dort, bei Ihm, weilt auch der, um welchen Sie weinen. Er genießt bereits diese unaussprechlichen Dinge; denn wenn der Herr den Schleier lüftet, der das Jenseits verhüllt, so sagt Er: „Jetzt wird er hier getröstet“ (Luk. 16, 25). Um getröstet zu werden, muss man das, was zur Mitteilung gelangt, fassen können. Deswegen urteilte der Apostel, dass es weit besser sei, abzuscheiden und bei Christo zu sein. Denn dort erst konnte er, ohne durch irgend etwas daran gehindert zu werden, das genießen, was dieser Ort an Köstlichem bietet, vor allem die Person des Herrn Jesus selbst. Es ist dies noch nicht die Herrlichkeit in ihrer vollen Entfaltung. Diese werden wir erst haben, wenn wir, angetan mit unseren geistlichen Leibern, gleichförmig Seinem Leibe der Herrlichkeit, zusammen bei Ihm sein werden. Dann erst wird die völlige, nie endende Tätigkeit aller Heiligen in Voll-kommenheit beginnen, wie geschrieben steht: „Seine Knechte werden Ihm dienen, und sie werden Sein Angesicht sehen; und Sein Name wird an ihren Stirnen sein«. (Offbg. 22, Z. 4.) Heute ist es also noch nicht die Herrlichkeit; aber die Ruhe, die stille und gesegnete Ruhe der Gegenwart unseres Heilandes findet der entschlafene Gläubige. Der Räuber wurde an demselben Tage dort eingeführt, als er diesen traurigen Schauplatz verließ. Ja, an jenem Tage ging er mit Jesu ins Paradies.
O es ist ein herrlicher Ort, dieses Paradies Gottes! Dort weilt man bei Ihm, der uns so geliebt hat. Er, der Sein geliebtes Schäflein noch weit inniger liebte als Sie und ich, - Er hat ja Sein Leben für dasselbe gelassen, — hat es zu sich genommen, dahin, wo Seine Liebe es haben wollte. Wenn wir also das Teil unseres lieben Heimgegangenen betrachten, können wir da nicht, geliebte Schwester, sagen, dass ihm eine große Segnung zu teil geworden ist? Welch ein Wechsel! Diese Erde mit ihrer Not, ihrem Elend und ihren Tränen zu verlassen, um bei Jesu zu sein, da, wo Gott „schweigt in Seiner Liebe“! (Zeph. 3, 17.) Gewiss, für nichts in der Welt würde er zurückzukehren wünschen; und wir, möchten wir ihn zurückrufen, wenn das in unserer Macht läge? Unter keinen Umständen, nicht wahr? Wir möchten ihn nicht wieder an diese Stätte der Trauer herabsteigen lassen, wo die Sünde wohnt, an die Stätte, welche wir selbst bald verlassen werden, vielleicht noch heute Abend oder morgen. Und sollte es selbst noch etwas währen, einmal wird diese Hoffnung sich unfehlbar erfüllen. „Wenn es verzieht, so harre sein; denn kommen wird es, es wird nicht ausbleiben“ (Hab. 2, 3). Deswegen strecken wir uns nach der Stunde aus, wo wir, oder wo Sie den, den Sielieben, wiederfinden werden, ja noch mehr, wo wir Jesum sehen werden. Dann wird es keine Trennung, keine Tränen mehr geben. So werden unsere Herzen gestärkt und getröstet.
Für den Augenblick, geliebte Schwester, ist es ja so, dass Sie Ihren lieben Gatten nicht mehr haben und den Weg allein fortsetzen müssen. Aber die Hoffnungslosigkeit des Todes ist für uns Christen gewichen. Nein, Ihr Mann ist nicht verloren, und wenn Sie mit den Augen des Glaubens zuschauen, dann sieht Ihr Herz ihn bei Jesu.
Welch eine Hoffnung haben wir doch! Wie ist sie dazu angetan, uns zu stützen und zu ermuntern, ja, uns zu erfreuen inmitten unserer Tränen! Denn wir sind nicht betrübt wie die, welche keine Hoffnung haben. Außerdem aber, geliebte Schwester, sind Sie nicht allein gelassen. Gott, der Gott, welchen Sie kennen, hat verheißen, Ihre Stütze zu sein. Er wird Sie nicht verlassen. „Verlasse deine Waisen, ich werde sie am Leben erhalten; und deine Witwen sollen auf mich vertrauen“, so hat der Herr einst gesagt (Jer. 49, 11). Er ist der Gott, der sich um Waisen und Witwen kümmert. (Vergl. Ps. 68, 5.) Er kennt Ihren Schmerz; Er forscht ihm nach. (Vergl. 2. Mose 3, 7.) Er kann allein die Wunde, die Ihrem Herzen geschlagen worden ist, verbinden und heilen, und Er wird es tun. (Ps. 147, 3.) Wenn Seine Wege uns auch oft unergründlich erscheinen, vergessen wir nicht, dass Er uns liebt, wie Er Seinen eigenen Sohn liebt (Joh. 17, 23). Von einer solchen Liebe geliebt, haben wir nichts zu befürchten. Mit einer Zärtlichkeit, deren nur das Herz unseres Vaters fähig ist, „zählt Er Ihr Umherirren; legt in Seinen Schlauch Ihre Tränen. Sind sie nicht in Seinem Buche?“ (Vergl. Ps. 56, 8). Nicht ein Seufzer löst sich aus Ihrem bedrückten Herzen, ohne dass Er Kenntnis davon nähme. Er wird auf alle Ihre Bedürfnisse antworten.
O geliebte Schwester, wenn Er uns einmal Seine Wege und Seine Gedanken betreffs unser völlig zu erkennen geben wird, dann werden wir Ihn nur preisen; denn es sind Gedanken des Friedens und der Segnung. Gegenwärtig können wir sie freilich nicht immer verstehen, aber sie dienen stets zu unserem Wohl. Auch ist Er voll Mitgefühl, wenn Er betrübt, und Seine Erbarmungen sind groß. Er ist der „Gott alles Trostes“, der „uns tröstet in all unserer Drangsal“ (2. Kor. 1, 3. 4). Auch ist der Herr Jesus bei uns, um uns Mut zu machen. Er redet zu uns mit Seiner Stimme der Liebe; Er kennt Seine Schäflein mit Namen. Er ruft uns zu, wie einst den Jüngern: „Seid gutes Mutes, ich bin’s; fürchtet euch nicht!“ (Matth. 14, 27). Diese Stimme macht unsere Herzen brennen inmitten unserer Tränen. Daniel erwiderte einst: „Du hast mich gestärkt“, nachdem der Herr ihm hatte sagenlassen: „Fürchte dich nicht, du vielgeliebter Mann! Friede dir! sei stark, ja, sei stark!“ (Dan. 10, 19). Sie sind auch Seine Vielgeliebte, Sein geliebtes Schäflein. Der treue, gute und starke Hirte hat Sie aus Seine Schultern gelegt. Er will Sie behutsam leiten, Sie weiden. Er will selbst die brennende Wunde Ihres Herzens verbinden. (Vergl. Hes. 34, 15. 16.) Welch ein Freund ist Er! Der 40. Psalm beginnt mit den Worten: „Beharrlich habe ich auf Jehova geharrt, und Er hat sich zu mir geneigt und mein Schreien gehört«. Sagen Sie mir, Sie, die Er Seine geliebte Schwester nennt, sehen Sie Ihn nicht, wie Er sich zu Ihnen neigt, um Sie zu stützen? Das ist es, was ich Ihnen wünsche und für Sie erbitte, indem ich Sie gleichsam vor den Herrn hinstelle und, wie einst die Schwestern von Bethanien, zu Ihm sage: „Herr, die, welche du lieb hast, ist krank, ihr Herz ist zermalmt; der Pflug der Trübsal hat tiefe Furchen gezogen! Hilf ihr, ja, hilf ihr!“ . . . Er wird es tun, das weiß ich.
Nicht als ob der Schmerz nicht empfunden würde. Das muss selbst so sein. Aber der Herr weiß, dass der Schmerz uns mit Traurigkeit erfüllt, und Er kommt, um mit uns zu weinen; und wir, wir können unsere Tränen in Sein Herz ergießen und Ihm unseren Schmerz klagen. An Seine Brust dürfen Sie Ihr müdes Haupt lehnen. O lassen Sie es nicht herabsinken von diesem Platze! Ich schließe, geliebte Schwester, mit der Gewissheit des Wiedersehens droben, wenn nicht hienieden. In jedem Fall also auf Wiedersehen! Empfangen Sie noch, mit dem Ausdruck meiner christlichen Teilnahme, meine herzlichen Grüße im Herrn.
Ihr Bruder in Ihm
Joel D.
Anmerkung. — Am 9. Juni, also 24 Tage, nachdem dieser Brief an eine Schwester geschrieben worden war, die ihren Mann im Kriege verloren hatte, ist Joel D» ein fünfundzwanzigjähriger französischer Bruder, durch einen Granatsplitter getroffen worden und zum Herrn gegangen. Mit einer Abteilung, die unter seinem Befehl stand, hatte er den Auftrag erhalten, einen durch Explosionen verschütteten Graben freizumachen. Eben war die Arbeit beendet, als eine schwere Granate in seiner Nähe einschlug und platzte. Schwer verwundet, gab er schon nach zehn Minuten seinen Geist auf.
Sein Vorgesetzter, ein unbekehrter Mann, schrieb anlässlich seines Todes: „Als Soldat war er der beste Unteroffizier meiner Abteilung. Man konnte an den gefährlichsten Stellen auf ihn rechnen. Als Mensch hatte er eine vornehme Gesinnung, was ihn bei allen beliebt machte. Am 10. Juni haben wir ihn aus dem Soldatenfriedhof zu Viile -sur-Tourbe beerdigt. Ein Kreuz, das seinen· Namen trägt, bezeichnet die Stelle, wo einer unserer besten Soldaten ruht.“
Ein Verwandter von ihm, dessen Herz dem Evangelium zugänglich ist, schreibt: „Der liebe Joel ist befreit von allen Schwierigkeiten dieser Erde. Nach harten Prüfungstagen ist er an der Stätte des Glücks und des Friedens angelangt, — eine Belohnung, die weit über allem steht, was man hienieden erwarten kann, wo es nur gekünstelte Vergnügungen mit bitterem Nachgeschmack gibt für die, welche den Weg des Lebens nicht kennen.“
Ein junger Bruder, einer seiner Kameraden, der den armen, verstümmelten Leib des Heimgegangenen zwei Stunden nach seinem Tode sah, war ganz ergriffen von der außergewöhnlichen Ruhe, die auf seinen Gesichtszügen lag. In einer Tasche des Toten fand dieser Bruder folgenden Vers, der auf ein Stück Pappdeckel geklebt war:
„Die Haut seines Angesichts strahlte, weil er mit Ihm geredet hatte“ (2. Mose 34, 29). Überführt, doch voll Vertrauen.
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Überführt doch voll Vertrauen
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 232ff
Es ist ein kurzer Satz, der die Überschrift dieser Zeilen bildet, aber er ist tief bedeutungsvolI. Ich las die Worte irgendwo, und ich dachte: So sollte der Wahlspruch aller Gläubigen lauten! Sie beschreiben einfach und klar unseren Zustand, verherrlichen Gott und erhalten uns demütig. Sie entsprechen auch der Erfahrung des Glaubens. Lasst sie uns darum auf unsere Sinne schreiben und sie gleichsam als unser Bekenntnis betrachten: Überführt, doch voll Vertrauen! Die Paläste und Schlösser dieser Erde tragen vielfach Denk- und Wahlsprüche, Erinnerungszeichen zur Unterscheidung der einzelnen Familien oder Besitze. Unser Satz könnte wohl den Familienwahlspruch der Gläubigen bilden, nicht um den einen von dem anderen zu unterscheiden, sondern um sie alle, einzeln und insgesamt, zu unterscheiden von einer Welt, die ihren eigenen Charakter zu bewahren und die gute Meinung von sich zu behalten sucht, da sie das Geheimnis des Vertrauens auf Jesum nicht kennt.
Dieses Vertrauen, das Vertrauen eines Sünders auf einen Heiland, will Gott in uns hervorbringen zur Verherrlichung — Seines großen Namens in einer aufrührerischen Welt. Nachdem Er den Menschen unter dem Gesetz völlig ans Licht gestellt hat, sagt Er im Evangelium gleichsam zu ihm: ,,Nachdem es sich herausgestellt hat, dass ich dir nicht vertrauen kann, musst du jetzt mir vertrauen“.
Gott macht Anspruch auf unser Vertrauen, und Er hat sich in Gnaden ein Recht darauf erworben! Er hat den Tod Christi Sündern zu gut angenommen. Er ist jetzt gerecht, wenn Er vergibt, um des Werkes Christi und um der Herrlichkeit der Person Dessen willen, der jenes Werk vollbracht hat. Es ist nicht Barmherzigkeit, die dem glaubenden Sünder Vergebung schenkt, nein, es ist Gerechtigkeit. Die Gnade hat freilich den Weg gebahnt und den Sohn gegeben. Das ist ohne Frage unergründliche, unschätzbare Barmherzigkeit. Aber die Gerechtigkeit hat den Sohn angenommen, sowie das, was der Sohn für Sünder getan und vollbracht hat. Wir stützen uns und unsere Hoffnungen auf Tatsachen, nicht auf lichte Augenblicke in unserer Gefühlswelt, oder auf Verheißungen, oder auf gnädige Hilfen Gottes. Solche Hilfen würden nicht genügen für Menschen, die bereits unter dem Verdammungsurteil stehen, noch würden Verheißungen die Ansprüche Gottes an uns befriedigen. Nein, auf Tatsachen, auf Geschehnisse, die gleichsam zwischen Gott und Seinem Christus in Bezug auf uns durchberaten und dann ausgeführt und angenommen worden sind, stützen wir uns. Sie sind der sichere und unerschütterliche Anker der Seele.
Überführt, doch voll Vertrauen! fürwahr ein passender Wahlspruch für die Familie gläubiger, erlöster Sünder!
Wir müssen überführt werden, anders können wir uns nicht kennen lernen; und wir müssen vertrauen, anders« können wir Gott nicht kennen lernen. Dabei mag es natürlich geschehen, dass das Vertrauen in einigen Seelen fester und vollkommener ist als in anderen, auch mag die Überführung verschieden tief sein. Wir finden viele Beispiele dafür in der Schrift, und die Erfahrung bestätigt es täglich. Aber obwohl das so sein mag, jedenfalls hat Gott in der frohen Botschaft von dem Blute Jesu ein Anrecht auf unser völliges Vertrauen erworben, und Er fordert es von uns; andererseits müssen wir uns von unserem sündhaften Zustand überführen lassen. Geschieht das, so kann und wird der glaubende Sünder gern unser Wort als seinen Wahlspruch annehmen: überführt, doch voll Vertrauen.
Adam lernte die Kostbarkeit dieses Wortes kennen, sobald er sein Versteck verließ und seinen Leib der Bekleidung mit dem Felle „unterwarf“, das Gottes eigene Hand für Ihn bereitet hatte. Und so machen auch wir alle die gleiche Erfahrung, wenn wir uns durch Glauben „der Gerechtigkeit Gottes unterwerfen“. (Vergl. Röm. 10, 3).
Dasselbe finden wir in dem Glauben der Patriarchen. Er nahm Kenntnis von dem Zustande des Todes in dem Menschen, aber auch von Gott als Dem, der die Toten lebendig macht.
Auch Israel lernte diesen Zustand kennen, als es auf göttliche Verordnung hin das Blut an die Oberschwelle strich, welches es vor dem Tode beschützen sollte, der weit und breit im Lande umherging.
Auch in den Verordnungen des Gesetzes, seinen Waschungen und Opfern, sehen wir eine beständige Wiederholung dieser Dinge. Sie brachten die Tatsache zur Darstellung, dass wir uns selbst völlig zugrunde gerichtet haben, aber dass wir in Gott und Seiner Fürsorge unsere Rettung besitzen.
Ferner lehrten alle Propheten dieselben Dinge. Jesaja, Hesekiel und Daniel lernten sie erfahrungsgemäß, ja, Jesaja machte, möchte ich sagen, ihre ganze Geschichte durch.
Heute ist es das Kennzeichen des Evangeliums, diese Tatsache öffentlich kund zu machen und Sünder einzuladen, im Glauben diesen Platz einzunehmen und unseren Wahlspruch zu dem ihrigen zu machen, zum Ausdruck dessen, was ihnen sagt, was sie sind: ,,Überführt, doch voll Vertrauen«. In den erretteten Seelen des Neuen Testaments, in einem Petrus und Paulus, in der Samariterin, den Dreitaufend, dem Kerkermeister, in Nathanael und den übrigen allen kommt die gleiche Sache zur Darstellung. Und jeder von uns, bis zum heutigen Tage und bis der letzte Sünder errettet sein wird, erlebt die nämliche Geschichte in der Erfahrung seiner Seele.
Kostbar ist diese Gleichförmigkeit, dieses gemeinsame Licht und Verständnis, dieses Einssein in der Natur, die wir alle in Christo empfangen haben.
Doch ich möchte noch einen Fall hervorheben, der treffender als alle anderen unseren Wahlspruch erläutert, und das ist David, wie er uns in 2. Sam. 23 entgegentritt.
David hatte sein Gewissen mit Dingen belastet, die, man darf es wohl sagen, unter allem standen, was ein Heiliger Gottes je getan hatte. Die Farbe seiner Sünde war in der Tat dunkelrot. Wir brauchen hier« nicht in Einzelheiten einzugehen. Aber tief war auch das Bewusstsein von seiner Schuld. Viele seiner Psalmen beweisen das; ebenso seine Geschichte, wie sie uns in den vorhergehenden Kapiteln mitgeteilt wird. Und hier, aus »seinen letzten Worten«, wie er selbst diese seine Äußerungen nennt, können wir das Gleiche herauslesen. David war ein völlig überführter Mann. Er erkennt an, dass sein Haus nicht bei Gott war, wie es hätte sein sollen; und das war die Frucht seiner Sünde. Er hatte selbst ein Schwert in ·seine Geschichte eingeführt, das nicht wieder in die Scheide gesteckt werden« konnte, bis er jenes Haus einem anderen übergeben hatte. Aber obwohl er also überführt ist, obwohl er in solcher Weise die Gerichte beurteilt, die über ihn gekommen waren, hat er doch völliges Vertrauen, und er gibt diesem Vertrauen in seinen „letzten Worten“ in herrlicher Sprache Ausdruck. Er redet von einer zukünftigen, ewigen Segnung, vollkommen in ihrem Charakter, sowie von dem klaren und unerschütterlichen Anrecht, welches er aus sie hatte. Sie war, wie er sagt, „geordnet in allem und verwahrt“.
Auch kann er von dem Gericht der „Söhne Belials“ sprechen. Das ist geradezu auffallend. Zur Zeit seiner Sünde war ihm dieser Name gegeben worden. „Hinweg, du Mann des Blutes und Mann Belials!“ hatte Simei ihm zugerufen. Damals hatte er Simei nicht antworten wollen. Lieber bekannte er, dass Gott diesem Menschen den Auftrag gegeben hatte, ihn so schrecklich zu beschuldigen. Die Söhne Belials hätten deshalb wohl behaupten können, David sei so schlecht wie einer von ihnen. Aber trotzdem solch schreckliche Dinge vorgekommen waren, fürchtete er sich doch nicht. Auch zögerte er keinen Augenblick, das Gericht der Söhne Belials anzukündigen, im Vertrauen daraus, dass Gott in dem Reichtum Seiner Gnade ihn von denselben abgesondert hatte, wiewohl jene ihn hätten überführen können.
In ähnlicher Weise konnte Petrus später den Juden gegenübertreten und sie offen als Menschen bezeichnen, die den Herrn, den Heiligen und Gerechten, verleugnet hätten, obwohl er selbst Ihn buchstäblich und öffentlich verleugnet hatte. So konnte auch Paulus sein Volk derselben Dinge beschuldigen, die seine eigene Schuld ausgemacht hatten (Vergl. 1. Thess. 2, 15).
Die Worte in 2. Sam. 23 sind also die wunderbaren Äußerungen eines Mannes, der überführt war und dennoch Gott vertraute. Ich möchte sie eine Stimme ans dem Reiche der Wiederhergestellten nennen. David war damals nicht bloß ein Sünder, der aus den Trümmern, die er selbst geschaffen hatte, zu dem Gott der Rettung aufschaute. Er war ein wiederhergestellter Gefallener, der aus der ernsten Lage, in die er sich gebracht hatte, und aus welcher er sich Zeit seines Lebens nicht wieder zu befreien vermochte, aus Ihn blickte, der sein war in einer ewigen, unlöslichen Verbindung. Diese Tatsache verleiht seinen Worten ein ganz besonderes Gepräge. Es ist, wie gesagt, eine Stimme aus dem Reiche der Wiederhergestellten.
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Der Prophet Maleachi
Bibelstelle: Maleachi 3, 16 -18
Botschafter des Heils in Christo 1915, S. 238ff
Kapitel 3,16 - 18
Im ersten Teil dieses Kapitels haben wir gesehen, dass inmitten des traurigen sittlichen Zustands des aus der Gefangenschaft zurückgekehrten Volkes Gott Sorge trägt, sich einen Überrest, die Kinder Levis, zu bilden, welche sich den wahren Diener Jehovas zum Muster nehmen. (Kap. 3,3; 2,5.6) Dieser Überrest sollte durch die Prüfung geläutert werden, wie der Schmelzer das Silber läutert, damit er den Messias, den Retter Israels, bei Seinem Kommen aufnehme. Von diesem Überrest will der Geist Gottes jetzt zu uns reden. Glückliches und tröstendes Schauspiel inmitten so vieler Trümmer!
"Da unterredeten sich miteinander, die Jehova fürchten." Sie werden durch "die Furcht Jehovas" gekennzeichnet, im Gegensatz zu der Masse des Volkes, von welcher in V. 5 gesagt wird: "sie fürchten mich nicht". Diese Furcht kennzeichnete den treuen Überrest zur Zeit des ersten Kommens des Herrn, sie ist das Teil der Zeugen Christi in der jetzigen Zeit, und sie wird auch bei dem Überrest Judas in den letzten Tagen gefunden werden. Viele predigen der Welt Hingebung für Christus und Weihung an Gott als den ersten Schritt auf dem Weg des christlichen Lebens. Diese, übrigens aufrichtigen Menschen täuschen sich; damit muss man nicht beginnen. Überdies fordert man auf diese Art und Weise die Menschen auf, einen Weg zu betreten, der "einen Schein von Weisheit hat, in eigenwilligem Gottesdienst und in Niedriggesinntheit", der aber im Grunde nur "die Befriedigung des Fleisches" bezweckt. (Kolosser 2,23 ) Eine derartige Belehrung vergisst, dass der Weisheit Anfang die Furcht Gottes ist. Wir haben uns über diesen Gegenstand schon verbreitet; doch möchten wir die Tatsache noch einmal betonen, dass die Furcht Gottes bei dem Menschen an der Autorität erkannt wird, die das Wort über sein Gewissen hat. Wir können Gott nicht wohl gefallen, ohne Seinem Wort zu gehorchen. Aber noch niemals hat ein religiöses Bekenntnis praktisch diesen Grundsatz zugelassen, in unseren Tagen noch weniger als früher. Die gegenwärtigen religiösen Systeme geben zu, dass das Wort Gottes sie insoweit verpflichte, wie es ihren Einrichtungen nicht widerspricht, aber das dem Herrn ergebene Herz weiß, dass Gott auf den blickt, "der da zittert vor Seinem Wort." (Jesaja 66,2 )
"Da unterredeten sich miteinander, die Jehova fürchten, und Jehova merkte auf und hörte; und ein Gedenkbuch ward vor ihm geschrieben für die, welche Jehova fürchten und welche seinen Namen achten. Und sie werden mir, spricht Jehova der Heerscharen, zum Eigentum {O. viell. Sondereigentum} sein an dem Tage, den ich machen werde; und ich werde ihrer schonen, wie ein Mann seines Sohnes schont, der ihm dient." (V. 16.17)
Zwei Dinge kennzeichnen hier den Überrest: er fürchtet Jehova, und er gehört zu "denen, welche Seinen Namen achten", oder, wie andere übersetzen: "die Seines Namens gedenken". Man gedenkt des Namens einer Person in ihrer Abwesenheit. Das war die Stellung des Überrestes Israels vor dem ersten Kommen des Messias; es ist auch die unsrige, die wir Sein zweites Kommen erwarten. Unser Glaube zeigt sich gerade darin, dass er an der abwesenden Person Christi haftet; sobald wir Ihn sehen werden, ist der Glaube nicht mehr nötig. Wenn man, wie wir, von Gegenständen umgeben ist, die das Sehen erfordern, ist es etwas Großes und Schweres, die unsichtbaren Dinge zu verwirklichen und die Blicke des Glaubens auf sie zu richten. Der unsichtbare Christus muss für unsere Seele mit solcher Macht wirklich werden, dass Ihm gegenüber alles, was uns umgibt, seine Wirklichkeit verliert. Dazu ist der Glaube unentbehrlich. Lasst uns den Glauben als ein Auge der Seele benutzen, um Ihn nahe zu sehen und bei uns zu fühlen. Wir wissen, dass, wie groß unsere Schwachheit auch sein mag, wir sie verwirklichen, und doch sollten wir sie ebenso gut fühlen wie ihr Vorhandensein wissen. Wissen, dass Er bei uns ist, ist die Quelle unserer Sicherheit, während wir die Wüste durchschreiten: "ich fürchte nichts Übles"; aber Seine Nähe fühlen ist etwas anderes und wird in die Worte zusammengefasst: "Dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich". Ja, Seine Gegenwart fühlen, das erfüllt unsere Seele mit Freude und Trost. Wenn wir Ursache haben, uns zu demütigen bei dem Gedanken an die geringe Gemeinschaft, die wir in unserem christlichen Leben beweisen, so lasst uns dessen eingedenk sein, dass Gott uns zugleich mit dem Glauben zwei Mittel gegeben hat, um in den unsichtbaren Wirklichkeiten zu leben und die Hindernisse, welche sich dem entgegenstellen wollen, zu überwinden. Diese beiden Mittel sind das Wort und das Gebet: das Wort, welches uns Christus offenbart, das Gebet, ohne welches wir weder in Gemeinschaft mit Ihm sein noch Seine Gegenwart genießen können. Durch die Anwendung dieser beiden Mittel wachsen wir täglich in Seiner Kenntnis während der Zeit, die uns noch von der Herrlichkeit trennt, wo wir Ihn sehen werden, wie Er ist.
Inzwischen ermuntert Er uns, Er, der unsere Schwierigkeiten und unsere Schwachheit so gut kennt. Er sagt uns: du hast eine kleine Kraft, aber gerade das treibt dich an, dich an mein Wort und an meinen Namen zu klammern. Halte fest was du hast! Nichts anderes fordere ich von dir. Denke auch daran, dass alle deine schwachen Gedanken, die sich auf mich beziehen, in mein Buch eingeschrieben sind und nie vergessen werden.
Lasst uns jetzt sehen, was diejenigen, die Jehova fürchten tun. "Sie unterreden sich" Es ist das Kommen Christi, des Messias, des durch den Propheten angekündigten Herrn, das sie beschäftigt; denn wir müssen uns daran erinnern, dass, wenn Maleachi von Christus redet, er hauptsächlich Sein Kommen vorstellt: "der Herr, den ihr suchet, wird plötzlich zu Seinem Tempel kommen". "Siehe, Er kommt"; "wer kann den Tag Seines Kommens ertragen?" (Kap 3,1 u. 2) Auch die Stelle, die wir gerade betrachten, redet davon; das 4. Kapitel gar ist voll davon. "Er kommt", ist das letzte Wort des Alten Testaments, "ich komme bald", das letzte Wort des Neuen. In unserer Stelle erwarten die, welche Jehova fürchten, Sein Kommen in Gnade; der 1. Vers unseres Kapitels stellt uns Sein Kommen in Herrlichkeit vor; Kapitel 4 endlich Sein Kommen in Gericht, welches stattfinden wird, wenn Er, der in Gnade Gekommene, verworfen ist. Der Prophet übergeht natürlich mit Stillschweigen Sein zweites Kommen, um Seine verwandelten oder auferweckten Heiligen zu sich zu versammeln, als ein Im Alten Testament völlig unbekanntes "Geheimnis".
Die beiden ersten Kapitel von Lukas schildern uns mit kostbarer Frische das Verhalten derer, die Jehova fürchteten in dem Augenblick, als der Herr auf dem Schauplatz erschien oder im Begriff war zu erscheinen. Maria und Elisabeth reden miteinander darüber. Zacharias spricht davon zu allen seinen Nachbarn. Die durch die Engel unterwiesenen Hirten sprechen miteinander von dem Ereignis, das soeben geschehen war. Simeon spricht darüber zu den Eltern, die das Kindlein Jesus in den Tempel bringen. Anna, die Prophetin, redet davon zu allen, die in Jerusalem auf Erlösung warteten. Ebenso reden in Johannes 1,40 - 46 die Jünger Andreas, Petrus und Nathanael miteinander von dem Messias, der sich ihnen soeben offenbart hatte. Welch ein großer Gegenstand der Freude für alle diese Gläubigen: der Heiland wird kommen, der Heiland kommt, der Heiland ist da!
Und wir Christen, die Jehova fürchten und Seinen Namen achten, sollten wir nicht, wenn wir uns begegnen, gleichfalls beflissen sein, miteinander über diese Dinge zu reden? Ist es unsere Glückseligkeit uns von Seinem zweiten Kommen zu unterhalten, wie einst die Hirten von dem ersten miteinander redeten? Der Feind sucht auf tausenderlei Weise diese Unterredungen der Kinder Gottes zu verhindern. Möchten wir uns nicht den Mund verschließen lassen! Alles, was in der Welt geschieht, leitet unsere Herzen auf diesen Gedanken hin. Seine Verheißung wird sich bald erfüllen, der Mitternachtsruf ist erschollen: Er kommt, Er steht vor der Tür!
Vielleicht wird Er noch etwas zögern. Lasst uns denn inzwischen miteinander von diesen Dingen reden; denn wie es auch sei, Sein Kommen ist nahe. Um Ihn zu erwarten, bedürfen wir nicht einer gewaltsamen Aufraffung. Das Geheimnis dieser Erwartung liegt in dem Glauben an das erste Wort unseres Propheten; "Ich habe euch geliebt". Wenn wir Seine Liebe schätzen, so werden unsere von Ihm erfüllten Herzen Ihn erwarten und notwendigerweise in unseren Unterhaltungen davon überströmen.
"Und Jehova merkte auf." Das ist ein sehr schöner Gedanke für das Herz derer, die sich von Ihm und von Seiner nahen Ankunft unterreden. Obgleich unsichtbar, ist Er bei denen gegenwärtig, die von Ihm reden, und gibt acht auf ihrer Unterredungen, die bestimmt Sein Ohr erreichen. Er hört zu, selbst wenn diese Unterredungen, wie bei den Jüngern von Emmaus, mit viel Unkenntnis vermischt sind. Diese beiden Männer hatten ihren Heiland verloren und erwarteten Ihn nicht mehr, aber sie "gedachten Seines Namens", obgleich sie von Traurigkeit erfüllt waren. Sie wussten nicht, dass Er auferstanden war, aber sie unterhielten sich von Ihm ... und siehe, da wandelt der Herr mit ihnen und offenbart Sein völliges Interesse an diesen Armen in Israel, die Den verloren hatten, von welchem sie sagen konnten: Wie lieb hat Er uns gehabt! Dann öffnet Er ihnen die Schriften, und ihre Herzen beginnen zu brennen. Und als Er sich ihnen offenbart hat, haben sie nichts Eiligeres zu tun, als zu ihren Brüdern zu laufen, um ihnen die gute Nachricht zu bringen. Während sie noch miteinander reden, erscheint Jesus selbst in ihrer Mitte und öffnet ihnen das Verständnis, um die Schriften zu verstehen. Dann steigt Er mit ausgebreiteten Segenshänden in den Himmel hinauf, und sie kehren voller Freude nach Jerusalem zurück, um miteinander von Ihm und Seiner nahen Ankunft zu reden.
"Und ein Gedenkbuch ward vor Ihm geschrieben für die, welche Jehova fürchten und welche Seinen Namen achten." In dieses Buch werden alle Reden gottesfürchtiger Seelen eingetragen, die Seine Autorität anerkennen, Seiner während Seiner Abwesenheit gedenken und, wie Philadelphia, Seinen Namen nicht verleugnen. Dieses "Gedenkbuch" wird "vor Ihm" geschrieben, denn Er legt Wert auf alles, was diejenigen ausgesprochen haben, welche Ihn lieben; nicht ein einziges Wort wird fehlen. Auch ihre Namen sind in dieses Buch eingezeichnet, das Er selbst mit eifersüchtiger Sorgfalt behütet. Man weiß, was ein Gedenkbuch ist, das in den Familien vererbt wird; man sieht Greise mit rührender Sorgfalt das Buch der Erinnerungen hüten, worin mit Tag und Datum die Namen und Gedanken derer eingetragen sind, die sie in ihrer Jugend geliebt haben. Und nun sich sagen dürfen, dass der Herr selbst ein ähnliches Buch besitzt und es ewiglich aufbewahren wird! Haben wir während der so kurzen Zeit unseres Wandelns hienieden Seinen Namen nicht verleugnet und das Wort Seines Kommens bewahrt, so wird das nie vergessen werden, und das Gedenkbuch des Herrn wird in dem Himmel beständig vor Ihm geöffnet bleiben.
"Und sie werden mir, spricht Jehova der Heerscharen, zum Eigentum sein an dem Tag, den ich machen werde; und ich werde ihrer schonen, wie ein Mann seines Sohnes schont, der ihm dient." (V 17)
Der Herr spricht in den letzten Versen von Maleachi zweimal von "dem Tag, der Er machen wird". (siehe Kap. 4,3) Psalm 118,24 gibt uns Aufschluss über die Tragweite dieses Ausdrucks. "Dies ist der Tag, den Jehova gemacht hat", heißt es da – ein wunderbarer Tag, an welchem Christus, der Stein, den die Bauleute verworfen haben, zum Eckstein geworden ist. In diesem Psalm wird die Darstellung des Herrn in Herrlichkeit vor Seinem Volk im Voraus gefeiert. Allerdings wird in den Propheten beständig das Gericht als der Tag Jehovas, der Tag des Herrn, vorgestellt. Maleachi selbst spricht davon (Kap 4,1) als von einem Tag, der kommt, brennend wie ein Ofen, aber nie wird dieser Tag des Gerichts der Tag genannt, den Jehova machen wird. Was der Herr einführt und errichtet ist nicht das Gericht, sondern Heil, Gerechtigkeit, Friede, Freude, Herrlichkeit. An dem Tag, den Er machen wird, wird Gott Seinen geliebten Sohn der Welt darstellen als den Melchisedek, den Träger all Seiner Gnadenerweisungen.
An dem Tag, spricht Jehova, "werden sie mir zum Eigentum sein". Dann wird Er die Treuen als die Seinen beanspruchen, die keinem anderen gehören. Die Schätze des ganzen Weltalls gehören Ihm, und Er wird in Seiner tausendjährigen Regierung offenbart werden als der Besitzer all dieser Dinge, aber Er wird auch ein besonderes Eigentum besitzen, welches der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, einen Schatz, der Ihm allein gehört, zu dem Er allein den Schlüssel hat., dessen Er allein sich erfreuen wird. Wie der persönliche Schatz der orientalischen Herrscher, in welchem sich ihre kostbarsten Kleinodien befinden, wird der Schatz Jehovas aus denen bestehen, die Ihn als den "Aufgang aus der Höhe" erwarteten – aus denen auch, welche Ihn heute erwarten als den glänzenden Morgenstern. Am Tag Seiner Herrlichkeit werden die Armen des Volkes, gleich den schwachen Zeugen von heute, die aber treu sind inmitten des Verfalls, Ihm teuer sein unter allen Seinen Schätzen.
Diejenigen, welche diesen besonderen Schatz bilden, haben das Wort Seines Ausharrens bewahrt und Seinen Namen nicht verleugnet, (Offenbarung 3 ) Die Synagoge Satans kann diese Treuen nicht anerkennen, aber Er kennt sie, und die sie einst verachteten, werden eines Tages erkennen, dass der Herr sie geliebt hat.
"Und ich werde ihrer schonen, wie ein Mann seines Sohnes schont, der ihm dient." Gesegnetes Band, welches hier fast an das christliche Verständnis heranreicht! Der Prophet spricht nicht mehr wie vorher von den Beziehungen eines treuen Sklaven zu seinem Herrn, sondern von denen eines Dieners, dessen Tätigkeit einer kindlichen Zuneigung entspringt. In der zukünftigen Zeit der tausendjährigen Herrlichkeit wird von denselben Treuen gesagt: "Und Seine Knechte werden Ihm dienen, und sie werden Sein Angesicht sehen, und Sein Name wird an ihren Stirnen sein". (Offenbarung 22,3.4 )
"Und ihr werdet wiederum den Unterschied sehen zwischen dem Gerechten und dem Gesetzlosen, zwischen dem, der Gott dient, und dem, der ihm nicht dient." (V 18) Dieses "ihr" richtet sich, wie bereits bemerkt, nicht an die aus dem Volk, welche die "Übermütigen" und die "Täter der Gesetzlosigkeit" glücklich priesen (V 15), und welche Gott verleugneten, als sie unter Seiner Züchtigung standen. Sie werden an dem Tage Aufklärung empfangen, da sie den Überrest "verschont" sehen werden, während die Übermütigen, deren Los sie beneidet hatten, Gegenstände des Gerichts sind, welches das aufrührerische Volk treffen wird. Das Zeugnis, welches Jehova denen geben wird, die Ihn gefürchtet und auf Sein Kommen gewartet haben, wird einen Teil dieses aufrührerischen Volkes zwingen, die Heiligkeit des Gottes anzuerkennen, den sie verleugnet hatten. Sie werden endlich wieder den Unterschied machen lernen zwischen den Knechten Gottes und den Bösen.
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Der Weg Gottes
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 248ff
Der 77. Psalm enthält zwei bemerkenswerte Stellen über den ,,Weg« Gottes. Im 13. Verse heißt es: „Dein Weg ist im Heiligtum“, und im 19. Verse: „Im Meere ist dein Weg“.
Der Unterschied zwischen diesen beiden Stellen ist augenscheinlich. Beschäftigen wir uns zunächst mit der ersten. Der Weg Gottes ist im Heiligtum. Hier gibt es nur Helle und Klarheit· Nicht das Geringste ist vorhanden, was dem Geist hindernd in den Weg treten könnte. Sobald eine Seele, mag sie auch durch die Umstände dieses Lebens oder andere Dinge noch so sehr beunruhigt sein, an diese Stätte tritt und alles im Lichte Gottes betrachtet, so erblickt sie das Ende von alledem, wodurch sie auf Erden so oft getäuscht worden ist. Wir finden ein Beispiel hierfür in Psalm 73. Dort lesen wir: „Da dachte ich nach, um dieses zu begreifen: eine mühevolle Arbeit war es in meinen Augen; bis ich hineinging in die Heiligtümer Gottes und jener Ende gewahrte“. (V. 16. 17.) Im Heiligtume Gottes empfängt die Seele wahres Verständnis über alle Dinge. Alle Versuchungen, alle Prüfungen, Schwierigkeiten und Leiden zeigen sich dort in ihrer wahren Gestalt. Sind wir einmal dort eingetreten, so befinden wir uns an der Stätte des Lichtes und der Liebe Gottes, und dann gibt es keine Schwierigkeit mehr, über die wir nicht ein klares Verständnis hätten.
Aber der Weg Gottes ist nicht nur im Heiligtum, wo alles hell und klar für uns ist, er ist auch im Meere, in „großen Wassern“. Gott wandelt oft da, wo wir Seine Fußstapfen nicht verfolgen können. Er wirkt oft, wie wir alle wissen, und wie es uns die gegenwärtige Zeit an so Vielem zeigt, in geheimnis- voller Weise. Es gibt Wege Gottes, die den Zweck haben, uns auf die Probe zu stellen. Es wird wohl nicht nötig sein zu betonen, dass Gott keine Freude findet an unseren Kümmernissen, Verlegenheiten und Befürchtungen. Auch ist stets das Heiligtum für uns zum Eintritt geöffnet, so dass wir jeden Augenblick hinzunahen können. Aber es gibt vieles in den Wegen Gottes, was man Ihm überlassen muss. Vieles ist da, was uns rätselhast erscheint, oder worüber unserer Kurzsichtigkeit das rechte Verständnis fehlt. Da bleibt nichts anderes übrig, als sich still Seinem Willen zu ergeben.
Der Weg Gottes ist also nicht nur im Heiligtum, wo alles klar und licht für uns ist, sondern auch im Meere, im Verborgenen.
Was aber hält unsere Verbindung mit Seinen geheimnisvollen Wegen, mit Seinen Fußstapfen im Meere aufrecht? Der 20. Vers gibt die Antwort: „Du hast dein Volk geleitet wie eine Herde, durch die Hand Moses und Aarons“. Der Weg Israels ging durchs Meer und hernach durch die Wüste. Gott ließ ihn im Meere beginnen, weil Er selbst von Anfang an die Stärke der Seinigen sein wollte. So ist es auch heute noch mit den Gläubigen. Gott will und muss ihre Stärke sein. Da mögen die Proben für die Seele früh beginnen, aber die Schwierigkeiten sind der passende Weg, um die Stärke Gottes erproben zu können.
Es gibt hier jedoch noch einen anderen Punkt zu beachten. So köstlich es nämlich ist zu wissen, dass das Heiligtum stets für uns offen steht, köstlicher ist das Bewusstsein, dass Gott selbst noch näher ist. Zu Ihm sind wir geführt, wie wir in 1. Petr. 3, 18 lesen: „Denn es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf dass Er uns zu Gott führe“. Das ist eine höchst kostbare Wahrheit; wir befinden uns im Heiligtum und sind zu Gott selbst geführt. Was wäre der Himmel für uns, wenn wir nicht zu Gott gebracht wären? Das ist weit besser, als jede Befreiung aus der Trübsal, besser als jede Segnung. Es gibt nichts Höheres, als in die Gegenwart des Gottes geführt zu sein, dem wir angehören, welcher selbst die Quelle aller Segnung und aller Freude ist.
Mögen daher die Wege Gottes nicht allein im Heiligtum, sondern auch im Meere, außerhalb des Heiligtums, sein, wir finden Gott überall. Leider sind wir oft mit dem Meere beschäftigt, um dort die Fußstapfen Gottes ausfindig zu machen. In diesem Falle sind wir nicht glücklich. Die Umstände stehen dann über uns. Nur das Vertrauen auf Gott ist stets die Kraft des Glaubens. Möge der Herr uns daher die Gnade verleihen, allezeit auf Ihn zu schauen! Er ist im Heiligtum, Er ist im Meere, Er ist überall.
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Wem gleichst du, A. oder B.?
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 250ff
A. Ich kann heute wirklich nicht zur Versammlung gehen. Ich bin zu müde.
B. Ich bin sehr müde. Aber wie oft habe ich, wenn ich müde nach Leib und Seele zur Versammlung ging, erquickt wieder heimkehren dürfen! Ich gehe.
A. Bei diesem Wetter kann ich unmöglich gehen. Vermutlich werden heute Abend viele daheim bleiben.
B. Ich müsste mich schämen, wenn ich des Regens wegen nicht ginge. Bruder S., der alt ist und weit entfernt wohnt, fehlt nie, mag es regnen oder schneien.
A. Ich denke, es schadet nichts, wenn ich auch einmal daheim bleibe. Bei der großen Zahl der Kommenden fällt das Fehlen eines Einzelnen ja nicht auf.
B. Es wäre mir doch nicht lieb, wenn der Herr meinen Platz leer fände. Er ist da, und wenn ich auch einen Grund habe, um fern zu bleiben, und niemand mein Fehlen bemerken möchte, mein Platz ist da.
A. Ich habe unerwartet Besuch bekommen. Es tut mir selbst leid, dass die Leute gerade zu dieser Stunde gekommen sind. Aber es wäre doch unhöflich, sie allein zu lassen und zur Versammlung zu gehen.
B. Ich habe Besuch bekommen; was soll ich tun? Ich weiß, was ich tun werde: ich werde ihnen sagen, es sei der Wille meines Herrn, dass ich zur Versammlung gehe, und ich will sie einladen mitzugehen."
A. Ich würde gehen, wenn ich wüsste, dass der und der Bruder da wäre. In dem Falle hätte ich gewiss Segen. Aber was habe ich sonst? Schließlich langweile ich mich nur oder ärgere mich gar noch.
B. Die vorhandenen Gaben sind gering, und vielleicht ist der Bruder, den ich noch am liebsten höre, nicht einmal da. Aber der Herr Jesus bleibt Seiner Verheißung treu. Er ist ganz gewiss da. Und wo Er ist, da ist es stets gut.
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Herr bleibe bei uns
Bibelstelle: Lukas 24,29
Botschafter des Heils 1915 S. 252ff
Herr, bleib! bei uns, der Tag hat sich geneiget;
nicht lange mehr, so bricht die Nacht herein.
Bist du bei uns, dann gibt es hellen Schein,
wenn sich auch sonst kein Stern, kein Lichtstrahl zeiget
Wie ernst und schwer roll’n Tage hin aus Tage,
Du weißt es ja, wie schrecklich diese Zeit,
Du zählst die Tränen, siehst das bitt’re Leid,
hörst der Betrübten, der Bedrängten Klage.
Und dennoch bist Du wirksam, Herr, in Gnaden,
rufst viele noch aus Finsternis zum Licht.
Damit der Mensch entfliehe dem Gericht,
lässt Du ihn heute noch zur Buße laden.
Wir bitten Dich: Gedenke unsrer Brüder,
die schwer im Kampf, umringt sind von Gefahr.
O handle Du mit ihnen wunderbar;
sie sind ja Dein, sind Deines Leibes Glieder!
Auch wo getrennt vom Manne Schwestern stehen,
gib ihnen Kraft, die Kinder zu erziehn.
Und wenn in Leid, in Schmerz sie vor Dir knien,
sprich gnädig Ja und Amen auf ihr Flehen.
Mit Flammenschrift zeigt uns der Lauf der Zeiten:
das Weltenpendel neigt zum letzten Schlag;
es eilt zum Schlusse Gottes Gnadentag,
und Schrecken-Zweiter naht( von allen Seiten.
O Herr und Gott! Du Heiland all der Deinen,
o habe Dank! Du lässt uns nicht allein.
Nicht eher treten die Gerichte ein,
bis Du uns wirst zuvor mit Dir vereinen.
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Die Zerstreuten gingen umher *)
Bibelstelle: Apostelgeschichte 8
Botschafter des Heils 1915 S. 253ff
Mächtig war der Herr in Jerusalem wirksam gewesen. ,,Das Wort Gottes wuchs, und die Zahl der Jünger vermehrte sich sehr« (Kap. 6, 7), so berichtet uns der inspirierte Schreiber. Es war, wie wenn der wohltuende Südwind über die bestellten Felder weht. Aber auch der Feind schlief nicht. Stets darauf bedacht, das Werk Gottes zu hindern, brachte er es dahin, dass Stephanus, der treue, mutige Zeuge des Herrn, ergriffen und vor das Synedrium gestellt wurde. Doch niemand konnte seinen Worten widerstehen. Da wurden falsche Zeugen wider ihn gedungen. Damit war das Schicksal des treuen Mannes entschieden.
Erhaben und gewaltig war seine Rede an das Synedrium. Gleich einem Richter hielt er den versammelten Führern Israels ihre ganze traurige Geschichte vor. Doch noch erhabener war Stephanus in seinem Tode. Voll Heiligen Geistes schaute er nach oben und sah dort Jesum, seinen großen Vorgänger, zur Rechten Gottes stehen. Wie ein triumphierender Sieger ging er zu seinem Herrn und Heilande. Als der erste Märtyrer der Kirche Christi zog er ein in das Paradies Gottes und wurde vom Herrn selbst empfangen, in dessen Augen „der Tod Seiner Frommen kostbar ist“ (Vergl. Ps. 116, 15).
„Es ist ein tröstlicher Gedanke für alle Gläubigen, die bis zur Ankunft des Herrn auf der Erde pilgern, zu wissen, dass dies auch der Weg eines jeden Jüngers Jesu ist, der abgerufen wird, um ausheimisch von dem Leibe und einheimisch bei dem Herrn zu sein.
Mit dem Tode des Stephanus brach der allgemeine Sturm los. Es schien, als ob ein kalter, rauer Nordwind das, was in so herrlicher, verheißungsvoller Blüte dastand, mit einem Schlage vernichten wolle. Doch der Herr steht über allem. Er wollte auch durch diesen Sturm sich verherrlichen und neue Segensströme aus ihm hervorfließen lassen. Im Worte Gottes finden wir viele ähnliche Beispiele, wie der Herr diese oder jene Prüfung über die Seinigen hat kommen lassen, um ihnen nachher Seine Gnade und Liebe desto mehr zu offenbaren und so Seinen Namen zu verherrlichen.
Das 8. Kapitel der Apostelgeschichte beginnt mit der Mitteilung, dass ,,eine große Verfolgung wider die Versammlung in Jerusalem entstand«. So kurz dieser Bericht ist, redet er doch vernehmlich zu unseren Herzen.
Überaus schnell bewahrheitete sich das Wort des Herrn: „Sie werden euch aus der Synagoge ausschließen; es kommt aber die Stunde, dass jeder, der euch tötet, meinen wird, Gott einen Dienst darzubringen. Und dies werden sie tun, weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben“ (Joh. 16, 2. 3).
Der Geist Gottes gibt uns nur eine knappe Mitteilung von den damaligen Vorgängen. Er macht uns mit den inneren Folgen dieser schweren Trübsal nicht bekannt. Wir können uns aber vorstellen, wie schrecklich diese bei dem einmal zu heller Flamme entfachten Fanatismus der Juden gewesen sein müssen. Wie manche haben da wohl Haus und Hof, teure Verwandte und Freunde verlassen müssen um des geliebter: Herrn willen! Es galt jetzt für die Gläubigen zu beweisen, dass ihr Herr und alles, was sie in Ihm besaßen, größeren Wert für sie hatte als ihre ganze irdische Habe. Gewiss sind damals viele Tränen geflossen. Wer könnte sie alle zählen, wer auch die vielen Wunden nennen, welche die Verfolgung schlug? Es genügt uns zu wissen, dass der Herr von allem Kenntnis nahm. Er hat ja später selbst einem der bittersten Verfolger zugerufen: „Was verfolgst du mich?“ Ja, Er nahm alles wahr, und Er stellt es so hin, als ob es Ihm persönlich angetan worden wäre. O Er übersieht nicht, was man mit den Seinigen tut. Er macht sich eins mit ihnen in ihren Leiden und Bedrängnissen· „Jeden Schlag, Spott und Schmach fühlst Du als Dein eignes Leid“.
Sollten diese Erwägungen den Geliebten des Herrn in unseren Tagen nicht auch zur Ermunterung und Aufrichtung gereichen? Wir können ja heute nicht von irgend einer Verfolgung der Gläubigen reden. Gott sei dafür gepriesen, dass wir in diesem Stück in unseren Tagen so bevorzugt sind! Der Herr hat uns eine „geöffnete Tür gegeben, die niemand zu schließen vermag“. Nichtsdestoweniger sind die Gläubigen allenthalben in Bedrängnis. Der gegenwärtige furchtbare Krieg hat selbst in den neutralen Ländern viele Gläubige in Mitleidenschaft gezogen. Und in den vom Kriege betroffenen Ländern — ach! wie viele Eltern haben ihre Söhne, wie viele Frauen ihre Gatten, wie viele Kinder ihre Väter hinausziehen sehen! Niemand weiß, ob, wann und wie er seine Lieben wiedersehen wird. Welche Ströme von Tränen werden geweint, welch schreckliche Wunden hat der Krieg im Gefolge! Da mag wohl in manchem Herzen die Frage aufgestiegen sein: Konnte der Herr das Furchtbare nicht verhüten oder doch das Schlimmste abwenden? Warum müssen wir diesen Weg gehen? Dabei ist der Feind der Seelen bemüht, den Vereinsamten und Trauernden ins Ohr zu flüstern: „Dein Herr ist ein harter Herr“.
Teure Mitpilger! Glaubet nicht den Einflüsterungen des Feindes! Betrachten vielmehr die Beispiele des Wortes Gottes! Da nehmen wir immer wieder wahr, dass der Herr nicht von Herzen die Menschenkinder plagt und betrübt. Wenn Er geschlagen hat, so erbarmt Er sich nach der Menge Seiner Gütigkeiten. (Klagel. 3.) Jakobus ruft uns zu: „Nehmet, Brüder, zum Vorbild des Leidens und der Geduld die Propheten, die im Namen des Herrn geredet haben. Siehe, wir preisen die glückselig, welche ausgeharrt haben. Von dem Ausharren Hiobs habt ihr gehört, und das Ende des Herrn habt ihr gesehen, dass der Herr voll innigen Mitgefühls und barmherzig ist“ (Jak. 5, 10. 11). In Seiner erzieherischen Weisheit führte der Herr Seinen Knecht tiefe Wege. Hiob büßte an einem Tage alles ein, was ihm lieb und wert war. Überdies wurde er mit einer ekelhaften, qualvollen Krankheit geschlagen. Und dennoch, welch einen herrlichen Ausgang, welch ein wundervolles Ende ließ der Herr ihm zuteil werden! Der Segen, welchen „das Ende des Herrn“ ihm schenkte, überstieg um das Doppelte all seinen früheren Besitz. Und abgesehen von dem Segen am Ziele des Weges wurde er selbst in dem Tiegel der Trübsal in einer Weise gebildet, wie es auf einem anderen Wege nicht möglich gewesen. wäre.
Manche von uns sind schon seit dem Beginn des Krieges in einer ernsten Schule, in welcher der Herr uns bildet und formt, indem Er uns Übungen durchmachen lässt, die uns bis dahin fremd geblieben waren. Lasst uns in dem allen stets zu Dem hinaufblicken, der voll innigen Mitgefühls und barmherzig ist! Er kennt die Prüfung eines jeden. Ihm entgeht weder dein Schmerz noch dein Seufzen. Schon der Psalmist sagt: „Mein Umherirren zählst du. Lege in deinen Schlauch meine Tränen; sind sie nicht in deinem Buche?“ (Ps. 56, 8). Mögen wir „ins Feuer“ oder „ins Wasser“ kommen, der Herr ist bei uns, und Sein Ziel ist, uns zu „überströmender Erquickung“ zu führen.
Unser Kapitel macht uns jedoch, wie schon er- wähnt, nicht mit den inneren Übungen der Gläubigen bekannt, noch mit dem Segen, der ihnen persönlich zuteil wurde; es zeigt uns vielmehr, welch ein Segen anderen durch die Drangsal zugewandt wurde. Es berichtet von herrlichen Früchten, welche die Verfolgung mit sich brachte als Lohn der Schmerzen des Lammes Gottes. Wir tun wohl, während wir uns auf dem Wege zu den Wohnungen des Vaterhauses befinden, diese Seite fleißig zu beachten.
Die Gläubiger! jener Tage unterwarfen sich willig der Führung Gottes. Sie wurden „zerstreut“, und allenthalben, wohin sie kamen, verbreiteten sie den Wohlgeruch des Namens des Herrn Jesus. „Sie verkündigten das Wort“. Von Philippus steht noch besonders geschrieben: „Er aber predigte ihnen den Christus“. So zogen die Verjagten und Zerstreuten gleichsam als Sieger im Triumphzuge umher. Sie beschäftigten sich nicht mit ihrem Leid und Schmerz, mit ihren Entbehrungen und Verlusten. Dass sie das alles tief empfunden, brauchen wir nicht zu sagen. Aber es machte sie nicht unfähig, an die Menschen um sie her zu denken, die noch blind und ohne Jesum auf dem breiten Wege des Verderbens dahingingen. Sie Verkündeten ihnen das Wort der Gnade und des Heils. Der Herr bekannte sich sichtlich zu ihrem Zeugnis, wie uns in diesem und auch im 11. Kapitel mitgeteilt wird. Vieler Gewissen wurden aufgeweckt. Viele erkannten ihre Sünden und eilten zu Jesu, wo sie Vergebung, Heil und Frieden fanden. Viele kostbare Seelen wurden dem ewigen Verderben entrissen und zu glücklichen Jüngern Christi gemacht. War es nicht der Mühe wert, um deswillen alles auszugeben? Ganz gewiss. Denn alle Schätze dieser Erde wiegen nicht den Wert einer einzigen unsterblichen Seele auf.
Lasst uns jetzt noch kurz die Anwendung davon machen! Tut Gott nicht auch Ähnliches in unseren Tagen? Wie sind die Gläubigen nach allen Windrichtungen zerstreut worden! Unter gewöhnlichen Umständen würden sie wohl nie in die Gegenden, wohin der Krieg sie geführt hat, gekommen sein. Sollten sie sich nun allein mit sich, oder sollten ihre Angehörigen daheim sich nur mit dem Schmerz der Trennung beschäftigen? Das wäre sicherlich nicht gut. Wir wollen aus unserem Kapitel die Belehrung schöpfen, dass wir zum Segen für andere gesetzt sind. Wir stehen nahe, ganz nahe vor der Ankunft des Herrn. Der gegenwärtige Krieg ist ein mächtiges, vielleicht ein letztes allgemeines Anklopfen an die Gewissen der Menschen. Wenn wir nun auch — leider! — je länger desto mehr wahrnehmen müssen, dass die meisten Menschen sich verhärten, so wollen wir uns doch dessen bewusst bleiben, dass unsere Zerstreuung vom Herrn absichtlich zugelassen worden ist, weil Er sich an vielen Herzen bezeugen möchte. Und wenn es uns auch nicht so ergeht, wie dem Evangelisten Philippus in Samaria, wo die Volksmenge einmütig auf seine Predigt lauschte und viele errettet wurden, so ist es doch gewiss schon der Mühe wert, wenn wir — wie Philippus hernach aus der öden Straße nach Gaza dem Kämmerer diente — einer Seele dienen dürfen. Solcher Gelegenheiten aber gibt es für jeden, der vom Herrn auf diese Weise hinausgeführt worden ist, viele. Nicht immer sehen wir das Aufgehen des ausgestreuten Samens, aber der Herr versichert uns, dass unsere Mühe nicht vergeblich sein soll in „Ihm“.
So lasst uns denn die kurze Zeit wahrnehmen und mündlich wie schriftlich die Kunde verbreiten von der Gnade Gottes, welche erschienen ist, heilbringend für alle Menschen! Wenn auch unter den gegenwärtigen Umständen der Same weinend hinausgetragen wird, so ist dennoch die Zeit nahe, wo wir die Garben jubelnd heimtragen dürfen zur Ehre unseres geliebtes! Herrn.
Fußnote:
*) Von einem im Felde stehenden Bruder eingesandt.
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Ist man nach dem Abscheiden glücklich?
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 260ff
Die Frage, ob die Seele des Gläubigen unmittelbar nach der Trennung vom Leibe in den Genuss einer vollkommenen Glückseligkeit trete, wird oft erörtert und ist sicherlich auch von großer Bedeutung. Dass das Kommen des Herrn Jesus die eigentliche Hoffnung des Christen, die Hoffnung der Gemeinde Christi ist, bedarf keiner Frage, ebenso wenig die Tatsache, dass der Gläubige erst dann seinen verherrlichten Leib empfangen wird. Das Werk der Erlösung ist nicht eher beendet, als bis unsere sterblichen Leiber durch die Macht der Auferstehung lebendig gemacht worden sind. (Röm. 8, 11.) Dann erst wird die große Frage in Römer 7: „Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?“ ihre endgültige und völlige Antwort finden.
Dem Grundsatz nach ist die Sache ja jetzt schon geschehen. Als mit Christo gestorben und auferweckt werden wir aufgefordert, uns „der Sünde für tot zu halten, Gott aber lebend in Christo Jesu“ (Röm. 6, 11.) Obwohl wir uns noch hienieden im Leibe der Niedrigkeit befinden, wandeln wir doch als Lebende aus den Toten, weil wir die Auferstehung Christi als Ausgangspunkt und unsere leibliche Auferstehung bzw. Verwandlung als Ziel haben. Letztere bildet also unsere persönliche Vollendung (vergl. Röm. 6, 11 —- 25; 1.Kor.15, 51 — 58; 2. Kor. 4, 14, 5,1 — 5; Phil.3, 20. 21; Eph.4, 30; 1.Thess.4,15 —18), und sie macht eigentlich die Hoffnung des Christen aus.
Was nun unser Abscheiden betrifft, so möchte ich folgendes darüber bemerken. Als Gläubige befinden wir uns nicht mehr im Tode, sondern im Leben. Dieses Leben ist nach dem Tode gekommen. Der Tod steht daher nicht mehr vor uns, sondern liegt hinter uns, und das Leben, in dessen Besitz wir uns befinden, kann weder unterbrochen noch gestört werden, weil es das ewige Leben ist. Dieses Leben ist, wie gesagt, nach dem Tode gekommen. Jener Tod war der Tod desjenigen Lebens, welches früher unser Teil war, jetzt aber im Tode Christi, der für uns starb, zu Ende gekommen ist. (Vergl. Gal. 2, 20.) Der Tod ist also in diesem Sinne schon ein Gewinn für uns. Er ist unser Befreier. Dem Grundsatz nach wurde die Sache am Kreuze völlig geordnet, und wir werden ermahnt, die praktische Anwendung davon zu machen. (Kol. 3, 5.) Durch diese praktische Anwendung, indem wir uns nämlich für tot halten, werden wir mehr und mehr von dem befreit, was der Tätigkeit des uns geschenkten neuen Lebens hindernd im Wege steht, und es ist ein großer Gewinn für uns, diesen Tod in uns zu verwirklichen und „allezeit das Sterben Jesu am Leibe umherzutragen“ (2. Kor. 4, 10).
Weil wir das Leben haben, sind wir auch mit dem Vater und dem Sohne in Gemeinschaft, und je mehr wir unser Gestorbensein verwirklichen, desto inniger wird diese Gemeinschaft von uns genossen werden, weil wir deren Hindernisse töten.
Wenn nun der Tod überhaupt schon ein Gewinn für uns ist, wieviel größer wird dann der Gewinn sein, wenn wir mit allem, was noch sterblich an uns ist, und was deshalb ein Hindernis für das neue Leben bildet, mit allem, was unser Seufzen hervorbringt, für immer fertig sind? Ja, es ist ein überaus großer Gewinn, von diesem Leibe der Niedrigkeit und von dem ihm angehörenden Zustand des „Fleisches“ für immer befreit zu sein. Denn wenn wir schon hienieden, trotz der vorhandenen Hindernisse, die Innigkeit unseres Verhältnisses mit unserem Herrn und Heiland genießen können, was wird dann der Zustand: ,,ausheimisch von dem Leibe und einheimisch bei dem Herrn«, anders sein können als der völlige und ungehinderte Genuss unserer persönlichen Vereinigung mit unserem teuren und hochgelobten Erlöser! Wahrlich, „abzuscheiden und bei Christo zu sein“, ist weit besser, als in diesem Leibe und in dieser Welt zu wohnen.
Beim Herrn sein, -— welch ein freudevoller Gedanke! Was könnte uns persönlich Besseres begegnen, als „abzuscheiden und bei Christo zu sein“? Ich sage ,,persönlich«, denn als Gesamtheit erwarten wir die Herrlichkeit, herr1iche Leiber, die dem Leibe des auferstandenen Herrn gleichgestaltet sind. In dieser Herrlichkeit werden wir dann auch einer den anderen genießen; wir werden in Einheit und Herrlichkeit vollendet sein. (Vergl. Joh. 17, 22. 23.) Und wenn wir mit dem Herrn gewandelt und Seine Erscheinung lieb gehabt haben, so werden wir gekrönt werden, (2. Tim. 4, 8) — in der Tat eine herrliche Erwartung und ein köstlicher Trost!
Aber so herrlich und begehrenswert alles das sein mag, kann es doch den unendlichen Gewinn, persönlich bei dem Herrn, ,,im Paradiese« (Luk. 23, 43) zu sein und dort ohne Störung die Herrlichkeit zu erwarten, nicht verringert! oder das Verlangen in uns wecken, wenn irgend möglich bis zur Ankunft des Herrn hienieden zu bleiben, wo wir steten Kämpfen und Schwierigkeiten ausgesetzt sind. Andererseits ist es, im Blick auf den Dienst für Christum, gewiss der Mühe wert, noch ein wenig im Leibe zu wallen (Phil. 1, 21).
Wie köstlich ist doch in jeder Hinsicht unser Teil, mögen wir nun abgerufen werden oder noch ein wenig hienieden wallen! Paulus konnte sagen: »Das Leben ist für mich Christus, und das Sterben Gewinn«. Manche Christen warten aus Furcht vor dem Tode auf die Verwandlung und Entrückung. Bei vielen mag ein Mangel an Befreiung die Ursache davon sein, und da ist es dann nötig, nachdrücklich die Wahrheit zu betonen, dass Sterben Gewinn ist.
In Phil. 3 wünscht Paulus dem Tode Christi, seines Herrn, gleichgestaltet zu werden. Er will den verherrlichten Christus erreichen, er will zur Auferstehung aus den Toten gelangen. Es kümmert ihn nicht, auf welchem Wege er das Ziel erreichen soll. Muss er, wie Christus selbst, durch den Tod gehen, so stört das seine Sehnsucht, das Ziel zu erreichen, nicht im Geringsten. Hast du, lieber Leser, schon bedacht, welch ein Vorrecht es ist, auf dem gleichen Wege wie Christus, d. h. durch den Tod (ich meine den leiblichen Tod) und hernach durch die Auferstehung in die Herrlichkeit einzugehen?
Auch dies möchte ich noch bemerken: Wenn jemand mit dem Herrn gewandelt hat und vor Gott offenbar ist, so dass es für ihn im gegenwärtigen Augenblick nichts mehr in Ordnung zu bringen gibt, dann macht er, wenn er abgerufen wird, eine besondere Erfahrung von dem, was Jesus ist, eine Erfahrung, die man eben nicht machen noch verstehen kann, ohne durch den Tod zu gehen. Und nach dieser letzten köstlichen Erfahrung ist er dann bei Ihm! Könnte es für uns persönlich etwas Wünschenswerteres geben?
Manche Seelen erinnern sich bei dem Gedanken an den Tod unwillkürlich an die körperlichen Leiden, die dem Heimgang nicht selten vorangehen, oder an die schwierigen Umstände, die der Tod für die Zurückbleibenden im Gefolge hat. Solche möchte ich mit besonderem Nachdruck auf den persönlichen Gewinn aufmerksam machen, der in der Sache selbst für den liegt, der heimgehen darf. Der Herr Jesus sagt zu Seinen Jüngern: „Wenn ihr mich liebtet, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe“.
Das Sterben ist in der Tat in vielen Beziehungen ein großer Gewinn. Aber welch ein Glück ist es, dass wir, als Eigentum des Herrn, nicht nötig haben, etwas zu wählen oder vorzuziehen; nein, wir können uns dem Willen des Herrn mit völligem Vertrauen übergeben, in dem Bewusstsein, dass „keiner von uns sich selbst lebt, und keiner sich selbst stirbt. Denn sei es dass wir leben, wir leben dem Herrn; sei es dass wir sterben, wir sterben dem Herrn“ (Röm. 14, 7. 8). Es lohnt sich sicherlich der Mühe, noch ein wenig für den Herrn hienieden zu bleiben. Unser christlicher Lauf ist wichtig für Ihn und für uns. Er selbst bitter in Joh. 17 den Vater, nicht dass Er die Seinigen aus der Welt wegnehmen, sondern dass Er sie bewahren möge vor dem Bösen.
Es gibt auch Heimgänge, die, anstatt ein Vorrecht zu sein, Züchtigungen sind (vergl. Apstgsch. 5, 1 — 11; 1. Joh. 5, 16. 17; 1. Kor. 11, 30 — 32), obwohl es immer wahr bleibt, dass das „Ausheimischsein von dem Leibe“ ein „Einheimischsein bei dem Herrn“ ist.
Wollen wir ein schönes Beispiel von jenem Heimgehen sehen, welches ich als ein Vorrecht bezeichnet habe, dann müssen wir auf die Sprache des glücklichen Apostels in 2. Tim. 4, 6 — 8 lauschen. Wenn man sagen kann, dass man den guten Kampf gekämpft, dass man den Lauf vollendet hat, wenn man weiß, woher man kommt und wohin man geht, was könnte es dann Köstlicheres geben, als abzuscheiden und bei Christo zu sein und dort, in dem vollkommenen Genuss der persönlichen Verbindung mit Jesu, die Herrlichkeit und die Krone zu erwarten!
Man möge indes nicht denken, ich wolle die Herrlichkeit der Verwandlung irgendwie abschwächen. Nein, sie ist und bleibt die herrliche Frucht des Sieges, der über den Tod errungen worden ist, so dass für uns das Sterben des Leibes eine Möglichkeit, aber nicht eine Notwendigkeit ist (Vergl. Joh. 11, 24 — 26). Ich möchte nur der Neigung mancher Kinder Gottes entgegentreten, welche die Verwandlung erwarten, weil sie den Tod fürchten. Leider ist diese Furcht oft ein Beweis, dass das göttliche Leben in der Seele schwach ist. Welch eine Sicherheit liegt für uns darin, dass wir uns einfach dem überlassen dürfen, was Gott für uns beschlossen hat, sowie in dem Bewusstsein, dass, so lange wir im Leibe sind, wir keine andere Aufgabe haben, als uns zu beeifern, dem Herrn wohlgefällig zu sein! (2. Kor. 5, 9. 10).
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Der Prophet Maleachi
Bibelstelle: Maleachi 4
Botschafter des Heils in Christo 1915, S. 266ff
Kapitel 4
Im 3. Kapitel (V. 2 und 17) haben wir den Unterschied gesehen, der zwischen dem schrecklichen Tag des Gerichts und dem Tag, den Jehova machen wird, besteht. Der Prophet führt uns hier zu dem Tag der Rache zurück: "Denn siehe, der Tag kommt, brennend wie ein Ofen; und es werden alle Übermütigen und jeder Täter der Gesetzlosigkeit zu Stoppeln werden; und der kommende Tag wird sie verbrennen, spricht Jehova der Heerscharen, so dass er ihnen weder Wurzel noch Zweig lassen wird." (V. 1) Die Übermütigen und die Gesetzlosen, welche das dem Bösen gegenüber gleichgültige Volk für glücklich hielt (Kap. 3,15), werden durch die Erscheinung des Herrn verzehrt und völlig vertilgt werden, so dass nichts mehr von ihnen übrigbleibt. "Aber euch, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen mit Heilung in ihren Flügeln. Und ihr werdet ausziehen und hüpfen gleich Mastkälbern." (V. 2) Ja, für die, welche Seinen Namen fürchten, die Seine Autorität anerkannt und das Knie vor Ihm gebeugt haben, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen, dieselbe Sonne, deren brennendes Feuer die Aufrührer für immer verzehrt. Fortan wird die Gerechtigkeit herrschen und mit ihren Strahlen das Israel Gottes erleuchten.
Gesegneter Augenblick, voll Frische und Freude! Anbruch eines neuen Tages, eines Morgens ohne Wolken, dessen Glanz das zarte Grün aus der Erde hervorsprossen lassen wird! (2. Samuel 23,4 ) Die, welche Jehova fürchten, werden dann hüpfen wie die Mastkälber. Ein Leben voller Wachstum wird ihr Teil sein. Sie werden jene neue Herde Israels bilden, voll Jugendfrische, Gesundheit und Kraft, welche das Volk des Herrn am Tage Seiner heiligen Pracht ausmachen wird. "Und ihr werdet die Gesetzlosen zertreten, denn sie werden Asche sein unter euren Fußsohlen an dem Tag, den ich machen werde, spricht Jehova der Heerscharen." (V. 3) Die Treuen werden, wie wir auch in Sacharja und an anderen Stellen sehen, die Rache Jehovas gegen ihre einstigen Unterdrücker vollstrecken. Alles das bezieht sich natürlich auf den jüdischen Überrest; aber es ist nicht weniger wahr, dass die verherrlichten Heiligen das Gefolge des Sohnes des Menschen bilden werden, wenn Er aus dem Himmel kommen wird, um das Gericht auszuüben. (Offenbarung 19,11 - 16 )
"Gedenket des Gesetzes Moses, meines Knechtes, welches ich ihm auf Horeb an ganz Israel geboten habe – Satzungen und Rechte." (V. 4) Zum Schluss lenkt der Prophet die Gedanken des Volkes zurück auf das unveränderliche Wort, welches Gott durch Mose mitgeteilt hatte. Ist es nicht beachtenswert, dass das ganze AT damit schließt, dass es ganz Israel an das Wort als seine einzige Schutzwehr erinnert? Es ist nützlich, dies auch in unseren Tagen zu verkündigen; und das umso mehr, da es sich jetzt nicht um das Wort des Gesetzes handelt, sondern um das Wort der Gnade, dessen Vergessen die Menschen ganz und gar unentschuldbar macht. Was uns Christen angeht, so lasst uns dieses Wort sorgfältig bewahren; lasst es uns ganz bewahren, so wie Gott es uns gegeben hat! Satan entreißt es der bekennenden Welt Stück um Stück, und der Tag wird kommen, wo sie nichts mehr davon in den Händen zurückbehalten wird. Was uns betrifft, lasst uns bewahren was wir von Anfang gehört haben: diesen einmal den Heiligen überlieferten Glauben. Erbauen wir uns auf ihn. Lasst uns nicht ein Jota davon uns rauben lassen. Möchte es unser Führer sein nach den Worten des Apostels: "Ich befehle euch Gott und dem Wort Seiner Gnade, welches vermag aufzuerbauen und euch ein Erbe zu geben unter allen Geheiligten". (Apg. 20,32 ) Lasst uns viel den 119. Psalm betrachten, der uns das Wort als die Zuflucht, die Ermunterung und den Führer des Gläubigen vorstellt als das, was ihn aufrecht hält inmitten des immer größer werdenden Abfalls. Sein Wort ist "die Wahrheit", wenn alles andere Lüge ist. Es lässt uns Christus erkennen, Seine gesegnete Person, Sein Werk mit allen seinen Folgen. Die Furcht Jehovas wird, wie wir gesehen haben, durch das Festhalten an Seinem Wort gekennzeichnet. "Sie haben dein Wort bewahrt", sagt Jesus zum Vater, indem Er von Seinen geliebten Jüngern redet. (Johannes 17,6 )
"Siehe, ich sende euch Elia, den Propheten, ehe der Tag Jehovas kommt, der große und furchtbare." (V. 5) Hier ist nicht von Johannes dem Täufer die Rede, wie im Anfang des dritten Kapitels. Wenn Israel das, was Jesus ihm sagte, hätte annehmen wollen, so wäre Johannes der verheißene Elia gewesen, (vergleiche Mt. 11,14 ; Mk. 9,11 - 13 ), und der Herr der Herrlichkeit würde in Sein Reich gekommen sein; aber Johannes der Täufer ist verworfen worden, geradeso wie sein Meister, dessen Vorläufer er war. Es blieb hinfort für das Volk nur "der große und furchtbare Tag Jehovas" übrig. Doch Gottes Gnade kündigt durch den Propheten die Sendung eines neuen Elia an, der für Jehova ein neues Volk sammeln wird. Wenn Johannes der Täufer angenommen worden wäre, so wäre die Rolle dieses zweiten Elia überflüssig gewesen; da er aber infolge der Untreue des Volkes nicht angenommen worden ist, wird Elia wiederkommen zu Ankündigung des Kommens des Herrn in Gericht "mit Seiner Worfschaufel in Seiner Hand, um Seine Tenne durch und durch zu reinigen". (Mt. 3,12 ) In dem Buch der Offenbarung (Kap 11,4 - 6) hat der eine der beiden Zeugen den Charakter des Elia, der andere den des Mose. Ich meinerseits denke nicht an ein persönliches Wiederkommen des Propheten Elia, der einst, ohne durch den Tod zu gehen, in den Himmel aufgenommen wurde, glaube vielmehr an sein geistliches Kommen, d.h. dass ein Mensch diesen Propheten in der Kraft des Heiligen Geistes darstellen wird.
"Und er wird das Herz der Väter zu den Kindern, und das Herz der Kinder zu ihren Vätern wenden, auf dass ich nicht komme und das Land mit dem Bann schlage." (V. 6) Der Dienst dieses neuen Elia wird dahin zielen, in Israel die von Gott verordneten Beziehungen auf einen Boden zurückzuführen, den sie immer hätten bewahren sollen. Die den Kindern gebührende Liebe, der den Vätern schuldige Gehorsam werden wiedergefunden, und auf diese Weise wird der Fluch vom Land Israel abgewandt werden.
Indem wir unsere Betrachtung schließen, lasst uns ernstlich diesen Gedanken beachten, den das Buch Maleachi vor unsere Herzen und Gewissen bringt, indem es uns auffordert, den Herrn zu fürchten, an Ihn zu denken, auf Ihn zu warten, indem wir miteinander von Ihm reden und treu Sein Wort bewahren!
Von einem Augenblick bis zum anderen kann unser Heiland, der glänzende Morgenstern, erscheinen, um uns zu sich zu nehmen in Seine Herrlichkeit
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Gott unser Vater
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 270ff
Es war der Vorsatz Gottes, auf ewig Anbeter vor sich zu haben. Er will der unmittelbare, bestimmte Gegenstand wahrer Anbetung in Christo sein, wie wir dies aus dem Munde unseres Herrn am Jakobsbrunnen zu Sichar erfahren: „Es kommt die Stunde und ist jetzt, da die wahrhaftigen Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden; denn auch der Vater sucht solche als Seine Anbeter“ (Joh. 4, 23).
Die Gnade hat uns dazu befähigt, Ihn in Geist und Wahrheit anzubeten -— nicht wie Israel, das in Jerusalem anbetete, ohne je wirklich in Gottes Gegenwart zu kommen, oder gar wie die Samariter auf dem Berge Gerisim, sondern als wahrhaftige Anbeter, die, belehrt und geleitet durch den Geist der Wahrheit, »Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum« und nun „mit wahrhaftigen! Herzen, in voller Gewissheit des Glaubens“ dem Vater nahen.
Wunderbar ist es, dass der Vater solche Anbeter sucht. Welch eine Liebe spricht daraus! Wir tun gut, uns zu prüfen, ob wir in unserer Anbetung diesem Anspruch Seiner Liebe gebührend entsprechen.
Gewiss ruft das Gefühl der Ehrfurcht gegen Gott und das Bewusstsein Seiner Größe, Majestät und Allmacht in der gläubigen Seele Anbetung wach. Auch wird das Gefühl der tiefen Verpflichtung, welche wir als Erlöste Christo gegenüber haben, uns zur Beschäftigung mit Seiner Person und Seinem Werk anleiten, und diese wird von selbst Anbetung zu unserem Gott und Vater in dem Herzen erwecken. Und wer könnte in Seiner Gegenwart diese göttlich gewirkten Gefühle unterdrücken und die Opfer der Lippen zurückhalten? Trotzdem aber kann es sein, dass in solcher Anbetung etwas fehlt, das dem Vater so besonders gebührt, und das Er auch erwartet. Gott in Seinen unendlichen, erhabenen Eigenschaften, ferner die Gnade und Herrlichkeit Christi und Seines Werkes können unsere Seele erfüllen, ohne dass der Vater, als solcher, in unseren Gedanken Raum hat. Vielleicht beeinflusst uns ein gewisses dunkles Empfinden, als ob Gott in Seiner Majestät uns viel ferner stehe, als der Sohn, der in unendlicher Gnade und Herablassung ein so großes Werk für uns getan hat. Dadurch kommt dann das innige Verhältnis, in welchem wir als geliebte Kinder zu unserem Vater stehen, nicht gebührend zum Ausdruck. Wir haben aber „einen Geist der Sohnschaft empfangen, in welchem wir rufen: Abba, Vater!“ (Röm. 8, 15), und der Ausdruck „Geist der Sohnschaft“ zeigt uns das besondere Amt des Heiligen Geistes, in uns die Verwirklichung dieser engen Beziehungen zu Gott hervorzurufen und uns verstehen zu lassen, wie nahe Ihm alles geht, was die Kinder Seines Hauses betrifft. Je mehr wir uns durch den Geist darüber belehren lassen, wie unendlich viel unser Vater getan hat, um uns zu sich zu bringen, um uns in Christo Seine Gunst zu schenken und uns zu Gegen- ständen der Freude für Sein Herz zu machen, desto mehr wird sich unsere Erkenntnis von der zarten, innigen Liebe des Vaters zu Seinen Kindern vertiefen und eine warme, kindliche Anbetung hervorbringen.
Der Vater ist es, der den Sohn als Heiland in die Welt gesandt hat (1. Joh. 4, 14), und nach Seinem Willen sind wir aus dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf herausgenommen. (Gal. 1, 4.) Und hinsichtlich des Dienstes unseres teuren Herrn hienieden lesen wir, dass die Werke, welche Jesus Christus vollbrachte, Ihm von dem Vater zu tun gegeben waren. (Joh. 5, 36.) Er tat sie in dem Namen Seines Vaters, ja, sie waren die Werke des Vaters (Joh. 10, 25) und von Ihm, dem Vater, getan. (Joh. 14, 10.) Christus ist »der Weg«, niemand kommt zum Vater, als nur durch Ihn. (Joh. 14, 6.) Der Vater beschäftigt sich auch unmittelbar mit unserer persönlichen Errettung, indem jede einzelne erlöste Seele durch Ihn zu Christo gezogen wird. (Joh. 6, 44).
Wie rührend und ergreifend ist auch die hohe, unvergleichliche Freude des Vaters über die Heimkehr des verlorenen Sohnes! (Luk. 15).
Als Heilige haben wir zu dem Vater selbst Zugang (Eph. 2, 18), dessen Liebe so weit ging, dass Er uns zu Seinen Kindern machte (1. Joh. 3, 1) und uns den Geist der Sohnschaft gab (Röm. 8, 15). Der Heilige Geist ist die Verheißung des Vaters unseres Herrn Jesus (Luk. 24, 49), unser Sachwalter hienieden, vom Vater gesandt und ausgegangen (Joh. 14, 26; 15, 26), während der Herr selbst unser Sachwalter droben bei dem Vater ist (1. Joh. 2, 1). Die Belehrung des Vaters macht den Sohn so kostbar für uns, dass wir zu Ihm kommen (Joh. 6, 45), und wiederum sucht der Sohn unsere Zuneigungen auf den Vater zu lenken, indem Er uns versichert, dass der Vater selbst uns lieb hat (Johannes 16, 27), und dies ganz besonders, wenn wir den Sohn lieben und Sein Wort halten (Joh. 14, 23), und dass der Vater die ehrt, welche dem Sohne dienen (Joh. 12, 26).
Und welch herzliche Beziehungen verbinden den Vater mit Seinen Kindern! Er ist der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Sein Gott ist unser Gott, Sein Vater ist unser Vater. Er hat uns wiedergezeugt zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi. (1.Petrus 1, 3.) Für uns gibt es nur einen Gott, den Vater, von welchem alle Dinge sind, und wir für Ihn (1. Korinther 8, 6). Er hat uns zuvor bestimmt zur Sohnschaft durch Jesum Christum für sich selbst, nach dem Wohlgefallen Seines Willens (Eph. 1, 5). Jeder Einzelne ist in Gott, dem Vater, geliebt (Jud. 1); als Versammlung werden wir in Ihm geschaut (1. u. 2. Thess. 1, 1), werden mit Gnade und Friede von Ihm gegrüßt (1. Kor. 1, 2; 2. Kor. 1, 2; Eph. 1, 1 2) ja, wir alle sind Ihm zu Priestern gemacht worden durch den Sohn Seiner Liebe (Offbg. 1, 6).
Und wie zärtlich ist der Vater nicht allein um unser Heil, sondern auch um das Wachstum unserer Seele bemüht! Jede fruchttragende Rebe reinigt Er, auf dass sie zu Seiner Verherrlichung mehr Frucht bringe. (Joh. 15, 2.) Gehen wir durch Trübsal, so ist es die Züchtigung des Vaters, der uns liebt. (Hebr.12.) Bedürfen wir Trost —— Er ist der „Vater der Erbarmungen, der Gott alles Trostes (2. Kor. 1, 3). Sehnen wir uns nach dem Kommen des Herrn: die Zeit dafür ist nur dem Vater bekannt. (Vergl. Matth. 24, 36 u. a. St.)
Wenn wir alle diese väterlichen Bemühungen Gottes um Seine Kinder an unserem geistigen Auge vorübergehen lassen, so werden unsere Herzen erwärmt, und es drängt uns, mehr und mehr zu lernen, Ihn mit überfließender Lobpreisung in Geist und Wahrheit anzubieten. Vergessen wir es nicht: Er, der uns so unaussprechlich liebt, der „Vater der Erbarmungen“ für uns in unsern Bedürfnissen hienieden, der „Vater der Herrlichkeit“ (Eph.1, 17) droben, der „Vater der Geister“ (Hebr. 12, 9), dem wir unterworfen sein sollen, der „Vater der Lichter“ (Jak. 1, 17), so frei von Schatten und Wechsel, wie die neue Schöpfung, in welcher wir eine gewisse Erstlingsfrucht Seiner Geschöpfe sind — Er, uns er „Vater“, sucht solche, wie wir waren, als Seine Anbeter!
Abba, Vater! Dir sei Ehre
allezeit durch Jesum Christ;
Ewig, ewig sei gepriesen,
der Du Licht und Liebe bist!
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Briefe an einen jungen Christen
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 270ff
Autor: J. N. D.
Ich habe nicht sogleich auf Deinen Brief geantwortet, teils weil ich außerordentlich beschäftigt war, teils weil ich mich entschlossen hatte, vorher meinen neuen Wirkungskreis aufzusuchen. Über Deinen Brief habe ich mich gefreut. Ich hatte schon von dem Segen gehört, den das Evangelium verschiedenen Orten gebracht hat, und es war mir eine Freude zu vernehmen, dass auch Du bekehrt worden bist. . . .Aber, mein lieber -—, die Energie des ersten Anlaufs flaut stets ab, und es zeigt sich nachher, welchen wirklichen Wert Christus für die Seele besitzt. Nicht als ob dieser erste Anlauf nicht echt wäre, aber er wird durch die empfangenen mächtigen Eindrücke verursacht, und die sterben ab. Dann treten zwei Dinge, welche in Wahrheit eigentlich eins sind, in die Erscheinung, nämlich die Frage, ob die Seele völlig erreicht ist, und inwieweit ihre Zuneigungen Von Christo erfüllt sind, und zweitens inwieweit ein Herzenseifer im Anklammern an Ihn hervorgebracht worden ist. Der Apostel sagt nicht nur: „Ich habe alles eingebüßt“, sondern auch: „ich achte es für Dreck“. Die Vortrefflichkeit der Erkenntnis Jesu Christi verlieh seiner Schätzung dessen, was in der Welt um ihn her war, und dessen, was sie ihm als natürlichem Menschen bot, Beständigkeit. Das dritte Kapitel des Philipperbriefes teilt uns den Grundsatz eines Wandels mit, der dem Laufe des Christen seine Energie und seinen Charakter ausprägt, und zwar eine bestimmte tätige Energie mit einem Gegenstande vor sich. Das zweite Kapitel redet von der Gnade des christlichen Lebens, das dritte von seiner Energie; das eine stellt uns Christum vor, wie Er auf diese Erde hinabsteigt, das andere Christum in der Herrlichkeit, dem die Seele als ihrem einzigen Gegenstande nachjagt. Das ist es, was Energie verleiht. „Der wankelmütige Mann ist unstet in allen seinen Wegen. „Wir finden auch im natürlichen Leben, dass der Mensch, welcher nur einen Gegenstand hat, energisch und kraftvoll ist. Diese Stetigkeit in der Beurteilung der Wertlosigkeit aller Dinge kennzeichnet den Platz, welchen Christus in unseren Herzen einnimmt; sie verleiht wahre Freude und Freiheit und macht uns zu einem klaren Zeugnis für Christum in der Welt. Nur vergiss nicht, dass nur der Suchende findet, und -dass wir jeden Augenblick Kraft nötig haben; ferner, dass das Manna von heute nicht für morgen reicht. Die Welt lockt beständig, und wir bedürfen der steten Gnade Christi, der ganzen Waffenrüstung Gottes, um allem zu widerstehen. Es ist eine gesegnete Stellung, gesegnet schon jetzt, aber sie erfordert ein einfältiges Auge. Es handelt sich nicht nur darum, das Böse zu meiden, sondern dass das Herz entschieden auf einen Gegenstand gerichtet sei, dem es mit demütiger, freudiger und vor allem beständiger Energie nachstrebt. Die Ietzten Tage nahen mit Macht heran, und wir sollten Menschen gleich sein, die auf ihren Herrn warten, damit, wenn Er von der Hochzeit zurückkehrt und „kommt und anklopft, sie Ihm alsbald aufmachen“. Richte Deinen Sinn ruhig, aber stetig auf Seine Ankunft . . . . Du hast bisher wie eine Pflanze in einem Gewächshause gelebt und weißt wenig von einem „Ausgeleertwerden von Fass zu Fass, wie es von Moab heißt. Ich bedaure nicht, dass es so ist. Jedoch solltest Du mit Deinen kleinen Sorgen sehr dankbar sein· Aber es kann auch bei Dir eine Wendung eintreten, und in gewissem Sinne muss sie eintreten. Hierin zeigt sich die Regierung Gottes. Wir alle — selbst der Geduldigste und Gottesfürchtigste von uns -— können zu unserem Besten durch schwere Trübsale gehen müssen, wie z. B. Hiob; aber als allgemeine Regel und Ordnung gilt, dass der stille, sanftmütige und unterwürfige Geist, der in Gehorsam und Ordnung wandelt (nicht im EigenwilIen, welche Form dieser auch annehmen mag) ein ruhiges und friedliches Leben führen wird. Das Wort: „Ehre deinen Vater und deine Mutter“ findet in seinen Folgen auch heute noch allgemeine Anwendung. Es ist durchaus wahr, dass die Sünde in alle Verhältnisse Unordnung gebracht hat, und ferner, dass wir uns nicht unter der geoffenbarten Regierung Gottes befinden, wie es bei Israel der Fall war. Es mögen also, wie ich bereits sagte, Sorgen kommen zu unserem geistlichen Nutzen. Immerhin fällt aber kein Sperling vom Dache ohne unseren Vater. Andererseits nimmt die Regierung Gottes ihren Fortgang. Das zeigen die Briefe des Petrus: der erste zu unseren Gunsten, der zweite was die Bösen angeht. Dies ist auch von Dir wahr, mein lieber —. Wenn Du still, unterwürfig und gehorsam vorangehst, mit einem Willen, der nicht sich selbst sucht, um was es sich auch handeln mag, und der nicht sich selbst oder seinen Gedanken folgt, so wirst Du selbst hienieden glücklich sein. Die Ursache davon, wenn wir uns in einem unglücklichen Zustand befinden, ist unser eigener Wille und der Umstand, dass wir uns selbst zum Mittelpunkt machen. Denn äußere Umstände mögen wohl Prüfungen mit sich bringen, sie mögen Sorgen bringen, aber sie verursachen keinen unglücklichen Zustand. Wo ein solcher vorhanden ist, da ist er die Frucht des ruhelosen, unzufriedenen Willens. Lass darum in kleinen oder großen Dingen Geduld, Unterwürfigkeit und Selbstbeherrschung Dich kennzeichnen! Gott sei Dank! Du weißt, dass es bessere Dinge gibt, als was der Wille hienieden sucht. Es muss aber Eifer und Ernst vorhanden sein, diese Dinge zu genießen, denn in Deinem Alter beginnen die Welt und das Böse zu locken, das Herz abzuziehen und die Gemeinschaft zu stören. Wenn nun kein Eifer da ist, so gewinnen die irdischen Dinge einen Halt im Herzen, und wenn sie nicht gerichtet werden, so schließen sie alles aus, was es Schönes und Begehrenswertes in Christo gibt. Dadurch ist dann kein Gegengewicht in unseren Herzen vorhanden, selbst wenn unser Gewissen uns noch verurteilen sollte. Wenn wir dagegen den Herrn und Seine Gnade suchen, so wird eine erlösende Kraft vorhanden sein, um uns von allem frei zu machen und uns in Christo eine Freude finden zu lassen, die das Böse und die Welt ausschließt. Danach strebe! Sei nicht träge in göttlichen Dingen, denn das vermag selbst in denen böse Früchte zu zeitigen, die aufrichtig sind. . . . . Es freut mich, dass Du eine glückliche Zeit bei N. verbracht hast. Sage ihm, dass Herr – vor kurzem seine Frau verloren habe, und zwar ziemlich unerwartet, nach kurzer Krankheit. Er sei dadurch, wenn er sich auch dem Herrn beuge, furchtbar erschüttert worden. Wir leben in einer Welt voll Kummer und Leid. Noch gestern erhielt ich Nachricht von einem anderen Bande, das zerrissen worden ist, und zwar blieb hier eine Tochter einsam und allein zurück. Aber das alles ist gut für uns. Es lässt uns fühlen, dass unsere Ruhe nicht hienieden ist. Das kannst auch Du lernen, so jung Du noch bist. Es hat jetzt bei Dir damit angefangen, dass Du Deine Heimat verlassen hast. So war es auch einst bei mir. Ich erinnere mich noch gut der Trostlosigkeit, die ich empfand, als ich hinaus musste. „Fremder“ ist ein Wort, das die Sünde mit sich gebracht hat. Im Lateinischen und einigen anderen alten Sprachen bedeutet es zugleich „Feind“. So ist es bei den Menschen. Im Himmel wird es keinen Fremden geben, noch wird irgend Jemand dem Herrn fremd sein. Das ist ein kostbarer Gedanke. Die Liebe Gottes macht alle eins· So sollte es heute schon mit der Gemeinde Gottes sein. Ich tadle keineswegs Deine Gefühle betreffs Deiner Heimat, denn in dieser Welt, für unsere menschlichen Gefühle, ist die Heimat das, was den Mittelpunkt aller wahren Gefühle bildet. Gewiss wird das immer so für Dich bleiben, nur müssen wir lernen, dass alles dieses einmal zerbricht, weil Sünde und Tod auf den Schauplatz getreten sind. Wir müssen lernen, Pilger und Fremdlinge in der Welt zu sein. Wir werden dafür eine Heimat finden, die uns nie genommen werden wird. Gott sei gepriesen, dass Er uns diese Ruhe gibt, und dass Er, als unser Vater, Seine Wohnstatt zu unserer Heimat gemacht hat, wo wir mit Christo, unserem geliebten Heiland, für immer sein werden! Ich freue mich sehr darüber, dass Du so viel in der Schrift forschest und Dich an ihr erquickst. Ich kann Dir sagen, mein lieber ——: Obwohl ich, wie Du weißt, seit Jahren darin forsche, so finde ich doch immer wieder durch die Gnade, welch neue Schätze im Worteenthalten sind, und dass das Kennenlernen irgend einer Wahrheit und Gnade nur das Mittel ist, um wieder andere entdecken zu können. Und es handelt sich nicht nur um Wahrheiten, nein, es sind die unerforschlichen Reichtümer des Christus. Wir lernen Seine Reichtümer in dem Maße kennen, wie wir diese Wahrheiten kennen lernen. „Ich heilige mich selbst für sie, auf dass auch sie Geheiligte seien durch Wahrheit“. Was wir dabei lernen, ist unendlich kostbar, weil es in Ihm und die Frucht der Liebe des Vaters ist. Möge der Herr Deine Zuneigungen frisch erhalten in diesen Dingen! Denke gering von Dir selbst. Die wirkliche Freude an den Dingen Gottes macht uns leer von uns selbst und lässt uns gering von uns denken, weil zunächst unsere Zuneigungen auf einen Anderen (Christum) hingelenkt werden, und weil wir alle ihre göttlichen Vortrefflichkeiten in einem Anderen sehen, und zwar in Einem, der sich zu nichts gemacht und sich erniedrigt hat, ja, der, „da Er reich war, um unsertwillen arm wurde, auf dass wir durch Seine Armut reich würden. Sei sorgfältig in allem, was Du zu tun hast! Die Pflicht ist ein ausgezeichnetes Ding. Selbst beim Spiel sei herzlich und frei, dabei nüchtern und nachgiebig anderen gegenüber, und der Herr sei mit Dirund segne Dich reichlich!
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Du sollst nicht töten
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 281ff
In einem Aufsatz des „Botschafter“, betitelt: Der Gläubige und die von Gott verordneten Autoritäten, heißt es am Schluss:
In beiden Fällen war der Befehl der von Gott eingesetzten Obrigkeit gegen die höhere Autorität, gegen Gott selbst, gerichtet. . . . Auch wir würden den Gehorsam verweigern und die Folgen auf uns nehmen müssen, wenn die Obrigkeit uns zur Übertretung eines bestimmten Befehls unseres Herrn zwingen wollte, was sie aber, Gott sei Dank! nicht tut.
Hier liegt nun die Frage nahe, die sich in unseren ernsten Tagen wohl der eine oder andere Bruder gestellt haben wird, ob uns nicht das Teilnehmen an dem Kriege, den unser Land führt, mit dem Gebot: „Du sollst nicht töten!“ in Widerspruch bringt. Diese Frage dürfen wir wohl bestimmt verneinen. Denn Kriegführen oder der Gebrauch der Waffe im Felde ist nicht mit Mord und Totschlag auf eine Stufe zu stellen. Wenn es nicht so wäre, würde ja ein Christ überhaupt nicht Soldat werden können. In dem sogenannten Fahneneid schwört der Soldat seinem Fürsten oder Lande Treue in Friedens- und Kriegszeiten, zu Wasser und zu Lande. Wäre es aber Treue, wenn er in der Stunde der Gefahr sich weigern würde, von seinen Waffen Gebrauch zu machen?
Die letzten Sätze sind von einigen Lesern teilweise beanstandet worden ; andere haben um eine nähere Erklärung gebeten, worauf man die bestimmte Verneinung der Frage, ob das Teilnehmen am Kriege uns nicht mit dem Gebot: „Du sollst nicht töten!“ in Widerspruch bringe, stützen könne. Wenn wir im Nachstehenden diese Erklärung zu geben versuchen, und zwar, wie wir hoffen, in Übereinstimmung mit den Belehrungen der Schrift, möchten wir von vornherein betonen, dass wir in dieser Frage, die für den einen und anderen Gläubigen eine ernste Gewissenfrage werden kann, selbstverständlich nur einer persönlichen Meinung Ausdruck geben, deren Beurteilung wir dem Leser überlassen.
Vorausgeschickt seien einige Bemerkungen über den Krieg und den Soldatenstand überhaupt.
Dass der Krieg, selbst wenn er nicht so rücksichtslos und erbittert geführt wird wie der gegenwärtige, eine Folgeerscheinung der Sünde ist, und zwar eine der schlimmsten Art, darüber wird unter Gläubigen wohl kaum eine Meinungsverschiedenheit bestehen. „Woher kommen Kriege und woher Streitigkeiten unter euch?“ schreibt Jakobus an die in der Zerstreuung lebenden zwölf Stämme Israels. „Nicht daher, aus euren Wollüsten, die in euren Gliedern streiten“ (Kap. 4, 1)? Neid und Missgunst, Macht- und Ehrgelüste, Geld- und Ländergier, völkische Eifersucht und Überhebung — das sind einige der bitteren Quellen, aus welchen die kleinen und großen Kriege hervorgehen, lauter Folgen oder Früchte des Sündenfalls. Wäre die Sünde nicht in die Welt gekommen, würden die Menschen das „königliche“ Gesetz: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ nach der Schrift erfüllen (Jak. 2, 8), so gäbe es überhaupt keine Streitigkeiten, Rechtshändel und Kriege. Und selbst wenn, nachdem nun einmal die Sünde in die Welt gekommen ist, in den Herzen der Menschen und in den Köpfen der Diplomaten wahrhaft christliche Grundsätze die Herrschaft hätten, so würden Reibungen und Streitfälle, die beim Nebeneinanderwohnen ja unvermeidlich sind, auf das Mindestmaß beschränkt werden, jedenfalls aber auf friedlichem Wege ihre Erledigung finden. Denn „die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses“ (Röm. 13, 10), sondern „nur Gutes“. Ein Krieg zwischen christlichen Völkern, vor allem ein Krieg wie der gegenwärtige mit all den entsetzlichen Formen, die er angenommen hat, ist ein grausamer Hohn auf das christliche Bekenntnis, eine vernichtende Bankerotterklärung gegenüber den heidnischen Völkern, denen man „die Segnungen des Christentums“ zu bringen sich brüstet. Ja, er ist ein erstklassiges Meisterstück Satans, des Gottes und Fürsten dieser Welt.
Aus dem Gesagten folgt mit Notwendigkeit, dass ein Christ" *), wenn er anders seinem Charakter treu bleiben will, niemals mit Freuden oder gar mit jener flammenden Begeisterung in den Krieg ziehen kann, die von den Menschen so hoch eingeschätzt und in ihren Liedern so warm besungen wird. Wohl ist es möglich; ja, sogar verständlich, dass der Sturm patriotischer Gefühle, der den Gläubigen umbraust, der berauschende Klang vaterländischer Weisen, die ihn von allen Seiten umtönen, ihn für den Augenblick berauschen und mit fortreißen können, besonders wenn das Blut noch jugendlich rasch in seinen Adern rollt; aber die stillen Unterweisungen des Heiligen Geistes in seinem Innern und die sanfte Stimme des guten Hirten — verbunden mit dem Anschauen der widerwärtigen Ausbrüche unreiner Leidenschaften, die sich stets zeigen werden neben dem menschlich Edlen und Guten, welches der Kampf eines Volkes um seine höchsten irdischen Güter hervorbringt — jene Unterweisungen, sage ich, werden ihn bald belehren, dass sein Platz als Christ eigentlich nicht in den Reihen der Kämpfenden ist, und dass er nur deshalb dem Rufe seines Kaisers oder politischen Oberherrn folgt, weil er als Untertan gebunden ist, willig und treu seine Pflicht zu tun, „Gehorsam zu leisten“, wenn es sein muss, bis in den Tod.
Manchen unserer jungen gläubigen Soldaten wird es so ergangen sein, wie wir es vorhin beschrieben haben; die Wogen der patriotischen Begeisterung schlugen auch bei ihnen hoch. Aber sie werden auch von stillen Stunden zu erzählen wissen, in welchen der Herr sie über das belehrt hat, was einem Jünger Jesu geziemt, und wo sie manchen Gedanken, manche Äußerung oder auch rasche Handlung vor Ihm zu bekennen und zurichten hatten. Aber nicht nur bei diesen jungen, ins Feld ziehenden Brüdern, nein, auch in den Herzen vieler Daheimbleibenden, hat es, besonders in den ersten Wochen des Krieges, Stimmungen gegeben, die gewiss nicht von oben gewirkt waren, „die das untrügliche Urteil des Heiligen Geistes als ,,menschlich« oder gar „fleischlich« bezeichnen müsste. Der lang andauernde schwere Druck der auf uns leistenden Hand Gottes hat in dieser Beziehung manches anders werden lassen. Neben der allgemeinen Demütigung und Beugung, die sich, Gott sei Dank, von Anfang an in den Kreisen der Gläubigen gezeigt haben, ist auch eine bei manchem notwendige Klärung und Ernüchterung des Urteils eingetreten. Wir wollen den Herrn dafür preisen und Ihn bitten, dass Seine Ziele in dieser wie in jeder anderen Hinsicht mit uns allen mehr und mehr erreicht werden möchten.
Sehr betrübend ist es, wenn ein im Felde stehender Bruder noch vor wenigen Monaten schreiben musste: „Es ist eine große Wohltat, von einem Bruder ein Lebenszeichen zu erhalten, aus welchem herzliche Liebe und inniges Gedenken· vor dem Herrn spricht. Das stimmt sehr zum Dank. Aber wenn die Briefe sich nur nach den Russen und Franzosen erkundigen oder gar Bemerkungen enthalten wie: „Man feste druff“ und dergl. — Bemerkungen, die gar peinlich berühren, so fragt man sich doch, ob die Schreiber wohl ihre Stellung zum Herrn und zu den Brüdern erkennen und einnehmen. Möchten sie doch bedenken, wie schrecklich es für ein Kind Gottes ist, das Morden und Brennen ansehen zu müssen, sowie das Sterben so vieler Menschen, die unversöhnt mit Gott aus der Welt scheiden, das Fallen von Kameraden, die man vielleicht oft ermahnt hat! Wie viel Gnade vom Herrn ist schon allein dafür nötig“!
Ja, wie überaus schwer ist der Stand eines Gläubigen in den vordersten Linien, in den Schützengräben! Aus diesem Grunde wird ein einsichtsvoller, treuer Christ auch nie nach dem Dienst in der Front trachten, auch nicht nach Unternehmungen, wobei es kriegerische Lorbeeren zu pflücken und militärische Auszeichnungen zu verdienen gibt; im Gegenteil wird er den Herrn bitten **), ihn, wenn irgend möglich, vor Blutvergießen und vor allem vor jenen entsetzlichen Nahkämpfen zu bewahren, welche selbst bei sonst wenig gefühlvollen, rauen Menschen Eindrücke hinterlassen, die sie Zeit ihres Lebens nicht wieder loswerden. Schon der bloße Gedanke an einen Kampf Mann gegen Mann, möglicherweise Bruder gegen Bruder, ist für ein Christenherz furchtbar. Darum wird ein Christ sich niemals vordrängen. Dagegen wird er treu und mannhaft seinen Platz ausfüllen, wohin er auch gestellt werden mag, still und stark ausharren in Entbehrungen und Leiden, mutig und tapfer der Gefahr ins Auge schauen und sich dabei über jede Gelegenheit freuen, wo er anderen, besonders Verwundeten und Sterbenden, einen Dienst erweisen kann, sei es auch unter Einsatz des eigenen Lebens. In der Beweisung treuer Kameradschaft, ja, mehr als das, in der Übung einer selbstlosen, aufopfernden Liebe wird er seinen Kameraden mit leuchtendem Beispiel vorangehen und so den „Wohlgeruch Christi“ überall umherzutragen suchen (2. Kor. 2, 15). Dass er sich von Ausschreitungen jeder Art, von unnötigen Härten und Bedrückungen, von Plünderung und Raub fernhalten, vielmehr versuchen wird, seine Kameraden vor etwaigen Übergriffen dieser Art zu bewahren, ist so selbstverständlich, dass es kaum erwähnt zu werden braucht.
Kann ein Christ einen Platz im Sanitätsdienst finden, so wird er ihn gern annehmen, selbst auf die Gefahr hin, von anderen als ein Feigling oder „Drückeberger“ betrachtet zu werden. Er wird danach trachten zu beweisen, dass er beides nicht ist, und die Gelegenheiten dazu werden nicht ausbleiben, umso weniger als der heutige Sanitätsdienst Gefahren, Mühen und Entbehrungen aller Art in reicher Fülle mit sich bringt.
Niemals sollte sich ein Christ in Ländern, wo die allgemeine Wehrpflicht nicht besteht, freiwillig als Soldat anwerben lassen. Wird ein Berufssoldat (Offizier oder Unteroffizier) bekehrt, so gilt ihm wohl das Wort in 1. Kor. 7, 20—24: d. h. ist er als Soldat berufen worden, so soll er es sich nicht kümmern lassen, sondern in seinem Berufe bleiben bei Gott; kann er frei werden, umso besser.
Der Soldatenstand ist unter allen Umständen für den Christen ein schwerer Stand, ein Beruf, der seiner neuen Natur widerstrebt, und der für den Jünger Jesu manchen Anlass zu Gewissenskämpfen in sich birgt, ein Beruf also, den er sich nicht wählen sollte.
Wäre es aber so, — wie manche Gläubige in früheren Zeiten gemeint haben und einzelne vielleicht auch heute noch meinen, — dass ein Christ niemals, unter keinen Umständen, Gebrauch von der Waffe machen dürfe, so dürfte er den Soldatenstand nicht nur nicht wählen, nein, er müsste sich bestimmt weigern, überhaupt Soldat zu werden. Mit anderen Worten: Er müsste in Ländern mit allgemeiner Wehrpflicht es ablehnen, den sogenannten Fahneneid zu leisten, weil er sich durch diesen Eid seinem politischen Oberherrn gegenüber zu willigem Gehorsam und treuer Pflichterfüllung in Friedens- und Kriegszeiten verpflichtet; und dazu gehört vor allen Dingen die Verteidigung seines irdischen Vaterlandes gegen alle inneren und äußeren Feinde. Etwaige ernste Folgen, die aus einer solchen Weigerung entstehen könnten, dürften ihn nicht abhalten, der höheren Verpflichtung Gott gegenüber zu folgen, sollte es ihn selbst die Freiheit oder gar das Leben kosten.
Aber liegt eine solche höhere Verpflichtung wirklich vor? Wir meinen es nicht, wie wir schon in dem oben genannten Aufsatz gesagt haben. Wir glauben im Gegenteil, dass ein Gläubiger als Untertan gebunden ist, der Obrigkeit gegenüber auch in dieser Sache Gehorsam zu leisten, ja, dass er es tun kann, ohne sein Gewissen irgendwie zu beschweren. Da wird es allerdings nötig werden, einige Stellen der Schrift, die dem Gesagten zu widersprechen scheinen und schon manchem Gläubigen Bedenken gemacht haben, etwas näher zu beleuchten. Hierher gehören zunächst die Worte des Herrn Jesus in Matth. 26, 52:
„Alle, die das Schwert nehmen, werden durchs Schwert umkommen.“
Diese Worte wurden an Petrus gerichtet, der im Kampfe mit Satan und dessen Werkzeugen zur Befreiung seines geliebten Herrn zu fleischlichen Waffen griff. Zu diesem Zweck nahm er das Schwert, d. h. er bediente sich eines Mittels, das ihm von Seiten Gottes nicht in die Hand gegeben war; und das sollte niemand tun, vor allem nicht ein Jünger Jesu. Doch mehr noch: Wenn es sich um Verfolgung seitens der Welt um Christi willen oder um die Wahrung persönlicher Rechte handelt, soll ein Christ sich überhaupt nicht verteidigen, sondern vielmehr Schmach und Unbill willig ertragen und das Böse mit dem Guten zu überwinden suchen. Er ist berufen, seinen Feind zu lieben und feurige Kohlen auf dessen Haupt zu sammeln (Röm. 12, 20. 21). Als ein Jünger des sanftmütigen und von Herzen demütigen Jesus soll er seine Gelindigkeit allen Menschen kundwerden lassen, gescholten nicht wiederschelten, leidend nicht drohen, sondern sich Dem übergeben, der recht richtet (Phil. 4, 5; 1. Petr. 2, 23).
Hierher gehört auch die Stelle in Offg. 1L-3, 10: „Wenn jemand mit dem Schwerte töten wird, so muss er mit dem Schwerte getötet werden. Hier ist das Ausharren und der Glaube der Heiligen“. Auch dann, in den schrecklichen Zeiten des Endes, wenn das Blut der Zeugen Jesu wieder in Strömen fließen wird, ist das Teil der Heiligen nicht Selbsthilfe, sondern Ausharren und Leiden. So werden sie, obwohl anscheinend unterliegend, die Siegespalme erringen.
Der Apostel Paulus lässt seiner Ermahnung zur Gelindigkeit die Worte folgen: „Der Herr ist nahe“. Warum wohl? Weil der Herr bei Seiner Ankunft für die Seinigen eintreten und alles für sie in Ordnung bringen wird. Ja, Herrlicheres als das wird geschehen. Wenn Er einmal herrschen wird von Meer zu Meer und von einem Ende des Himmels bis zum anderen, dann wird aller Hader und alles Kriegsgetümmel für immer verstummen. Er selbst wird dann alle Streithändel aus dem Wege schaffen, indem Er „richten wird zwischen den Nationen und Recht sprechen vielen Völkern“. Er wird die Kriege beschwichtigen bis an das Ende der Erde, den Bogen zerbrechen und den Speer zerschlagen, die Wagen mit Feuer verbrennen (Ps. 46, 9). Seiner Stadt Jerusalem wird Er Frieden zuwenden wie einen Strom (Jes. 66, 12); und die Menschen, anstatt immer neue und immer schrecklichere Mordwerkzeuge zu ersinnen, werden ihre Waffen zu friedlichen Zwecken umschmieden. „Nicht wird Nation wider Nation das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr lernen“ (Jes. 2, 4: Micha 4, 3). Der Jubelruf der Engel: „Friede auf Erden!« wird dann voll und ganz zur Wahrheit werden.
Nun, der Christ ist heute schon ein Kind des Friedens, sein Gott ist der Gott des Friedens, sein Herr der Herr des Friedens, und wenn ihm zugerufen wird: „Wenn möglich, so viel an euch ist, lebet mit allen Menschen in Frieden“ (Römer 12,18), so steht das nur im Einklang mit den Wünschen und Trieben seiner neuen Natur. Er liebt den Frieden und weiß, dass die Friedensstifter Söhne Gottes heißen sollen, weil sie in Übereinstimmung sind mit ihrem Vater im Himmel, Wie sollte ein Friedenskind das Schwert nehmen, um sich und seine Rechte zu verteidigen? Es ist berufen zu leiden, aber nicht zu streiten, sich übervorteilen zu lassen, aber nicht Rechtshandel zu haben (1. Kor. 6, 7).
Die Worte unseres Herrn Jesus oder diejenigen in Offg. 13 haben also nichts mit Krieg und Kriegführen zu tun. Sie sagen uns vielmehr, wie ein Mensch, vor allem ein Jünger und Nachfolger Jesu, sich verhalten soll, wenn er persönlich beleidigt oder in seinen Rechten angetastet wird. Er soll nicht zum Schwerte greifen.
Ähnlich ist es mit dem Gebot:
„Du sollst nicht töten“!
Wenn Gott dem Menschen sagt: „Du sollst nicht töten“, so gibt Er dadurch dem Ihm allein zustehenden Recht der Entscheidung über das Leben Seiner Geschöpfe Ausdruck. Kein Mensch hat als solcher ein Recht, über sein Leben oder das Leben seiner Mitmenschen zu verfügen. Wenn er sich daher selbst das Leben nimmt, so greift er ebenso gut in Gottes Rechte ein und wird ein Mörder, wie wenn er einen anderen Menschen erschlägt und das ernste Urteil über sich bringt: „Wer Menschenblut vergießt, durch den Menschen soll sein Blut vergossen werden“ (1. Mose 9, 6). Unter Israel war deshalb ein Mörder rettungslos dem Schwerte des Bluträchers verfallen, während der Totschläger (der einen Menschen ans Versehen erschlagen hatte) in einer der Freistädte Aufnahme und Zuflucht finden konnte.
Die vorhin angeführte Stelle (1. Mose 9, 6) beweist zu gleicher Zeit, dass Gott in dem angeführten Falle, d. h. also wenn ein Mensch den anderen mit Absicht erschlägt, dem Menschen das Recht gibt, ja, die Pflicht auferlegt, den Mörder dadurch zu bestrafen, dass er ihm Gleiches mit Gleichen: vergilt — ihn tötet. „Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß“ (5. Mose 19, 21), das ist die Grundlage des göttlichen, dem Menschen zur Richtschnur gegebenen Gesetzes. „Sein Auge soll nicht schonen.“ Die Ausübung und Überwachung dieses Gesetzes hat Gott den an Seiner Stelle stehenden regierenden Persönlichkeiten, der Obrigkeit, übertragen, und weil diese an Seiner Stelle steht, „trägt sie das Schwert“, d. h. sie besitzt, als von Gott ihr verliehen, das Verfügungsrecht über Tod und Leben. Wenn sie daher ein Todesurteil fällt, so kann das Gebot: „Du sollst nicht töten“, auf sie nicht in Anwendung kommen; ebenso wenig auf den oder die Menschen, welche in ihrem Austrag das Todesurteil vollstrecken. Es steht vielmehr geschrieben: „Jeder, der einen Menschen erschlägt: aus die Aussage von Zeugen soll man den Mörder töten. .. Die Hand der Zeugen soll zuerst an ihm sein, ihn zu töten“ (4. Mose 35,30; 5. Mose 17, 7.) Die Richter der Erde stehen an Gottes Stelle und sind gleichsam mit göttlicher Autorität bekleidet. Gott nennt sie deshalb auch in Ps. 82 „Götter und Söhne des Höchsten“ (Vergl. Joh. 10, 34—36).
Ähnlich ist es auch, wenn Gott in den gerechten Wegen Seiner Regierung durch einen Seiner Vertreter auf dieser Erde Gericht ausüben lässt. Als Mose mit den Gesetzestafeln vom Berge Sinai herabkam und das Volk Israel um das goldene Kalb tanzen sah, stellte er sich im Tore des Lagers auf und sprach: „Her zu mir, wer für Jehova ist!“, und als die Söhne Levis sich um ihn scharren, gebot er ihnen, „ein jeder seinen Bruder und ein jeder seinen Freund und ein jeder seinen Nachbar zu erschlagen“. Wie er geboten hatte, so geschah es. „Es fielen von dem Volke an selbigem Tage bei dreitausend Mann“ (2. Mose 32). Trotzdem übertraten die Söhne Levis nicht das Gebot Gottes; im Gegenteil, sie empfingen für ihr Tun Anerkennung und Segen (Vergl. 5. Mose 33, 9).
So erhielt auch ganz Israel später den Befehl, Gottes Strafgericht an den Nationen Kanaans zu vollziehen und sie mit Weib und Kind auszurotten. Ja, das Volk wurde ernstlich dafür gestraft, weil es diesen Befehl nicht so gründlich ausgeführt hatte, wie ihm geboten worden war: „Du sollst nichts leben lassen was Odem hat, sondern sie gänzlich verbannen“, und: „Du sollst keinen Bund mit ihnen machen, noch Gnade gegen sie üben“ (5. Mose 20, 16. 17; 7, 2). Das Maß der Amoriter war zum Überlaufen voll, und so gab Gott selbst Seinem Volke das Schwert in die Hand.
Umgekehrt wurde Assur nachmals in der Hand Gottes der Stock, welcher Israel schlug, und den König Kores ergriff Gott bei seiner Rechten, um Nationen vor ihm niederzuwerfen und die Lenden der Könige zu entgürten. Mit anderen Worten: Gott benutzte diese Männer und Völker als Zuchtruten für andere. Und so handelt Er heute noch. Denn wenn auch Sein Thron von Jerusalem entfernt ist (Hesekiel 10) und Er „Königtum, Macht und Gewalt“ den Nationen und ihren Königen anvertraut hat (Dan. 2, 37), ist Er doch heute wie immer Gott von allen Königreichen der Erde (2. Kön. 19, 15) und „Herr der ganzen Erde“ (Sach. 6, 5), und Er lenkt in Seiner Vorsehung die Geschicke der Völker und Länder, mögen die Völker und ihre Führer das anerkennen oder nicht. Es scheint wohl oft so, als ob Gott sich um die politischen Vorgänge auf der Erde gar nicht kümmere, aber Sein Wort, das einst im Hause des Töpfers zu dem Propheten Jeremia geschah, hat nichts von seiner Kraft verloren: „Einmal rede ich über ein Volk und über ein Königreich, es auszureißen und abzubrechen und zu zerstören; kehrt aber jenes Volk, über welches ich geredet habe, von seiner Bosheit um, so lasse ich mich des Übels gereuen, das ich ihm zu tun gedachte. Und ein anderes Mal rede ich über ein Volk und über ein Königreich, es zu bauen und zu pflanzen; tut es aber was böse ist in meinen Augen, so dass es auf meine Stimme nicht hört, so lasse ich mich des Guten gereuen, das ich ihm zu erweisen gesagt hatte“ (Jer. 18, 7—-10).
In den Wegen Seiner Regierung macht Gott auch heute noch „fruchtbares Land zur Salzsteppe wegen der Bosheit der darin Wohnenden“, und Er macht umgekehrt „zum Wasserteich die Wüste und dürres Land zu Wasserquellen, und Er lässt Hungrige daselbst wohnen“ (Ps. 107, 33 —- 36).
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Gott in Seiner Vorsehung die Kriege vielfach zum Heil der Völker und Länder ausschlagen lässt. Wenn auch in anderem Sinne als bei Kores, hat Er sie oft dazu benutzt, „Um eherne Pforten zu zerbrechen und eiserne Riegel zu zerschlagen“ (Jes. 45, 2), d. h. Er hat sie dazu dienen lassen, um Seinem Worte und Werke freie Bahn zu machen und die Herzen zuzubereiten für die Aufnahme Seiner Gnadenbotschaft.
Man hat zwar gesagt, Gott habe gar nichts mit den Kriegen der christlichen Völker zu tun, und der Sieg gehöre dem Volke, das die meisten Soldaten, Kanonen und Schiffe besitze. Aber ist das so? Lehrt nicht die Geschichte genau das Gegenteil in vielen Beispielen?«) Und dürfen wir heute nicht mehr darauf rechnen, dass Gott auf den hört, der am Tage der Bedrängnis zu Ihm ruft (Ps. 50, 15), sei es König oder Soldat, ob bekehrt oder unbekehrt? Ist es Ihm ferner gleichgültig, ob eine Regierung oder ein Volk in frechem Unglauben und offener Verachtung Seines Wortes handelt, oder ob ein König seine Knie vor Ihm beugt, auf Seine Stimme hört und Sein Volk auffordert, dasselbe zu tun? Wenn es so wäre, dann würde Salomo heute nicht mehr sagen dürfen: „Gerechtigkeit erhöht eine Nation, aber Sünde ist der Völker Schande“, oder: „Durch Gerechtigkeit steht ein Thron fest“ (Spr. 14, 34; 16, 12).
Doch wir sind von unserem eigentlichen Gegenstand ein wenig abgekommen. Kehren wir zurück.
Um den Unterschied zwischen Kriegführen und Mord oder Totschlag zu erläutern, sei auch noch auf das Beispiel Joabs, des Feldhauptmannes Davids, hingewiesen. Er wurde nicht getadelt, weil so viele Feinde durch ihn erschlagen worden waren, trotzdem er die Kriege oft grausam genug geführt und sich dadurch schwer verschuldet haben mag; wohl aber wurde er mit dem Tode bestraft, weil er die beiden Heerobersten Abner und Amasa erschlagen und so „Kriegsblut im Frieden vergossen hatte“.
Dem Gesagten gegenüber könnte man einwenden: Alle bisher angeführten Stellen und Beispiele sind dem Alten Testament entnommen. Es ist so. Sie sollen ja auch nur dazu dienen, den Unterschied zwischen Kriegführen und Mord oder Totschlag zu erläutern und zu zeigen, dass das Gebot: „Du sollst nicht töten!“ nur auf letzteres Bezug haben kann.
Dass wir im Neuen Testament auf einem ganz anderen Boden stehen als im Alten, und dass Krieg und Kriegführen dem Geiste des Neuen Testaments und der Berufung des Christen nicht nur nicht entsprechen, sondern unmittelbar zuwider sind, haben wir schon weiter oben ausführlich dargelegt. Aber das ändert nichts an Gottes Gedanken über Sein Gebot. Wäre es anders, d. h. müssten wir dieses Gebot heute auf die Teilnahme am Kriege und den Gebrauch der Waffe im Felde beziehen, so würden die Tausende und Zehntausende von Gläubigen, die dem Rufe ihrer Regierung gefolgt sind (auf welcher Seite der Streiter sie auch stehen mögen), alle ausnahmslos, als Übertreter dieses Gebotes, nach 5.Mose 27, 26 verflucht sein und gegebenen Falles (nach 1. Mose 9, 6) als Lohn ihres Tuns den Tod erwarten müssen.
Es wäre nutzlos, sich hier in allgemeinen Betrachtungen und Erwägungen ergehen zu wollen. Wir müssen der Frage offen und gerade ins Auge schauen. Wir stehen auch hier vor einem ernsten Entweder-oder. Eine Ungewissheit oder auch nur ein Schwanken in dieser Frage müsste unseren Brüdern draußen ihren ohnehin so schweren Weg noch unendlich erschweren. Wir wiederholen also: Entweder muss das Gebot: „Du sollst nicht töten!“ heute auch auf Kriegführen usw. angewandt werden, und dann ist der Gläubige verpflichtet, es unter allen Umständen zu halten, trotz der etwaigen ernstesten Folgen, oder es ist nicht darauf anzuwenden, und der Christ kann mit gutem Gewissen Soldat werden, falls er dazu von seiner Obrigkeit angehalten wird. Wir halten, wie wiederholt gesagt, auf Grund des Wortes Gottes, das Zweite für das Richtige, möchten aber noch ein kurzes erläuterndes Wort hinzufügen.
Es handelt sich bei dem Recht und der Pflicht der Obrigkeit oder einer regierenden Persönlichkeit, das Schwert zu gebrauchen, zunächst allerdings um die Bestrafung der Bösen und die Belohnung der Guten (Römer 13). Einem Regenten liegt es aber, heute wie in früheren Zeiten, nicht nur ob, über die Aufrechthaltung der Ordnung im Inneren seines Landes zu wachen, er hat auch die Pflicht, sein Land und Volk nach außen hin zu vertreten und dessen Interessen nötigenfalls mit Waffengewalt zu verteidigen. Und ich habe als Untertan die Pflicht, auch in solchem Falle dem Aufgebot der regierenden Gewalt zu folgen. Eine Weigerung meinerseits würde eine Auflehnung gegen die von Gott gesetzte Autorität sein, selbst wenn ich persönlich überzeugt wäre, dass der Krieg hätte vermieden werden können oder sollen. Genauso wie in den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Herren und Knechten usw. trägt auch hier die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit ihres Tuns die handelnde Autorität, hier also der Kaiser, König oder Präsident. Sollte diese Autorität also selbst einen bösen Gebrauch von ihren: Recht machen, darf ich doch nicht aufhören, sie als Gottes Dienerin anzuerkennen und mich ihr zu unterwerfen — vorausgesetzt natürlich, dass sie nicht Forderungen an mich stellt, die ich als Christ gewissenshalber nicht erfüllen könnte. Wir möchten aber, unter Hinweis auf das früher Gesagte, nochmals darauf aufmerksam machen, dass „bei solchen Gewissensfragen große Vorsicht und Wachsamkeit am Platze ist“.
Welch eine große Erleichterung es ist, wenn man hinausziehen oder daheim Fürbitte üben kann in der Überzeugung, dass die eigene Regierung den Krieg nicht gewollt hat, dass sie vielmehr nur gezwungen zum Schwerte greift und dabei Gott um Seine Hilfe anruft, kann nur der verstehen und mitfühlen, der selbst in solcher Lage war.
Fußnote:
*) Wenn wir hier und später von einem „Christen“ reden, so meinen wir selbstverständlich einen wiedergeborenen, wahrhaft an Christum gläubigen Menschen.
**) Dass Gott solche Gebete, wenn sie ernstlich sind, erhört und die Seinen oft wunderbarlich bewahrt, davon könnten zahlreiche Beispiele erzählt werden.
***) Selbstverständlich darf man aus dem Umstand, dass ein König oder Volk siegreich ist, nicht umgekehrt den Schluss ziehen, das; um deswillen König oder Volk gottesfürchtig oder ihre Sache gut wäre. Man würde dann denselben Fehler machen wie die Freunde Hiobs, welche die Regierungswege Gottes der Beurteilung ihres kranken Freundes zu Grunde legten.
Ebenso wenig kann man sagen, das; ein Sieg immer heilbringend für »ein Volk oder Land sei. Vielleicht führt er im Gegenteil zu Überhebung und Gewalttat und dient dann nur zum Unsegen und schließlich wieder zum Gericht.
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Züchtigungen
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 299ff
Gott lässt uns, nachdem wir Sein Eigentum geworden sind, in der Welt, um uns für sich und für Seinen Dienst zu erziehen. Er will, dass wir unter Seinen Augen, im vertrauten Umgang mit Ihm, in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilandes wachsen, und vor der Welt Zeugen Seiner Ehre und Seiner Gnade in Dem seien, den die Welt verworfen und gekreuzigt hat.
Um dieses Ziel zu erreichen, ist Er unaufhörlich bemüht, uns zu unterweisen und zu einem würdigen Wandel zu leiten. Seine Sorge gilt nicht nur unserer Bewahrung und Durchhilfe, bis wir alle droben bei Ihm sind, sondern auch unserem Verwandeltwerden in das Bild Christi, unserer Gleichgestaltung mit Ihm in Gesinnung und Wandel. So sind denn alle Seine Führungen, die mannigfachen Umstände, in welche wir uns versetzt finden, samt allen Züchtigungen und Demütigungen, die uns zu teil werden, Mittel in Seiner Hand, um uns Seiner Heiligkeit mehr und mehr teilhaftig zu machen.
Es darf uns nun nicht wundern, dass diese Erziehung, wie liebevoll sie auch sein mag, mit Strenge verbunden ist, dass es also neben dem Unterricht in der Schule auch eine Rate gibt. Doch müssen wir uns immer wieder vorhalten, dass es die Hand eines liebenden Vaters ist, welche die Rute führt. Daran erinnert uns Gott selbst. „Erkenne in deinem Herzen, dass wie ein Mann seinen Sohn züchtigt, Jehova, dein Gott, dich züchtigt“ (5. Mose 8, 5). Und: „Wer ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt“ (Hebr. 12, 7)? In diesem Bewusstsein liegt ein starker Trost für jeden, der Züchtigung erleidet. Darum konnte auch Eliphas, der Temaniter, seinem schwergeprüften Freunde Hiob zurufen: „Glückselig der Mensch, den Gott straft! So verwirf denn nicht die Züchtigung des Allmächtigen. Denn Er bereitet Schmerz und verbindet, Er zerschlägt, und Seine Hände heilen“ (Hiob 5, 17. 18).
Gewiss wird kein Sohn die Züchtigung lieben; sie dünkt ihm für die Gegenwart nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein. Doch ist es wichtig für jeden Sohn, dass er in den Züchtigungen des Vaters, genauso wie in Seinen Wohltaten, die väterliche Liebe erblickt.
Jede Züchtigung unseres Gottes und Vaters hat einen doppelten Segen. Sie gibt uns Erkenntnis über uns selbst und lässt uns zugleich Seine wunderbare, unendliche Gnade besser verstehen. Hütten wir nur zu lernen, was wir in uns selbst sind, so würde uns das niederdrücken und mutlos machen; aber dieser Schmerz wird weit aufgewogen durch eine tiefere Erkenntnis dessen, was der Herr ist und was Er für uns ist. Darum noch einmal: „Glückselig der Mensch, den Gott straft!“
Der Vater straft uns nicht gern. Er möchte nur folgsame Kinder um sich haben, die sich durch Sein Auge leiten lassen· Diese kostbare Verheißung Seiner Leitung besitzen wir nach Psalm : 32. Wir können sie uns aber nur zu Nutze machen, wenn wir uns in Seiner Nähe halten, um aus Sein Auge zu achten, und wenn wir vertraut genug sind, um die Bedeutung Seines Blickes zu verstehen. Als unser Herr —- obgleich Er Gott über alles ist, gepriesen in Ewigkeit —— Seinen Platz auf Erden als Mensch einnahm, wandte Er niemals Seinen Blick von dem Auge des Vaters ab. Es war Seine Speise, den Willen des Vaters zu tun und Ihn in allem zu verherrlichen. Was irgend der Vater tat, das tat auch der Sohn gleicherweise (Joh. 5, 19).
Wir versäumen es oft, uns allein von Gottes Auge raten zu lassen. Wir halten uns nicht dauernd in der Gegenwart des Vaters auf, stehen dann nicht im Bannkreise Seines Auges und empfangen so keine unmittelbare Leitung von Ihm. Wir verlieren viel dadurch, wenn Gott uns deshalb auch nicht aus Seinem Auge lässt. Er ist außerordentlich gnädig und langmütig. Er warnt uns zunächst in ungemein verschiedener Weise. „In einer Weise redet Gott und in zweien“, sagt Elihu zu Hiob, fügt dann, aber klagend hinzu: „ohne dass man es beachtet“ (Hiob 33, 14), und wie oft trifft das bei uns zu! Verachtet man nun diese göttlichen Warnungen nicht, so stellt Gott uns Schwierigkeiten in den Weg, durchkreuzt unsere eigenen, selbstgewählten Wege durch Hindernisse aller Art, und zeigt uns Seinen Willen durch die Umstände des Lebens. Dieses gnädige Walten Seiner Vorsehung ist aber keine Leitung mehr im höheren Sinne, kein Raten durch das Auge, keine Leitung, die mit geistlicher Erkenntnis unserseits verbunden ist. Die Vorsehung Gottes mag uns wohl überwachen, aber sie leitet uns nicht im eigentlichen Sinne des Wortes, sie leitet vielmehr die Umstände und Dinge. Es ist sicher ein Segen, wenn wir die Leitung der Vorsehung erfahren, aber sie ist nicht eine Leitung durch das Auge, durch den Geist Gottes, sondern eine Führung mittelst Zaum und Zügel. Wir haben den vertrauten Platz unter den Augen des Vaters bereits verlassen, wenn wir uns nach Art der Rosse und Maultiere (vergl. Ps. 32, 9) durch die Umstände leiten lassen, statt durch die in der Gemeinschaft mit Gott erlangte Erkenntnis Seiner Gedanken und Seines Willens.
Gott ist immer bemüht, uns in Seiner Nähe zu halten. Unsere alte Natur dagegen sucht uns zu eigenen Wegen zu verleiten. Der Herr kommt uns zu Hilfe, indem Er unseren Glauben mannigfachen Prüfungen unterwirft. „Der Gerechte wird aus Glauben leben.“ Das ist unsere Berufung. Diesen Glauben, den Gott uns geschenkt hat, unterzieht Gott vielen Übungen, die alle den Glauben stärken sollen, gerade so wie in der Natur der Wind dazu dienen muss, die Wurzeln der Bäume zu festigen. So lange der Gläubige in Gemeinschaft mit Gott wandelt, so dass das Böse keine Kraft über ihn besitzt, so lange er die erkannte Sünde ernstlich richtet, wird er durch solche Glaubensprüfungen gekräftigt und zum Ausharren befestigt. Sobald er sich aber aus dem Lichte der Gegenwart Gottes entfernt und böse Dinge in seinem Herzen duldet, weil er sie in ihrer wahren Bedeutung nicht mehr zu unterscheiden vermag, bedarf er der väterlichen Züchtigung aus anderem Grunde. Sie hat dann den Zweck, ihn in die Gegenwart Gottes, in die Abhängigkeit von Ihm zurückzuführen und ihm Kraft zu geben, die Sünde zu unterscheiden, in ernstem Selbstgericht zu bekennen und von weiterer Übertretung abzulassen. Die Zucht soll dann in besonderer Weise dazu dienen, ihn der Heiligkeit Gottes teilhaftig zu machen, was nur geschehen kann, wenn die alte Natur gerichtet und das Fleisch im Tode gehalten wird.
Durch die Züchtigung wird zunächst der Eigenwille des Gläubigen gebrochen. Als nächste gesegnete Folge zeigt sich die Unterwerfung unter Gottes Willen, und schließlich tritt die ruhige, dankbare Ergebung in die Wege Gottes hinzu. Inmitten der schmerzlichen Prüfung lernt die Seele das Herz des Vaters verstehen. Eine tiefinnerliche Freude beginnt sie zu erfüllen, sie geht fröhlichen Herzens voran, lernt die Hand küssen, die sie schlägt, und bringt so die friedsame Frucht der Gerechtigkeit zum Preise Dessen, der in Seiner Liebe es unternommen hat, für Seine Kinder zu sorgen, der uns nur züchtigt, weil Er uns liebt und unser Bestes sucht. —
Hüten wir uns, wenn Gott es für gut hält, uns zu züchtigen, die Züchtigung unseres Vaters gering zu achten , als wäre sie etwas Zufälliges oder Alltägliches!
Sie ist —— bedenken wir es! — der Ausdruck der Sprache. eines heiligen Gottes und wird ausgeübt von der Hand eines Gottes, der um Seine Ehre eifert.
Wer fühlte nicht bei irgendwie ernster Selbstprüfung die Notwendigkeit der Zucht an sich? Wie vieles gibt es, woran das natürliche Herz krampfhaft hängt, und was doch losgelassen und geopfert werden muss! Und· „Gott heiligt durch Leiden, übt durch Lasten«, wie ein anderer Schreiber gesagt hat. Wie viel Hochmut, wie viel Selbstsucht gilt es da auszurotten! Ein prüfender Blick in unsere Häuser, in unsere Familien und unsere Geschäfte zeigt uns hundert Dinge, die mit Seinem heiligen Namen unverträglich sind. Wie viel ungerichtetes Böses, wie viel geistliche Trägheit und Gleichgültigkeit wird vielfach mitgebracht zu der Stätte unserer Anbetung! Gleichen wir nicht zuweilen den Israeliten zur Zeit des Propheten Maleachi, welche unreines Brot, lahme und kranke Opfertiere, ja, sogar Geraubtes dem Jehova als Opfergabe darbrachten und so den Altar des Herrn verunreinigten? Muss nicht auch in unseren Tagen unser Gott und Vater manchem Seiner Kinder zurufen: „Ein Sohn soll den Vater ehren und ein Knecht seinen Herrn. Wenn ich denn Vater bin, wo ist meine Ehre? und wenn ich Herr bin, wo ist meine Furcht“ (Mal. 1, 6).
Ja, es gibt viele Dinge in unserer Mitte, die der Ehre des Vaters und der Furcht des Herrn spotten, über welche wir uns tief zu demütigen haben. Und weil man das in guten Tagen, an denen alles nach Wunsch geht, leicht vergisst, so sandte Gott uns allen diesen schrecklichen Krieg, der so vielen Seiner Kinder jede Erdenfreude entzieht, sie in den Staub wirft, der die Anziehungskraft des Sichtbaren schwächt und den Blick wieder auf das Ewige, Unsichtbare richtet.
O lasst uns diese Züchtigung nur nicht gering achten! Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer, selbst für die Gläubigen, und Seine Züchtigung kann auch eine Strafe sein für dich oder mich. Wir lesen ja in Psalm 99 die beachtenswerten Worte: „Ein vergebender Gott warst du ihnen und ein Rächer ihrer Taten“ (V. 8).
In welchem Falle die Züchtigung diesen ausgesprochenen Strafcharakter trägt, kann und darf kein Mensch von dem anderen sagen. Darum belehrt unser Herr Seine Jünger über den Blindgeborenen, dass weder er, noch seine Eltern in besonderer Weise gesündigt und sich dadurch die Strafe der Erblindung zugezogen hätten. Derartige Beurteilung der Leiden des anderen verbietet der Herr. Von seinem Nächsten soll man immer das Beste denken. Auch kann ja niemand im Herzen des anderen lesen. Wohl aber kann es sein, dass der Einzelne etwas von sich weiß, was der Außenwelt verborgen ist. Sein vom Geiste Gottes erleuchtetes Gewissen sagt ihm dann, warum Gott gerade mit ihm so ernst handelt; dass es geschieht, damit er« sich demütige und seine Sünde bekenne. Gewiss ist die Gnade so reich, dass sie -— was auch geschehen sein mag — frei, völlig und ewig vergibt, aber ebenso wahr ist es, dass die Räder des Regierungswagens Gottes nebenher zermalmend ihren Weg rollen.
Die Gnade vergab die Sünde Adams, aber die Regierung Gottes ließ ihn fortan im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen.
Die Gnade verzieh Davids Schandtat, aber das Schwert der göttlichen Regierung hing zeitlebens über dem Schuldigen. Bathseba wurde die Mutter Salomos, des Jedidja, d. h. des Geliebten Jehovas (2. Sam. 12, 25), aber auch die Mutter Absaloms, des Aufrührers.
Die Gnade brachte Mose auf den Gipfel des Pisga und ließ ihn das ganze verheißene Land sehen; aber hineingehen durfte Mose nicht, weil seine Lippen unbedachte Worte geredet hatten in der Wüste bei Meriba.
Das ist alles sehr ernst, und sollte auch der eine oder andere von uns sich eine Strafe erwirkt haben, so wollen wir in demütiger Anbetung und heiliger Furcht, wie obige Männer, unser Haupt beugen, die Strafe auf uns nehmen und uns nicht gegen Gottes Willen auflehnen. „Sollte der Richter der ganzen Erde nicht recht tun“ (1. Mose 18, 25.) In solcher Führung liegt zugleich Gnade. Sie öffnet das Auge auch für verborgene Fehler; sie räumt aus dem Wege, was vielleicht lange unbewusst die Gemeinschaft mit dem Herrn gestört hat. Am Ende der Prüfung wird die wiederhergestellte Seele, in ähnlicher Weise wie der jüdische Überrest am Ende der Tage, sagen können: „Ich preise dich, Jehova; denn du warst gegen mich erzürnt: dein Zorn hat sich gewendet, und du hast mich getröstet. Siehe, Gott ist mein Heil, ich vertraue und fürchte mich nicht, denn Jah, Jehova ist meine Stärke und mein Gesang, und Er ist mir zum Heil geworden“ (Jes. 12, 1. 2).
Neben der Gefahr, in den Prüfungen und Züchtigungen, die uns treffen, die Hand des heiligen Gottes zu übersehen und sie deshalb gering zu achten, gibt es noch eine andere, nämlich die, bei anhaltendem oder schwerer werdendem Druck zu ermatten. Wir dürfen aber in allen Züchtigungen nicht bloß die Hand Gottes, sondern auch das Herz des Vaters erkennen, der nie erlauben wird, dass wir über Vermögen versucht werden, sondern dafür sorgt, dass die Prüfung -einen erträglichen Ausgang nehme. Ein jeder Schlag Seiner Rute ist ein Beweis Seiner Liebe, ist eine Antwort auf das Gebet unseres Herrn in Joh. 17. Er empfiehlt uns da der Fürsorge des „heiligen Vaters“ und bittet Ihn, uns zu bewahren in diesem Seinem Namen und in allem, was dieser Name in sich schließt.
Vielleicht ist aber der Weg, den Gott uns führt, so überaus schmerzlich, dass unser Herz fragen möchte, wie einst Asaph: „Hat Gott vergessen gnädig zu sein? Ist zu Ende Seine Güte für immer“ (Ps. 77)? Es kann sogar dahin kommen, dass der Leidende, unter dem Druck des jähen Schmerzes oder der Last des langjährigen Leidens zusammenbrechend, verzweifelnd ausruft: Warum ist es so mit mir? Kann das Liebe sein? Ist das der Ausdruck der Liebe eines Vaters?
Und doch wird auch ein so schwer Geprüfter die Erfahrung machen, dass alles Liebe ist. Gott ist nicht ein kalter Zuschauer bei den Leiden Seiner Kinder. „Wie ein Vater sich über die Kinder erbarmt, so erbarmt sieh Jehova über die, welche Ihn fürchten. Denn Er kennt unser Gebilde, ist eingedenk, dass wir Staub sind“ (Ps. 103, 13. 14). Keine Träne fällt, kein Seufzer entringt sich der Brust, kein Herz klopft ängstlich, ohne dass Er es steht, hört und mitfühlt. Halten wir uns daran! Seine Zärtlichkeit, Sein Mitleid würde Ihn vielleicht dahin führen, die Leiden wegzunehmen, aber Seine vollkommene Weisheit lässt es nicht zu, dass durch die schnelle Wegnahme der Leiden die Absichten Seiner Liebe vereitelt werden. Aber — und das ist so tröstlich! —„ unser Vater erlaubt nicht, dass uns ein Schlag mehr treffe, als nötig ist, oder dass die Prüfung eine Stunde länger daure, als unbedingt notwendig. In Gnade und Geduld sitzt Er selbst am Schmelztiegel, um den Reinigungsvorgang zu überwachen und uns sogleich herauszunehmen, wenn das Werk getan ist.
Mögen wir dieses Vertrauen nicht verlieren und in Geduld ausharren! Das ist der wahre Weg, der rechte Geist, in welchem wir durch jede Züchtigung hindurchgehen sollen, mag sie in Krankheiten, in dem Verlust geliebter Angehöriger oder in drückenden Umständen irgendwelcher Art bestehen.
Gott gebe uns denn allen die Gnade, dass wir Seine Züchtigungen nicht gering achten, dass wir aber auch nicht darin ermatten, sondern dass wir durch sie geübt werden und die friedsame Frucht der Gerechtigkeit bringen zu Seiner Ehre (Vergl. Hebr. 12, 11)!
Auch wenn wir an den heutigen Weltkrieg denken, dessen Dauer und Hinziehen uns erschreckt, lasst uns jeden murrenden Gedanken zum Schweigen bringen und jede Auflehnung gegen das Ausbleiben des Friedens unterdrücken· Wir müssen uns still gedulden, bis nach Gottes Ermessen auch diese Züchtigung ihre Aufgabe erfüllt haben wird.
Jedoch wollen wir fortfahren, mit Freimütigkeit hinzutreten zum Throne der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe, und wollen nicht aufhören zu bitten, dass Gott unserem Lande bald den ersehnten Frieden schenken möge.
Ist aber einmal der Krieg mit all seinen schweren Züchtigungen zu Ende, dann gebe Gott, dass mancher Gläubige dem vielgeprüften Psalmisten die Worte nachspricht: „Bevor ich gedemütigt war, irrte ich; jetzt aber bewahre ich Dein Wort!“ (Ps. 119, 67).
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Ein zweiter Soldatenbrief
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 309ff
Der rührende Brief unseres französischen Bruders Joel D, den wir heute veröffentlichen, wurde einige Monate vor dem in der Septembernummer des „Botschafter“ gebrachten geschrieben. Joel D. war bereits bei Beginn des Krieges ziemlich ernst verwundet worden. Kaum wiederhergestellt, wurde er aufs neue an die Front geschickt. Von da hat dann der fünfundzwanzigjährige junge Mann seinen Eltern die folgenden Zeilen geschrieben.
M., den 24. Februar 1915.
Liebe Eltern!
Es sind schon einige Tage her, dass ich Euch nicht ausführlich geschrieben habe. Die Zeit hat mir gefehlt, auch habe ich so viel zu schreiben. Ferner kann ich es nicht so oft tun, wie ich möchte, denn wenn ich einen Augenblick freie Zeit habe, benutze ich gern die Gelegenheit, um einige Stellen im Worte zu lesen. Ich empfinde es als eine große Segnung, eine Stelle, die mir in den Sinn kommt, aufzusuchen und zu lesen, da wir so durch dieses Wort, das gleichsam aus dem Munde Gottes kommt, die uns gegebenen Verheißungen vernehmen dürfen, denn Er redet zu uns in Seinem Worte. Doch möchte ich Euch jetztmitteilen, was mich schon lange beschäftigt hat und noch beschäftigt. Ich bin nämlich tief niedergebeugt, und ich möchte es immer mehr sein in Anbetracht der gegenwärtigen Zeit.
Der Christ muss sich ein gesundes Urteil bewahren über die Ereignisse der Tage, welche er durchlebt, und in denen alles eine besondere Sprache zu ihm redet. In Römer 13 heißt es: „Und dieses noch, da wir die Zeit erkennen«. Die gegenwärtige Zeit könnte nicht ernster sein, und die Ermahnung: „Die Stunde ist schon da, dass wir aus dem Schlaf aufwachen sollen“, ist heute völlig zeitgemäß. Leider haben wir vergessen, dies zu verwirklichen. Wenn wir aber nicht aus dem Schlaf aufgewacht sind, können wir nicht den Herrn Jesus Christus anziehen. So ist und war das Ergebnis ein äußerst betrübendes. Wir haben nicht viel Kraft gehabt, um die Werke der Finsternis abzulegen. Ach! ohne dass wir es bemerkten, haben wir uns von den Wünschen umgarnen lassen, welche das Herz der Menschen von heute erfüllen. Das Verlangen nach einem angenehmen Leben, so wie es dem Geschmack zusagte, mit einem Wort nach einem Leben für uns selbst, kennzeichnete uns. Der Weg, der zum Leben führt, ist schmal, und ach! wie haben wir ihn verbreitert, wie ihn bequem gemacht!
Wir gehören Gott an. Er hat uns erkauft aus dem gegenwärtigen Zeitlauf durch das Opfer Dessen, der die Freude Seines Herzens ausmachte, Dessen, auf welchem Seine Augen mit Wonne ruhten, Seines Vielgeliebten. Um solchen Preis, durch das kostbare Blut Christi, sind wir erkauft und erlöst worden. Wir sind in eine innige Beziehung zu Ihm gebracht: Er ist unser Vater, wir sind Seine Kinder. Aber es gibt keine Stellung ohne Verantwortlichkeit. Daher ruft Petrus uns zu: „Wenn ihr Den als Vater anrufet, der ohne Ansehen der Person richtet, . . . so wandelt die Zeit eurer Fremdlingschaft in Furcht“, und weiter: „Seid heilig, denn ich bin heilig“.
Um in diesem Zustand zu beharren, dazu hatten wir das lebendige und bleibende Wort Gottes. Dieses Wort sagte und sagt uns, was Gott ist, und was wir sein sollten. Aber ach! wir haben dieses kostbare Wort vernachlässigt, und doch können wir nur durch dieses Wort unseren Pfad in Reinheit wandeln (Ps. 119). Wenn wir es gelesen haben, so haben wir es nicht immer wie Esra gelesen. Wir sind nicht in der Liebe des Herrn geblieben. Seine Liebe (und welch eine Liebe!) hat unsere Herzen nur wenig berührt. Wohl mögen wir in Worten und mit der Zunge geliebt haben, aber leider nicht in Tat und Wahrheit. Indem wir uns in einem derart schwachen Zustande befanden, dass wir die Lebensfragen unseres Christentums außer Acht ließen, haben wir dem Herzen Gottes nicht entsprochen, sondern Seine Ehre vielfach unter die Füße getreten. Aber Er hat gesagt: „Meine Ehre gebe ich keinem anderen“ (Jes. 48, 11). Er bleibt treu. (2. Tim. 2, 13.) Er erlaubt dem Feinde nicht, die Seinigen anzutasten, aber andererseits übt Er Gericht an denen, welche Ihm angehören.
Allemal, wenn Gott bei den Menschen gewohnt hat, standen die, mit welchen Er unter der mosaischen Haushaltung in Berührung kam, in ganz besonderer Weise unter den Wirkungen Seiner Regierung· Gott sei Dank, dass unsere Beziehungen zu Ihm nicht mehr auf unser Verhalten gegründet sind! Aber wenn heute auch alles auf Seiner vollkommenen, unvermischten Gnade ruht, so geht Er doch Seine ernsten Regierungswege mit den Seinigen. Lasst uns deshalb mit Frömmigkeit und Furcht wohlgefälIig dienen, denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“ (Hebräer 12, 28. 29). Und die Zeit ist gekommen, dass das Gericht anfange bei dem Hause Gottes. (1. Petr. 4, 17). O, geliebte Eltern, wir haben nicht dem Verlangen Seines Herzens entsprechend gewandelt, wir haben nicht ungeteilt für Ihn gelebt, der für uns gestorben und auferstanden ist (2. Kor. 5, 15). So haben wir Gott gezwungen, uns zu züchtigen. Welchen Kummer haben wir Seinem Herzen und dem Herzen des Heilandes bereitet!
Wenn Jehova Sein Volk züchtigte, tat Er ihm dies durch die Propheten kund, indem Er es aufforderte, zu Ihm umzukehren. Wir finden das in der ganzen Geschichte dieses Volkes. Gerade so war es, wenn Er eine einzelne Person züchtigte, wie wir dies z. B. bei David und Ahab sehen. Vor allem aber war es so, wenn es sich um Israel handelte. Im Buche des Propheten Jeremia finden sich immer wieder die Worte: „Ich habe alle meine Knechte, die Propheten, zu euch gesandt, täglich frühe mich ausmachend und sendend“. Hieraus ersehen wir, dass Jehova nur im äußersten Notfall dazu überging, Sein Volk zu schlagen. Gerade so ist es mit Seiner geliebten Gemeinde heute. Bevor der Herr sagt: „Ich überführe und züchtige, so viele ich liebe“ (Offbg. 3, 19), sagt Er: „Ich rate dir . . ·“ Welche Milde, Gnade und Zärtlichkeit liegt in diesen Worten: Ich rate dir! Wir waren im Besitz Seines Wortes, welches ermahnt überredet, überführt, aber wir haben es nicht beachtet, wie wir es hätten beachten sollen. Und nun, welch ein Schmerz!
Es ist wahrlich viel Grund zum Weinen vorhanden angesichts der Trübsal, durch welche die Gläubigen im gegenwärtigen Augenblick gehen. Aber gibt es keine Heilung mehr, keinen Balsam in Gilead (Jer. 8, 22)? Gewiss, es gibt Heilung, und wir finden sie im Worte. In Offbg. 2, 5 und Z, 19 wird sie uns genannt. Sie lautet: „Tue Buße!“ Haben wir Buße getan? Ich möchte die Frage nicht für andere lösen. Was mich angeht, so bin ich tief niedergebeugt angesichts der Tatsache, dass die Prüfungszeit bis zum heutigen Tage währen musste, um mich dahin zu bringen, in mich zu gehen und mich von Herzen und aufrichtig vor Gott zu demütigen. Dies hat mir Veranlassung gegeben, über den Zustand jener nachzusinnen, die sich demütigten, wenn sie sich unter Gottes Gericht befanden. Ich will nur kurz davon reden. Wenn es sich um eine gemeinsame Umkehr und Demütigung handelt, so wird uns in Richter 20 der Zustand derer geschildert, welche umkehrten. Das Volk musste dahin kommen, zu weinen und zu fasten. Sehr bemerkenswert ist es, dass sie anfänglich (im 12. Verse) sagen: „Was ist das für eine Übeltat, die unter euch geschehen ist!“ und nachher: „Warum, Jehova, Gott Israels, ist dieses in Israel geschehen?“ Demselben Gedanken begegnen wir bei Salomo, wenn er in 1. Kön. 8, 47.48 sagt: „Wenn sie umkehren und zu dir flehen und sprechen: . . ., wenn sie zu dir umkehren mit ihrem ganzen Herzen und mit ihrer ganzen Seele . . .“Da haben wir den Weg, der zur Segnung führt. „So höre im Himmel«, fährt der königliche Beter fort, „und führe ihr Recht aus usw.“ Auch in Esra 9, 4 erblicken wir den Zustand derer, welche Buße taten und vor den Worten Gottes zitterten.
Als Einzelfälle möchte ich noch David anführen in 2.Sam.12, 13, 24, 10 — 17; Hiskia in 2.Chron. 32,26, ferner Esra und Daniel. Alle diese Männer erscheinen mit zerrissenen Gewändern vor Jehova, demütigen sich unter Tränen und bekennen ihre Fehltritte. Das ist der einzige Weg zur Wiederherstellung, wenn wir gefehlt und eine Züchtigung von Seiten Gottes verdient haben: „Kommt und lasst uns zu Jehova umkehren; denn Er hat zerrissen und wird uns heilen, Er hat geschlagen und wird uns verbinden“. (Hos. 6, I.) „Nehmet Worte mit euch und kehret um zu Jehova; sprechet zu Ihm: Vergib alle Ungerechtigkeit. . . .“ (Kap. 14, 2.) Dasselbe findet man in Jer. 3, 21 — 25.
Ja, liebe Eltern, auch unser Platz ist zu Seinen Füßen, in tiefer Beugung über alles das, was wir gewesen find. Je mehr ich die Schriften betrachte, desto mehr sehe ich, dass dies der einzige Weg zur Segnung ist: zu Seinen Füßen eilen und weinen, wie die Sünderin in Simons Haus. Liebe Eltern, immer noch muss ich mich demütigen deswegen, dass es so weit mit mir kommen musste, bis ich mich endlich vor Gott beugte. Es ist der Platz, der uns zukommt. Ich möchte in keiner Weise irgendwelche Richtlinien geben, denn ich fühle meine eigene große Schwachheit. Es handelt sich ja auch nicht darum, zu sprechen oder zu beschreiben, sondern ich möchte von ganzem Herzen selbst umkehren und als erster Buße tun. Ich bitte Gott, dass Er mir schenke, den richtigen Platz vor Ihm einzunehmen.
Ich musste Euch diese wenigen Gedanken schreiben, denn sie haben mich viel beschäftigt in der letzten Zeit, und es tut mir gut, Euch mitzuteilen, was mein Herz bewegt. Je länger es dauerte, desto mehr fühlte ich mich dazu gedrängt. Nur die Erwägung hielt mich zurück, dass man bei sich selbst beginnen muss. Wenn ich Euch nun dies alles mitteile, so geschieht es, wie bereits gesagt, nicht, um Euch irgend eine Anweisung zu geben, sondern damit wir Gedankengemeinschaft haben. Nichtsdestoweniger bitte ich Euch, wenn Ihr es für gut und angebracht haltet, der Versammlung in A. Mitteilung von meinem Briefe zu machen. Ja, Euch, meine geliebten Eltern, und auch meinen lieben Brüdern und Schwestern in A. möchte ich zurufen: Demütigen wir uns unter Tränen zu den Füßen Dessen, der vergibt! Im 6. Kapitel des Propheten Hosea folgen auf die Aufforderung: „Kommt und lasst uns zu Jehova umkehren!“ die Worte: „Er wird uns nach zwei Tagen wieder beleben, am dritten Tage uns aufrichten . . .So lasst uns Jehova erkennen, ja, lasst uns trachten nach Seiner Erkenntnis! Sein Hervortreten ist sicher wie die Morgendämmerung; und Er wird für uns kommen wie der Regen, wie der Spätregen die Erde benetzt.“ Diese Worte gelten Israel. In Bezug auf uns wird Gott nicht sprechen, wie Er zu diesem Volke sprach. Denn in Hosea 4, 6 sagt Er: „Du hast das Gesetz deines Gottes vergessen: so werde auch ich deine Kinder vergessen«. So spricht Er nicht zu uns, denn Er hat uns geliebt vor Grundlegung der Welt, und Er liebt uns stets. Er ist Derselbe gestern und heute und in Ewigkeit. Gerade weil Er uns liebt, hat Er uns so geschlagen und lässt Er die Trübsal andauern.
Ja, wir dürfen sagen, dass Er uns mit ewiger Liebe liebt. Selbst „im Zorn gedenkt Er des Erbarmens“. (Hab. 3, 2.) Auch in diesem Sturmwetter ist Er den Seinigen nahe, stützt und ermuntert sie. Der Sohn Gottes ist auch jetzt da, wie Er einst bei den drei hebräischen Männern im feurigen Ofen war. Er, der uns liebt, unser zärtlicher, bester Freund, unser guter Hirte, verlässt uns nicht, und die liebevolle Fürsorge des Vaters erweist sich jeden Tag uns gegenüber. Freilich besteht ein Unterschied zwischen unserer Trübsal und dem feurigen Ofen, durch welchen jene drei jungen Hebräer gehen mussten: sie waren darin infolge ihrer Treue, und wir — ? Aber Seine Liebe ist trotzdem so groß, dass Er uns nicht einen Augenblick allein lässt.
Wahre Demütigung besteht nun nicht in einem flüchtigen: „Wir haben gefehlt«, sondern darin, dass wir wirklich unseren Platz vor Ihm einnehmen, indem wir uns demütigen und unsere Fehler bekennen. Was dann hervorkommt, ist allerdings nicht Freude; nein, im Gegenteil, Tränen werden fließen wegen der Unehre, die auf den Namen Christi gebracht worden ist. Denn wahrlich, unser Mangel an Entschiedenheit und unsere Untreue sind weit größer als die Trübsal, durch die wir gehen.
Teure, vom Herrn so innig geliebte Geschwister in A., welche Stellung nehmen wir ein? Die Worte in Klagel. 3 vom 40. Verse an sind auch für uns heute durchaus am Platze. Erinnern wir uns ferner daran, was David in Ps. 51, 17 sagt: „Ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten“. Wird der Druck nicht jeden Tag schwerer? Aber wie sagt doch Jeremias? „Dies will ich mir zu Herzen nehmen, darum will ich hoffen: Es sind die Gütigkeiten Jehovas, dass wir nicht aufgerieben sind.“ (Klag. 3).
Der Herr hat uns lieb, und die Prüfung wird nicht das bestimmte Maß überschreiten. „Ich werde dir nicht den Garaus machen«, heißt es in Jer. 30, 11, „sondern dich nach Gebühr züchtigen.“ Und so wie Er es mit Israel gemacht hat, so hat Er jetzt auch zu uns geredet. Im Innern Seines Herzens ist Er mit sich selbst zu Rate gegangen und hat gesehen, dass es nötig war, uns aufzuwecken. Er will ein Volk haben, das Ihn erwartet, und dieses Volk sind wir. „Und dieses noch, da wir die Zeit erkennen, dass die Stunde schon da ist, dass wir aus dem Schlaf aufwachen sollen“.
Allen geliebten Freunden sende ich herzliche Grüße. Ich denke an sie alle, Namen für Namen, und ich drücke jedem persönlich meine Liebe, sowie mein Gedenken im Herrn aus.
Ich würde Euch so gern hienieden wiedersehen, aber lasst uns nichts wünschen, sondern nach oben blicken, von wo unsere Hilfe kommt. Lasst uns die Lenden umgürtet haben mit der Wahrheit und im Gutestun nicht müde werden! Lasst uns allezeit gutes Mutes sein, voll von Frieden! Auf Wiedersehen, Ihr Lieben, bei dem Herrn!
Ich fühle mich körperlich sehr wohl und genieße in dieser Hinsicht die freundliche Fürsorge des Herrn. Ich wundere mich manchmal selbst darüber, dass ich nichts mehr von meiner Wunde spüre. Denkt nur, bei meinem Ausrücken konnte ich den Tornister kaum ohne Schmerzen tragen, und heute spüre ich nicht das Geringste mehr.
Welch ein Gott ist doch unser Gott! Ich bin in jeder Hinsicht gut daran; der Herr überhäuft mich geradezu mit Seiner freundlichen Fürsorge nach jeder Seite hin.
Ich schreibe Euch, obwohl ich kaum Zeit für mich habe; ich werde häufig gestört und unterbrochen. In meiner Nähe wird gesungen, gelacht und getanzt. Es ist ein Lärm, dass man sein eigenes Wort nicht hört. Aber wie köstlich ist es, in diesem wüsten Durcheinander die Stimme Jesu flüstern zu hören: „Kommet her an einen öden Ort besonders und ruhet ein wenig aus!“ (Mark. 6, 31.)
Ich küsse Euch, innig geliebte Eltern, indem ich Euch bitte, mich niemals zu vergessen und für mich zu beten, dass ich von Jesu reden kann.
Joel D.
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Vor der Stunde der Versuchung
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 318ff
Die ganze Welt seufzt unter der schweren Last des Weltkriegs. Sie fühlt, dass dieser schreckliche Zustand unmöglich noch lange anhalten kann, und sehnt sich nach baldigem Frieden.
Alle, soweit sie nicht durch Gottes Wort belehrt sind, meinen, dass der Sieg ihrer Partei eine Zeit des Friedens, der Gerechtigkeit und Sicherheit bringen werde. Die wahren Christen teilen diese Hoffnung nicht, Sie wissen, das noch größere Gerichte, viel schlimmer und schrecklicher als die jetzigen, die Erde treffen werden, bevor ein „unerschütterliches Reich“, eine Herrschaft der Gerechtigkeit und des Friedens unter dem glorreichen Zepter Jesu Christi erstehen wird. (Vergl. Hebr. 12, 26 -— 28.) Angesichts des Blutvergießens und furchtbaren Elends dieses Krieges kann man es wohl verstehen, dass steh bei manchem Gläubigen die Meinung gebildet hat, wir befanden uns schon in den Zeiten des Endes und seien in „dem Anfang der Wehen“ (Matth. 24, 8) angelangt, welche dem „Tage des Herrn“ (2. Thess. 2, 2), dem „Tage Jehovas“, wie er im Alten Testament genannt wird, vorausgehen. Es trifft aber nicht zu. Wir leben noch im Zeitalter der Gnade. Die „Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird“ (Offbg. 3, 10), ist noch nicht angebrochen.
Im Laufe der langen Gnadenzeit ist die Menschheit von vielen Gerichten getroffen worden, welche sie zur Buße leiten und ihr zeigen sollten, dass Gott gerecht ist und das Böse nicht dulden kann· Manchmal erträgt Gott zwar lange die Ungerechtigkeit Seiner Geschöpfe. Der Mensch hat sie vielleicht schon vergessen, und Jahre vergehen, bis er daran erinnert wird. Unerwartet aber fällt ein schweres Gericht auf dieses oder jenes Volk, auf das eine oder andere Land, und Gott beweist, dass Er nichts vergessen hat. Obschon wir, wie gesagt, am „Tage des Heils“ leben und „jede Ungerechtigkeit der Menschen“ erst am Ende der Tage, vor dem weißen Thron, ihre gerechte Vergeltung finden wird, gefällt es Gott doch, zuweilen schon in der Gnadenzeit den Menschen Seinen Abscheu vor der Sünde durch Gerichte kundwerden zu lassen, um ihr Gewissen aufzurütteln. So machte Er es vor alters mit den Nationen, die Sein Gesetz nicht kannten, und vor allem mit Seinem Volke, das unter Gesetz stand, und so verfolgen Seine Gerichte auch heute denselben Zweck. Aber obwohl Gott heute das Böse zuweilen mit erschütterndem Ernst richtet, trägt die gegenwärtige Zeit doch in hervorragender Weise den Stempel der „Langmut“, und der Herr fordert Seine Erlösten, die Versammlung oder Gemeinde, auf, es ebenso zu machen wie Er. „Achtet die Langmut des Herrn für Errettung“, lässt Er uns durch Seinen Apostel schreiben, und Er selbst sagt: „Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, so werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, welche auf der Erde wohnen. Ich komme bald“ (Offbg. 3, 10. 11).
In der letzten Stelle empfangen wir zugleich die Verheißung, dass die Gläubigen unserer Tage, die Kirche Christi, diese Zeugen der Gnade Jesu, vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, bewahrt bleiben sollen. Diese Stunde der Versuchung ist ja auch nicht ihretwegen da. Sie wird kommen, um die zu versuchen, welche auf der Erde wohnen. Das Buch der Offenbarung bezeichnet die Feinde Gottes und Seiner Heiligen, die Menschen, welche die Erde als ihr Teil erwählt haben und als ihre Heimat betrachten, als solche, welche „auf der Erde wohnen“. Sie stehen im Gegensatz zu denen, von welchen es in Kap. 13, 6 heißt: „die ihre Hütte in dem Himmel haben“. Diese kommen nicht in die schwere Stunde der Versuchung; sie werden vorher dem Herrn in Wolken entgegengerückt werden in die Luft, um für immer bei Ihm zu sein. Gott zögert mit dem Gericht, bis Er die Seinen geborgen weiß.
Er hat dies schon manchmal in vorbildlicher Sprache gezeigt. Denken wir z. B. an Sodom und Gomorra. Die Stunde der Vergeltung war für diese gottlosen Städte gekommen. Doch kurz vor ihrer Zerstörung nahm Jehova den gerechten Lot heraus und drängte ihn, den Bergungsort Zoar zu erreichen. „Eile, rette dich dorthin, denn ich kann nichts tun, bis du dorthin gekommen bist“ (1. Mose 19, 22). Unser Herr erinnert später an jene Zeit. „An dem Tage aber, da Los; von Sodom ausging, regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und brachte alle um“ (Luk. 17, 29). Wie verhängnisvoll war das Ausgehen Lots von Sodom! Ebenso verhängnisvoll wird auch die Aufnahme der Gläubigen für die Welt sein. Sobald sie in Sicherheit sind, beginnt „die Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommt, um die zu versuchen, welche auf der Erde wohnen“. Diese Stunde leitet für die Welt „den Tag des Zornes Gottes“, für den zukünftigen gläubigen Überrest aus den Juden „die Zeit der „großen Drangsal“ ein (Vergl. Zeph. 2, 2. 3 u. a. St.; Matth. 24, 21ff).
Der Überrest wird »in die Wüste fliehen, an seine Stätte, fern von dem Angesicht der Schlange“ (Offbg. 12, 14). Inmitten des Schauplatzes der Gerichte wird er eine für ihn bereitete Zufluchtsstätte finden. Aber wenn er auch in Sicherheit gebracht wird vor den Nachstellungen Satans, wird er doch nicht vor dem Schauplatz, noch vor der Stunde bewahrt bleiben; die Versammlung (Gemeinde) dagegen ist bewahrt in den himmlischen Örtern, fern von der Stätte, wo die Gerichte toben, fern von der Zeit, der Stunde, denn im Himmel werden Stunden nicht gezählt.
Wann kommt denn unser Heiland, um uns heimzuholen in Seine Herrlichkeit? und wann beginnt der „Tag des Sohnes des Menschen?“ so fragt mancher Gläubige und findet keine Antwort.
Im Blick auf die zweite Frage lautet die Antwort des Herrn: „Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß niemand, weder die Engel, die im Himmel sind, noch der Sohn, sondern nur der Vater“ (Mark. 13, 32). Mit diesen ernsten Worten weigerte Er sich, den Augenblick Seiner Rückkehr zu dem jüdischen Überrest kund zu tun. Jene Stunde wird plötzlich, unerwartet kommen. Ähnlich verhält es sich mit der Aufnahme der Kirche. In beiden Fällen ist uns Tag und Stunde nicht mitgeteilt. An alle aber richtet sich ein Wort von heiliger Wichtigkeit. Dieses heißt: Wachet! „Was ich euch aber sage, sage ich allen: Wachet“ (Mark.13, 37).
Die Kirche wartet auf den „Sohn Gottes vom Himmel“, Israel wird auf „den Tag des Sohnes des Menschen“ zu warten haben; aber niemand weiß die Stunde, wann das Warten sein Ende finden wird. Insoweit find beide in derselben Lage; jedoch mit einem Unterschiede. Dem jüdischen Überrest sind Zeichen gegeben, das heißt, es sind ihm gewisse Dinge genannt, die »dem Tage des Sohnes des Menschen vorausgehen müssen, obgleich sie Tag und Stunde Seiner Erscheinung nicht kennen (Matth. 24,32 - 35.) Den Heiligen der Jetztzeit aber, die den Sohn Gottes vom Himmel erwarten, sind wedersolche Zeichen gegeben, noch ist ihnen etwas von Begebenheiten gesagt, die notwendigerweise vorhergehen müssten.
Dem Noah teilte der Herr Sein Vorhaben bezüglich des Gerichts mit und gab ihm bestimmte Andeutungen über den Beginn desselben. Noah wusste, dass das Gericht vor Fertigstellung seiner Arche nicht eintreten würde· Ebenso ist es den Israeliten bekannt gegeben, dass bestimmte Begebenheiten sich ereignen müssen, bevor der Sohn des Menschen wieder aus Erden erscheinen kann. Anders war es mit Henoch. Kein notwendiges Ereignis hielt seine Entrückung auf. Sein Wandel mit Gott war alles, was seiner Aufnahme in den Himmel vorausging. Und so verhält es sich mit der Kirche, die jetzt gesammelt wird. Sie wartet auf keine Zeitumstände; keine Ereignisse bereiten ihren Weg zum Himmel vor. Wohl mag es Kriege, Seuchen und politische Umwälzungen geben, wie das ja im Laufe der Zeiten schon oft vorgekommen ist; aber das hat mit der Ankunft des Herrn für die Seinigen nichts zu tun.
Dem jüdischen Überrest sagt der Herr, dass er aus gewisse Zeichen und Ereignisse achthaben solle, um zu erkennen, „dass es nahe an der Tür sei“ (Matth. 24, 33.) Vorher zu sagen: „Die Zeit ist nahe gekommen,“ bezeichnet Er als Verführung. (Luk. 21, 8.) Wir aber werden von Jakobus belehrt: „Die Ankunft des Herrn ist nahe gekommen“ (Kap. 5, 8); Paulus ermuntert uns mit den Worten: „Der Herr ist nahe“ (Phil. 4, 5), und der Herr selbst ruft uns am Schlusse der Offenbarung dreimal zu: „Ich komme bald!“ (Offbg. 22, 7. 12. 20; vergl. Kap. 3, 11).
Es liegt auch ein bedeutungsvoller Unterschied darin, dass der Überrest ermahnt wird, zu wachen, damit der Tag ihn nicht wie ein Dieb ergreife (vergl. Matth. 24, 43), während der Apostel uns als solche ermahnt, die vom Tage sind, und für welche es sich geziemt, als Söhne des Tages zu wandeln (1. Thess. 3, 5. 6). Den Gläubigen unserer Tage ist kein Zeichen gegeben, woran sie die Nähe des Kommens des Herrn zu ihrer Aufnahme oder das Herannahen des Tages des Herrn merken sollen, es sei denn das Überhandnehmen des Unglaubens. Darum ist die Stellung, welche sie hienieden einzunehmen und zu bewahren haben, die des beständigen Wartens auf Christum. Es genügt nicht zu wissen, dass Er wiederkommt. Wir können über diese Wahrheit völlig klar sein und Ihn dennoch nicht erwarten. Ein wirkliches Warten auf den Herrn schließt ein anhaltendes Ausschauen nach Ihm in sich. Wir sind absichtlich im Ungewissen gelassen über den Augenblick Seiner Rückkehr, auf dass wir stets seien wie Menschen, die auf ihren Herrn warten. Sind wir solche Menschen? Ist nicht vielleicht bei manchem in unserer Mitte das Kommen des Herrn eine Art von Glaubensartikel geworden, aber nicht mehr eine Wahrheit, die von Gott selbst gelernt und darum in Kraft in der Seele wirksam ist? Kein Herz kann sie als eine wirkliche, lebendige Hoffnung besitzen, das nicht tief die Abwesenheit Christi fühlt und sich nach Ihm sehnt. In dem Maße wie ich mich nach Ihm sehne, strebe ich danach, dass alles, womit ich in Verbindung bin, passend für Ihn sei, und fortwährend frage ich mich: Wird Er dies oder das, was ich tue, gern haben? — Ja, nichts hilft uns mehr zu einem Wandel nach des Herrn Willen inmitten der sichtbaren Dinge unserer Umgebung, als ein beständiges Warten auf Ihn.
Wir warten also auf das Kommen unseres Herrn, der gesagt hat: Ich komme bald! Nachdem dies zur Tatsache geworden ist und Er Seine Braut zu sich genommen hat, beginnt die ernste Stunde der· Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird. Heute herrscht noch die wunderbare Gnadenzeit. Dennoch treffen, wie auch der Weltkrieg es zeigt, göttliche Gerichte und Versuchungen die Erde und auf ihr Gläubige und Ungläubige. Durch dieselben soll die Gott entfremdete Welt zur Buße, zur Umkehr gedrängt werden. Für den Gläubigen hat aber diese wie jede andere Versuchung einen anderen Zweck, trägt einen anderen Charakter.
Petrus belehrt uns darüber in seinem ersten Brief (Kap. 4, 12 — 14). Das Feuer der Verfolgung hatte die Christen getroffen „zur Versuchung“. Es war nicht etwa ein Gericht für ihre Sünden. Das lag hinter ihnen. Das Kreuz Christi war —- bei ihnen wie auch bei uns —- der ewige Zeuge, dass dieses Gericht vorbei war. Das Feuer der Verfolgung war für sie einerseits ein Vorrecht, da sie dadurch an den Leiden, die ihren Herrn vom Kreuze zur Herrlichkeit gebracht hatten, teilnahmen, andererseits aber auch ein Zuchtmittel in Gottes Hand, um sie zu reinigen und die Hoffnung in ihnen auszuwerfen. Diese Christen, obschon vor dem zukünftigen Gericht sichergestellt und vor der Stunde der Versuchung bewahrt, bedurften notwendig dieser Zucht. „Die Zeit ist gekommen, dass das Gericht anfange bei dem Hause Gottes“ (V. 17).
Für uns, die wir weniger durch Verfolgung unseres Glaubens wegen zu leiden haben, ist der jetzige Krieg auch ein Zuchtmittel, um uns zu reinigen, unsere Hoffnung zu beleben und uns zu treueren Zeugen der Gnade und Wahrheit unseres Herrn in dieser Welt zu machen. Wir sind ja Sein Brief, gekannt und gelesen von allen Menschen, und Er hat uns noch hier gelassen, — vielleicht nur noch einen Tag oder eine Woche, — damit wir für Ihn zeugen und in unserem Verhalten Ihn vor der Welt darstellen. In Seiner Hingabe an Gott, im Leben wie im Tode, hat Er bewiesen, dass Er „mit Salz gesalzen“ war; wie geschrieben steht: „jedes Schlachtopfer wird mit Salz gesalzen werden“ (Mark. 9, 49). Das „Salz“ bedeutet bei Ihm die praktische Heiligkeit, die gänzliche Absonderung für Gott.
Der Herr hat nun einst zu Seinen Jüngern vor den Ohren der Volksmenge gesagt: „Ihr seid das Salz der Erde“ (Matth. 5, 13). Damit zeigte Er ihnen und all den Seinigen, welch eine Aufgabe sie auf der Erde, dem Ort der Offenbarung Gottes, haben. Diesen Platz, diese Aufgabe haben wir uns nicht selber gegeben, sondern sie sind uns von Gott angewiesen. Alle, welche jetzt „mit Feuer gesalzen und mit Salz gesalzen sind“ (Mark. 9, 49), d. h. alle, welche durch wahre Buße und Bekehrung zu Gott gebracht worden sind. und nun alles in sich richten und verurteilen, was Gott zuwider ist, bilden „das Salz der Erde“. Wir sind berufen, hienieden mit aller Kraft“ die Heiligkeit, welche von allem Bösen trennt und zugleich für Gott auf die Seite stellt, zu offenbaren. Denn „alle Opfergaben deines Speisopfers sollst du mit Salz salzen und sollst das Salz des Bandes deines Gottes nicht fehlen lassen bei deinem Speisopfer; bei allen deinen Opfergaben sollst du Salz darbringen“ (3. Mose 2, 13). Das Salz ist ein erhaltendes Element und bewahrt vor Fäulnis. Es besitzt eine Schärfe, die nicht zerfrisst, wohl aber dem Verderben wehrt. Der Einfluss der strafenden und bewahrenden Wahrheit soll von uns, als Gottgeweihten, ausgehen auf unsere Umgebung, auf die Erde; ein Einfluss, der wohltätig wirkt, die Zunahme des Verderbens hemmt und die Gerichte Gottes zurückhält. Wir tragen die heilige Verantwortlichkeit, die irdischen Verhältnisse mit der Schärfe der göttlichen Wahrheit zu durchsetzen und gegen das Wesen und Treiben der Welt zu zeugen.
Als wahre Jünger Jesu haben wir aber nicht allein die Aufgabe, „Salz in uns selbst zu haben“ (Mark. 9, 50), sondern sind auch hier gelassen, „Um unser Licht leuchten zu lassen“.(Matth. 5, 16). Der Herr nannte die Jünger nicht nur „das Salz der Erde“, sondern sagte auch zu ihnen: „Ihr seid das Licht der Welt“ (Matth. 5, 14). Errettet aus der Gewalt der Finsternis (Kol. 1), sind wir gebracht zu Seinem wunderbaren Lichte. Und wie es bei der ersten Schöpfung Licht ward durch das Machtwort Gottes: „Es werde Licht!“, so sind jetzt die Erlösten durch die in Liebe wirksame Macht Gottes eine „neue Schöpfung“, „Licht im Herrn“ geworden. Welch eine Gnade, welch eine Würde, das Licht der Welt zu sein. Als solche sind wir berufen, die Tugenden Christi zu verkündigen, mit anderen Worten, alles das praktisch darzustellen, was in Ihm zu finden ist, der uns aus der Finsternis zu Seinem wunderbaren Lichte berufen hat: Seine Demut, Sanftmut, Reinheit, Heiligkeit, Gnade, Liebe, Gütigkeit u. s. w.
Salz der Erde“ -—— ,“Licht der Welt“ -— das vor den Menschen zu offenbaren ist unsere Berufung, unsere Arbeit, bis der Herr kommt und die Stunde der Versuchung beginnt, „die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, welche aus der Erde wohnen“. Dieser Dienst, diese heilige Aufgabe, ist unserer Verwaltung anvertraut. Und ,,m an sucht hier an den Verwaltern, dass einer treu erfunden werde«. (1. Kor. 4, 2).
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Freut euch in dem Herrn allezeit
Bibelstelle: Philipper 4
Botschafter des Heils 1915 S. 328ff
Es ist etwas Großes, sich allezeit freuen zu können. Um die Ermahnung des Apostels in ihrer ganzen Tragweite zu verstehen, ist es wichtig, sich seine Geschichte ins Gedächtnis zu rufen in Verbindung mit dem in diesen Briefen Gesagten. Als Paulus obenstehende Worte schrieb, befand er sich im Gefängnis zu Rom. Er war in seinem Dienst überaus behindert, und wenn er um sich blickte, so musste er sagen: „Alle, die in Asien sind, haben sich von mir abgewandt«, oder: „Alle suchen das Ihrige, nicht das, was Jesu Christi ist«. Dennoch besaß er etwas, was sein Herz über alles das erhob. Nicht dass er diesen Dingen gegenüber unempfindlich gewesen wäre. Im Gegenteil, er fühlte sie tief; aber er kannte eine alles überragende Kraft; das Hinschauen auf Christum war es, das ihn in den Stand setzte, sich allezeit zu freuen, nicht der Blick auf die Umstände. Ähnliches finden wir in seinem Brief an die Galater. Wenn er an einer Stelle sagt: „Ich bin euerthalben in Verlegenheit“, lesen wir schon im nächsten Kapitel: „Ich habe Vertrauen zu euch im Herrn“.
Des Herrn Pfad war ein ähnlicher. Überall begegnete Er Enttäuschungen und Trübsalen. Und doch erbittet Er für Seine Jünger, dass sie Seine Freude völlig in sich haben möchten. Es ist Leben in einer Kraft, die über das Böse erhaben ist. Leben wir nicht in dieser Kraft, so werden wir durch den Strom des Bösen in uns und um uns her niedergedrückt. Anstatt uns allezeit freuen zu können, liegen wir am Boden. Zu einer steten Freude ist es erforderlich, dass das Herz bei Ihm weile, der bereits überwunden und sich gesetzt hat zur Rechten der Majestät droben.
Das erste Kennzeichen dieser Kraft ist Ausharren. Nichts vermochte den Frieden der Seele des Apostels zu stören. Er war innerlich so frei, das; er an Einzelne, wie Evodia, Syntyche sc. (vergl. V. 2) denken konnte oder gar über einen entlaufenen Sklaven zu schreiben vermochte. Er ging durch das Tränental und machte es zu einem Quellenort. Fürwahr, es ist weit gesegneter, die Prüfungen zu einem Anlass des Dankes zu machen, als die Gnadenerweisungen, die uns widerfahren. Wie sagt doch der Psalmist? „Jehova will ich preisen allezeit, beständig soll Sein Lob in meinem Munde sein.“ So konnte auch Paulus sprechen. In seinen vielen schwierigen Umständen fand er, dass der Herr genug war. Er besaß jene ewige Glückseligkeit, die ihn fähig machte, vor Festus zu sagen: „Ich wollte zu Gott, dass nicht allein du, sondern auch alle, die mich heute hören, solche würden wie auch ich bin“.
Wie steht es in dieser Beziehung mit dir, mein lieber Leser? Bist du auch so glücklich in deiner Seele, das; du dem Apostel das nachsprechen könntest? —Der junge Christ freut sich in dem, was er empfangen hat, in seiner Errettung, seiner Freude, seinem Frieden usw. Der alte Christ freut sich mehr in Christo. Der junge Christ sagt: Ich habe dies gefunden und das gefunden, aber der alte Christ sagt: Christus ist dies und ist das. Nicht als ob jene Gefühle in einem jungen Christen verkehrt wären. In diesem Sinne kann ein junger Christ kein alter sein; aber wenn er mit Gott wandelt, wird er schnell wachsen und heranreifen. Im Blick auf ältere Gläubige schreibt der Apostel in 1. Joh. 2, 12 — 14: „Ich schreibe euch, Väter, weil ihr Den erkannt habt, der von Anfang ist“; und während er hinsichtlich der Jünglinge und Kindlein in Einzelheiten eingeht, wiederholt er bezüglich der alten Männer nur dieselben Worte.
Der Gläubige steht in ununterbrochenem Kampf mit „Amalek“, aber in dem Vertrauen, dass er es mit einem bereits überwundenen Feinde zu tun hat. So lesen wir in Joh. 16, 33: „In der Welt habt ihr Drangsal; aber seid gutes Mutes, ich habe die Welt überwunden“. Lasst uns deshalb „den vor uns liegenden Wettlauf mit Ausharren laufen, hinschauend auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens, welcher, der Schande nicht achtend, für die vor Ihm liegende Freude das Kreuz erduldete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes“! Betrachten wir Ihn, „der so großen Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldet hat“! Lasst uns dem Bösen oder den Umständen nie gestatten, unsere Freude im Herrn zu stören! Soll das aber der Fall sein, so müssen wir in Seiner Nähe weilen.
Im 5. Verse unseres Kapitels finden wir eine weitere wichtige Ermahnung: „Lasst eure Gelindigkeit kundwerden allen Menschen; der Herr ist nahe“. Von Natur suchen wir uns unsere Rechte in der Welt zu sichern, und wenn irgendwo ein Unrecht geschieht, sind wir rasch bei der Hand, es übel zu vermerken. Da legt nun die Gelindigkeit unserm eigenen Willen Zügel an, und wir sind zufrieden, für die Gegenwart auf das Wort angewiesen zu sein: „Der Herr ist nahe“. Leider aber findet sich diese Gesinnung nicht immer bei uns. Ich erinnere hier nur an eine Begebenheit aus dem Leben des Herrn Jesu. Er hatte Sein Angesicht festgestellt (wie einen Kieselstein gemacht, Jes. 50, 7), um nach Jerusalem zu gehen. Als nun die Samariter Ihn nicht aufnehmen wollten, wünschten Seine Jünger Feuer vom Himmel auf sie herabfallen zu lassen, und der Herr musste ihnen sagen: „Ihr wisset nicht, wes Geistes ihr seid“ (Luk 9). Wenn wir unser Angesicht wie einen Kieselstein machen auf dem Wege nach Jerusalem, so werden auch wir nicht von denen aufgenommen werden, die halbherzig sind. Da nun müssen wir uns das Wort zurufen: „Der Herr ist nahe“.
Glauben wir an diese Wahrheit? Tun wir es, so wird unser ganzes Leben unter ihrem Einfluss stehen. Aber da sagt der eine: Wie viele Leiden und Schwierigkeiten habe ich doch in meiner Familie! Der andere seufzt über sein Geschäft und den schweren Druck der Zeit. Der dritte klagt: Wie niedrig ist der Zustand des Volkes Gottes, wie traurig der Wandel mancher Gläubigen! Ja, wie vieles Unangenehme und Drückende gibt es rund um uns her! Doch was sagt der Apostel zu dem allem? „Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden.“ Hast du besondere Anliegen und Bedürfnisse? Dann geh und bitte Gott um Hilfe. Anstatt deine Seele damit zu quälen, bringe sie vor Ihn. Freilich steht nicht geschrieben, dass Er dir gerade das geben wird, um was du Ihn bittest; das möchte dir vielleicht nicht nützlich sein. Aber Er gibt dir Seinen Frieden. Du ergießest deine Sorgen in Sein Herz, und Er gibt dir Seinen Frieden in das deinige. Sind wohl alle die Dinge, die dich bekümmern, imstande, den Frieden Gottes zu stören? Sicherlich nicht. Darum lass alle deine Anliegen vor Gott kundwerden „mit Danksagung“! Wenn ich meine Angelegenheiten einem vertrauenswürdigen Manne übergehe mit der Bitte, er möge sich darum kümmern, und der Betreffende verspricht es mir, so sage ich: Danke! obwohl der andere bis dahin noch nichts in der Sache getan hat. Befinde ich mich in diesem Seelenzustande Gott gegenüber, so ist mein Herz still, und anstatt mich über alles Mögliche zu grämen, bin ich frei, mich über das Gute zu freuen, das ich in anderen sehe. Aber leider sind wir so geneigt, uns mehr mit den Dingen dieser Welt zu beschäftigen als gut ist, und dann können wir das Herz Christi nicht bei uns haben.
Der Apostel wandelte in solcher Treue mit Gott, dass er im 9. Verse unseres Kapitels sagen kann: „Was ihr auch gelernt und empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dieses tut, und der Gott des Friedens wird mit euch sein“. Der Gott des Friedens, welch ein schöner Titel! Paulus hatte Gott so kennen gelernt, weil er mit Ihm wandelte, und so durfte er den Gläubigen aus Grund seiner Erfahrungen zurufen: Wandelt ihr auf dem Wege, den ihr von mir gelernt und an mir gesehen habt, so wird der Gott des Friedens mit euch sein.
Freude ist eine wechselnde Sache, sie steigt und fällt. Friede ist etwas Beständiges, Ungestörtes. Gott wird deshalb nie der Gott der Freude, wohl aber sehr oft der Gott des Friedens genannt.
So lange Christus mit Seinen Jüngern im Dienst hienieden wandelte, sagte Er nie zu ihnen: „Friede euch!“ sondern vielmehr: „Fürchtet euch nicht!“ Sobald Er aber auferstanden war, konnte Er ihnen Sein: „Friede euch!“ zurufen. Christus hat Frieden gemacht durch das Blut Seines Kreuzes, und zwar in einer Weise, dass Gott, mag Er auch in jeder Eigenschaft, die Ihm eigen ist, aufstehen und Umschau halten, nichts entdeckt, was Seinen Frieden stören könnte. Und der aus Gott Geborene ist in dem Lichte, wie Er in dem Lichte ist, und so habe ich, mag ich auch mit der Welt, mit dem Fleische und mit Satan im Kampfe liegen, Frieden mit Gott.
Die Probe auf den richtigen Zustand der Seele eines Gläubigen wird in seinem tagtäglichen Leben gemacht. In Bezug darauf konnte der Apostel sagen: Ich habe gelernt, worin ich bin, mich zu begnügen“. Paulus hatte das gelernt. Es war keine bloße Redensart. Es ist eine weit gefährlichere Schlinge, Überfluss zu haben, als sich in niedrigen Umständen zu befinden. Aber Christus ist genug für alles. In Ihm erlangen wir nicht nur Frieden inmitten der Umstände, sondern auch Macht über sie. Wir stehen über ihnen, trotzdem wir sie nicht ändern können.
„Mein Gott aber wird alle eure Notdurft erfüllen.“ Damit schließt der Apostel. „Mein Gott!“ Das heißt so viel wie: Ich kenne Ihn gut, und ich will die Verantwortung dafür übernehmen, dass Er alle eure Notdurft erfüllen wird nach dem Reichtum Seiner Herrlichkeit. Welch eine Wirklichkeit gibt es doch in dem Leben des Glaubens! Der Herr mag uns durch Prüfungen führen, weil dies gut für uns ist, aber Er will in ihnen allen bei uns sein.
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Wir kommen um
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 334ff
Brausend fährt der Sturm über den See Tiberias. Die eben noch so ruhige Fläche bäumt sich aus. Immer höher steigen die Wellen, so dass selbst die sturmgewohnten Jünger im Boot, die bei der Ausübung ihres Handwerks den See doch so oft befahren haben, zu zittern beginnen. Das Schifflein füllt sich mit Wasser, und dabei liegt ihr Herr und Meister im Hinterteil desselben und ist auf einem Kopfkissen fest eingeschlafen!
Wir kommen um, die Flut verschlingt uns! Nicht anders denken die zagenden Jünger. Aber haben sie denn nicht Den bei sich, der Wind und Wellen zu gebieten vermag? Gewiss, sie hatten Ihn ja, „wie Er war“, mitgenommen.
Wie Er war? Wie war Er denn? Milde von des Tages Lasten, ermattet durch angestrengte Liebesarbeit. Und nun lag Er da, geborgen in des Vaters Liebe, völlig ruhig im tosenden Sturm, neue Kräfte für neue Arbeit am jenseitigen Ufer des Sees sammelnd - anscheinend ganz unbewusst der Not Seiner Jünger und der eigenen Gefahr.
Gefahr? War denn wirklich Gefahr für Ihn vorhanden? Wurde Er nicht von den Engeln auf den Händen getragen, und hatte Gott nicht von Ihm gesagt: „Weil Er Wonne an mir hat, so will ich Ihn erretten?“ (Ps. 91.) Konnte Er nicht in Frieden sich niederlegen und schlafen? (Ps. 4, 8.) War Er nicht der Geliebte des Vaters?
Die Jünger wecken Ihn auf: „Lehrer, liegt dir nichts daran, dass wir umkommen?“ Und siehe da: „Er wacht auf, bedroht den Wind und spricht zu dem See: Schweig, verstumme!“
Welch eine wunderbare Vereinigung von menschlicher Niedrigkeit und göttlicher Majestät! Der ermüdete Menschensohn, aus Seinem Schlummer aufwachend, bedroht mit gebietendem Zuruf die wütenden Elemente. Und sie gehorchen Ihm. „Der Wind legte sich, und es ward eine große Stille!“
Von Furcht erfüllt, fragen die Jünger einander: „Wer ist denn dieser, dass auch der Wind und der See Ihm gehorchen?“
O wir kennen Ihn, unsern geliebten Herrn, der, den Brüdern gleichgeworden, in allem versucht worden ist, in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde; Jesum, den Sohn Gottes, den Schöpfer und Erhalter aller Dinge. (Hebr. 2, 17; 4, 14. 15.) Wir kennen Ihn, den Anfänger und Vollender des Glaubens, der einst bei Seinen schwachen Jüngern war und heute bei uns ist mit Seinem Mitgefühl und Seiner Macht — Ihn, den wahren Menschen und — wahren Gott.
Werden wir umkommen? Wird die Flut uns verschlingen? Nein, wir werden nicht umkommen! Die Flut wird uns nicht verschlingen. Bald wird unser Schifflein am jenseitigen Ufer landen, und dann nicht, um dort Satans Macht und der Menschen Bosheit zu begegnen, wie im vorliegenden Falle, sondern um für ewig diesen Jesus zu bewundern, der uns hindurchgetragen hat bis ans Ende, um auf immerdar bei Ihm zu sein.
Wieder liegt ein Jahr beinahe hinter uns, ein schweres, stürmisches Jahr. Und noch immer heult der Wind, noch immer drohen die Wellen. Manches schwache Schifflein ist in allen Fugen erschüttert worden, und bange ertönt wohl die Frage: „Bis wann, Herr?“
Wird es noch lange währen, bis Er das Völkermeer bedrohen und dem Wind Schweigen gebieten wird? Wir wissen es nicht. Gott führt Seine Absichten aus. „Die Ankunft des Herrn ist nahe gekommen“, und „der Richter steht vor der Tür“ (Jak. 5, 8. 9). Eins aber wissen wir: Des Vaters Auge wacht über uns, unser geliebter Herr ist bei uns im Schifflein, und so können auch wir in Frieden uns niederlegen und schlafen, denn Er lässt uns in Sicherheit wohnen (Ps. 4, 8).
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Doch siehe
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1915 S. 336ff
Es heulet der Sturm, es treiben die Wellen,
es dröhnet das Schifflein, als wollt’ es zerschellen:
doch siehe! am Steuer mit mächtiger Hand
sitzt Jesus und führet das Schifflein ans Land!
Es schreitet der Pilger mit wankendem Schritte,
es zeigt die Gefahr sich bei jeglichem Tritte:
Doch siehe! der Heiland, Er schreitet voran,
tritt nieder die Dornen, macht eben die Bahn!
Es stöhnet der Kämpfer auf mühsamen Wegen,
es stürzet der Feind sich mit Wut ihm entgegen;
Doch siehe! der Sieger, der göttliche Held,
hat völlig am Kreuze zur Schau ihn gestellt.
Es dringen die Seufzer aus blutenden Herzen,
Es fließen die Tränen, als Zeugen der Schmerzen;
Doch siehe! das freundliche Auge des Herrn
Schaut mitleidsvoll nieder, Er tröstet so gern!