Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1920 | Seite |
Wache auf, meine Seele!" | 1 |
Die drei Fragen Hiobs und ihre Beantwortung | 10 |
Der Versöhnungstag | 30 |
Barmherzig und gnädig." | 25 |
Der suchende Gott | 41 |
Glaube und Schwierigkeiten | 55 |
Fragen aus dem Leserkreise | 55 |
Der erste und der zweite Mensch | 57 |
David und seine Helden | 71 |
Gedanken | 83 |
Ein Blick zurück und vorwärts. (Gedicht) | 83 |
Segnende Hände | 85 |
In den Ebenen von Sittim | 91 |
Die rote junge Kuh | 97 |
Was ich mir wünschte. (Gedicht) | 110 |
Der Glaube | 110 |
Die Ankunft" und die,Erscheinung" des Herrn. | 113 |
Die Töchter Zelophchads | 130 |
Vertrauen | 137 |
Wenn dein Bruder wider dich sündigt." | 158 |
Verworfene Gnade und geöffnete Himmel | 182 |
Die Versammlung und die Zucht | 197 |
Du weißt nicht." | 212 |
Die himmlische Berufung und die Kirche | 225 |
Redet zu dem Felsen!" | 241 |
Der Abfall und der Antichrist | 247 |
„Vergib uns unsere Schulden!" | 251 |
Eine schlaflose Nacht | 262 |
Richtet nicht! | 271 |
Sorget nicht! | 279 |
Die Welt und der Christ | 281 |
Der Erstgeborene aller Schöpfung | 294 |
Ein treuer Knecht I | 299 |
Die Bibel | 304 |
Unsere Kinder | 309 |
Ein treuer Knecht II | 325 |
Er bringt dich durch. (Gedicht) | 332 |
Botschafter des Heils in Christo
Siebenundsechszigster Jahrgang
Elberfeld – Verlag von R. Brockhaus
1920
Wache auf, meine Seele!
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 1ff
Es gibt ein hübsches, in Sonntagschulen viel gesungenes Lied, das mit den Worten beginnt:
Am schönsten Tag hienieden,
wenn Müh’ und Arbeit fern,
versammeln wir in Frieden
uns um das Wort des Herrn. .
„Den ersten Satz dieses Liedes«, schrieb einst ein lieber Bruder aus dem Felde, „dürfen wir hier draußen auch festhalten, selbst wenn die Kanonen donnern und die Granaten krachend um uns her platzen. Handelt es sich jedoch um die an diesem schönsten Tage zum Ausdruck gebrachte Tätigkeit, so werden wohl bei den meisten der Brüder, die draußen stehen, wehmütige Gedanken und zugleich Erinnerungen an Zeiten wachgerufen, wo man selbst auch das gesegnete Vorrecht besaß, mit den Geliebten des Herrn zu Seinen Füßen zu sitzen, um von Seinen Worten zu empfangen. Dann regt sich im Herzen der Wunsch: „O dass ich Flügel hätte wie die Taube! Ich wollte hinfliegen und ruhen“ (Ps. 55, 6).
Heute sind fast alle Brüder, die damals unter den Waffen standen, in die Heimat und den Geschwisterkreis zurückgekehrt. Wie früher dürfen sie an den gesegneten Zusammenkünften der Kinder Gottes teilnehmen, sich mit ihnen freuen und den Herrn preisen. Aber hört man nicht schon heute, nach verhältnismäßig so kurzer Zeit, hin und wieder darüber klagen, dass gerade solche Brüder, die einst so schöne Briefe aus dem Felde schrieben, in den Versammlungen zu fehlen beginnen? Nun ist es ja eine bekannte Tatsache, dass man „das, was man hatte,- verlieren muss, um zu wissen, was man verloren hat“. Aber dass Brüder, nachdem sie das, was sie für eine Zeitlang entbehren mussten, wiedererlangt haben, so schnell den Genuss an dem „schönsten Tag hienieden“, wie überhaupt an den Zusammenkünften der Kinder Gottes verlieren können, ist doch sehr ernst. Niemand möge die lange Trennung von Weib und Kind oder die drückenden Umstände der Gegenwart als Entschuldigung für sein Fernbleiben anführen. Seien wir ehrlich gegen uns selbst! Sind
wir gleichgültig geworden, so liegt die Schuld nur an uns. Wir waren nicht wachsam, nicht auf der Hut gegen Satans List. Dass er die Umstände, mögen sie günstig oder ungünstig sein, gern benutzt, um auf uns einzuwirken, ist klar. Schwierigkeiten, andauernde Not, Krankheiten usw. können uns so überwältigen, dass wir mutlos und schließlich gar bitter werden; und andererseits dienen Wohlleben und wiedergekehrte Behag1ichkeit nicht dazu, uns in Gleichgültigkeit und geistlichen Schlaf zu versenken.
Als David den. 57. Psalm dichtete, war er in großer Bedrängnis. Saul trachtete ihm nach dem Leben, und er floh vor ihm in die Höhle Adullam. Nach all dem Schweren, ·das er durchgemacht hatte, —— mitten unter flammensprühenden Löwen war seine Seele, unter Menschenkindern, deren Zähne Speere und Pfeile waren, ihre Zunge ein scharfes Schwert (V. 4) -— bedurfte er dringend der Ermunterung. Wo suchte er sie? Bei Menschen, oder in anderen, besseren Umständen? Nein, bei Jehova, seinem Gott. „Wache auf, meine Seele!“ so rief er sich selbst zu; „wachet auf, Harfe und Laute! ich will aufwecken die Morgenröte“ (V. 8). Das war der rechte Weg. Die Proben und Schwierigkeiten· führten ihn zum Herrn, nicht von Ihm ab. Anstatt sich zu beklagen oder sich gar in Murr- und Schimpfreden gegen Menschen und Verhältnisse zu ergehen, wie wir es so leicht tun können, forderte er seine Seele auf, Jehova· zu besingen. Und er hatte Ursache dazu, trotz aller Widerwärtigkeiten seines Weges. Und haben wir es nicht?
Dürfen wir nicht, den Blick nach oben erheben und, was David nicht konnte, den „Kommenden“ erwarten, dass Er uns heimhole in die vielen Wohnungen des Vaterhauses? Liegt nicht die Herrlichkeit Gottes selbst vor uns? Und hat nicht der Gott, von dem „jede gute Gabe und jedes vollkommene· Geschenk“ zu uns herabkommt, in jeder Beziehung wunderbar für uns gesorgt? Ja, tut Er es nicht täglich noch? Sollten wir uns deshalb durch Sorgen und Zweifel niederdrücken lassen, oder, wenn Gott uns in angenehme Verhältnisse hineingestellt hat, Ihn darüber vergessen und unser Herz ans Irdische hängen? Ist nicht schon die Rückkehr in die Heimat, zu Weib und Kind, Anlass genug, um den Herrn zu preisen und Ihm den Dank des Herzens durch die Tat zu beweisen? Ach, wenn unsere Herzen nur mehr ,,befestigt« wären, wie das Herz des Psalmensängers (V. 7), "und den Entschluss in sich trügen: „Ich will singen und Psalmen singen“! Wie viel Kapital für die Ewigkeit würde dann geschlagen werden aus den zahlreichen freien Stunden, welche die »neue Zeit« für viele mit sich gebracht hat, statt dass sie mit nutzlosen, wenn nicht gar schädlichen Dingen ausgefüllt werden!
Dass manche Gläubige in der gegenwärtigen Zeit schweren Proben ausgesetzt sind, ist bekannt. Aber wenn diese Dinge dazu dienen, die Herzen nicht zum Herrn, sondern vom Herrn wegzuziehen, so ist irgend etwas bei uns nicht .in Ordnung, und es ist hohe Zeit, uns zuzurufen: „Wache auf, meine Seele!“
„Hand in Hand mit der Wachsamkeit geht das Gebet. Dieser Odem des neuen Lebens, der Ausdruck der Abhängigkeit, erhält das Herz mit der Quelle der Kraft in Verbindung. Der Herr rief deshalb Seinen
Jüngern im Garten Gethsemane zu: „Wachet und betet, auf dass ihr nicht in Versuchung kommet“ (Matth. 26, 41). Die Vernachlässigung dieser Mahnung macht den Gläubigen unfähig, seinen Weg zu gehen, und der Feind benutzt die Gelegenheit, um Misstrauen gegen die Liebe Gottes, Verzagtheit und Bitterkeit in die Seele zu säen, oder, wenn die äußeren Umstände freundlich sind, das Herz in Sorglosigkeit und Weltliebe zu verstricken.
Die Aufforderung: „Wache auf, meine Seele!“ ist auch aus dem Grunde notwendig, weil wir so leicht die wunderbare Liebe Gottes vergessen, die einst den eingeborenen Sohn für uns auf den Altar des Kreuzes legte und uns den Weg ins Heiligtum droben bahnte. Es ist wahrlich der Mühe wert, aufzuwachen und über die Taten dieser Liebe zu sinnen. Ein solches Sinnen macht nicht nur dankbar. sondern auch treu und willig zum Dienst, gibt offene Augen für die Schlingen, die der Feind uns legt, und befähigt uns, Gott zu verherrlichen. Da werden dann Harfe und Laute aufgeweckt. Wir lernen Gott kennen als Den, „der Gesänge gibt in der Nacht“, dessen „Güte groß ist bis zu den Himmeln, und bis zu den Wolken Seine Wahrheit“ (V. 10). Mögen die Umstände dann auch drücken, die Saiten des Herzens werden dennoch gestimmt sein zum Ruhme Gottes, dessen Liebe und Güte man vertraut. Der Sinn des Wortes: „Ich will aufwecken die Morgenröte“, wird der Seele verständlich, und sie kann Gott „allezeit“ und „für alles“ danken (Eph. 5, 20; 1. Thess. 5, 18).
Es ist aber nicht die Liebe Gottes allein, über die ein aufgewachtes Herz gern sinnt. Zur Liebe gesellt sich die Treue. Das Buch der Wahrheit ist voll von Beweisen dieser Treue, Selbst die große Untreue des irdischen Volkes Gottes hat keine der Verheißungen Gottes aufgehoben. Freilich musste Gott die Israeliten züchtigen. Er wäre sich selbst, Seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit untreu geworden, wenn Er es nicht getan hätte. Aber in allen Seinen Gerichten hat Er nie aufgehört, Sein Volk zu lieben und des Erbarmens zu gedenken. Auf die Klage Zions: „Jehova hat mich verlassen, und der Herr hat meiner vergessen“, antwortet Er: „Könnte auch ein Weib ihres Säuglings vergessen, dass sie sich nicht erbarmte über den Sohn ihres Leibes? Sollten selbst diese vergessen, ich werde deiner nicht vergessen“ (Jesaja 49, 14. 15). Und schon Jahrhunderte vorher hatte Er zu Josua gesagt: „Ich werde dich nicht versäumen und dich nicht verlassen“ (Jos. 1, 5). Das gleiche Wort gilt auch uns heute (Hebr. 13, 5).
Darum wache auf du niedergebeugtes und verzagtes Herz, und betrachte die hell leuchtende Sonne der Treue Gottes, die durch die dunklen Wolken der Prüfungen wohl für einen Augenblick verhüllt erscheinen, aber niemals verdunkelt werden kann! Betrachte sie vertrauensvoll im Glauben! Setze dich ihren belebenden, wohltuenden Strahlen aus, und du wirst „neue Kraft“ zum Ausharren auf dem Wüstenpfade empfangen. Du wirst zu« deinem Heil und Segen erfahren, wie Er dir „in der Bedrängnis Raum macht“ und in dein Herz „Freude gibt, mehr als zur Zeit, da deines Kornes und Mostes viel war“.
Auch für Seelen, die in Gefahr sind, eigene Wege zu gehen, ist ein solches Aufwachen von gesegneten Folgen. Nüchtern geworden, schrecken sie davor zurück, solche Liebe und Treue mit Undank zu belohnen. Anstatt die eigenen, abschüssigen Wege weiter zugehen, vertrauen sie sich dieser, Liebe und Treue wieder an, und beginnen von neuem zu flehen: „Einige mein Herz zur Furcht deines Namens“, „neige mein Herz zu deinen Zeugnissen und nicht zum Gewinn“. Im Erkennen der eigenen Ohnmacht wird die Bitte laut: „Bewahre mich, Gott, denn ich traue auf dich!“
Und die der Herr mit irdischen Gütern gesegnet hat, werden durch das Anschauen der Liebe und Treue Gottes veranlasst, nicht in gemächlichem Wohlleben „ihr Herz auf den Reichtum zu setzen“ und „für ihre eigenen Häuser zu laufen“, sondern sich mit dem ihnen Anvertrauten als „treue Verwalter“ zu erweisen, den „Heiligen zu dienen“ und „im Gutestun nicht müde zu werden“. Sie werden an „die Zeit der Ernte“ erinnert, und dass Gott nicht ungerecht ist, unseres Werkes „zu vergessen“, und der Liebe, die man gegen Seinen Namen bewiesen hat.
In all den genannten Fällen bleiben Harfe und Laute nicht länger unbenutzt an den Weiden hangen, sondern ertönen zu Lob und Ehre des Herrn. Man singt und spielt dem Herrn im Herzen und redet zueinander in Psalmen, Lobliedern und geistlichen Liedern (Eph. 5, 19. 20).
Nachdem mit der Seele Harfe und Laute aufgeweckt sind, kommt in unserem Psalm ein neuer Gedanke von besonderer Schönheit zum Ausdruck. In dem Herzen des Psalmisten gab es ein noch ungestilltes Sehnen. Er war zu jener Zeit ein Flüchtling, befand sich also noch nicht am Ziele. „Der Morgen ohne Wolken“, von welchem er in seinen „letzten Worten“ spricht (2. Sam. 23, 4), lag noch in weiter Ferne. Er musste gleichsam noch eine dunkle Nacht durchschreiten, aber in seinem Herzen war Licht, und so wünschte er mit seinem Liede die Morgenröte, die den Tag einführen und die Finsternis beseitigen wird, aufzuwecken. Obwohl „wie ein Rebhuhn umhergejagt auf den Bergen“, befindet er sich dennoch in glücklicher Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes. Sein Herz ist befestigt in dem Entschluss, den Herrn zu preisen unter den Völkern. „Ich will“, so sagt er immer wieder, „ich will singen und Psalmen singen“ Nicht die Umstände, nicht die Feindschaft Sauls, sondern die Güte und Treue Gottes stehen vor seiner Seele, und diese möchte er in ihrem vollen Glanze „am Tage“ erstrahlen sehen. So setzt er gleichsam alles in Bewegung, um das Hervorbrechen der Morgenröte zu beschleunigen.
Damit beschämt er viele von uns. Davids Erwartung und Sehnen waren die eines treuen Israeliten; sie standen mit der Erde in Verbindung. Unsere Erwartung ist anderer Art. Wir sind berufen, an jenem „Morgen ohne Wolken« mit unserem Herrn vom Himmel herniederzukommen, um mit Ihm zu herrschen, zu richten und Seine Herrlichkeit zu teilen. Wir erwarten Ihn deshalb als den „glänzenden Morgenstern“, der vor Anbruch des Tages am Himmel aufleuchtet. Wir erwarten Ihn nicht auf dieser Erde als Den, der mit den Wolken des Himmels in Macht und Herrlichkeit kommt, um Sein Reich aufzurichten, sondern sollen Ihm entgegengerückt werden in die Luft, um von Ihm ins Vaterhaus geleitet zu werden und für immer bei Ihm zu sein (1. Thess. 4, 16 —18). Wir gehen dahin, wo Er jetzt ist, um dann mit Ihm wiederzukehren. Unsere Berufung, unsere Hoffnung, unsere Segnungen — alles ist himmlisch. Der Morgenstern, der sich vor der Morgenröte am Horizont zeigt, wird uns der Nacht dieser Welt und der Welt selbst entreißen und in die wolkenlose Freude der Gegenwart Gottes einführen.
Unser geliebter Herr sehnt sich danach, uns bei sich zu haben, und Er wünscht, dass auch in unseren
Herzen ein tiefes Verlangen nach dieser Vereinigung dem Leibe. nach sein möge. Um dieses Verlangen zu Werken, benutzt Er ganz besonders die gegenwärtigen Umstände. Er rüttelt die schläfrig gewordene Braut durch sie wach und ruft ihr zu: „Ja, ich komme bald!“ Wache auf, wache auf! — Glücklich die Seele, die von Herzen antwortet: „Amen, komm, Herr Jesus!“ (Offbg. 22, 20).
Die Gläubigen werden indem Buche der Offenbarung mehrmals redend eingeführt! Die zuletzt angeführten Worte sind die letzten, die sie aussprechen. Nachher haben sie ihrem geliebten Herrn gleichsam nichts mehr zu sagen. Wie schön ist das! Wenn unsere Seelen samt Laute und Harfe aufgeweckt sind und wir uns nun anbetend in das Meer der Liebe Gottes versenken, Ihn betrachtend, der gekommen ist, um uns den Vater kund zu machen, so wird das das Gefühl der Fremdlingschaft brennend werden lassen und den einen Wunsch in uns wachrufen, gleich David „die Morgenröte aufzuwecken“. Mit anderen Worten, wir werden an nichts anderes mehr zu denken und nichts anderes mehr zu sagen haben, als: „Amen, komm, Herr Jesus!“ und werden, soweit es an uns liegt, die Ankunft des Tages Gottes beschleunigen. Wir werden Knechten gleichen, die „mit umgürteten Lenden und brennenden Lampen“ wachen und auf ihren Herrn warten (Luk.12, 34 —38). In unseren Herzen wird keine andere Person oder Sache mehr Raum finden, als der „Ausgezeichnete vor Zehntausenden“, und während so „Sein Verlangen nach uns ist“, werden wir singen:
Ja, komm und stille das Verlangen,
erfülle unsre Seligkeit!
O eile du, uns zu empfangen,
Dein Kommen endet alles Leid.
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Die drei Fragen Hiobs und ihre Beantwortung *)
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 10ff
Kaum hat der Mensch, wie man zu sagen pflegt, das Licht der Welt erblickt, so ist er voller Fragen. Von frühester Jugend an sieht er sich vor unzählige Fragezeichen und unlösbare Rätsel gestellt. Wenn das Kind zu sprechen beginnt, so lernt es mit den Namen der Dinge und Personen gar bald die wichtigsten Fragewörter. Jedermann weiß, wie schwierig es oft ist, auf die „Warum?“ eines Kindes befriedigende Antworten zu geben. Und wenn es heranwächst, so mehren sich die Fragen: „Was? wie?· wozu? weshalb? woher? Wohin. Das muss so sein denn der Mensch soll nicht in Gleichgültigkeit diese Erde durchpilgern. Aber wehe dem Wanderer, der, auf seine Fragen falsch unterrichtet und irregeleitet, dem Abgrund entgegengeht! Alles Wissen und Erkennen muss erfragt sein. Im Chinesischen, einer der ältesten Kultursprachen der Welt, bedeutet das Wort für „Gelehrsamkeit“ wörtlich übersetzt: „Durch Lernen erfragt“. In der Neuzeit wie vor alters, im Ausland wie im Inland, fragt das Kind die Eltern, der Schüler den Lehrer, der Lehrling den Meister. Doch wie viele Fragen bleiben unbeantwortet, oder, was weit schlimmer ist, werden falsch beantwortet! Im ersten Falle bleibt der Wissensdurst des Geistes ungestillt; im zweiten dagegen empfängt er schädliche Speise oder gar tödliches Gift. So ist es in Bezug auf sichtbare Dinge — wer vermag’s zu leugnen? — und wieviel mehr trifft dies zu, wenn Fragen betreffs der Dinge gestellt werden, die nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden können.
In Tagen äußeren Wohlergehens begnügt sich der Mensch vielfach mit der Befriedigung seiner irdischen Bedürfnisse. Er lebt dahin wie im Traum und weist beunruhigende Fragen von sich. Er sieht keinen Grund, sich über das „Woher? wozu? wohin?“ u. s. w. Rechenschaft zu geben. Aber wenn Trübsal und Not kommt, wenn alle Stützen des Fleisches in die Brüche gehen, dann fragt er nach den Ursachen der Dinge und sucht Trost in irgend einer Antwort. Und dann geschieht es leider gar oft, dass der Mörder und Lügner von Anfang mit einer lügnerischen Antwort zur Hand ist und den Menschen durch sie zur Verzweiflung bringt, oder ihn mit seinem Gift aufs neue betäubt, schlimmer als zuvor.
Ein gläubiger Christ hat auf die wichtigste aller Fragen durch Jesum Christum befriedigende Antwort erhalten, gepriesen sei Sein kostbarer Name! Gott selbst ist völlig befriedigt, warum sollte er es nicht sein? Aber wie viele Dinge gibt es doch, über die wir unwissend oder gar falsch unterrichtet sind! Und da wir in Zeiten des Wohlergehens gar oft träge im Hören und langsam zum Lernen sind, muss Gott uns eben in Seine Trübsalsschule nehmen, wie Er es mit Hiob tat. Prüfungen öffnen das Ohr, das in heitern Tagen taub zu sein schien, und Leiden bewegen das Herz, welches in guten Zeiten wie von einer Eiskruste überzogen war. Gott in Seiner Liebe geht wie ein weiser Vater gründlich mit uns zu Werke. Wer ist ein Lehrer wie Er?“ Gleich einem erfahrenen Arzt behandelt Er nicht die äußeren Symptome, sondern die Wurzeln des Übels. Er, der Herzenskündiger, kennt die Gefahren, die vor uns verborgen sind, und wünscht uns zu warnen und zu unterweisen. Darum erlaubt Er manchmal dem Feinde, Seine Kinder zu versuchen, damit offenbar werde, was in ihren Herzen ist und worauf ihr Glaube und ihre Hoffnung sich gründen.
Im Buche Hiob finden wir die höchsten und tiefsten Fragen gestellt und zum Teil mit einer Klarheit beantwortet, die gewissermaßen über die Offenbarungen des übrigen Alten Testamentes hinausgeht. Das mag seine Erklärung darin finden, dass Gott sich den Gläubigen aus den Nationen nicht „vielfältig und auf mancherlei Weise“, dafür aber mit umso größerer Deutlichkeit geoffenbart hat. Jedenfalls ist es wunderbar, wie in diesem Buche fast alle wichtigen Fragen, die der Mensch im Suchen nach Vergebung und im Forschen nach dem geheimnisvollen Walten Gottes stellen kann, endgültig beantwortet werden. Sogar die anmaßenden Spitzfindigkeiten des Zweiflers werden hier zum Schweigen gebracht. Aus diesen Grunde kann das Erforschen des Buches Hiob für den „Gläubigen nur zum Segen gereichen, besonders in diesen Tagen, wo viele Christen vielleicht auch in Versuchung kommen, wie Hiob mit Gott zu hadern. Möge der Herr deshalb Schreiber und Leser dabei leiten, zu ihrem Segen und zu Seiner Ehre!
Hiob war offenbar ein Mann von feinem Gefühl und tiefen Herzensübungen. Umso mehr muss er unter
den Schlägen gelitten haben, die Satan ihm austeilen durfte. Aber kein Wort des Murrens kam über seine Lippen. Die Prüfung brachte nur seine völlige Ergebung in den Willen Gottes an den Tag. Auch wenn er körperlich die größten Qualen zu erdulden hatte, und sein Weib, anstatt ihn zu ermuntern, wie eine der Törinnen redete, sprach er noch Worte der Weisheit und der Ergebung, die seitdem schon manche Seele unterwiesen und getröstet haben. Konnte er auch nicht verstehen, warum all das Unglück über ihn hereinbrach, so hielt er doch daran fest, dass Gott es zugelassen hatte, und dass es deshalb zum Besten dienen musste. Wie sehr beschämt uns das, uns, denen Gottes Liebe in Christo Jesu so völlig geoffenbart worden ist und denen das Wort Gottes .ausdrücklich mitgeteilt hat, dass uns alles zum Guten mitwirken muss. Wie viel geringere Prüfungen machen uns oft missmutig und mürrisch, oder lassen Zweifel in unseren Herzen aufsteigen!
Eins ist zu beachten: Es war Satan und nicht Gott, der Hiobs Kinder tötete, seine Besitzungen vernichtete und ihn selbst mit bösen Geschwüren schlug; Gewiss, Gott erlaubte es; aber nicht nur deshalb, um Satan der Lüge zu überführen, sondern auch um Hiob eine notwendige Lehre zu geben. Die Lehre, welche Hiob mit seinen drei Freunden empfing, war von solcher Tragweite, dass er sicher später. seine Leiden wie nichts dagegen geachtet haben wird.
Zunächst war ihm natürlich alles unverständlich. Am Ende des ersten Kapitels lesen wir: „Bei diesem allem sündigte Hiob nicht und schrieb Gott nichts Ungereimtes zu“, aber in Kapitel 2, 10 heißt es nur: „Bei diesem allem sündigte Hiob nicht mit seinen Lippen“. Gott hätte dem armen Hiob sicher gern seine Schmerzen erspart, und was Er dem Satan erlaubte, kam nicht unmittelbar aus Seiner Hand. Das ist ein schwer zu verstehendes Geheimnis, und wenn Hiob später Gott allerlei Ungereimtes zuschrieb, so geschah es zum Teil deshalb, weil er diesen wichtigen Grundsatz nicht verstand. Hiobs Geduld war bewunderungswürdig und ist mit Recht sprichwörtlich geworden. Aber als seine drei Freunde kamen und durch ihr sieben Tage langes Schweigen nur zeigten, dass sie keine Trostworte für ihn hatten, sondern im Herzen dachten, Hiob empfange was seine Taten wert seien, da begann er an allem zu verzweifeln und in Bitterkeit des Herzens sein erstes vermessenes „warum?“ zu fragen. Dieselbe Frage haben seit ihm wohl schon viele Millionen· gestellt: „Warum bin ich überhaupt am Leben? Wäre es nicht besser, wenn ich nie geboren wäre?“ (Kap. 3; vergl. auch 10, 18.) Über den, der solche Fragen stellt, wird vom Heiligen Geist in Jes. 45, 9-—12 ein ernstes „Wehe“ ausgerufen.
Hiobs erste Frage: Wozu bin ich geboren?
Die erste Frage Hiobs: Warum hat Gott mir das Leben gegeben, wenn Er mir jetzt solche Leiden schickt? ist die Sprache des natürlichen Menschen im Aufruhr gegen seinen Schöpfer. Der Tadler erlaubt sich zu rechten mit dem Allmächtigen. Er verflucht die Vergangenheit, verwünscht die Gegenwart, und all seine Hoffnung für die Zukunft ist dahin. So wie später Jeremia (Jer. 20, 1.4 - 18), beklagt er nicht nur seine Qualen, sondern sein Dasein überhaupt. Welch ein Geisteszustand!
Und doch waren sowohl Hiob als auch Jeremia treue und ergebene Männer Gottes. Wie kamen sie dazu, sich so weit zu vergessen? Was brachte sie dahin, an der Allmacht und Güte Gottes, und wäre es auch nur für Augenblicke gewesen, zu verzweifeln? Zunächst gingen diese Männer durch ganz außergewöhnliche Seelenübungen. Alle Segnungen schienen sich in Fluch zu verkehren, und anstatt Worte des Trostes und Mitgefühls zu hören, wurden sie mit Vorwürfen überhäuft. Die besten Freunde hatten aufgehört, liebevolles Verständnis zu zeigen. Aber was am schlimmsten war, sie selbst konnten nicht mehr verstehen, weshalb sie so leiden mussten, und sahen weder Zweck noch Nutzen darin. Gleich dem Psalmisten in Psalm 73 kamen sie zu dem Schluss: „Es ist vergeblich«, und, mit dem Prediger nur auf das Sichtbare blickend, sagten sie: „Alles ist Eitelkeit“. Die Grundursache dieser Verzweiflung liegt jedoch tiefer. Wenn das Geschöpf sich nicht von seinem Schöpfer entfernt hätte, so würde es niemals sein Dasein verwünschen. Dass Männer wie Hiob und Jeremia den Tag ihrer Geburt verfluchen konnten, beweist nur, wie tief der Mensch von Gott abgefallen ist. Solang alles gut geht, kommen der Trotz, und die Verzagtheit des menschlichen Herzens vielleicht nicht zum Vorschein, aber Versuchungen bringen sie an den Tag. Versuchungen sind deshalb gut und notwendig, nicht damit Gott herausfinde, was in des Menschen Herzen ist (Ihm ist das Verborgene des Menschenherzens offenbar, und was aus demselben hervorkommt vermehrt Seine Kenntnis des Herzens nicht), sondern dass der Mensch sich selbst erkennen lerne.
Der Mensch von Natur ist, wie gesagt, im Aufruhr gegen Gott, und wenn er auch wiedergeboren ist, kommt doch die alte Natur in Zeiten der Versuchung immer wieder zum Vorschein. Möge aber niemand meinen, er sei fähiger als Hiob, ähnliche Versuchungen zu erdulden! Wer zu stehen sich dünkt, sehe zu, dass er nicht falle. Obwohl Hiob in der Bitterkeit seiner Seele viel Verkehrtes redete, diente der Ausgang doch zur Verherrlichung Gottes und zum Segen Seines Knechtes. Viele der Fragen, die er in der Angst seiner Seele stellte, wurden ihm im Verlauf seiner Verteidigungsreden selbst klar; andere wurden ihm durch Elihu beantwortet, und wieder andere beantwortete Gott im Sturmwind, und zwar meist durch Gegenfragen.
Jede Frage kann auf zweierlei Weise gestellt werden: entweder in Bescheidenheit und mit dem aufrichtigen Wunsch, Belehrung zu empfangen, oder in Anmaßung und Auflehnung gegen die Lösung, welcher Art sie auch sein möge. Im ersten Falle nimmt der Fragende wirklich die Stellung eines Lernenden ein, wie es sich von Rechtswegen für ihn geziemt, im zweiten setzt er voraus, dass es keine befriedigende Antwort gibt, oder dass sie ihm vorenthalten wird. Entweder kommt der Mensch in Aufrichtigkeit zu Gott und bitter mit den Worten, die Elihu den armen Hiob später lehrt: „Was ich nicht sehe, zeige du mir“ (Kap. 34, 32), oder er fragt im Trotz: Warum ist denn alles so ganz anders, als es sein sollte?
Wer nicht zu des Meisters Füßen zu sitzen gewillt ist und spricht: „Ich will dich fragen, und du belehre mich“, geht gar bald mit Gott ins Gericht. Der Ton fragt den Töpfer: Was machst du da? So töricht es ist, so häufig ist es auch unter den Kindern Adams, dem Geschlecht der Abtrünnigen. Die sogenannte
höhere Kritik, die so viel Unheil auf geistlichem Gebiet angerichtet hat, stellt alle ihre Fragen in dieser Weise. Gerade in unseren Tagen, wo sich der Geist der Ungebundenheit überall Eingang verschafft, wo jedermann frei sein will, zu denken und zu tun was ihm beliebt, ist dieser Grundirrtum fast allgemein. Auch Gläubige müssen auf der Hut sein, dass sie nicht von dem Zeitgeist angesteckt werden. Übrigens gibt es nichts Neues unter der Sonne. Im Grunde hatten die Menschen zur Zeit Hiobs dieselben Fragen zu lösen, wie wir heute; nur mit dem großen Unterschied, dass Gottes Ratschluss seither viel klarer geoffenbart worden ist· Wenn Hiob mit Gott haderte, kann man noch Entschuldigungsgründe finden. Für den christlichen Bekenner aber, der das ganze Wort Gottes besitzt, ist es ein schreckliches Ding, wenn er an der weisen- und liebenden Leitung und Vorsehung Gottes zweifelt.
Die erste große Frage Hiobs schließt einen Zweifel in den Zweck des menschlichen Daseins ein und damit auch in die Weisheit des Schöpfers. Darin liegt eine Beleidigung Gottes, die Gott selbst am Ende des Buches mit göttlicher Ironie durch eine Anzahl Gegenfragen beantwortet. Dann beugt sich Hiob, und seine quälenden Fragen finden in der Allmacht und Güte Gottes eine befriedigende Beantwortung. Aber für den Menschen ohne Gott und ohne Erlöser gibt es tatsächlich keine hinreichende Antwort auf Hiobs Frage: „Warum bin ich geboren?“ Was hat das furchtbare Wort, welches der Herr Jesus über den Verräter Judas aussprach: „Es wäre jenem Menschen gut, wenn er nicht geboren wäre“, all den Millionen zu sagen, die seither an ihren Ort gegangen sind? Werden die Spötter, wie Voltaire, Tom Paine u. a., am Orte der Qual den Tag ihrer Geburt nicht für ewig verfluchen?
Ja wahrlich, wer sich nicht unter Gottes Urteil beugt und Jesum als seinen Erlöses: annimmt, der wird sich niemals über den Lebenszweck des Menschen noch über die Schöpfung überhaupt wirklich klar werden. Nur in der von Gott verheißenen und durch das Kreuz verbürgten „Wiederherstellung aller Dinge“ (Apstgsch. 3, 21) wird das Problem der gegenwärtigen Leiden gelöst werden. Erst wenn die seufzende Schöpfung „freigemacht werden wird von der Knechtschaft des Verderbnisses zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm. 8, 21), werden alle Fragen eine befriedigende Antwort finden. Das wurde dem Hiob im Vorbilde an seiner eigenen Geschichte gezeigt.
Jedoch erst im Neuen Testament hat Gott geoffenbart, was Er mit dem Menschen vorhat. Erst nachdem der Heilige Geist herniedergekommen war, hat die dritte Person der Gottheit durch die Schriften des Apostels der Nationen mitgeteilt, dass die Leiden der Jetztzeit nicht wert sind, verglichen, zu werden mit der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll (Röm. 8, 18). Erst in unserem Zeitalter wird jedem, der da hört und glaubt, durch den Geist der Sohnschaft kundgetan, dass wir nach Gottes Willen durch Jesum Christum Erben Seiner Herrlichkeit sind. Dieser Geist, der auch „der Geist der Verheißung“ genannt wird, ist „das Unterpfand unseres Erbes, zur Erlösung des erworbenen. Besitzes, zum Preise Seiner Herrlichkeit“ (Eph. 1, 13.14.) Darum kann und darf der Ausblick des Christen niemals so dunkel sein, wie derjenige Hiobs war. Hiob sah nur wie aus der Ferne und tappte wie im Dunkeln, aber wir sind durch Christum Gott nahe gebracht und berufen, im Lichte zu wandeln. Sollten wir uns daher nicht umso mehr hüten, Gedanken des Zweifels zu hegen und in Auflehnung gegen Gott mit dem Allmächtigen zu rechten? Wohl mögen wir auf alle Weise in Demut fragen, was der Zweck unseres Lebens ist, aber uns ja fern halten von dem Geiste des Aufrührers und der Sprache des Vermessenen. Auch für den Christen ist es gut, sich täglich daran zu
erinnern, was der Endzweck seines Lebens ist, und wenn er das in dem Geiste der Gemeinschaft mit dem Herrn tut, so kommt er gar dahin, sich der Trübsale zu rühmen. Wenn aber der Gottlose im Ärger über die Eitelkeit alles Irdischen sein Dasein verflucht, oder der bloße Bekenner in Prüfungs- und Leidenszeiten seinen Scheinglauben verliert und mit Gott hadert, so fügt er, an allem Verzweifelnd, der Sünde die Übertretung hinzu, d. h. der Geist der Empörung verwandelt sich in offenen Aufruhr wider Gott, der verborgene Herzenszustand kommt zur sichtbaren Betätigung.
Möchte doch jedes Kind Gottes den Zweck seines Lebens und das Ziel seines Weges stets vor Augen behalten, damit es bewahrt bleibe vor der Vermessenheit Hiobs, vor der Sünde des Rechtens mit dem Allmächtigen! Und sollte einer meiner Leser die Antwort Gottes auf Hiobs Frage noch nicht vernommen haben, so schüttle er seine Gleichgültigkeit ab und fliehe aus den Reihen der Empörer, ehe es zu spät ist! Ja, suche die Antwort auf Hiobs Frage nicht mit dem Hochmut des Aufrührers, noch mit der Widerspenstigkeit des Zweiflers, sondern in demütiger Gesinnung und mit unterwürfigem Herzen. Nur dann wirst du deinen Wissensdurst befriedigen und, von Jesu lernend, „Ruhe finden für deine Seele“.
Fußnote:
*) Von Bruder H. R. in Hinghwa eingesandt.
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Der Versöhnungstag
Bibelstelle: 3. Mose 16
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 20ff
Das 16. Kapitel des 3. Buches Mose handelt von dem großen Opfer, das einmal jährlich für das Volk
Israel dargebracht werden musste, ein Vorbild von jenem Sühnopfer, das ein für allemal am Kreuze auf Golgatha geschehen ist. (Hebr. 9, 11 —14.) Am zehnten Tage des siebenten Monats trat der Hohepriester, ganz in Weiß gekleidet, mit Blut und Räucherwerk vor Gott, innerhalb des Vorhangs, um Sühnung zu tun für sich und sein Haus, und hernach für das Volk. Aaron und seine Söhne stellen immer die Gemeinde dar, zwar nicht unter dem Bilde des einen Leibes, wohl aber als eine Familie von Priestern. Nach vollendeter Sühnung kam der Hohepriester aus dem Heiligtum zurück, ein Zeichen für das Volk, dass das Opfer angenommen war. Christus ist noch nicht aus dem Heiligtum zurückgekehrt, um Seinem Volke Israel die Gewissheit der Annahme Seines Opfers zu bringen. Das wird erst am Ende der Tage geschehen. Uns aber, die wir geglaubt haben, hat der Heilige Geist heute schon die Kunde gebracht, dass Gott vollkommen befriedigt und verherrlicht ist durch das Werk Christi; ja, wir sind in und mit Christo in das Heiligtum selbst eingeführt, haben alle Freimütigkeit zum Eintritt. Die Juden werden erst glauben, wenn sie Ihn sehen werden, in den sie gestochen haben. Wir glauben, ohne dass wir Ihn gesehen haben, und werden deshalb glückselig gepriesen. (Joh. 20, 29.) Das ist die
besondere Segnung der Kirche.
Am Versöhnungstage mussten zwei Ziegenböcke an den Eingang des Altes der Zusammenkunft gebracht werden, der eine für Jehova, der andere für das Volk. Der erste wurde geschlachtet, und sein Blut in die Gegenwart Gottes gebracht und auf und vor den Sühndeckel gesprengt — ein Vorbild von der Darbringung des Blutes Christi vor Gott. Auf den anderen Bock wurden die Sünden und Übertretungen· des Volkes bekannt, und er selbst dann lebendig in die Wüste geschickt, um so (im Bilde) alle Ungerechtigkeiten Israels in ein ödes Land zu tragen. Er wurde deshalb auch „Asasel“ genannt, d. h. Bock der „Abwendung“, oder „der davongeht“.
Sollte Gott im Blick auf die Sünde verherrlicht werden und in Liebe gegen den Sünder handeln können, so war es nötig, dass ein entsprechendes Opfer gebracht und dessen Blut in Seine Gegenwart getragen wurde. Würde Gott die Sünde dulden und ungerichtet lassen, so wäre das nicht Liebe zu dem Sünder, sondern Gleichgültigkeit dem Bösen gegenüber. Es wäre eine Art Liebe, wie wohl die Weltmenschen sie sich denken, wenn sie von dem „lieben Gott“ reden. Aber schon ein geringes geistliches Verständnis begreift, dass Gott das Böse nicht in Seine Gegenwart zulassen kann. Es geziemte Ihm deshalb, den Anführer unserer Errettung durch Leiden vollkommen zu machen (Hebr. 2, 10). Der Sohn des Menschen musste ans Kreuz erhöht und der Charakter Gottes vollkommen verherrlicht werden, wenn anders unsere Sünden von uns entfernt und wir in die Gemeinschaft mit Gott eingeführt werden sollten.
Nachdem nun das Blut dargebracht und das Sühnungswerk geschehen ist, kann die. Liebe sich frei von dem Throne Gottes her ergießen und eine bedingungs- lose Gnade allen Sündern verkündigt werden. Unser Gewissen ist im Hinblick auf unsere Sünden völlig beruhigt, weil sie alle auf das Haupt unseres Stellvertreters gelegt worden sind. „Siehe das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt!“
Unser Kapitel enthält drei besonders wichtige Punkte:
1. Das Blut wird vor Gott gebracht.
2. Durch das Blut wird Sühnung getan für das Heiligtum inmitten der Unreinigkeiten der Kinder Israel,
unter denen es weilte.
3. Die Sünden des Volkes werden durch den Hohenpriester auf den Bock Asasel gelegt und entfernt.
Diese drei Punkte wollen wir nacheinander kurz betrachten.
1. Jesus ist in den Himmel eingegangen, ins Heiligtum, wo Gott ein unzugängliches Licht bewohnt. Der Weg zum Heiligtum war nicht geoffenbart, so lange die vordere Hütte Bestand hatte. Heute ist dieser Weg geoffenbart, denn der Vorhang ist zerrissen, und wir schauen die Herrlichkeit Gottes mit aufgedecktem Angesicht. Wir sind, was unsere Beziehungen zu Gott betrifft, in Seine unmittelbare Gegenwart zugelassen, ohne dass ein Vorhang oder irgend ein anderes Hindernis uns den Weg versperrte.
So stehen jetzt auch Gott in Seiner ganzen Heiligkeit und die Welt in allen ihren Sünden einander unmittelbar gegenüber. Wie kommt es nun, dass Gott die Welt nicht zerschmettert? Weil Jesus, das Lamm Gottes, die Sünde der Welt auf sich genommen und eine Sühnung zuwege gebracht hat. Gott ist im Blick auf die Sünde vollkommen verherrlicht worden. Alle Mittel, die Er bis zum Tode Christi anwandte, um der Frage der Sünde zu begegnen, haben sich als nutzlos erwiesen. Das Ergebnis aller Wege, die Gott viertausend Jahre lang mit dem Menschen ging, waren nichts als Fehlschläge in jeder Beziehung. Dann aber ist die Güte und Menschenliebe Gottes, d. h. Gottes Handeln in Liebe den verurteilten Sündern gegenüber, erschienen, und heute noch währt die Zeit der Gnade, der wohlangenehme Tag, der Tag des Heils. Die Welt ist zwar verurteilt, aber das Gericht ist noch nicht vollzogen. Gott harrt in Langmut, und das in Seine Gegenwart gebrachte Blut erlaubt Ihm trotz, ja, auf
Grund Seiner Gerechtigkeit in Liebe mit dem Sünder zu handeln. Dieses Blut ist der einzige Weg, auf dem die Liebe Gottes zu einer gefallenen Welt ausströmen kann. Gott kann sich unter keinen Umständen selbst untreu werden. Wäre es der Fall, so könnte man sich ja nicht auf Ihn verlassen. Das kostbare Blut ist für immerdar vor den Augen Gottes. Es ist gleichsam auf den heiligen Thron Gottes gesprengt worden, und dieser ist dadurch zu einem Gnadenthron geworden. (Vergl. Hebr. 4, 16).
Der Gläubige besitzt jetzt göttliches Leben. Das zeigt ihm, wie kostbar jenes Blut ist. Dennoch ist das
Maß seiner Gedanken darüber glücklicherweise nicht das Maß seiner Sicherheit. Der Glaube urteilt stets nach Gottes Gedanken, und ich weiß durch den Glauben, dass Gott das Blut Christi in Seinem ganzen ewigen Werte kennt, dass Er es so würdigte, wie es gewürdigt werden muss. Ich weiß ferner, dass Seine Gedanken über dieses Blut sich nie verändern, während meine Gedanken oft wechseln mögen, und dass Er es stets mit denselben Augen betrachtet. „Sehe ich das Blut, so werde ich an euch vorübergehen“, lautete schon Seine Sprache in Ägypten. Hierin liegt die Gewissheit des Glaubens und unsere völlige Sicherheit.
Nichts hat Gottes Abscheu gegen die Sünde so sehr ans Licht gebracht, wie gerade das Erlösungswerk. Am Kreuze hat sich gezeigt, mit welch einem unversöhnlichen Hass Er die Sünde hasst, und mit welch einem heiligen, verzehrenden Zorn Er sie ahndet. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ — Dieser erschütternde Schrei des Sohnes Gottes lässt uns ein wenig erkennen, wie bitter der Kelch war, den der Vater Ihm als dem Sündenträger reichen musste.
Das einzige, aber auch für ewig vollgültige Mittel, um in Gottes Gegenwart weilen und, was unsere Beziehungen zu Ihm betrifft, völlig ruhig sein zu können, ist also das Blut, das kostbare Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes. Gott hat das Sühnungswerk angenommen. Infolgedessen ist zwischen dem Gläubigen und Gott keine Sprache mehr von Sünde. Ich rede jetzt nicht von den Verfehlungen auf dem Wege, oder von dem Kampf wider die Sünde. Wenn ich an mich selbst hienieden denke, so habe ich notwendigerweise immer wieder Sünde zu bekennen; wenn ich aber an Gott denke, so habe ich „kein Gewissen mehr von Sünde“. Das Blut ist vor Gott. Das Blut hätte aber keinen Wert, wenn die Sünde nicht gänzlich gesühnt und Gott nicht völlig befriedigt wäre. Das Blut ist die ewig gültige Antwort Gottes auf jede Anklage Satans wider mich. „Gott ist es, welcher rechtfertigt; wer ist, der verdamme?“ (Röm. 8, 33. 34). So werden alle diese Anklagen hinfällig, und das ist für mich eine Quelle beständigen Friedens und seliger Freude.
Die Liebe Gottes zu uns hätte nicht völliger zum Ausdruck kommen können, als es in der Dahingabe Seines eingeborenen Sohnes geschehen ist. Gott hat uns geliebt, als wir noch in unseren Sünden waren. Ja, als Er unserer Sünden und Ungerechtigkeiten gleichsam müde geworden war, da hat Er, anstatt sich unser zu entledigen, sich ihrer entledigt durch Jesum Christum, unseren Herrn. Er hat Seines eigenen Sohnes nicht geschont, um uns verschonen zu können. Was der Himmel an Kostbarstem enthielt, ist für uns, die Feinde und Gottlosen, dahingegeben worden. Gottes Liebe, kundgeworden in der Sühnung der Sünde des Menschen, das ist es, was das Kreuz Christi lehrt und verkündet. Nirgendwo wird das Gewissen so wach, wie angesichts des Kreuzes, aber auch gerade dort findet es in Christo und Seinem Opfer völlige Ruhe.
2. Die Reinigung des Zeltes der Zusammenkunft versinnbildlicht die Reinigung dieser Welt *), der ganzen Schöpfung in ihren Beziehungen zu Gott. „In dieser Welt hat Christus gelitten. Damit nun Christus Sein Erbe antreten kann, muss dieses Erbe gereinigt werden. Die Sünde hat alles beschmutzt. Es bedarf daher einer Versöhnung „aller Dinge“ durch das Blut Christi. Davon lesen wir in Kol. 1, 19. 20: „Es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in Ihm zu wohnen und durch Ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen, — indem Er Frieden gemacht hat durch das Blut Seines Kreuzes, —— durch Ihn, es seien die Dinge auf der Erde oder die Dinge in den Himmeln“. Diese Versöhnung ist noch nicht vollendet, aber die Grundlage dafür ist im Kreuze gelegt, und die Schöpfung wartet nun sehnsüchtig aus die Offenbarung der Herrlichkeit der Kinder Gottes, um dann von der Knechtschaft des Verderbnisses befreit zu werden (Röm. 8, 21.) Wenn es sich um uns, die Gläubigen, handelt, so lesen
wir: „Euch . . . hat Er (od. sie)· aber nun versöhnt in dem Leibe Seines Fleisches“. Es ist eine vollendete Tatsache. Wie genau redet die Schrift!
3. In dem Bock „Asasel“ sehen wir Christum als unseren Stellvertreter, und zwar so, als ob Er selbst alle unsere Sünden begangen hätte. Sie sind gleichsam auf Sein schuldloses Haupt gelegt, auf Ihn bekannt worden, und Er hat sie in ihrer ganzen Schwere gefühlt und vor Gott getragen. Welch eine Erleichterung bringt es dem armen, mühseligen und beladenen Herzen, wenn es verstehen lernt, dass es keine einzige Sünde gibt, die nicht bereits vor Gott bekannt worden wäre! Ja, diese Erkenntnis verleiht Mut, die Sünden nun auch selbst offen zu bekennen, was unmöglich wäre, wenn ich erwarten müsste, dass die· Sünden zu meiner Verurteilung führen könnten. Wenn aber Christus sie alle getragen, wenn der Zorn Gottes Ihn dafür getroffen hat, so wird mein Herz leicht, und kühn kann ich hintreten und meine Sünden bekennen, ohne befürchten zu müssen, dass ich dieserhalb ins Gericht kommen könnte. Das befreit weiter auch von dem „Trug des Herzens“ (Vergl. Ps. 32, 2). Auf diese Weise empfange ich die Gewissheit, dass ich aus ewig errettet bin. Sonst wäre ja Christus umsonst gestorben! Gott würde ungerecht sein, wenn Er mir meine-Sünden zurechnen wollte, da doch Christus die ganze Strafe dafür erduldet hat. Wie einst am Versöhnungstage „alle Ungerechtigkeiten der Kinder Israel und alle ihre Übertretungen nach allen ihren Sünden“ auf den Bock Asasel gelegt wurden, so lesen wir von unserem Heilande: „Mein gerechter Knecht wird . ·. ihre Missetaten auf sich laden“. Diese Liebe Christi zu ergründen ist unmöglich. Je heiliger Er war, **) desto schwerer lastete das Gewicht unserer Sünden auf Ihm; je größer Seine Erkenntnis der Heiligkeit Gottes, desto größer Sein Abscheu vor der Sünde; je mehr Er Gottes Liebe kannte, desto mehr fühlte Er Gottes Zorn.
So sind denn meine Sünden in ein ödes, unbewohntes Land getragen worden, wo niemand sie mehr sieht, wo sie für ewig vergessen sind. Sie sind im Grabe Christi zurückgeblieben. Dieselbe Hand, welche den Vorhang zerriss, hat ·auch alle meine Sünden ausgetilgt und für ewig aus dem Auge Gottes entfernt.
Fußnote:
) selbstverständlich nicht der Welt in sittlichem Sinne.
**) Wenn wir menschlicher Weise so von Ihm reden dürfen.
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Barmherzig und gnädig
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 28ff
Zwei Männer saßen im Eisenbahnwagen einander gegenüber. Außerdem war im gleichen Abteil noch
eine junge, in tiefes Schwarz gekleidete Frau mit einem kleinen Kind auf dem Schoß. Einer der Männer hatte das Gesicht verbunden und litt offenbar heftige Schmerzen. Sein Gegenüber, ein gläubiger Mann sprach ihn deshalb an: „Es tut mir leid, Sie so leiden zu sehen. Aber ich denke, es wird Ihnen ein Trost Sein, zu wissen, dass auch solch unangenehme Dinge uns vom einem barmherzigen und gnädigen Gott zum Besten zugesandt werden“
„Barmherzig und gnädig nennen Sie Ihn?“ versetzte der andere finster. „Dafür hielt ich Ihn, als ich gesund und kräftig war. Aber seitdem dies schmerzhafte Leiden mich befallen hat, halte ich Ihn für alles andere, nur nicht für barmherzig.“
„O sagen Sie das nicht, mein Herr!“ rief in diesem Augenblick die junge Frau. „Ich habe früher, als ich mein Glück in der Welt und ihren Dingen zu finden meinte, nie an die Barmherzigkeit Gottes gedacht. Ich kannte Gott nicht und fragte nicht nach Ihm. Als Er mir aber plötzlich die Wonne meiner Augen von der Seite riss, und ich mit diesem kleinen Kinde allein und mittellos zurückblieb, da habe ·ich in Ihm den barmherzigen Gott und liebenden Vater kennen gelernt, und nun preise ich Ihn für mein schweres Leid“
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Die drei Fragen Hiobs und ihre Beantwortung
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 29ff
Die zweite große Frage Hiobs lautet: ·
Wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott?
Auf die erste Rede Hiobs hatte der älteste seiner, drei Freunde geantwortet. Eliphas, der Temaniter, war ein weiser, beredter und frommer Mann, und seine erste Rede ist wohl die beste unter den acht Vorträgen der Freunde. (An, die Reden Hiobs reichte keine heran, weder der Form noch dem Inhalt nach, von den Antworten Elihus oder gar Jehovas selbst ganz zu schweigen.) In dieser Rede gibt sich Eliphas viel Mühe, dem armen Hiob zu beweisen, dass jeder Mensch auf Erden erntet was er sät. Die Unheil pflügen und Mühsal säen, ernten es“ (Kap. 4, 8). Alles was er sagt, ist grundsätzlich wahr, aber im Falle Hiobs falsch. Obwohl an sich richtig, ist es beziehentlich verkehrt. Denn gar oft wird der Böse in der Sünde alt, während der Fromme in der Kraft der Jugend hinweggerafft wird. Oftmals lebt der Gottlose im Überfluss, und der Gottesfürchtige leidet Mangel am Nötigsten. Eliphas samt seinen beiden Freunden zog, wie es auch heutzutage gar oft. geschieht, ganz falsche Schlüsse. Nach seiner Meinung bewiesen die gegenwärtigen Leiden Hiobs, dass seine frühere Gerechtigkeit boshafte Heuchelei gewesen war. Mit großer Beredsamkeit führt er ein Nachtgesicht an, in welchem ihm ein Geist erschienen war, um Hiob dadurch zu zeigen, dass die Ursache seiner Leiden in seiner eigenen Torheit zu suchen sei.
Hiob hatte mit Recht mehr Verständnis und ein tieferes Mitgefühl für seine Leiden erwartet. Er sagt: „Dem Verzagten gebührt Milde von seinem Freunde, sonst wird er die Furcht des Allmächtigen verlassen“. Und gleich nachher: „Kehret doch um, es geschehe kein Unrecht; ja, kehret noch um, um meine Gerechtigkeit handelt- es sich!“ (Kap. 6, 14. 29). Er kann nicht zugeben, dass er solche Prüfung verdient habe. Die Worte des Freundes sind schwerer zu tragen, als die Schmerzen des gequälten Leibes. Der Tod seiner Kinder und der Verlust seiner Habe waren furchtbare Schläge; die Krankheit, womit Satan ihn heimgesucht hatte, war von der qualvollsten und scheußlichsten Art; aber das Schweigen und die Reden feiner Freunde waren wie unzählige Giftpfeile, die durch seine Seele drangen. In diesen frommen Männern hatte Satan unbewusste, aber darum umso wirksamere Handlanger gefunden. Statt Hiob wirklich zu trösten, brachten sie ihn zur Verzweiflung. Statt ihn daran zu erinnern, dass die Güte Gottes ewiglich währt, dass der Zweck Seines Tuns vielleicht zur Zeit verborgen ist, aber einmal herrlich offenbar werden wird, beschuldigen sie den armen Mann zuerst in ihren Herzen, bald aber offen und deutlich der gröbsten Vergehen, einfach weil sie sich seine Leiden anders nicht erklären können. Wer kann sich da noch wundern, dass Hiob unwillig wurde und wünschte, dass Gott ihn zermalmen möchte? (Kap. 6, 9). Er sah tiefer als seine Freunde und erkannte das Walten Gottes klarer als sie. Darum empfingen sie am Ende eine schärfere Zurechtweisung von seiten Gottes als er. Sein Irrtum bestand in der Annahme, dass Gott es sei, der ihn quäle, und in der Anmaßung, mit welcher er Gott zur Rechenschaft zog. Jedoch finden wir in seinen bittersten Reden Lichtblicke, die wie Hoffnungsstrahlen aus tiefstem Dunkel der Nacht hervorbrechen und ihn Gottes Rettung aus« aller Not von ferne sehen lassen. So endet auch seine zweite Rede mit einem Flehen nicht an seine Freunde, sondern an Jehova selbst. Und schon hier gibt er zu, dass er Vergebung· seiner Übertretung und ein Hingehenlassen seiner Missetat nötig habe.
Bildad, der Schuchiter, antwortet Hiob auf seine zweite Rede. Er wird noch persönlicher als Eliphas und nennt die Worte Hiobs ungestümen Wind. Zugleich sagt er gerade heraus, dass Hiob mit seinen Kindern nur empfange was ihre Taten wert seien. Die Geschichte der Freunde Hiobs sollte uns allen eine ernste Warnung sein. Nichts ist so gefährlich wie eine falsch angewandte Wahrheit: Mit einem Schriftwort am verkehrten Ort kann man das größte Unheil anrichten. Es ist des Teufels Weise, und nur ununterbrochene Gemeinschaft mit Gott kann davor bewahren. Wie wichtig ist deshalb auch die Ermahnung: „Seid langsam zum Reden!“ besonders in geistlichen Dingen. Schnelles Schlüsseziehen und hastiges Urteilen wird später oft bitter bereut, wie auch die Freunde Hiobs sich ihres Irrtums sicher geschämt haben, freilich als es zu spät war.
Am Ende seiner Rede weist Bildad darauf hin, dass Gott den Vollkommenen nicht verwerfen, sondern sicherlich mit Jubel und Freude erfüllen werde, wobei er wohl kaum ahnte, dass sich dies bei Hiob noch wörtlich erfüllen würde. Die Sprache Bildads ist dichterisch und bilderreich wie alle die übrigen Reden; aber er entwickelt nichts Neues . Seine Worte helfen nicht zum besseren Verständnis der Fragen, die den armen Hiob quälen. Darum beginnt dieser auch seine dritte Rede mit den Worten: „Wahrlich, weiß, dass es also ist; und wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott? (Kap. 9,2) Und die dann folgenden Worte über Gott sind Worte der Einsicht, wie sie sich für das Geschöpf dem Schöpfer gegenüber geziemen. Die Frage Hiobs zeigt, dass alle Aufstellungen Bildads wert- und trostlos für ihn waren. Es ist die Kardinalfrage des Menschendaseins seit dem Sündenfall. Von ihrer Beantwortung hängt der Friede des Menschenherzens ab. Hier liegt das Geheimnis eines zur Ruhe gebrachten Gewissens. Die Gläubigen des Alten Testaments, so viele ihrer von Adam an waren, haben dieses Problem zu lösen gesucht. Vor wie nach der Sündflut, vor wie unter dem Gesetz beschäftigte diese Frage jedes aufrichtige Gemüt.
Was bedeutet nun der Ausdruck: vor Gott gerecht sein?“ Zunächst müssen wir uns daran erinnern, dass es im Wörterbuche Gottes gleichsam nur unbedingte Wörter gibt. Eine Steigerung oder Verringerung der Eigenschaftswörter ist« hier nicht zulässig. Was gut ist in Seinen Augen, bedarf seiner Verbesserung, und gerecht sein vor Ihm bedeutet: zu denken, zu reden und zu tun was recht ist, zu sein was sich zu sein. gebührt in den Augen des dreimal heiligen Gottes. Bei Ihn: allein ist der Maßstab. Denke nur ein wenig darüber nach, lieber Leser, so wirst du einsehen, dass es so sein muss. Und wer irgend dies verstanden· hat, dem braucht kaum mehr gesagt zu werden, dass „da kein Gerechter ist, auch nicht einer“. Wer sich nicht selbst betrügt, muss zugeben, dass die Gedanken seines Herzens oftmals verderbt und unrein sind, dass seine Worte häufig verkehrt und leichtfertig, und seine Handlungen wieder und wieder unrecht und böse waren; kurz, dass er seinem innersten Wesen nach (und um dieses handelt. es sich) nichts weniger als vor Gott gerecht ist.
Nun wird jemand sagen: Wenn das der Zustand des Menschen ist, so folgt noch nicht notwendigerweise daraus, dass es so mit ihm bleiben muss. „Was nicht ist, kann werden.“ Haben nicht die Weltweisen.und Religionslehrer von alters her auf die Erziehung zum Guten hin gearbeitet? Ist denn kein Fortschritt in der Bildung des menschlichen Geistes sichtbar? Lehren nicht Denker und Dichter in allen Geschlechtern, dass jedermann die Kräfte des Guten übe? Ist Ungerechtigkeit nicht eine Abirrung des Geistes, wie die Krankheit als ein unregelmäßiger Zustand des Leibes anzusehen ist? Gibt es kein Heilmittel? Ist da keine Hoffnung auf Genesung? Hat der Mensch weder Kraft, noch Energie, noch Erfindungsgabe, um die Ungerechtigkeit, dieses größte aller Übel, zu bekämpfen, zu überwinden und aus der Welt zu schaffen?
Alle diese Fragen können nur mit einem entschiedenen „Nein“ beantwortet werden. Kann ein Mohr seine Haut wandeln, ein Pardel seine Flecken? — Wie könnte ein Reiner aus einem Unreinen kommen? Nicht ein Einziger!“ Kann der Sklave, dessen ganze Zeit mit hartem Dienst für seinen Herrn ausgefüllt ist, sich seinen Kaufpreis verdienen? Kann der Mensch der Knechtschaft der Sünde entrinnen? Wird Satan ihn gehen lassen? Kann der Mensch den Teufel überlisten? Oder ist er fähig, nachdem er sich ihm ausgeliefert hat, ihn zu bekriegen und. zu besiegen? Werden Gefangene das feindliche Heer in die Flucht jagen? Hat der Menschenmörder von Anfang seinen Opfern irgendwelche Waffen gelassen, mit denen sie sich die Freiheit erkämpfen könnten? Diese Fragen stellen heißt sie verneinen. Von seiten des gefallenen Menschen ist keine Rettung zu erhoffen. .Die Aufbietung all seiner Kräfte und die Entfaltung all seiner Gelehrsamkeit kann ihn nicht gerecht machen vor Gott. Von innen heraus gibt es kein Heilmittel. Von der Seite des Menschen ist nicht auf Besserung zu hoffen, weder für den Einzelnen noch für die Gesamtheit, die Menschheit im allgemeinen. Das Gerede von einem Fortschritt zum Guten, zur menschlichen Tugend hin, ist ein Wahn, ein Truggebilde, eine Lüge Satans, des Lügners von Anbeginn.
Was nun? Ist der Fall des Menschen denn ganz hoffnungslos? Gibt es niemand, der fähig und willig wäre, den Sklaven Satans loszukaufen? Kann im ganzen Weltall kein starker Held gefunden werden, der dem Räuber die Beute zu entreißen vermöchte? Ist nirgendwo ein Arzt, der die Todeswunde des Menschengeschlechts zu heilen imstande wäre? Gott sei gepriesen! Schon Hiob erhielt auf diese Fragen befriedigende Antworten, freilich nicht so klar und ins Einzelne gehend, wie wir sie im Neuen Testament entwickelt finden. Zuerst leitet ihn der Geist Gottes, den wunderbaren Ausspruch zu tun: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“, und später sagt ihm Elihu von einem „Gesandten, einem Ausleger, einem aus Tausend“, sodass Gott sich seiner erbarmen und (zu dem Gesandten) sprechen kann: „Erlöse ihn, dass er nicht in die Grube hinabfahre; ich habe eine Sühnung gefunden“ (Kap. 19, 25; 33, 24.) Wir wissen nicht, inwieweit die Gläubigen des Alten Bundes diese Worte verstanden haben, denn
die Schrift sagt, dass sie vielfach nicht für sich selbst, sondern für uns die Dinge bedienten, die uns jetzt verkündigt worden sind. (Vergl. Hiob 33,23 mit 1. Petr. 1, 12). Ohne Zweifel aber hörte Hiob im Geiste die Worte: „Ich habe eine Sühnung gefunden“, als er sich in Scham und Reue gleichsam seinem Richter zu Füßen warf. Und das ist der einzige Weg, um vor Gott gerecht zu werden.
Das elfte Kapitel des Hebräerbriefes zeigt deutlich, dass alle Heiligen des Alten Testaments nur durch Glauben gerecht werden und Gott gefallen konnten. Was aber war der Gegenstand ihres Glaubens? (Denn der Glaube muss einen Gegenstand haben, eine Person, auf die er vertrauen, einen Stab, auf den er sich stützen, ein Ziel, nach welchem er ausschauen kann.) War es nicht der „Same des Weibes,“ welcher der Schlange den Kopf zertreten, den Tod zunichte machen und Leben und Unverweslichkeit ans Licht bringen sollte? ,"Ja, der Gegenstand des Glaubens Hiobs war kein anderer, als wir ihn haben, wenn gIeich ihm noch nichts mit so vielen Worten gesagt werden konnte, dass Gott jetzt gerecht ist, wenn Er den rechtfertigt, der des Glaubens an Jesum ist (Römer 3, 26).
Nun ist es selbstverständlich, dass der durch Glauben gerechtfertigte Mensch hinfort auch in Gerechtigkeit wandeln soll, wenn er anders sein vorheriges Suchen nach Gerechtigkeit nicht als heuchIerisch erweisen. will. Das· ist jedoch ein anderer Teil der Wahrheit, der in Röm. 6, 1 ff. und anderswo im Neuen Testament erläutert wird. Aber ehe wir die dritte und letzte Frage Hiobs behandeln, möchte ich den Leser, der auf die Frage: „Wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott?“ noch keine befriedigende Antwort gefunden hat, bitten, dieselbe ohne- Verzug unter Gebet im Worte Gottes zu suchen.
Wenn ein —Mann stirbt, wird er wieder leben?
Hiob stellt seine dritte große Frage in seiner vierten Rede, worin er die harten Worte Zophars beantwortet. Dieser hatte Hiob einen Schwätzer genannt und ihn aufgefordert, das Böse von sich wegzutun. Darin gleicht seine Haltung der Haltung der übrigen Freunde. Er weist darauf hin, dass die Hoffnung des Gesetzlosen (für einen solchen hielt er auch Hiob) im Aushauchen der Seele liegt. (Kap. 11, 20.) Mit anderen Worten: Der Wahlspruch des Gesetzlosen ist: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir“ (Jes. 22, 13). Es ist wirklich erstaunlich, zu sehen, wie groß der Mangel an Unterscheidungsgabe war, welchen die Freunde Hiobs an den Tag legten. Aber sind wir heute wohl einsichtsvoller als sie? Urteilen nicht auch wir oft vieles vor der Zeit? Richten nicht die Kinder Gottes gar oft nach dem Schein, trotz dem ernsten Schriftwort: „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet“?
Kein Wunder, dass Hiob mit beißendem Spott antwortet: „Fürwahr, ihr seid die Leute, und mit euch wird die Weisheit aussterben“ (Kap. 12, 2). Was nützte es, Gemeinplätze in poetischer Sprache vorzutragen? Solche Reden brachten dem, Leidenden weder Trost noch Licht. „Wer wüsste nicht dergleichen?“ fragt Hiob, und dann zeigt er, dass er diese Fragen schon längst reiflich überdacht hat und sie nicht nur einseitig wie Zophar, sondern in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit entwickeln kann. „Auch ich habe Verstand wie ihr; ich stehe nicht hinter euch zurück“, sagt er. Ja, Hiob erkannte die ·ungelösten Fragen des Menschendaseins viel klarer als diese glattzüngigen Redner, und nicht mit Unrecht sagt er ihnen unverblümt: „Ihr hingegen seid Lügenschmiede, nichtige Ärzte ihr alle“. Und dann wendet er sich wieder zu dem Allmächtigen und sucht sich vor Ihm zu rechtfertigen. Er ist von seiner Schuldlosigkeit überzeugt und wünscht auch Gott davon zu überzeugen. Er wünscht sich Ruhe und wundert sich, ob er dieselbe im Tode wohl finden wird. Der Mensch verwelkt wie eine Blume, er stirbt ab wie ein Baum. Aber die Wurzeln des abgestorbenen Stumpfes treiben wieder neue Schösslinge hervor; der Baum stirbt und lebt wieder auf. Was aber geschieht mit dem Menschen, der offenbar in diesem Erdenleben nur selten empfängt was er verdient? Denn gar oft ist der Gerechte, Vollkommene zum Gespött (Kap. 12, 4), während die Zelte der Verwüster in Ruhe sind. .Die Häuser der Gesetzlosen „haben Frieden, ohne Furcht, und Gottes Rute ist nicht über ihnen“ (Kap. 12, 6;·21, 9). Wenn der Tod für beide das Ende wäre, so wäre des Gesetzlosen Wahlspruch: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir“, schließlich am vernünftigsten.
Aber was würde dann aus der Gerechtigkeit Gottes? Würde dann die Menschheit nicht in trost- und hoffnungslose Selbstsucht versinken, jedermanns Hand erhoben zum Schaden von jedermann? Nein,
im Grunde seines Herzens fühlt der Mensch, dass das Erdenleben weder das einzige noch das endgültige Dasein ist. Manche mögen ein Leben nach dem Tode leugnen, andere mögen in Gleichgültigkeit betreffs dieser Frage ihre Tage verbringen; aber die große Masse der Menschen hat zu allen Zeiten durch ihre religiösen Gebräuche (so verkehrt und verderbt diese auch meist sein mögen) bewiesen, dass sie im Grunde nicht annehmen, dass mit dem Tode alles aus ist. Von den Mumien und Pyramiden der alten Ägypter bis zu dem Ahnenkultus der Chinesen (der allerdings auch schon mehrere tausend Jahre alt ist) zeigt der Mensch, dass er an eine Auferstehung oder doch an ein Fortbestehen nach dem Tode glaubt. Allerdings ist dieser Glaube in den meisten Fällen unbewusst oder doch nur unterbewusst. Er ist nebelhaft und unbestimmt, und sehr selten in klare Formeln festgelegt. Die Legenden und Fabeln der Nationen bieten keine feste Grundlage für den Glauben der Heiden. Was die Auferstehung des Leibes betrifft, so ist sogar im Alten Testament wohl Hiob der Einzige, der ins Kap. 14, 12. 14 diese Frage deutlich stellt und in Kap.19, 25 - 27, durch den Geist geleitet, beantwortet. Die wunderbaren Worte: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er auf der Erde stehen; und ist nach meiner Haut dieses da zerstört, so werde. ich aus meinem Fleische Gott anschauen, welchen ich selbst mir anschauen und den meine Augen sehen werden, und kein anderer: meine Nieren verschmachten in meinem Innern“, mögen in Hiobs Wiederherstellung ihre teilweise Erfüllung gefunden haben, aber ohne Zweifel finden sie ihre endgültige Erfüllung erst in Ihm, der die Auferstehung und das Leben ist. Und wie kostbar ist es für den Glauben, zu entdecken, dass schon Hiob in dieser Weissagung andeuten durfte, wie eng die Auferstehung mit dem Leben des Erlösers zusammenhängt. „Weil ich lebe, werdet auch ihr leben“, sagte der Herr, ehe Er von Seinen Jüngern schied. Und der Apostel Paulus beweist in 1. Kor. 15, dass, weil Christus auferstanden ist, die in Ihm Entschlafenen auch durch Ihn auferweckt werden. Das Leben des Erlösers ist immer in der Gegenwart, Er lebt auf immerdar. Als Letzter wird Er auf der Erde stehen. Er ist der letzte Adam, ein lebendigmachender Geist. Von allem, was der Vater Ihm gegeben hat, wird Er nichts verlieren, sondern es auferwecken am letzten Tage. Hiob hatte die Zusicherung, dass er in seiner eigenen Person (nicht nur im Geiste, wie manche widerspenstige Träumer wähnen) Gott schauen würde; und unser Erlöser sagt in Seinem sogenannten hohenpriesterlichen Gebet: „Vater, ich will, dass die, welche du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, auf dass sie meine Herrlichkeit schauen“.
Welch selige Hoffnung! Welch wunderbarer Ausblick! Kein Wunder, dass Hiob im Bewusstsein seiner gegenwärtigen Leiden hinzufügt: „Meine Nieren verschmachten in meinem Innern“. Der Gegensatz zwischen solch herrlicher Hoffnung für die« Zukunft und den Qualen, die er in der Gegenwart zu erdulden hatte, war so groß, dass er fast verschmachtete vor Sehnsucht nach diesem unaussprechlichen Glück. Aber nach seiner Wiederherstellung und Genesung hat er sich gewiss oft an dieser Hoffnung gestärkt. Wohl manche Stunde hat er darüber nachgedacht und nachgeforscht, was doch die volle Bedeutung der wunderbaren Worte, die ihm der Geist Christi eingegeben hatte, sein möge. Aber er musste sich mit der Zusicherung begnügen, dass Gott alles in Weisheit und Gerechtigkeit regiere und alles noch herrlich hinausführen werde. Erst als die Zeit erfüllt war, konnte Gottes Ratschluss auch in Bezug" aus die Auferstehung voll und ganz geoffenbart werden. Jetzt gibt es keine Entschuldigung mehr für die Toren, die betreffs der Auferstehung dumme Fragen stellen: Es gibt eine Art Unwissenheit, die verbrecherisch ist. Sie entspringt der vorgefassten Abneigung gegen das Lernen von Dingen, welche die falsche Sicherheit des Menschen stören könnten. Wer an eine Auferstehung der Toten glaubt, muss sein Leben nach dem Lichte der Ewigkeit einrichten. Wer den letzten Adam erwartet, wird sich auf Seinen Empfang vorbereiten. Aber wer eine Abrechnung nach dem Tode zu fürchten hat, macht es allzu oft wie der Vogel Strauß, wenn er verfolgt wird und kein Entrinnen mehr sieht: er steckt, wie man erzählt, den Kopf in den Sand und leugnet das Dasein des Jägers. Eine unangenehme Wahrheit ist für «jene Menschen einfach nicht vorhanden. Das Gericht über diese Klasse von Toren wird schrecklich, aber wohlverdient sein.
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Der suchende Gott
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 41ff
„Die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen.“ So schrieb der Apostel Paulus an sein Kind Titus, nicht lange vor seinem Abschied aus dieser Welt. Nicht einem einzelnen, besonderen Volke, nein, allen Menschen ist Gott in Seiner Güte und Menschenliebe begegnet, allen ohne Ausnahme kommt Er, ihren Bedürfnissen entsprechend, mit Seiner Gnade zuvor. Nicht sie haben Ihn gesucht und geliebt, nein, Er ist der Suchende, „Er hat uns geliebt und Seinen Sohn gesandt als eine Sühnung für unsere Sünden“ (1. Joh. 4, 10).
Im Evangelium Johannes tritt uns diese suchende Liebe Gottes einer armen, verlorenen Welt gegenüber in besonders ergreifender Weise entgegen. Zwei Personen, die keiner der anderen Evangelisten erwähnt, mögen als erläuternde Beispiele dienen: das Weib am Jakobsbrunnen und der Blindgeborene. Beide, von Haus aus gleich arm und bedauernswert und gleich fern von Gott, werden von der Gnade erreicht und wunderbar gesegnet. Gott sucht, wie gesagt, Gegenstände an denen Er sich verherrlichen kann. Er sucht sie nicht unter den Fürsten und Großen dieser Welt, sondern unter den Elendesten und Schwächsten. Damals wie heute. Das Weib und der Blindgeborene, der Schreiber und der gläubige Leser· dieser Zeilen, alle haben die gleiche Gnade erfahren, und wer noch nicht in Gottes Liebe ruht, darf heute kommen und ihre Reichtümer kennen und genießen lernen.
Es ist etwas überaus Großes, dass solch nichtige Menschen, wie wir sind, einen gemeinsamen Gegenstand der« Freude haben sollen· mit dem ewigen, allmächtigen Gott. Dieser Gegenstand ist Jesus. Ich brauche nicht zu sagen, dass das Maß der Freude unendlich verschieden ist — so vollkommen die eine ist, so unvollkommen ist die andere — aber, o Wunder der Gnade! wir haben in dieser Freude Gemeinschaft mit Gott. Seine Freude ist unsere Freude. So lag es im Ratschluss Gottes verborgen vor Grundlegung der Welt, und um diesen Ratschluss zur Ausführung zu bringen, betrat Jesus diese Erde, der Sohn Gottes wurde Mensch. Heute schon genießen wir die wunderbaren Ergebnisse dieses Kommens, und bald werden wir sie in Vollkommenheit und ewiger Herrlichkeit genießen. Ach, wenn wir uns durch den Heiligen Geist nur mehr einführen lassen wollten in die Höhen und Tiefen dieses Geheimnisses! Wahrlich, es ist keine verlorene Zeit, die wir mit der Erforschung des Wortes zubringen, in welchem der Vater und der Sohn sich uns geoffenbart haben. Solche Stunden werden wir niemals als verloren zu beklagen haben, in Zeit und Ewigkeit nicht. Aber wie manche andere! O dass wir verständiger wären!
Es ist aufallend, dass der Herr Jesus den beiden genannten Personen sich mit denselben Worten als Den zu erkennen gibt, der Er war: „Ich bin’s, der mit dir redet“, sagt Er zu dem Weibe, und: „Der mit dir
redet, der ist es“, zu dem Blindgeborenen. Unmittelbar, persönlich, von Mund zu Mund sprach Er mit den beiden glücklichen Menschen, und unmittelbar, persönlich muss auch heute die Verbindung der Seele mit Gott sein. Ohne diese lebendige und lebengebende Verbindung bleibt die Seele im Tode, und nur in der praktischen Pflege dieser Verbindung kann die Seele wachsen und zunehmen. Daher der oft so große Unterschied zwischen Gotteskindern: bei den einen ein fröhliches Gedeihen, ein liebendes Wandeln mit den Gläubigen und ein freudiges Warten auf die Wiederkunft des Herrn; bei den anderen ein allmähliches Verkümmern und Rückwärtsgehen, ein stetes Abnehmen der geistlichen Kraft und Freude. Der Pflege oder Vernachlässigung der Verbindung mit der einzigen Quelle der Kraft entsprechen die Früchte.
Doch beschäftigen wir uns noch ein wenig mit den beiden Gegenständen der suchenden Liebe Gottes. Nach einigem Hin- und Herreden mit dem Weibe am Jakobsbrunnen sagt der Herr zu ihr: „Gehe hin, rufe deinen Mann und komm hierher!“ Das Weib antwortet: „Ich habe keinen Mann“. Warum mochte der Herr so reden? Er hatte doch bis dahin ganz anders zu ihr gesprochen. Aus dem einfachen Grunde, weil das Weib Ihn nicht verstand; ihr Herz blieb Ihm trotz all Seines liebenden Redens verschlossen. Nur ein Schlüssel konnte hier noch helfen: das Gewissen musste aufgeweckt werden. Fünf Männer hatte das Weib gehabt, und der, den sie jetzt hatte, war nicht ihr Mann. Auf diese Eröffnung hin antwortet-sie: „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist“. Merkwürdig! Mit einemmale sieht sie ihr sündhaftes, schändliches Leben im Lichte Gottes aufgedeckt. Wie völlig sie überführt war, zeigen ihre späteren Worte: „Kommet, sehet einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe“ — alles, und doch hatte der Herr Seinen Finger nur auf die eine Wunde gelegt. Aber das stand sogleich bei ihr fest: Der diese eine Sache kannte, wusste auch alles Übrige. Verurteilt und bloßgestellt, nennt sie Ihn einen Propheten.
Ähnlich ist es auch uns ergangen, als wir ins Licht kamen. Wir erkannten dass wir „nackt“ waren, unreine Sünder mit einem schuldbeladenen Gewissen. Und doch trieb uns diese Erkenntnis nicht von Gott weg. Im Gegenteil, wir wurden, wie das Weib, nur umso mächtiger zu Ihm hingezogen. Wir sahen, uns in einem Lichte, das alles offenbar machte, aber nicht um zu verurteilen, sondern um zu vergeben; wir standen einem heiligen Gott gegenüber, der den zitternden Sünder nicht zerschmettert, sondern ihm in überströmender Gnade begegnet.
Das Weib, so gottlos es gelebt hatte, besaß doch gewisse religiöse Gefühle und Bedürfnisse, und ihre Fragen gaben dem Herrn Gelegenheit, ihr die Gnadenwege Gottes näher auszulegen. Die Stunde kam und war bereits da, da die wahrhaftigen Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten sollten, denn der Vater suchte solche als Seine Anbeter (Joh. 4, 23). Das wäre wohl das Letzte gewesen, was wir dem Weibe gesagt hätten. Nicht .so die Liebe Gottes. Sie öffnet der einsamen, unglücklichen Frau gegenüber ihre Schleusen in breitester Fülle. Wie ganz anders lauten die Worte, die der Herr im Kapitel vorher an Nikodemus, den Lehrer aus Israel, richtet! Diesen ehrbaren, religiösen Mann stellt Er vor ein ernstes, strenges „Muss“. Du musst von neuem geboren werden, anders kannst du das Reich Gottes nicht einmal sehen. Zu dem Weibe am Jakobsbrunnen, redet Er von der Anbetung, die Gott sucht, einer Anbetung aus dankbaren Kinderherzen, die, geleitet durch den Geist der Sohnschaft, rufen: „Abba, Vater!“—— ja von einer Anbetung, die Ihn selbst, den Vater, zum Gegenstand hat. Dass eine solche Mitteilung gerade der armen Samariterin gemacht wurde, von der ein Jude nicht einmal einen Trunk Wasser genommen hätte, um seinen Durst zu löschen — das erschließt uns die Liebe und Güte Gottes in einem Lichte, dessen Glanz geradezu überwältigend ist.
Ja, der große Gott sucht solche als Seine Anbeter, die Ihn als Vater kennen und als „wahrhaftige Anbeter“ mit „wahrhaftigem Herzen“ in der „wahrhaftigen Hütte“, d.i. im Heiligtum droben, Ihn anbeten (Vergl. Hebr. 8, 2; 10. 22). Im Alten Bunde war der Weg ins Heiligtum nicht geoffenbart. Gott wohnte „im Dunkel“, hinter dem Vorhang. Niemand durfte in Seine unmittelbare Nähe treten, um mit Ihm zu reden. Heute aber nahen einst unreine, feindselige Sünder als gereinigte und geheiligte Menschen, „die Herzen besprengt und also gereinigt vom bösen Gewissen“, in voller Glaubensgewissheit dem Vater und „beten an in Frieden“.
Welch ein wunderbarer Wechsel! Welch eine Offenbarung der Güte und Menschenliebe des suchenden Gottes! Kennst du aus wahrer, täglicher Herzenserfahrung diesen Zugang zu Gott, teurer Leser? Nahst du so als Kind, geleitet durch den Geist der Sohnschaft, im Kämmerlein dem Vater, um Ihm für Seine wunderbare- Liebe und „unaussprechliche“ Gabe zu danken - ohne Scheu, in kindlicher Dankbarkeit und Freude? Und vor allem, kennst du etwas von der eigentlichen, gemeinsamen Anbetung der Kinder Gottes, wenn sie, mit Jesu, dem Erstgeborenen in ihrer Mitte, dem Vater nahen, um Ihm die Opfer des Lobes darzubringen, die Ihm so wohlannehmlich sind durch Jesum Christum? wenn Jesus selbst, nach Seiner Verheißung, in der Mitte der Zwei oder Drei ,weilt, die zu Seinem Namen hin, an Seinem Tische, versammelt sind, und wenn nun ihre Anbetung, ihre Lobgesänge in der Kraft und unter der Leitung des Heiligen Geistes emporsteigen zu Gottes Thron? Kennst du dieses größte aller Vorrechte der Gemeinde Gottes hienieden? Und wenn du es kennst, ist es die Freude deines Herzens, dein höchster Genuss, am Tage des Herrn die Gemeinschaft der Heiligen aufzusuchen und mit ihnen dem Wunsche des Vaterherzens zu entsprechen?
Dass man in der bekennenden Christenheit nichts mehr von diesen Dingen versteht; ist begreiflich. Da
streitet man, wie ehedem, über die richtige Stätte der Anbetung, über Jerusalem und Gerisim, und meint immer noch, Gott wohne in Tempeln, die mit Händen gemacht sind, und werde von Menschenhänden bedient (Apstgsch. 17, 24. 25). Aber dass selbst unter wahren Gläubigen das geistliche Verständnis in dieser Beziehung so gering ist, darüber möchte man erschrecken. Wie einfach und klar sind die Belehrungen des Herrn und Seiner Apostel, und wie einfach und klar wird der
Weg, wenn man diesen Belehrungen und nicht Menschenmeinungen und Satzungen folgt! Freilich wird ja die höchste Anbetung, das tiefste und innigste Eingehen dankbarer Herzen auf den Wunsch des suchenden Gottes hienieden immer nur ein schwaches Stammeln bleiben; aber dieses Stammeln, das durch den großen Priester über das Haus Gottes zu Ihm hinaufsteigt, erquickt Sein Vaterherz und entspricht Seinen Gedanken. Seine Kinder um Den geschart zu sehen, den Er gesandt hat, um ihnen Seinen Vaternamen zu offenbaren, aller Augen auf Ihn allein gerichtet, aller Herzen von Ihm allein erfüllt, der Seine Wonne und Freude ist, das sucht, danach verlangt Er. O dass wir mehr von diesen Dingen verstehen und sie mehr im Glauben verwirklichen möchten! Es war die Speise des Herzens Jesu, das arme Weib mit ihnen bekannt zu machen; es erfreute und erquickte Ihn so, dass Er Hunger und Durst darüber vergaß. Und die Samariterin? Ganz ergriffen von dem Gehörten, spricht sie zu Ihm: „Ich weiß, dass der Messias kommt, welcher Christus genannt wird wenn jener kommt, wird Er uns alles verkündigen“. Und nun gibt der Herr sich ihr mit den Worten zu erkennen: „Ich bin’s, der mit dir redet“ (V. 25..26).
Da läuft der Becher über! Das Herz kann die wunderbaren Mitteilungen nicht mehr für sich allein bewahren. Ihren Wasserkrug stehen lassend und völlig vergessend, weshalb sie gekommen ist, läuft die glückliche Frau in die Stadt mit der Botschaft: „Kommet, sehet einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was irgend ich getan habe; dieser ist doch nicht etwa der Christus?“ Obwohl überführt und ins Licht gebracht, fühlt sie sich mit Macht zu diesem wunderbaren Fremdling hingezogen. Fast kann sie es noch nicht glauben, dass Er wirklich der Christus, der so lang erwartete Messias, ist; aber hatte Er sich ihr nicht als der gerechte und rettende Gott geoffenbart, als der Gott Israels der Heiland“? (Jesaja 45, 15 und 21). Hatte sie Ihn nicht kennen gelernt als Den, der barmherzig und gnädig ist, der wohl Ungerechtigkeit, Übertretung und Sünde aufdeckt, der es heute aber nur tut, um zu vergeben und zuzudecken? Ihr Zeugnis ruft viele· der Samariter herbei. Sie hören, glauben und bekennen: „Wir glauben nicht mehr um deines Redens willen, denn wir selbst haben gehört und wissen, dass dieser wahrhaftig der Heiland der Wert ist“
Der Blindgeborene war ein anderer Mensch als die Samariterin. Kein trauriger Lebenswandel in Sünde und Schande lag hinter ihm. Und doch war er genau so weit entfernt von Gott und musste genau so gesucht werden wie sie. Blind von Geburt, arm und, unwissend, so findet ihn der gute Hirte, der in Seiner suchenden Liebe im Lande umherzog und von dem Vater zuerst zu dem Weibe und später zu dem Blinden geführt wurde. So sucht Gott auch heute noch, bald hier bald dort, verlorene Menschenkinder, und ergreifend sind oft Seine Gnadenwege» mit den Einzelnen; Wie wird die Ewigkeit erst diese Wege enthüllen zu Seinem Preise!"
Nicht weil dieser arme Mann gesündigt hatte oder weil seine Eltern durch ihr Verhalten ein solches Gericht über ihn gebracht, war er blind geboren, nein, „die Werke Gottes sollten an ihm geoffenbart werden“ (Joh. 9, 3). Jesus war ja gekommen, um diese Werke zu tun, und Er musste wirken, so lang der Gnadentag Gottes währte. Die Nacht wird kommen, wo niemand wirken kann, wo Gericht und nicht mehr Gnade Gottes Wege mit dem Menschen kennzeichnen wird. Immer noch währt dieser wohlangenehme Tag, das Heute der Gnade, und wenn auch die kommenden Gerichte ihre dunklen Schatten schon auf unseren Weg vorauswerfen mögen, heute- noch ist Gnadenzeit, und Gott erweist Seine Gnade an den Hunderten und Tausenden, die Er aus dem Verderben herausreißt und vor dem. kommenden Zorn in Sicherheit bringt.
Auffallend ist aber das Verhalten Jesu in dem vorliegenden Falle. Nachdem Er von dem Tage gesprochen hat und von den Werken Gottes, die durch Ihn, „das Licht der Welt“, gewirkt werden sollten, spützt Er auf die Erde, bereitet aus dem Speichel und dem Staube der Straße einen Kot, streicht ihn wie Salbe auf die Augen des Blindgeborenen und schickt diesen dann zum Teiche Siloam (d. i. Gesandt) mit dem Befehl: „Gehe hin und wasche dich“. Warum diese langen Vorbereitungen? Hätte der Herr den Blinden nicht mit einem Worte Seines Mundes heilen können, wie Er es doch zu anderen Zeiten tat? Gewiss; aber die Werke Gottes sollten in einer ganz besonderen Weise an ihm geoffenbart werden, es sollte kundwerden, wer es war, der ihn heilte. Das Tun des Herrn ist nicht zufällig, bedeutungslos, es hat einen tiefen, bildlichen Sinn. Gott selbst, geoffenbart im Fleische, war in Ihm auf dieser Erde erschienen, der Sohn Gottes war Mensch geworden, jedoch mit der göttlichen Wirksamkeit des Lebens in Ihm. Diese Tatsache kann an und für sich zwar den Menschen nicht retten, das Streichen des aus Speichel und Staub bereiteten Kotes auf die Augen scheint die Schwierigkeit eher noch zu vergrößern, aber das Gehen zum Teiche Siloam, mit anderen Worten die Wirksamkeit des Heiligen Geistes durch das Wort (Wasser), macht den Menschen sehend, nimmt ihm seine natürliche Blindheit. Dass die Übersetzung des-" Wortes Siloam hinzugefügt wird, scheint wohl darauf hinzudeuten, dass Christus, obwohl Sohn von Ewigkeit her, doch als Mensch von Gott gesandt war, der gehorsame Knecht, gekommen, um die Werke Gottes zu vollbringen. Gott und .Mensch in einer Person erschienen, Gottheit und Menschheit, in einem Menschen dargestellt, der Sohn Gottes, vom Weibe geboren — das ist das wunderbare Geheimnis, dem wir in dem Evangelium Johannes immer wieder begegnen, und das die Blinden sehend macht; denen aber, die da zu sehen meinen, völlige Blindheit bringt. „Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen“, sagt Jesus, „auf dass die Nichtsehenden sehen und die Sehenden blind werden“ (V. 39).
Der Blinde, dem Gebote des Herrn folgend, geht zu dem Teiche Siloam, wäscht sich und kommt sehend zurück. Wie schön und nachahmungswert ist der Glaube dieses armen Mannes! Er überlegt nicht: Warum soll ich blinder Mann noch zum Teiche Siloam gehen? Warum heilt dieser Jesus mich nicht unmittelbar? Wenn Er etwas kann, warum dann alle. Diese seltsamen Vorkehrungen? Der einfältige Glaube fragt nie „warum?“ Er nimmt Gott bei Seinem Wort und gehorcht. Er fragt nicht, grübelt nicht, zweifelt nicht; er hört, glaubst und erfährt die rettende Macht der göttlichen Gnade. Ach, wenn nur die vielen „Klugen“ und „Sehenden“ dem Beispiel des Blinden folgen wollten! Aber statt
dessen stolpern und fallen sie über den „Stein“, den Gott ihnen in den Weg gelegt hat, und anstatt sehend zu werden, verfallen sie der völligen Verblendung. Zu ihrem Gericht ist der Herr in die Welt gekommen. Infolge ihres Hochmuts und Ungehorsams sind sie „dazu gesetzt“, sich an dem Worte zu stoßen. (1. Petr. 2, 8.) Wie ernst ist das! Der von Gott bereitete Weg des Entrinnens dient diesen Menschen nur zum Unheil und zur Vermehrung ihrer Verantwortlichkeit. Sie wollen nicht, dass „Dieser“ über sie herrsche, sie verachten Ihn. Und doch ist Er herniedergesandt worden, um Blinde sehend zu machen, Gebundene aus dem Kerker zu führen und Zerschlagene in Freiheit hinzusenden. Aber es bedarf Gnade von oben-, um sich als blind, gebunden und zerschlagen zu erkennen. Glücklich ein jeder, der sich diese Gnade schenken lässt! Er lernt das Wort des Herrn verstehen: „Wenn du die Gabe Gottes känntest, und wer es ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken, so würdest du Ihn gebeten haben, und Er hätte dir lebendiges Wasser g e g e b e n“.
Die Samariterin und der Blindgeborene waren solch glückliche Menschen. Sie tranken mit dankbarem Herzen aus dem Quell des Lebens, der sich. Ihnen auftat; der Durst ihrer Seele wurde gestillt, und sie wurden zu Segensquellen für ihre Umgebung. So ist es heute noch überall da, wo wahrer, einfältiger Glaube sich offenbart. Freilich zeigt sich dann auch bald die Feindschaft des natürlichen Herzens gegen Gott und Seinen Gesalbten, und zwar am meisten da, wo Religiosität und äußere Frömmigkeit zu Hause sind.
Das freimütige Bekenntnis des Geheilten macht ihn für die Männer der „Synagoge“ unerträglich; sie werfen ihn voll Wut und Zorn hinaus — dahin, wo Jesus ist. Der Retter und der Gerettete gehören naturgemäß zusammen. Der Verworfene und die sich zu Ihm bekennen haben ein Teil. So muss es stets sein, nur mit dem Unterschiede", dass wir heute nicht warten sollten, bis man uns aus der Synagoge hinauswirft; nein, wir sind aufgefordert, „zu Ihm hinauszugehen außerhalb des Lagers, Seine Schmach tragend“ (Hebr. 13, 13). Jesus steht draußen, außerhalb aller religiösen Lager der Welt, und unser Platz ist bei Ihm. Damals war Er in dem Schafhof Israels getreten, um Seine eigenen Schafe mit Namen zu rufen, sie herauszuführen und dann vor ihnen herzugehen (vergl. Kap. 10, - 6); man hatte Ihn, den Hirten, hinausgeworfen, und so warf man jetzt den Blindgeborenen, Sein Schäflein, Ihm nach. Recht so! Aber wie furchtbar muss das Gericht sein, das einst die „Verächter“ treffen wird! Schwer lastet es schon heute auf ihnen.
Jesus hörte, dass sie ihn hinausgeworfen hatten; und als Er ihn fand, sprach Er zu ihm: Glaubst du an den Sohn Gottes? Er antwortete und sprach: Und .wer ist es, Herr, auf dass ich an Ihn glaube?“ (V. 35. 36). Jmmer weiter, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, von Erkenntnis zu Erkenntnis wird der Mann geführt. Zunächst redet er von Jesu als einem Menschen, genannt Jesus, dann erkennt er, wie das Weib am Jakobsbrunnen, in Ihm einen Propheten, schließlich sagt er: „Wenn dieser nicht von Gott wäre, so könnte Er nichts tun“, und nun wird er von dem Herrn selbst mit dem Sohne Gottes bekannt gemacht: „Jesus sprach zu ihm: Du hast Ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist es“ (V. 37). Beneidenswerter Mann! Viele Propheten und Gerechte hatten begehrt, zu sehen was er sah, und hatten es« nicht gesehen, und zu hören. was er hörte, und hatten es nicht gehört (Vergl. Matth. 13, 16. 17). Der Sohn Gottes selbst stand vor ihm und hatte« ihn gesucht und gefunden! Und nun? Ohne einen Augenblick zu zweifeln oder zu überlegen, antwortete der Geheilte: „Ich glaube, Herr! - Und er huldigte Ihm“. Aufs dem Angesicht vor Ihm liegend, betete er Ihn an. Er wusste, dass er einst blind gewesen und durch diesen Jesus sehend geworden war, und er wusste, dass dieser von Gott Gekommene ihn nicht belog. Sein Wort war für ihn göttliche Wahrheit, mochten die Pharisäer und Schriftgelehrten auch nicht wissen, woher Er war. „Wir wissen“, sagt er, „dass Gott Sünder nicht hört, sondern wenn jemand gottesfürchtig ist und Seinen Willen tut, den hört Er. Von Ewigkeit her ist es nicht erhört, dass jemand die Augen · eines Blindgeborenen aufgetan habe“ (V. 30 - 32).
Glückliche Augen, die auch heute den Herrn vom Himmel «im Glauben schauen, und glückliche, beneidenswerte Menschen, die, von der religiösen Welt verworfen, um Ihn sich scharen und an Seinem Herzen ruhen. Außerhalb des Lagers, entrückt den verblendenden und irreführenden Einflüssen «der» Menschen, dürfen sie an Seine Unterweisungen lauschen und immer besser Ihn kennen lernen, der so freundlich und verständlich zu ihnen redet.
Mein Leser! Gehörst du zu diesen glücklichen Menschen? Hast du die unbegreifliche Liebe des suchenden Gottes persönlich kennen gelernt? O dann mache es wie das Weib: Lass deinen Wasserkrug stehen und gehe hin, um andere einzuladen, die den „Heiland, der Welt“ noch nicht als ihren Heiland kennen; sage ihnen, was Er an dir und für dich getan ·hat, damit auch sie kommen und— „die Gabe Gottes“ kennen lernen. Und. mache es wie. der Blindgeborene: Bekenne vor den Menschen, wer deine» Augen aufgetan hat, und bete Ihn· an, den von der Welt Verworfenen, von Gott aber auserwählt Kostbaren, allein und mit den übrigen Erretteten, denen Sein Name und Seine Person alles ist. Bringe mit ihnen durch Jesum Christum Gott stets die Opfer des Lobes dar, d. i. die Frucht der Lippen, die Seinen Namen bekennen. Noch über ein gar Kleines, und wir werden Ihn Von Angesicht, sehen, den unsere Seele liebt, und keiner wird dann in der seligen Schar fehlen, die· Ihn anbetend und frohlockend droben umgibt.
Sel’ge Hoffnung! Du kommst wieder,
lässt die Glieder nicht zurück.
Bald verkünden neue Lieder
droben unser ew’ges Glück.
Dann ist jeder Wunsch erfüllt,
unser Sehnen ganz gestillt.
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Glaube und Schwierigkeiten
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 55ff
Dass es Schwierigkeiten auf dem Wege des Gläubigen gibt, ist fraglos; zu Zeiten können sie sogar groß und mannigfaltig werden. Aber wenn der Gläubige sich auf dem Pfade befindet, den Gott ihm vorschreibt, so kann. nur der Unglaube des Herzens aus den Schwierigkeiten Hindernisse machen. Denn der Glaube rechnet auf Gott und bringt einfach Seinen Willen zur Ausführung, indem er auf Gottes Treue rechnet und Seine bewahrende und rettende Macht erfährt. Vor Gott gibt es keine Schwierigkeiten. Der Unglaube dagegen sieht in der kleinsten Schwierigkeit ein Hindernis und ist nie. in Verlegenheit, Entschuldigungen ausfindig zu machen, ja, sogar Entschuldigungen, die scheinbar wohlbegründet sind; nur haben sie den einen Hauptfehler, das Gott in ihnen außer acht gelassen wird.
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Fragen aus dem Leserkreise
Ich bitte um eine Aufklärung über Epheser 6, 12 in Verbindung mit Daniel 10, 13. 20. 21.
Bibelstelle(n): Epheser 6, 12; Daniel 10, 13, 29, 21
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, S. 55
Der Brief an die Epheser redet von den höchsten geistlichen Segnungen des Christen. Der Gläubige wird in dem ganzen Briefe betrachtet als in dem himmlischen Kanaan befindlich. Er ist gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christo, lebendig gemacht mit Ihm, auferweckt und Ihm in den Himmel versetzt. Erlösung und Vergebung sind sein wohlbekanntes Teil, und der Apostel wünscht, dass er auch die ganze Fülle und Ausdehnung seiner Berufung und seines Erbes kennen möge, sowie die überschwängliche Kraft, die ihn in diese wunderbare Stellung gebracht hat. Satan nun, der Feind Gottes und Seines Volkes, befindet sich mit seinen Heerscharen noch in den himmlischen Örtern und macht uns, wie einst die Bewohner des irdischen Kanaan dem Volke Israel, den Besitz und Genuss des Landes streitig. Er kann uns nicht verwehren, in das Land einzutreten, wohl aber uns hindern, uns in den Segnungen desselben zu erhalten und sie zu verwirklichen. Wenn deshalb der Apostel sagt, dass unser Kampf nicht wider Fleisch und Blut sei, sondern wider die Fürstentümer und Gewalten in den himmlischen Örtern, so denkt er an Josua und Israel. Diese hatten mit Menschen, mit Fleisch und Blut, zu kämpfen, wir mit Geistern, mit Satan und seinen finsteren Mächten. Aber mit Christo gestorben und auferweckt (was uns in dem Durchzug durch den Jordan bildlich dargestellt wird), können wir ihnen in Seiner Kraft und in der Macht Seiner Stärke widerstehen und, angetan mit der ganzen Waffenrüstung Gottes, unseren Fuß auf den himmlischen Boden setzen. Mit anderen Worten: in der Kraft unseres Herrn, des wahren Josua, und gemäß der wunderbaren Erlösung, die unser Teile geworden ist, vermögen wir im Geiste in alles das einzutreten, was innerhalb des Vorhangs, im Heiligtum, uns geschenkt ist.
Als Israel in das Land Kanaan einzog, fand es statt Ruhe Kampf, nie endender Kampf bis zur Vernichtung aller seiner Feinde. So ist es mit uns. Um unsere himmlischen Vorrechte, die geistlichen Segnungen droben, genießen zu können, müssen wir sie uns erkämpfen. Steter Kampf, nicht Ruhe, ist das Teil des mit Christo auferstandenen und in Kanaan geistlicherweise eingetretenen Gläubigen. Wir ersehen zugleich daraus, dass der Kampf von Epheser sechs im eigentlichen Sinne nur von solchen Gläubigern gekämpft werden kann, die ihre Berufung in Christo kennen nun begehren, die himmlischen Dinge zu genießen, in welche Christus, ihr auferstandenes Haupt, schon eingegangen ist. Es ist nicht der Kampf in der Wüste, nicht der Kampf wider die Sünde, nicht der Kampf zwischen Fleisch und Geist, sondern der Kampf mit Satan für Gott, in völliger Abhängigkeit von Gott und in praktischer Absonderung von dem Bösen (Vergleiche im Vorbilde Achan und Ai)
Das ihn Daniel 10 Gesagte steht hiermit in keinerlei Verbindung. Dort handele sich um gute oder böse Engelfürsten, die (sei es im Auftrage Gottes oder in bösem Eigenwillen) als Vertreter und Beschützer von Völkern erscheinen. Michael ist der Fürst, der „für die Kinder des Volkes Daniels steht“ (Daniel 12, 1; vergleiche Judas neun), andere Fürsten (böse, denn sie widerstehen den Boten Gottes) wirken für Persien oder Griechenland. Die Worte zeigen uns, dass die Engelwelt mit den Vorgängen auf dieser Erde, mit den Wegen der Regierung Gottes hienieden, in einer wirksamen, wenn auch für uns geheimnisvollen Verbindung steht. Mehr darüber zu sagen, hieße über das hinauszugehen, was Gott und zu offenbaren für gut befunden hat.
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Fragen aus dem Leserkreise
Ich bitte um eine Aufklärung über Epheser 6, 12 in Verbindung mit Daniel 10, 13. 20. 21.
Bibelstelle(n): Epheser 6, 12; Daniel 10, 13, 29, 21
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, S. 55
Der Brief an die Epheser redet von den höchsten geistlichen Segnungen des Christen. Der Gläubige wird in dem ganzen Briefe betrachtet als in dem himmlischen Kanaan befindlich. Er ist gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christo, lebendig gemacht mit Ihm, auferweckt und Ihm in den Himmel versetzt. Erlösung und Vergebung sind sein wohlbekanntes Teil, und der Apostel wünscht, dass er auch die ganze Fülle und Ausdehnung seiner Berufung und seines Erbes kennen möge, sowie die überschwängliche Kraft, die ihn in diese wunderbare Stellung gebracht hat. Satan nun, der Feind Gottes und Seines Volkes, befindet sich mit seinen Heerscharen noch in den himmlischen Örtern und macht uns, wie einst die Bewohner des irdischen Kanaan dem Volke Israel, den Besitz und Genuss des Landes streitig. Er kann uns nicht verwehren, in das Land einzutreten, wohl aber uns hindern, uns in den Segnungen desselben zu erhalten und sie zu verwirklichen. Wenn deshalb der Apostel sagt, dass unser Kampf nicht wider Fleisch und Blut sei, sondern wider die Fürstentümer und Gewalten in den himmlischen Örtern, so denkt er an Josua und Israel. Diese hatten mit Menschen, mit Fleisch und Blut, zu kämpfen, wir mit Geistern, mit Satan und seinen finsteren Mächten. Aber mit Christo gestorben und auferweckt (was uns in dem Durchzug durch den Jordan bildlich dargestellt wird), können wir ihnen in Seiner Kraft und in der Macht Seiner Stärke widerstehen und, angetan mit der ganzen Waffenrüstung Gottes, unseren Fuß auf den himmlischen Boden setzen. Mit anderen Worten: in der Kraft unseres Herrn, des wahren Josua, und gemäß der wunderbaren Erlösung, die unser Teile geworden ist, vermögen wir im Geiste in alles das einzutreten, was innerhalb des Vorhangs, im Heiligtum, uns geschenkt ist.
Als Israel in das Land Kanaan einzog, fand es statt Ruhe Kampf, nie endender Kampf bis zur Vernichtung aller seiner Feinde. So ist es mit uns. Um unsere himmlischen Vorrechte, die geistlichen Segnungen droben, genießen zu können, müssen wir sie uns erkämpfen. Steter Kampf, nicht Ruhe, ist das Teil des mit Christo auferstandenen und in Kanaan geistlicherweise eingetretenen Gläubigen. Wir ersehen zugleich daraus, dass der Kampf von Epheser sechs im eigentlichen Sinne nur von solchen Gläubigern gekämpft werden kann, die ihre Berufung in Christo kennen nun begehren, die himmlischen Dinge zu genießen, in welche Christus, ihr auferstandenes Haupt, schon eingegangen ist. Es ist nicht der Kampf in der Wüste, nicht der Kampf wider die Sünde, nicht der Kampf zwischen Fleisch und Geist, sondern der Kampf mit Satan für Gott, in völliger Abhängigkeit von Gott und in praktischer Absonderung von dem Bösen (Vergleiche im Vorbilde Achan und Ai)
Das ihn Daniel 10 Gesagte steht hiermit in keinerlei Verbindung. Dort handele sich um gute oder böse Engelfürsten, die (sei es im Auftrage Gottes oder in bösem Eigenwillen) als Vertreter und Beschützer von Völkern erscheinen. Michael ist der Fürst, der „für die Kinder des Volkes Daniels steht“ (Daniel 12, 1; vergleiche Judas neun), andere Fürsten (böse, denn sie widerstehen den Boten Gottes) wirken für Persien oder Griechenland. Die Worte zeigen uns, dass die Engelwelt mit den Vorgängen auf dieser Erde, mit den Wegen der Regierung Gottes hienieden, in einer wirksamen, wenn auch für uns geheimnisvollen Verbindung steht. Mehr darüber zu sagen, hieße über das hinauszugehen, was Gott und zu offenbaren für gut befunden hat.
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Der erste und der zweite Mensch
Bibelstelle: 1. Korinther 15, 45 -58
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 57ff
Es ist Gottes Vorrecht, aus Bösem Gutes hervorkommen zu lassen, das eigenwillige, verkehrte Tun des Menschen zum Segen für ihn zu wenden. Gott hat das unzählige Male getan. Auch der erste Korintherbrief ist ein Beweis dafür. In der Versammlung zu Korinth hatten sich Missstände eingestellt und allerlei böse Dinge geoffenbart. Gott benutzt dieselben, um uns reiche Belehrungen zu geben über verschiedene Teile der Wahrheit, die durch diese Missstände berührt wurden. Wenn Streitigkeiten entstanden, wenn der eine sagte: Ich bin des Paulus, der andere: Ich des Petrus, und der dritte: Ich des Apollos, so benutzte Gott solche Reden, um die Korinther daran zu erinnern, wer und was Christus ist als der kostbare Grund- und Eckstein Seines Hauses, des Tempels Gottes. Zeigten sich Unordnungen bei der Feier des Abendmahls, so ließ Gott sie dazu dienen, um Mitteilungen über das Abendmahl zu geben, wie wir sie sonst nirgendwo finden. Gab. es praktische Verfehlungen, unsittliche Dinge, so schenkte Gott Belehrungen über die Zucht, die zur Ausübung kommen sollte. Wenn Streitigkeiten wegen der Ausübung der Gaben, so zeigte Er, wie Christus als Haupt allein Seinen Leib mit Kräften aus der Höhe ausrüstet, und wie diese wirken sollen. Wenn endlich böse Lehrer auftraten, die da sagten: „Es gibt keine Auferstehung der Toten, keine Auferstehung des Leibes, alles was darüber geredet wird ist eine Fabel, so ließ Gott uns betreffs der Auferstehung Dinge offenbaren, die wir sonst vielleicht nie erfahren hätten, und in Verbindung damit kostbare Belehrungen über Ihn selbst, der die Auferstehung und das Leben ist. Beschäftigen wir uns ein wenig mit den letztgenannten.
„Der erste Mensch, Adam“, so lesen wir in 1. Kor. 15, 45, „ward eine lebendige Seele“, und gleich nachher: „Der erste Mensch ist von der Erde, von Staub, der zweite Mensch vom Himmel“. Der erste Mensch wurde bekanntlich von Gott geschaffen, zwar „auf eine erstaunliche, ausgezeichnete Weise“, aber doch geschaffen. Gott ging mit sich selbst zu Rate und nahm dann Staub von der Erde, bildete den Menschen daraus und blies in seine Nase den Odem des Lebens. So wurde der Mensch zu einer lebendigen Seele. Er war „im Bilde Gottes“ geschaffen, „Gottes Geschlecht (Apstgsch. 17, 29.) „Der Odem des Allmächtigen belebt ihn“ (Hiob 33, 4). Er empfing eine Stellung, die ihn weit über alle anderen Geschöpfe erhob, aber er war doch nur eine lebendige Seele. Er besaß Leben, aber nur das· Leben eines Geschöpfes, abhängiges Leben, das Gott gegeben hatte und jederzeit wieder nehmen konnte. „Wenn Gott Seinen Geist und Seinen Odem an sich zurückzöge“, sagt Elihu, „so würde alles Fleisch insgesamt verscheiden und der Mensch zum Staub zurückkehren“ (Hiob 34, 14. 15).
Welch eine Bewandtnis hat es denn mit dem zweiten Menschen? — Zunächst: Wer wird so genannt? Etwa Eva, oder der älteste Sohn des ersten Menschenpaares? Ach nein, Eva wurde vom Manne genommen, war genauso gebildet wie Adam, von Staub, eine lebendige Seele wie er, aber nicht mehr. Wohl wird sie „die Mutter aller Lebendigen“ genannt, nachdem die Sünde gekommen war und Gott einen Weg der Sühnung durch den Weibessamen angedeutet hatte; aber Leben war nicht anders in ihr als in Adam. Und der erste Sohn, den Adam von seinem Weibe erhielt, war gezeugt „in seinem Gleichnis, nach seinem Bilde“, als der gefallene Mensch.
Der zweite Mensch ist Christus, der von Gott Gesandte, vom Himmel Gekommene. Von Ihm sagt Johannes der Täufers „Der vom Himmel kommt ist über allen, und was Er gesehen und gehört hat, dieses bezeugt Er“ (Joh. 3, 31. 32). „In Ihm war Leben“ (Joh. 1, 4). Er war der Schöpfer aller Dinge, das ewige Wort. Ohne Ihn ist nichts geworden, was im Himmel und auf Erden ist. Er, der Sohn Gottes von Ewigkeit her, ist gekommen, um den Vater kundzumachen, uns den Vaternamen zu offenbaren. Aber warum wird Er der zweite Mensch genannt? Weil Er, dessen „Ausgänge von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her“ sind, auf diese Erde herabgestiegen ist und als ein schwaches Kindlein in der Krippe zu Bethlehem gelegen hat. Der Eingeborene vom Vater ist in der menschlichen Natur erschienen, hat es nicht für einen Raub geachtet, Gott gleich zu sein, sondern hat sich selbst zu nichts gemacht und Knechtsgestalt angenommen, um die Geschichte des Menschen auf dieser Erde gleichsam von neuem zu beginnen und als der Gehorsame und Abhängige Seinen Weg zu gehen bis zum Tode am Kreuze. „In Gleichgestalt des Fleisches der Sünde“, ein wahrhaftiger Mensch, versucht in allem wie wir, ausgenommen die Sünde, so war Er hienieden der zweite Mensch, der Mensch vom Himmel. Weil die Kinder, die Er erretten wollte, Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch Er gleicherweise an denselben teilgenommen (Hebr. 2, 14); aber indem Er das tat, wurde Er nicht, wie Adam, geschaffen, gebildet und dann von Gott durch Seinen Geist belebt; nein, von Gott gezeugt, vom Weibe geboren, kam Er von obenher in diese Welt, Gott und Mensch in einer Person. „Das Heilige“, das von Maria geboren wurde, war der zweite Mensch, aber Gottes Sohn. Darum kann Er auch, im Gegensatz zu dem ersten Adam, ein „lebendigmachender Geist“ genannt werden. Er empfing nicht Leben, sondern in Ihm war Leben, und „das Leben war das Licht der Menschen“. Er kam in die Welt, um der Welt Leben zu geben. Er erschien auf dieser Erde, „auf dass die Welt durch Ihn errettet werde“ (Joh. 3, 17; 6, 33). Er konnte lebendig machen, welche Er wollte, und Er hat es getan (Joh. 5, 21).
Aber obwohl das alles so war, wanderte Er doch durch die Dörfer und Städte Israels als der niedrige, demütige Jesus von Nazareth, als der Diener aller, der Ärmste der Armen, der weniger besaß als die Geschöpfe Seiner Hand: Füchse und Vögel. Freiwillig Mensch geworden, wurde Er in allem den Brüdern gleich. Abhängig vom Vater für jeden Bissen Brot, den Er bedurfte, um Seinen Hunger zu stillen, blickte Er zu Gott empor und dankte für alles, was Er aus Seiner Hand empfing. Er, dem die Schätze des ganzen Weltalls gehören, der die Gesetze des Himmels kennt und seine Herrschaft über die Erde bestimmt“, der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, Er lebte von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes ausging, und bediente sich zur Stillung Seiner Bedürfnisse der Habe einiger schwacher Weiber!
Das ist der zweite Mensch, der Mensch vom Himmel, unser Jesus! Welch ein wunderbares, anbetungswürdiges Geheimnis!
„Der erste Mensch ist von der Erde, von Staub, der zweite Mensch ·vom Himmel. Wie der von Staub ist, so sind auch die, welche von Staub sind, und“ — unwillkürlich erwartet man als Fortsetzung: „und wie der Mensch vom Himmel, so sind auch die Menschen vom Himmel“. Aber unmöglich könnte es so lauten. Es gibt nur einen Menschen vom Himmel. Als solcher steht Christus ganz allein da für Zeit und Ewigkeit. Der Eingeborene vom Vater, der an Blut und Fleisch teilnahm, das Wort, das „Fleisch wurde“, hat nicht seinesgleichen im Himmel und auf Erden. Das kost- bare, Leben besitzende „Weizenkorn“ wäre für ewig allein geblieben, wenn es nicht in die Erde gefallen und gestorben wäre. Wenn es sich um den ersten Adam handelt, so ist der Gedanke sehr einfach und einleuchtend: „Wie der von Staub ist, so sind auch die, welche von Staub sind“. Sie haben seine Natur, seine Eigenschaften und teilen sein Los. Nur müssen wir beachten, dass nicht der Zustand Adams vor dem Falle es ist, an dem wir teilhaben. Wir sagten bereits: als Adam seinen ersten Sohn vor sich sah, erblickte er «nicht ein sündloses, unschuldiges Menschenkind, sondern ein gefallenes Geschöpf, das in Sünde empfangen und in Ungerechtigkeit geboren war (Ps. 51, 5). So war. es mit Kain, so auch mit Abel, und so ist es mit der ganzen Nachkommenschaft des ersten Adam: alle ohne« Ausnahme sind von Gott entfremdet, alle sind Jammer und Elend, Krankheit und Tod ausgesetzt. Unser Leben als Menschen in dieser Welt ist ein fortwährender Kampf mit dem Tode, ein langsames, aber stetes Sterben, ein Gang, der unfehlbar zum Grabe führt. Der Weg mag für den einen etwas länger oder weniger beschwerlich sein als für den anderen, aber sein Ende ist der Tod, und wenn der Mensch nicht durch Gottes Gnade errettet wird, so folgt dem Tode das Gericht.
So sind denn alle die, welche von Staub sind, ihrem sündigen Vater gleich und tragen die Folgen seines Falles. Als ein Gefallener wurde Adam das Haupt seines Geschlechts. In ähnlicher Weise sind wir auch mit dem zweiten Menschen, dem letzten Adam, (denn nach Ihm gibt es keinen mehr), erst dann in Verbindung gekommen, als Er aus Seinem ersten Zustand herausgetreten war. Unmöglich könnten wir Ihm, dem „Menschen vom Himmel“, dem „Erstgeborenen aller Schöpfung“, dem „Bilde des unsichtbaren Gottes“, gleich sein. Nur der Tod, der Sold der Sünde, konnte hier eine Veränderung bewirken, konnte dem Zustand, in welchem wir uns befanden, in Ihm, dem zur Sünde Gemachten, ein Ende bereiten. Nur im Tode und in der Auferstehung konnte Christus das Haupt eines neuen Geschlechts werden. „Wenn Seine Seele das Schuldopfer gestellt haben wird, so wird Er Samen (Nachkommenschaft) sehen“ (Jes. 53, 10). Nicht eher. Als das in die Erde gefallene und gestorbene Weizenkorn brachte Er viel Frucht, reiche, kostbare Ähren. Aber auch nur so. Indem Christus, der Heilige und Gerechte, am Kreuze an unsere Stelle trat und alle Folgen des Tuns des ersten Menschen auf sich nahm, konnte die „neue Schöpfung“ eingeführt werden, mit Ihm, dem „Himmlischen“, als Haupt. Der Himmlische, das ist der herrliche Titel, den Er jetzt trägt. Er, der vom Himmel Gekommene, ist jetzt als Mensch in den Himmel zurückgekehrt und sitzt, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, zur Rechten Gottes. Und nun wird uns gesagt: „Wie der Himmlische, so sind auch die Himmlischen“.
Wunderbares Wort! Umso, wunderbarer, weil es jetzt schon von uns gesagt wird. Es heißt nicht: so werden einmal die Himmlischer: sein, wenn sie mit Jesu droben vereinigt sind, sondern: so sind die Himmlischen, heute schon. Obwohl wir noch hier wallen in Niedrigkeit und Schwachheit, ist es doch wahr: „Wie der Himmlische, so sind auch die Himmlischen“. Nicht nur gehören wir in Ihm und durch Ihn dem Himmel an, nicht nur liegen alle unsere Quellen und Erwartungen dort; nein, „gleichwie Er ist, so sind auch wir in dieser Welt“ (1.Joh. 4,17). Selbstverständlich nicht was unseren Leib oder unsere zeitlichen Verhältnisse und Umstände betrifft, — darin hat sich nichts verändert, — wohl aber hinsichtlich unserer Stellung vor Gott und unserer Beziehungen zu Ihm.
Als Jesus aus den Toten auferstanden war, sprach Gott zu Ihm: „Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße“. (Ps. 110, 1.) Dort sitzt Er nun, Er, „der Himmlische“, und wir sind Ihm als „die Himmlischen“, als Sein Geschlecht, Seine Nachkommenschaft, von Gott aus der Welt gegeben, mit Ihm, dem himmlischen Menschen, auf dem Boden der Auferstehung verbunden. Als das Haupt der neuen Schöpfung, der Anfang einer neuen Familie, sandte Er am Auferstehungstage durch Maria Magdalena die bekannte Botschaft an Seine „Brüder“. So trat Er, nachdem Er mit der Erde und Seiner Tätigkeit hienieden abgeschlossen und den Zustand von „Blut und Fleisch“ abgelegt hatte, am Abend desselben Tages mit verklärtem Leibe unter Seine erstaunten und erschreckten Jüngers, redete, aß und trank mit ihnen und entschwand dann wieder ihren Blicken: ein wahrhaftiger Mensch mit Fleisch und Bein, aber ein Mensch mit einem geistigen Leibe, der für den Himmel passte und nicht an die Gesetze dieser Schöpfung gebunden war.
„So sind auch die Himmlischen.“ Sagten wir zu viel, wenn wir dieses Wort ein „wunderbares Wort“ nannten? Nicht nur versetzt es uns in eine ganz neue Stellung und Beziehung zu dem Himmlischen, nicht nur eröffnet es vor unseren Blicken eine Zukunft voller Herrlichkeit, eine Ewigkeit seligsten Genusses dieser neuen Beziehung zu Ihm und in Ihm zu Gott, sondern es stellt uns auch in dieser Zeit schon auf einen Platz der höchsten Segnung, damit allerdings auch der ernstesten Verantwortlichkeit. Wir sind noch in der Welt, Himmlische unter Irdischen, Ewigkeitsmenschen unter solchen, deren ganzes Sinnen und Trachten auf das Zeitliche und Sichtbare gerichtet ist, Kinder Gottes, die wie Himmelslichter in der Finsternis dieser Welt zu scheinen berufen sind. Im Blick darauf geziemt sich die Frage: Entsprechen wir dieser unserer hohen Stellung? Sieht unsere Umgebung in uns himmlische Menschen, die in Gesinnung, Worten und Taten Dem ähnlich sehen, mit
dem sie für ewig verbunden sind? „Wie der Himmlische, so sind auch die Himmlischen. „Ist das auch wahr von uns in unserem praktischen Leben? — Mein Leser! Sinne über diese Frage mit heiligem Ernst.
Der Apostel geht in der Entwicklung seines Gegenstandes einen bedeutsamen Schritt weiter, indem er sagt: „Und wie wir das Bild dessen von Staub getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen«. (V. 49.) Wir sind nicht nur wie der, welcher von Staub ist, sondern wir tragen auch das Bild Adams, unseres Stammvaters. Und wie traurig und verzerrt dieses Bild oft aussieht, wissen wir nur zu gut. Wie wenig selbst der schönste und kräftigste Mensch heute dem ersten Bilde entsprechen mag, wer kann es sagen? Millionen und aber Millionen seufzen unter der schweren Last, welche das Tragen dieses Bildes ihnen auferlegt, und die „Himmlischen“ seufzen mit. Denn die Verbindung mit dem Haupte der neuen Familie hat sie noch nicht von den Leiden und Mühsalen befreit, welche die Verbindung mit dem ersten Adam zur Folge hat. Obwohl sie heute schon sind wie der Himmlische (1.Joh. 4, 17), tragen sie doch noch nicht Sein Bild. Aber sie werden es geradeso gewiss tragen, wie sie hienieden das Bild des gefallenen Menschen getragen haben.
„Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes“, schreibt Johannes, „und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, dass, wenn es offenbar werden wird, wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen; wie Er ist“ (1. Joh. 3, 2). Gottes Liebe ruht nicht, bis alle, die sie Ihm gegeben hat, Ihm auch gleichgestaltet, in Sein Bild verwandelt sind. „Denn welche Er zuvor erkannt hat, die hat Er auch zuvor bestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern“ (Röm. 8, 29). Das war Gottes Ratschluss, der Plan Seines Vaterherzens von Ewigkeit her. Er wollte Kinder um sich sehen, Söhne zur Herrlichkeit bringen, mit Ihm, dem Erstgeborenen, als Haupt und Anführer in der Mitte. Und sie sollen nicht etwa als ,,Engel« dort· sein, wie man oft so unbedacht und töricht reden hört, (wie könnten sie überhaupt solche werden?) sondern als Menschen, als verherrlichte Menschen, die dem verherrlichten Menschensohn, dem Himmlischen, gleichgestaltet, auch körperlich in Sein Bild verwandelt sind.
„Was sollen wir hierzu sagen?“ Wir können nur anbeten und mit sehnendem Verlangen ausschauen nach jener Zeit, wo wir diese arme, zerbrechliche Hütte abgelegt, den Leib, in. dem die Sünde wohnt, und der uns an diese Schöpfung bindet, ausgezogen und den „Leib der Herrlichkeit“ (Phil. 3, 21) angezogen haben werden; nach jener Zeit, wo wir, um Jesum geschart und Sein Bild tragend, Ihn sehen werden, wie Er ist, und wo Sein Auge und das Auge des Vaters in uns nichts mehr von dem „Alten“ (das ist dann, Gott sei gepriesen! für immer vergangen), sondern nur noch Sein kostbares, liebliches Bild erblicken wird. Der Gläubige jubelt bei dem Gedanken daran, und aus der Tiefe seines Herzens dringt der Ruf empor: „Komm, Herr Jesus!“
Dass wir, so wie wir heute sind, solche Herrlichkeit nicht ererben, nicht einmal» ertragen können, verstehen wir ohne weiteres. „Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben“, ebenso wenig kann die Verwesung die Unverweslichkeit ererben (V. 50). Wie nun soll diese wunderbare, geheimnisvolle Sache zur Wahrheit werden? Dass Menschen sterben, und dass beim Tode die Seele in die Ewigkeit hinübergeht, während der Leib ins Grab gelegt wird, war eine bekannte Tatsache. Dass Gläubige entschlafen, nicht im gewöhnlichen Sinne des Wortes sterben, war für die gläubigen Korinther auch kein Geheimnis mehr. Aber hier standen sie vor einem unlöslichen Rätsel. „Wir werden das Bild des Himmlischen tragen“, schrieb der Apostel. Wie sollte das zugehen? Wie war das möglich?
„Siehe, ich sage euch ein Geheimnis“, fährt Paulus deshalb fort. Eine Offenbarung von oben, ein „Wort des Herrn“, konnte allein dieser Schwierigkeit begegnen, und diese Offenbarung, dieses Wort, hatte Paulus empfangen. „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden“ (V. 51). Mit einem einzigen, kurzen Wort deckt Gott das Geheimnis auf: »wir werden alle verwandelt werden, wir werden einen neuen Leib empfangen, der Herr wird unseren Leib der Niedrigkeit „umgestalten zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der Herrlichkeit“. Nicht alle Gläubiger werden durch den Tod gehen, aber alle werden verwandelt werden, „in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune“. Soll aber diese Absicht Gottes im Blick auf uns in Erfüllung gehen, so „muss dieses Verwesliche Unverweslichkeit anziehen, und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen“, der Tod muss verschlungen werden in Sieg.
Dieser geheimnisvolle, alles Verständnis übersteigende Vorgang wird stattfinden, wenn Er, der den Tod zunichte gemacht und Leben und Unverweslichkeit ans Licht gebracht hat, wiederkommen wird mit der Posaune Gottes, wenn Seine gewaltige Stimme in die Gräber der entschlafenen Gläubigen dringen und sie mit den noch Lebenden heimrufen wird aus Tod und Verwesung, aus Kampf und Leid. Dann werden „die· Toten in Christo zuerst auferstehen“, wir, die Lebenden, werden verwandelt und mit jenen dem Herrn entgegengerückt werden in die Luft, um also allezeit bei dem Herrn zu sein. So schreibt der Apostel an die Thessalonicher, und an unserer Stelle sagt er: „Denn posaunen wird es, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden“. Aus beiden Stellen ersieht man, wie gegenwärtig und lebendig diese Hoffnung selbst für den Apostel war; er erwartete nicht den Tod, sondern die Wiederkehr Christi. Und im Blick auf die entschlafenen Gläubigen dachte er nicht an den Empfang eines neuen Leibes, sondern an die Auferstehung des alten, einst ins Grab gelegten oder ins Meer versenkten Leibes. Gott wird „unsere sterblichen Leiber lebendig machen wegen Seines in uns wohnenden Geistes“ (Röm. 8, 11), der Herr wird unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten (Phil. 3, 21), alle, die in den Gräbern sind, werden hervorkommen (Joh. 5, 28. 29), die Toten werden auferweckt, und wir alle werden verwandelt werden. Alle diese klaren, unzweideutigen Aussprüche der Schrift wären sinnlos, wenn nicht eine Auferstehung des Leibes stattfinden würde. Dass der in der Auferstehung empfangene Leib seiner Art, seiner Natur nach neu ist, neu sein muss, liegt auf der Hand. „Es wird gesät ein natürlicher (seelischer) Leib, es wird auferweckt ein geistiger Leib.“ Aber der Leib wird auferstehen!
Welch ein Trost ist das, wenn es Gott gefällt, eines unserer Lieben heimzurufen! Nicht das Bewusstsein, dass der Herr ihren Bruder Lazarus hätte am Leben erhalten können, wenn Er früher in Bethanien gewesen wäre, auch nicht die Gewissheit, dass Lazarus „auferstehen werde in der Auferstehung am letzten Tage«, vermochte Martha zu trösten; aber wenn der Herr zu ihr sagte: „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist; und jeder, der da lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit“, und sie im Glauben diese Worte aufnahm, dann wurde ihr Herz mit Freude und Trost erfüllt. Darum die kurze, aber so eindringliche Frage des Herrn: „Glaubst du dies?“
O selige Stunde, wenn der Schall der „letzten“ Posaune, die das Zeichen zum Aufbruch gibt, in unsere
Ohren dringen wird! Ja, dann wird der Tod, der jetzt schon keine Schrecken, keinen Stachel mehr für den Gläubigen hat, in Sieg verschlungen werden. Verklärt, in Kraft und unvergänglicher Schönheit werden die Leiber der entschlafenen Heiligen aus dem Staube auferstehen, der Verweslichkeit und der Macht des Todes für immer entrückt, und triumphierend wird der ganze gewaltige Heereszug der himmlischen Heiligen, aus den Toten auferweckt, oder als Lebende verwandelt, dem Herrn entgegengehen und mit Ihm einziehen in die Wohnungen des Vaterhauses droben.
Die Mitteilungen des Apostels klingen aus in ein herzliches „Gott aber sei Dank!“ Ja, Gott sei Dank, „der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus“! Mag es auch heute oft anders scheinen, mögen wir uns manchmal gedrängt fühlen zu singen: „Ich bin auf der Reise scheinbar eine Waise, müd’ und unterdrückt“, so dürfen wir doch immer wieder zu Ihm aufblicken, in welchem all unser Heil verankert liegt, der uns befähigt, „fest“, unbeweglich, allezeit überströmend zu sein in Seinem Werke«, und in dem uns ewiger Sieg, herrlicher Triumph über alle unsere Feinde, selbst über den Tod, verbürgt ist. Fest, unbeweglich war Er auf Seinem Wege hienieden, und ob Er auch Sein Angesicht wie einen Kieselstein machen musste, Er wankte nicht und wich nicht zurück, bis Sein Werk vollbracht und Seine Arbeit getan war. So lasst auch uns fest und unbeweglich sein und unser Angesicht feststellen, Ihm nach und Ihm entgegen! Einem jeden von uns ist ein Auftrag gegeben, wir können und sollen uns »in Seinem Werke« bemühen, und zwar allezeit, mit überströmendem Fleiß, in der vollen Gewissheit, dass unsere Mühe nicht vergeblich ist im Herrn.
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David und seine Helden
Bibelstelle: 1. Chronika 12
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 71ff
Das 12. Kapitel des 1. Buches der Chronika ist von besonders lieblicher vorbildlicher Bedeutung. Es liefert uns zahlreiche Vergleichungspunkte mit der Gegenwart und enthält viele Einzelheiten, die den Leser unwillkürlich zu der Frage auffordern: „Wie steht es mit dir in dieser Beziehung?“ Man schaut in den Spiegel des untrüglichen Wortes und beurteilt sich. Gott gebe, dass wir nie Menschen gleichen, die ihr natürliches Angesicht in einem Spiegel betrachten und dann weggehen und alsbald vergessen, wie sie beschaffen waren! (Jak. 1, 23. 24). Ein Hörer des Wortes sein und nicht ein Täter, ist ein schlimmes Ding.
David ist im Anfang unseres Kapitels noch in Ziklag, der Stadt, die der Philisterkönig Achis ihm als Aufenthaltsort angewiesen hatte, als er, in seinem Vertrauen wankend geworden, in das Land der Unbeschnittenen geflohen war. Dort hielt er sich vor Saul, dem Sohne Kis’, verborgen. Als dieser nun
gefallen war, kamen viele aus Israel dorthin, um sich um den von Gott erwählten König zu scharen und sich ihm im Glauben zur Verfügung zu stellen. Dieser Glaube, eine Frucht der in jenen Tagen wirkenden Gnade Gottes, sammelte diese Leute um den Gesalbten Jehovas, den Mann nach dem Herzen Gottes, und ließ sie in ihm den König nach Gottes Ratschluss erkennen, während das natürliche Auge nichts anderes als einen armen, heimatlosen Flüchtling oder gar einen seinem Herrn entlaufenen Sklaven (1. Sam. 25, 10) in ihm erblickte.
Heute ist es auch so. Der wahre David, unser Herr und Heiland, ist heute „verborgen“ (Kol. 3, 3; Apstgsch. 3, 20. 21), und zwar vor dem Angesicht des anderen Saul, des Fürsten dieser Welt und dieses Zeitlaufs, der zwar wie Saul „verworfen“ (1. Samuel 15, 26; vergl. Joh. 12, 31), aber noch nicht offenbarlich seiner Würde beraubt ist, und dem die große ungläubige Masse noch huldigt. Und in Verbindung mit dieser großen Masse halten viele solcher, die es besser wissen sollten und könnten, gleich dem größten Teile des Stammes Benjamin in unserem Kapitel, bis heute „treu zum Hause Sauls“. (V. 29.) Sollte man es für möglich halten, dass so viele Kinder Gottes meinen, in dem religiösen Lager der Welt, in Verbindung mit Feinden und Verächtern ihres Herrn, verbleiben zu sollen, anstatt „zu Ihm hinauszugehen, außerhalb des Lagers, Seine Schmach tragend“? Als Gott einst nicht mehr in der Mitte Seines irdischen Volkes hinaufziehen konnte, schlug Mose das Zelt außerhalb des Lagers, „fern vom Lager“, auf, und „ein jeder, der Jehova suchte, ging hinaus zum Zelte der Zusammenkunft, außerhalb des Lagers“ (2. Mose 33, 7).
Es hat Gott gefallen, vielen Namen jener streitbaren Männer, die sich in den Tagen seiner Verwerfung zu David hielten, für alle Zeiten einen Ehrenplatz in Seinem Buche zu geben. Wir lesen von solchen, die „zu ihm nach Ziklag kamen“, von anderen, die sich „zu David absonderten nach der Bergfeste in die Wüste“, die zu ihm „überliefen“, die „hingingen, um David zum König zu machen“ usw. Gott fügte es so, dass endlich „ein großes Heerlager, wie ein Heerlager Gottes“, um David geschart stand. Wunderbares Tun Gottes! Wird es in unseren Tagen ein Gegenbild finden?
Es gab im Anfang des Wanderlebens Davids solche, die zu ihm in die Höhle Adullam kamen: Bedrängte, Schuldner und solche, die in ihrem Herzen bitter betrübt waren, und David wurde ihr Oberster: sie nannten sich fortan nach seinem Namen (1. Sam. 22, 1. 2). In unserem Kapitel sondern sich tapfere Helden zu David ab und ziehen zur Bergfeste in die Wüste. Was konnte alle diese Menschen veranlassen, zu David zu gehen? Seine äußeren Umstände hatten nichts Anziehendes. Was konnte er ihnen bieten? Und doch zog es sie mit Gewalt zu ihm hin. Seine Person und Gottes Gedanken über ihn bildeten die treibenden Kräfte in diesen ergebenen Herzen. Sie schauten über das Sichtbare hinaus.
Dürfen wir in der „Bergfeste in der Wüste“ ein Bild der Gemeinde Christi erblicken, mit Ihm, dem wahren David, als Mittel- und Anziehungspunkt in der Mitte? O möchten dann doch auch heute viele aus den abseits wohnenden und vielfach einander befehdenden Stämmen des Volkes Gottes den Gaditern gleichen, die von jenseits des Jordan kamen, über den Todesfluss gingen, als er alle seine Ufer überflutete, und die Bewohner der Niederungen gegen Osten und gegen Westen in die Flucht schlugen! Keine Gefahr achtend, nur ein Ziel kennend, alle Hindernisse über- windend, sonderten sich diese „tapferen Helden“ zu ihrem David ab. Was konnte die Bergfeste in der Wüste ihnen bieten? Wie schon gesagt, nichts für die Natur. Aber David war da!
Gott sei Dank! es gibt auch heute solche, die um Jesu willen alles, wohlbegründete Ansprüche der Natur, alte, liebgewordene Verbindungen, Anerkennung von seiten der Menschen, irdische Vorzüge und manches andere aufgegeben und, trotz ernstester Hindernisse, sich zu ihrem Jesus abgesondert haben. Gott kennt ihre Namen und wird sie nicht vergessen. Ihm sind alle bekannt, die sich um Jesu Banner scharen, die sich unter die Fahnen des „Anführers ihrer Errettung“ (Hebr. 2, 10) stellen, „um Ihm das Königreich Sauls zuzuwenden nach dem Befehl Jehovas“ (V. 23), mit anderen Worten: um Ihm, dem Haupte der Versammlung, Seines Leibes, allein zu huldigen. Möchte ihre Zahl sich täglich mehren!
Der Geist Gottes zählt Stämme und einzelne Namen auf und berichtet mit freudiger Anerkennung von ihren Eigenschaften und Taten. So sind auch die Namen der Streiter Christi nicht nur in den Himmeln angeschrieben (Luk. 10, 20), sondern werden von Gott aufbewahrt und teilweise schon heute bekannt gemacht. Wie der Geist in dem irdischen Lager des Volkes Gottes Einzelnen herrliche Titel zu geben und von ihrer Treue und Entschiedenheit mancherlei Ehrendes zu berichten wusste, so weiß Er auch heute jenen Kriegern, die den Streit nicht mit Fleisch und Blut, sondern mit anderen, gewaltigeren und listigeren Feinden zu führen haben, begehrenswerte Titel und Auszeichnungen auszuteilen. Da gibt’s „Mitarbeiter und Mitstreiter“, „Geliebte im Herrn“, „Ausgezeichnete unter den Aposteln“, solche, die „viel gearbeitet haben im Herrn“, „die vielen ein Beistand gewesen sind“, ja, „die ihren eigenen Hals preisgegeben“, „Männer, die ihr Leben hingegeben haben für den Namen unseres Herrn Jesus Christus“ usw. usw. (Vergl. Römer 16 u. and. St.).
Im Lager Gottes findet man auch die größte Verschiedenheit hinsichtlich des Dienstes und der Bewaffnung. Da gab es unter Israel solche, die Pfeile mit dem Bogen abzuschießen vermochten, (gerade diese Leute fehlten Saul, und in seinem letzten Kampf „erreichten ihn die Schützen, Männer mit dem Bogen“, 1. Sam. 31, 3) und die geübt waren, mit der Rechten und der Linken Steine zu schleudern; andere waren mit Schild und Lanze ausgerüstet, wieder andere „mit allen Kriegswaffen zum Kampfe bereit“. So stehen auch den Dienern Gottes in der Gegenwart die Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken zu Gebote (2. Kor. 6, 4 - 7). Wie es jenen Kämpfern an nichts gebrach, so gebricht es auch heute den Streitern Christi an nichts: die ganze Waffenrüstung Gottes ist für sie da. (Eph. 6, 13.) Schutz- und Trutzwaffen, Waffen zur Verteidigung und zum Angriff liegen in Gottes Rüstkammer für sie bereit. Reich und mannigfaltig sind auch die Gnadengaben, die der Herr Seiner Gemeinde geschenkt hat, und sie sollen benutzt und ausgeübt werden entsprechend der verliehenen Gnade und dem Maße des Glaubens, das Gott einem jeden ausgeteilt hat. Wenn wir nur alle verständig wären und den Geist Gottes, mit dem wir versiegelt sind, nicht betrübten! „Denn Gott hat uns einen Geist der Kraft gegeben und der Liebe und der Besonnenheit" (2. Tim. 1, 7). O dass viele von uns solch „tapfere Helden“ wären wie die Gaditer, die mit den Löwen an Mut und mit den Gazellen auf den Bergen an Schnelligkeit wetteiferten! Wackere Jünglinge, wie Zadok in Vers 28,
und Männer von kluger Vorsicht und geistlicher Besonnenheit, wie David selbst im 17. Verse! O dass auch heute das eine oder andere Haus zweiundzwanzig Oberste zu dem Heere Christi stellen möchte, wie das Haus Zadoks! Das Kampfgebiet ist groß genug, und an Feinden ist kein Mangel. „Möchte doch das ganze Volk Jehovas Propheten sein“, wünschte einst Mose, der selbstlose, demütige Knecht Gottes. Das sind freilich Worte, die kein geöffnetes Ohr finden bei solchen, die Oberste nur dann anerkennen wollen, wenn sie von Menschen dazu vorgebildet und ausgerüstet sind — vielfach auf Schulen, wo dem Obersten dieses Zeitlaufs, dem Fürsten der Finsternis, der ja die Gestalt eines Engels des Lichts anzunehmen vermag (2. Kor. 11, 14), ein gar großer Einfluss gestattet wird.
Die zwanzigtausend und achthundert, die von den Kindern Ephraim kamen, werden „streitbare Männer“ genannt, „Männer von Namen, nach ihren Vaterhäusern“ (V. 30). Mein Leser! hast auch du dir bereits einen Namen im Dienst deines Herrn erworben? Hast du dich als ein streitbarer Mann erwiesen, als ein guter Kriegsmann Jesu Christi, der darauf bedacht ist, „Dem zu gefallen, der ihn angeworben hat“? (2. Tim. 2, 4). Oder haben die Beschäftigungen des Lebens, die Sorgen dieses Zeitlaufs dich verstrickt und deine Kräfte, dein Sinnen und Denken so in Anspruch genommen, dass für die ewigen Dinge kaum noch Zeit und Kraft übrigbleiben? Bedenke: Jesus ist dein Herr; du gehörst ihm mit allem, was du hast, mit Leib und Leben, mit Hab und Gut. Du leugnest das auch nicht. Aber wie entsprichst du deiner Berufung? Der Königin in Psalm 45 wird gesagt: „Vergiss deines Volkes und deines Vaters Hauses“. Nur so kann der König Freude an ihr haben. Das ist es, was sie in seinen Augen schön macht. Und wird zu viel von ihr gefordert? Keineswegs. „Denn Er ist dein Herr: so huldige Ihm!“ (V. 10. 11).
Der natürliche Mensch lebt in beständiger Auflehnung gegen Gott und Seinen Christus. Obwohl der Herr jegliches Recht an ihn hat, will er sich Ihm nicht unterwerfen, sondern seinen eigenen Zielen und Lüsten folgen und einem Anderen dienen. Die Zeit wird kommen, wo er Rechenschaft von seinem Tun
ablegen muss, und wie furchtbar wird dann die Abrechnung sein! Der Mensch wird das Los des Fürsten dieser Welt, dem er Heerfolge leistet und sein Bestes opfert, in Ewigkeit teilen müssen, in jenem See, der mit Feuer und Schwefel brennt. Aber der Leser gehört wohl nicht mehr zu den Menschen dieser Welt. Und dennoch willst du ihrem Fürsten huldigen und nicht Dem allein dienen, der bald als König der Könige und Herr der Herren Seine Herrschaft antreten wird? Soll es dich in alle Ewigkeit betrüben, die kurze, fliehende Zeit hienieden mehr dir und deinen Interessen gedient zu haben, als Ihm, der dich geliebt und sich selbst für dich hingegeben hat? Soll dein Name auf der Ehrentafel der „streitbaren Männer“ und „tapferen Helden“ fehlen?
Die achtzehntausend aus dem halben Stamme Manasse waren nicht gerade „Männer von Namen“ wie die zwanzigtausend und achthundert aus Ephraim, aber auch sie wurden „mit Namen angegeben,
dass sie hingingen, um David zum König zu machen“ (V. 31). Es waren tüchtige, wegen ihrer Zuverlässigkeit und Treue allgemein bekannte Männer, denen man Vertrauen schenken konnte, dass sie ihren Auftrag ausführen wurden, treue Leute, „oft in vielen Stücken erprobt“, „eifrig“, „Gesandte der Versammlungen, die Herrlichkeit Christi“, um in der Sprache des Neuen Testaments zu reden.
Die Kinder Issaschar waren anscheinend die geringsten an Zahl. Wir lesen nur von zweihundert Häuptern, die zu David kamen; aber „alle ihre Brüder folgten ihrem Befehl“ (V. 32). Ein schönes Zeugnis! Die Zahl macht es nicht aus. Im Kleinen und Schwachen verherrlicht sich Gott. Denken wir nur an David im Terebintentale (1. Sam. 17), oder auch an den wahren David, den unscheinbaren, niedrigen Jesus von Nazareth: von Menschen für nichts geachtet, ja verworfen, vor Gott aber „auserwählt, kostbar“. Denken wir an die Jünger Jesu, die „kleine Herde“: „nicht viele Weise nach dem Fleische, nicht viele Mächtige, nicht viele Edle“, aber von Gott auserwählt, kostbarer für Ihn als alles, berufen, heute „das Licht der Welt“ zu sein, „das Wort des Lebens darzustellen“ und bald in ewiger, unvergänglicher Schönheit zur Seite des „Geliebten“ zu stehen.
»Alle ihre Brüder folgten ihrem Befehl« Warum wohl? Diese zweihundert Häupter waren Männer, welche Einsicht hatten in die Zeiten, um zu wissen, was Israel tun musste“. Das gab ihnen solch großen Einfluss über ihre Brüder, ein solches Gewicht in den Augen ihrer Stammesgenossen. Im 8. Kapitel seines Buches klagt der Prophet Jeremia: „Selbst der Storch am Himmel kennt seine bestimmten Zeiten, und Turteltaube und Schwalbe und Kranich halten die Zeit ihres Kommens ein; aber mein Volk kennt das Recht Jehovas nicht“. Und Jesaja ruft: „Ein Ochse kennt seinen Besitzer, und ein Esel die Krippe seines Herrn; Israel hat keine Erkenntnis, mein Volk hat kein Verständnis“ (Kap. 1, 3). Jene zweihundert Häupter fielen nicht unter dieses Urteil. Sie hatten Einsicht in die Zeiten und wussten, was sie ihrem Volke jeweils zu raten hatten. Ihre Verbindung mit der Quelle aller Einsicht und Weisheit war innig genug, um sie In jeder Lage, für jede Zeit und Frage die nötige Antwort, den passenden Rat finden zu lassen.
Wie wichtig und gesegnet solche Männer sind, das haben auch wir erfahren und ihr Fehlen oft genug schmerzlich empfunden. O möchte der Herr uns viele solcher Männer geben, zugleich aber auch die Bereitwilligkeit schenken, ihrem guten Rat zu folgen, uns ihrer größeren Einsicht zu unterwerfen! Wir würden dann weniger über verkehrte Wege und Unternehmungen, über Versäumen des rechten Augenblicks oder übereiltes Handeln zu klagen haben. Wie wichtig war gerade in jenem Augenblick eine kluge Einsicht in die Zeiten! Ein Wendepunkt in der Geschichte Israels war gekommen, bedeutungsvoller als je zuvor. Es galt, den „Gesalbten Jehovas“ auf den Thron zu setzen, Gottes Gedanken über David, das Vorbild des wahren Königs Israels, zur Ausführung zu bringen. Erinnert uns das nicht unwillkürlich an das Wort in Römer 13,11.: „Die Zeit erkennend, dass die Stunde schon da ist, dass wir aus dem Schlaf aufmachen sollen; denn jetzt ist unsere Errettung näher, als da wir geglaubt haben“? Die Stunde, in welcher der wahre David Seinen Thron besteigen, Seine Herrschaft antreten soll, wird bald schlagen. „Die Nacht ist weit vorgerückt, der Tag ist nahe.“ Nehmen wir deshalb Einsicht in die Zeiten, wie die Männer von Issaschar es taten, ermannen wir uns, wachen wir auf vom Schlafe! Achten wir auch auf das prophetische Wort, welches wie eine Lampe an dunklem Orte leuchtet, und verachten wir die Weissagung nicht! Ja, lasst uns aus der Geschichte Israels lernen, um nicht „am Truge festzuhalten“, sondern, wo irgend es nötig ist, zum Herrn umzukehren! (Jer. 8, 5).
Die Brüder jener zweihundert« Häupter schlugen das zu ihnen geredete Wort nicht in den Wind, sie gehorchten dem Befehl der Erfahrenen unter ihnen, achteten auf ihre Einsicht und folgten ihnen auf ihren Pfaden. Lasst uns hingehen und das Gleiche tun!
Die aus Sebulon zum Heere auszogen, waren „mit allen Kriegswaffen zum Kampfe bereit“ und „ordneten sich in Schlachtreihen mit ungeteiltem Herzen“ (V. 33). Vortreffliche Tätigkeit: allezeit zum Kampfe bereit sein, seinen Platz in der Schlachtreihe genau kennen und mit ungeteiltem Herzen ihn einnehmen, mit Herzensentschluss, ohne Wanken und Schwanken! Wie ein Mann, Schulter an Schulter, so standen diese Wackern aus Sebulon da.
Sie geben uns zu denken und zu lernen. Gott hat nach Seinem guten und weisen Willen auch heute jedem einzelnen Gläubigen seinen besonderen Posten und Dienst gegeben, ja, ihm seinen Platz am Leibe Christi angewiesen. Lasst uns danach trachten, diesen Platz genau zu kennen und auszufüllen mit ungeteiltem Herzen, den uns zugewiesenen Dienst zu tun, zum Kampfe bereit allezeit! Der Geist „teilt einem jeden insbesondere aus, wie Er will“, und Gott hat ein jedes der Glieder „an dem Leibe gesetzt, wie es Ihm gefallen hat“ (1. Kor. 12, 11. 18.) An uns ist es nun, das, was wir empfangen haben, in Einfalt und Treue zu verwalten, zur Ehre Gottes, zum Wohle des Ganzen, und zugleich nicht zu vergessen, dass wir „Glieder voneinander“ sind, dass keiner von dem anderen sagen kann: „Ich bedarf deiner nicht“. Auch in unseren Reihen sollten sich keine Lücken zeigen. „Erfüllet meine Freude, dass ihr einerlei gesinnt seid, . . . einmütig, eines Sinnes“ (Phil. 2, 2).
Bei den Streitern Christi kommt es sehr viel auf die Herzensstellung an. Aus dem Herzen fließt gleichsam das Leben. Steht es im Herzen gut, so wird’s auch sonst gut stehen. Gott kennt und beurteilt das Herz. Er sieht, was es ausfällt: David oder Saul. Der natürliche Mensch sieht auf das, was vor Augen ist; ihm gefällt der stattliche Wuchs Sauls, der um eines Hauptes Länge über alle anderen emporragte. Der Glaube schätzt David, den Kleinsten aus dem Hause seines Vaters. Er ist in Übereinstimmung mit Gott. Ein Kenner schätzt die kleine, aber so kostbare Perle. Der Mensch im allgemeinen liebt den gewaltig sich ausbreitenden Baum; für ihn ist der äußere Eindruck alles.
Erbitten wir uns denn ein einsichtsvolles, ungeteiltes Herz! Ein doppelherziger Mann ist unstet in allen seinen Wegen. Er gleicht der Meereswoge, die nie zur Ruhe kommt. „Eines aber tue ich“, konnte Paulus, der treue Mann, sagen. Könnten alle Gläubigen es ihm nachsprechen, so würde kein Streit, kein Zwiespalt das Lager Gottes hienieden entzweien. Im Anfang der Geschichte der Kirche war es so. Alle waren ein Herz und eine Seele. Wie beschämend sind jene Tage und auch die Tage von 1.Chron. 12 für uns! O möchte das schöne Gemälde von Hebron, wo nicht nur die heranziehenden Kriegsleute mit ungeteiltem Herzen kamen, sondern auch „alle übrigen in Israel eines Herzens waren, David zum König zu machen“ (V. 38), sich mehr unter uns verwirklichen! Möchte niemand länger zu Saul und zu seinem Hause halten! Überströmender Segen und ungeahnte Freude würden die Folge davon sein, geradeso wie in jener Zeit „in Israel Freude war“ (V. 40). Das gute Beispiel wirkte belebend auf andere und veranlasste sie, auf Eseln, Kamelen, Maultieren und Rindern Lebensmittel herbeizubringen und für ihre Brüder zuzurichten, so dass „alle aßen und tranken“.
O vor und mit dem wahren David, im Kreise des Volkes Gottes, zu essen und zu trinken, wenn jedes
Auge auf Ihn gerichtet, jedes Herz von Ihm erfüllt ist, wenn alle nur das eine Begehren kennen, etwas beizutragen zu Seinem Lobe und zur Freude aller Versammelten — kennst du etwas davon, mein lieber gläubiger Leser? -
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Gedanken
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 83ff
Die Zuneigungen einer Braut können nur dann bei uns gefunden werden, wenn wir nach dem Kommen des Bräutigams ausschauen.
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Ein enger Pfad und ein weites Herz sind zwei begehrenswerte Dinge für den Gläubigen und sollten immer miteinander gehen.
Ein breiter Pfad bedeutet nicht ein weites Herz, wohl aber ein weites Gewissen.
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Haben wir wohl schon einmal darüber nachgesonnen und in unseren Herzen erwogen, dass die Person, bei der die große Sünderin weilte, und mit der sie über ihre Sünden sprach, Gott war?
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Im Garten Eden zog sich der Mensch, im Bewusstsein seiner Sünde und unfähig, Gottes Gegenwart zu ertragen, von Ihm zurück, ehe Gott ihn austrieb.
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Ein Blick zurück und vorwärts
Bibelstelle:
Botschafter des Heils 1920 S. 83ff
Du hast mich stets geleitet.
o Herr, an Deiner Hand,
viel Gutes mir erwiesen,
viel Lieb an mich gewandt.
Wenn ich den Weg beschaue,
den ich zurückgelegt,
so bleibt mir Deine Liebe
vor allem eingeprägt.
Von meiner frühsten Jugend
war Deines Geists Bemühn,
mich aus dem Sündenelend
zu Dir, o Herr, zu ziehn!
Und als Ihm dies gelungen,
wie ward mein Herz beglückt!
Ich sah durch Dich geordnet,
was mich so lang gedrückt.
Ich sah die Schuld getilget,
zerstört des Teufels Macht,
mich selbst mit Gott versöhnet,
dem Vater nah gebracht.
Gericht und Tod und Sünde
beseitigt durch Dein Blut!
Dein Tod am Kreuze machte
auf ewig alles gut.
O Dank, Du teurer Heiland.
Was dort für mich geschah,
werd ich an Deinem Throne
gewiss erst recht verstehn
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Segnende Hände
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 85ff
Jesu Hände sind gehoben,
wer ist, der uns schaden kann?
Des Herrn letztes Tun auf Erden.
Der Herr war aus den Toten auferstanden. Noch einmal versammelte Er Seine geliebten Jüngers am Fuße des Ölbergs. „Er führte sie hinaus bis nach Bethanien“ (Luk. 24, 50). Es war Sein letzter Tag auf Erden. Davon hatten die Jünger freilich keine Ahnung. Sie dachten an etwas ganz anderes. Mit der Erwartung des Reiches erfüllt und nur mit den Prophezeiungen beschäftigt, welche von der Herrlichkeit des Messias redeten, fragten sie: „Herr, stellst du in dieser Zeit dem Israel das Reich wieder her?“ (Apstgsch. 1. 6).
Diese Frage braucht uns nicht so sehr zu wundern. Die Jünger waren Juden, und jüdisch war ihr Denken und Sinnen. Welches Hindernis stand jetzt noch der Aufrichtung des. Reiches im Wege? Die Herrschaft des Menschen reicht nicht weiter als bis zum Grabe. Und Jesus hatte im Grabe gelegen. Die Priester und Pilatus hatten getan, was der Mensch zu tun vermochte, sie hatten Ihn gekreuzigt. Aber nun hatte Gott Ihn von den Toten auferweckt. Gottes Macht war vor aller Augen offenbar geworden, während die bösen Absichten des Menschen für immer vereitelt worden waren. Wenn nun „der König“ auferstanden war — und Er konnte doch nicht noch einmal sterben -— was stand dann der Ausrichtung des Reiches noch hindernd im Wege?
Noch einmal: War es ein Wunder, dass diese Männer, welche es miterlebt hatten, wie ihr geliebter Herr verspottet, angespien, mit Dornen gekrönt und gekreuzigt worden war, jetzt, wo sie Ihn lebendig vor sich stehen sahen, fragten: „Herr, stellst du in dieser Zeit dem, Israel das Reich wieder her?“ War es ein Wunder, dass sie Seine königliche Ehre suchten und herbeisehnten? Der Herr macht deshalb auch Seinen Geliebten keinen Vorwurf, sondern sagt ihnen freundlich, dass es nicht ihre Sache sei, Zeiten oder Zeitpunkte zu wissen; diese habe der Vater in Seine Gewalt gestellt. Und der Vater habe anderes für Seine Kinder im Sinn. Freilich sollte das Reich kommen, des Vaters Wille sollte geschehen im Himmel wie auf Erden. Aber vorher mussten andere Dinge sich entwickeln. Der ganzen
Erde sollte das Zeugnis von dem auferstandenen Christus gebracht werden, und zwar sollte dieses Zeugnis ausgehen von Jerusalem, dem jetzt so finstern Mittelpunkt der Erde, wo Israel seinen Messias gekreuzigt hatte. Zu diesem Zweck sollte der Heilige Geist vom Himmel herab auf die Jünger kommen und in ihnen die Kraft werden, in welcher sie das Zeugnis von ihrem gestorbenen und auferstandenen Herrn in die weite Welt zu tragen vermochten. „Siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch, Ihr aber, bleibet in der Stadt, bis ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe“. Nachdem der Herr dies gesagt hatte, nahm Er Abschied von den Jüngern, indem Er „Seine Hände aufhob und sie segnete“, — dieselben Hände, die vierzig Tage vorher ans Kreuz genagelt worden waren. Und während Er das tat, „indem Er sie segnete, schied Er von ihnen“. So verließ Jesus diese Erde, so nahm Er Abschied von den Seinigen. „Er schied von ihnen und wurde hinaufgetragen in· den Himmel.“
In staunender Bewunderung sahen die Jünger Ihn auffahren. „Unverwandt: schauten sie gen Himmel, als Er auffuhr. Welche Gefühle mochten ihre Herzen bewegen! Jesus, der Gekreuzigte, war auferstanden, und der Auferstandene fuhr, von Herrlichkeit umgeben, gen Himmel. „Eine Wolke nahm ihn auf von ihren Augen hinweg.“
Das Werk des Hochgelobten war vollbracht, und Seine letzte Handlung auf dieser Erde war, zu segnen. Ja, . in dem Augenblick, als Er von Seinen Jüngern schied, sahen sie Ihn noch mit für sie aufgehobenen Händen. Das war das Letzte, was sie erblickten· Das Werk war vollendet, aber die Liebe, die es vollbracht hatte, blieb nach wie vor die gleiche. Ob auf Erden oder im Himmel, Seine Hände sind erhoben, um Sein Volk zu segnen, denn „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit“.
Wir lieben die letzten Worte und Handlungen unserer Freunde und halten sie in Ehren. Wieviel mehr sollten dies unsere Gefühle sein gegenüber den letzten Worten und der letzten Handlung, dem Segen und den aufgehobenen Händen Dessen, der in unendlicher Herablassung sich in Wahrheit zu unserem Freunde gemacht hat!
Des Herrn gegenwärtiges Tun im Himmel.
Nachdem die Wolke Jesum aufgenommen hatte, erschienen zwei Männer in himmlischer Gewandung, in weißen Kleidern. Sie kamen als Boten von oben auf die Erde herab und sprachen zu den Jüngern, deren Staunen kein Ende nehmen wollte: „Männer von Galiläa, was stehet ihr und sehet hinauf gen Himmel?“ Jesus war dem natürlichen Auge entschwunden. Die Jünger sahen den Himmel nicht anders über sich, als wir ihn auch zu sehen gewohnt sind. Das natürliche Auge erblickte Ihn nicht mehr. Er war in die Herrlichkeit eingegangen· Aber wie tröstlich klang die Verheißung der beiden Engel: „Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird also kommen, wie ihr Ihn in den Himmel habt auffahren sehen“! Die Zeit sollte kommen, wo der König wieder herabsteigen würde aus diese Erde, um Seine Herrschaft anzutreten.
Damals war diese Stunde noch nicht da. Sie ist es auch heute noch nicht. „Jetzt sehen wir Ihm noch nicht alles unterworfen“ (Hebr. 2, 8). Noch ist das Reich dem Volke Israel nicht wiederhergestellt worden, und noch ist die Erde nicht voll der Erkenntnis des Herrn, gleichwie die Wasser den Meeresgrund bedecken (Vergl. Jes. 11, 9). Aber „wir sehen Jesum, der ein wenig unter die Engel wegen des Leidens des Todes erniedrigt war, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“. Wir schauen in den Himmel hinein, zwar nicht mit dem natürlichen Auge, aber mit einer vom Geist gewirkten Vorstellungskraft, und erblicken Jesum dort gekrönt.
Ein Zepter ist indes noch nicht in Seiner Hand, auch hat Gott Seine Feinde noch nicht gelegt zum Schemel Seiner Füße. Was erblicken wir denn, indem wir hinausschauen? Wir sehen Ihn sitzen zur Rechten Gottes, am Platze der höchsten Herrlichkeit und Macht, und Seine Hände sind noch immer gehoben; noch immer segnet Er die Seinigen auf der Erde.
Er ist der große Hohepriester im Heiligtum droben. Das ist heute Seine Herrlichkeit. Noch ist Ihm nicht
alles unterworfen. Weit davon entfernt! Mehr denn je erblicken wir in unseren Tagen Satan als den Fürsten dieser Welt. Nie haben Gottlosigkeit und Sünde sich schamloser breit gemacht als heute. Der Tod herrscht und fordert seine Beute rücksichtsloser als je. Die heutige Herrlichkeit unseres Herrn ist von anderer Art, als sie einmal sein wird. . Er thront zur Rechten Gottes droben und leitet von dort aus Sein pilgerndes Volk durch eine böse, in Sünde und Jammer versunkene Welt der ewigen Heimat zu. Es mag seltsam erscheinen, ist aber eine Tatsache, dass der Herr sich heute darin verherrlicht, Gottes Volk zur Heimat zu führen, es Sein Mitgefühl auf dem Wege erfahren zu lassen, seine Last zu tragen und ihm zu helfen in allen seinen Schwachheiten und Prüfungen. Wenn die Sünde eine Seele auf Irrwege führt, so ist Er es, der sie zurückbringt, und wenn ein Herz ganz zerschlagen ist, so ist Er es, der es wieder aufrichtet. Er ist auch droben „dieser Jesus“, der Er auf der Erde war. Seine Hände sind zum Segnen erhoben, wenn auch der Himmel Ihn ausgenommen hat von unseren Augen hinweg.
Auch uns mag es seltsam erscheinen, dass es für den Herrn Ehre und Herrlichkeit bedeutet, so für die Seinigen zu sorgen und sie so zu hüten, dass dereinst keines in der erlösten Schar, fehlt. Aber es ist so. Seine Gnade ist wie Sein Name: „Wunderbar“, und Seine Gewalt ist ohne Grenzen. „Er vermag völlig zu erretten die durch Ihn Gott nahen, indem Er immer- dar lebt, um sich für sie zu verwenden“ (Hebr. 7, 25). Er lässt sich zu unserer Schwachheit herab, Er kommt uns zu Hilfe in unseren Ängsten und Nöten. Haben wir das nicht schon oft genug erfahren? Wenn wir meinten, unser Schifflein gehe unter, so war Jesus da und stillte den Sturm; und wenn wir dachten: Nun ist alles verloren! nahte Er und flüsterte uns zu: „Ich bins. Fürchtet euch nicht!“ Keine Umstände sind so widrig, keine Nöte so groß, keine Prüfungen so hart, dass Jesus uns nicht hindurchbringen könnte. „Wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde. Lasst uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe“ (Hebr. 4, 15. 16).
Nahezu neunzehnhundert Jahre hat Er nun schon die Angelegenheiten Seines Volkes geführt. Wieviel Rufen und Schreien. in dieser langen Zeit zu Ihm emporgestiegen ist, wer vermöchte das zu sagen?“ Aber hat Er je das Schreien irgend eines der Seinen ungehört verhallen lassen? Hat je ein Kindlein zu Ihm gerufen, ohne dass Er es beachtet hätte? Nein, lange bevor wir zu Ihm riefen, sah Er schon unsere Gefahren und unsere Not, und wie hat Er geholfen, wie manchmal über Bitten und Verstehen getan!
Wohl haben wir deshalb Ursache, Ihm in allem zu vertrauen, Tag für Tag. Bald wird Er kommen, und dann wird Er selbst uns einführen in die ewigen Segnungen des Vaterhauses. Dann werden wir Ihn schauen von Angesicht zu Angesicht und „nie mehr hinausgehen“.
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In den Ebenen von Sittim
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 91ff
Wie ganz anders war der Zustand des Volkes Israel zur Zeit, da es in beschaulicher Ruhe in den Ebenen von Sittim lagerte, als an dem Tage, da es, seine Zehrung in Bündeln aus den Schultern tragend, das Land Ägypten verließ! Als das Licht der Freiheit dem Volke zum ersten mal ausging, da zog ein Heerlager von Pilgern Jehovas einer besseren Heimat zu, nach Kanaan, dem Lande, das von Milch und Honig floss. Vierzig Jahre später „lagerten sie sich in den Ebenen Moabs, jenseits des Jordan von Jericho“, und, überwältigt durch die Versuchungen, die sie von allen Seiten umgaben, sündigten sie gegen Gott.
Die Wüste, welche sie nach dem Verlassen Ägyptens durchschreiten mussten, warf sie in jeder Hinsicht auf Gott. In Bezug auf alles, was sie bedurften, waren sie von Gott abhängig. Ihre Speise erhielten sie vom Himmel. Morgen für Morgen fiel das Manna herab, und sie hatten nichts anderes zu tun, als es zu sammeln. Gott gab ihnen Wasser aus dem Kieselfelsen, damit sie in der Dürre der Wüste nicht verschmachteten, und Tag und Nacht war die Wolkensäule ihr Führer. In den Ebenen Moabs war das auch noch so. Noch immer fiel das Manna vom Himmel, noch immer strömten Jehovas Erbarmungen für sie, und Seine Wolke war da, hoch und herrlich wie immer. Aber daneben umgaben sie hier die Üppigkeit und der Reichtum jener fruchtbaren Ebenen. Von den Auen Sittims *) aus konnten sie die Berge und Städte des verheißenen Landes sehen.
Wir tun gut, die· Erfahrungen der Wüstenreise Israels, sei es im Anfang, sei es am Ende, auf uns anzuwenden. Wie schön war der Anfang, wie traurig das Ende! Ist es nicht bei den Christen häufig ebenso? Ernst redet die Tatsache zu uns, dass so wenige Gläubige ihre Tage mit dem Eifer beschließen, mit dem sie den Weg der Wahrheit begonnen haben. Im Anfang pries Israel Jehova wegen der wunderbaren Rettung durch Seine Hand. Herrlich erklang der Siegesgesang, den Er in ihren Mund gelegt hatte. Aber schon nicht lange nachher wurden sie ein murrendes Volk, wurden unzufrieden mit den Wegen Gottes, und schließlich, als das verheißene Land unmittelbar vor ihnen lag, als sie sich von ihrem Lagerplatz aus schon an seinem Anblick erfreuen konnten, da machten sie sich eins mit den Götzendienern Moabs und verderbten sich angesichts des Allerheiligsten.
Und doch war es Gott, der das Volk nach Sittim leitete, ebenso gut wie Er es an die Ufer des Roten Meeres gebracht hatte. Seine Wolke war es, die einen Lagerplatz, in den Ebenen Moabs für sie ausfindig machte, geradeso wie sie seiner Zeit einen Weg durch die tiefen Wasser des Meeres gebahnt hatte. Er war ihr Gott am Anfang wie am Ende ihrer Wanderung. Die vierzigjährige Wüstenreise war für sie eine lange, lange Zeit; für Ihn aber, der von Ewigkeit zu Ewigkeit ist, sind tausend Jahre wie der gestrige Tag, wenn er vergangen ist, und wie eine Nachtwache.
Für Israel waren diese Jahre reich an Wechselfällen und an Erprobungen aller Art. Große Ereignisse fanden innerhalb dieses Zeitraumes statt. So ist auch das Leben der Gläubigen von Ereignissen aller Art ausgefüllt. Es gibt beständig Prüfungen und Glaubensproben, aus denen wir einmal so, einmal so heraustreten. Sonnige Tage wechseln mit finsteren und trüben. Aber unser Gott bleibt derselbe. Er hat von sich selbst gesagt: „Ich, Jehova, ich verändere mich nicht“ (Mal. 3, 6). Bei Ihm ist „kein Schatten von Wechsel“.
Für die Völker, mit denen Jsrael in Berührung kam, bot das Volk am Ende der vierzig Jahre einen ganz anderen Anblick als am Anfang derselben. Im Anfang kaum mehr als ein gewaltiger Haufe entIaufener Sklaven, waren sie am Ende der vierzig Jahre ein Volk, das eine Stellung einnahm unter den Nomadenvölkern Sinais, ja, mehr als das, ein Volk, dessen zahlreiche Zelte und Löwenstärke die Nationen erzittern ließen. Gott hatte das Volks reich gesegnet, hatte aber auch zugelassen, dass sie das Wüstenleben in seiner ganzen Wirklichkeit während der vierzigjährigen Wanderung kennen lernten. Was hatte nun Israel in dieser langen Zeit gelernt? Ach! wenn wir das Volk in den Ebenen Sittims betrachten, so werden wir, wie bereits gesagt, an manchen Christen erinnert, der ein schlechter Schüler in der Schule des Lebens gewesen ist, der trotz einer jahrelangen Christenlaufbahn noch immer nicht seine eigene Hilflosigkeit und Unwürdigkeit erkannt hat, der noch immer nicht weiß, dass, wenn des Herrn Arm ihn nicht tagtäglich hält, er sicherlich in die Fallstricke Satans fallen wird.
Dass vor allem Zeiten äußeren Wohlergehens ernste Gefahren in ihrem Schoße bergen, das musste Israel erfahren, und wir Gläubigen nicht minder.
Vergleichen wir die Laufbahn des Christen noch ein wenig mit der Geschichte Israels. Wenn ein Mensch mit der Welt gebrochen hat und, wie das Volk am Roten Meere, den Lobgesang der Errettung und Befreiung anstimmt, so betrachtet die Welt ihn mit Verachtung. Er ist in ihren Augen ein törichter Abenteurer. Rühmt der Christ jubelnd: „Ich bin jetzt frei“, so sagt die Welt: „Der Mensch ist verrückt geworden“. Mit der Zeit findet sie sich aber mit der neuen Erscheinung ab, und der Christ wird mehr oder weniger von seiner Umgebung geduldet. Die Welt gewöhnt sich schließlich daran, dass auch wirkliche Christen auf der Erde leben, und rechnet damit, geradeso wie die Nationen, die mit Israel in Berührung kamen, mehr und mehr mit der zunehmenden Macht dieses merkwürdigen Volkes zu rechnen hatten. Hierin liegt aber eine Gefahr. Solang die Welt dem Christen mit offener Feindschaft begegnet, muss dieser notgedrungen seine Waffenrüstung tragen und gebrauchen. Aber die Ebenen Moabs bringen Versuchungen ganz anderer Art mit sich. Da treten an die Stelle von Not und Drangsal Bequemlichkeit und äußerer Friede, die Feindschaft der Welt nimmt ab, und nach und nach
spinnen sich Fäden zwischen dem Christen und der Welt. Unter solchen Umständen ergeht’s dann dem Gläubigen häufig so, wie einst dem Volke Israel in den Auen Sittims. Er verweichlicht! Die geistliche Kraft schwindet, die Waffen werden abgelegt, und was Widerstand und Feindschaft nicht gelungen ist, das bringt die Freundschaft der Welt mit ihren lockenden Verführungen zuwege.
Es ist für den Christen unendlich viel besser, die ganze Welt gegen und Gott für sich zu haben, als in äußerer Ruhe und Bequemlichkeit zu leben. Selbstgefälligkeit und Freundschaft mit den Feinden Gottes sind fast immer die schlimmen Folgen eines solchen Lebens. So war es mit Israel. Vergeblich waren alle Anstrengungen Balaks, des Königs von Moab, das Schwert gegen Israel zu erwecken, solang Gott dem Volke Seine Gunst zuwandte. Der eine Ausspruch Bileams enthält noch köstlichere Segnungen als der andere. Nur Schönheit und Herrlichkeit erblickte er in dem Volke, „keine Ungerechtigkeit in Israel und kein Unrecht in Jakob“, und als „das Gesicht des Allmächtigen“ ihn die späteren Schicksale Israels sehen ließ, „da mussten seine widerstrebenden Lippen dem Volk eine große Zukunft weissagen, und für sich selbst wünschte er: „Meine Seele sterbe den Tod der Rechtschaffenen, und mein Ende sei gleich dem ihrigen!“
Dieser Wunsch Bileams ist, beiläufig bemerkt, nicht in Erfüllung gegangen. Es nützt dem Menschen nichts, wenn er nur den Tod des Rechtschaffenen sterben will. Bileams Leben war ein Leben in Ungerechtigkeit. Er liebte den Lohn der Ungerechtigkeit, und als ein Sünder wurde er durch das Schwert des Rächers dahingerafft. Noch mancher Prophet dieser Welt hat von wahren Christen bezeugen müssen, dass es gut sei, so zu sterben, wie der Gerechte stirbt; der Christ aber weiß, dass es nötig ist, auch wie der Gerechte zu leben.
In den Ebenen Moabs führte Israel nicht das Leben von Gerechten. Das Volk verband sich mit den Midianitern und diente dem Baal. Aber unmöglich kann es eine Gemeinschaft; zwischen Licht und Finsternis, eine Verbindung zwischen Gott und Satan geben. Das Lager muss entweder auf der einen oder auf der anderen Seite aufgeschlagen werden. Entweder Gott oder Satan, Christus oder die Welt. Eine Verbindung des Volkes Gottes mit der Welt kann keine andere Folge haben, als ernstes Gericht über die Übertreter. So erwachte auch wider Israel das Schwert, und das Volk, das Bileam nicht hatte verfluchen dürfen, fiel unter göttliches Gericht.
Die Stellung des Christen ist unbezwingbar, solang er den Herrn zur Seite hat. Bückt er sich aber vor den Götzen der Welt, mögen diese heißen wie sie wollen: Geld, Vergnügen, Üppigkeit usw., so wird es ihm ergehen wie einst Israel, als der Zorn Jehovas wider das Volk entbrannte.
Hüten wir uns daher, teure Geschwister, vor den Verführungen der Ebenen von Sittim! Erschrecken wir vor jedem Hang zur Bequemlichkeit und Selbstgefälligkeit! Bewahren wir uns den Geist, der den wahren Pilger kennzeichnet und uns jede Verbindung mit der Welt fliehen lässt, damit nicht, angesichts der ewigen Hügel, das Schwert des göttlichen Gerichts sich noch ernster gegen uns wende, als es bereits geschehen ist! „Die Zeit ist gekommen, dass das Gericht Gottes anfange bei dem Hause Gottes“, schreibt Petrus an die „Fremdlinge“, und in dem Briefe an die Hebräer erinnert der Heilige Geist daran, dass „auch unser Gott ein verzehrendes Feuer ist“, ein eifernder Gott, ein Sinai an Heiligkeit. (Vergl. 5. Mose 4, 24; Ps. 68, 17). Was wollen wir demgegenüber tun? Mit dem Apostel Paulus ausrufen: Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige uns völlig; und unser ganzer Geist und Seele und Leib werde tadellos bewahrt bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus! (Vergl. 1. Thess. 5, 23.)
Fußnote:
*) Sittim heißt „Akazienaue“
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Die rote junge Kuh
Bibelstelle: 4. Mose 19
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 97ff
Das 4. Buch Muse ist das Buch der Wanderungen Israels, das Buch der Wüste mit ihren Schwierigkeiten, Versuchungen und Gefahren. Es handelt sich in ihm nicht um den Zugang zu Gott und um das Heiligtum mit seinen Forderungen, wie im 3. Buche, sondern um den Wandel des Volkes Gottes auf dieser Erde.
In Übereinstimmung damit finden wir in diesem Buche gar nichts von Opfern, von Versöhnung und Hinwegtun der Sünde. Die einzige Ausnahme bildet die Verordnung über die junge rote Kuh im 19. Kapitel; aber bei näherer Betrachtung werden wir sehen, dass diese Ausnahme nur das oben Gesagte bestätigt. Der Gegenstand, um den es sich handelt, ist nicht Schuld und in Verbindung damit die Frage, wie die Schuld hinweggetan werden kann, sondern Verunreinigung auf der Wüstenreise und die Entfernung derselben auf dem Gott wohlgefälIigen Wege. Was der große Versöhnungstag für das 3. Buch Mose ist, das ist die Darbringung der roten Kuh für das 4. Buch. Jede dieser Verordnungen ist kennzeichnend für das Buch, in welchem sie steht, und beide sind von tiefer vorbildlicher Bedeutung. Beide zeigen uns den Eifer und heiligen Ernst Gottes im Blick auf die Sünde. Belehrt uns 3. Mose 16 über die Weise, wie für Sünde und Schuld Sühnung getan und dem Schuldigen vergeben werden konnte, *) so enthält 4. Mose 19 die Vorsorge Gottes für die Verunreinigungen, denen wir auf dem Wege durch diese Welt ausgesetzt sind. In beiden Fällen haben wir es mit dem Heiligtum Gottes zu tun; an ihm wird gleichsam die Größe der Verschuldung oder Verunreinigung gemessen. Nichts Unreines ist in Gottes Gegenwart erlaubt. Gott sei Dank, dass wir wissen: unser großer Hohepriester ist mit Seinem eigenen Blute gekommen und ins Heiligtum eingegangen! Infolgedessen sind wir „ganz rein“ und haben, „einmal gereinigt“ und „auf immerdar vollkommen gemacht“, kein Gewissen mehr von Sünden; ja, wir dürfen mit Freimütigkeit ins Heiligtum selbst eintreten auf dem neuen, lebendigen Wege, den Jesus uns eingeweiht hat (Hebr. 10). Wir sind „gerechtfertigt durch Sein Blut“, mit Ihm „der Sünde gestorben“, ja, „Gottes Gerechtigkeit geworden in Ihm“. Wir leben nicht mehr uns selbst, sondern Gott.
Aber obwohl das alles so ist, bedürfen wir doch auf unserem Wege durch eine sündige Welt der fortwährenden Reinigung. Wir gehören dem Heiligtum Gottes an, befinden uns aber noch in der Welt, wenn wir auch nicht von ihr sind, und jede, Auch die leiseste, Berührung mit dem Bösen macht ein Heilmittel notwendig. Gerade die Tatsache, dass wir vor Gott gereinigt und von aller Schuld befreit sind, legt uns die ernste Verpflichtung auf, nun auch im praktischen täglichen Leben, das uns fortwährend in Gefahr bringt, mit dem Tode in Berührung zu kommen, uns frei zu erhalten von jeder Befleckung. Es handelt sich hier also nicht - ich wiederhole es - um Rechtfertigung, sondern um Reinigung, nicht um die Einführung in die Gemeinschaft Gottes, sondern um die Wiederherstellung derselben, wenn sie unterbrochen ist. Die Sünde verhindert diese Gemeinschaft, raubt uns die Freimütigkeit zum Eintritt ins Heiligtum, und ein Heilmittel ist nötig, um die Sünde und die dadurch bewirkte Verunreinigung zu entfernen und die Gemeinschaft wiederherzustellen.
Von diesem Heilmittel redet 4. Mose 19. Das Blut der roten jungen Kuh wurde von dem Priester siebenmal gegen das Zelt der Zusammenkunft, die vorbildliche Stätte der Gemeinschaft (nicht der Versöhnung) hin gesprengt, während am Versöhnungstage das Blut ins Heiligtum getragen und auf und vor den Sühndeckel im Allerheiligsten gesprengt wurde. Der Unterschied ist in die Augen fallend. Doch betrachten wir die ganze Verordnung etwas näher.
„Und Jehova redete zu Mose und zu Aaron. . . : Rede zu den Kindern Israel, dass sie dir eine rote junge Kuh bringen, ohne Fehl, an der kein Gebrechen, auf welche kein Joch gekommen ist; und ihr sollt sie Eleasar, dem Priester, geben, und er soll sie vor das Lager hinausführen, und man soll sie vor ihm schlachten“ (V. 1 — 3). Das Opfertier ist wie, immer ein Vorbild von Christo, hier indes in einer Weise, wie in der Schrift nicht sehr oft von Ihm die Rede ist. Die Kuh musste nicht nur den allen Opfern unerlässlichen Bedingungen: „ohne Fehl und Gebrechen“, genügen, es durfte auch kein Joch auf sie gekommen sein; das will sagen: sie stellt uns Christum als Den dar, der nicht nur ohne jegliche Sünde war, sondern der auch den Druck des Sündenjoches nie gekannt hat, der nie unter den Einfluss und die Macht der Sünde gekommen ist. Obwohl Er in GleichgestaIt des, Fleisches der Sünde durch eine Welt der Sünde schritt, blieb Er doch zu aller Zeit von ihr unberührt, stets Gott wohl annehmlich, vollkommen Ihm geweiht.
„Und Eleasar, der Priester, nehme von ihrem Blute mit seinem Finger und sprenge von ihrem Blute siebenmal gegen die Vorderseite des Zeltes der Zusammenkunft hin“ (V. 4). Wenn auch das Blut nicht ins Heiligtum gebracht wurde, so musste doch die Verbindung mit dem Opfer, das allein Sühnung zu tun vermag, und die Erinnerung daran aufrecht gehalten werden. Wo irgend der Gedanke an Sünde auftaucht, vermag das Blut allein Gottes Gerechtigkeit zu befriedigen. Das Sprengen des Blutes ist das beständige Zeugnis davon, dass das Opfer einmal geschehen ist, und es weist mich auf die volle Wirksamkeit des Opfers Christi hin, so oft ich vor Gott hintrete. Nachdem dann die Kuh samt Haut, Fleisch, Blut und Mist vor den Augen des Priesters verbrannt worden war, musste ein reiner Mann die Asche sammeln und sie außerhalb des Lagers an einen reinen Ort schütten, „und sie soll“, so lesen wir dann weiter, „für die Gemeinde der Kinder Israel aufbewahrt werden zum Wasser der Reinigung; es ist eine Entsündigung“. So ist auch Christus für das gerichtet worden, betreffs dessen wir leider stets in Gefahr sind sorglos zu sein. Aber mögen wir es auch oft leicht nehmen, Gott kann keine Sünde, keine Verunreinigung an Seinen Kindern dulden. Christus musste für alle die Verunreinigungen, mit denen wir uns auf dem Wege beflecken, leiden. Sie sind insofern gesühnt und hinweggetan; aber indem wir Sein bitteres Leiden dafür betrachten, müssen wir fühlen, wie schrecklich sie in Gottes Augen sind.
Die Entsündigung findet also statt, um die Gemeinschaft wiederherzustellen, wenn sie unterbrochen ist. Es handelt sich nicht um die Schaffung eines Verhältnisses, einer Beziehung zu Gott (das war für Israel am großen Versöhnungstage geschehen), sondern auf Grund des bestehenden Verhältnisses war der Israelit verpflichtet, sich auf dem Wege vor allem zu hüten, was die Heiligkeit, die der Wohnung Jehovas geziemte, irgendwie verletzen konnte, und er musste sich entsündigen, so oft irgend eine Verunreinigung stattgefunden hatte· Wer sich nicht entsündigte, verunreinigte die Wohnung Jehovas. (V. 13. 20). Das war der wichtige Punkt, und ist es im übertragenen Sinne auch heute für uns. Der wahre Maßstab, nach welchem alles beurteilt werden musste, war die Gegenwart Gottes in der Mitte der Gemeinde. Es handelte sich nicht um die Frage, ob das Gesetz, dies oder jenes verbot, sondern um die Fernhaltung bzw. Entfernung alles dessen, was mit dem Heiligtum unvereinbar war.
Wie ernst redet das zu unseren Herzen «und Gewissen! Auch für uns ist nicht die Frage entscheidend, ob Gott dieses oder jenes verboten hat, sondern ob es sich mit der Gegenwart des dreimal heiligen Gottes verträgt, der uns zuruft: „Seid heilig, denn ich bin heilig“. Alles was nicht in das untrügliche Licht dieser Gegenwart passt, wirkt verunreinigend auf uns und macht uns unpassend für die Gemeinschaft mit Gott. Während die Kinder Israel durch die Wüste pilgerten, waren sie in steter Gefahr, mit dem Tode in irgend einer Form in Berührung zu kommen, im Zelte, aus dem Felde, wo irgend sie sich aufhielten. Die Art der Berührung mochte je nach den Umständen verschieden sein, aber die Folgen waren immer die gleichen: Verunreinigung und Unterbrechung der Verbindung mit dem Heiligtum, ja, wenn nicht Entsündigung erfolgte, „Ausrottung aus der Mitte der Versammlung“ (V. 20).
Wer z. B. die Leiche irgend eines Menschen anrührte, war unrein sieben Tage. (V. 11.) Was musste geschehen? „Selbiger soll sich am dritten Tage damit (nämlich mit dem Reinigungswasser) entsündigen, und am siebenten Tage wird er rein sein; und wenn er sich nicht entsündigt am dritten Tage, so wird er am siebenten Tage nicht rein sein.“ Es war nicht erlaubt, sich unmittelbar nach der Verunreinigung, etwa am ersten Tage, zu entsündigen. Wir möchten vielleicht denken, eine solch rasche Erledigung der Angelegenheit wäre gerade das Richtige gewesen. Warum warten? Warum nicht sofort das Reinigungswasser anwenden? Alle diese gesetzlichen Verordnungen sind von tiefer, vorbildlicher Bedeutung für uns. Wenn wir uns, in geistlichem Sinne, in irgend einer Weise befleckt haben, wenn es irgend etwas gelungen ist, unsere Gemeinschaft mit Gott zu unterbrechen, so ist es von hervorragender Wichtigkeit, dass unsere Verfehlung uns zu tiefem und ernstem Bewusstsein kommt. Darauf weist der „dritte“ Tag deutlich hin.
Es genügt nicht, ein plötzliches Gefühl zu haben, dass man gesündigt hat. Damit· ist die Sache keineswegs erledigt. Der Israelit war gezwungen, bis zum dritten Tage unter dem Bewusstsein seiner Verunreinigung zu stehen. Das war eine schmerzliche Sache. Er musste die Tage sorgfältig zählen und bis zum dritten Tage warten; dann erst konnte das Reinigungswasser zum ersten Mal auf ihn gesprengt werden. Aber selbst dann trat er noch nicht aus der Stellung eines vor Gott Verunreinigten heraus. Wieder musste er vier Tage zählen, und erst wenn am „siebenten“ Tage die zweite Besprengung erfolgt war, konnte er als ein Reiner dem Heiligtum wieder nahen. Ein eiliges Anerkennen, dass ich gefehlt habe, ist kein Beweis von einer wahren Umkehr und Reue über die begangene Sünde.
Wir sehen das oft bei Kindern. Manches Kind ist von Natur schnell bereit, um Vergebung zu bitten oder auch einen Fehler zu bekennen. Aber man wird finden, dass die« Gefühle bei solchen Kindern meist nicht tief gehen; da wo wahres Erkennen und Bereuen vorhanden ist, dauert es gewöhnlich länger, bis das befreiende Wort über die Lippen kommt, aber dann erfolgt auch gewöhnlich ein offenes, ehrliches« Bekenntnis und eine wahre Wiederherstellung.
Selbstverständlich handelt es sich für uns nicht um so und so viele Tage, sondern um ein Verständnis über die Bedeutung derselben und um eine entsprechende Verwirklichung des Vorbildes; mit anderen Worten: es sollte genügend Zeit vergehen, um zu beweisen, dass ein wirkliches Gefühl über die Verfehlung vorhanden ist, ein tiefes Bewusstsein darüber, dass man Gott und Sein Heiligtum verunehrt hat. Jedes hastige Eilen in solchen Fällen beweist einen Mangel an den richtigen Gefühlen, wenn nicht gar ein völliges Fehlen derselben.
Es bedarf also zunächst eines wahren, tiefen Bewusstseins der Sünde angesichts der Gnade, die für die Sünde Vorkehrung getroffen hat; dann folgt am siebenten Tage die kostbare Verwirklichung der Gnade gegenüber der Sünde. Die beiden Besprengungen hatten also eine entgegengesetzte Bedeutung: die erste bekundete, dass die Sünde Schmach auf die Gnade gebracht hatte, die zweite, dass die Gnade dennoch über die Sünde zu triumphieren vermochte. Dass dies die Bedeutung ist, scheint aus dem Folgenden hervorzugehen: Die Asche der jungen Kuh drückt die Wirkung des verzehrenden Gerichts Gottes aus, wie es der Sünde wegen über den Herrn Jesus gekommen ist. Wie das Opfertier völlig zu Asche verbrannt wurde, so ist Christus für das verurteilt und gerichtet worden, worüber wir leider oft so leicht hinweggehen können und was für Gott doch so hassenswürdig ist. Unsere Sünden und Verunreinigungen brachten Ihm, dem fleckenlosen Opfer, das verzehrende Gericht von Seiten Gottes. Das „lebendige“ Wasser, welches auf die Asche gegossen und dann zur Entsündigung benutzt wurde, erinnert an die Wirksamkeit des Heiligen Geistes durch das Wort, „die den Zweck hat, uns erkennen zu lassen einerseits den Ernst der Verunreinigung und andererseits die Größe und Bitterkeit der Leiden, welche nötig waren, um für unsere Sünden Sühnung zu tun. Das ist der Weg, auf welchem wir zu einer tiefen Erkenntnis unserer Verschuldungen und zu den entsprechenden Gefühlen darüber vor Gott kommen. Gottes Auge unterscheidet und beurteilt die Regungen und Absichten unserer Herzen, und Er will, dass wir dasselbe tun und nicht nur die Taten, und selbst diese vielleicht noch oberflächlich, richten; anders kann von einer wahren Gemeinschaft mit Ihm keine Rede sein. Und möchten wir es nie vergessen: wir gelangen nicht so rasch wieder in die Gemeinschaft mit Gott zurück, wie wir sie verlieren!
Der Geist Gottes benutzt also die Asche, wenn wir in der Sprache des Vorbildes reden wollen, um durch die Erinnerung an die furchtbaren Kämpfe und Leiden unseres Herrn und an das, was diese verursachte, in uns eine heilige Furcht vor der Sünde und eine tiefe Verabscheuung derselben in allen ihren Formen wachzurufen. Beachten wir jedoch: diese Verabscheuung, so nötig und gut sie ist, ist noch nicht Gemeinschaft; sie führt erst dahin. Sie ist nicht mehr als die unerlässliche Verurteilung der Sünde in der Gegenwart der göttlichen Gnade, die Verwirklichung des dritten Tages. Daher ist die zweite Anwendung des Wassers am siebenten Tage so unbedingt notwendig. Erst wenn diese zweite Besprengung erfolgt ist, ist die Gemeinschaft wiederhergestellt.
Es ist oft gesagt worden und der ·vorliegende Fall beweist es wiederum, dass die Vollkommenheit der Gnade nicht etwa das Gefühl über Gottes Gerechtigkeit schwächt, sondern im Gegenteil diese Gerechtigkeit erst in ihrem ganzen Vollgewicht der Seele zum Bewusstsein bringt. Das Ergebnis des Ganzen ist, dass wir wachsen in der Erkenntnis Gottes, der sowohl Licht als Liebe ist.
Doch es gibt noch einige Punkte zu berühren, ehe wir den interessanten Gegenstand verlassen. Zunächst dies: Das Entsündigungswasser musste nicht nur dann angewandt werden, wenn ein Israelit mit einem Leichnam in unmittelbare Berührung gekommen, oder wenn der Tod in sein eigenes Zelt getreten war, sondern auch dann, wenn er auf freiem Felde, beim« Ackerbau z. B., einen Erschlagenen, das Gebein eines Menschen oder ein Grab angerührt hatte. Der erste Fall möchte für ernster gehalten werden als die letzten, aber das Ergebnis war dasselbe. So zeigt die gesetzliche, Verordnung, dass Gott von der geringsten Verunreinigung, der leisesten Berührung mit der Sünde Kenntnis nimmt. Wir sollten dasselbe tun, wenigstens wenn es sich um uns selbst handelt, und es nie mit der Sünde leicht nehmen. Wir sind berufen, uns „als Lebende aus den Toten“ Gott darzustellen; aber wie leicht und rasch erfolgt eine Verunreinigung, da der Tod (im geistlichen Sinne) uns von allen Seiten umgibt und wir unaufhörlich, in und außer dem Hause, bei der Arbeit, auf der Reise, der Gefahr einer Berührung mit der Sünde ausgesetzt sind! Mag auch „das Gebein eines Menschen“ oder gar „ein Grab“ als eine sehr geringfügige Sache erscheinen — alles, was verunreinigend wirkt, muss ernsteste Beachtung finden, und nur in Christo, unserem Herrn, kann ihm in einer der Heiligkeit Gottes entsprechenden Weise begegnet werden. Der Mensch mag von „Kleinigkeiten" reden, oder von Dingen, die im Umgang mit der Welt „unvermeidlich“ sind — Gott urteilt anders, und Er will, dass wir uns an ein zartes Unterscheidungsvermögen und an ein gründliches · Selbstgericht gewöhnen, nicht nur im Blick auf unser Tun, sondern auch auf all unser Reden und Denken, unsere Neigungen und Gewohnheiten. Nicht umsonst sagt der Schreiber des Hebräerbriefes: „Auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“. Der Herr schenke uns deshalb „geübte Sinne zur Unterscheidung des Guten sowohl als auch des Bösen“!
Zweitens sei auf die Folgen hingewiesen, welche der Tod eines Menschen für das ganze Zelt, in welchem er wohnte, nach sich zog. In allen anderen Fällen war die Verunreinigung nur persönlich, wenngleich sie auch auf andere übertragen werden konnte (V. 22), in diesem aber übertrug sie sich auf jeden, der ins Zelt trat, und auf „jedes offene Gefäß, auf dem kein festgebundener Deckel war“ (V. 15). Was haben wir daraus zu lernen?
Wenn im Zelte, d. h. in dem Kreise der Familie, der Tod Einkehr hält, mit anderen Worten, wenn ein Familienhaupt sich und den Seinigen Dinge erlaubt, die Gott missfallen, sagen wir z. B. leichtfertige Reden, weltliche Gewohnheiten, übles Nachreden, liebloses, unverträgliches Wesen und dergl., so werden alle, die in dem Kreise ,leben, davon beeinflusst, und jedes offene Gefäß wird verunreinigt werden. Die „Verunreinigung überträgt sich auf die ganze Umgebung, besonders auf die leicht empfänglichen Gemüter von Kindern und in ihrem Charakter noch nicht gefestigten Personen. Der Schaden ist unberechenbar. Wer kann sagen, wie viel auf Rechnung solcher Unachtsamkeit und· Nachlässigkeit zu setzen ist, wenn so manche Kinder gläubiger Eltern in die Welt gehen oder doch viele Jahre dem Herrn fern bleiben? Denken wir darum an den „Tod im Zelt“ und an die „offenen Gefäße“!
Schließlich noch ein Wort über die Art der Entsündigung. Wir lesen darüber: „Und man soll für den Unreinen von dem Staube des zur Entsündigung Verbrannten nehmen und lebendiges (fließendes) Wasser darauf tun in ein Gefäß; und ein reiner Mann soll Ysop nehmen und ihn ins Wasser tauchen, und soll auf das Zelt sprengen und auf alle Geräte und auf die Personen, die daselbst sind, und auf den, der das Gebein oder den Erschlagenen oder den Gestorbenen oder das Grab ungerührt hat“ (V. 17. 18). Dies musste, wie bereits bemerkt, zweimal, am dritten und am siebenten Tage, geschehen; dann erst war die Reinigung vollendet.
Was unter dem lebendigen Wasser zu verstehen ist, hörten wir schon. Es ist ein Bild des Wortes Gottes, das in der Kraft des Heiligen Geistes aus die verunreinigte Seele angewandt wird und sie so zu einer wahren Buße und Umkehr bringt, angesichts der Leiden ihres Herrn für ihre Sünde. Und dieses Wasser musste von einem reinen Manne gesprengt werden. Was will uns das sagen?
Wir sind berufen, auf dem Wege durch. eine Welt der Sünde und des Todes einer dem anderen zu dienen, einer dem anderen „die Füße zu waschen“, einander zurecht zu helfen, wenn wir gefehlt haben. Wir können das aber nur dann, wenn wir selbst rein sind, wenn nicht unser eigenes Gewissen seine anklagende Stimme erhebt. Wie könnten wir einen irrenden Mitpilger auf den rechten Weg zurückbringen, wenn wir selbst nicht darauf wandeln? Das ist ernst; ebenso ernst aber auch die Tatsache, dass der Israelit, welcher die Entsündigung vollzog, bis zum Abend des betreffenden Tages unrein war und, gleich dem zu Reinigenden, seine Kleider waschen musste (Vergl. V. 19 mit 21. 22). Erst dann war er wieder rein. Jede Beschäftigung mit der Sünde, selbst wenn sie aus Gehorsam gegen Gott und aus Liebe zu dem fehlenden Bruder oder der irrenden Schwester hervorgeht, wirkt verunreinigend; nicht in dem Maße wie bei der schuldigen Person, aber doch verunreinigend. Die Kleider müssen gewaschen werden. Haben wir daran wohl immer gedacht, wenn wir jenen Liebesdienst einander erwiesen haben? O was ist die Sünde in den Augen eines heiligen Gottes, und doch kann so mancher Gläubige damit spielen, als wenn sie etwas Unbedeutendes, Nebensächliches wäre! Vergiss es nie, meine Seele, dass dein Heiland zerschlagen, dass das Opfer „zu Asche verbrannt“ werden musste um deiner Sünde willen.
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Was ich mir wünschte *)
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 110ff
O die Friedensauen
möchte ich erschauen,
wo von Schuld und Sünden
nie mehr eine Spur zu finden!
O die Himmelshöhen,
könnte ich sie sehen,
wo den Glanz der Liebe
nie ein Hauch der Selbstsucht trübe!
O das Licht, das reine,
dass es mir erscheine,
dass aus tiefen Bronnen
strömten Himmelswonnen!
Dass der Heimat Ruhe
o so wohl mir tue,
Und —— dass Ihn ich sähe,
dass es bald geschähe!
Fußnote:
*) Von W. G. einem inzwischen Heimgegangenen. Das so sehnlich Erwünschte ist ihm, wohl noch eher als er es gedacht, zuteil geworden.
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Der Glaube
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 110ff
Der Glaube wird denen, die keinen Glauben haben, immer als Hochmut erscheinen; aber am Tage des Herrn wird es sich zeigen, dass gerade er, ja, er allein, demütig war, während alles, was nicht Glaube ist, sich als Hochmut erweisen wird. Der Glaube gibt zu, dass der, der ihn besitzt, nichts ist und in sich selbst
weder Kraft noch Weisheit hat, und er blickt deshalb zu Gott empor, während der Unglaube auf sich selbst vertraut und nach irdischen Hilfsquellen Umschau hält. Gott schenke uns, stark zu sein im Glauben und Ihm Ehre zu geben!
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Fragen aus dem Leserkreis
In Johannes 6, 39 sagt der Herr: „Dies aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich von allem, was er mir gegeben hat, nichts verliere, sondern es auferwecke am letzten Tag.“ Offenbar gilt dieses Wort Gläubigen; aber diese werden doch nicht erst am letzten (jüngsten) Tag auferweckt werden, sondern bei Seiner Wiederkehr. Wovon spricht der Herr hier also? Redet Er von dem letzten Tag im Sinn von 2. Timotheus 3, 1? Weiterhin sagt Martha in Johannes 11, 24, dass ihr Bruder Lazarus auferstehen werde, in der „Auferstehung am letzten Tag“. Denkt sie hierbei vielleicht an Daniel 12, 2?
Bibelstelle(n): Johannes 6, 39; 2. Timotheus 3, 1; Johannes 11, 24; Daniel 12, 2
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, S. 110
In der ersten Hälfte von Johannes 6 wird uns gezeigt, wie das Volk im Unglauben Jesus zum König machen wollte, nur um sich die daraus zu erwartenden irdischen Vorteile zu sichern. Sie suchten Jesus, weil sie von den Broten gegessen hatten und gesättigt worden waren (V. 26). An Gott und Seine Gnadenabsichten dachten sie nicht. Ob hoch oder niedrig, gelehrt oder ungelehrt, keiner hatte ein Gefühl über seine Sünden oder über das allgemeine Verderben. Einen Messias, der gekommen war, um sie von ihren Sünden zu erretten, wollten sie nicht. Dennoch wollte Gott Seine Gnadenratschlüsse ausführen, schenkte dem Volk in wunderbarer Gnade das „Brot des Lebens“ (V. 35) und zog die Einzelnen zu Jesus hin. Von allem, was der Vater dem Sohn gab, sollte dieser nichts verlieren, sondern es auferwecken am letzten Tag. Das will sagen: es handelte sich jetzt nicht mehr um Israel oder um den Messias, sondern um ewiges Leben und die Auferweckung in einer ganz neuen Ordnung der Dinge, in einer ganz anderen Welt des Segens.
Der Ausdruck „der letzte Tag“, den wir viermal in diesem Abschnitt finden, bezeichnet also nicht etwas den letzten oder jüngsten Tag überhaupt, sondern den letzten Tag des jüdischen Haushalts, in welchem der Messias kommen sollte und einmal kommen wird. Der Lauf der göttlichen Haushalte oder Verwaltungen ist durch die Verwerfung des Messias bei Seinem ersten Kommen unterbrochen worden und hat der Einführung himmlischer Dinge Raum gemacht. Alle nun, welche der Vater Jesus gibt, werden als Auferstandene die himmlische Segnung genießen, welche der Vater für sie bestimmt hat, und die das Werk des Sohnes ihnen zusichert. Wer den Sohn sah und an Ihn in Seiner Niedrigkeit glaubte, hatte ewiges Leben (V. 40). Es handelte sich also, wie gesagt, nicht länger um den Messias und die Erfüllung von Verheißungen, sondern um das ewige Leben und die Auferstehung.
Die „letzten Tage“ in 2. Timotheus 3, 1 sind die letzten schweren Zeiten des Christentums kurz vor dem Abfall, in denen wir bereits leben.
Martha erwartete die Auferstehung ihres Bruders in der Weise, wie alle rechtgläubigen Juden die Auferstehung erwarteten. Sie kannte Jesus noch nicht als „die Auferstehung und das Leben“ und hätte das, was sie sagte, von dem schlimmsten Feind Christi sagen können. An Daniel 12, 2 wird sie kaum gedacht haben. Diese Stelle redet wohl überhaupt nicht von den beiden Auferstehungen, wie manche meinen, sondern von dem Aufwachen Israels als Volk am Ende der Tage. Schon das Wort „Viele“ im Beginn des Verses spricht gegen jene Auffassung; denn bei der Auferstehung werden nicht nur viele aufwachen, sondern alle, die in den Gräbern sind, werden hervorkommen (vgl. Jes. 26, 19; Hes.37, 12ff).
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Fragen aus dem Leserkreis
Wenn der Herr kommt, um die Seinigen heimzuholen, dann ist doch für die Ungläubigen jede Hoffnung vorbei. Wie ist es nun zu erklären, dass man nachher noch von einer zahllosen Schar liest, die aus den Nationen gerettet wird, ganz abgesehen von dem Überrest aus Israel
Bibelstelle(n):
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, S. 112
Wenn der Herr kommt, wird allerdings für die Länder und Gegenden, wo die frohe Botschaft von Jesu bekannt war und die Menschen immer wieder eingeladen worden sind, zu kommen und sich versöhnen zu lassen mit Gott, die Tür der Gnade verschlossen werden. Gott selbst wird denen, welche die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen, sondern Wohlgefallen gefunden haben an der Ungerechtigkeit, „eine wirksame Kraft des Irrtums senden, dass sie der Lüge glauben“ (2. Thess. 2, 10 — 12). Für sie gibt es keine Hoffnung mehr. Gott lässt das Gericht der Verblendung und Verhärtung über sie kommen und schickt ihnen sogar irreführende Lehren, Lügen Satans. „Aus anderen Ländern, Völkern und Stämmen aber wird Gott neben dem Überrest aus Israel, ja, hauptsächlich wohl durch ihn, in der Zeit der großen Drangsal ein Volk sammeln, dessen Zahl niemand zählen kann. Im Vergleich mit ihnen und denen, die später im Tausendjährigen Reich errettet werden, sind die Gläubigen, welche die Braut des Lammes ausmachen, nur „eine gewisse Erstlingsfrucht“, einer kleinen Vorernte frühreifen Getreides vergleichbar, während die eigentliche Einsammlung, die Ernte, noch aussteht.
Gottes Gnade ist viel größer, als wir denken, und ihre Herrlichkeit wird sich in verschiedenen Kreisen, irdischen und himmlischen, zeitlichen und ewigen, entfalten.
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Die Ankunft und Erscheinung des Herrn
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 113ff
Die Wahrheit von der Ankunft des Herrn vor den Gerichten, die für die Gemeinde Christi von so ausschlaggebender Bedeutung ist, war in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr Gemeingut aller Gläubigen geworden. Selbst von den Kanzeln herab wurde sie hie und da verkündigt, und in vielen christlichen Blättern konnte man klare Zeugnisse von der kostbaren Hoffnung des Volkes Gottes lesen. Seit kurzem ist das leider wieder anders geworden· Der Weltkrieg mit seinen furchtbaren Erschütterungen und Folgeerscheinungen hat manche in ihrer Überzeugung wankend gemacht. Führende Männer haben durch Wort und Schrift öffentlich erklärt, dass sie sich getäuscht hätten, und dass die Gläubigen doch durch „die Stunde der Versuchung“ hindurch müssten, ja, dass diese bereits in ihren Anfängen da sei. Einige behaupten sogar, die ersten Siegel des Buches der Gerichte Gottes (Offbg. 6) seien bereits gebrochen, und die übrigen würden bald folgen; es sei falsch, eine Unterscheidung zwischen „Ankunft“ und „Erscheinung“ oder „Offenbarung“ des Herrn zu machen, dieselben seien gleichbedeutend und würden auch der Zeit nach zusammenfallen. Eine unsichtbare Entrückung der Gläubigen, dem Herrn entgegen in die Luft, sei nicht zu erwarten, ein Unterschied zwischen der Braut Christi und z. B. jener zahllosen Schar in Offbg. 7, die aus der „großen Drangsal“ kommt, bestehe nicht, die vierundzwanzig Ältesten in Offbg. 4 u. 5, seien nicht ein Bild der droben mit Christo vereinigten himmlischen Heiligen, im Gegensatz zu dem gläubigen Überrest aus Israel und unterschieden von den ins „Reich“ eingehenden Gläubigen, sondern stellten einfach die Seelen der entschlafenen Gläubigen dar usw., usw.
Im Nachstehenden soll nun nicht noch einmal die ganze Frage eingehend behandelt, sondern nur der Versuch gemacht werden, über einzelne strittige Punkte Klarheit zu schaffen und Steine aus dem Wege zu räumen, die immer wieder als Anstöße dienen. Zunächst denn ein Wort über die Verheißung des Herrn:
Ich komme wieder.
„In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, würde ich es euch gesagt haben, denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet“ (Joh. 14, 3).
So klang es in jener letzten, finstern Nacht aus dem Munde des scheidenden Herrn tröstend und ermunternd an die Ohren der Jünger. Sie hatten eine irdische Herrlichkeit, eine Erfüllung ihrer jüdischen Hoffnungen erwartet, und nun mussten sie vernehmen, dass der Herr von ihnen gehen und sie in einer feindseligen Welt zurücklassen würde, wo statt Freuden und Segnungen Leiden und Entbehrungen ihrer warteten. Ihre Herzen waren deshalb bestürzt, und Furcht erfüllte sie. Aber ihre Niedergeschlagenheit sollte ins Gegenteil verkehrt werden, ihre Trauer sich in Freude wandeln. Hatten sie die Ausrichtung des Königreiches Christi auf Erden erwartet, so sollten sie jetzt als Himmelsbürger in Beziehungen unendlich höherer Art eintreten, das Vaterhaus droben sollte seine Pforten vor ihnen erschließen. Jesus ging hin, um dort eine Stätte für sie zu bereiten; dann wollte Er wiederkommen und sie zu sich nehmen, damit sie da seien, wo Er jetzt ist. Der Gegenstand der Verheißung war also nicht ein gesegneter Platz im Reiche, eine bevorzugte Stellung mit dem Herrn als König Israels, sondern eine Stätte innigster Vertraulichkeit bei und mit Ihm (Vergl. Joh. 17, 24).
Wer nur ein klein wenig mit den neutestamentlichen Wahrheiten vertraut ist, weiß, dass sich mit der Bemerkung des Herrn als Messias ein gewaltiger Wechsel in Gottes Handlungen vollzog. Der Haushalt Israels ging zu Ende — der Messias wurde weggetan und hatte nichts. (Dan. 9, 26.) Indem Er vorläufig auf alle Seine Rechte als ,,Sohn Davids« verzichtete, wurde Er als „Menschensohn“ zur Rechten der Majestät Gottes erhöht und als ,,Haupt über alles« der Versammlung (Gemeinde) gegeben, die fortan den Gegenstand der Wege Gottes bildete, während Israel als Volk beiseite gesetzt wurde. (Matth. 27, 64; Eph. 1, 20 - 23.) Die „natürlichen Zweige“ (die Juden) wurden aus dem Ölbaum der Verheißung ausgebrochen, und Zweige aus einem „von Natur wilden Ölbaum“ (die Heiden) wurden an ihrer Statt in den edlen Ölbaum eingepfropft und „der Wurzel und Fettigkeit“ desselben mitteilhaftig«. Das wird so lange währen, „bis die Vollzahl der Nationen eingegangen sein wird“, dann wird Gott sich von neuem mit Israel beschäftigen und es „wiederum einpfropfen“ (Röm. 11).
Ein anderer Haushalt hat begonnen, „die Verwaltung der Gnade Gottes“, wie der Apostel Paulus sie nennt, die gekennzeichnet ist durch die Offenbarung des „Geheimnisses des Christus, das in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgetan worden ist“ (Eph. 3). Mit diesem Geheimnis: Christus und die Gemeinde, steht die Mitteilung des Herrn an Seine Jünger in Verbindung. Freilich konnte Er das Geheimnis selbst noch nicht enthüllen, weil Er noch nicht gestorben und auferstanden und infolge dessen der Heilige Geist noch nicht gekommen war, aber Er konnte von den neuen, mit dem Himmel und dem Vaterhause verbundenen Beziehungen reden. Der „letzte Adam“ konnte auf jenes wunderbare Heim hinweisen, welches der Vater für Ihn und Seine Braut bestimmt hatte, der „Erstgeborene vieler Brüder“ konnte von dem Hause reden, in welchem der Familie Gottes durch Seinen Hingang eine Stätte bereitet werden sollte. Er ging jetzt voraus, aber nicht ohne Seinen „Brüdern“, den „vielen Söhnen“, die Gott zur Herrlichkeit bringen wollte, zu sagen, dass Sein Hingang Seine Wiederkehr bedeute, mit anderen Worten, dass der erste die zweite bedinge; denn im Hause des Vaters sind viele Wohnungen, von dem Vaterherzen bestimmt nicht nur für den Sohn, sondern auch für alle, die der Vater Ihm aus der Welt gegeben hat. „Wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder“. Wie könnte das Haupt ohne den Leib, der Bräutigam ohne die Braut, der zweite Mensch ohne Sein Weib, der Erstgeborene ohne Seine Brüder für immer allein dort weilen? Wie könnte das Vaterherz befriedigt sein, solang nicht die ganze erlöste Kinderschar um Den, der sie erlöst hat, versammelt ist?
Es ist schier unbegreiflich, dass es Gläubige gibt, welche die klaren, wie man meint, gar nicht misszuverstehenden Worte des Herrn so auslegen, als rede Er „von dem persönlichen Heimgang der einzelnen Jünger“. Unwillkürlich fragt man sich: Haben jene Männer denn kein Verständnis von dem großen Wechsel in Gottes Wegen, von dem wir soeben gesprochen haben? Wissen sie nichts von dem göttlichen Ratschluss betreffs des zur Rechten der Majestät droben erhöhten Menschen Christus
Jesus und Seiner Braut? Ganz abgesehen von der Tatsache, dass die Schrift an keiner Stelle den Heim- gang eines Gläubigen als ein Kommen des Herrn zu ihm bezeichnet. Immer wieder spricht sie von einem „Hingehen“, von einem „Abscheiden, um bei Christo zu sein«, von einem Befehlen des Geistes in die Hände des zur Rechten Gottes weilenden Herrn. Ja, sie verbindet nirgendwo mit dem Heimgang des einzelnen Gläubigen den Gedanken ans Vaterhaus. Dass man oft in Briefen und Todesanzeigen von Entschlafenen redet, als seien sie ins Vaterhaus gegangen, ist bekannt, aber die Schrift redet nicht so. Der Räuber ging mit Jesu „ins Paradies“. Stephanus sah den Himmel geöffnet und ging „zu Jesu“, seinem Herrn. Paulus hatte Lust, abzuscheiden und „bei Christo“ zu sein. Die Entschlafenen sind ausheimisch von dem Leibe und „einheimisch bei dem Herrn“. Ins „Vaterhaus“ führt dereinst der Erstgeborene die Seinem Bilde gleichgestalteten „Brüder“; die „vielen Wohnungen“ werden von der Familie Gottes, von der Braut Christi gemeinsam mit dem Bräutigam bezogen, dann, wenn Geist und Leib wieder miteinander vereinigt sind und wir Jesum sehen werden, wie Er ist, wenn Gott uns vor Seiner Herrlichkeit darstellen wird mit Frohlocken (Jud. 24). Bis dahin währt der Zwischenzustand, das Weilen der Geister bei Jesu, das Warten mit und bei Ihm auf den Tag der Auferstehung. Eher kann von einem Kommen des Herrn, um die Seinigen zu sich zu nehmen, gar keine Rede sein. Wenn ein Gläubiger stirbt, so geht er zu Jesu, aber der Herr kommt nicht zu ihm. Ein solcher Gedanke ist der Schrift völlig fremd.
Die auf der Erde wohnen.
Die Wiederkunft Christi ist also die selige Hoffnung der Gläubigen des gegenwärtigen Zeitabschnittes. Aus der Welt erlöst, herausgenommen aus denen, „die auf der Erde wohnen“, werden sie ewig ihre Hütte im Himmel haben. Während über jene die Stunde der Versuchung, die große Drangsal der letzten Tage, kommen wird, werden sie vor dieser Stunde bewahrt werden. „Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast“, so wird der Gemeinde von Philadelphia zugerufen, „werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, welche auf der Erde wohnen“ (Offbg. 3, 10.) „Die, welche auf der Erde wohnen“, d. h. die hier ihre Heimat haben werden die Stunde der Versuchung über sich kommen sehen. Eine ganz bestimmte Klasse von Menschen wird in dem Buche der Offenbarung immer wieder so bezeichnet, zum Unterschiede von denen, welche anderswo beheimatet sind und sich von jener Klasse in Gesinnung und Tun völlig unterscheiden. So fordern im 6. Kapitel die Seelen unter dem Altar Gott auf, ihr Blut an denen zu rächen, die auf der Erde wohnen, also an ihren Mördern! Am Schlusse des 9. Kapitels wird ein dreifaches Wehe über die ausgesprochen, welche auf der Erde wohnen. Im 11. Kapitel freuen sich die auf der Erde wohnen über den Tod der beiden Zeugen Gottes, und senden einander Geschenke, weil diese zwei Propheten die quälten, welche auf der Erde wohnen. (V.10.) Im 13. Kapitel beten alle, die auf der Erde wohnen, das Tier an, welches die Hütte Gottes lästert und die, welche ihre Hütte in dem Himmel haben; nachher wird von ihnen gesagt, dass der falsche Prophet sie verführe usw. (V. 8. 12. 14; vergl. Kap. 17, 2. 8). Dass über diese Feinde Gottes die Stunde der Versuchung kommt, ist verständlich, aber ebenso verständlich, dass die, welche sich von ihnen getrennt halten, weil Gott sie von ihnen abgesondert und ihnen eine himmlische Stellung und Berufung gegeben hat, vor jener Stunde bewahrt bleiben.
Man sagt, Leidens- und Kreuzesscheu habe „die Vertreter der Entrückungslehre“ zu ihrer Meinung geleitet» Ich weiß nicht, ob sie oder die anderen mehr leidensscheu sind, aber das Eine weiß ich: Wenn das Wort Gottes mir bestimmt erklärt, dass die Stunde der Versuchung über die kommt, welche auf der Erde wohnen, und mir zugleich ganz genau Auskunft darüber gibt, was für Leute das sind, so kann es sich für mich nicht mehr um sogenannte „Lehrmeinungen“ handeln, sondern einfach um die Frage, ob ich mich dem Worte Gottes unterwerfen will oder nicht. Verschiedene Meinungen kann es da geben, wo es Gott nicht gefallen hat, in völlig unzweideutiger Form uns Seine Gedanken mitzuteilen; wo das aber geschehen ist, können Meinungsverschiedenheiten doch nur auf dem Boden der Voreingenommenheit oder des Eigenwillens erwachsen.
Alle die, welche heute schon ihr Bürgerrecht in den Himmeln haben, deren Herzen der Herr auf die vielen Wohnungen im Vaterhause lenkt, werden ebenso wenig in die Stunde der Versuchung hineinkommen, wie der Tag des Zorns über sie hereinbrechen wird als ein Dieb. Sie mögen wohl zur Bewährung ihres Glaubens »in mancherlei Versuchungen fallen« (Jak. 1, 2. 3), das Feuer der Verfolgung mag unter ihnen entbrennen und „ihnen zur· Versuchung geschehen“ (1..Petr. 4, 12), sie mögen Leiden und Drangsale aller Art zu erdulden haben (2. Thess. 1, 4. 5; Phil. 1, 29 u. a. St.), aber in die Stunde der Versuchung kommen sie nicht. Sie erwarten Jesum aus den Himmeln, der sie errettet von dem kommenden Zorn (1. Thess. 1, 10). Die Ankunft des Herrn wird vorher geschehen, um sie vor jener Stunde zu bewahren. Die Gemeinde wird der Erde, dem Schauplatz dieser Versuchung, entrückt sein. Ganz anders ist es mit dem Überrest Israels. Er wird durch diese Stunde gehen und „an seiner Stätte“ in der Wüste bewahrt und ernährt werden, wenn die Wut des Drachen ihren Höhepunkt erreicht hat. (Offbg. 12.) Er wird aufgefordert, „sich einen kleinen Augenblick zu verbergen, bis der Zorn vorübergehe“ (Jes. 26, 20. 21.) Dennoch kommt diese Stunde auch nicht eigentlich über ihn, sondern, wie gesagt, über die, welche auf der Erde wohnen.
Diese Stunde hat nicht etwa den Zweck, die Menschen von Fehltritten zu überführen oder gar sie zu bessern, sondern ist der letzte gewaltige, wenn auch vergebliche Mahnruf Gottes zur Buße. Denn während heute viele diesem Rufe folgen. und Gnade finden, werden dann die Bewohner der christlichen Länder, welche die so oftmals und dringend wiederholten Mahnungen der Boten des Evangeliums endgültig verworfen haben, nicht Buße tun, sondern sich verhärten und Gott lästern (Offbg. 9, 20. 21; 16, 9). Ja, Gott selbst wird ihnen schließlich „eine wirksame Kraft des Irrtums senden, dass sie der Lüge glauben“ (2. Thess. 2, 11). Das Gericht der Verhärtung kommt über sie, wie einst über den Pharao. „Der Tag des Zornes“ bricht mit vernichtender Gewalt über sie herein. „Der Überrest aber wird umkehren, der Überrest Jakobs zu dem starken Gott“ (Jes. 10, 21). Zu gleicher Zeit wird durch die Predigt des „Evangeliums des Reiches“ eine große Menge aus den Völkern errettet werden, die bis dahin nicht mit Christo in Verbindung standen. Wie weit die Gnade Gottes sich dann erstrecken wird, entzieht sich unserer Beurteilung; jedenfalls aber ist da, wo man die Wahrheit so viele Jahrhunderte gekannt, ihr aber ,,nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gefunden hat an der Ungerechtigkeit, die Tür der Gnade für immer verschlossen und jede Hoffnung dahin.
Einer der stärksten Beweise für die Wahrheit von der Ankunft Christi für die Seinigen vor den Gerichten sind bekanntlich
Die vierundzwanzig Ältesten in Offenbarung 4.
Diese vierundzwanzig Priesterkönige, die mit dem Lamm auf Thronen sitzen und in vollkommener Ruhe Gott und das Lamm anbeten, die Gebete der dann auf Erden durch schwere Drangsale gehenden Heiligen fürbittend vor Gott bringen, in Gottes geheimste Gedanken eingeweiht sind und das neue Lied singen, sind, wie allgemein anerkannt wird, weder Engelfürsten, noch Engel (diese erscheinen neben ihnen, in weitem Umkreise sie umgebend), aber auch nicht Seelen der Entschlafenen, wie manche meinen, sondern erlöste, in die Herrlichkeit versetzte Menschen. Es sind die symbolischen Vertreter der himmlischen Heiligen, die Häupter der gesamten priesterlichen Familie Gottes, die im Himmel erscheinen, ehe der wahre Salomo Sein Friedensreich auf Erden aufrichten kann, genauso wie im Alten Bunde David die vierundzwanzig Priester- und Sängerabteilungen mit ihren Häuptern einrichtete, als er die Säuberung des Reiches von allen feinen Feinden nahezu vollendet hatte und die Ausrichtung des Friedensreiches Salomos bevorstand (1. Chron. 24 und 25). Die symbolische Zahl 24 weist zunächst mit Bestimmtheit auf die Gesamtheit der himmlischen Heiligen hin, vielleicht im weiteren Sinne auch auf ihre Zusammensetzung (2)(12) aus den Gläubigen des Alten und des Neuen Testaments.
Über den letzgenannten Punkt mögen die Meinungen auseinandergehen, über den ersten kann kaum eine Meinungsverschiedenheit bestehen. Was zunächst ,die Vorstellung betrifft, es handle sich hier um die Seelen der entschlafenen Gläubigen, so möchte ich daraus erwidern, dass wir nirgendwo sonst in der Schrift dem Gedanken begegnen, dass Seelen auf Thronen sitzen und Kronen tragen. Wer das tut, hat den Zustand der Vollendung erreicht. Im 6. Kapitel ist von Seelen die Rede, auch im 4. Verse des 20. Kapitels, aber wie verschieden ist die Sprache im Vergleich mit der vorliegenden Stelle! Weiterhin ist es unmöglich, dass die Seelen im Paradiese droben jemals eine vollständige Körperschaft, eine Vollzahl bilden oder darstellen können, wie die vierundzwanzig Ältesten das tun. Denn die Zahl 24 muss notwendigerweise eine abgeschlossene Zahl ausdrücken, zu der nichts mehr hinzugefügt werden kann, geradeso wie die Zahl 144000 das tut im Blick auf die Erlösten aus Israel, den gläubigen Überrest. Beide Zahlen sind selbstverständlich von symbolischer Bedeutung, aber sie können unmöglich eine sich fortwährend verändernde Menge bezeichnen. Solang aber der Herr nicht gekommen ist und Sein himmlisches Volk heimgeholt hat, verändert sich die Zahl der Entschlafenen unaufhörlich; zugleich befindet sich ein Teil der Gemeinde notwendig noch auf der Erde. Wenn also die 24 Ältesten himmlische Heilige vorstellen, was wohl von keinem einsichtigen Schriftforscher bestritten werden wird, so kann es sich nur um deren Vollzahl handeln. Ist aber die Vollzahl droben versammelt, so ist der Herr gekommen und hat die Seinigen heimgeholt.
Der Einwurf, die Offenbarung erwähne nichts von der Entrückung der Erlösten in den Himmel, ist hinfällig, da dieses Buch überhaupt nichts von den- besonderen Segnungen der Gemeinde und den Gnadenhandlungen Gottes mit ihr erwähnt. Es ist vornehmlich ein Buch der Gerichte und Wege Gottes mit dieser Erde und den Menschen auf ihr. Daher wird die Gemeinde hienieden auch nur in ihrer Verantwortlichkeit als bekennende Körperschaft gesehen und als solche gerichtet. (Kap. 2 und 3). In dem vorletzten Sendschreiben (an Philadelphia) kündigt der Herr sich an als der bald Kommende, der die Überwinder bewahren will vor der Stunde der Versuchung, in dem letzten (an Laodicäa) droht Er mit dem Ausspeien aus Seinem Munde. Im 4. Kapitel hat Er Seine Verheißung: „Ich komme bald!“ wahr gemacht, ohne dass uns gesagt würde, wie das geschehen ist. Etwas Ähnliches finden wir im 20. und 21. Kapitel unseres Buches. Am Ende des 20. wird in gedrängter Kürze von dem Tausendjährigen Reich berichtet, sowie von dem Endgericht über Satan und seine Heere, dem sich das Gericht der „Toten“ vor dem großen weißen Throne anschließt, und im 21. Kapitel finden wir auf der neuen Erde neben der Hütte Gottes, dem himmlischen Jerusalem, Menschen, das Volk Gottes. Ohne Zweifel sind es alle die Erlösten, die von der alten Erde auf die neue versetzt worden sind. Wie sie aber dahin gekommen sind, (sie müssen zu dem Zweck verwandelt worden sein,) wird nicht erzählt. Sie sind eben da, wie im 4. Kapitel die vierundzwanzig Ältesten.
Diese Vertreter der himmlischen Heiligen befinden sich also im Himmel, im Besitz ihrer Segnungen, bevor die Stunde der Versuchung über die Erde kommt. Es ist im ganzen Buche der Offenbarung nach dem 3. Kapitel keine Spur mehr von der Versammlung (Gemeinde) auf der Erde zu finden, die Versammlung oder Versammlungen werden gar nicht mehr genannt, mit Ausnahme in der Ermahnung am Ende des Buches, nachdem der prophetische Teil desselben geschlossen ist. Dagegen wird uns berichtet, dass Gott in der Zeit der Gerichte an Juden und Heiden (oder Nationen) auf Erden wirkt. Ferner verschwinden im 19. Kapitel die Ältesten, nachdem sie im Anfang des Kapitels noch einmal als Anbeter Gottes in Verbindung mit dem Gericht über die große Hure (die abtrünnige Kirche) eingeführt
sind, um der Braut, dem Weibe des Lammes, wie sie nunmehr genannt wird,*) Platz zu machen. Sobald der Menschensohn sich anschickt, Seine Herrschaft und Seinen Besitz anzutreten, darf Sein Weib nicht an Seiner Seite fehlen. So wird denn die Vermählung vollzogen, die Hochzeit gefeiert und die Braut als solche in ihre vollen Rechte eingeführt. Nachdem das geschehen ist, (nicht eher,) kommt der Herr mit ihr aus dem Himmel, bereit, „die Nationen mit eiserner Rute zu weiden und die Kelter des Weines des Grimmes Gottes, des Allmächtigen, zu treten“ (V. 15). Berufen, mit Ihm zu richten, erscheint die Braut unter dem Bilde von Kriegsheeren, die auf weißen Pferden sitzen und mit weißer feiner Leinwand (Byssus) bekleidet sind, d. h. mit dem Kleide, das der Braut als Hochzeitsgewand gegeben wurde (Vergl. V. 8).
Dann wird sich das Wort erfüllen, das der Apostel einst den Kolossern schrieb: „Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart (nicht einfach: „wiederkommen“) wird, dann werdet auch ihr mit Ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit“ (nicht: „dann werde ich euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet“) (Kol. 3, 4). Oder jenes andere Wort: „Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, dass, wenn es offenbar (oder: wenn Er geoffenbart) werden wird, wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen wie Er ist“ (1.Joh. 3, 2). Bei dieser „Offenbarung des Herrn Jesus vom Himmel, . . . wenn Er Vergeltung gibt denen, die Gott nicht kennen, und denen, die dem Evangelium . . . nicht gehorchen“, wird Gott „verherrlicht werden in Seinen Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben“ (2. Thess. 1, 6 —10). Es ist, mit einem Wort, die allen sichtbare Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus, die „Ankunft Jesu mit allen Seinen Heiligen“, Sein Kommen in Macht und Herrlichkeit.
Damit kommen wir zu dem bedeutungsvollen, aber ebenfalls viel umstrittenen Wort des Apostels in 1.Thess. 4, 14: „Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, also wird auch Gott die durch Jesum Entschlafenen mit Ihm bringen“.
Das Versammeltwerden der Gläubigen zu Jesu hin.
Als Gott unseren Herrn Jesus auferweckt hatte, ließ Er Ihn nicht mehr dem ganzen Volke sichtbar werden, sondern nur den von Ihm zuvor erwählten Zeugen (Apstgsch. 10, 40. 41). Außer ihnen hat kein Mensch Ihn gesehen. Die Welt wird Ihn auch nicht wiedersehen, bis Er „in Herrlichkeit erscheinen“ und „kommen wird mit den Wolken des Himmels“. Dann wird jedes Auge Ihn sehen, auch die Ihn durchstochen haben (Offenbg. 1, 7). Bis dahin ist Er „verborgen in Gott“. Nur das Auge des Glaubens sieht Ihn jetzt mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt zur Rechten Gottes. Aber Gott wird Seinen Erstgeborenen wieder in den Erdkreis einführen, und wenn Er das tut, werden alle, die in Tod und Auferstehung mit Ihm verbunden sind, die unaufIöslich zu Ihm, dem Haupte der neuen Schöpfung, gehören, mit Ihm kommen. So groß ist die Kraft des Lebens Christi, und so herrlich Sein Sieg über den Tod. Gott wird sie „mit Ihm bringen“, mit Ihm, dem Sieger über Sünde, Tod und Grab.
Die Thessalonicher glaubten das, wenngleich ihre Begriffe und Vorstellungen darüber offenbar noch sehr unklar waren. Sie wussten nur, dass der Sohn Gottes vom Himmel zurückkehren, und sie dann mit Ihm vor aller Welt verherrlicht dastehen sollten. Aber nun waren etliche aus ihrer Mitte gestorben, „durch Jesum entschlafen“, wie der Apostel sich ausdrückt (Vergl. 1. Kor. 15, 20). Über sie waren sie in Sorge. Würden sie nicht einen Verlust erleiden? Der Apostel erklärt ihnen nun vermittelst einer neuen Offenbarung, — sie waren bis dahin ,,unkundig« gewesen betreffs dieses Punktes, —-
dass sie, die Lebenden, die bis zur Ankunft des Herrn übrigzubleiben erwarteten, vor den Entschlafenen keinerlei Vorzug haben würden; denn Gott würde diese genauso wie sie mit Jesu bringen," indem der Herr vorher wiederkommen würde, um die einen wie die anderen zu sich aufzunehmen“. Nicht nur sie, sondern auch die inzwischen Entschlafenen würden ungeschmälert der herrlichen Folgen des Sieges Christi teilhaftig werden. Der Apostel leitet daher seine Mitteilungen mit einem begründenden „Denn“ ein. „Denn dieses sagen wir euch im Worte des Herrn usw.“ Über diese Mitteilungen möchte ich mich hier indes nicht weiter verbreiten, da es an anderer Stelle wiederholt eingehend geschehen ist.
Nur noch ein Wort über eine eigentümliche, ebenfalls in neuerer Zeit aufgetauchte Ansicht, dass der Ausdruck: „Gott wird die durch Jesum Entschlafenen mit Ihm bringen“, auf die Einführung der Gläubigen mit Christo ins Vaterhaus zu beziehen sei. Indem man die Wiederkunft des Herrn für die Seinigen vor den Gerichten durchaus nicht annehmen will, kommt man dazu, dem Worte Gottes geradezu Gewalt anzutun. In beiden Thessalonicherbriefen, wie überhaupt im ganzen Neuen Testament, wird von der „Ankunft“ oder „Erscheinung“ des Herrn stets in dem Sinne gesprochen, dass Er vom Himmel kommt, sei es auf die Erde, oder in die Luft, um den Seinen zu begegnen, niemals aber in dem Sinne Seines Hingehens zum Vater. Wie nun sollte diese Stelle, wo in ganz besonderer Weise Seine Ankunft in Frage steht, eine Ausnahme bilden? Überdies redet die Schrift wohl an mehreren Stellen davon, dass der Herr die Seinen dem Vater zuführt, ins Vaterhaus bringt, auch das: der Vater den Sohn auf diese Erde sendet, wieder in den Erdkreis einführt, niemals· aber spricht sie in umgekehrtem Sinne, dass der Vater den Sohn ins Vaterhaus bringe.
Ist es nicht betrübend, dass selbst Gläubige, die Jesum zu lieben bekennen und vielleicht eifrig für Ihn tätig sind, sich auf alle Weise bemühen, dem Volke Gottes den größten Trost im Leid und zugleich den stärksten Antrieb zu einem Gott wohlgefälligen Leben und Wandel zu rauben? Denn das ist gewiss, dass nichts so sehr imstande ist, ein niedergebeugtes, verwundetes Herz zu trösten, Glauben und Vertrauen zu beleben, zum Ausharren zu ermuntern und zugleich von der Welt und all ihrem Wesen abzusondern, wie die tägliche, lebendige Erwartung des Herrn. Dass man sie bekennen, ja, geläufig von ihr reden kann, ohne ihre Kraft zu verwirklichen, ist wahr und leider keine seltene Erscheinung; aber da, wo sie wirklich im Herzen lebt, wird sie ihre gesegneten Wirkungen niemals verfehlen, während der Gedanke, dass erst noch viele Dinge geschehen müssen, ehe Er kommen· kann, gleichviel ob sie Freude oder Leid für uns bedeuten, lähmend und niederdrückend auf uns wirken muss.
Fußnote:
*) Die Anstrengungen, die gemacht werden, um den einfachen Sinn dieser Stelle zu verdunkeln, sind ebenso bedauerlich wie vergeblich. Man hat behauptet, das griechische Wort müsse übersetzt werden: »bewahren in«, oder gar „bewahren durch-hindurch“, aber die griechische Sprache vermöchte das klar und unzweideutig auszudrücken, wenn die Absicht vorläge. Diese liegt aber eben nicht vor. Die Verbindung des Zeit- Worts mit dem Vorwort kommt im Neuen Testament nur noch einmal vor, und zwar in Joh.17, 15, wo alle Übersetzer den Ausdruck ohne Zögern mit „bewahren vor“ wiedergeben. Wenn er dort den Sinn hat, wie allgemein zugegeben wird, warum nicht in Offbg. 3, 10?
**) Sie empfängt nicht eher ganz diesen Platz, als bis ihr schreckliches Gegenbild auf der Erde, die Hure, gerichtet und beseitigt ist.
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Die Töchter Zelophchads
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 130ff
Die Töchter Zelophchads werden nicht weniger als fünfmal in der biblischen Geschichte genannt (4.Mose 26, 33; 27, 1 -11; 36, 2 - 12; Josua 17, 3-—6; 1. Chron. 7, 15), Beweis genug von der Wichtigkeit des Platzes, den sie in Gottes Gedanken einnehmen. Keiner ihrer Namen ist vergessen. Sie heißen Machla, Noa, Chogla, Milka und Tirza. Besonders interessante Einzelheiten über sie werden in 4. Mose 27 berichtet. Zunächst verdient da die Anerkennung der Tatsache aus ihrem Munde Erwähnung, dass ihre Lage eine regelwidrige sei. War sie eine Folge der Sünde ihres Vaters? Obwohl dieser nicht unter der Rotte derer gewesen war, die sich mit Korah wider Jehova zusammegerottet hatten, war er doch „in der Wüste gestorben", war, wie die übrigen Israeliten, „in seiner Sünde gestorben“, und zwar ohne Söhne zu hinterlassen (V. 3). Aber sollte deswegen der Name ihres Vaters abgeschnitten werden aus der .Mitte seines Geschlechts? Nein, im Herzen der fünf Töchter lebte der Wunsch, das; dieser Name erhalten bliebe; als wahre Töchter Israels hielten sie auf ihr Geschlechtsregister und infolge dessen auf ihr Erbteil.“
Jehova wartete darauf, dass sie zur Ordnung ihrer Angelegenheit ihr Anliegen vor Ihn bringen würden. (Vergl. 4. Mose 26, 33 mit Kap. 27, 2). Und Er antwortete ihnen, als sie „vor Mose und vor Eleasar, den Priester, traten und vor die Fürsten und die ganze Gemeinde an den Eingang des Zeltes der Zusammenkunft“ (V. 2), und als „Mose ihre Rechtssache vor Jehova brachte“(V. 5), mit den Worten: „Die Töchter Zelophchads reden recht“. So oft sich Eifer findet, um die göttlichen Segnungen und Verheißungen sich zu eigen zu machen, kann man darauf rechnen, dass von seiten Gottes eine Antwort erfolgt. Aber Jehova gab diesen Frauen weit mehr, als was sie erbeten hatten. Er ließ das Erbteil ihres Vaters auf sie übergehen und fügte Seinem Gesetz eine aus vier Punkten bestehende Klause! hinzu. Diese schwachen Frauen gaben also Anlass zu einer neuen „Rechtssatzung für die Kinder Israel“.
„Und zu den Kindern Israel“, sprach Jehova, „sollst du reden und sprechen“: 1. Wenn ein Mann stirbt und keinen Sohn hat, so sollt ihr sein ·Erbteil auf seine Tochter übergehen lassen. 2. Und wenn er keine Tochter hat, so sollt ihr sein Erbteil seinen Brüdern geben. 3. Und wenn er keine Brüder hat, so sollt ihr sein Erbteil den Brüdern seines Vaters geben. 4. Und wenn sein Vater keine Brüder hat, so sollt ihr sein Erbteil feinem Blutsverwandten geben, dem ihm am nächsten stehenden aus seinem Geschlecht, dass er es erbe“ (V. 8 - 11.) Im Gegensatz zu den durch das Gesetz, bestimmten Regeln erlässt Gott hier also eine besondere Kundgebung als Antwort auf einen Wunsch, den einige Töchter Israels geäußert hatten. Dieser Wunsch fand Seine Billigung, und so wurde ein Gesetz geschaffen, das sie zur Besitzergreifung ihres Erbteils berechtigte.
In 4. Mose 27 bringen die Töchter Zelophchads, wie wir gesehen haben, selbst ihre Bitte vor Jehova. Im 36. Kapitel desselben Buches wird der ganze Stamm Manasse dem diese Frauen angehörten, durch ihren Eifer mit fortgerissen, so dass« er als ihr Fürsprecher vor Mose und die Fürsten tritt. Der Hohepriester, welcher als Vermittler vor dem Zelte der Zusammenkunft für sie hätte tätig sein können, wird gar nicht erwähnt. Manasse selbst ist Fürsprecher geworden zu Gunsten der Töchter seines Volkes. Er wacht ebenso eifersüchtig darüber, dass sein Erbbesitztum ihm unverftümmelt verbleibe, wie die Töchter Zelophchads darauf bedacht gewesen waren, es zu besitzen. Mit Wohlgefallen erkennt Jehova an, wie rechtmäßig der Wunsch Manasses ist. Er erklärt: „Der Stamm der Kinder Joseph redet recht“ (V. 5), geradeso wie Er im 27. Kapitel gesagt hatte, dass die Töchter Zelophchads recht redeten. Darauf gibt Er eine neue Offenbarung zur Regelung der Ehen in Verbindung mit deren Erbteil, denn Manasse bestand darauf, sich auch nicht das geringste Stück von dem ihm zugefallenen Erbe nehmen zu lassen. Andere hätten dadurch, dass sie sich aus die natürlichen Rechte der Ehe. -— einer Einrichtung, die schon im Anfang durch Gott bestätigt worden war — beriefen, sich eines Teiles bemächtigen können, aber eine solch unrechtmäßige Besitzergreifung konnte nicht nach den Gedanken Jehovas sein. Nachdem nun die Söhne« Josephs ihr Begehr geäußert haben, gibt Gott der Einrichtung der Ehe Seine volle Bestätigung unter der Bedingung, dass sie innerhalb der Grenzen des Stammes geschlossen werde (V. 6 - 9).
Liegen die Verhältnisse betreffs der Eheschließungen für uns Christen nicht ähnlich? Die Ehen müssen innerhalb »der Familie Gottes, im Bereich" des Glaubens, geschlossen werden, wenn nicht sehr schnell große Unordnung in der Gemeinde einreißen und sie ihr Anteil an dem himmlischen Erbe verlieren oder doch sich verringern sehen soll. Dieses sollte ihr aber niemals entzogen werden, und in andere Hände kann es nicht übergehen. Jede Verbindung Einzelner mit solchen, die draußen sind, ist ein Verlust für das Ganze; es wird, je· nach dem Maße diese Verbindungen stattfinden, um den Genuss wenigstens eines Teiles seines Erbes gebracht.
Gottes Antwort aus die Bitte Manasses lautet folgendermaßen: „Jede Tochter, die ein Erbteil aus den Stämmen der Kinder Israel besitzt, soll einem aus dem Geschlecht des Stammes ihres Vaters zum Weibe werden, damit die Kinder Israel ein jeder das Erbteil seiner Väter besitzen, und nicht „ein Erbteil von einem Stamme“ auf einen anderen Stamm übergehe. Denn die Stämme der Kinder Israel sollen ein jeder seinem Erbteil anhangen“ (V. 8 u. 9). Aus diese Weise schaffte Gott aus einem Einzelfalle einen allgemeinen Grundsatz, der sofort bindende Kraft erhielt. „So wie Jehova dem Mose geboten hatte, also taten die Töchter Zelophchads.“ (V. 10.) Sie selbst sahen die Offenbarung, welche ihnen geworden war, und die» ihrem besonderen Bedürfnis entsprach, als ein Gebot Jehovas an.
In Jos. 17, 3 begegnen wir den Töchtern Zelophchads wieder. Hier treten sie abermals vor Eleasar, den Priester, vor Josua, den Sohn Nuns, und vor die Fürsten. Den Anweisungen Jehovas gemäß hatten sie sich inzwischen mit den Söhnen ihrer Oheime verehelicht. (Siehe 4. Mose 36, 11.) Hier fordern sie ihr Erbteil. ,,Jehova hat Mose geboten, uns ein Erbteil zu geben unter unseren Brüdern«, sprechen sie, indem sie sich einzig und allein auf das Wort Gottes stützen. Das genügt ihnen, um alles zu regeln, selbst in einem Falle, der über den Rahmen des Gesetzes hinausging. Aber weit mehr noch. Ihr Glaube und ihr Vertrauen auf das ,,Gebot Jehovas an Muse« hatte zur Folge, dass in ganz Manasse, selbst in dem jenseits des Jordan gelegenen Teile, dieselbe Verordnung in Bezug auf weibliche Nachkommen Geltung erhielt. „Die Töchter Manasses erhielten ein Erbteil unter seinen Söhnen“, lesen wir im 6. Verse» So wurde die für einige wenige gegebene Anordnung zu einem Vorrecht für alle.
Diese einfache Geschichte ist uns zur Belehrung niedergeschrieben und ist von großer Wichtigkeit für uns. Auch wir sollten die Vorrechte unseres himmlischen Erbteils als geradezu unschätzbar betrachten und uns niemals durch natürliche oder anscheinend rechtmäßige Erwägungen daran hindern lassen, unserer Segnungen teilhaftig zu werden. Möchten wir vielmehr Gott inständig um Beseitigung solcher Hindernisse bitten, falls sie vorhanden sein sollten! Und unsere Schwestern in Christo sollten nie denken, dass ihren himmlischen Segnungen irgendwie Abbruch geschehen müsse durch ihre anscheinend untergeordnetere Stellung, und sich nicht eher für befriedigt erklären, als bis sie das gleiche Erbteil mit ihren Brüdern erlangt haben.
Ja, geliebte Schwestern, denkt daran, dass dies ein Gebot Gottes in Bezug aus euch ist! Euer Beispiel wird eine gesegnete Wirkung für eure Mitschwestern haben; es wird sie veranlassen, ihm zu folgen und sich gleich euch aus Gottes Verheißungen zu stützen. Eure Stellung mag sein wie sie will, euer Erbteil ist genau das gleiche wie das eurer Brüder. Gewiss seid ihr
nicht zu den gleichen Kämpfen berufen wie eure Brüder; ihr habt nicht die Aufgabe der Männer, die stark und tapfer im Streit sein sollen, aber ihr seid zu dem gleichen Besitztum berufen wie sie. Dasselbe Los ist euch zugefallen, dieselben himmlischen Segnungen sind euer Teil.
Im Anschluss an das Vorstehende mögen hier einige Gedanken Raum finden, die dem Schriftleiter vor nicht langer Zeit unter der Überschrift: „Die Unverheiratete“ zugesandt wurden:
„Die Unverheiratete ist für die Dinge des Herrn besorgt, auf dass sie heilig sei sowohl an Leib als Geist« (1. Kor. 7, 34.) Nicht alle Schwestern können heiraten und so die« eigentliche Bestimmung, die der Frau bei der Schöpfung gegeben wurde, erfüllen. Aber sollte das sie niederdrücken oder gar missmutig und unzufrieden machen? Nein, der Unverheirateten wird durch den Heiligen Geist eine ganz besondere Segensstellung zugeschrieben: sie ist in der Lage, weit mehr als ihre verheiratete Schwester, sich um die Dinge des Herrn zu bekümmern, und so für den Herrlichsten und Teuersten selbst besorgt zu sein. Wie die Verheiratete für die Dinge der Welt besorgt ist, wie sie dem Manne gefallen möge, so darf sich die Unverheiratete ungehindert den Dingen widmen, die unmittelbar mit dem Herrn in Verbindung stehen. Das ist sicher ein gesegnetes Teil.
Manche Schwester hat durch den Krieg ihren Bräutigam, manche gar ihren geliebten Gatten verloren, und nun dieses niederdrückendes Gefühl der Vereinsamung, des Alleinstehens, der Enttäuschung im Blick auf so manche stille,· liebe Hoffnung! Doch seid getrost, ihr lieben Schwestern, und fasset Mut! Der Herr selbst will mit Seinem innigen Mitgefühl und mit Seiner starken Liebe die Linien ausfüllen. Haben nicht manche von euch bezeugen müssen, dass sie Seine beseligende Nähe und die Macht Seiner Tröstungen nie in so reichem Maße erfahren haben, wie gerade in dieser schweren Prüfungszeit? Ist das nicht ein großer Gewinn? Nicht nur für diese Zeit, sondern für alle Ewigkeit? Denn unser Leben, hat ja keinen Wert, wenn es nicht Ewigkeitssfrüchte bringt.
Auch zu euch, ihr lieben Schwestern, spricht der Herr: „Lass deine Augen Gefallen haben an meinen Wegen!“ Könnt ihr als Unverheiratete oder Alleinstehende mehr für Ihn selbst besorgt sein als andere,
so ist das wahrlich der Mühe wert; und wenn ihr heute eure Lage wirklich so auffasst und dementsprechend handelt, so werdet ihr jetzt und in alle Ewigkeit den Segen davon genießen. Wieviel Gelegenheiten gibt es auch gerade in unserer schweren Zeit, dem Herrn zu dienen! Welch gesegnete Arbeitsfelder bieten sich der Frau, wenn sie nur in selbstverleugnender Liebe und Demut eine treue Magd ihres Herrn sein will: in den Familien, am Krankenbett, in der Kinderpflege, leiblich, geistig und geistlich, im Dienst an den Armen und Schwachen usw., usw.!
Und niemals wird der Herr uns allein lassen, nie uns versäumen. Diese Verheißung ist allgemein, hat aber gewiss besondere Bedeutung für Gläubige, die einsam stehen und deshalb einer· Ermunterung und Stütze vornehmlich bedürfen, besonderen Wert auch für unverheiratete Schwestern. Gott bewahre diese vor allen Dingen vor der Schlinge des Feindes, der ihre natürlichen Neigungen und ihre Schwachheit dahin ausbeuten möchte, sie in Beziehungen und Verbindungen mit Kindern der Welt zu bringen! Dass es unmittelbar gegen den in der Heiligen Schrift geoffenbarten Willen Gottes ist,
wenn eine Schwester einen Ungläubigen heiratet, bedarf kaum der Erwähnung. Ein Gläubiger oder eine Gläubige sollte „nur im Herrn“ heiraten und niemals in ein ungleiches Joch mit einem Ungläubigen treten (1. Kor. 7, 39; 2. Kor. 6, 14. 15). Solchen, die vom ewigen Abgrunde des Verderbens hinweg errettet sind, geziemt es, mit den Söhnen Korahs zu sagen: „Ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser, als sonst tausend; ich will lieber an der Schwelle stehen im Hause meines Gottes, als wohnen in den Zelten der Gesetzlosen“ Und vergessen wir nicht: Die Stunde der Vergeltung liegt vor uns. „Siehe, ich komme bald“, spricht der Herr, „und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk sein wird.“ Gott schenke uns verständige Herzen und mache uns zu „klugen“ Verwaltern, die an die Zukunft denken.
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Vertrauen
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 137ff
Wir sind berufen, unserem Gott und Vater völlig zu vertrauen und uns Seinem Wort bedingungslos zu unterwerfen. Es ist dies geradezu eine, Lebensfrage für uns, die wir hienieden s aus Glauben zu leben haben und zurückgelassen sind, um ein Zeugnis für Gott abzulegen. Das Wort: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir, gilt auch für uns heute. Unser Gott genügt völlig für alles und in allen Dingen, und wir verherrlichen Ihn, wenn wir Ihm unser ganzes Vertrauen schenken. Werfen wir daher unsere ,,Zuversicht nicht weg, die eine große Belohnung hat! (Hebr. 10, 35.) „Glückselig der Mensch, der auf Ihn vertraut!“ (Vergl. Ps. 84, 12). Nur ein solcher kann mit süßer Ruhe im Herzen, ohne Furcht und Zagen, dem Vaterhause zueilen, indem er weiß: Gott ist für mich, und nichts kann mich von Seiner Liebe scheiden! (Vergl. Röm. 8.) Leider aber setzen wir unser Vertrauen oft auf Menschen und Umstände. Es erscheint uns unmöglich, ohne sie zu leben, und wie oft erfahren wir gar bittere Enttäuschungen!
Es geht nicht an, dass wir zu Gott rufen, dabei aber, wie einst der Erzvater Jakob, unsere Zuflucht zu unseren selbstgemachten Plänen oder zu irgend einem Menschen nehmen. Dass dies leider oft genug geschieht, wissen wir. Aber es vernichtet unsere Abhängigkeit von Gott und macht, dass wir jenem wankelmütigen Manne gleichen, den Jakobus ,,unstet in allen seinen Wegen nennt. (Jak. 1, 7. 8.)
Auch in den vielen Nöten und Schwierigkeiten der heutigen Zeit sehen wir uns gern nach menschlicher Hilfe um und vergessen, dass der Herr uns schon lange aufgefordert hat, alle unsere Anliegen durch Gebet i und Flehen, mit Danksagung, vor Ihm kundwerden zu lassen und alle unsere Sorgen aus Ihn zu werfen, der für uns besorgt ist und uns helfen kann und will.
Hat Er nicht schon durch Seinen Psalmisten Seinem Volke sagen lassen: ,,—Rufe mich an am Tage der Bedrängnis: ich will dich erretten, und du wirst mich verherrlichen? (Ps. 50, 15; vergl. auch Phil. 4, 6. 7;" 1. Petr. 5, 7.) Und Er macht Sein Wort wahr, während wir in unserem Vertrauen auf Menschen immer wieder zu Schanden werden und so ernten müssen, was wir gesät haben. ,
Wer auf den Herrn vertraut, wird nie zu Schanden s werden. Die Güte Gottes umgibt ihn den ganzen Tag. (Vergl. Ps. 34.) Wohl können auch für ihn Prüfungen aller Art kommen, aber nie wird Gott erlauben, dass er über Vermögen versucht oder gar von der hoch- gehenden Flut verschlungen wird. Niemals! Gott wird mit der Versuchung auch den Ausgang schassen. Das sagt uns Sein Wort. Ja, unser Ausharren wird stets mit reichem Segen gekrönt werden. Unterwerfen wir uns Ihm daher im festen Vertrauen auf Seine Weisheit und Liebe! Das Ende muss und wird herrlich sein. Da ist ,,ein Pfad, den der Raubvogel nicht kennt, und den das Auge des Habichts nicht erblickt hat; den die wilden Tiere nicht betreten, über den der Löwe nicht hingeschritten ist,. (Hiob 28, 7. 8.) Wo ist dieser sichere und glückliche Pfad; und wie ist er zu finden?" Der Gläubige, der in Abhängigkeit und bedingungslosem Vertrauen auf seinen Gott und Vater seine Straße zieht, kennt ihn und lernt ihn immer mehr lieben. Mit dankbarem Herzen wandelt er darauf.
Wie sehr Gott sich durch den Mangel an Vertrauen unserseits verunehrt sieht, das sagt uns Sein eigenes, Wort. ,,So spricht Jehova, lesen wir in Jeremia 17:
„Verflucht ist der Mann, der aus den Menschen vertraut und Fleisch zu seinem Arme macht, und dessen Herz von Jehova weicht! „Gesegnet“, heißt es dagegen einige Verse weiter,— „ist der Mann, der aus Jehova vertraut, und dessen Vertrauen Jehova ist!“ Klar zeigen uns diese Worte, wie verwerflich es vor Gott ist, wenn wir unser Vertrauen, anstatt aus Ihn, auf Menschen setzen, zu ihnen unsere Zuflucht nehmen. Es genügt nicht zu sagen, dass wir aus Gott vertrauen, wir müssen es in Wirklichkeit tun. Hohe Worte, die so leicht über unsere Lippen kommen, haben keinen Wert; wir müssen unser Vertrauen durch die Tat kundwerden lassen.
Der Herr will unser ganzes Herz haben will uns ganz und gar für sich besitzen. Dadurch wird Sein Name verherrlicht. Zugleich gibt es keine größere Glückseligkeit, als völlig von Gott abhängig zu sein. — Das macht das Herz ruhig inmitten aller Stürme und Prüfungen des Lebens und lässt uns die Segnungen der Gemeinschaft mit Gott genießen. So machen wir Erfahrungen von Seiner Treue und väterlichen Liebe. Was ließ Petrus in dem finsteren Kerker so ungestört schlafen angesichts des zu erwartenden Todesurteils? Was ließ den Lobgesang von Paulus und Silas emporsteigen, als sie sich in gleich schmerzlicher Lage befanden? Es war ihr Vertrauen ans den Herrn und ihr Ruhen in Ihm. Ja, „glückselig der Mensch, der aus Ihn vertraut!“
Binnen kurzem werden alle Proben und Schwierigkeiten zu Ende sein. Dann schauen wir unseren teuren Herrn, der sich unsertwegen so viel Mühe gegeben hat, damit wir Ihn besser kennen lernen und Ihm völliger vertrauen möchten. Für immer werden wir bei Ihm sein, und o! wie werden wir dann erkennen, wie wert Er unseres ganzen, ungeteilten Vertrauens gewesen ist in jeder Stunde unserer Wüstenreise!
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Die Ankunft und Erscheinung des Herrn
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 141ff
Wir kommen jetzt zu einer Frage, deren Beantwortung für unseren Gegenstand von besonderer Wichtigkeit ist. Sie lautet: Wer sind die 144 000 Versiegelten und die- große Volksmenge in Offenbarung 7?
Dem aufmerksamen Leser der Offenbarung kann es nicht entgehen, dass das 7. Kapitel, genau genommen, nicht ein Glied in der Kette der geschichtlichen Ereignisse bildet. Es stellt einen Zwischenraum, eine Einschaltung dar, in welcher Gott die Schilderung Seiner richterlichen Wege mit der Erde unterbricht und für einen Augenblick den Schleier lüftet, um uns zu zeigen, dass es außer den himmlischen Heiligen noch andere Segenskreise gibt, und dass Seine Gnade weit über unsere gewöhnlichen Vorstellungen hinausgeht. Er hat Gnadenratschlüsse nicht nur in Verbindung mit dem Himmel, sondern auch mit der Erde.
Es gibt Gläubige, die ,,vor Grundlegung der Welt« auserwählt wurden, und solche, deren Namen „von Grundlegung der Welt an in dem Buche des Lebens stehen. Das Wort redet von einer Gnade, die „vor den Zeiten der Zeitalter gegeben wurde, und von Segnungen, die „von Grundlegung der Welt an bereitet sind. (Eph. 1, 4. 5; Röm. 8, 29; 2. Tim. 1, 9; Offbg. 13, 8; Matth. 25, 34.) Diese Unterschiede sind" nicht von ungefähr. Sie müssen genau beachtet und festgehalten werden, wenn wir anders Gottes Gedanken verstehen und Sein Wort „recht teilen wollen. Man hat sie vielfach übersehen, und dann ist es kein Wunder, wenn man zu irrigen Auslegungen kommt.
Doch wir sind dem Leser noch eine Erklärung darüber schuldig, weshalb wir das 7. Kapitel als eine Einschaltung betrachten müssen. Das 6. Kapitel schildert in ununterbrochener Reihenfolge das Brechen der sechs Siegel, deren letztes eine so furchtbare Umwälzung alles hienieden Bestehenden herbeiführt, dass die Menschen meinen, der große Tag des Zornes des Lammes sei gekommen. Erst im 8. Kapitel wird dann das siebente Siegel geöffnet, infolge dessen ein feierliches Schweigen im Himmel entsteht von der Dauer einer halben Stunde: neue, weit schrecklichere Gerichte als bisher, die sieben Posaunen, sollen durch dieses 7. Siegel eingeleitet werden. Das 7. Kapitel ist also zwischen das 6. und 7. Siegel eingeschoben, die Reihenfolge der Ereignisse ist unterbrochen. Einer ähnlichen Erscheinung begegnen wir bei den 7 Posaunen und in gewissem Sinne selbst bei den 7 Zornschalen. (Vergl. Kap. 10 — 11, 13 und Kap. 16, 15).
Doch wozu diese Einschaltung? Gott will uns zu unserem Trost zeigen, dass Er auch im Zorne noch des Erbarmens gedenkt, und dass Er Seine Gnadenabsichten nicht nur im Blick aus die Gemeinde (Braut) Christi, sondern auch auf Sein irdisches Volk, Israel, und die Nationen der Erde, die Heiden, trotz und inmitten der schrecklichsten Gerichte wahr machen wird. Wir haben schon früher darauf hingedeutet, dass Gott am Ende der Tage einen Überrest aus Israel erretten wird. Alle Propheten des Alten Bundes reden davon, und der Apostel der Nationen entwickelt diese Wahrheit ausführlich im 11. Kapitel seines Briefes an die Römer. Diesen Überrest lässt Gott hier Seinen Propheten schauen: eine Vollzahl, je 12000 (die Zahl 12 findet sich immer wieder, wenn es sich um ein Werk, ein Zeugnis Gottes handelt, das dem Menschen anvertraut ist) aus jedem Stamme, wird von den Boten Gottes versiegelt. Diese. Versiegelten stehen in besonderer Weise unter Gottes Auge und Schutz, während Seine Gerichte über die Erde gehen, und werden bewahrt, um zu der von Ihm bestimmten Zeit ans Licht zu treten. Wann das geschehen soll, wird zunächst nicht erörtert. Im 14. Kapitel erscheint die gleiche Zahl mit dem Lamme "aus dem Berge Zion; alle tragen Seinen Namen und" den Namen Seines Vaters an ihren Stirnen. Es ist, wenn nicht die gleiche, so doch eine ganz ähnliche "Körperschaft wie hier; vielleicht weist die eine mehr" auf den Überrest aus Israel (Zehnstämmereich) hin, die andere mehr auf den Überrest aus Juda, der in besonderer Weise durch den Ofen der Drangsale geführt werden wird.
Doch was haben wir unter der ,,großen Volksmenge« zu verstehen, ,,die niemand zählen konnte«? Manche wollen in ihr die Gemeinde (Braut) bzw. alle himmlischen Heiligen erblicken, andere einen Teil derselben. Prüfen wir diese Meinungen auf ihre Richtigkeit.
Wir haben weiter oben gesagt und zu beweisen gesucht, dass die 24 Ältesten die himmlischen Heiligen in ihrer Gesamtheit darstellen. Nun wäre es ja möglich, dass diese Heiligen uns auch unter einem anderen Bilde vor Augen geführt würden. Es ist ja nichts Ungewöhnliches, eine und dieselbe Sache im Worte Gottes unter verschiedenen erläuternden Bildern. dargestellt zu finden. Aber zunächst ist es auffallend, dass Johannes die Frage eines der Ältesten: „Weißt du, wer diese sind, und woher sie gekommen sind?“ nicht beantworten kann. Über die Bedeutung der Ältesten bedarf er keiner Erklärung: ihre Erscheinung und ihr Tun sagen ihm deutlich genug, wer sie sind. Hier aber ist er völlig unwissend.
Ferner unterscheiden sich die Palmen tragenden Scharen durchaus von den Ältesten und bilden neben ihnen eine besondere Körperschaft. Bei. den gleichen Vorgängen sind beide als zwei bestimmt unterschiedene Parteien in ganz verschiedener Weise tätig; die einen tun dies, die anderen jenes. Vor allen Dingen aber unterscheidet die Weise, wie Gott selbst von der Volksmenge redet, sie klar und deutlich von der Versammlung (Gemeinde) Gottes. ,,Dies sind die, sagt der Älteste, ,,welche aus der großen Drangsal kommen.“ (V. 14.) Dass man die Zeit, in welcher wir leben, eine Drangsalszeit nennen kann, zuweilen selbst eine Zeit großer Drangsale, sei gerne zugegeben; aber hier ist von der großen Drangsal" die Rede, d. h. von der bestimmten, von Gottes Wort Alten und Neuen Testaments immer wieder mit hinreichender Deutlichkeit bezeichneten ernsten Zeit des Endes, von der Stunde der Versuchung, die zwischen dem ersten und zweiten Kommen des Herrn über alle die hereinbrechen wird, welche auf der Erde wohnen. (Vergl. Jer. 30, 7; Dan. 12, 1; Matth. 24, 21; Mark. 13, 19; Offbg. 2, 22.) Schon dieser eine Umstand beweist unwiderleglich, dass die Gemeinde in ihrer Gesamtheit hier nicht gemeint sein kann. — Aber trotz allem doch vielleicht ein Teil von ihr?
Forschen wir weiter. Dass wir unter den 144 000 Versiegelten Erlöste aus Israel, mit anderen Worten den gläubigen jüdischen Überrest*), zu verstehen haben, wird wohl von keinem einsichtsvollen Erklärer der ,,Offenbarung« bestritten. Gott wird, was auch die übrigen prophetischen Schriften wieder ,und wieder betonen, am Ende der Tage sich Seinem irdischen Volke wieder zuwenden und den einst abgebrochenen Faden Seiner Beziehungen mit ihm wieder anknüpfen. Wie kann das aber geschehen? Doch nur so, dass Gott Seine gegenwärtigen Wege und Handlungen vorher zu einem Abschluss bringt. Als der Herr Jesus hienieden wandelte, erkannte Er die jüdischen Einrichtungen: Tempel, Priestertum, Opferdienst usw. durchaus an. Dasselbe wird Er am Ende der Tage wieder tun. Gegenwärtig aber sucht Gott als Seine Anbeter solche, die Ihn in Geist und Wahrheit anbeten, deren Gottesdienst weder an einen Tempel noch an ein irdisches Priestertum gebunden ist. Der Heilige Geist ist herniedergekommen, um aus Juden und Heiden einen Leib zu bilden, in welchem alle völkischen und gesellschaftlichen Unterschiede aufgehoben sind. Da ist weder Jude noch Grieche, weder Beschneidung noch Vorhaut, weder Sklave noch Freier. Das muss aber notwendigerweise wieder anders werden, sobald Gott sich anschickt, die Seinem irdischen Volke gegebenen Verheißungen zu erfüllen und Israel als Volk wieder. „zur höchsten aller Nationen der Erde“ zu machen. Unmöglich könnte Gott zwei Segensratschlüsse, die grundsätzlich ganz und gar verschieden voneinander sind, ja, sich gegenseitig ausschließen, zu gleicher Zeit ausführen, was doch geschehen müsste, wenn die Errettung Israels neben der Sammlung der letzten zur Gemeinde gehörenden Gläubigen herlaufen würde.
Sobald der Unterschied zwischen Jude und Heide wiederhergestellt wird, bzw. sobald man dem Juden einen vor dem Heiden bevorzugten Platz einräumt, verlässt man den Boden des Christentums und kehrt zu alttestamentlichen Grundsätzen zurück. Vor dem Tode und der Auferstehung Christi war dieser Unterschied am Platz; der Herr selbst verbot Seinen Jüngern, zu den Heiden zu gehen, ja, selbst in eine Stadt der Samariter einzutreten. Nachher aber, als Er als „der Erstgeborene aus den Toten“ Seine Versammlung zu bauen begann, sandte Er die Apostel in die ganze Schöpfung, zu allen Nationen, die unter dem Himmel sind. Mit anderen Worten: eine vollständige Veränderung der Wege Gottes fand statt, eine ganz neue Entfaltung bisher unbekannter Gedanken und Ratschlüsse trat ein. Geradeso wird es dereinst wieder sein. Wenn die gegenwärtige Haushaltung zu Ende geht, wird die Gnade Gottes sich in frischen Kanälen ergießen, in neuer Weise entfalten. Alles wird dienen zur Verherrlichung Seines großen Namens und zum Preise unseres Herrn und Heilandes, des Anfangs und Endes aller Offenbarungen und Wege Gottes, aber alles in seiner Art und Ordnung und zu seiner Zeit.
Wie unmöglich es ist, beide Dinge miteinander zu verbinden, tritt sofort ans Licht, wenn wir uns vergegenwärtigen, zwei Personen würden zu gleicher Zeit bekehrt, während Gott einerseits die Juden als Juden segnete und andererseits dem Leibe Christi Glieder hinzufügte, d. h. die Gemeinde aus Juden und Heiden sammelte. Würden die beiden Neubekehrten nicht in die allergrößte Verlegenheit geraten? Der eine könnte sagen: Ich muss den Tempel Gottes in Jerusalem aussuchen und dort meine Opfers durch den von Gott verordneten Priester darbringen; der andere: Es gibt ja gar keinen Tempel auf dieser Erde; die Stätte meiner" Anbetung ist im Himmel, und alle Gläubigen sind Priester und als solche berufen, Gott geistliche Opfer darzubringen, Ihm wohlannehmlich durch Jesum Christum. (1. Petr. 2, 5.) Der eine würde die Beobachtung des Sabbats und der Feste Jehovas, Passah- und Laubhüttenfest (Hesekiel 45, 21—25), fordern, der andere würde sagen: Feste, Neumonde und Sabbate sind als Schatten der zukünftigen Dinge in Christo, dem Körper derselben, hinweggetan. (Kol. 2, 16. 17.) Man sieht also, in welch eine Verwirrung man gerät, wenn man annimmt, Gott könne zu gleicher Zeit ein himmlisches und ein irdisches Volk hienieden sammeln und anerkennen. Die beiden Dinge schließen einander so vollständig aus, dass der Ratschluss Gottes im Blick aus Seine Gemeinde zu einem Abschluss gekommen sein muss, dass sie diese Erde verlassen haben muss, ehe Er sich wieder mit Seinem irdischen Volke beschäftigen kann.
So kann denn auch kein Teil der Gemeinde mehr hienieden sein, wenn Gott Seine Beziehungen zu Israel wieder anknüpft. Sie hat die vor Grundlegung der Welt ihr bestimmte Segensstätte erreicht und harrt mit ihrem Herrn und Haupt auf dessen Offenbarwerdung. Bereits gekrönt und in die unmittelbare Gegenwart des Lammes geführt, schaut sie in vollkommener Ruhe und tiefem Frieden der Entfaltung der Wege Gottes zu und ist in Seine geheimsten Gedanken eingeweiht. Einer der Ältesten gibt dem staunenden Propheten Auskunft über die Herkunft der großen. Volksmenge, indem er sagt: „Dies sind die, die aus der großen Drangsal kommen, und sie haben ihre Gewänder gewaschen und haben sie weiß gemacht in dem Blute des Lammes. Darum sind sie vor dem Throne Gottes und dienen Ihm Tag und Nacht in Seinem Tempel“ (V. 14. 15.) Auf demselben Wege errettet (es gibt keinen anderen) wie die himmlischen Heiligen, um r denselben teuren Preis erkauft wie sie, ist ihre Berufung und Stellung doch eine ganz andere. Obwohl herrliche Dinge von ihnen ausgesagt und wunderbare Segnungen ihnen geschenkt sind, erreichen diese doch nicht diejenigen ihrer Brüder droben. Johannes sieht sie vor dem Throne Gottes und des Lammer stehen, „nicht aber gekrönt und auf Thronen sitzend;" ähnlich wie die 144000 Versiegelten in Offbg. 14, vor dem Throne und vor den vier lebendigen Wesen und den Ältesten stehend, ihr neues Lied singen. Auch erscheinen sie nicht mit goldenen Harfen und noch weniger mit goldenen Schalen voll Räucherwerk, wie die 24 Ältesten in Qffbg. 5. Vielmehr sind sie es, für welche die Heiligen droben sürbittend eintreten, und "ihre Gebete; die sie, durch „die große Drangsal" gehend, zu Gott emporsenden, werden durch jene vor Gott gebracht.
Sie haben nicht nur Drangsale durchschritten, wie sie immer wieder, schwerer oder leichter, über das Volks Gottes gekommen sind, nein, sie kommen aus „der großen Drangsal“, die als solche Johannes aus den Schriften bekannt war und uns heute gut bekannt ist. Sie haben jene Tage durchlebt, von welchen der Herr Jesus selbst sagt, dass ,,dergleichen von Anfang der Welt bis jetzthin nicht gewesen sind noch je sein . "werden« (Matth. 24, 21; vergl. Mark. 13, 19); und alles, was von ihnen gesagt wird, erinnert an diesen überaus schweren, schmerzlichen Weg. Für immerdar allem Leid entrückt, werden sie nie mehr hungern und dürsten; denn das Lamm wird sie weiden und sie leiten zu Quellen der Wasser des Lebens, und Gott wird jede Träne von ihren Augen abwischen. Fürwahr, kostbare Dinge! aber sie erheben sich doch nicht zu der Höhe der Freude und Einsicht, die den 24 Ältesten geschenkt ist.
So sehen wir denn immer wieder bestätigt, dass Gott nicht nur aus Israel eine Vollzahl erretten und durch die Stunde der Versuchung sicher hindurchbringen, sondern auch aus allen Völkern der Erde eine gewaltige Menge sammeln und in der großen Drangsal bewahren wird. Er wird, wie wir schon sagten, jene Länder und Völker in Seiner errettenden Gnade besuchen, die heute nichts von Jesu und Seinem Werke wissen. Die Gemeinde Christi (im weiteren Sinne des Wortes) hat ihrer Berufung nicht entsprochen; anstatt das Kreuz aufzunehmen und Christo nachzufolgen, hat sie Bequemlichkeit und Anerkennung in dieser Welt gesucht und ihren Auftrag an alle Nationen nicht erfüllt. Gott aber wird zu Seiner Zeit an die armen Heiden denken und auch an ihnen Seine Gnadenratschlüsse zur Ausführung bringen. Schon während der Endgerichte wird durch Boten aus Israel, die ,,Brüder des Herrn (Matth. 25, 40), das Evangelium des Reiches-weit und breit verkündigt werden, und später, im Tausend- jährigen Reiche selbst, ,,wird die Erde voll sein der Erkenntnis Jehovas, gleichwie die Wasser den Meeresgrund bedecken. (Jes. 11, 9.)
Manche haben eine Schwierigkeit in dem Umstand s gefunden, dass die Versiegelten und die große Volksmenge schon im 7. Kapitel der Offenbarung erscheinen, also ganz im Anfang der richterlichen Wege Gottes, wenn die große Drangsal im eigentlichen Sinne noch gar nicht begonnen hat. Aber diese Schwierigkeit schwindet, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass Gott hier Seinem Knechte Johannes und uns nur zeigen will, dass diese beiden Klassen von Erlösten von Anfang an vor Seinen Augen stehen, und dass Er sie durch alles hindurchbringen und zu dem vollen, sicheren Genuss der ihnen bestimmten Segnungen führen will; mit anderen Worten: dass Kapitel 7 nicht die Erzählung der geschichtlichen Ereignisse fortsetzt, sondern dass Gott eine erquickende Ruhepause eintreten lässt, um uns mit Seinen Gnadengedanken und deren Ausführung in jenen ernsten Tagen bekannt zu machen.
Die ,,Ankunft“ des Herrn und die „Erscheinung Seiner Ankunft“.
Es darf wohl als selbstverständlich voraus- gesetzt werden, dass die beiden Ausdrücke „Ankunft“ und „Erscheinung“ nicht willkürlich gewählt, sondern durchaus dem Griechischen nachgebildet sind. Der erste entspricht dem Wort stazzocmte :: Anwesenheit, Gegenwart oder Ankunft, der zweite dem Wort Zyrtgocts-sta : Erscheinung, Epiphanie. Beiden Ausdrücken begegnen wir in 2. Thess. 2, 1 - 12, einem Abschnitt, der für die uns beschäftigenden Fragen von hervorragender Bedeutung ist. Wir lesen dort: „Wir bitten euch aber, Brüder, um der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus willen und unseres Versammeltwerdens — zu Ihm hin, dass ihr nicht schnell erschüttert werdet in der Gesinnung, noch erschreckt . . . , als ob der Tag des Herrn da wäre, und in Vers 8: „Dann wird der Gesetzlose (der Antichrist) geoffenbart werden, den der Herr Jesus verzehren wird durch den Hauch Seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung Seiner Ankunft.
Der 1. Vers verbindet also die Ankunft unseres Herrn mit dem Versammeltwerden der Gläubigen zu Ihm hin, der 8. die Erscheinung des Herrn mit der Vernichtung des Antichristen, des Sohnes des Verderbens, durch den Hauch Seines Mundes. Schon dies Eine ist so charakteristisch, dass der grundsätzliche Unterschied der beiden Tatsachen sofort in die Augen springt. Die erste ist verbunden mit einer Handlung unumschränkter Gnade, die zweite mit der Ausübung eines verzehrenden Gerichts. Beschäftigen wir uns zunächst mit der ersten.
Falsche Propheten und böse Arbeiter hatten durch Wort und Schrift (ja, anscheinend sogar durch einen gefälschten Brief des Apostels) die Thessalonicher zu der Meinung verführt, dass die Schrecken des „Tages des Herrn“ schon da seien. Sie stützten sich bei ihren Verführungen aus die schweren Leiden und Verfolgungen, denen die jungen Gläubigen ausgesetzt waren. Aber hatte der Apostel sie nicht am Schlusse seines ersten Briefes über die liebliche Hoffnung belehrt, dass der Herr wiederkommen und sie dann alle zu sich hin versammeln werde, damit sie allezeit bei Ihm seien, fern von den Schrecken des Tages des Herrn? Ja, so war "es; und um dieser kostbaren Wahrheiten" willen beschwört er sie jetzt, sich doch nicht in ihrer Überzeugung irre machen zu lassen, indem er zugleich die Mitteilung hinzufügt, dass der Tag des Herrn mit seinen furchtbaren Gerichten für die Welt nicht kommen könne, ehe die Gesetzlosigkeit, die damals schon in geheimnisvoller Weise wirksam war, zu ihrer vollen Entfaltung gekommen sei.
„Der Tag des Herrn“ ist in der Schrift immer die bevorstehende, von Gott bestimmt angekündigte Ausübung des Gerichts über das Böse des Menschen, das hinweggetan werden muss, damit die Segnungen des Reiches Gottes ungehindert hervorstrahlen können zu Seinem Preise. Darum heißt es, dass vorher der Gesetzlose (denn in dem Auftreten dieses ,,Menschen der Sünde wird das Böse seinen Höhepunkt erreichen) geoffenbart werden muss, den der Herr Jesus verzehren oder vernichten wird durch die Erscheinung Seiner Ankunft (oder Gegenwart). Durch das Wort „Erscheinung wird mit dieser richterlichen Handlung des Herrn bezüglich des Antichristen die Sichtbarwerdung Seiner Person ausdrücklich verbunden, was bei der Mitteilung des Versammeltwerdens der Gläubigen zu Ihm hin in 1. Thess. 4 keineswegs der Fall ist.
Dass das Wort Ankunft (oder Gegenwart) des Herrn nicht immer nur Sein Kommen für die Seinigen bezeichnet, sondern eine allgemeine Bedeutung hat ist unbestritten; es schließt an verschiedenen Stellen Seine „Erscheinung“ mit ein. Wenn aber Genauigkeit im Ausdruck erforderlich ist, wie z. B. hier, um einer falschen Lehre entgegen zu treten, so wird die Ankunft (Parusie) von der Erscheinung (Epiphanie) dieser Ankunft sorgfältig unterschieden. Das ist bedeutungsvoll. —Denn wenn das Kommen des Herrn ein Sichtbarwerden Christi vor aller Welt als notwendige Bedingung voraussetzte, so würde diese Unterscheidung zwecklos sein; wenn Er aber bei Seinem ersten Kommen zur Aufnahme . der Seinigen von niemand außer diesen gesehen wird, während Er Sein zweites Kommen allen sichtbar werden lässt in der Vernichtung des Gesetzlosen, so könnte nichts passender oder genauer sein als gerade die hier gebrauchte Ausdrucksweise.
Die „Entrückung“ der Braut ist nicht ein Ereignis, das mit der Geschichte dieser Welt irgendwie in Beziehung oder Verbindung steht. Sie ist nicht von— der Welt, gleichwie ihr Herr und Bräutigam es nicht war, und so wie Er nach Seiner Auferstehung von keinem anderen Menschen, als von „den von Gott zuvor erwählten Zeugen (Apg. 10, 41), gesehen wurde, so werden auch die auferstandenen oder verwandelten Heiligen bei ihrer Entrückung der Welt nicht sichtbar werden. Ihre Einführung aus der Fremde in die Heimat, aus der Welt in das Vaterhaus droben, ist ein Familien-Ereignis, das nur für sie und die Bewohner des Himmels von Bedeutung ist und nur von ihnen gewürdigt werden kann; ein Ereignis ferner, das in einem Nu, in einem Augenblick sich vollzieht. Welches natürliche Auge könnte ihm folgen, es erfassen? Ganz anders ist es, wenn Gott „den Erstgeborenen in den Erdkreis einführt; dann werden die Seinigen mit Ihm“ geoffenbart werden in Herrlichkeit. Jedes Auge wird Ihn schauen und die mit Ihm, die Er sich nicht schämt Brüder zu nennen. Dann wird Er „herrschen von Meer zu Meer, und vom Strome bis an die Enden der Erde . Seine Feinde werden den Staub lecken, und „alle Könige werden vor Ihm niederfallen, alle Nationen Ihm dienen. (Ps. .72.) Bis dahin sieht die Welt weder Ihn noch die verherrlichten ,,Genossen der himmlischen Berufung, Seine verklärte Braut.
Man begegnet neuerdings nicht selten der Meinung, „die Entrückung und Erscheinung des Herrn werde in der Weise zusammenfallen, dass zunächst „das Zeichen des Sohnes des Menschen am Himmel erscheinen werde (Matth. 24, 30), um alle Welt aufmerksam zu machen. Dann werde die Posaune Gottes ertönen und der Leib Christi mit Ihm, dem Haupte, vereinigt werden (1. Thess. 4), und in unmittelbarer Verbindung damit werde der Herr dann mit Seiner Gemeinde und den Engelscharen auf die Erde herabkommen, um Gericht zu halten und Sein Reich auszurichten. Die Entrückung werde also wohl der Erscheinung vorangehen, aber kein "für sich dastehendes Ereignis bilden; von einer zweimaligen Wiederkunst des Herrn könne keine Rede sein. Der Herr erscheine gleichzeitig als Haupt Seiner Gemeinde, als. König Israels und als Richter der Gottlosen.
Zur Begründung dieser Ansicht beruft man sich unter anderem auf Offbg. 20, 4—6, indem man sagt: „Die Entrückung ist unzertrennlich verbunden mit der „ersten Auserstehung, und diese finden wir eben im Anschluss an die sichtbare Wiederkunft des Herrn (Offbg. 20, 1 - 6).
Zunächst enthält diese Auffassung einen unlösbaren Widerspruch in sich selbst. Wenn die in Offbg. 20, 4 - 6 erwähnte erste Auferstehung erst im Anschluss an die sichtbare Wiederkunft des Herrn, von der im 19. Kapitel berichtet wird, stattfindet, wie kann dann die mit ihr unzertrennlich verbundene (wie man doch zugibt und zugeben muss) Entrückung vorher geschehen? Das eine schließt das andere aus. Die Unhaltbarkeit der Behauptung erweist sich aber noch klarer, wenn man die angeführte Stelle aufmerksam liest. Wir setzen sie ganz hierher:
Offenbarung 20, 4 - 6.
„Und ich sah Throne, und sie saßen darauf, und es wurde ihnen gegeben, Gericht zu halten; und (ich sah) die Seelen derer, welche um des Zeugnisses Jesu . und um des Wortes Gottes willen enthauptet waren, und die, welche das Tier nicht angebetet hatten, noch sein Bild, und das Malzeichen nicht angenommen hatten an ihre Stirn und an ihre Hand; und sie lebten und" herrschten mit dem Christus tausend Jahre. Die übrigen der Toten. wurden nicht lebendig, bis die tausend Jahre vollendet waren. Dies ist die erste Auferstehung. Glückselig und heilig, wer teil hat an der ersten Auferstehung! Indem man nicht genau liest, übersieht man gewöhnlich, dass der Geist Gottes hier von drei Klassen i von Personen redet, und das verfälscht dann den Sinn der ganzen Mitteilung. Werfen wir jedoch zunächst einen Blick auf den Zusammenhang der Stelle mit dem Vorhergehenden. Nachdem das Gericht der beiden Häupter des Bösen in den letzten Tagen, des Tieres und des falschen Propheten, samt ihren Heeren, sowie der verborgenen Quelle alles Bösen, des Satan, stattgefunden hat (vergl. Kap. 19, 19—20, 3), bleibt die Frage offen: Was wird aus denen werden, die während der Zeit der Gerichte ihre Treue für den Herrn mit dem Tode besiegelt haben? Werden sie ihren Lohn verlieren? Diese Frage wird jetzt beantwortet. Wir werden in eine Szene des Sieges und des Triumphes eingeführt. „Throne“ erscheinen vor dem Auge des Propheten, die Symbole richtender oder regierender Gewalt. Die Throne sind besetzt; von wem, wird nicht gesagt. Aber es kann kaum fraglich sein, wer hier, im Beginn des Tausendjährigen Reiches, den Platz von Richtenden und Regierenden einnimmt. Es sind die, welche mit dem Richter des ganzen Erdkreises aus dem Himmel herniedergekommen sind und Ihn bei Seinem Siegeszuge begleitet haben: die himmlischen Heiligen von Kap. 19, 14. Ihnen wird gegeben, Gericht zu halten, entsprechend den. Worten des Herrn an Seine Jünger: „Wahrlich, ich sage euch: Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, auch ihr werdet . . . auf zwölf Thronen sitzen und richten die zwölf Stämme Israels“ (Matth. 19, 28), und der Frage des Apostels in 1.Kor. 6, 2: „Wisset ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden?“ Hier begegnen wir der Erfüllung dieser Worte. Im Himmel gibt es keine Stämme Israels oder Menschen zu richten; das geschieht hier auf Erden, wenn der" Sohn des Menschen auf Seinem Throne der Herrlichkeit sitzen und Seine Herrschaft antreten wird. Außer und neben diesen aus Thronen sitzenden Heiligen erblickt Johannes die Seelen derer, welche um des Zeugnisses Jesu willen enthauptet waren, und die, welche das Tier nicht angebetet hatten usw. Jene, auf Thronen Sitzenden, sind der Auferstehung aus den Toten bereits teilhaftig geworden, diese erscheinen noch als Seelen, ohne Leib, aber sie sollen nunmehr auch die Glückseligkeit der ersten Auferstehung kennen lernen. Es sind zwei Klassen von Personen, die uns aus früheren Kapiteln der Offenbarung bereits wohl-bekannt sind. Beim Öffnen des fünften Siegels, sieht Johannes unter dem Altar „die Seelen derer, welche geschlachtet worden waren um des Wortes Gottes und um des Zeugnisses willen, das sie hatten«. Sie rufen zu Gott um Rache wegen ihres Blutes, und es wird ihnen gesagt, „dass sie noch eine kleine Zeit ruhen sollten, bis auch ihre Mitknechte und ihre Brüder vollendet sein würden, die ebenso wie sie getötet werden würden“ (Kap. 6, 9 - 11). Es sind die Märtyrer, die im Beginn der großen Drangsalszeit um ihres Zeugnisses willen den Tod erleiden werden. Ihnen folgen im 13. Kapitel ihre Mitknechte und Brüder, welche später, unter der Regierung des „Tieres“, getötet werden, weil sie das Bild desselben nicht anbeten und sein Malzeichen nicht annehmen wollen (vergl. Kap. 14, 12. 13); sie stehen in Kap. 15, 2 als Überwinder über das Tier und sein Bild an dem gläsernen Meere.
Fußnote:
*) Bemerken wir hier, dass nicht das jüdische Volk als solches, sondern nur eine bestimmte Vollzahl aus ihm errettet werden wird. Freilich heißt es, dass- „ganz Israel“ errettet werden soll, aber es ist eine persönliche Errettung, alle Ungläubigen Juden kommen in den Gerichten um.
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Wenn dein Bruder wider dich sündigt
Bibelstelle: Matthäus 18
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 158ff
Die Jünger hatten den Herrn gefragt, wer der Größte im Reiche der Himmel sei. Diese Frage gab Jesu Veranlassung, von dem Charakter zu sprechen, der denen geziemte, die teilhaben wollten an Seinem Reiche. Zunächst stellte Er ein Kindlein in ihre Mitte — als passendes Beispiel der Gesinnung, die Gott an ihnen suchte, und sagte: ,,Wer irgend sich selbst erniedrigen wird wie dieses Kindlein, dieser ist der Größte im Reiche der Himmel. Sanftmut und Demut, Kleinheit in den eigenen Augen, mögen die Menschen von uns halten was sie wollen, das sind wahrhaft köstliche Eigenschaften in den Augen Gottes.
In den Versen 5, 6 und 10 —14 unseres Kapitels gibt dann der Herr Seinen Gedanken betresss dieser Kleinen Ausdruck. Ernst, ja, geradezu niederschmetternd sind Seine Worte an die Personen, welche diesen Kleinen einen Stein in den Weg legen. Seinen eigenen Verräter trifft kaum ein schärferes „Wehe“ als den Menschen, der einen dieser Kleinen, die an Ihn glauben, „ärgert“. (Vergl. V. 6 unseres Kapitels mit Matth. 26, 24). Wie eindringlich redet diese Tatsache zu unseren Herzen! Wie sollte es unsere beständige Sorge sein, den Schwachen und Schwächsten unter unseren Geschwistern nicht zu schaden oder sie auch nur zu entmutigen!
Im 15. Verse beginnt dann der Herr mit, dem, was den eigentlichen Gegenstand der vorliegenden Zeilen bilden soll. Nachdem Er Seine Jünger davor gewarnt hatte, gegen andere zu sündigen, lehrte Er sie jetzt, wie sie sich benehmen sollten, wenn ein Bruder sich gegen sie verging: „Wenn aber dein Bruder wider dich sündigt“.
Das allgemeine Kennzeichen des treuen Jüngers Jesu ist eine liebende, heilige Rücksichtnahme aus das Wohlergehen des anderen, das gerade Gegenteil von- der Gesinnung Kains, der da fragte: „Bin ich meines Bruders Hüter?“ Was uns selbst angeht, so sollten wir, wie in V. 8 u. 9 geboten wird, keine Rücksicht aus unser Auge, unsere Hand oder unseren Fuß nehmen, wenn sie uns ärgern, d. h. eine Ursache für uns werden zu sündigen. Mit unnachsichtlicher Strenge soll gegen sie verfahren werden: „Reiß es aus! Haue ihn ab!“ Es ist, wie wenn der Herr uns sagen wollte: Ihr könnt nicht zu streng gegen euch selbst sein, wenn ihr unrecht getan habt, und nicht zu vorsichtig und rücksichtsvoll, wenn es sich um andere handelt. Unserer Natur ist das Gegenteil eigen. Für unsere eigenen Fehltritte haben wir Entschuldigungen genug, während wir gar schnell in vermeintlich gerechte Entrüstung geraten, wenn wir andere fehlen sehen.
Es ist beachtenswert, dass das erste störende Element, das die Schrift in Verbindung mit dem Zusammenkommen im Namen Jesu erwähnt, persönliches Fehlen zwischen Bruder und Bruder ist. Einfach und deutlich aber wird uns sogleich auch gesagt, wie wir uns unter solchen Umständen verhalten sollen. Lasst uns diese wichtigen Mitteilungen sorgfältig beachten!
„Wenn aber dein Bruder wider dich sündigt, so gehe hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein.“ Man beachte hier zunächst, dass die Verfehlung nicht einfach übergangen oder mit Gleichgültigkeit hingenommen werden soll. „Überführe ihn!“ heißt es an unserer Stelle, und im Evangelium Lukas (Kap. 17, 3) lesen wir sogar: „Wenn dein Bruder sündigt, so verweise es ihm, und wenn er es bereut, so vergib ihm. Unserer Natur nach wären wir in einem solchen Falle weit eher geneigt, unseren Bruder zu meiden und ihm über seine Verfehlung nichts zu sagen. Oder auch wir ziehen vor, das Unrecht in Langmut gegen den Fehlenden zu ertragen. Das Letztere scheint aus den ersten Blick sehr schön zu sein, ein Handeln nach der Gnade, aber ein sehr wichtiger Punkt bleibt dabei unberücksichtigt, nämlich der geistliche Zustand meines fehlenden Bruders. Freilich mag es Fälle von persönlicher Beleidigung oder von rücksichtslosem Benehmen geben, bei denen die Weisheit gebietet, sich nach Sprüche 19, 11 zu verhalten: ,,Die Einsicht eines Menschen macht ihn langmütig, und sein Ruhm ist es, Vergehung zu übersehen“. Wer wirklich vor dem Herrn steht und das Wohl des Bruders im Auge hat, wird erkennen, ob Schweigen oder Reden in dem jeweiligen Falle das Richtige ist. Aber wie häufig wird aus ganz verkehrten Gründen geschwiegen! Ziehen wir uns nicht oft in einem Gefühl des Verletztseins von dem Bruder zurück?
Möchten wir uns doch stets vor Gott fragen, was s wir zu tun haben, wenn wir wissen, dass unser Bruder gesündigt hat und verunreinigt ist! (Vergl. 3. Mose 19, 17.) Untätiges Zuschauen ist da nicht am Platze. Im Gegenteil, es ist unsere Pflicht, zu dem Bruder hinzugehen und ihm seine Verfehlung getreulich aufzudecken; denn wahre Wiederherstellung kann nur dann stattfinden, wenn das Gewissen ausgeweckt und der Bruder dahin geleitet wird, seinen Zustand vor Gott zu richten. „Gehe hin, überführe ihn! Diese Worte sind so klar und deutlich, dass ein Missverständnis ausgeschlossen ist. Es heißt auch nicht: ,,Schreibe ihm einen Brief! Wie viel Unheil ist schon dadurch unter den Kindern Gottes angerichtet worden, dass man nicht genau den Weg ging, den der Herr uns gehen hieß! Meinem Bruder einen nach meiner Ansicht durch die Treue diktierten Brief zu senden, mag für meine Gefühle angenehmer sein, als mit ihm zu reden, aber unter Umständen ist vielleicht nur Hochmut die Quelle meines Handelns. In jedem Falle ist dieser Weg nicht ohne Gefahr, und daher sagt Er, der uns — weit, weit besser kennt, als wir selber es tun, klar und bestimmt: „Gehe hin und überführe ihn!“
Sehr wichtig ist auch der Zusatz: „Zwischen dir und ihm allein. Leider kommt es oft vor, dass Verfehlungen von Bruder gegen Bruder öffentlicher behandelt werden, als es nach Gottes Wort geschehen sollte. Da kennen wir z. B. jemand in der Versammlung, von dem wir wissen, dass er nicht aus freundschaftlichem Fuße mit demjenigen steht, der gegen uns gefehlt hat, und von dem wir deshalb annehmen können, dass er unseren Klagen über das erlittene Unrecht ein williges Ohr leihen wird. Nähmen wir Rücksicht auf das geistliche Wohl unseres Beleidigers, so wäre dieser Bruder der Letzte, dem wir die Sache mitteilten. Aber in unserer Selbstsucht laufen wir gerade zu ihm, weil wir erwarten, verständnisvolle Teilnahme und die Bestätigung zu finden, dass wir schändlich behandelt worden sind. Das passt unserer Natur viel besser, als den zu „gewinnen, der unrecht an uns gehandelt hat. Ja, es kann sogar sein, dass es uns eine Art Genugtuung gewährt, den fehlenden Bruder in der Achtung anderer herabzusetzen. Wie weit ist eine solche Handlungsweise von dem Gehorsam gegen das Wort entfernt! Offenbart sich darin irgendwie die Gesinnung Christi? Ganz gewiss nicht. Es ist nur eine andere, wenn auch weniger greifbare Form desselben Fleisches, das sich in meines Bruders Sünde gezeigt hat.
Sehr wichtig ist ferner das Wort: ,,Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen. Es gibt mir den Grund an, weshalb ich mit ihm unter vier Augen über seinen Fehler reden soll. Es handelt sich darum, ihn zu gewinnen. Einige Verse zuvor redet der Herr von Seinen Bemühungen im Suchen des verlorenen Schafes und von Seiner Freude im Finden und Zurückbringen des Verirrten, ohne Zweifel um uns zu zeigen, welch großen Wert ein jedes der Seinigen für Ihn hat, und damit wir daraus lernen, wie wir uns gegen sie alle verhalten sollen. Es ist bemerkenswert, dass gar nicht die Rede ist von irgendwelcher Genugtuung seitens des Beleidigten. Es heißt nicht: Wenn er auf dich hört, so wirst du für alles erlittene Unrecht entschädigt werden, sondern: „so hast du deinen Bruder gewonnen“. Das, und nicht der Gedanke an mich selbst, soll mich bewegen, zu ihm zu gehen. Ist dann der Bruder wirklich „gewonnen“, so wird die in ihm wirkende Gnade als erste Frucht den herzlichen Wunsch hervorbringen, das begangene Unrecht wieder gutzumachen und mich in jeder Hinsicht zufrieden zu stellen. Aber das ist nicht meine Sache. Ich soll nur den Segen des Bruders suchen und alles Weitere dem Herrn überlassen.
Handle ich dementsprechend, wünsche ich in wahrer Liebe nur die innere Wiederherstellung meines Bruders, so wird es heilige Wachsamkeit in mir bewirken, ernst und inbrünstig werde ich für ihn zu Gott flehen. Einen Vogel, der aus dem Käfig entwichen ist, treibt eine ungeschickte Hand oder eine raue Stimme nur immer weiter hinweg. Wem es wirklich darum zu tun ist, ihn zurückzubringen, der wendet große Sorgfalt und zarte Vorsicht an. Nichts ist leichter, als einem fehlenden Bruder wehe zu tun. Deswegen brauchte ich seinethalben nicht mit Gott zu verkehren. Soll er aber gewonnen werden, so muss die Gnade sowohl in mir als auch in ihm wirksam sein.
Was aber nun, wenn meine aufrichtigen Bemühungen, den Bruder zu gewinnen, fruchtlos bleiben? Soll ich dann annehmen, dass nichts mehr zu tun ist? O nein! Vielleicht habe ich die Sache verkehrt angefangen und den Bruder verletzt, statt ihn zu gewinnen. Vielleicht fühlt er sich falsch beurteilt. Vielleicht setze ich nach seiner Meinung Beweggründe bei ihm voraus, die er nie gehabt hat. In diesem Falle hätte ich ihm nur einen, wie er meint, gerechten Grund gegeben, mir zu widerstehen, und ihn unnahbarer gemacht als zuvor. Ich soll daher „noch einen oder zwei“ mit mir nehmen, „damit aus zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt werde. Bleibt auch das fruchtlos, so soll ich die Versammlung mit der Sache bekannt machen. Hört der Fehlende dann noch nicht, bleiben alle Bemühungen, ihn von seiner verkehrten Handlungsweise zu überführen, umsonst, dann, aber auch erst dann, tritt das ernste Wort in Kraft: „er sei dir wie der Heide und der Zöllner“. Auf Erden gibt es für den Gläubigen keine höhere Stelle, an die er sich wenden könnte, als die „zwei oder drei,“ die sich im Namen Jesu versammeln (V. 18 — 20).
Es gibt noch eine Gefahr, der wir bei mangelnder Wachsamkeit leicht unterliegen können. Es kann vor- kommen, dass jemand wirklich in der Absicht zu dem Bruder geht, der gegen ihn gesündigt hat, ihn dem Wort Gottes gemäß zu gewinnen; er tut aber diesen Schritt bloß, um sein eigenes Gewissen zu befriedigen, und redet nicht in Liebe, sondern in gesetzlicher Strenge mit seinem Bruder. Dabei findet er diesen nicht hart und trotzig, wie er vielleicht erwartet hatte, sondern gebrochen und reumütig. Da kann es denn sein, dass der Beleidigte mehr von dem erlittenen Unrecht erfüllt ist, als von dem Wunsche, die Gemeinschaft mit dem Beleidiger wiederhergestellt zu sehen. Verletzter Stolz hält ihn davon ab, sich in Demut zu ihm herabzulassen, oder er zeigt durch sein ganzes Benehmen, dass er lieber die Zucht, die dem Unbußfertigen gebührt, gegen ihn ausgeübt sähe, als die Vergebung, aus die der Reumütige Anspruch hat. Die Gnade hat auf der einen Seite gewirkt, aber nicht aus der anderen; trotzdem die Sache äußerlich geordnet wird, vergibt man im innersten Herzen doch nicht.
Der letzte Teil unseres Kapitels scheint für einen solchen Fall geschrieben zu sein. In Vers 21 stellt Petrus die Frage: ,,Wie oft soll ich meinem Bruder, der wider mich sündigt, vergeben? bis siebenmal? Der Herr antwortet: ,,Nicht sage ich dir, bis siebenmal, sondern bis siebzig mal sieben, und fährt dann fort: ,,Deswegen ist das Reich der Himmel einem Könige gleich geworden, der mit seinen Knechten abrechnen wolltet (Lies Vers 23 — 35).
Zwei Fälle von Schuldnern und Gläubigern werden uns in diesem Gleichnis vorgeführt. Der erste Knecht schuldet seinem König zehntausend Talente. Aus das Bekenntnis der Schuld hin und die ausgesprochene Willigkeit seitens des Schuldners, alles zu bezahlen, wird ihm die ganze ungeheure Schuld sofort erlassen. Doch kaum außerhalb der Gegenwart seines gütigen Herrn, findet dieser Knecht einen seiner Mitknechte, der ihm hundert Denare schuldet, eine im Verhältnis zu der eigenen großen Schuld lächerlich kleine Summe.
Aber „er ergreift und würgt ihn“ und verlangt sofortige Bezahlung. Der arme Schuldner erkennt auch hier die Ansprüche seines Gläubigers ohne weiteres an und ist willig, ihnen nachzukommen; gleichwohl wird ihm nicht das geringste Erbarmen zu teil, rücksichtslos wird er ins Gefängnis geworfen, „bis er die Schuld bezahlt habe“.
Beachten wir das jetzt Folgende wohl, es ist voll ernstester Belehrung! Die Mitknechte, durch dieses unbarmherzige Benehmen sehr betrübt, berichten ihrem Herrn das Vorgefallene. Dieser ruft den unbarmherzigen Knecht zu sich und begegnet ihm mit den strengen Worten: „Böser Knecht! jene ganze Schuld habe ich dir erlassen, dieweil du mich batest; solltest nicht auch du dich deines Mitknechtes erbarmt haben, wie auch ich mich deiner erbarmt habe? Und sein Herr wurde zornig und überlieferte ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt habe, was er ihm schuldig war.“ Dann macht der Herr die Anwendung dieses Gleichnisses mit den Worten: „Also wird auch mein himmlischer Vater euch tun, wenn ihr nicht ein jeder seinem Bruder von Herzen vergebet“.
Es braucht kaum gesagt zu werden, dass es sich in diesem Gleichnis nicht um die Errettung der Seele handelt, sondern um die Regierungswege des Königs in Seinem Reiche, um Grundsätze, denen sich der wirkliche Teilhaber an dem Reiche wie auch der bloße Bekenner unterwerfen muss. Wenn es auch eine unumstößliche Tatsache bleibt, dass Christus auf dem Kreuze die Sünden jedes Gläubigen und deren ewige Folgen getragen hat, so bleibt bezüglich unseres Wandels in dieser Welt ebenso unerschütterlich der Grundsatz bestehen, dass der Mensch das erntet, was er sät. (Gal. 6, 7.) Einen ähnlichen allgemeinen Grundsatz dieser Regierung finden wir in Psalm 18 mit den Worten ausgedrückt: „Gegen den Gütigen erzeigst du dich gütig, gegen den vollkommenen Mann erzeigst du dich vollkommen; gegen den Reinen erzeigst du dich rein, und gegen den Verkehrten erzeigst du dich entgegenstreitend (V. 25. 26). Auch das Wort aus Matth. 5, 7 gehört hierher: „Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren. (Vergl. auch Kap. 6, 14. 15.) Wer von uns dürfte im Rückblick auf alles hinter ihm Liegende von sich sagen: Ich habe Gottes Barmherzigkeit in Seinen Regierungswegen nicht nötig? Müssen wir nicht alle sagen, dass wir angesichts unserer fortgesetzten mannigfachen Verfehlungen in Gedanken, Worten und Handlungen eines Erbarmens bedürfen, das dem entspricht, welches der Schuldner der zehntausend Talente erfuhr? Lasst uns, wenn wir versucht sind, unseren Brüdern gegenüber einen unbarmherzigen, nicht zur Vergebung bereiten Geist zu offenbaren, daran denken, dass Gott in Seiner Gnade wohl, unserer Sünden und Übertretungen nie mehr gedenken will, dass aber dennoch in Verbindung mit Seiner Regierung geschrieben steht: „Mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welchem Maße ihr messet, wird euch gemessen werden (Matth. 7, 2). Lasst uns allezeit jene schöne Ermahnung an die Epheser beherzigen; „Seid gegeneinander gütig, mitleidig, einander vergebend, gleichwie auch Gott in Christo euch vergeben hat“ (Kap. 4, 32).
Ist es nicht bedeutungsvoll, dass das Kapitel, welches uns über den Mittelpunkt unterrichtet, um den wir uns versammeln sollen (Matth. 18, 20), in der Belehrung betreffs unseres Wandels jenem anderen so ähnlich ist, das uns die Grundlage unseres Zusammenkommens, die Wahrheit von dem einen Leibe, zeigt? (Eph. 4.) Wird uns dort ein. kindlich-demütiger Geist und eine zarte Rücksichtnahme auf das Wohl des anderen als unsere Pflicht vor Augen gestellt, so lautet hier . die Ermahnung: „Mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend in Liebe, euch befleißigend, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens“.
Man erzählt von einem blinden Manne, der in der Dunkelheit immer eine Laterne bei sich trug. Gefragt, aus welchem Grunde er das tue, antwortete er, dass das Licht ihn freilich selbst nicht vor dem Straucheln bewahre, da er ja nichts sehen könne, dass es aber andere davor bewahre, gegen ihn anzurennen. Der Herr wolle uns allen geben, als „Kinder des Lichts zu wandeln, sodass wir selber nicht straucheln, anderen aber auch keinen Anlass dazu geben. Möge im Gegenteil unsere Sorge für einander mehr und mehr offenbar werden vor Gott! (Vergl. 2. Kor. 7, 12; 1. Kor. 12, 25). Wenn wir uns stets daran erinnern, dass unser Herr ebenso „barmherzig“ wie „treu“ und „heilig“ ist (Hebr. 2, 17; .7, 26), so werden wir nie auf Kosten göttlicher Grundsätze oder praktischer Heiligkeit Erbarmen und Milde zeigen, ebenso wenig aber auch Härte und Lieblosigkeit für Festigkeit und Treue halten.
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Die Ankunft und Erscheinung des Herrn
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 169ff
Die Offenbarung selbst beantwortet also in voller Klarheit die Frage, wer die drei Klassen von Heiligen sind, die in unserem Abschnitt (Kap. 20, 4 - 6) vor den Augen des Propheten erscheinen: es sind zunächst die bereits vollendeten himmlischen Heiligen, die im 4. und 5. Kapitel unter dem Bilde der 24 Ältesten gesehen werden, dann die Seelen der im Anfang der Drangsalszeit ermordeten Gläubigen, und schließlich die Märtyrer aus der späteren Zeit der Stunde der Versuchung, aus den Tagen des Tieres und des falschen Propheten. Während die ersten auf Thronen gesehen werden, weil sie bereits verherrlicht sind, treten die beiden letztgenannten Klassen als Seelen vor unsere Blicke, die noch der Überkleidung mit ihren Leibern bedürfen. Diese wird ihnen jetzt angekündigt, bzw. an ihnen vollzogen. Unter Zurücklassung der übrigen (in ihren Sünden gestorbenen) Toten in ihren Gräbern, kommen auch sie jetzt, gleich ihrem Herrn und ihren übrigen bereits auferweckten Brüdern, „aus den Toten“ hervor.
Die erste Auferstehung, die Auferstehung des Lebens oder der Gerechten, wie sie auch genannt wird, hat ihren Anfang genommen in der Auferweckung unseres Herrn und Heilandes. Er ist der „Anfang“, der „Erstling der Entschlafenen“, der „Erstgeborene aus den Toten“. Als solcher ist Er Seiner Versammlung oder Gemeinde gegeben, denn Er muss in allen Dingen den Vorrang haben. (Kol. 1, 18.) Als zweiter Abschnitt der ersten Auferstehung wird die Auferweckung derer erfolgen, welche „des Christus sind bei Seiner Ankunft“, der alt- und neutestamentlichen Heiligen (1. Kor. 15, 23. 51 - 54; 1.Thess. 4, 13 — 18.) Aber auch die nach Seiner Wiederkunft noch herzugerufenen und um ihrer Treue willen sterbenden Gläubigen sollen nicht verkürzt werden; sie werden, gleich ihren Brüdern, „würdig geachtet, jener Welt und der Auferstehung aus den Toten teilhaftig zu sein (Luk. 20, 35). Mit ihrer Auserweckung im Beginn „jener Welt“, des Tausendjährigen Reiches, schließt dann die erste Auferstehung. Sie bilden die letzte selige Schar, die dieses Vorrechtes teilhaftig wird. Darum finden wir hier auch die Seligpreisung aller derer, die an der ersten Auferstehung teilhaben. Diese ist jetzt erst vollendet. „Über diese hat der zweite Tod keine Gewalt, sondern sie werden Priester Gottes und des Christus sein und mit Ihm herrschen tausend Jahre. (V. 6.) Viele, viele Tausende außer ihnen gehen lebend in das Reich ein und werden dessen Segnungen genießen, aber es wird nicht von ihnen gesagt, dass sie mit Christo herrschen werden.
Zur Vervollständigung des Ganzen sei hier noch ein kurzes Wort gesagt über die Mitteilung des Apostels in 1. Kor. 15, 51. 52: „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis Wir werden. zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn posaunen wird es, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden.
Die letzte Posaune. *)
In den Kapiteln 8 - 11 des Buches der Offenbarung hören wir von einer Reihe ernster Gerichte, die unter dem Bilde von sieben Posaunen oder Trompeten eingeführt werden. Denkt der Apostel Paulus tan diese, wenn er in der oben angeführten Stelle 1. Kor. 15, 52, von der letzten Posaune redet? Unmöglich! Und zwar aus dem einfachen Umstande, weil die Offenbarung erst mehrere Jahrzehnte nach den Korintherbriefen geschrieben worden ist. Der Apostel kann selbstverständlich nicht aus eine Sache anspielen, die zur Zeit, da er schrieb, noch keinem Menschen bekannt war.
Was bedeutet denn der Ausdruck? Woran denkt« der Apostel? Wir meinen, die Antwort sei nicht schwer.
Es ist bekannt, dass Paulus in seinen Belehrungen gern Anschauungsunterricht erteilt, indem er allgemein bekannte bürgerliche oder militärische Einrichtungen als erklärende Bilder benutzt. So redet er häufig von den Kampfspielen, die in jener Zeit in allen größeren griechischen und römischen Städten gebräuchlich waren. In 1. Kor. 4, 9 sagt er: „Wir sind der Welt ein Schauspiel geworden, sowohl Engeln als Menschen. In diesem gewaltigen Schauspiel, das Gott vor die Augen der Himmels- und Erdenbewohner hingestellt hat, bildeten die Apostel gleichsam das letzte große Schaustück, den ergreifenden und überwältigenden Schlussakt der vorgeführten Spiele und Kämpfe. So wie bei den gewöhnlichen Schaustellungen dieser Art die letzten Kämpfer bis zum Tode. des einen Teiles miteinander kämpfen mussten, so hatte Gott, wie es Paulus dünkte, „die Apostel als die Letzten dargestellt, wie zum Tode bestimmt“.
Im 9. Kapitel unseres Briefes erinnert er die Korinther an die Wettläufer in der Rennbahn und ermahnt sie, gleich jenen enthaltsam zu sein in allem, um so eine unvergängliche Krone, einen unverwelklichen Siegeskranz zu erringen. (V. 24 - 27.) Eine ähnliche, ganz ergreifende Bezugnahme aus den Wettlauf dem Ziele zu, zur Erlangung des herrlichen Kampfpreises, finden wir in Phil. 3, 14. In Kol. 2, 18 ermahnt er die gläubigen Kolosser, sich durch niemand den Kampfpreis entreißen zu lassen, in 2.Tim. 2, 5 den Timotheus, beim Wettkampf die göttlichen Regeln des Kampfspiels zu beachten; und immer wieder redet er von Kronen oder Kränzen des Ruhmes, der Gerechtigkeit usw.
Fast noch häufiger bedient sich der Apostel militärischer Bilder. Die Gläubigen hienieden sind für ihn das streitende Heer seines Herrn, Kriegsleute Jesu Christi, vom Herrn angeworben (2. Tim. 2, 3.4), in Seinen Sold gestellt (1. Kor. 9, 7), berufen, den guten Kampf zu kämpfen (1. Tim. 6, 12), die ganze Waffenrüstung-Gottes zu nehmen« (Eph. 6, 13 — 17), „nüchtern zu sein, angetan mit dem Brustharnisch des Glaubens und der Liebe und als Helm mit der Hoffnung
der Seligkeit« (1. Thess. 5,,8), mitzukämpfen mit dem Glauben des Evangeliums (Phil. 1, 27), mit dem Apostel zu kämpfen an dem Evangelium und in den Gebeten (Phil. 4, 3; Röm. 15, 30) usw. Immer wieder redet er von den Schutz- und Trutzwaffen des Gläubigen und weist auf militärische Einrichtungen hin.. So fragt er in 1. Kor. 14, 8: „Wenn die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zum Kampfe rüsten?“ Auch der Ausdruck: „ein jeder aber in seiner eigenen Ordnung in 1.Kor. 15, 23 ist der Militärsprache entlehnt; das im Griechischen für „Ordnung“ gebrauchte Wort bedeutet eigentlich: Abteilung, Heerhaufen.
Die Auferstehenden gleichen verschiedenen Heerhaufen. Unter Berücksichtigung dieser Gewohnheiten des Apostels liegt es sehr nahe, ja, empfiehlt sich mit fast zwingender Gewalt, auch an unserer Stelle an einen militärischen Ausdruck zu denken, der den Korinthern umso geläufiger war, weil ihre Stadt als Hauptstadt der Provinz eine starke römische Besatzung besaß. So hatten sie jedenfalls täglich Gelegenheit, die Posaunen- oder Trompetensignale der römischen Legionen zu hören, und kannten deren Bedeutung, geradeso wie die Bewohner einer Garnisonstadt heute mit den militärischen Signalen (Werken, Locken, Nachtwache u. dergl.) vertraut sind. „Die letzte Posaune“ will also wohl nichts anderes bedeuten als den letzten Trompetenstoß, welcher der Truppe das Zeichen zum Abmarsch gibt. Es gab Trompetensignale, welche zum Abbruch des Lagers, zur Anlegung der Rüstung (vergl. 1. Kor. 14, 8) und endlich zum Antreten in Reih und Glied riesen. Die letzte Trompete (Posaune) hieß: Marsch!
Wie einfach und schön erklärt sich auf diese Weise die Belehrung des Apostels! Wenn der Herr kommt, um Sein streitendes Heer nach dem letzten Kampf in die ewige Ruhe einzuführen, ruft Er es mit der ,,Po- saune Gottes«. (1. Thess. 4, 16.) Es ist die letzte Posaune, die gleichsam zum Ausbruch oder Abmarsch geblasen wird. “Denn posaunen wird es“, und der mächtige Schall des göttlichen Signals wird in die Gräber und in die Tiefen des Meeres dringen, und alle „Toten in Christo“ werden ihn hören; er wird im Hades vernommen werden und wird hinaustönen zu allen lebenden Gläubigen auf dem ganzen Erden- rund. Die Toten werden auferweckt werden unverweslich (die „Geister der vollendeten Gerechten« werden sich mit ihren auferstandenen Leibern vereinigen), und ,,wir werden verwandelt werden“. Alle, „die des Christus sind bei Seiner Ankunft“ (V. 23), werden lebendig gemacht werden, und zwar in einem Nu, in einem Augenblick. Das mit „Nu“ übersetzte griechische Wort (atomos, daher das Wort „Atom“) bedeutet eigentlich: nicht zerschneidbar, unteilbar. Das will sagen: die ganze Sache wird in einem so kurzen Zeitraum geschehen, dass er sich nicht mehr teilen lässt. Eine Sekunde lässt sich noch vielfach teilen, aber dieser Zeitraum nicht. Rascher als wir es aussprechen, ja, nur denken können, wird diese wunderbare „erste“ Auferstehung mit allen ihren Folgeerscheinungen sich vollziehen.
Gleich einem Heerführer, der mit Donnerruf seine Scharen leitet und, wenn die Stimme nicht mehr ausreichen will, durch den Trompeter an seiner Seite den Truppen seinen Willen und seine Befehle kundgibt, so wird der Herr, der Führer Seines Heeres, der Seine Streiter so oft durch die silberne Trompete Seines Wortes und Geistes (vergl. 3: Mose 23, 24; 25, 9; 4. Mose 10, 1 - 10) zusammengerufen und ihnen Seinen Willen kundgetan hat, bei der letzten Posaune sie, heimrufen vom Kampfplatz und triumphierend mit sich einführen in die Wohnungen des Friedens, wo kein Kampfgetümmel und Waffengeklirr mehr gehört werden wird in Ewigkeit. Mit eines Erzengels Stimme und mit Gottes Posaune (1. Thess. 4, 16) wird Er vom Himmel herniederkommen; dann werden die entschlafenen und noch lebenden Gläubigen (entweder auferweckt oder verwandelt) miteinander vereinigt und durch den Heiligen Geist dem Herrn entgegengeführt . werden in die Luft. Die zahllosen Scharen aller derer, die je an Christum geglaubt haben und bis zu jener Stunde noch an Ihn glauben werden, werden in einem gewaltigen Heereszuge hinaufsteigen, „in Wolken“, ihrem geliebten Herrn entgegen. So wie einst eine Wolke Ihn, „den Himmlischen“, aufnahm, nur den Augen der nachschauenden Jünger sichtbar, so werden auch Wolken das Gefährt bilden, auf welchem wir, „die Himmlischen“, der Welt unsichtbar, emporgehoben werden. Dann wird sich das Wort erfüllen: „Wie wir das Bild dessen von Staub getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen“ (1.Kor. 15, 48. 49). Und: „Verschlungen ist der Tod in Sieg. Wo ist, o Tod, dein Stachel? Wo ist, o Tod, dein Sieg?“ Das Verwesliche wird Unverweslichkeit und das Sterbliche Unsterblichkeit anziehen. Gott selbst wird uns diesen wunderbaren Sieg geben durch unseren) Herrn Jesus Christus. Allem Kampf und Erdenleid für immer entrückt, werden wir bei unserem teuren Herrn sein allezeit.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass es durchaus keinen Grund gibt, weshalb die letzte Posaune nicht jeden Augenblick ertönen könnte. Sobald das Heer des Herrn vollzählig ist, sobald das letzte Glied Seinem Leibe eingefügt ist, steht Seinem Komment zur Entrückung der Seinigen nichts mehr im Wege. Kein zeitliches Erkennungszeichen ist uns deshalb für dieses. Kommen gegeben. Wohl mögen wir in den Ereignissen und Umwälzungen unserer Tage, in den furchtbaren Zuckungen, welche den ganzen Erdkreis erschüttern, Anzeichen des „Anfangs der Wehen“ erkennen, sowie in den Vorgängen in Palästina und den umliegenden Ländern deutliche Hinweise daraus erblicken, dass „die Tage des Endes“ ganz nahe gekommen sind; aber es wäre verkehrt, mehr als das darin zu sehen oder gar zu meinen, diese und andere Dinge müssten noch geschehen, ehe der Herr kommen könne, um Seine Braut heimzuführen. Wer so redet, beweist, dass er mit Gottes Gedanken über Christum und Seinen Leib, sowie über den Zweck des Weilens des Heiligen Geistes hienieden wenig bekannt ist und deshalb auch den Unterschied zwischen dem Kommen Christi als Morgenstern und Seiner Erscheinung als die Sonne der Herrlichkeit nicht genügend beachtet. Der Geist und die Braut rufen: Komm! Ja, sie blicken so wenig aus Zeit und Umstände, rechnen so wenig mit Zeitpunkten und Zeitereignissen, dass sie jeden, der diesen Ruf hört, bedingungslos auffordern, ebenfalls zu rufen: Komm! Da ist nichts mehr vorher zu erwarten, da braucht nichts mehr vorher erfüllt zu werden. Die letzte Posaune kann jeden Tag, heute noch, er- tönen, und die einfältige, ihren Herrn liebende Seele singt und sagt:
„O Jesu, dass ich heut dich säh!“
Zum Schluss möge noch eine von anderer Hand gefertigte Zusammenstellung gewisser Ausdrücke hier Platz finden, mit welchen die Schrift die Ankunft und Erscheinung unseres Herrn Jesus und die sie begleitenden Ereignisse bezeichnet. Der Leser wolle die angeführten Schriftstellen sorgfältig vergleichen, wenn möglich nach einer neueren, genauen Übersetzung.
1. Die Ankunft (Parusie) des Herrn. Das griechische Wort Parusie bezeichnet, wie schon früher angedeutet, sowohl die Gegenwart einer Person, die bis dahin abwesend war, als auch die Handlung, durch welche diese Gegenwart vermittelt wird, die Ankunft. Die Ankunft des Herrn darf jedoch nicht mit der Ankunft (derselbe griechische Ausdruck) des Sohnes — des Menschen (Matth. 24, 3. 30. 37. 39) verwechselt werden. Die erste erfolgt in Gnade, die zweite im Gericht. Wenn der Herr kommt, um Seine Gemeinde zu sich zu nehmen und die entschlafenen Heiligen aufzuerwecken, so tut Er das als der Sohn Gottes (Joh. 5, 21. 25); kommt Er, um Gericht auszuüben, so ist es als der Sohn des Menschen (Joh. 5, 27). — Seine Ankunft zum Gericht ist Seine „Erscheinung“ (Matth. 24, 30). Die Worte: „Die Macht und Ankunft des Herrn Jesus Christus (2. Petr. 1, 16) bezeichnen Seine Gegenwart in Herrlichkeit im Reiche, wovon die Jünger ein Bild und einen Vorgeschmack auf dem heiligen Berge gehabt hatten. (Mark. 9, 1; 2.Petr. 1, 16 - 18.) Die beiden Ausdrücke: Ankunft „des Sohnes des Menschen“ und Ankunft „des Herrn in Macht“ sind also wohl zu unterscheiden von Seinem Kommen, um die Heiligen aufzuerwecken, zu verwandeln und zu entrücken. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.
Für die Ankunft des Herrn vergleiche man: 1. Kor. 15, 23; 1. Thess. 2, 19; 3,13; 4, 15; 5, 23; .2. Thess. 2, 1; Jak. 5, 7. 8; 2. Petr. 3, 4. Dass das griechische Wort nicht nur Gegenwart (Anwesenheit), sondern auch Ankunft bedeutet, beweisen Stellen wie 1. Kor. 16, 17; 2. Kor. 7, 6. 7.
2. Die Offenbarung des Herrn wird erfolgen zur Freude derer, dies geglaubt haben, und zur Beschämung und Verwirrung derer, welche Ihn nicht im Glauben haben anerkennen wollen zur Zeit, da Er verborgen war. Dieser Ausdruck wird daher nicht nur angewandt auf die Offenbarung der Herrlichkeit des Herrn, sondern auch auf die Offenbarung des Gerichts, das Er ausführen wird.
Bezüglich der Offenbarung in Herrlichkeit vergleiche: 1. Kor. 1, 7; 1. Petr. 1, 7. 13; 4, 13; 5, 1; auch Röm. 8, 19; bezüglich der Offenbarung im Gericht: Luk. 17, 30; 1. Kor. 3, 13; 2. Thess. 1, 7; Offbg.1, 1. Das Offenbar- oder Geoffenbartwerden Christi, von welchem in Kol. 3, 4 und 1. Joh. 3, 2 gesprochen wird (ein anderes griechisches Wort als das eben behandelte), bezeichnet, dass Der welcher gegenwärtig in Gott verborgen, dessen Dasein aber bereits bekannt ist, sichtbarlich hervortreten wird.
3, Die Erscheinung (Epiphanie) des Herrn ist die Tatsache, dass Seine Person, die bis dahin un- sichtbar war, endlich gesehen oder sichtbar gemacht werden wird. So war es bei der ersten Erscheinung Christi, als Er in Gnade als Mensch in diese Welt trat, und so wird es bei Seiner zweiten Erscheinung in Gericht und Herrlichkeit sein, wenn ,,jedes Auge Ihn sehen wird.
Im Anschluss an die Erscheinung Christi werden die Früchte des Verhaltens der Christen den Augen "aller offenbar werden; sie leitet die Regierung" des Herrn ein.
Hinsichtlich der ersten Erscheinung Christi vergleiche man: Tit. 2, 11; 3, 4; hinsichtlich der zweiten: 2.Thess. 2, 8; 1. Tim. 6, 14; 2. Tim. 4, 1 — 8; Tit. 2, 13.
4. Der Tag des Herrn ist immer ein Tag des Gerichts und bezeichnet im Neuen Testament nicht einen Tag von 24 Stunden, sondern einen Zeitabschnitt, o der nach dem Kommen des Herrn für die Seinigen beginnt und die prophetischen Ereignisse bis zur „Erscheinung des Herrn“ umfasst. In 2.Petr. 3 erstreckt sich der Tag des Herrn noch über diese Erscheinung hinaus bis zur Auflösung des gegenwärtigen Himmels und der Erde. Der Tag Jehovas im Alten Testament entspricht dem „Tage des Herrn“ und bezeichnet die Zeit des Zornes und der Gerichte Gottes, sei es über Israel oder über die Nationen. Nachdem dieser Tag durch die Propheten angekündigt worden ist, hat er eine teilweise, vorlaufende Erfüllung schon in der Vergangenheit erfahren, in dem Zorn, der über Israel gekommen ist; die volle Erfüllung, die Zeit der „Drangsal für Jakob“ (Jer. 30, 7) steht noch bevor.
Bezüglich des Tages des Herrn vergleiche: Apg. 2, 20; 17, 31; 1. Kor. 3, 13; 5, 5; 2. Kor. 1,14; 1.Thess. 5, 2; 2. Thess. 2, 2; Hebr. 10, 25. 27;" "Offbg. 6, 17; 16, 14. Bezüglich des Tages Jehovas unter anderen Stellen: Jes. 13, 6. 9; Hesekiel 30, 3; Jer. 46, 10; Joel 1, 15; 2, 1. 11. 31; Amos 5, 18. 20; Obadja 15; Zeph. 1, 7. 14; Mal. 3, 2; 4, 1. 5.
5. Der Tag Christi (oder Jesu Christi), wie auch der Ausdruck „jener Tag, hat eine ausgedehntere Bedeutung. Dieser Tag beginnt mit dem Ausgang des Morgensterns oder mit der Ankunft des Herrn, der Morgenröte dieses Tages, welche die Erlösten in die Herrlichkeit einführt. Der Tag Christi findet seine Fortsetzung vor dem Richterstuhl Christi, wo die Austeilung der Kronen oder auch der Verlust des Lohnes stattfindet. Er endet mit der öffentlichen Erscheinung des Herrn mit Seinen Heiligen, nachdem „die Hochzeit des Lammes“ im Himmel stattgefunden hat. Dann werden die Folgen des Verhaltens der Gläubigen nicht nur im Himmel, sondern auch vor den Augen aller geschaut werden. Vergl. hierzu Phil. 1, 6. 10; 2, 16; 2. Tim. 1,12. 18; 4, 8. 6.
Das Ende der Tage bedeutet im Alten Testament immer den Zeitabschnitt der Segnung, welcher den letztens Gerichten folgen wird, d. h. die Ausrichtung des Tausendjährigen Reiches und die endgültige Wiederherstellung des Volkes Israel, verbunden mit der Segnung der übrigen Völker. Vergl. Jes. 2, 2; Jer. 23, 20; 30, 24; 48, 47; 49, 39; Dan. 10, 14; Hosen 3, 5; Apg. 2, 17. 181
Im Neuen Testament bezeichnet der Ausdruck „die. letzten Tage (mit Ausnahme der bereits angeführten Stelle, Apg. 2, 17) im Gegenteil die Zeit der vollen Entwicklung des Bösen, da die Christenheit niemals wiederhergestellt werden wird, wie es mit Israel der Fall ist. Siehe 2. Tim. 3, 1; Jak. 5, 3; 2. Petr. 3,3.
7. Die Stunde. Dieses Wort wird von Johannes oft angewandt, um einen Zeitabschnitt von ausgedehnter Länge oder auch von kürzerer Dauer zu bezeichnen. Vergl. Joh. 5, 25. 28; Offbg. 3, 10; 14, 7; 18, 10. An vielen anderen Stellen bedeutet „Stunde“ das plötzliche Hereinbrechen eines Gerichts, dessen Dauer sich dann aber lange hinausziehen kann. Siehe Matth. 24, 36. 42. 44. 50; 25, 13; Offbg. 3, 3.
Mit dem Ausdruck ,,die letzte Stunde (1. Joh. 2, 18) bezeichnet der Geist Gottes die ganze Zeit des Verfalls des Christentums, die mit der Wirksamkeit des antichristischen Geistes zur Zeit des Apostels Johannes schon begann und sich fortsetzt bis zum Auftreten des Antichrists am Ende der Tage.
Der Tag Gottes (2. Petr. 3, 12) ist der Tag, welcher der Zerstörung des Himmels und der Erde und dem Gericht der Toten vor dem großen weißen Thron folgen wird. Es ist der ewige Tag des neuen Himmels und der neuen Erde, in welchen Gerechtigkeit wohnt.
Dann wird die Zeit gekommen sein, wo Der, der aus dem Throne sitzt, sagen wird: „Siehe, ich mache alles neu . . . Wer überwindet, wird dieses ererben, und ich werde ihm Gott sein, und er wird mir Sohn sein“ (Vgl. Offbg. 21, 1 - 7).
Indem wir hiermit unsere Abhandlung schließen, geben wir der Hoffnung Ausdruck, dass sie dazu dienen möge, zur Klärung der wichtigen Frage beizutragen und alle Leser in der Hoffnung aus die baldige Ankunft des Bräutigams zu stärken. Je näher wir dem Ziele kommen, umso mehr werden verwirrende Stimmen laut werden, umso eifriger wird der Feind sich bemühen, dem Volke Gottes eine seiner stärksten Stützen im Kamps und Dienst zu rauben. Aber das kostbare Wort unseres geliebten Herrn bleibt bestehen: „Ich komme wieder, um euch zu mir zu nehmen“, und: „Der diese Dinge bezeugt, spricht: Ja, ich komme bald!“
Amen, komm, Herr Jesus!
Fußnote:
*) Der Leser wird in dem Nachstehenden einen Auszug aus einem unlängst erschienenen Aufsatz finden. Wir bringen ihn nochmals zum Abdruck, weil er unmittelbar zu dem behandelten Gegenstand gehört.
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Verworfene Gnade und geöffnete Himmel
Bibelstelle: Apostelgeschichte 7
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 182ff
Zwei Hauptgedanken treten in dem vorliegenden ergreifenden und belehrenden Kapitel vor unsere Herzen: das Verwerfen der Gnade seitens des Menschen und das Öffnen, der himmlischen Herrlichkeit seitens Gottes. Gott war verworfen worden, Er mochte reden oder handeln, wie Er wollte, und zwar gerade dann am meisten, wenn Er die Reichtümer Seiner Gnade entfaltete. „Ihr widerstreitet allezeit dem Heiligen Geiste!“ tönte es aus dem Munde des treuen Zeugen Stephanus in die Ohren der Hörer. Dabei rühmten diese Christum verwerfenden Juden sich des Gesetzes. Aber hatten sie das Gesetz, das sie durch Anordnung von Engeln empfangen hatten, wirklich beobachtet? Im Gegenteil, sie hatten die Propheten verfolgt, hatten die getötet, welche die Ankunft des Gerechten zuvor angekündigt hatten, und jetzt hatten sie Ihn sogar selbst verraten und ermordet (V. 51 — 53).
Ihr gegenwärtiges Tun War kein neuer Zug in ihrer Geschichte. Ihre Väter hatten das Gleiche getan wie sie. Der Mensch widersteht allezeit dem, was Gott im Segen sendet. Schon Joseph und Moses, diese beiden hervorragenden Vorbilder des Herrn Jesus, hatte man verworfen. Ihre Väter hatten Joseph geschmäht und gehasst. Sie hatten dasselbe getan Christo gegenüber. Gott hatte Joseph erhöht, und heute galt das Zeugnis des Stephanus Jesu, dem zur Rechten Gottes stehenden Menschensohne. Und wenn Joseph einst seine Verwandten in Gnaden zu sich holen ließ, tat und wird Christus nicht später dasselbe tun?
Als dann Moses erschienen war und aus Liebe zu. seinen Brüdern den Palast des Pharao verlassen hatte, waren sie ihm entgegengetreten, so wie sie heute Christo entgegentraten. ,,Wie eure Väter, so auch ihr. Mit diesen Worten war all ihrem Rühmen ein Ende gemacht. Nur in einem hatten sie Beständigkeit bewiesen: allezeit widerstritten sie dem Heiligen Geist. So war es von jeher mit dem Menschen von Natur. Er misstraut Gott. Allezeit widerstreitet er dem Geiste Gottes. Er hat überhaupt keine Kraft in sich, auf Gottes Wort sich zu verlassen. Sobald aber etwas erscheint, was er zu sehen oder zu betasten vermag, stützt er sich darauf, mag es sein was es will. Gott mag den Schauplatz verlassen; wenn nur die Stiftshütte oder der Tempel noch bleibt, also etwas für das Auge Sichtbares, so hat der Mensch genug, mag es auch gerade das sein, was Gott im Begriff steht zu richten.
Dem Zeugnis Gottes hat der Mensch, wie gesagt, stets widerstanden; dagegen klammert er sich an das an, was Gott vielleicht schon in der nächsten Stunde niederreißen will. Alles, was nicht auf das Wort gegründet ist, wird erschüttert werden. Die Heilige Schrift gibt uns diesbezüglich eine bestimmte, für Fleisch und Blut allerdings schreckliche Verheißung. „Dessen Stimme“, heißt es in Hebr. 12, „damals die Erde erschütterte; jetzt aber hat Er verheißen und gesagt: „Noch einmal werde ich nicht allein die Erde bewegen, sondern auch den Himmel. Aber das „noch einmal“ deutet die Verwandlung der Dinge an, die erschüttert werden als solche, die gemacht sind, auf dass die, welche nicht erschüttert werden, bleiben. Deshalb, da wir ein unerschütterliches Reich empfangen, lasst uns Gnade haben, durch welche wir Gott, wohlgefällig dienen mögen mit Frömmigkeit und Furcht. „Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“ (V. 26 - 29). Inwieweit können wir dieses Wort als Verheißungswort für uns in Anspruch nehmen? Wenn unsere Herzen hienieden ihre Ruhe suchen und finden, können wir es natürlich nicht. Alles hängt von der Beantwortung der Frage ab: In welcher Verbindung stehen unsere Herzen mit Christo droben, mit Ihm, der gegenwärtig unsichtbar ist und nur von dem Auge des Glaubens geschaut wird?
Welch eine wunderschöne Antwort findet diese Frage in dem Falle des Stephanus! Er war ein leuchtender Abglanz seines hochgelobten Herrn, ein Mann, der, wider die Sünde ankämpfend, bis aufs Blut widerstand. Noch mehr: wir erblicken in ihm eine lebendige Darstellung dessen, was wir in unserem täglichen Wandel sein sollten. Denn wir sind berufen, allezeit durch die Kraft des Geistes ein Zeugnis für Christum abzulegen, wenn es heute auch nicht bis zum Tode gehen mag.
Die Verwerfung des durch Stephanus abgelegten Zeugnisses stellt überdies einen Wendepunkt dar in den Wegen Gottes mit Israel und mit dem Menschen überhaupt, obwohl dieser Wendepunkt grundsätzlich bereits bei dem Tode Christi eingetreten war. Nach der Ermordung des Sohnes Gottes konnte Gott die «Welt nie mehr unmittelbar segnen. Er hätte dem schuldigen Israel vergeben können, wenn es Buße tat, und den ihnen zuvor verordneten Christus wiedersenden können als Antwort aus das Gebet des Herrn am Kreuze. Und gerade das ist es, was Petrus in Apgstsch. 3 verkündigt, wenn er sagt, dass auf die Buße des Volkes hin ihre Sünden ausgetilgt werden würden, und Jesus bereit sei, wiederzukommen und die Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge einzuführen —— eine Wahrheit, deren Erfüllung durch die gegenwärtige Unbußfertigkeit Israels zwar verzögert, aber niemals vereitelt wird. Denn Jesus wird wiederkommen.
Nun aber erfährt das Zeugnis des Stephanus eine völlige Zurückweisung; der Zeuge von der himmlischen Herrlichkeit Christi wird aus der Stadt hinausgestoßen und erbarmungslos gesteinigt. Das war die einem solchen Zeugnis entsprechende Folge.
Gott hatte sich seit den Tagen Adams auf jede mögliche Art und Weise mit dem Menschen beschäftigt, aber alles hatte nur dazu gedient, das Böse umso mehr hervortreten zu lassen; denn der Mensch widerstand Gott allezeit. Vor dem Gesetz war er gesetzlos, nach Einführung des Gesetzes wurde er ein Übertreter desselben. Umsonst gab Gott Priester, Könige und Propheten. Schließlich sandte Er Seinen Sohn. Aber Verwerfung war zu allen Zeiten und unter allen Umständen des Menschen Antwort. Ja, als Christus kam, fügte er der schrecklichen Liste seiner Sünden noch ein anderes Verbrechen hinzu. Das Böse offenbarte sich in seiner schlimmsten Form. Der Mensch verwarf den Sohn des Menschen in Seiner Erniedrigung, und jetzt verwarf er das Zeugnis des Heiligen Geistes bezüglich der Erhöhung Christi in die himmlische Herrlichkeit Jesus kam nicht in der Strenge des Gesetzes, sondern in Liebe, aber trotzdem erntete Er nur Feindschaft und Hass. Wenn es irgend, eine Möglichkeit für die Menschen als solche gegeben hätte, in Verbindung mit Gott zu kommen, so hätte es bei dem Kommen Christi geschehen müssen. Aber zu einer solchen Verbindung bedarf der Mensch einer neuen Natur. Sonst ist sie unmöglich. Nun, Christus gibt diese neue Natur einem jeden, der da glaubt, und Er hat den Heiligen Geist herniedergesandt, damit Er die Verbindung mit Gott in Macht aufrecht erhalte.
So schaute denn Stephanus, „voll Heiligen Geistes, unverwandt gen Himmel, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesum zur Rechten Gottes stehen, und er sprach: „Siehe, ich sehe die Himmel geöffnet, und den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes stehen!“
Das ist der wahre Platz des Gläubigen. Er ist durch den Geist fähig gemacht, sein Auge aus Jesum in der Herrlichkeit zu richten, und das in Gegenwart einer Welt, die den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt hat, und angesichts des Fürsten dieser Welt. Es ist nicht so, als ob sein Auge nur einfach (oder gar noch unsicher) für die Herrlichkeit geöffnet wäre, nein, er schaut den Sohn des Menschen dort, und der Geist bildet sein Herz, seine Gesinnung und seinen Wandel jenem Vorbilde gemäß. Der Vorhang ist zerrissen, Jesus ist im Himmel und wird dort gesehen. Viermal sehen wir im Neuen Testament den Himmel geöffnet, die beiden ersten Male, während der Herr auf Erden wandelte. Es gab nichts in dem Zustande des Menschen, worauf Gott mit Wohlgefallen hätte herabblicken können, bis der Mensch Christus Jesus auf der Erde weilte. Dass die Himmel sich dann aber über Ihm öffneten, war kein Wunder. Gott hatte jetzt einen vollkommenen Ruheplatz aus Erden gefunden, und als die Himmel sich auftaten, ertönte Seine Stimme: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe“. Zum letzten, dem vierten, Male lesen wir in Offbg. 19 von einem Sichauftun des Himmels. Bei dieser Gelegenheit sehen wir Christum als Richter kommen, um Rache zu nehmen an Seinen Feinden. In allen diesen Fällen öffnete sich der Himmel für Christum. Aber es gibt noch einen dritten, Fall, wo der Himmel sich auftat, und diesmal nicht für Christum oder über Ihm. Er war inzwischen von der Erde verworfen worden und bildete nicht länger ein Bindeglied zwischen ihr und Gott. Aber wo war und wo ist Er denn? Zur Rechten Gottes. Seine Kreuzigung bedeutete das Verdammungsurteil über die ganze Welt und das Gericht für den Fürsten dieser Welt. Alles, Landpfleger, Priesterschar und Volksmenge, hatte sich vereinigt gegen den Herrn und Seinen Gesalbten. Die Welt machte entschlossen Front gegen Gottes Heiligkeit, und für Seine Liebe hatte sie kein Herz. Und doch, nach dieser furchtbaren Tat des Menschen und trotz allem öffnete sich der Himmel noch einmal, und zwar nicht für. Sein Kommen zur Vollziehung des Gerichts. Nein, er öffnete sich über einem an Christum e Glaubenden, über einem Zeugen Seiner außerweltlichen Herrlichkeit. ,,Siehe, ich sehe die Himmel geöffnet, und den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes stehen!« Christus selbst war einst der Gegenstand auf Erden, über dem der Himmel sich austat. Jetzt ist Er der Gegenstand im Himmel, der dem auf Erden befindlichen Gläubigen gezeigt wird.
Aber das Zeugnis des Stephanus rief lediglich den mörderischen Widerstand der Welt wach. Sie hatte sich bereits der Verwerfung des auf Erden weilenden Christus schuldig gemacht; jetzt verwirft sie Ihn wiederum als den in den Himmel Erhöhten.
Beachten wir jedoch, dass Stephanus Ihn nur so sah und von Ihm zeugte, als er „voll Heiligen Geistes“ war. Es ist etwas anderes, den Heiligen Geist zu haben oder mit dem Heiligen Geist erfüllt zu sein. Ich kann den Geist haben, ohne mit Ihm erfüllt zu sein. Nur dann, wenn Er die eine Quelle meiner Gedanken ist, bin ich mit Ihm erfüllt. Wenn Er wirklich mein Herz besitzt, dann ist Kraft vorhanden, alledem Schweigen zu gebieten, was nicht von Gott ist, und meine Seele vor dem Bösen zu bewahren; ja, Kraft ist da, um mich in jeder Handlung meines Lebens und Wandels zu leiten, so dass ich in beidem von der Welt- unbefleckt erhalten werde (Vergl. Eph. 5, 18: „Berauschet euch nicht mit Wein, in welchem Ausschweifung ist, sondern werdet mit dem Geiste erfüllt“.)
Wie ist es nun mit uns? Schauen wir unverwandt gen Himmel? Ach! wie unbeständig sind unsere. Herzen, wie wankelmütig und veränderlich! Das Streben des Heiligen Geistes geht dahin, unser Auge stets auf Jesum gerichtet zu erhalten. Er ist der Gegenstand des Geistes von Ewigkeit her, sei es als Sohn im Schoße des Vaters, sei es als der verworfene Messias auf der Erde, oder als der zur Rechten Gottes erhöhte Sohn des Menschen. Ihn zu offenbaren und zu verherrlichen, ist Zweck und Ziel des Geistes.
Wenn die Kraft zum Gebet gering bei uns ist, wenn es uns gar Mühe macht, anderen Gebeten zu folgen, wenn unsere Herzen durch alle möglichen Gedanken abgelenkt werden, unsere Seelen sich nur schwer zu Preis und Anbetung erheben können, dann besitzen wir sicherlich nur ein schwaches Maß der Kraft des Heiligen Geistes. Wir sind nicht mit dem Heiligen Geist erfüllt.
Doch ich komme noch einmal aus den geöffneten Himmel in Apg. 7 zurück. Welch ein Gedanke, welch eine herzerquickende Wahrheit ist es doch, dass die Himmel sich über einem Gläubigen hienieden öffnen können, nachdem Christus, der Sohn des Menschen, droben eingegangen ist! Und doch gibt es noch Größeres. In Eph. 2 lesen wir nämlich, dass Gott uns mit dem Christus lebendig gemacht, mit Ihm auferweckt und in Ihm hat mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern. Nachdem Er selbst Seinen Platz zur Rechten Gottes eingenommen hat, sind wir dazu bestimmt, auch dort zu sitzen in Ihm, weil wir mit Ihm, der dort ist, eins gemacht sind. „Wer dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit Ihm“ (1. Kor. 6, 17).
In unserem Kapitel tut sich der Himmel also nicht auf wie in den Evangelien, um den in Niedrigkeit gekommenen Jesus als den geliebten Sohn Gottes anzuerkennen; es handelt sich auch nicht um ein Öffnen der Himmel, bei welchem die Engel Gottes auf- und niedersteigen aus den Sohn des Menschen, den Gegenstand des Dienstes für diese würdigsten und heiligsten aller Geschöpfe Gottes. Es ist auch noch kein geöffneter Himmel, aus dem ein Reiter auf weißem Rosse hervorkommt zu Triumph und gerechtem Gericht. Nein, was wir hier haben, ist eine kostbare Zwischenszene, wo der Jünger auf Erden die Himmel geöffnet sieht und, voll Heiligen Geistes, die Herrlichkeit Gottes schaut und Jesum zu Seiner Rechten stehen sieht. Es ist das klare und charakteristische Gemälde von der wahren Stellung des Christen, der zwar verworfen ist wie Jesus, um Jesu willen und mit Jesu, dessen Augen aber durch den Heiligen Geist Hoffnungen und Herrlichkeiten erschlossen sind, weit höher als die, welche mit der Wiederkehr des Herrn aus diese Erde, mit dem Gericht über sie und mit der Wiederherstellung Seines irdischen Volkes in Verbindung stehen. Himmlische Herrlichkeit, — und zwar mit Jesu in ihrer Mitte, — das ist das Teil, mit dem seine Seele in gegenwärtiger Gemeinschaft steht.
Bemerkenswert ist die Art und Weise, wie Stephanus in seiner Rede an die Juden den Boden für diesen Punkt vorbereitet und dahin überleitet. In dem kurzen Abriss, den er von der Geschichte des Volkes von ihren ersten Anfängen an entwirft, hebt er. Abraham hervor als den, der durch die Erscheinung des „Gottes der Herrlichkeit aus seinem Lande und seiner Verwandtschaft herausgerufen wurde. Abraham war ein Fremder in dem Lande der Verheißung, und nicht ein Fußbreit davon gehörte ihm. Dann berichtet Stephanus von den Sünden, den Sorgen und der Knechtschaft „unserer Väter“ bis dahin, wo Gott sie aus Ägypten befreite, so wie Er einst Abraham aus Mesopotamien berief. Zwei Personen nehmen in diesem Bericht einen hervorragenden Platz ein, und zwar sowohl durch die Ehre, die ihnen von Seiten Gottes zuteilwurde, als auch vor allem durch ihre vorhergehende Verwerfung seitens Israels. Die eine dieser beiden Personen ist Joseph. Er wird an die Heiden verkauft, erhält aber später den ersten Platz in der Verwaltung Ägyptens und wird so das Werkzeug der Güte und Weisheit Gottes zugunsten gerade der Brüder, die ihn verfolgt und verkauft hatten. Die andere ist Moses. Er ist der verworfene Oberste und Richter, den Gott lange Zeit danach dem Volk als Obersten und Retter sendet. Es sind die gleichen Züge, die sich auch bei der letzten großen Sünde. des Volkes wiederfinden, und denselben Pfad will Gottes Gnade auch jetzt wieder einschlagen. Aber noch haben sie keine Ohren, um zu hören. Von Anfang an hatten ihre götzendienerischen Herzen sich ja von Ihm abgewandt, wie langsam Er auch in der Ausübung des Gerichts gewesen sein mochte. Und Gott? Während ihre armen, selbstgefälligen Herzen an dem Tempel, der heiligen Stätte, hingen, war Er, sowohl jetzt wie allezeit, in Kanaan gleichsam ein Fremdling, wie einst Abraham, Sein Freund. Wohl hatte „Salomon Ihm ein Haus gebaut“. Aber dieser Umstand hatte dem Propheten nur Gelegenheit gegeben, ihnen zu sagen, dass der Höchste, dessen Hand alles bereitet hat, nicht in einem Tempel wohnt, der mit Händen gemacht ist, und am allerwenigsten in Verbindung mit Götzendienst, den sie wieder eingeführt hätten, und mit der vollendeten Gottlosigkeit, wie sie in den letzten Tagen der Geschichte des Volkes zutage treten wird.
Das Kommen Christi, des Gerechten, und Seine Geschichte war die neue und völlige Bestätigung dieser verschiedenen Grundsätze Gottes gewesen, und alles was durch Stephanus in der Kraft des Heiligen Geistes gesagt wurde, war dazu angetan, einen gewaltigen Eindruck auf ihre nicht erneuerten, aufrührerischen Gewissen zu machen. Aber alles war umsonst. Doch für ihn öffnete sich der Himmel, wie es auch für uns geschehen kann kraft der Tatsache, dass wir Glieder Christi sind: „ihr in mir und ich in euch“ (Joh. 14, 20). Wir schauen die Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi. In Ihm sind wir zu Gottes Gerechtigkeit gemacht. Er hat die Heiligkeit Gottes voll und ganz aufrecht gehalten, und nun ist Gottes Gerechtigkeit für mich und rechtfertigt mich. Und der Heilige Geist befähigt mich, auszuschauen in den Himmel und dort meinen Vorläufer zu sehen —— meine Gerechtigkeit dort oben. Ich selbst befinde mich dort, denn Christus und der Gläubige sind eins. Ich bin eins mit Ihm. Es ist Paulus, der uns diese Wahrheit in völligster Weise vorstellt. Vom Tage seiner Belehrung an wurde er mit ihr bekannt gemacht. An diesem Tages vernahm er das Wort: „Ich bin Jesus, den du verfolgst“. Nie haben die anderen Apostel diese Wahrheit so entwickelt wie er. Paulus war das ausgerüstete Gefäß, um diese große Wahrheit in sich aufzunehmen und weiter zu geben, eine Wahrheit, die bis dahin noch nicht kundgetan worden war, — das Geheimnis war verborgen in Gott, — umso das Wort Gottes zu vollenden, wie wir in Kol. 1, 25 lesen. Es war da gleichsam noch ein unbeschriebenes Blatt übriggeblieben.
Als Stephanus unverwandt gen Himmel schaute, sah er den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes stehen. Ein Mensch im Himmel wird von einem ,Menschen« auf Erden gesehen. Welch ein gewaltiger Schritt vorwärts! Ja, Christum im Himmel zu haben, Ihn dort zu erblicken und schon bei Lebzeiten mit Ihm in jener Herrlichkeit vereinigt zu sein — das ist wahrlich ein unermesslicher Segen. Wann wäre je so etwas in eines Menschen Herz gekommen!
Doch warum wurde der Sohn des Menschen stehend zur Rechten Gottes gesehen? Er konnte sich nicht setzen, so lange nicht der letzte Akt in der Geschichte Seiner Verwerfung vollendet war. Welch eine Sprache redet das zu uns! Wie weit ist doch der Mensch in der Sünde gegangen! Welch ein Weh, welch einen Jammer hat er über sich gebracht! Nachher hat Christus sich gesetzt, und nun wartet Er, bis Seine Feinde gelegt sind zum Schemel Seiner Füße. So müssen auch wir warten. Wir warten nicht aus Gerechtigkeit — dazu sind wir bereits gemacht — wohl aber „aus Glauben auf die Hoffnung der Gerechtigkeit“ (Gal. 5, 5). Im Geist und nach Gottes Ratschluss sind auch wir in Christo zur Rechten Gottes, so lang bis die Himmel sich zum letzten mal öffnen und der Sohn des Menschen hervorkommt, um alles das zu richten, was „erschüttert“ werden kann (Hebr. 12, 27). Könnte mich das irgendwie beunruhigen? O nein, ich bin in Sicherheit bis ans Ende. Ich empfange ein unerschütterliches Reich und besitze die Stadt, welche Grundlagen hat. Ich bin mit dem verbunden, was Gott festgestellt hat und was niemals erschüttert werden kann.
Welch eine Wirkung sollte doch dieses himmlische Gesicht auf unsere Seelen haben! In Stephanus brachte es eine durchgreifende praktische Ähnlichkeit mit Christo hervor. Christus hatte das gute Zeugnis abgelegt vor Pontius Pilatus, vor Kajaphas, dem Volke usw. Und Stephanus? Er ist ein treuer Nachfolger Dessen, den er im Himmel sieht. Er legt Zeugnis für seinen Herrn ab, indem er sich und die Gefahr, in der er sich befindet, völlig vergisst. An die Folgen denkt er in keiner Weise. Der Heilige Geist leitet ihn und erfüllt ihn mit überströmender Freude. Der Becher floss über. Das Herz war so mit Christo erfüllt, dass es jede Sorge um Leben und mögliche Folgen vergaß. Christus war der einzige Gegenstand, der vor Stephanus stand. Er war Christo ähnlich im Bekennen wie im Leiden, in- dem er „ergänzte was noch rückständig war“ (Kol. 1, 24). Sein Ende bot in der Tat ein wundervolles Gemälde von Gleichförmigkeit mit Christo in Gnade, von einem völligen Vertrauen im Ausblick zu Ihm, in dessen Hände er seinen Geist befahl, sowie von einer wirkungsvollen Fürbitte für seine Mörder. „Und niederkniend rief er mit lauter Stimme: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht zu!“
In Stephanus vermochte der Geist, der bei ihm in keiner Weise gedämpft war, die Zurückstrahlung des Charakters, der Wege und Worte Christi hervorzubringen. Aber das führte Prüfungen und Versuchungen mit sich, wie es stets der Fall sein wird. Wir werden das Kreuz zu spüren bekommen. Aber sollten wir deswegen betrübt sein? Nein, denn nur Gutes kommt für uns dabei heraus. Das Kreuz zieht uns von der Welt ab, es zerbricht den eigenen Willen und befreit uns von der Selbstsucht, indem es — dahin kann es freilich kommen —— unter Umständen Bande zerschneidet, die dem Herzen am allerteuersten sind. Das Kreuz hat eine wunderbare Kraft, obwohl es nichts Anziehendes besitzt. Wenn es das besäße, so wäre es ja kein Kreuz. Aber es richtet den Gläubigen aus und lässt ihn erkennen, welch ein Teil er in Christo besitzt, der nur darauf wartet, Seine teuer Erkauften zu sich zu nehmen, „auf dass, wo Er ist, auch sie seien“.
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Warum waren die Jünger in Lukas 24, 36ff. bestürzt als sie den Herrn sahen? Hatte der Herr sich ihnen in einem verherrlichten Leibe gezeigt, oder hatte die Bestürzung einen anderen Grund?
Bibelstelle(n): Lukas 24, 36ff
Entnommen aus: Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, S. 196
Der Tod des Herrn hatte alle Hoffnungen der elf Jünger vernichtet, ihre sehnlichsten Erwartungen zertrümmert. Sie hatten davon geträumt, mit dem geliebten Messias eine Zeit reichen äußeren Segens und irdischer Herrlichkeit genießen zu dürfen, Ihn als Haupt und Mittelpunkt des kommenden Reiches zu sehen. Statt dessen war Er wie ein Missetäter am Fluchholz gestorben, Sein Körper war ins Grab gelegt worden! Und nun erreicht eine Botschaft nach der anderen ihr Ohr, dass der Geliebte wieder da, aus den Toten auferstanden sei. Schließlich brachten ihnen die beiden Emmausjünger die wunderbare Kunde von ihrer Begegnung mit Jesus. Da lief das Maß über. In tiefster Bewegung riefen sie einander zu: „Der Herr ist wirklich auferstanden und dem Simon erschienen!“
In diesem Augenblick, als die Wogen der Gefühle den höchsten Punkt erreicht hatten, als die Spannung schier unerträglich geworden war, erschien Jesus selbst in ihrer Mitte. Trotz verschlossener Türen stand Er selbst plötzlich leibhaftig vor ihren Blicken. Dürfen wir uns wundern, dass sie zunächst bestürzt waren und meinten, sie sähen einen Geist? Würde es uns nicht genau so ergangen sein?
Der Herr hat die Bestürzung der Jünger dazu benutzt, um uns für alle Zeiten unwiderlegbare Beweise von Seiner wirklichen, körperlichen Auferstehung zu geben. Er war es selbst, derselbe Jesus wie sie Ihn gekannt hatten, nur jetzt auferstanden, bekleidet mit einem geistigen Körper, der essen und trinken konnte, aber nicht Speise und Trank brauchte. Dennoch verbarg Er für den Augenblick die strahlende Herrlichkeit dieses Auferstehungskörpers, weil sonst die Jünger Seinen Anblick überhaupt nicht hätten ertragen können.
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Die Versammlung und die Zucht
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 197ff
Nach den oft angeführten Worten unseres Herrn: „Wo zwei oder drei zu meinem Namen hin versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte (Matth. 18, 20), weilt Er selbst inmitten der Seinigen, wenn sie sich so zusammenfinden. Ferner hat der Heilige Geist, außer dass Er in den Gläubigen persönlich Wohnung genommen hat, sie auch alle zu einem Leibe getauft, und Er wohnt und wirkt in diesem Leibe, der Versammlung (Gemeinde). Die also Getauften bilden in ihrer Gesamtheit „Gottes Tempel“, die „Behausung Gottes im Geiste“ (1. Kor. 3, 16; Eph. 2, 22).
Diese Gegenwart des Herrn und Seinen Heiligen Geistes bedingt naturgemäß die Aufrechthaltung der Reinheit und Heiligkeit innerhalb der Versammlung, die Absonderung von allem Bösen. Dem Hause des Herrn geziemt Heiligkeit auf immerdar. (Ps. 93, 5.) Der Herr kann sich nicht einmachen mit Bösem, Unordentlichem und Schriftwidrigem. Er hat Mitleid mit unseren Schwachheiten (Hebr. 4, 15), d. h. mit unserer menschlichen Unvollkommenheit, mit unserem Schmerz und Kummer. Er weiß, wie uns zumute ist, wenn Hunger und Durst, Hitze und Kälte auf uns einwirken, wenn Freunde und verlassen, wenn Misserfolge und Enttäuschungen aller Art uns müde und matt machen wollen, denn Er hat alles das aus Seinem Wege durch die Welt persönlich erfahren. Aber nie hat Er Mitleid mit der Sünde, nie Erbarmen mit dem Bösen. Er hasst die Sünde! „Seine Augen sind wie eine Feuerflamme. Sie durchdringen und durchforschen alles, bringen das Böse ans Licht und ins Gericht. Der Prophet Habakuk sagt von Jehova: „Du bist zu rein von Augen, um Böses zu sehen, d. h. zu dulden (Kap. 1, 13). Gott will, dass die Seinigen zu allen Zeiten sich dieser Heiligkeit ihres Herrn bewusst sind, deshalb ermahnt Er sie sowohl im Alten wie im Neuen Testament: „Seid heilig, denn ich bin heilig“ (3. Mose 11, 45 u. 1. Petr. 1, 16). Die bekannte Stelle aus Ps. 93, 5: „Deinem Hause geziemt Heiligkeit, Jehova, auf immerdar, führten wir bereits an, und in 1. Thess. 5, 22 werden die Gläubigen aufgefordert, sich „von aller Art des Bösen fernzuhalten“.
Wir haben aus diesen ernsten Grundsatz schon oft aufmerksam gemacht und dürfen ihn wohl als bekannt voraussetzen. Worauf wir heute die Aufmerksamkeit des Lesers richten möchten, ist die Frage, wie eine Versammlung sich zu verhalten hat, wenn ein Glied oder mehrere sich nicht rein erhalten in Wandel oder Lehre. Der feierliche Ausspruch des Herrn in Matth. 18, 18: „Wahrlich, ich sage euch: Was irgend ihr (die Versammlung, von welcher Er im vorhergehenden Verse gesprochen hat) auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein, zeigt uns, dass die Gegenwart des Herrn inmitten der Versammlung dieser eine göttliche Machtbefugnis gibt, zu „binden“ und zu „lösen“, oder zu richten und zu vergeben. Indem die im Namen Jesu Versammelten in Übereinstimmung mit dem in ihrer Mitte sich befinden- den Herrn handeln, finden diese Handlungen im Himmel Anerkennung, obwohl sie sich selbstverständlich in ihrer Wirkung nur auf diese Erde erstrecken. Es ist eine böse Verirrung, wenn behauptet wird, die Kirche könne Sünden vergeben oder behalten im Blick auf die Ewigkeit, mit anderen Worten, die Kirche könne den Himmel öffnen oder verschließen. Damit setzt man in vermessener Verblendung Menschen an die Stelle Gottes. Ganz richtig sagten einst die Pharisäer zum Herrn: „Wer kann Sünden vergeben, außer Gott allein?“ (Luk. 5, 21). Was sie vergaßen oder nicht erkannten war, dass „Gott, geoffenbart im Fleische“, in ihrer Mitte stand, dass der „Sohn des Menschen“ also Gewalt hatte, Sünden zu vergeben.
Über die praktische Ausübung des „Bindens“ und „Lösens“ geben uns die beiden Korintherbriefe klaren Aufschluss. In der Gemeinde zu Korinth befand sich ein Böser, der in der gröbsten Weise gegen die Heiligkeit des Hauses Gottes verstoßen hatte. Aber die Versammlung trug anfänglich nicht einmal Leid hierüber, noch weniger dachte sie daran, den Anstoß aus ihrer Mitte zu entfernen. Das gab dem Apostel Veranlassung, die Korinther ernstlich zurechtzuweisen. Er schreibt ihnen: „Ihr seid aufgeblasen und habt nicht vielmehr Leid getragen, aus dass der, welcher diese Tat begangen hat, aus eurer Mitte hinweggetan würde“ (1. Kor. 5, 1 - 3). Das Offenbarwerden des Bösen sollte zunächst stets eine Versammlung zur Beugung und zum Selbstgericht bringen und schmerzliche Gefühle bei den Einzelnen wachrufen, in dem Bewusstsein der Mitschuld nicht nur, sondern vor allem bei dem Gedanken daran, wie sehr der Herr betrübt und verunehrt wird, wenn Dinge unter Seinen Geliebten vorkommen, die den Ausschluss eines oder gar mehrerer Glieder aus der Gemeinschaft der Kinder Gottes fordern. Die Versammlung trägt wohl in den meisten Fällen einen Teil der Schuld. Denn wenn sie wachsamer gewesen wäre und so, die Gefahr beizeiten erkennend, dem Betreffenden nachgegangen wäre und ihn in Liebe und Ernst ermahnt hätte, würde der Ausschluss möglicherweise vermieden worden sein. Ach! es wird viel in dieser Beziehung gefehlt. Darum wird man gar oft erst dann auf den bösen Zustand eines Gläubigen aufmerksam, wenn es bereits zur öffentlichen Verunehrung des Herrn gekommen ist, und nur noch die Ausübung der Zucht übrigbleibt. Das sollte gewiss nicht so sein. Der Ausschluss ist das letzte ernste Mittel, um einen Untreuen zur Erkenntnis seines Zustandes zu bringen, und daher sollte man erwarten dürfen, dass in den meisten Fällen Bitten, Ermahnungen und Zurechtweisungen der Zucht vorausgegangen sind. Ist das nicht der Fall, so hat die Versammlung ganz besondere Ursache, sich anzuklagen und vor dem Herrn zu demütigen. Trotzdem aber ist sie nicht weniger verpflichtet, wie der Fall in Korinth uns zeigt, sich von dem Bösen zu reinigen. In welcher Weise und unter welchen Bedingungen das zu geschehen hat, ersehen wir aus den Versen 3 — 5: „Denn ich, zwar dem Leibe nach abwesend, aber im Geiste gegenwärtig, habe schon als gegenwärtig geurteilt, den, der dieses also verübt hat, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, wenn ihr und mein Geist mit der Kraft unseres Herrn Jesus Christus versammelt seid, einen solchen dem Satan zu überliefern zum Verderben des Fleisches, auf dass der Geist errettet werde am Tage des Herrn Jesus“.
Diese Worte rufen uns zunächst die Tatsache ins Gedächtnis zurück, dass die Kraft des Herrn Jesus inmitten der um Ihn gescharten Versammlung es ist, welche deren Handlungen eine solche Tragweite und Bedeutung gibt. In dem vorliegenden Falle trat noch die Kraft des Geistes hinzu, welche sich in der apostolischen Macht Pauli entfaltete, der im Verein mit der Versammlung den Bösen dem Satan überlieferte?) Der Zweck der Zucht war, den Betreffenden, fern von den Segnungen der Gemeinschaft der Gläubigen und der Gegenwart des Herrn, in dem Bereich der Macht Satans, des Fürsten dieser Welt, und durch dessen Faustschläge über das Furchtbare seiner Sünde zur Einsicht zu bringen. Das Gericht wurde auf dieser Erde an ihm vollzogen, damit er dereinst nicht dem ewigen Gericht verfalle, „sein Geist vielmehr errettet werde am Tage des Herrn Jesus“. Wie ernst und schwer die Strafe (2.Kor. 2, 6) auch sein mochte, so kam doch nur die wunderbare Gnade des Herrn in ihr zum Ausdruck. „Die Zurechtweisungen der Zucht sind der Weg des Lebens“ (Spr. 6, 23).
Im 11. Verse gibt dann der Heilige Geist durch den Apostel weitere Belehrungen über die Behandlung solcher, die Brüder genannt wurden, aber sich als Böse offenbarten: „Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Umgang zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Hurer ist, oder ein Habsüchtiger, oder ein Götzendiener, oder ein Schmäher, oder ein Trunkenbold, oder ein Räuber, mit einem solchen selbst nicht zu essen. Ganz am Schluss unseres Abschnittes heißt es dann noch Einmal: „Tut den Bösen von euch selbst hinaus, wodurch der Heilige Geist ohne Frage zeigen will, dass Seine Aufzählung der einen Bösen kennzeichnenden Dinge in Vers 11 keineswegs erschöpfend ist, sondern dass es sich hier um einen Grundsatz von allgemeiner Bedeutung handelt. Wer irgend sich als ein „böser Mensch in der Mitte der Gläubigen offenbart und trotz treuer Bemühungen der Liebe seitens der Versammlung aus seinem bösen Wege beharrt, muss unter Anwendung des letzten Zuchtmittels aus der Mitte der Gläubigen entfernt werden. Sowohl die Heiligkeit und Ehre des Herrn als auch das Wohl des Betreffenden machen diesen ernsten Schritt zu einer Notwendigkeit.
Römer. 16, 17 ermahnt uns, keine Gemeinschaft zu pflegen mit denen, „welche Zwiespalt und Ärgernis anrichten“. „Wendet euch von ihnen ab!“ sagt der Apostel dort. Den Thessalonichern schreibt er, dass sie sich zurückziehen sollten „von jedem Bruder, der unordentlich wandelt, und dass sie, wenn jemand dem Worte des Apostels durch den Brief nicht gehorchen würde, diesen Bruder „bezeichnen“ und „keinen Umgang“ mit ihm haben sollten (2. Thess. 3, 6. 14. 15). Im letzten Falle wurde ein solcher Bruder also nicht ausgeschlossen. Obwohl sein Zustand äußerst bedenklich war und eine ernste Behandlung nötig machte, war er doch nicht so schwerwiegend, dass der völlige Bruch der Gemeinschaft, also auch der Ausschluss vom Tische des Herrn, erforderlich gewesen wäre. Johannes schreibt über das Verhalten einem Irrlehrer gegenüber: „Jeder, der weitergeht und nicht bleibt in der Lehre des Christus, hat Gott nicht; wer in der Lehre bleibt, dieser hat sowohl den Vater als auch den Sohn. Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmet ihn nicht ins Haus auf und grüßet ihn nicht. Denn wer ihn grüßt nimmt teil an seinen bösen Werken (2. Joh. 9 - 11). Es kann hier natürlich nicht von Ausschluss die Rede sein, weil Johannes nicht an eine Versammlung, sondern an eine einzelne Person schreibt. Ohne Frage aber hat eine Versammlung, in welcher ein solcher Irrlehrer auftreten würde, die Pflicht, ihn aus ihrer Mitte hinauszutun; sie würde sich ja sonst mit seinen „bösen Werken“ eins machen. Nicht Duldsamkeit ist in solchen Fällen am Platze, sondern ein entschiedenes Einschreiten und Handeln, allerdings im Geiste der Liebe. Die wahre Liebe besteht gerade darin, „dass wir nach Seinen Geboten wandeln (2.Joh. 6). Wir alle neigen leider sehr dahin, menschliche Liebe und natürliches Mitgefühl für göttliche Liebe zu halten. Wir vergessen, dass die wahre Liebe sich gerade in dem treuen „Festhalten an der Wahrheit zeigt, und dass die natürliche Liebe, obwohl ursprünglich von Gott ins Herz gesenkt, doch ebenso durch die Sünde verderbt ist und irregeleitet wird wie unsere ganze alte Natur.
Ganz besonders beachtenswert, obwohl leider manchmal übersehen, ist ein Punkt der Belehrung des Apostels in 1. Kor. 5, nämlich der, dass die Zucht nur von der Versammlung oder Gemeinde Gottes ausgeübt werden kann, und zwar nur dann, wenn die Gläubigen, wie der Apostel es ausdrückt, „mit der Kraft des Herrn Jesus Christus versammelt sind“. Es ist keineswegs Aufgabe und Befugnis einzelner Brüder, über Zulassung oder Zucht zu bestimmen. Sicher ist es gut, wenn sich zunächst eine Anzahl einsichtsvoller Brüder, die sich um das Wohl der Seelen bekümmern und ein Herz für sie haben, mit den verschiedenen Angelegenheiten der Versammlung beschäftigt. Es gibt ja, in größeren Versammlungen wenigstens, kaum einen anderen Weg, um die. vorliegenden Fragen zu prüfen und zu einer Ordnung derselben zu kommen. In der Regel mag sich die Versammlung auch dem Urteil dieser Brüder anschließen, denn: „aus zweier oder dreier Zeugen Mund soll jede Sache bestätigt werden“ (Matth. 18, 16). Aber diese Brüder stellen nicht die Versammlung dar und können daher auch keine für die Versammlung bindenden Beschlüsse fassen. Es kann ihnen nur obliegen, die Meinung oder Überzeugung, zu welcher sie nach Anhörung der betreffenden Personen und Prüfung der Verhältnisse gekommen sind, der Versammlung, wenn sie als solche versammelt ist, mitzuteilen, d.h. also die Zulassung bzw. den Ausschluss vorzuschlagen. Der Versammlung selbst muss dann genügend Zeit gelassen werden, um den Fall vor dem Herrn zu erwägen. Jedes einzelne Glied, Bruder oder Schwester, muss die Möglichkeit haben, gegebenen Falles eine abweichende Meinung zu äußern, denn alle tragen die Verantwortung für den zu fassenden Beschluss **) Wo Brüder anders handeln, greifen sie in die Befugnisse ein, die nur einer Versammlung mit dem Herrn in ihrer Mitte zustehen.
Dass eine Versammlung zunächst nur mit ihren eigenen örtlichen Angelegenheiten sich befassen darf, also kein Recht hat, sich ohne zwingenden Grund (wir werden auf diesen Punkt noch zurückkommen) in die einer anderen einzumischen oder gar für diese zu handeln, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung. „Tut den Bösen von euch selbst hinaus“, ist ein Wort, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriglässt.
Fassen wir das Gesagte noch einmal kurz dahin zusammen, dass jede Handlung der Zucht also von der Versammlung oder Gemeinde ausgehen und geschehen muss im Namen des Herrn Jesus Christus und unter der Leitung des Heiligen Geistes, sonst entspricht sie nicht dem Worte Gottes und darf nicht auf die Anerkennung des Himmels rechnen. Derselbe Grundsatz gilt natürlich auch für die Wiederzulassung eines Ausgeschlossenen. Ein solcher soll wieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden, wenn sich zeigt, dass die Zucht ihren Zweck, die Beugung und Wiederherstellung des Betreffenden, erreicht hat. Wenn der Schuldige über seinen Fehltritt oder Zustand „Gott gemäß betrübt ist, so bewirkt diese Betrübnis „eine nie zu bereuende Buße zum Heil“ (2. Kor. 7, 10), und die Versammlung soll ihm, damit er nicht etwa „durch übermäßige Traurigkeit verschlungen werde“, vergeben und erneut „Liebe gegen ihn betätigen“ (2. Kor. 2, 5 — 11).
Da nun alle Kinder Gottes aus der ganzen Erde einen Leib bilden, so ist es selbstverständlich, dass die richtig ausgeübte Zucht, auch Zulassung oder Wiederzulassung, obwohl sie zunächst Sache der örtlichen Versammlung ist, von allen anderen Versammlungen anerkannt werden muss. Viele widersetzen sich dieser Wahrheit und wollen der Zucht keine über den örtlichen Kreis hinausgehende Tragweite zubilligen. Wenn wir uns diese Ansicht einmal in die Praxis umgesetzt denken, so hätte beispielsweise der in Korinth Ausgeschlossene, der in der Kraft des Geistes und im Namen des Herrn Jesus aus der Gemeinschaft der Gläubigen entfernt worden war, gegebenen Falles an einem anderen Orte, sagen wir in Thessalonich oder Rom oder Jerusalem, "die Gemeinschaft der Heiligen genießen können; mit anderen Worten: Derselbe Herr und Geist, welcher es in Korinth für nötig erachtet hatte, den Bösen aus der Mitte hinauszutun, würde damit einverstanden gewesen sein, wenn eine andere Versammlung ——die den Fall für nicht so schwerwiegend hielt, oder der Meinung war, sich an die Handlung der Versammlung in Korinth, trotzdem deren Glieder mit den ihrigen einen Leib bildeten, nicht binden zu müssen —, einen solchen nach ihrem Gutdünken wieder zugelassen hätte. Jeder einsichtige Christ wird einen solchen Gedanken unverzüglich zurückweisen; er bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die praktische Leugnung der Einheit des Leibes und des Geistes.
Vorausgesetzt ist immer, und das möchte ich nochmals ausdrücklich betonen, dass die Beschlüsse einer Versammlung unter der Leitung des Heiligen Geistes und im Namen des Herrn Jesus zustande gekommen sind. Unfehlbar ist keine Versammlung, aber wenn sie sich ihrer Abhängigkeit vom Herrn bewusst bleibt und in fraglichen Fällen von Seiner Verheißung in Matth. 18, 19 im Glauben Gebrauch macht, so wird sie erfahren (manchmal in ganz ergreifender Weise), wie Gott auch in unseren Tagen des Verfalls und der kleinen Kraft treu zu Seinem Worte steht und das Rufen Seiner Kinder beantwortet. Das Bewusst- sein ihrer ernsten Verantwortlichkeit und der Möglichkeit des Irrens und Fehlens bei den besten Meinungen und Absichten wird sie auch bereit machen, etwaigen Vorstellungen treuer Brüder aus anderen Versammlungen Gehör zu schenken, ihnen vielleicht—erbetene nähere Mitteilungen zu machen oder den vorliegenden Fall mit ihnen noch einmal zu besehen. Wenn Liebe und Demut die Herzen erfüllen, wird auch die schwierigste "Frage sich so regeln lassen, das; die Gewissen aller" befriedigt werden.
Ich lasse zum Schluss noch einen kurzen Aufsatz aus der Feder eines uns allen wohlbekanntens Schreibers (J. N. D.) folgen, in welchem er unsern Gegenstand mit der ihm eigenen Gründlichkeit und Klarheit behandelt. Er sagt:
„Als allgemeine Grundlage des Handelns wird anerkannt, dass jede Versammlung von Christen, die im Namen des Herrn Jesus und in der Einheit Seines Leibes versammelt sind, sobald sie als Körperschaft handelt, dies tut unter ihrer eigenen Verantwortlichkeit gegenüber dem Herrn, wie z. B. wenn sie einen Akt der Zucht ausübt, oder auch wenn sie im Namen des Herrn diejenigen zulässt, die in ihre Mitte kommen, um an Seinem Tische teilzunehmen. Jede Versammlung handelt in einem solchen Falle aus eigenem Antrieb und in ihrem Bereich, indem sie über rein örtliche Dinge entscheidet, die aber nichtsdestoweniger eine Tragweite haben, welche sich auf die ganze Kirche erstreckt. Die geistlichen Männer, die sich dieser Tätigkeit widmen und sich mit den Einzelheiten beschäftigen, bevor der Fall vor die Versammlung gebracht wird (damit das Gewissen aller an der Sache beteiligt sei), können selbstverständlich in sehr nützlicher Weise und mit Sorgfalt auf die Einzelheiten "eingehen; aber wenn sie irgend eine Sache entscheiden wollten ohne die Versammlung der Heiligen (selbst in den gewöhnlichsten Dingen), so würde ihre Handlung nicht mehr die der Versammlung sein und könnte nicht anerkannt werden.
„Wenn solch örtliche Angelegenheiten in dieser Weise durch eine in ihrem Bereich handelnde Versammlung zur Entscheidung gebracht worden sind, so sind alle anderen Versammlungen der Heiligen, als in der Einheit des Leibes stehend, gebunden, das was getan worden ist anzuerkennen, indem sie, wenigstens solange nicht das Gegenteil bewiesen ist, es für ausgemacht halten, dass alles in richtiger Weise und in der Furcht Gottes, im Namen des Herrn geschehen ist. Ich bin gewiss, dass der Himmel diese heilige Handlung anerkennt und bestätigt; ja, der Herr hat gesagt, dass es so sein werde (Matth. 18, 18).
„Es ist oft ausgesprochen und anerkannt worden, dass die Zucht, welche in dem „von euch selbst hinaustun“ (1. Kor. 5, 13) besteht, das letzte Mittel sein soll, zu welchem man seine Zuflucht nimmt, und zwar nach dem jede Geduld und Gnade erschöpft ist, und wenn ein längeres Gehenlassen des Bösen nichts anderes sein würde als eine Verunehrung des Namens des Herrn und ein Verbinden des Bösen (praktischerweise) mit Ihm und dem Bekenntnis Seines Namens. Andererseits geschieht die Zucht des Ausschlusses stets im Blick auf die Wiederherstellung der Person, an welcher man sie ausübt, und niemals, um sich derselben zu entledigen. So ist es auch mit den Wegen Gottes mit uns. Gott hat immer das Wohl der Seele, ihre Wiederherstellung zu voller Freude und Gemeinschaft im Auge, und niemals zieht Er Seine Hand zurück, bevor dieses Ergebnis erreicht ist. Die den Gedanken Gottes entsprechende, in Seiner Furcht ausgeübte Zucht hat dasselbe Ziel; sonst ist sie nicht von Gott.
„Aber wenn auch eine örtliche Versammlung wirklich in ihrer eigenen und persönlichen Verantwortlichkeit dasteht und ihre Handlungen, vorausgesetzt dass sie von Gott sind, die anderen Versammlungen binden, wie in der Einheit eines einzigen Leibes, so hebt doch diese Tatsache nicht eine andere auf, die von der größten Wichtigkeit ist und doch manchmal vergessen zu werden scheint, nämlich dass die Stimme der Brüder anderer Örtlichkeiten ebenso viel Freiheit hat wie die der Brüder des Ortes, sich in ihrer Mitte hören zu lassen, um die Versammlungs-Angelegenheiten zu besprechen, obwohl sie örtlich nicht zu dieser Versammlung gehören. Sich dem widersetzen würde tatsächlich seiner Leugnung der Einheit des Leibes Christi gleich sein.
„Weiter kann das Gewissen und der innere Zustand h einer örtlichen Versammlung so sein, dass sie kein Bewusstsein oder doch nur ein sehr unvollkommenes Verständnis von dem hat, was der Ehre Christi und ihr selbst geziemt. Das alles macht dann das Auffassungsvermögen so schwach, dass nicht mehr genügend geistliche Kraft vorhanden ist, um das Gute und das Böse zu unterscheiden. Vielleicht können auch in einer Versammlung Vorurteile, Übereilung, oder auch die Geistesrichtung und der Einfluss einer oder mehrerer Personen das Urteil der Versammlung irreführen und so bewirken, dass die Zucht unrichtig aus- geübt und einem Bruder vielleicht schweres Unrecht zugefügt wird. In einem solchen Falle ist es ein wahrer Segen, wenn geistliche und einsichtsvolle Männer aus anderen Versammlungen ins Mittel treten und das Gewissen der Versammlung wieder auf den rechten Weg zu bringen suchen, wie auch dann, wenn sie kommen aus die Bitte der Versammlung hin oder auch von denen geladen, deren Angelegenheit im Augenblick die Schwierigkeit bildet. Statt dass ihr Dazwischentreten in einer solchen Stunde als ein unberechtigtes Eindringen betrachtet werden dürfte, muss es vielmehr angenommen und im Namen des Herrn anerkannt werden. Wollte man anders handeln, so würde man damit die Unabhängigkeit gutheißen und die Einheit des Leibes Christi leugnen. Nichtsdestoweniger dürfen diejenigen, welche kommen und so handeln, nicht getrennt von dem übrigen Teil der Versammlung handeln, sondern das Gewissen aller muss berücksichtigt werden. „Sollte eine Versammlung jede Vorstellung zurückweisen und es ablehnen, die Hilfe und das Urteil anderer Brüder anzunehmen, so ist, nach Anwendung aller Geduld, eine Versammlung, die mit jener in Gemeinschaft stand, berechtigt, deren irrtümliche Handlung für nichtig zu erklären und die zurückgewiesene Person, falls man sich in Bezug aus sie getäuscht hat, zuzulassen. Doch wenn man bis zu diesem äußersten Schritt kommt, hat sich die Schwierigkeit zu einer Frage der Verweigerung der Gemeinschaft mit jener Versammlung gestaltet, die verkehrt gehandelt und aus diese Weise selbst ihre Gemeinschaft mit den übrigen, die in der Einheit des Leibes handeln, gebrochen hat. Solche Maßregeln können nur nach viel Sorgfalt und Geduld getroffen werden, damit das Gewissen aller die Handlung als von Gott kommend anerkennen könne.
„Ich mache auf diese Gegenstände aufmerksam, weil eine Neigung vorhanden sein könnte, die Vorstellungen von Brüdern aus anderen Orten für unberechtigt zu erklären und eine Unabhängigkeit im Handeln in jeder örtlichen Versammlung auszustellen. Jede Handlung ist jedoch, wie ich im Beginn anerkannt habe, zunächst Sache der örtlichen Versammlung.“
Fußnote:
*) vergl. 1. Timotheus 1,20. Hier übt der Apostel dieselbe Macht ohne die Versammlung aus.
**) Mit Recht befolgt man deshalb wohl in den meisten Versammlungen die Regel, die Betreffende Mitteilung am Tage des Herrn in Verbindung mit dem Zusammensein am Tische des Herrn zu machen und eine Woche später, falls inzwischen kein Einspruch erfolgt ist, als Beschluss der Versammlung zu verkünden.
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Du weißt es nicht
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 212ff
Die Welt liegt im Bösen und ist weit von der Wahrheit entfernt. Wohl gibt der Mensch vor, nach "der Wahrheit zu suchen; aber indem er es in eigener" Kraft und auf selbstgewählten Wegen tut, kann er sie nicht erkennen und finden. Unsicher tappt er im Finstern umher. Zuweilen meint er das Ziel der Forschung erreicht zu haben, aber schon im nächsten Augenblick muss er erkennen, dass es nur ein Trugbild war.
So treibt der natürliche Mensch der Ewigkeit zu. Er kennt nicht den wahren Zweck des Lebens, Licht über das Jenseits besitzt er auch nicht. Treffend spricht der Herr von solchem Menschen: „Wer in der Finsternis wandelt, weiß nicht, wohin er geht“ (Joh. 12, 35).
Muss der Mensch denn in der Finsternis bleiben? Muss er so dahin gehen, bis der ewige Tod ihn ergreift? Nein! Der Sohn Gottes, das wahrhastige Licht, ist in diese Welt gekommen, um jeden Menschen zu erleuchten (Joh. 1, 9), um ihm den Weg aus der Irre in die Heimat, von den unruhigen Wogen menschlicher Meinungen und fleischlicher Lüfte in den Hafen göttlichen Friedens zu zeigen, ja, um ihn zu stellen aus den sicheren Felsen des Erlösungswerkes von Golgatha. Wohl einem jeden, der sich in dieser wunderbaren Gnadenzeit dahin leiten lässt! Aber viele achten nicht auf „die Stimme der Weisheit, indem sie schroff alles abweisen, was ihnen gesagt wird. Andere hören wohl, bleiben aber gleichgültig. Wieder andere machen niemals Ernst, obwohl sie zugeben, dass es anders mit ihnen werden sollte. Zu spät erkennen diese alle ihre Torheit, wenn sie in der Ewigkeit bestätigt finden, dass alles, was die Heilige Schrift ihnen bezeugte, untrügliche Wahrheit war. Viel zu spät kommt diese Erkenntnis. Alles ist dann für ewig entschieden, die Zeit der, Gnade ist vorüber, und es gibt kein Entrinnen mehr vor dem ewigen Verderben.
Mein Leser! Weißt du auch noch nicht, wohin du gehst? Wandelst du noch in Finsternis und Unwissenheit dahin? Dann lass dich. aufwecken aus deiner verhängnisvollen Gleichgültigkeit! Bleibe stehen auf deinem Wege und bedenke, wohin er führt! Er endet „bei verzehrendem Feuer und bei ewigen Gluten;" und wer von uns könnte da weilen? (Jes. 33, 14.) Noch ist die Tür der Rettungsarche nicht verschlossen, noch lässt Gott dich warnen, noch ladet Jesus dich ein. Bedenke aber, wie schnell die Gelegenheit zur Errettung dir enteilen kann, und sie kehrt dann nie wieder zurück. Darum lass dich heute noch zu Jesu führen! Er hat die Strafe zu deinem Frieden am Kreuze aus Golgatha getragen. Dort ist alles Licht. Dort gibt es Frieden und Ruhe für Herz und Gewissen. Dort findest du auch die Wahrheit, deren Erkenntnis frei macht von Satan, Welt und Sünde, von fleischlichen Religionen und eigenem Ich.
Für jeden, der Jesum im Glauben ergriffen hat, ist das ernste Wort des Herrn: »Er weiß nicht, wohin er geht, der köstlichen Gewissheit der Errettung gewichen. Eine ewige Annahme und eine ewige Herrlichkeit sind sein sicheres Teil. Er weiß, dass er „aus dem Tode in das Leben übergegangen ist“. (1. Joh. 3, 14). Im Blick auf seine Reise durch diese Welt kann er, vertrauend auf Gottes Liebe, sagen: „Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken“ (Röm. 8, 28). Und wenn er an das Ende seines Weges denkt, so darf er mit glücklichem Herzen bezeugen: „Wir wissen, dass, wenn unser irdisches Haus, die Hütte, zerstört wird, wir einen Bau von Gott haben, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, ein ewiges in den Himmeln“ (2. Kor. 5, 1). Wahrlich, es ist ein herrlicher Tausch, den alle die machen, welche sich zu Jesu hinwenden und ihr Vertrauen auf Den setzen, der uns geworden ist „Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung“ (1. Kor. 1, 30). Wenn schon von Israel gesagt werden konnte: „Glückselig bist du, Israel! wer ist wie du, ein Volk, gerettet durch Jehova? (5. Mose 33, 29) wie viel mehr muss das dann wahr sein von solchen, die für den Himmel berufen sind!
Bezüglich seines Weges und Verhaltens hienieden ist der Gläubige auch keineswegs unwissend. Es gibt für ihn „einen Pfad, den der Raubvogel nicht kennt, und den das Auge des Habichts nicht erblickt hat; den die wilden Tiere nicht betreten, über den der Löwe nicht hingeschritten ist“ (Hiob 28, 7. 8); es ist der Pfad des Glaubens, den unser geliebter Herr als der Anfänger und Vollender des Glaubens vor uns gegangen ist. Die Gläubigen befinden sich in ganz neuen Verbindungen und Beziehungen, sowohl zu Gott als auch zu den übrigen Gläubigen und ihren Mitmenschen. Sie bilden das Haus Gottes. Um dieser neuen Stellung entsprechen zu können, werden sie unterwiesen, auf dass sie „wissen“, wie sie sich da zu verhalten haben (1. Tim. 3, 15).
Doch nicht nur das. Gott will, dass wir Seinen Willen und Seine Gedanken kennen. Zu diesem Zweck sandte Er Seinen Heiligen Geist herab, der die Tiefen Gottes erforscht und weiß, was in Gott ist. Diesen Geist haben wir empfangen, ,,auf dass wir die Dinge kennen (oder wissen), die uns von Gott geschenkt sind«. (1. Kor. 2, 12.) Freilich kommt die Erkenntnis "dieser Dinge nicht von selbst; um sie zu erlangen, ist ein fleißiges Erforschen der Heiligen Schrift unter ernstem Gebet erforderlich. Da gilt es, gleich dem das Manna sammelnden Israeliten, sich ,,Morgen für Morgen« auf- zumachen und zu sammeln (2. Mose 16, 21), mit dem Eifer der Ruth, von der dem Boas berichtet wurde: „…so ist sie gekommen und dageblieben vom Morgen bis jetzt“ (Ruth 2, 7).
Wir sind oft betrübt über die geringen geistlichen Fortschritte in unserer Mitte, klagen über Dürre der Herzen, über zunehmende Gleichgültigkeit und wachsenden Weltsinn. Mit allem Recht! Aber woher kommen diese Erscheinungen? Sie alle sind die Folge der Nachlässigkeit im Gebet, im Lesen des Wortes und in der Pflege der Gemeinschaft mit dem Herrn. Man hält sich zu wenig an der Quelle auf, die stets klar und frisch sprudelt, und an die man nie vergeblich herantritt. Man ist nicht „begierig“ nach der vernünftigen, unverfälschten Milch. Wie könnte man da wachsen in der Gnade und Erkenntnis Gottes und unseres Herrn Jesus Christus? Wie fähiger werden, unserer Berufung zu entsprechen und den listigen Anläufen des Feindes zu widerstehen?
Mein lieber gläubiger Leser! Gottes Wille für uns ist, dass wir „erfüllt sein mögen mit der Erkenntnis Seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis, um würdig des Herrn zu wandeln“. (Kol. 1, 9. 10). Da es den Kolossern an dieser Erkenntnis mangelte, zeigten sich sehr bald ernste Folgen sowohl in dem persönlichen Wandel der einzelnen Gläubigen, als auch in der Darstellung des gemeinsamen Zeugnisses. Die Verbindung mit Christo, dem Haupte, wurde gelockert, der Herrlichkeit Seiner Person geschah Abbruch, und die Gläubigen kamen in Gefahr, als „Beute“ weggeführt zu werden durch die Philosophie und den eitlen Betrug der Menschen. Sie glichen einem Schiff, das dem Steuer nicht mehr gehorcht und nun von den Wellen hin und her geworfen wird. Man braucht sich daher nicht zu verwundern, dass der Apostel einen „großen Kampf“ um sie hatte.
Welch eine Gnade ist es, dass der Herr uns in diesen letzten ernsten Zeiten wieder Licht gegeben hat über den Platz des Gläubigen vor Gott, und dass Er viele Seiner Kinder zurückgeführt hat zu dem, „was von Anfang war“! Es hat Zeiten gegeben, wo die Gläubigen kaum wussten, dass ihnen die Sünden vergeben waren. Belehrungen über die Stellung des Gläubigen in Christo, deren Erkenntnis das Herz mit solch dankbarem Staunen erfüllt, blieben ihnen versagt. Die gemeinsame Darstellung der Einheit des Leibes, das Zusammenkommen „zu dem Namen Jesu hin“ und die Anbetung des Vaters „in Geist und Wahrheit“ waren ihnen fast ganz unbekannte Dinge. Welch eine Gnade darum, dass der Herr in einer Zeit, wo die Verwirrung in der Christenheit täglich zunimmt und der völlige Abfall sich vorbereitet, die Herzen der Seinen wieder auf diese Dinge gelenkt hat! Wir sollten Ihm von Herzen dafür danken und uns dadurch anspornen lassen zu einem heiligen, dem Herrn geweihten Wandel, Ihm nach und Ihm entgegen, dessen Ankunft so nahe ist.
Im Blick auf das uns Anvertraute ruft der Herr uns zu: „Ich komme bald; halte fest was du hast, auf dass niemand deine Krone nehme!“ (Offbg. 3, 11). Zu allen Zeiten hat der Feind das jeweilige Werk Gottes aus der Erde zu verderben gesucht. Er kann es nicht ertragen, wenn der Herr verherrlicht wird. Betrachten wir nur die Zeiten nach der Rückkehr des kleinen Überrestes Israels aus der babylonischen Gefangenschaft, wo der Altar des Gottes Israels „an seiner Stätte wieder errichtet wurde, wo man den Grund zum Tempel legte und später auch die zerstörten Mauern Jerusalems ausbesserte. Nichts ließ der Feind unversucht, um das Werk zu hindern und dem Volke Schaden zuzufügen. (Lies Esra, Nehemia und Haggai.) Überaus tröstlich ist es, da aber auch wahrnehmen zu dürfen, wie angesichts ihres Unvermögens (denn es war ein Tag „kleiner Dinge“), der vielen Gefahren und der List und Macht des Feindes, ihnen dieselbe Kraft und Gnade zur Verfügung standen wie zur Zeit der Ausführung aus Ägypten oder zur Zeit des Einzugs in Kanaan. (Vergl. Haggai 1, 13; 2, 4 - 9. 20 — 23).
In unseren Tagen hat Satan seine Anstrengungen, zu verführen und zu verderben, verdoppelt. Darum sei auf der Hut, liebe Seele! Mehr als je sucht er dich vom Herrn abzuziehen und dich des Genusses Seiner Liebe zu berauben, indem er dein Auge auf irgend etwas in und von der Welt richtet und dein Herz umgarnt. Sei wachsam, denn ehe du dich verstehst, bist du betrogen. Ehe du es ahnst, hängt dein Herz an den armseligen Dingen dieser Welt. Und hat der Feind einmal sein Spiel gewonnen, so gibt es auf dem abschüssigen Wege keinen Halt mehr. Äußerlich hältst du vielleicht noch an dem übernommenen Bekenntnis fest, aber die Freude, Kraft und Hingabe, wie sie sich aus dem Pfade des treuen Gläubigen, der ein ungeteiltes Herz für den Herrn hat, vorfinden, sind dahin. Die Erfahrungen, die man täglich macht, zeigen, wie furchtbar diese Gefahren sind, viel größer, als man gemeinhin annimmt. Ganz besonders bei der Jugend, und selbst bei Kindern von ernsten Gläubigen, hat die Welt in erschreckendem Maße sich in die Herzen eingeschlichen und offenbart ihre verderblichen Einflüsse in dem ganzen Wesen und Gebahren der jungen Leute. Wo sind die einfachen, sittsamen Jungfrauengestalten geblieben, die einst Herz und Auge des Herrn erfreuten? Wo die bescheidenen Jünglinge, die in besonnener Rede und würdigem Verhalten ihren Schmuck suchten? Scheinen sie nicht allmählich auszusterben? Macht sich nicht auch in den Häusern und Kreisen der Gläubigen der böse Geist bemerkbar, der jetzt wirksam ist in den Söhnen des Ungehorsams? Man sucht allerdings zu beschönigen und zu entschuldigen: „die Zeiten sind andere geworden, — man ist früher doch auch wohl oft zu engherzig gewesen, man muss mit der Zeit voranschreiten; übrigens halte man doch auch noch fest an den alten Wahrheiten des Wortes Gottes usw. usw.“
Ach! wird man da nicht unwillkürlich an den „treuen und wahrhaftigen Zeugen“ erinnert, der angesichts der Lauheit und doch zugleich der Anmaßung in Laodicäa - man rühmte sich dort viel zu besitzen, und hatte in Wahrheit doch nichts — sagen musste: „..und du weißt nicht, dass du der Elende und der Jämmerliche und arm und blind und bloß bist? (Offbg. 3, 17). Sollte der Herr nicht solch ein ernstes: „du weißt nicht“, heute auch manchem in unserer Mitte zurufen müssen, der sich wohl noch bei den Zusammenkünften der Gläubigen einfindet und äußerlich das Bekenntnis festhält, vielleicht sich gar darin gefällt, aber dem Herzen nach schon längst von dem Geiste der Welt verstrickt ist? Geht es nicht manchem wie dem Simson, der als Nasir Gottes manchen Sieg davontrug, dann aber durch seine unheilige Verbindung mit Delila die Gemeinschaft mit Gott einbüßte, seiner Kraft verlustig ging und es auch „nicht wusste“, dass Jehova von ihm gewichen war? (Richter 16, 20). Und ach, welch ein Ende fand er!
Mein lieber Mitpilger! Hast du dich in irgendwelcher Weise der Untreue gegen deinen Herrn schuldig gemacht, so lass dir die angeführten Beispiele als Mahnung und Warnung dienen. Sie rufen dir zu: „Gedenke, wie du empfangen und gehört hast, und bewahre es und tue Buße! (Offbg. 3, 3.) Ja, gehe in das Licht der Gegenwart des Herrn, der einst für dich am Kreuzesstamme gelitten hat! „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten (Eph. 5, 14). Er wird dir Gnade geben, alles zu richten und hinwegzutun, um so wieder gerade Bahn zu machen für deine Füße, „auf dass nicht das Lahme vom Wege abgewandt, sondern vielmehr geheilt werde“ (Hebr. 12, 13).
Der „Heilige und Wahrhaftige“ ruft dem Überrest von Philadelphia zu: „Halte fest was du hast, auf dass niemand deine Krone nehme!“ O höre es, der du mit der Welt liebäugelst und meinst, man könne ruhig auch etwas von ihr mitgenießen! Oder du, der du es für geraten oder gar für geboten hältst, dich mit der Masse der Unzufriedenen eins zumachen und ihr Treiben, sei es auch nur durch ein stilles, zustimmendes Kopfnicken, durch ein widerspruchsloses Mitmachen, anzuerkennen! Oder auch du, der du in Gemächlichkeit der Ruhe pflegst und „deinen Nacken nicht beugst unter den Dienst deines Herrn“, wie einst die Vornehmen zur Zeit Nehemias! (Kap. 3, 5.) Wird Er, der einst für uns starb, um uns aus der Welt herauszunehmen, und der sich jetzt für uns droben geheiligt hat, dazu stillschweigen? Weshalb hat Er das Kreuz erduldet und der Schande nicht geachtet? Damit wir als Fremdlinge, die mit der Welt nichts Gemeinsames haben, dieselbe durchschreiten und für Ihn zeugen. Nie und nimmer kann Er irgendwelche Verbindung mit der Welt, die doch Gott hasst, gutheißen, nicht uns Seines Segens teilhaftig machen, wenn wir mit ihr buhlen. Deshalb „demütiget euch vor dem Herrn“ und „reiniget die Herzen“!
Außer der Gefahr, zu verweltlichen und in das Tun und Treiben unserer Umgebung einzustimmen, gibt es noch andere Schlingen, gegen die wir ernst auf der Hut sein sollten. Die Gefahr ist groß, neben der Welt im eigentlichen Sinne mit den Elementen der Welt in Verbindung zu kommen. Wir denken jetzt an das gemeinsame Zeugnis, das uns von dem Herrn anvertraut worden ist. Nur mit tiefster Betrübnis kann man die große Zersplitterung des Volkes Gottes in unseren Tagen betrachten. Gern würde man dem Übel abhelfen und das, was nur zur Verunehrung des Namens unseres Herrn dient, beseitigen. Unwillkürlich streckt man sich nach all den Geliebten des Herrn aus, wissend, dass wir mit ihnen allen dereinst vereint das neue Lied singen werden zur Ehre des Lammes. Sie alle gehören ja mit zu der Gemeinde des Herrn und sind Glieder des Leibes Christi, dessen Einheit am Tische des .Herrn, bei der Verkündigung Seines Todes zum Ausdruck kommt. „Denn ein Brot, ein Leib, sind wir, die Vielen, denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig“ (1. Kor. 10, 16. 17). Hier Hindernisse und Zäune aufzurichten, oder Forderungen zu stellen, die dazu angetan wären, die Gewissen zu beschweren und die Seelen fernzuhalten, könnte nur das ernste Missfallen unseres Herrn hervorrufen. Hier ist Raum für jeden, der Leben aus Gott hat, in Reinheit und Absonderung zu wandeln begehrt und frei von Irrlehren ist. Wie tief ist es zu beklagen, dass dieser Weg, den wir durch des Herrn Gnade zu wandeln begehren, so vielen zu eng erscheint, und dass man aus allerlei Gründen sich weigert, ihn zu betreten! Wie betrübend und tadelnswert ist es andererseits, wenn die, die ihn gehen, den Gewissen ihrer Mitgläubigen sich nicht empfehlen durch Demut, Einfalt und Treue, oder wenn sie gar auch wieder, trotz ihres Bekenntnisses vom Gegenteil, einem engherzigen, sektiererischen Geiste Raum geben, anstatt die Wahrheit in Liebe festzuhalten! Dennoch haben wir kein Recht, den schmalen Pfad des Gehorsams irgendwie aus Kosten der Wahrheit breiter zu machen, eingedenk des Wortes: „Verrücke nicht die alte Grenze“, und: „Siehe, Gehorchen ist besser als Schlachtopfer“ (Spr. 23, 10; 1. Sam. 15, 22). Es liegt uns die heilige Pflicht ob, das Wort des Herrn zu „bewahren“, bis Er kommt.
Als „der Wahrhaftige“ sucht der Herr uns durch den Heiligen Geist in alle Wahrheit einzuführen, öffnet uns Sein kostbares Wort und lässt uns zu Seinen Füßen besonderer Segnungen teilhaftig werden. Sein Wort „ist Wahrheit,“ und in dem Lichte dieses Wortes kann nichts bestehen oder anerkannt werden, was der Mensch, und wäre es auch mit den allerbesten Absichten, aufgerichtet hat. Sein Wort macht frei von allen unheiligen, diesem Worte nicht entsprechenden Verbindungen, sowohl in sittlicher als auch in religiöser Beziehung. Bist du aber freigemacht, so gilt dir wiederum das Wort: „Halte fest was du hast, auf dass niemand deine Krone nehme. Die göttliche Wahrheit verändert sich nicht. Was vor fast 1900 Jahren der Herr nicht anerkennen konnte, das kann Er auch heute nicht anerkennen, und was Er damals forderte von den Seinigen, das fordert und erwartet Er auch heute. „In Ewigkeit, Jehova, steht dein Wort fest in den Himmeln“ (Ps. 119, 89). Wenn es schon für das irdische Volk Gottes so bedeutungsvoll war, auf „Gesetz und Zeugnis“ zu achten, weil es anders keine Morgenröte für sie gab (Jes. 8, 20), wie viel wichtiger und notwendiger ist es dann für die Kinder Gottes, in allen Fragen des Weges Sein Wort zu erfragen, zu beachten und zu befolgen! Sobald etwas von den Grundsätzen des Wortes aufgegeben oder etwas neben ihnen eingeführt wird, beraubt man sich der uneingeschränkten Anerkennung. des Herrn: „Du hast mein Wort bewahrt“. Und wir wissen aus Erfahrung, dass es nie bei dem ersten Schritte bleibt; es geht, vielleicht langsam, aber unaufhaltsam bergab auf dem einmal betretenen Wege. Der klare Blick hinsichtlich der Forderungen des Herrn wird getrübt, Unsicherheit im Urteil, Wankelmut in Handel und Wandel setzen ein, und Menschenmeinungen treten an die Stelle des Wortes Gottes, welches allein imstande ist, „aufzuerbauen und ein Erbe zugeben unter allen Geheiligten“ (Apg. 20, 32). Kraft und Frische schwinden, und es ergeht einem wie der Braut im Hohenliede, die auch den gesegneten Platz in der Nähe und zu den Füßen ihres Geliebten verloren hatte und nun fragt: „Sage mir an, du, den meine Seele liebt, wo weidest du, wo lässest du lagern am Mittag?“ Sie muss aus Seinem Munde den Verweis vernehmen: „Wenn du es nicht weißt, — ach! sie hätte es genau wissen sollen, — du Schönste unter den Frauen, so gehe hinaus, den Spuren der Herde nach“ (Hoh. 1, 7. 8).
Wie schnell hat einst die Kirche ihre Fremdlingschaft hienieden aufgegeben! Mit dem Verlassen der ersten Liebe begann es, und dann fraß das Verderben wie ein Krebs um sich, bis alles das sich daraus entwickelte, was wir heute in der Christenheit um uns her wahrnehmen. Was ist aber nun zu tun, nachdem der ursprüngliche Stand unwiederbringlich verlorene ist? Ein jeder von uns sollte wie die Braut im Hohenliede fragen: „Wo weidest du, wo lässest du lagern am Mittag?“ „Der große Hirte der Schafe antwortet gern den Bedürfnissen und dem Verlangen der Seinigen und weist ihnen den Weg zu Ihm selbst, „außerhalb des Lagers“ (Hebr. 18, 18. 14.) In Ihm ist auch in den Tagen der „kleinen Kraft dieselbe Gnade zu finden wie in den ersten und besten Tagen der Gemeinde. Es ist also nicht nötig zu verzagen und mutlos die Hände in den Schoß zu legen. .Nein, im Aufblick zu Ihm, „der den Schlüssel des David hat“, der da verfügt über alle Schätze des Hauses Gottes, „der da öffnet, und niemand wird schließen“, darf man im Glauben Gebrauch machen von der Kraft- und Gnadenfülle in Ihm. Er selbst ist da, und das ist genug.
Wie zu allen Zeiten, so offenbart sich auch heute die Liebe zum Herrn nicht so sehr in eifrigem Dienst und unermüdlicher Tätigkeit, obwohl der Wert beider keineswegs herabgesetzt werden soll, als vielmehr, nach den eigenen Worten des Herrn, in dem Halten Seines Wortes, im Gehorsam, und zwar im Gehorsam auf jedem Gebiet des Lebens, auch auf dem Boden des gemeinsamen Zeugnisses. (Siehe Joh. 14, 15. 23; 15, 9. 10.) „Weichet, weichet, gehet hinaus" von dannen, rühret nichts Unreines an! Gehet hinaus aus ihrer Mitte, reiniget euch, die ihr die Geräte Jehovas traget“ (Jes. 52, 11).
Möchte deshalb ein jeder von uns so dastehen, wie es dem Heiligen und. Wahrhastigen entspricht: in jungfräulicher Reinheit, treuer Absonderung und Hingabe, mit umgürteten Lenden und hellbrennender Lampe! „Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn Er kommt, wachend finden wird!“
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Die himmlische Berufung und die Kirche
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 225ff
Die himmlische Berufung ist schon den ersten Gläubigen nicht unbekannt gewesen. Da die Erde, menschlich ausgedrückt, zu allen Zeiten ein Schauplatz der Enttäuschung für Gott war und die Auserwählten deshalb als Fremdlinge und Leidtragende auf ihr lebten, so sind ihnen von oben her die Himmel erschlossen worden als Ruhestätte und Erbteil. So suchten Abraham, Isaak und Jakob ein himmlisches Vaterland. (Hebr. 11, 13 - 16.) Henoch war bereits dahin entrückt worden. Mose verlor gleichsam das Land der Verheißung, erlangte aber dafür den Pisga Jehovas. David bekannte, dass sowohl er wie alle seine Väter Fremdlinge und Beisassen auf Erden gewesen wären. (1. Chron. 29, 15.) Elia wurde aus den Propheten der späteren Zeit des Alten Testaments in den Himmel aufgenommen, gleichwie Henoch aus der Zahl der Patriarchen in früheren Tagen. So lebte die himmlische Berufung allezeit in der Erinnerung der Gläubigen und wurde im Auge behalten. Und ich zweifle nicht daran, dass alle diese Auserwählten des Alten Testaments, mögen sie nun aus der Zeit der Patriarchen oder Moses oder der Propheten sein, ein Teil in den himmlischen Örtern haben. Der Herr nennt sie alle „Söhne der Auferstehung und belehrt uns dadurch, dass auch sie alle durch Auferstehung aus den Toten zu ihrem Erbteil berufen werden.
Auch im Galaterbrief wird aus jene Gläubigen hingewiesen als solche, die in Sohnschaft und Erbschaft stehen, gemeinsam mit den Auserwählten, die Gott jetzt sammelt.
Ebenso ist`s im Hebräerbrief. Dort werden sie als solche betrachtet, die als Genossen der himmlischen Berufung mit uns vollkommen gemacht werden sollen.
Anders der Epheserbries. An keiner Stelle führt er sie in den Kreis der Gläubigen ein, um sie mit den Heiligen, die jetzt als der Leib Christi gesammelt werden, auf eine Stufe zu stellen.
Dieser Unterschied ist sehr bedeutungsvoll. Er leitet uns zu dem Schluss, dass die alttestamentlichen Heiligen wohl teilhaben an der himmlischen Berufung und die himmlischen Örter als ihre Heimat und ihr Erbteil kennen, aber dass sie dabei auf ganz anderem Boden stehen, als die Kirche, der Leib und die Braut Christi.
Doch verlassen wir jetzt das Alte Testament, die Zeiten der Patriarchen und Propheten, und wenden uns zu dem Neuen. Da finden wir denn, wie am. Tage der Pfingsten der Heilige Geist auf die Erde herniedersteigt, nachdem der Sohn des Menschen im Himmel verherrlicht worden ist, und wir sehen Ihn ein Werk von „überschwänglichem Reichtum der Gnade Gottes tun, das „zum Preise Seiner Herrlichkeit“ dienen soll in den kommenden Zeitaltern. Er tauft die Auswahl, die Er jetzt sammelt, zu einem Leibe, von dem Christus das Haupt ist, und der auch genannt wird: „die Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt. Das Ganze, Haupt und Leib zusammengenommen, wird an anderer Stelle mit dem wunderbaren, erhabenen Titel „der Christus“ bezeichnet (Vergl. 1. Kor. 12, 12).
Ich brauche nicht zu sagen, dass das alles von einzigartiger Bedeutung ist.
Es ist selbstverständlich, dass diese den Leib oder die Fülle Christi bildende Auswahl Platz und Erbteil im Himmel haben wird, gemeinsam mit den alttestamentlichen Heiligen. Aber während sie die himmlische Berufung mit ihren Brüdern aus dem Alten Testament teilt, werden diese nicht mit ihnen in dem Leibe Christi sein. Wenn das Reich in Herrlichkeit zur Entfaltung kommen und das „zukünftige Zeitalter in Erscheinung treten wird, dann werden die alttestamentlichen Heiligen einen „Namen“ darin haben, sie werden Fürstentümern und Gewalten in den himmlischen Örtern gleichen; aber die in unseren Tagen gesammelte und zu einem Leibe getaufte Auswahl wird dann „die Fülle Dessen bilden, der über diese Fürstentümer, Gewalten und Namen gesetzt ist, „die Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt.“
Ich gebe natürlich nur einer Meinung über diese Teile der Wahrheit Ausdruck und unterwerfe mich gern höherer Erkenntnis.
Weiter möchte ich sagen: Wenn alle diese Heiligen verwandelt und dem Herrn entgegengerückt sein werden in die Luft, und nun alt- und neutestamentliche Heilige, beide gleicherweise „Söhne der Auferstehung“, miteinander den ihnen von Anfang an verordneten Platz in den Himmeln eingenommen haben, dann werden die Ereignisse, welche uns die Offenbarung vom 4. Kapitel an beschreibt, ihren Entwicklungsgang beginnen. Im Verlauf dieser Ereignisse wird eine Anzahl der Heiligen Gottes, die dann aus Erden weilen, als Märtyrer sterben. Auch diese werden in den Himmel aufgenommen werden und den ihnen bestimmten Ehrenplatz erhalten, eine „erlauchte Schar“, eine „edle, gottesfürchtige Gemeinschaft“, wie wir sagen würden. Aber auch sie werden keinen Teil von dem Leibe Christi bilden.
Jene Heiligen Gottes, die die großen gerichtlichen Vorgänge der Offenbarung überleben, werden den Samen oder die Erstlingsfrucht des irdischen Volkes ausmachen. Ihre Berufung ist nicht himmlisch. Sie haben keinen Platz in den himmlischen Örtern. Sie werden die Erde des Tausendjährigen Reiches füllen und zieren. Und zu ihnen, als der Erstlingsfrucht, wird eine gewaltige Ernte hinzugesammelt werden, bis die ganze Erde voll sein wird von dieser kostbaren Frucht: Jerusalem, das Land und Volk Israel, samt den Völkern, die die ganze Erde bewohnen, sie alle den Schauplatz einer mächtigen, geordneten Regierung bildend, ein Heiligtum für den Dienst des Gottes des Himmels und der Erde, der dann Seine Reichsherrlichkeiten vor aller Augen entfalten wird.
Von diesem Reiche, sowie von den ihm vorangehenden Gerichten und den Herrlichkeiten, die ihm sein Gepräge geben werden, ist in den Schriften des Alten Testaments immer wieder die Rede. Aber von der Berufung eines Leibes für Den, der das Haupt jenes Reiches ist, reden sie nicht. Diese Berufung wird in einem ganz hervorragenden Sinne „das Geheimnis“ genannt, und es wird von ihm gesagt, dass es „von den Zeitaltern her verborgen war in Gott“ und erst jetzt den Aposteln und Propheten des Neuen Testaments geoffenbart worden ist, indem Paulus, der Apostel der Nationen, das große, von Gott zugerüstete Gefäß wurde, dem dieses Geheimnis zur Verwaltung und Kundgebung in besonderer Weise anvertraut war.
Wenn nun aber auch diese wunderbare Suche im Alten Testament ein Geheimnis war, so sind doch von Anfang an einzelne Hindeutungen daraus hervorgestrahlt. Der Geist Gottes hat ab und zu Anspielungen auf dieses in Gott verborgene Geheimnis gemacht, so wie wir wohl hin und wieder etwas verlauten lassen von einem besonders lieben Gedanken, von dem wir noch nicht eingehend sprechen können oder dürfen, da Zeiten und Umstände es noch verbieten. Und ist es nicht eine Freude für uns zu sehen, dass es mit Gott und Seinem Geheimnis ähnlich ist wie mit uns? Trotz der großen Zurückhaltung, die in dieser Hinsicht geübt wird, sprengt das Geheimnis hie und da gleichsam die ihm angelegten Fesseln und huscht in einem Vorbild oder in einer Erzählung über das Gesichtsfeld, wobei freilich das Auge gar manchen Zuschauers außerstande ist, ausfindig zu machen, was es ist und was es bedeutet. Verweilen wir einen Augenblick bei einigen solcher Ausstrahlungen dieses kostbaren Geheimnisses. Wir haben schon einen Blick getan in die Geschichte der Heiligen des Alten und Neuen Testaments und ihre verschiedene Bestimmung kurz skizziert, anfangend mit den Heiligen des Alten Bundes, dann fortfahrend mit der Auswahl, die jetzt unter der Führung des Heiligen Geistes gesammelt wird, und schließend mit den Heiligen der Offenbarung, ob sie nun während der Gerichte sterben oder jene schreckliche Zeit überleben werden.
Nun denn, ich glaube, dass „das Geheimnis“, die Kirche, die Braut des Lammes, schon in dem ersten Weibe eine vorbildliche Darstellung gefunden hat. Wir wissen, dass sie der Seite Adams entnommen wurde, nachdem Jehova ihn in einen tiefen Schlaf hatte fallen lassen. Jehova Gott baute sie dann für Adam aus der Rippe und brachte sie schließlich zu dem Menschen als seine Gehilfin und in einem Sinne als die ihm ebenbürtige Gefährtin.
Redet das nicht zu uns von der Braut Christi? (Vergl. Epheser 5). Dasselbe Geheimnis finden wir in der Geschichte anderer Frauen des 1. Buches Mose wieder, so in Rebekka, in Rahel und in Asnath; ebenso im 2. Buch Mose in Zippora, der heidnischen Braut Moses.
Unschwer findet man in allen diesen Frauen etwas von der Gemeinde. Eph. 5 gibt uns Fingerzeige sowie ein Muster von der Art und Weise, in der wir diese Vorbilder lesen müssen. *)
Ich zweifle ferner nicht daran, dass der Arme und der Fremdling, die in 3. Mose 23 die Nachlese halten durften, ähnliche geheimnisvolle und vorbildliche Personen sind. Von ihnen ist in dem Zeitabschnitt die Rede, der zwischen der Geschichte Israels und der Erde oder zwischen dem Pfingstfest und dem Fest des Posaunenhalls verläuft. Für eine Zeit von etwa drei Monaten gab es in dem jüdischen Festjahr keinen Vorgang von irgendwelcher Bedeutung; wir finden da nur die Ährenleser. Sie sind arme Fremdlinge, aber sie haben die Felder des Herrn der ganzen Erde betreten, doch nicht etwa zu dem Zweck, um sich in ihren Besitz zu setzen; nein, als Fremde kommen sie, und als Fremde gehen sie, zufrieden, wenn sie nur „Brot und Kleider“ haben, das dem Fremdling von Jehova Zugestandene, „Nahrung und Bedeckung“, wie es im Neuen Testament heißt, womit sich der Christ oder die Kirche zufrieden geben soll (Vergl. 5. Mose 10, 18 mit 1. Tim. 6, 8).
Ich gebe zu, dass Ruth eine ähnliche Figur ist wie diese Ährenleser in 3. Mose 23, denn auch sie tritt zu einer Zeit aus, wo die Geschichte Israels gleichsam unterbrochen wird. Das Buch Ruth ist eingeschoben zwischen die Zeit äußersten sittlichen Verfalls am Ende des Buches der Richter und die Zeit der Wiederbelebung Israels bei Beginn des 1. Buches Samuel. **) Lieber jedoch möchte ich sagen, dass wir in Ruth den Überrest späterer Tage sehen, der zu den für die Heiden gegebenen Bedingungen einer unumschränkten Gnade Annahme findet, gemäß Röm. 11, 31.
Alle diese alttestamentlichen Vorbilder, so schön sie an und für sich sein mögen, sind aber nur schwach und unbestimmt. Das Geheimnis selbst wird erst im Neuen Testament, und zwar vor allem im Epheserbrief entfaltet. Unter zwei Titeln, die einzig und allein auf die Gemeinde angewandt werden können, wird dort von ihm gesprochen. Sie lauten: „der Leib Christi“ und „die Braut Christi“.
Ein anderer Schreiber hat in Bezug hierauf treffend gesagt: „Weder in himmlischen noch in irdischen Dingen, noch selbst in den Engeln, so herrliche Zeugen der schöpferischen Macht Gottes sie auch sein mögen, werden der Charakter und die Wege Gottes in den zukünftigen Zeitaltern zur Darstellung gelangen. Nein, in der neuen erlösten Schöpfung in Christo ist es, in der Versammlung oder Gemeinde, wo die gar mannigfaltige Weisheit Gottes vor unseren Augen kundgetan werden wird. In diesem herrlichsten Ausfluss der göttlichen Gedanken, dem Meisterstück aus Gottes Hand, werden Licht, Herrlichkeit und Schönheit in vollkommenster Weise zum Ausdruck kommen. Sonst wäre sie ja ihrer hohen Bestimmung als Braut unwürdig. Die Tiefen und Höhen der Gnade, der Liebe und Macht Gottes werden den himmlischen Heerscharen erst dann bekannt werden, wenn sie die Gemeinde schauen, auserwählt aus Adams verderbtem und gefallenem Geschlecht, und nicht nur gebracht in die innigste und lieblichste Vertraulichkeit der Gotteskindschaft, sondern erhoben zur höchsten Würde im Himmel, zur Teilhaberschaft an der unaussprechlichen Herrlichkeit ihres auferstandenen Hauptes.“ Wahrlich, das sind Worte, zur Erbauung geeignet: Aber noch mehr. Wir finden im Epheserbrief (und aus ihn möchte ich jetzt etwas näher eingehen) bei der Schilderung der Gnade und Herrlichkeit eine ganz außergewöhnliche Häufung von Worten, wenn ich mich so ausdrücken darf, gerade wie wenn der Schreiber (der Heilige Geist) dadurch zum Ausdruck bringen wollte, von welch besonderer Wichtigkeit und Erhabenheit der Gegenstand ist, den Er behandelt. Wir lesen von der „Herrlichkeit Seiner Gnade“, von dem „überschwänglichen Reichtum“ Seiner Gnade, von dem „Preise Seiner Herrlichkeit, und von dem „Preise der Herrlichkeit Seiner Gnade“. Das ist der Stil, wenn der Schreiber sich anschickt, die großartigen Geheimnisse dieses Briefes aufzudecken. Das Schatzkästchen entspricht dem Schatz.
In gleicher Schreibweise wird uns das Bild des gen Himmel gefahrenen Herrn vor Augen geführt. Im Evangelium Markus lesen wir, dass der Herr „in den Himmel aufgenommen“ wurde, im Hebräerbrief, dass NT Er „durch die Himmel gegangen ist“. Der Epheserbrief aber sagt uns, dass Er „über alle Himmel hinaufgestiegen ist“ (Mark. 16, 19; Hebr. 4, 14; Eph. 4, 10). Wie wunderbar sind diese verschiedenartigen Berichte! Aber die Darstellung im Epheserbrief ist die großartigste, denn sie gibt dem Sohne des Menschen den Platz, der in 5. Mose 10, 14 Gott selbst gegeben wird.
Die Häufung von Worten, von der ich sprach, wird auch im 2. Kapitel beibehalten, wo der Geist zur Betrachtung der Gegenstände dieser hohen Berufung übergeht, während es sich vorher um den Charakter der Berufung selbst handelt. Zwei Zustände werden genannt, wenn von uns als Sündern gesprochen wird: tot und entfremdet. Wir sind tot in unseren Vergehungen und Sünden, und ohne Gott, entfremdet selbst dem Bürgerrecht Israels. Dann aber werden wir gesehen als versetzt in die gegenteiligen Beziehungen: in Leben und Nahesein. Bei dieser Gelegenheit begegnen wir einem ähnlichen Wortreichtum wie vorher. In den verschiedenartigsten, sorgfältig ausgewählten Ausdrücken werden die Zustände, in denen wir dargestellt werden, beschrieben, damit unsere Seele sie in ihrer wahren Bedeutung aufnehmen möge. Der Zustand des Todes, in welchem wir uns von Natur befanden, war furchtbar in seiner Vollendung; so ist aber auch der Zustand des Lebens, in den wir jetzt versetzt sind, von völligster, ewiger Vollkommenheit. Unsere Entfernung von Gott hätte durch nichts übertroffen werden können. Andererseits ist aber auch unser jetziges Nahesein so, wie nur der Sohn es genießen konnte.
Aber weiter. Das kennzeichnende Merkmal der Segnung der Gemeinde ist dies, dass die ihr Angehören den in Christo sind. Die Heiligen früherer Zeiten werden, wie wir sahen, dereinst auch zu den Himmlischen gehören, die Kirche aber ist himmlisch in ihrer Berufung. Sie ist in und mit Christo.
Das Wort „in“ kommt in dem vorliegenden Abschnitt merkwürdig oft vor, und zwar immer heißt es: in „Christo“. Im Laufe der wunderbaren, uns hier gemachten Enthüllungen erfahren wir, dass wir, nach- dem wir mit Ihm auferweckt worden sind, jetzt in Ihm in den himmlischen Örtern sitzen.
In dieser Weise erhöht, werden wir darüber belehrt, dass wir droben mit jeder geistlichen Segnung in Ihm gesegnet sind.
Ferner sind wir angenehm gemacht in Ihm, dem Geliebten, d. h. wir sind ebenso wohl zu Gegenständen der persönlichen Liebe gemacht, wie wir gesegnet sind mit allen geistlichen Segnungen.
Und weiter: In Ihm ist Gottes Gnade gegen uns übergeströmt in aller Weisheit und Einsicht, indem Gott uns Seine Gedanken und Sein Wohlgefallen betreffs zukünftiger Zeiten kundgetan und uns den Platz von Freunden gegeben hat.
All das Gesagte ist unser Teil schon heute. Aber der gleiche Schriftabschnitt lässt uns einen Blick vorwärts und rückwärts tun; er zeigt uns einerseits das Teil, das wir „in Christo“ hatten, ehe die Welt war, und andererseits dasjenige, das wir „in Ihm haben werden, wenn diese Welt ihren Lauf vollendet hat. Wir erfahren, dass wir in Ihm „auserwählt“ und „zuvor bestimmt waren zur Sohnschaft“, ehe die Welten geschaffen wurden. Und wir erfahren weiter, dass, wenn einmal die gegen- wärtigen göttlichen Haushalte ihre wunderbare Geschichte beendet haben werden, wir dann „Erben“ in und mit Ihm sein werden, in jenem „zukünftigen Zeitalter“, wo alle Dinge Ihm als ihrem Haupt unterworfen sein werden.
In der Tat, es ist ein großes Thema: unser Teil in Christo, unsere Stellung in Ihm, in Verbindung mit den Ratschlüssen, die diese Stellung sicherten, ehe die Welt war, ferner die hohe Berufung und die Vorrechte, in welche diese Stellung uns jetzt schon versetzt, und schließlich alles das, was sie uns in den zukünftigen Zeitaltern bringen wird! Und dieser ganze köstliche Besitz ist unser, einfach weil wir jetzt an Ihn glauben und aus Ihn vertrauen.
Aber das, was so schon „vor Grundlegung der Welt“ in dem Herzen Gottes für uns war, ist „in Gott verborgen“ gewesen, bis es durch den Geist den Propheten des Neuen Testaments kundgetan wurde. Durch diese Offenbarung wurde das Wort Gottes „vollendet“ (Kol. 1, 25). Sie war die das Ganze krönende Schlussenthüllung, die vor allem durch Paulus, den Apostel der Nationen, uns vermittelt worden ist. Die Gemeinde ist auf den allererhabensten Platz berufen worden, und die Offenbarung darüber nimmt die letzte Stelle in Gottes Mitteilungen ein. Ja, sie ist als Letztes geoffenbart worden. Obwohl vor Grundlegung der Welt in Christo auserwählt, für die Zeitalter und von den Zeitaltern her in Gott verborgen, ist die Kirche (Gemeinde) doch erst jetzt geoffenbart worden, die Krone aller göttlichen Ratschlüsse, denn sie ist die letzte Seiner Mitteilungen.
Sollten wir über diese Tatsache befremdet den Kopf schütteln, oder sind wir daraus vorbereitet? Hat die Schrift, hat Gott nicht in Seinem Wort auf eine solche Sache, auf ein solches Vorgehen Seinerseits hingewiesen? Ich glaube, Er hat es getan. Wir finden ähnliche, diesem verwandte Dinge in der Schrift.
Das letzte Geschöpf, das in den Schöpfungstagen aus Gottes Hand hervorging, war, wie bereits erwähnt, das Weib. Adam war in seinem Heim, in seinem Besitz und seiner Herrschaft, bevor er das Weib erhielt. All die im Garten Eden getroffenen Einrichtungen waren für ihn. Er war gekrönt zum Herrn über alles, was sein Auge schaute. Allem Vieh, den Tieren des Feldes, den Vögeln in der Luft hatte er Namen gegeben. In jeder Beziehung, in Haus, Besitz und Herrschaft, war alles für ihn in Ordnung gebracht. Aber das Weib war noch nicht da. Sie tritt als letzte auf den Schauplatz, aber sie krönt seine Freude und macht seinen Stand erst vollkommen (Vergl. 1. Mose 2).
Genau wie mit dem Weibe in Eden, ist es mit Jerusalem in Kanaan.
Das Land selbst war unterworfen und verteilt. Das Schwert Josuas und das Los Eleasars hatten dies, Jahrhunderte zuvor, getan. Aber noch war Jerusalem eine Feste der Jebusiter. Noch war es im Besitz der Heiden. Die Richter hatten zu ihrer Zeit gerichtet, und Saul hatte als König geherrscht. Aber Jerusalem war wie nichts in all dieser Zeit. Es wurde nicht geschätzt, war noch unentdeckt. David war es, der Jerusalem schließlich an Israel brachte; und er baute es aus zu einer festen und schönen Stadt. Es wurde zum Thron und zum Heiligtum, es wurde der große Mittelpunkt, der Gegenstand, von dem alle Schriften reden, dessen Schönheit und Erhabenheit ein geradezu unerschöpfliches Thema bilden. Immer und immer wieder wird Jerusalem gepriesen. Es ist der Platz, an dem Israel in seinen besten Tagen seine heiligen Versammlungen hatte und seine Freudenfeste. feierte. Und auch unsere Gedanken wandern immer wieder dahin. Es ist der Edelstein, die Perle, die Königin, mit einem Wort der alles beherrschende Gegenstand im Land und in der Geschichte Israels. Aber beachten wir es wohl: Jerusalem, die glänzende Hauptstadt, wurde als letzte eingenommen. Ihre Geschichte gleicht darin durchaus der des Weibes in Eden.
Das Gleiche gilt von der goldenen Stadt in Offenbarung 21.
Die Gerichte, welche den ererbten Besitz reinigen und alle Ärgernisse aus dem Reich hinwegtun mussten, sind vorüber. Der Sieg des Reiters auf dem weißen Pferd und Seiner Kriegsheere ist entschieden. Die tausendjährige Friedensherrschaft ist eingerichtet. (Vergl. Kap. 19 und 20.) Aber die Braut ist bis dahin noch nicht geoffenbart. Erst jetzt, ganz zuletzt, kurz vor Schluss des Buches, wenn wir von den unaussprechlich kostbaren Offenbarungen Gottes gleichsam Abschied nehmen, erblicken wir das Weib. Es ist wie eine Wiederkehr des Weibes aus 1. Mose 2, eine Wiederkehr Jerusalems in Kanaan, nur mit dem Unterschiede, dass wir es hier mit dem himmlischen Weibe zu tun haben und nicht mit dem Weib aus dem Garten Eden, mit dem himmlischen und nicht mit dem irdischen Jerusalem. Jetzt endlich sehen wir das Weib des Lammes geoffenbart vor uns stehen, das Hauptwerk aus der göttlichen Werkstatt, die letzte der göttlichen Offenbarungen. Und jetzt frage ich noch einmal: Ist es nicht so, dass wir Berührungspunkte in allen diesen Dingen finden? Hat Gott selbst uns nicht in Seinem Worte gewissermaßen vorbereitet auf dieses wunderbare Geheimnis: auserwählt in Christo vor Grundlegung der Welt, aber verborgen in Gott durch all die Zeitalter hindurch, und erst dann ans Licht gebracht, als die Offenbarung aller Geheimnisse stattfinden sollte und das Wort Gottes vollendet wurde?
Wahrlich, eine reiche und wunderbare Entfaltung der Geheimnisse des Herzens Gottes hat stattgefunden. Geheimnisse über unsere Heimat sind uns mitgeteilt worden, ebenso wohl wie über die Herrlichkeiten des Reiches. Und wir dürfen dabeistehen und die Wege Gottes anbetend betrachten. Es geht uns hierbei ähnlich wie einst dem Volke Israel. Nachdem das Volk von der Furcht und dem Schwert des Würgengels erlöst worden war und unter Führung der Wolkensäule die Nähe des Roten Meeres erreicht hatte, wurde es aufgefordert, zu stehen und die Rettung Jehovas zu sehen. (2.Mose 14.) Sie gehorchten, und da vollzog sich denn in gewaltigen, wunderbaren Formen von Gnade und Macht eine Rettung vor ihren Augen, wie sie bis dahin nicht geschaut worden war. Freilich hatten sie bereits die Erlösung durch das Blut kennen gelernt. Der Erstgeborene war frei ausgegangen, und das Gericht Gottes lag hinter ihnen. Sie waren in Sicherheit. Aber die Herrlichkeit in der Wolkensäule, der Stab Moses, der Engel, der vor dem Heere herzog, sie alle sollten in dieser Nacht seltsame und wunderbare Eigenschaften und Kräfte offenbaren, von denen man bis dahin noch keine Kunde empfangen hatte. Der Engel wechselte seinen Platz und trat zwischen das Heerlager Israels und die Scharen Ägyptens, um die beiden Parteien voneinander getrennt zu halten. Dann spaltete der Stab Moses die Wasser des Meeres und gebot ihnen, wie zwei Mauern zur Rechten und zur Linken zu stehen. Und schließlich schaute die göttliche Herrlichkeit aus der Feuer- und Wolkensäule herab und · verwirrte die Ägypter. Wunderbare, geheimnisvolle Mächte, neue, alles bisher Dagewesene übertreffende Offenbarungen der Gnade! In Ruhe und Sicherheit, ja, triumphierend schreitet Israel durch das trockene Meer, und, am anderen Ufer angekommen, stimmt es den Siegesgesang der Befreiung an, singt von gegenwärtigem Dienst im Heiligtum und von zukünftigen Herrlichkeiten des Reiches.
So steht auch im Epheserbrief der Sünder da als befreit durch das Blut Jesu. Die Sünden sind vergeben, und die Heiligen, sichergestellt vor dem Gericht, werden aufgefordert, zu stehen und zu lauschen; und dann dürfen sie das wunderbare Lied hören von der hohen Berufung der Kirche in Christo Jesu unter dem überschwänglichen Reichtum der Gnade Gottes, geradeso wie Israel am Roten Meer die Rettung Jehovas schaute. Ihr einziges Teil ist zu lauschen und wieder zu lauschen, anzunehmen und zu danken, weil alles so ist, wie es ist, und weil der Gott aller Gnade für sie das ist, was Er ist. Und der Apostel, der sie in diese reichen und wunderbaren Geheimnisse einführt, erbittet nur noch die Gnade für sie, dass ihrem Hören und Lauschen auch das Herzensverständnis hinzugefügt werden möchte.
Die Gebete des Apostels im ersten und dritten Kapitel weisen uns in ihren reichen Ausdrücken ebenfalls daraus hin, wie wichtig und erhaben der Gegenstand ist, mit dem wir es hier zu tun haben. Möchte unser Verständnis dem Gegenstand entsprechen!
Fußnote:
*) Ein Ausleger meint, die Sprache von Epheser 5 atme das Entzücken Adams, das er empfand, als er das von Gott selbst für ihn bereitete Weib empfing (Vergl. 1. Mose 2, 23 mit Eph. 5, 30).
**) So tritt auch die Kirche, ähnlich diesen beiden Fällen, zu einer Zeit in die Erscheinung, wo die Geschichte Israels nach der Verwerfung und Ermordung des Messias eine jähe Unterbrechung erfährt.
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Redet zu den Felsen
Bibelstelle: 4. Mose 20
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 241ff
Der Aufruhr Korahs und seiner Rotte ließ klarer, als es je geschehen war, die Bedeutung des Priestertums Aarons ans Licht treten. Dienst ist nicht Priestertum, wenn er auch stets seinen besonderen, wichtigen Platz behält. Aber das Priestertum allein vermochte das stets irrende Volk Gottes durch die Wüste nach Kanaan zu bringen. Es ist heute genauso. Auch wir bedürfen des ständigen Dienstes unseres großen Hohenpriesters.
„Denn wenn wir, da wir Feinde waren, mit Gott versöhnt wurden durch den Tod Seines Sohnes, vielmehr werden wir, da wir versöhnt sind, durch Sein Leben gerettet werden.“ „Daher vermag Er auch völlig zu erretten, die durch Ihn Gott nahen, indem Er immerdar lebt, um sich für sie zu verwenden.“ (Röm. 5, 10; Hebr. 7, 25). Diese beiden Stellen sagen uns deutlich, was zu unserer endgültigen Errettung nötig ist: zunächst das Sühnungswerk und dann das Priestertum Christi. Denn wir befinden uns noch auf dem Wege durch die Wüste, auf dem selbst der Gerechte nur mit Not errettet wird. (Vergl. 1. Petr. 4, 18.) Aber Gott ist treu. Er wird nicht zulassen, dass wir über unser Vermögen versucht werden, sondern wird mit der Versuchung auch den Ausgang schaffen, so dass wir sie ertragen können. „Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem versucht worden ist in gleicher, Weise wie wir, ausgenommen die Sünde. Lasst uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade, aus dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe.
Die Notwendigkeit für Aarons Eintreten erwies sich deutlich beim Ausbrechen der Plage unter den murrenden Israeliten. Da musste er eiligst mitten unter die Versammlung treten, Räucherwerk auflegen und Sühnung tun für das Volk. „Und er stand zwischen den Toten und den Lebendigen, und der Plage ward gewehrt.“
Aber Gott tat noch mehr, um die Bedeutung des Priestertums hervorzuheben. Er entschied für immer zwischen den Fürsten des Volkes und dem Priester Seiner Wahl. Auf Sein Geheiß musste von jedem der zwölf Vaterhäuser Israels ein Stab vor Ihm niedergelegt werden, damit Er auf diese Weise den erwählen konnte, der ohne jeden Widerspruch Fürsprache bei Ihm tun sollte. „Und es geschah des anderen Tages, siehe, da hatte der Stab Aarons, vom Hause Levi, gesprosst: er hatte Sprossen getrieben und Blüten gebracht und Mandeln gereift. Alle anderen Stäbe waren dürr und fruchtleer geblieben. Der Stab Aarons allein hatte Sprossen, Blüten und Mandeln hervorgebracht. So war die Frage ein für allemal entschieden. Aaron allein war erwählt, um Jehova zu nahen. Israel war in sich selbst geradeso dürr und saftlos wie die toten Stäbe. Der Mensch bedarf unter allen Umständen eines lebendigen Priesters. Aarons Stab ist ein Vorbild von Ihm, in welchem die Kraft eines endlosen Lebens wohnt. *) Fortan liegt dieser Stab als der lebendige, unveränderliche Zeuge göttlicher Macht und göttlichen Segens vor Gott für das Volk. Der Priester trägt die Ungerechtigkeit des Heiligtums. Der Dienst ist dem Priestertum untergeordnet. Das wird klar zum Ausdruck gebracht in der Art, wie der Stamm Levi sich dem Priester anschließen musste (Kap. 18). Und die Gnade traf Vorsorge für alle und alles. Die Asche der roten Kuh war da, damit diejenigen unter den Kindern Israel, welche sich verunreinigt hatten, niemals einer Reinigung von der Sünde ermangeln möchten. Da sie aus ihrem Wege täglich der Möglichkeit der Verunreinigung ausgesetzt waren, bedurften sie der Besprengung mit dem Reinigungswasser. Gott wollte und konnte Seine Heiligkeit nicht dadurch herabsetzen, dass Er irgendwelche Verunreinigung unter Seinem Volk erlaubte. Aber Er stellte für den Verunreinigten das Wasser der Reinigung bereit, so dass der Unreine täglich gereinigt werden konnte. So lehrt uns auch dieses Vorbild, dass „die Gnade herrscht durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Christum Jesum, unseren Herrn“.
In dem vorliegenden Kapitel (4. Mose 20) wird das junge Geschlecht kurz vor der Beendigung der Wüstenreise in ähnlicher Weise versucht wie einst das alte bei dem Beginn derselben. Hier wie. damals war kein Wasser dafür die Gemeinde. Sie versammelten sich daher wider Mose und wider Aaron. „Und das — Volk haderte mit Mose, und sie sprachen und sagten: Wären wir doch umgekommen, als unsere Brüder vor Jehova umkamen! Und warum habt ihr die Versammlung Jehovas in diese Wüste gebracht, dass wir daselbst sterben, wir und unser Vieh? Und warum « habt ihr uns aus Ägypten herausgeführt, um uns an diesen bösen Ort zu bringen? Es ist kein Ort der Aussaat und der Feigenbäume und der Weinstöcke und der Granatbäume, und kein Wasser ist da zu trinken“. Kein Wunder, dass Mose und Aaron angesichts eines solch schrecklichen Unglaubens aus ihr Angesicht fielen. Aber die Herrlichkeit Jehovas erschien ihnen, und, ohne ein Wort des Tadels zu äußern, redete Jehova zu Mose: „Nimm den Stab und versammle die Gemeinde, du und dein Bruder Aaron, und redet vor ihren Augen zu dem Felsen, so wird er sein Wasser geben; und du wirst ihnen Wasser aus dem Felsen hervorbringen und die Gemeinde tränken und ihr Vieh. Der Befehl konnte nicht missverstanden werden; und Mose verstand ihn auch sehr wohl, denn er „nahm den Stab vor Jehova weg, so wie Er ihm geboten hatte. Und Mose und Aaron versammelten die Versammlung vor dem Felsen.“
Aber dann kommt leider ein Wendepunkt. Alles, was von da an geschah, war verkehrt. Gereizt durch die schändliche Undankbarkeit und das Murren des Volkes, „redete Mose unbedacht mit seinen Lippen“. „Höret doch, ihr Widerspenstigen!« ries er ihnen zu, „werden wir euch Wasser aus diesem Felsen hervorbringen? Wer hatte denn dergleichen von seiner Hand verlangt? Leider ließ Mose sich hier von dem Bösen überwinden, anstatt das Böse mit dem Guten zu überwinden. Er, der so lang als der Sanftmütigste der Menschen gelebt hatte, litt schließlich gerade in dieser Hinsicht völlig Schiffbruch. Da wo Gott Seine Barmherzigkeit verherrlichen und die Wahrheit ans Licht bringen wollte, dass nichts anderes als priesterliche Gnade ein stets übertretendes und irrendes Volk durch die Wüste zu bringen vermochte, gab Mose einer natürlichen Empfindlichkeit Raum und trat für sein eigenes Ansehen ein, so dass es ihm „übel erging ihretwegen“. Insoweit sank Mose bis zu des Volkes eigenem Standpunkt herab, anstatt sich, wie der Glaube es getan haben würde, hinter der Gnade Gottes zu bergen. Und seine Handlungsweise in diesem kritischen Augenblick war nicht besser als sein Wort, denn er „erhob seine Hand und schlug den Felsen mit seinem Stabe zweimal“. Wer, wiederhole ich, hatte so etwas von seiner Hand verlangt? Es war ein völliges Abweichen von dem Gebot des Herrn, der ihm gesagt hatte, er solle „den Stab“, nicht seinen eigenen, sondern den Stab Aarons, nehmen und „zu dem Felsen reden“, der dann sein Wasser geben würde. Mose aber schlug mit seinem Stabe den Felsen zweimal. Der bisher so treue Zeuge vertrat hier Gott in ganz verkehrter Weise, und für diesen seinen Irrtum musste er sterben. Die missbräuchliche Benutzung des Stabes des Gerichts brachte ihm selbst den Tod, der Stab der Gnade dagegen trug für das Volk den Sieg davon. Denn nur die heilbringenden Eigenschaften. dieses Stabes konnten seinem so vielfach fehlenden Volke helfen. Und Mose hatte auch diesen Stab mit herausgebracht.
In 2. Mose 17 entsprach es dem Willen Gottes, dass Mose den Felsen mit seinem Stabe schlug. Dort erscheint Mose auch allein. Dort musste aus dem geschlagenen Felsen das Wasser fließen. Was dieser Felsen vorbildete, ist uns bekannt. „Der Fels war der Christus (1. Kor. 10, 4). So ist Jesus gekommen „durch Wasser und Blut (1. Joh. 5, 6). Erniedrigung bis zum Tode musste das Teil Christi sein, wenn anders das Volk Gottes den Geist empfangen sollte. Es musste erst eine Gerechtigkeitsgrundlage geschaffen werden, und das ist geschehen. Zu diesem Zweck musste der Sohn des Menschen erhöht werden.
Aber für die Reise des Volkes durch die Wüste und für den Übergang nach Kanaan konnte nur die Gnade von Erfolg sein, die Gnade eines immerdar lebenden Priesters. Hier halfen keine verletzten, empfindlichen Gefühle. Wohin wäre es dabei mit dem Volke gekommen? Denn „wenn du, Jehova, merkst auf die Ungerechtigkeiten: Herr, wer wird bestehen? (Ps. 130, 3). „Und gehe nicht ins Gericht mit deinem Knechte! Denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht. (Ps. 143, 2.) Der Ruf: „Höret doch, ihr Widerspenstigen! mochte, menschlich betrachtet, wahr und selbst gerecht sein. Aber war er Gottes Wort für jenen Augenblick? Wollte Gott jetzt in Gnade oder im Gericht handeln? Und wenn weiter gesagt wurde: „Werden wir euch Wasser aus diesem Felsen hervorbringen? —— war das ein Beweis, dass die Redenden Gott vor Augen hatten? War es nicht vielmehr ein Beweis, dass ihr Ich verletzt war durch die Undankbarkeit der Menschen? Ein Irren des Knechtes vermag die göttliche Gnade freilich nicht zu hemmen. Wir lesen das wunderbare Wort: „Da kam viel Wasser heraus, und die Gemeinde trank und ihr Vieh. Weiter aber heißt es: „Da sprach Jehova zu Mose und zu Aaron: Weil ihr mir nicht geglaubt habt, mich vor den Augen der Kinder Israel zu heiligen, deswegen sollt ihr diese Versammlung nicht in das Land bringen, das ich ihnen gegeben habe. Das ist das Wasser von Meriba, wo die Kinder Israel mit Jehova haderten, und Er sich an ihnen heiligte. Mose und Aaron hatten Ihn nicht geheiligt. Sie hatten die Gnade außer Acht gelassen, um die Ehre ihres verletzten Ansehens zu retten. Wenn das in Übereinstimmung gewesen wäre mit Gottes Gefühlen, so hätten sie kein Wasser aus dem Felsen hervorgebracht. Aber Jehova selbst heiligte sich an den Kindern Israel, und zwar indem Er Sein eigenes Wort, Seine eigene Gnade aufrecht erhielt, ungeachtet der ernsten Verfehlung von Mose und Aaron. Diese Verfehlung trug den beiden Männern unmittelbaren Tadel ein, verbunden mit der empfindlichen Züchtigung, außerhalb des Landes, des Landes Kanaan, sterben zu müssen, während die Gnade das Volk ins Land brachte.
Fußnote:
*) Noch mehr freilich Melchisedek. Vergl. Hebräer 7.
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Der Abfall und der Antichrist
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 247ff
„Lasst euch von niemand aus irgend eine Weise verführen, denn dieser Tag (der Tag des Herrn) kommt nicht, es sei denn dass zuerst der Abfall komme und geoffenbart worden sei der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens“ (2. Thess. 2, 3).
Wenn der Apostel in obiger Aufforderung an die ängstlich gewordenen Thessalonicher von „dem Abfall redet, so meint er damit nicht das mehr und mehr um sich greifende Verderben der Christenheit, sondern ihr völliges Verleugnen aller christlichen Grundsätze in den letzten Tagen. Dieser Abfall wird nicht nur hie und da eintreten, wie es ja schon heute der Fall ist, sondern die ganze große Masse der bekennenden Christenheit wird sich ihm anschließen. Vielleicht mögen nach der Ausnahme der Gläubigen in den Himmel die äußeren Formen der Christenheit für eine Zeitlang noch bei- behalten werden. Doch wehe all den Ländern, in denen das Christentum bekannt und das Licht der göttlichen Wahrheit angezündet gewesen ist! Der offenkundige Abfall wird sich überraschend schnell ausbreiten. Die Anbetung des Gottes und Vaters unseres Herrn Jesus Christus wird der Anbetung Satans, des Tieres und des falschen Propheten Platz machen (Vergl. Offbg. 13).
In seinem zweiten Briefe beschreibt Petrus das Verderben des Christentums in den letzten Tagen. Judas in seinem kurzen Brief geht noch einen Schritt weiter und zeichnet in scharf ausgeprägten Zügen den Abfall der Christenheit.
Fragen wir uns jetzt, wann dieser völlige Abfall eintreten wird, so lautet die Antwort: nach der Aufnahme der Kirche in den Himmel und vor dem Anbruch des Tages des Herrn. Beachten wir die einfache Beweisführung des Apostels! Er tröstet die beunruhigten Thessalonicher mit „der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus und unserem Versammeltwerden zu Ihm hin“ (V. 1) und beweist dadurch zugleich, dass der Tag des Herrn noch nicht da war. Sie hatten durchaus keine Ursache, durch die jüdischen oder heidnischen Verfolgungen in ihrer Gesinnung erschüttert oder erschreckt zu werden. Der Herr war noch nicht gekommen, und sie waren noch nicht zu Ihm versammelt worden. Unmöglich konnte daher auch der „Tag“, mit dem die Gerichte in Verbindung stehen, schon gekommen sein. Der zweite Beweis des Apostels — ist womöglich noch schlagender und bestimmter. Ehe jener Tag erscheint, muss zuvor „der Abfall“ kommen und „der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens“, mit anderen Worten der Antichrist, geoffenbart sein. Ehe dieser Abfall geschehen und der Mensch der Sünde geoffenbart worden ist, kann „der Tag des Herrn“ nicht kommen.
Fassen wir die Beweisführung des Apostels noch einmal kurz zusammen, so lautet sie: „Der Tag des Herrn ist noch nicht da, weil erstens der Herr noch nicht gekommen ist und wir noch nicht zu Ihm versammelt sind, und weil zweitens der Abfall und der Mensch der Sünde noch nicht geoffenbart ist. Eine sorgfältige Betrachtung von 2. Thess. 2 wird noch andere gewichtige Beweisgründe für die Richtigkeit des Gesagten erbringen.
Beschäftigen wir uns jetzt noch etwas näher mit dieser furchtbaren Gestalt, dem Antichrist. Es ist sehr interessant, die verschiedenen Namen und Bezeichnungen, die ihm in der Schrift beigelegt werden, zu sammeln und zu untersuchen. Die wichtigsten sind:
1. „Der Antichrist“. Dieser Ausdruck findet sich nur in den Briefen des Johannes und wird dort gebraucht, um seinen religiösen Charakter zu bezeichnen als der, welcher einerseits „leugnet, dass Jesus der Christus ist“, und andererseits „den Vater und den Sohn leugnet“ (1. Joh. 2, 22; 2. Joh. 7).
2. „Der Mensch der Sünde“ (2. Thess. 2, 3). Jede Form der Gottlosigkeit wird sich völlig in einem Menschen entfalten. Die Sünde wird gleichsam in einer Person, in dem „Menschen der Sünde“, zusammengefasst sein.
3. „Der Sohn des Verderbens“ (2.Thess. 2, 3). Diese Bezeichnung drückt seinen schrecklichen Ursprung und sein entsetzliches Ende aus.
4. „Der Gesetzlose“ (2. Thess. 2, 8). Er ist der Eigenwille in Person und steht daher in schroffstem Gegensatz zu Ihm, der niemals Seinen eigenen Willen suchte, sondern stets dasjenige tat, was dem Vater wohlgefiel.
5. Das „andere Tier“ (Offbg. 13, 11 - 16). Er sucht in seinem Auftreten gleichsam Christum nachzubilden, indem er „Hörner hat gleich einem Lamme;“ seine Äußerungen sind jedoch der Ausdruck eines satanischen Einflusses: er „redete wie ein Drache“.
6. „Der falsche Prophet.“ (Offbg. 16, 13; 19, 20). Er übt seinen bösen Einfluss auf das abtrünnige Israel aus, dem er sich fälschlich als der Mund Gottes darstellt.
7. „Ein törichter und nichtiger Hirte“ (Sach. 11, 15. 17). Anstatt die Herde zu weiden, wird er, der wegen der Verwerfung Jehovas, des wahren Hirten und Königs, über Israel erweckt werden soll, sie grausam behandeln und sich. selbst weiden. Doch „das Schwert wird über seinen Arm und über sein rechtes Auge kommen, d. h. das Gericht wird seine Macht zerschlagen und seine Einsicht vernichten: Sein Arm wird verdorren, sein rechtes Auge völlig erlöschen.
8. „Der König“ (Dan. 11, 86.) Er wird als König in Palästina herrschen.
Außer diesen gibt es in den Psalmen noch verschiedene Benennungen, die mit Recht auf den Antichrist angewandt werden, so z. B. „Mann des Blutes und des Truges“ in Ps. 5, 6 oder „Zunge des Trugs“ in Ps. 52, 4. Doch sind dies nicht gerade unmittelbare Bezeichnungen seiner Person.
Zum Schluss möchten wir noch mit einigen Worten des schrecklichen Endes des Antichristen gedenken. In 2. Thess. 2, 8 lesen wir, dass der Herr Jesus ihn „verzehren wird durch den Hauch Seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung Seiner Ankunft“. Einzelheiten betreffs seines endgültigen Gerichts liefert uns Offbg. 19. Dort heißt es im 20. Verse: „Und es wurde ergriffen das Tier und der falsche Prophet, der mit ihm war, der die Zeichen vor ihm tat, durch welche er die verführte, welche das Malzeichen des Tieres annahmen und die sein Bild anbeteten, — lebendig wurden die zwei in den Feuersee geworfen, der mit Schwefel brennt. Auch im Alten Testament ist bereits an verschiedenen Stellen von dem schrecklichen Endgericht des Antichrists die Rede, von denen eine hier angeführt sei: „Denn vorlängst ist eine Gräuelstätte zugerichtet; auch für den König (vergl. Dan. 11, 36) ist sie bereitet. Tief, weit hat er sie gemacht, ihr Holzstoß hat Feuer und Holz in Menge; wie ein Schwefelstrom setzt der Hauch Jehovas ihn in Brand“ (Jes. 30, 33).
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Vergib uns unsere Schulden
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 251ff
„Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben“ (Matthäus 6, 12). Man hört zuweilen sagen, diese Bitte könne ein Christ heute nicht mehr aussprechen, weil er ja doch Vergebung seiner Sünden habe. Aber man vergisst dabei, dass der Herr, wenn Er so redet, gar nicht an Sünder oder an unbekehrte, nicht wiedergeborene Menschen denkt, sondern dass Er Seine Jünger, also Gläubige, beten lehrt. Wie könnte Er auch einen natürlichen Menschen auf den Boden des Gebets stellen, um durch sein Bitten Vergebung von Gott zu erlangen? und noch dazu in dem Maße, wie er selbst seinen Mitmenschen vergibt? Nein, einem solchen wird zugerufen: Tue Buße! Bekehrte dich! Bekenne deine Sünden! u. s. w. Ihm gebührt das Gebet des Zöllners: „Herr, sei mir, dem Sünder, gnädig!“ oder des sterbenden Räubers: „Herr, gedenke, Herr, erbarme dich meiner!
Mag auch das sogenannte „Vaterunser“ der gegenwärtigen Stellung des Gläubigen nicht entsprechen — er naht jetzt dem Vater „in dem Namen Jesu“ (Joh. 16, 23 - 27) - so dürfen wir doch nie vergessen, dass es für Gläubige, nicht für Unbekehrte, bestimmt ist. Als solche sollten die Jünger dem Vater nahen und Ihm ihre Verfehlungen, ihr vieles Zukurzkommen und Unterlassen bekennen, dabei bedenkend, dass der Vater ihnen nur dann Vergebung zuwenden könne, wenn auch sie selbst einen vergebenden» Geist anderen gegenüber offenbaren würden. Es— handelt sich hier also, ähnlich wie in 1. Petr. 1, 17, nicht, um ewige Vergebung, sondern um Gottes Regierung in der Zeit. Gott ist ein heiliger Gott und richtet, ohne Ansehen der Person, nach eines jeden Werk — schon hier, auf dieser Erde. Darum sollen wir „die Zeit unserer Fremdlingschaft in Furcht wandeln“, und zugleich anderen gegenüber dieselbe Gnade und Bereitwilligkeit zum Vergeben offenbaren, wie wir sie selbst von Seiten Gottes stündlich bedürfen. Gott wird die Bitte eines Seiner Kinder nicht erhören und ihm nicht vergeben, wenn es in harter, unversöhnlicher Gesinnung anderen gegenübersteht, mögen ihm diese auch noch so viel Böses zugefügt haben“. Sind wir bereit zu vergeben, so will auch Er es tun, wenn nicht, so vergibt auch Er nicht, und Züchtigung ist unser Teil.
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Die himmlische Berufung und die Kirche
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 253ff
Wenn wir in unserer Betrachtung jetzt zum vierten Kapitel des Epheserbriefes übergehen, so kommen wir von neuem mit etwas Wunderbarem in seiner Art in Berührung.
Die Sklaverei der alten Schlange, unter die der Mensch geraten ist und von der und 1. Mose 3 berichtet, war vollständig. Satans Lüge war angenommen worden, der Mensch war ein Sünder, von Gott getrennt und verloren. Eden war verscherzt, der Erdboden verflucht, der Mensch mit seinem Weibe unter Strafe gestellt, und Satan streifte als ein Lügner und Wanderer auf dem Erdboden umher (Vergl. Hiob 1, 7).
In Epheser 4 wird dieser früheste Zeitabschnitt aus der Sklavengeschichte des Menschen gestreift, aber in gegensätzlichem Sinne. Der Sklavenhalter ist mit seinem ganzen Gefolge jetzt selbst in Gefangenschaft geraten und wird durch den Befreier des Menschen im Triumph davongeführt oder „öffentlich zur Schau gestellt“, wie es in einer verwandten Stelle heißt (Kol. 2, 15). Und der Befreier hat sich nicht nur in dieser Hinsicht mächtig erwiesen, sondern hat auch Seine Herrlichkeit geoffenbart. Er „erfüllt alles“. Er ist sowohl hinab- auch hinaufgestiegen. Er ist in den unteren Teilen der Erde, im Grabe, gewesen, in der Feste des Sklavenhalters. Und jetzt ist Er hinaufgestiegen über alle Himmel. Und dieser Befreier, der sich so in Macht und Herrlichkeit erwies, hat es auf sich genommen, die Geschichte des alten Gefangenen Satans umzugestalten, sein Geschick neu zu bestimmen. Und das ist fürwahr ein wunderbares Geschick, wie unser Kapitel es weiter ausführt. Nachdem Er in den unteren Teilen der Erde die Befreiung erwirkt hat, hat Er jetzt in den höchstem Örtern, weit über allen Himmeln, Gaben erhalten für die ehemaligen Opfer der Schlange; diese Gaben hat Er dann verteilt und durch sie die Empfänger derselben, die ehemaligen Gefangenen des großen Feindes, zur Vollkommenheit geführt, indem Er sie in geistlichem Sinne unabhängig von ihm machte, ihnen Sicherheit . gab gegen seine Listen und Betrügereien, und durch den ihnen verliehenen Heiligen Geist die reichsten Hilfsquellen in sie selbst legte. (Vergl. V. 8 -16).
Es mag uns im ersten Augenblick überraschen, den traurigen Verfall des Menschen in 1. Mose 3 seiner Wiederherstellung in Eph. 4 gegenübergestellt zu finden, den Gewinn und Triumph der alten Schlange beantwortet und zunichtegemacht zu sehen durch seine Schande und Niederlage hier. Aber es ist so. Diese Überraschung wird auch weichen, wenn wir uns daran erinnern, dass der Epheserbrief, wie wir bereits sahen, die wunderbarste Darstellung der Ergebnisse des Erlösungswerkes ist. Deshalb. können wir es wohl verstehen, wenn wir in einem solchen Briefe das Gegenstück zu 1. Mose 3 finden. Es ist eben die besondere Beschreibung der Kirche, die einerseits ,,der Leib Christi« und andererseits ,,die Braut Christi ist, zwei Titel, von denen der erste besagt, dass sie aus den höchsten Ehrenplatz gesetzt ist, während der zweite darauf hinweist, dass sie den innigsten, vertrautesten Platz persönlicher Zuneigung und Verbindung gefunden hat. Überdies ist sie, wie wir wissen, für die ganze Schöpfung Gottes, für Fürstentümer und Gewalten in den himmlischen Örtern, die große, ja, die einzige, wirklich entsprechende Zeugin von der Gnade, Herrlichkeit und Weisheit Gottes geworden, die Zeugin von den unausforschlichen Reichtümern dieser Gnade und Herrlichkeit, sowie von den mannigfaltigen Hilfsquellen und Geheimnissen dieser Weisheit. Die Offenbarung über sie hat, wie wir uns weiter erinnern werden, das Wort Gottes „vollendet“ oder den Kreis der Offenbarungen Gottes geschlossen (Kol. 1, 25).
Von anderer Seite ist bemerkt worden, dass vor alters die Berufung Gottes sich entweder an einzeln e Personen richtete, aus dass sie mit Gott wandeln möchten, oder an ein Volk (wie Israel), aus dass es die Satzungen Gottes, ihres Königs, beobachtete und Sein Gesetz hielte. Heute aber beruft Gott zu einem Leibe. Aber obwohl das so ist, wird doch die Persönlichkeit des einzelnen Gläubigen nicht aus dem Auge gelassen. Der Epheserbrief bringt das klar zum Ausdruck, indem er sich in Kap. 5 nachdrücklich an den einzelnen Gläubigen je nach seiner persönlichen Stellung und Lage wendet. Ich brauche nicht zu sagen, dass diese Wahrheit am Schlusse unseres Briefes durchaus passend und angebracht ist. Wahrlich, wir sollten unsere persönliche Stellung, die Vollkommenheit, zu der wir als Einzelne in Christi gebracht sind, kennen, bevor wir uns mit der Berufung der Kirche oder des Leibes beschäftigen. So lässt der Apostel an anderer. Stelle die Heiligen wissen, dass er von solcher Weisheit, der Weisheit dieser göttlichen Geheimnisse, nur zu ,,Vollkommenen reden wolle. (Vergl. 1.Kor. 2, 6.) Hier im Epheserbrief ist zuerst von unserer Auserwählung, Zuvorbestimmung, Begnadigung, Annahme, Belehrung "und Versiegelung (Kap. 1) als Einzelnen die Rede;" dann erst wird für uns gebetet, dass wir jenen Geist der Weisheit und Offenbarung empfangen möchten, der uns fähig macht, unsere gemeinsame Berufung, die Kraft, die uns leitet, und die Herrlichkeit, die wir erreichen sollen, zu kennen. „Die Gemeinde als Körperschaft, sagt ein anderer Schreiber, „besteht aus einzelnen Gläubigen; sie hat, in diesem körperhaften Charakter betrachtet, Beziehungen zu Christo, die der Gläubige als Einzelner nicht hat — denn kein einzelner Gläubiger ist der Leib oder die Braut Christi; dennoch aber werden in den Zuneigungen und dem Gewissen des einzelnen Gläubigen die Beziehungen der Gemeinde als solcher erkannt und üben da ihre Wirkung aus.“
Das ist in der Tat so. Zuerst werden die einzelnen Gläubigen durch den Geist zur Vollendung gebracht, dann wird der Leib auferbaut. So lesen wir es in Kap. 4, 12. Die Unterweisungen, die wir von Kap. 4, 17 bis .6, 9 finden, richten sich an uns als Einzelne, aber doch kommt immer wieder das Verhältnis als Gemeinde oder Leib zur Geltung und Betrachtung.
Was nun die Unterweisungen selbst angeht, so möchte ich dazu bemerken, dass die Berufung an und für sich, die Gnade, in welcher wir stehen, uns eigentlich ohne Vorschriften leiten sollte. Dieser Gedanke wird durch Stellen wie Tit. 2, 11. 12 und 2. Petr. 3, 11. 14 bestätigt. Auch die Heiligen im 1.Buche Mose handelten ohne Gesetz oder Vorschriften. Die Höhe ihrer Berufung diktierte ihnen ihre Pflichten. „Wie sollte ich dieses große Übel tun“, sagte einer von ihnen, „und wider Gott sündigen?“ Die Gnade, in welcher die neutestamentlichen Heiligen stehen, sollte sie zu Gleichem veranlassen. Immerhin werden sie aufgefordert, aus Unterweisungen zu hören, wie hier, im letzten Teile unseres Briefes, die Epheser. Aber die Unterweisungen entsprechen im allgemeinen stets den jeweiligen Lehren und stellen sich so gleichsam als ebenso viele Ausdrücke jener sittlichen Kraft dar, die in der Lehre verborgen liegt.
Noch mehr. Diese Unterweisungen lassen erkennen, dass die Heiligkeit einen Charakter haben muss, welcher der jeweiligen göttlichen Verwaltung entspricht. Es ist nicht einfach Tugend und sittliche Kraft, wie das Gewissen sie verlangt, auch nicht gesetzliche Gerechtigkeit, wie das Gesetz sie fordert, noch schließlich das, was Johannes der Täufer den Menschen auferlegte. Nein, was uns geziemt, ist die Heiligkeit des Christen. Unser Charakter, unsere Heiligkeit sollte sich herleiten aus unserer christlichen Berufung. Sie findet ihre Quellen und ihre wahre Weihe in der christlichen Wahrheit. Sie misst sich an dem Worte, das sich heute an uns richtet und uns den Platz und die besondere Berufung des Gläubigen der Jetztzeit schildert. Es handelt sich heute um die Heiligung durch Wahrheit, um die Waschung mit Wasser durch das Wort. Das allein gibt unserem Tun und unserem ganzen Wesen jenen bestimmten Charakter, der Gott angenehm ist und den der Geist bewirkt. Aber wie vielfach wird gerade dies vernachlässigt oder übersehen, und doch muss es sorgsam beachtet werden, wenn wir anders in dem Lichte sein wollen, wie Gott in dem Lichte ist!
Es gibt indes noch etwas anderes in unserem Briefe. Wir finden einen Kampf oder ein Ringen darin. Den Wandel des Gläubigen behandelt Epheser 5, seinen Kampf Eph. 6. Der Weg des Christen führt über den bewegten Schauplatz des Lebens, durch all die Umstände und Beziehungen, welche die menschliche Geschichte ausmachen. Aber sein Kampf ist nicht »wider Fleisch und Blut, sondern »wider die Listen des Teufels, oder ,,wider die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern.“
Diese bösen Geister kommen aus himmlischen Höhen, und sie kommen mit Lügen und Betrügereien von unendlicher Mannigfaltigkeit. 2. Chronika 18 legt von dieser Tatsache ein bestimmtes, unzweideutiges Zeugnis ab. Dort wird ein Geist gesehen, der mit einer Lüge im Munde den Himmel verlässt, oder genauer mit einer Lüge, die er in den Mund eines der falschen Propheten Ahabs legt. Und diese Lüge veranlasst Ahab dann zu der unglücklichen Schlacht von Ramoth-Gilead.
Im Anfang trat die Schlange als Lügnerin in den Garten Eden, und mit einer ihrer „Listen brachte sie den Menschen zu Fall (1. Mose 3). Später reizte Satan durch eine andere dieser Listen David an, das Volk zu zählen, und führte so einen schrecklichen Tag der Vergeltung herbei (1. Chron. 21). Den gleichen Charakterzug als Betrüger erkennt man in Offbg. 12, 9 und 20, 8. Und in 2. Thess. 2, 9. 10 ist die Rede von Zeichen und Wundern der Lüge und von allem Betrug der Ungerechtigkeit als Frucht der Wirksamkeit des Satans.
So gibt es böse Geister in den himmlischen Örtern, die aber hienieden in unserer Mitte ihre „Listen“ ausüben.
Dieser Listen, dieser Lügen der „Weltbeherrscher der Finsternis“ mögen unzählige sein, wie z. B. Einflüsterungen des Unglaubens, Verdrehungen der Wahrheit, fromme abergläubische Vorstellungen, Begriffsverwirrungen in göttlichen Dingen, falsche Berechnungen betreffs des Laufes der Welt und was es sonst sein mag. Das ist ein ernster Gedanke. Aber wie gut ist es, dass wir Kenntnis haben von diesen Listen und so vorbereitet sind auf die Gefahr! Deutliche Beispiele solcher Listen finden wir auch in 2. Kor. 2, 11; 11,-3; 2. Tim. 2, 26.
Wider diese Listen nun und die, welche sie bringen, haben wir zu kämpfen. Handelt es sich um andere Charakterzüge Satans (wenn er z. V. als Lügner und Verfolger auftritt), so kann es sein, dass wir in seine Hand gegeben werden. Denn unser Kampf ist nicht wider Fleisch und Blut, wie der Kampf eines Josua oder eines David es einst war. Sie sandte Gott zu solchem Kampf aus, nachdem Er ihnen eine dafür passende Rüstung gegeben hatte. Aber heute ist es ganz anders. Nicht ein Stück unserer Waffenrüstung würde passen für die Schlacht von Ai oder für den Kampftag im Terebinthental. Unsere Feinde sind weder Amoriter noch Philister. Wir haben eine Waffenrüstung, die uns in den Stand setzt, dem Verderber der Wahrheit zu begegnen, ihm, der nicht aufhört, die geraden Wege des Herrn zu verkehren. (Apg. 13, 10.) Ihre einzelnen Teile sind der Gurt der Wahrheit, der Brustharnisch der Gerechtigkeit, die Schuhe des Evangeliums des Friedens, der Schild des Glaubens, der Helm des Heils und das Schwert des Geistes. *)
Der ganze Zeitabschnitt, durch den wir zu gehen haben, wird als ,,ein Krieg betrachtet mit gelegentlichen heißen Kämpfen oder ,,bösen Tagen, und des- wegen sagt der Apostel zu uns: ,,auf dass ihr an dem bösen Tage zu widerstehen und, nachdem ihr alles ausgerichtet habt, zu stehen vermöget.
Die „Listen“ können auch zu „feurigen Pfeilen“ werden. Das will sagen: die Lügen und Betrügereien Satans, die beständig umherschwirren, können hie und da, in der einen oder anderen Form, sich unmittelbar und persönlich wie feurige Pfeile wider uns richten.
Es ist auch auffallend zu bemerken, was unser Brief uns weiter zu sagen hat über diese bösen Fürstentümer und Gewalten. Er sagt uns, dass sie Gefangene Christi sind, aber Feinde der Heiligen, mit denen sie zu kämpfen haben; ferner nennt er sie die Weltbeherrscher dieser Finsternis (Kap. 4, 8; 6, 11. 12.) **)
Ich möchte nicht unerwähnt lassen (obwohl der Epheserbrief nicht davon spricht), dass der gegenwärtige Beherrscher der Welt, der Fürst der Finsternis, dazu verurteilt ist, bald einen ernsten Weg zu gehen. Er wird nämlich aus dem Himmel, wo er sich noch befindet, hinausgeworfen werden und dann nur noch auf dieser Erde Handlungsfreiheit besitzen. Später wird er zur gegebenen Zeit von dieser Erde weggenommen werden und in dem „Abgrund“ seinen Platz finden. Und schließlich, nach tausend Jahren, wird er wieder aus dem Abgrund gelöst und dem „Feuersee“ oder seinem ewigen Schicksal übergeben werden (Vergl. Luk. 10, 18; Offbg. 12; 20).
Dieser Weg steht genau im Gegensatz zu dem Wege des Herrn. Der Herr kam als Sieger aus dem Grabe hervor. Dort hatte Er den Tod getötet und der Hölle Macht vernichtet. Dann kehrte Er zur Erde zurück und weilte hier noch vierzig Tage, um betreffs Seines zukünftigen Reiches Verheißungen und Unterpfänder zu geben. Darauf stieg Er empor über alle Himmel, empfing alle Gewalt und sandte den Heiligen Geist hernieder, damit Er in den Heiligen Wohnung nehme und sie für Ihn zubereite auf den Tag der überschwänglichen Herrlichkeit, wann Er dargestellt werden wird als Der, welcher alles in allem erfüllt.
Hiermit könnte ich endigen, wenn ich nicht noch aus den Schluss des Briefes hinweisen müsste, der wie alles andere charakteristisch für den ganzen Brief ist.
Der Apostel nennt sich im 20. Verse des letzten Kapitels einen „Gesandten in Ketten“. Welch ein weiterer Zeuge war Paulus somit in seiner eigenen Person von dem Charakter der Welt, die er gerade als unter der Gewalt der Weltbeherrscher dieser Finsternis stehend gekennzeichnet hatte! Gottes Gesandter war durch die Welt, in die Er ihn gesandt hatte, in — Ketten gelegt worden! Wo ist ein Volk, das den Vertreter eines anderen Volkes in solcher Weise behandelt? Ist die Person eines Gesandten nicht geheiligt?
Aber der Gefangene der Welt ist ein Freigelassener Gottes. Und so sendet er in besorgter Liebe aus seinem Gefängnis heraus Botschaften der Zuneigung, des Trostes und der Ermunterung an seine geliebten Brüder, die Hunderte von Meilen entfernt von ihm jenseits des Meeres wohnten.
Fußnoten:
*) Satan ist ein Verkläger der Brüder im Himmel. (Hiob 1 und Offbg. 12.) Auf Erden ist er ein Verkläger Gottes (1. Mose 2) und ein Verfolger der Heiligen (Hiob 2 und Offbg. 12). Aber an dieser Stelle spricht der Apostel nur von seinen Listen oder Betrügereien.
**) Von anderer Seite ist die Bemerkung gemacht worden, Ephesus sei in hervorragender Weise ein Platz gewesen, wo diese bösen Geister ihre Lügen und Betrügereien ausgeübt hätten. (Vergl. Apg. 19, 19.)
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Eine schlaflose Nacht
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 262ff
„In jener Nacht floh den König der Schlaf, so lesen wir in Esther 6, 1. Warum das? Was trieb den Schlaf aus den Augen des mächtigsten Fürsten jener Tage? Weshalb durfte der erlauchte Ahasveros (Xerxes) sich nicht einer Gunst erfreuen, die doch wohl das Teil seiner geringsten Untertanen war? Waren es schwere Regierungssorgen, die ihn nicht schlafen ließen? In anderen Nächten mochte es schon so gewesen sein, ja, in jeder anderen Nacht hätte es der Fall sein können, in dieser aber müssen wir die Ursache der Ruhelosigkeit anderswo suchen. Gott hatte Seine Hand in der Sache, der Finger des Allmächtigen hatte sich erhoben. „Jehova, der Gott der Hebräer“, hatte ein Werk für Sein in fernem Lande geknechtetes, aber immer noch von Ihm geliebtes Volk zu tun, und zur Ausführung desselben musste die schlaflose Nacht des Königs mitwirken. Sie bildete nur ein Glied in der Kette der von oben geordneten und geleiteten Ereignisse. Der Herrscher über „hundertsiebenundzwanzig Landschaften“ wälzte sich in jener Nacht ruhelos auf seinem schwellenden Lager, weil Gott ihn nicht schlafen ließ.
Dieser Umstand kennzeichnet das Buch Esther in bemerkenswerter Weise. Es ist bekannt, dass in dem ganzen Buche der Name Gottes nicht erwähnt wird, noch weniger der Name Jehovas, des Bundesgottes Israels. Es entspricht das durchaus dem Zustand, in welchem das Volk sich damals befand — einem Vorbilde der gegenwärtigen Zeit, wo Gott sich vor Seinem in alle Welt zerstreuten Volke verborgen hält und sich anscheinend gar nicht um sein Ergehen kümmert. Aber dennoch sehen wir in allen Geschehnissen Seine leitende Hand; auch der geringste Umstand, die scheinbar uns wichtigste Begebenheit im Buche Esther offenbart Seinen wunderbaren Rat und Sein anbetungswürdiges Tun. Die Spuren Seines Wirkens sind gleichsam auf alles gedrückt. Das natürliche Auge mag die Bewegung der Räder des Wagens Jehovas vielleicht nicht wahrnehmen, aber der Glaube nimmt diese nicht nur wahr, sondern erkennt auch genau die Richtung, in welcher der Wagen fährt. Der Feind macht Pläne, aber Gott steht über ihm und seinen Plänen. Jede Anstrengung und Bewegung Satans muss nur dazu dienen, den Ratschluss Gottes betreffs Seines Volkes ans Licht und zur Ausführung zu bringen.
Wie es damals war, so ist es heute und wird es immer sein. Die Bosheit Satans, der Stolz des Menschen, feindselige Pläne und Einflüsse — alles muss in der Hand Gottes dazu mitwirken, Seine Gnadengedanken ihrer Erfüllung entgegen zu führen. Welch eine Ruhe verleiht das dem Herzen inmitten des ruhelosen Auf- und Abwogens, des Flutens und Ebbens in unserem Leben! „Das Ende des Herrn“ (Jak. 5, 11) wird sicher einmal, früher oder später, zu Seinem Preise gesehen werden. „Der Ratschluss Jehovas besteht ewiglich, die Gedanken Seines Herzens von Geschlecht zu Geschlecht. (Ps. 33, 11.) Sein Name sei gepriesen für ein solches Wort! Es erquickt das Herz zu jeder Zeit. Der Herr steht immer hinter der Szene. Jedes Rädlein, jede Schraube in der großen Maschine der Menschengeschicke ist unter Seiner Aufsicht und Leitung. Mögen die Kinder der Welt auch Seinen Namen nicht kennen, auch Sein Tun nicht beachten, der Gläubige sieht Seine Hand in allem, vertraut auf Sein Wort und wartet auf Sein Ende.
Mit ganz besonderer Deutlichkeit tritt uns diese Wahrheit im Buche Esther entgegen. Die Schönheit der Königin Vasti, des Königs Stolz darauf, sein ungeziemender Befehl, Vastis Weigerung, diesen Befehl zu befolgen, der Rat der Weisen und Rechtskundigen — alles dient nur zur Entfaltung der reifenden Ratschlüsse Gottes. Von all den schönen Jungfrauen, die in die Burg Susan znsammen gebracht wurden, durfte keine das Herz des Königs so gewinnen wie Esther, die Tochter eines unbekannten jüdischen Verbannten, eine arme, einsame Waise. Und wiederum wurde es keinem der vielen Beamten, Aufseher und Diener im königlichen Palast erlaubt, die Verschwörung gegen das Leben des Königs zu entdecken, als nur einem gewissen jüdischen Manne, dessen Name Mordokai war. „Ein Benjaminiter, der aus Jerusalem weggeführt worden war“, das ist alles, was von ihm berichtet wird. Und schließlich durften „in jener Nacht“, als der Schlaf den König floh, dessen Gedanken auf nichts anderes sich lenken als auf das Buch der Chroniken, der Denkwürdigkeiten der Zeitereignisse (Kap. 6, 1) — ein zweifellos nicht gerade naheliegender Gegenstand zur Unterhaltung eines genusssüchtigen Fürsten, wie Ahasveros es war. Aber Gott stand hinter allem.
In diesem Buche der Chroniken nun befand sich eine Auszeichnung über die Geschichte jener Verschwörung und ihre Aufdeckung durch Mordokai, den Juden, und gerade aus diesen Bericht musste das Auge des Vorlesers fallen. Aus Mordokai musste die Aufmerksamkeit des Königs gelenkt werden, und zwar genau einige Stunden vor dem Erscheinen Hamans, dessen bitteren Widersachers. Mordokai sollte für seine Treue belohnt werden in einer Weise, die das Antlitz des stolzen Amalekiters vor Scham erglühen lassen musste. Haman kam, um ein Todesurteil wider den armseligen Juden zu erwirken, der „weder aufstand noch sich vor ihm rührte, wenn er, der allgewaltige Günstling des Königs, vorüberschritt. Gerade trat er in den Hof, als Ahasveros fragte, welche Ehre und Auszeichnung dem Mordokai für seine Treue erwiesen worden sei; und siehe da! Human selbst musste den Plan entwerfen und den Weg angeben, wie Mordokais Triumph ein vollständiger werden konnte. Gekommen, um seinen Feind an einem fünfzig Ellen hohen Galgen aufzuhängen, musste er ihn mit des Königs Gewand bekleiden, ihn auf des Königs Ross setzen lassen und in eigener Person, zu Fuß vor ihm hergehend, durch die Straßen der Stadt rufen: „Also wird dem Manne getan, an dessen Ehre der König Gefallen hat!“ Nichts durfte ausfallen von allem, was er in der Verblendung seines Herzens sich selbst zugedacht hatte.
Mein Leser! Zeigt sich nicht in diesem allem der Finger des Allmächtigen so offenbarlich, dass selbst ein Ungläubiger, ein Gottesleugner es kaum in Frage stellen könnte? Der höchste Beamte im Reiche des Ahasveros, ein Nachkomme Agags, des Königs der Amalekiter, „der Widersacher der Juden, dem der König seinen eigenen Siegelring angezogen hatte, damit er mit Israel tue, was ihm beliebe, in dessen Augen es verächtlich war, die Hand an Mordokai allein zu legen (Kap. 3), wird gezwungen, gerade diesem Manne vor aller Augen den Platz zu geben, nach welchem sein maßloser Ehrgeiz verlangt hatte. Fürwahr, das Walten der Vorsehung Gottes ist erstaunlich. „Er ist wunderbar in Seinem Rat, groß an Verstand (Jes. 28, 29).
Beschäftigen wir uns zum Schluss noch ein wenig mit dem armen Haman und seinem Stolz. Inmitten seiner Würde, seines Reichtums und Glanzes gab es eine Sache, die ihn unglücklich machte, eine Sache, an und für sich unwichtig, ja, kaum nennenswert, aber für den Hochmut des verblendeten Mannes unerträglich. Es war die Erkenntnis, dass Mordokai sich nicht vor ihm beugen wollte. Während alle übrigen Beamten des Königs, hoch und niedrig, nach morgenländischer Sitte sich willig vor ihm niederwarfen, verweigerte dieser eine verächtliche Mann, ein Jude, ihm jede Anerkennung! Dass das seinen Zorn wachrief, ist begreiflich; aber dass er „voll Grimmes“ ward und nun den teuflischen Plan fasste, „alle Juden, die im ganzen Königreich des Ahasveros waren, das Volk Mordokais, zu vertilgen“ (Kap. 3, 6), zeigt uns den unbändigen Hochmut, die tiefe Bosheit seines Herzens. Mochte er den ersten Platz am Throne einnehmen, königliche Macht ausüben und über fürstliche Reichtümer gebieten – „das alles galt ihm nichts“, solang Mordokai, der Jude, im Tore des Königs saß, also einen, wenn auch im Vergleich zu Hamans Stellung gar geringen, Ehrenplatz einnahm (Kap. 5, 13). Ach, welch ein armseliges Geschöpf ist doch der Mensch! Wird ihm auch alles in den Schoß geworfen, wonach sein Herz gelüstet: Ehre, Macht, Einfluss, Reichtum usw. usw., alles gilt ihm nichts, wenn jemand wagt, ihm vor anderen die Ehrung zu verweigern, auf welche er Anspruch zu haben meint. So ist das natürliche Herz, so ist der Mensch, so ist die Welt. „Der Hochmut umgibt sie wie ein Halsgeschmeide“ (Ps. 73, 6).
Aber Stolz kommt vor dem Verderben, Hochmut vor dem Fall. Das zeigt sich in der Geschichte Hamans in schlagender Weise. In dem Augenblick, als er im Begriff stand, seinen Fuß auf die höchste Sprosse der Leiter zu setzen, stürzte er in die tiefste Tiefe hinab. Derselbe Galgen, den er für Mordokai hatte herrichten lassen, wird zu seiner eigenen Hinrichtung benutzt! Aber, so mögen wir fragen, weshalb weigerte sich Mordokai so entschieden, dem mächtigen Manne Ehrerbietung zu beweisen? Gab es auch in ihm eine stolze, ungebrochene Gesinnung? War es blinder Unverstand oder persönliche Bitterkeit, die ihn leiteten? Nichts von alledem. Mordokai würde vor dem höchsten Beamten des Königs willig sein Haupt in den Staub, gebeugt haben, wenn dieser nicht ein „Feind Jehovas“ und „der Widersacher der Juden“ gewesen wäre. Haman war ein Amalekiter, und Jehova hatte geschworen, dass Er „Krieg wider Amalek habe von Geschlecht zu "Geschlecht“; ja, Er hatte durch Mose Seinem Volke gebieten lassen: „Wenn Jehova, dein Gott, dir Ruhe geschafft hat vor allen deinen Feinden. ringsum . . ., so soll es geschehen, dass du das Gedächtnis Amaleks unter dem Himmel austilgest. Vergiss es nicht!“ "(2. Mose 17, 16; 5. Mose 25, 17 - 19). Warum aber dieses ernste Urteil? Weil Amalek dem Volke in der Wüste entgegengetreten war, als es müde und matt geworden, und seinen Nachtrab, alle Schwachen hinter ihm her, geschlagen und Gott nicht gefürchtet hatte. Wie hätte ein treuer Israelit, ein echter Sohn Abrahams, sich nun vor einem Amalekiter beugen können, vor einem Manne, wider den Gott Krieg führte bis zur völligen Vertilgung? Unmöglich! Mordokai konnte das Leben eines Ahasveros retten, aber niemals konnte er sich vor einem Amalekiter zu Boden werfen. Dazu wandelte er zu nahe mit dem Gott seiner Väter.
Die unerschütterliche Weigerung Mordokais entsprang also weder persönlichem Hochmut noch einem törichten Nationalstolz, sondern der Verbindung mit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. In seinem Verhalten gab sich Gehorsam kund, Glaubensgehorsam, der sich dem Worte Gottes zu allen Zeiten unterwirft, unbekümmert um (die möglichen Folgen. Durch Glauben wollte Mordokai Jehovas Panier hochhalten, und, indem er das tat, konnte er nicht zugleich einem Amalekiter gehorchen. Freilich, sein Volk war beraubt und zerstreut, das Haus Jehovas zertrümmert und die Herrlichkeit Jerusalems verblichen, aber trotz allem gab der Glaube die hohe Stellung, in welche der Ratschluss Jehovas das Volk Israel gesetzt hatte, nicht auf. Inmitten des Verfalls ging Mordokai ruhig seinen Weg, indem er unbeweglich an den Verheißungen Gottes festhielt. Er stellte sich auf den Boden, welchen diese Verheißungen dem Glaubenden gaben. Es wurde ihm nicht erspart, den Verfall tief zu fühlen; deshalb kleidete er sich „in Sacktuch und Asche“ und „schrie mit einem großen und bitterlichen Geschrei“ (Kap. 4. 1 - 3.) Aber niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, sich vor einem Amalekiter zu beugen. Die Natur hätte fragen können: „Ist es nicht verständiger, dein Verhalten den Umständen anzupassen, dich, so gut es geht, in die augenblickliche Sachlage zu finden? Gott hat es doch zugelassen, dass Haman diese hohe Stellung erlangt hat; gebietet dir deshalb nicht die Klugheit, das Unabänderliche zu tragen und dich in die Zeit zu schicken?
Diese und noch viele andere kluge Einwände hätte die Natur erheben können, aber für den Glauben lagen die Dinge sehr einfach: „Jehova hatte Krieg wider Amalek von Geschlecht zu Geschlecht“, und „Amaleks Gedächtnis sollte ausgetilgt werden unter dem Himmel“. Das war deutlich, und der Glaube vergaß es nicht. Und was war die Folge? Das Sacktuch Mordokais verwandelte sich in ein königliches Gewand, sein Platz im Tore des Königs in einen Platz nächst dem königlichen Throne. „Und Mordokai, der Jude, war der Zweite nach dem König Ahasveros und groß bei den Juden und wohlgefällig der Menge seiner Brüder“ (Kap. 10, 3). Er erprobte in seiner persönlichen Erfahrung die Wahrheit der alten Verheißung, dass „Jehova Sein Voll zum Haupt und nicht zum Schwanz machen wolle, wenn es den Geboten Jehovas, seines Gottes, gehorche“ (5. Mose 28, 13). Er nahm seine Stellung — auf dem erhabenen Boden, auf welchen der Glaube die Seele immer stellt, und richtete seinen Weg nicht ein nach der Lage der Dinge um ihn her, sondern nach dem Worte Gottes, dem er sich im Glauben unterwarf. So muss es immer sein. Der Glaube erfasst den lebendigen Gott und Sein Wort und wandelt in Frieden und heiliger Erhabenheit vor Seinem Auge.
Lieber gläubiger Leser! Möchte die kostbare Belehrung, welche das Buch Esther uns gibt, durch die Kraft des Heiligen Geistes deinem und meinem Herzen recht nahe gebracht werden!
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Richtet nicht
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Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 271ff
Mit dem siebenten Kapitel des Evangeliums nach Matthäus beginnt ein neuer Abschnitt in der so- genannten „Bergpredigt“. Wir finden darin weniger die Feststellung der Beziehungen einer Seele zu Gott, dem Vater — das verborgene innere Leben des Christen, als vielmehr die Beziehungen der Jünger zueinander, ihr Benehmen der Welt gegenüber, die mannigfachen . Gefahren, vor denen sie sich hüten müssen, und schließlich den sicheren Untergang eines jeden Menschen, der sich Christ nennt, aber nicht nach den Worten des Herrn tut. Der „Kluge“ hört und tut!
In einem früheren Abschnitt Seiner Belehrungen hatte der Herr ausführlich dargelegt, dass wir als Kinder unseres Vaters in Gnade handeln sollten, der Welt, unseren Feinden und solchen Personen gegenüber, die uns unrecht tun wollen. Daraus konnte sich nun eine Schwierigkeit ergeben. Was sollte geschehen, wenn unter den Letztgenannten solche waren, die den Namen Christi trugen? Wie soll unser Verhalten ihnen gegenüber sein? Dass es nicht immer und in allen Fällen gleich sein kann, ist sicher. Doch bevor wir die Frage des Benehmens anderer uns gegenüber berühren, müssen wir auf eine besondere Gefahr aufmerksam machen, die uns allen droht: das ist der Geist des Richtens in uns, die Gewohnheit oder Neigung, anderen schlechte Beweggründe für ihr Handeln unterzuschieben, und das bei Dingen, die wir gar nicht kennen und die sich unserer Beurteilung entziehen. Wir alle wissen aus Erfahrung, was für ein Fallstrick diese Eigentümlichkeit des menschlichen Herzens ist, — für den einen vielleicht mehr, für den anderen weniger, je nach Charakterveranlagung und Mangel an Wachsamkeit, - aber die böse Gewohnheit ist da. Solche unter uns, die mehr Menschenkenntnis und Unterscheidungsvermögen zu besitzen glauben als andere, mögen besonders auf der Hut sein. Nicht dass man seine Augen vor dem Bösen verschließen sollte — keineswegs; aber man sollte nichts Böses da voraussetzen, wo es nicht klar zu Tage liegt, nicht über das hinausgehen, was durch Gott geoffenbart ist. Ohne die Beachtung dieses wichtigen praktischen Bewahrungsmittels können wir unmöglich den Gedanken Gottes. gemäß miteinander wandeln. Menschen können zusammenleben als ebenso viele voneinander getrennte Einzelwesen, ohne dass der eine an den Schmerzen, Schwierigkeiten und Versuchungen des anderen teilzunehmen sucht und noch weniger sich in Liebe mit dem vielleicht vorhandenen Bösen beschäftigt. Aber wie könnte das dem Herzen eines Jüngers Jesu genügen? Die Liebe bemüht sich, die Wege ausfindig zu machen, welche dem anderen dienlich sind, selbst wenn Böses sich zeigen sollte. Ihr Wesen ist, stets das Beste des geliebten Gegenstandes zu suchen, und das ohne jede Rücksicht auf sich selbst. Sie mag es bitter empfinden, wenn sie keine Gegenliebe findet, wie der Apostel Paulus schon diese schmerzliche Erfahrung in den ersten Tagen der Christenheit bei Gläubigen machen musste, von denen er anderes hätte erwarten können. Aber es gefällt Gott, uns solch ernste Unterweisungen darüber zu geben, was das Herz ist, selbst in den Heiligen Gottes.
In allen Verhältnissen, in allen Lagen sind wir zu der gewissenhaften Befolgung der großen Wahrheit verpflichtet: „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet“.(V. 1). Und doch kann wiederum kein Grundsatz leichter durch die Selbstsucht des Menschen missbraucht; werden, als gerade dieser; wie z. B. wenn jemand auf einem schlechten Wege wandelt und nun diese Stelle benutzen würde, um seinen Brüdern das Recht der Beurteilung seines schlechten Wandels abzusprechen. Er würde dadurch allerdings einen erschreckenden Mangel an Gewissen und geistlichem Verständnis verraten, indem er die Worte des Herrn verdrehte, nur um seine Sünde zu entschuldigen — aber solche Fälle kommen vor! Der Herr hat keineswegs — beabsichtigt, durch Seine Worte das heilige Urteil über das Böse abzuschwächen. Im Gegenteil. Er selbst verpflichtet an anderer Stelle Sein Volk in feierlicher Weise dazu, im gegebenen Augenblick zu richten: „Ihr, richtet ihr nicht, die drinnen sind?“ Es war gerade der Fehler der Korinther, dass sie das Böse in ihrer Mitte nicht richteten (1. Kor. 5).
Es ist daher klar, dass es einen Sinn gibt, in dem ich richten soll, und einen anderen, in dem ich es nicht tun darf. Da sind Fälle, in denen ich gegen den Herrn sündigen würde, wenn ich nicht richtete, und andere, wo Er mir das Richten verbietet, um nicht Gericht über mich selbst zu bringen. Es ist eine überaus ernste praktische Frage für den Christen, wo er richten und wo er nicht richten soll. Das was klar zu Tage tritt, was Gott dem Auge Seines Volkes zeigt, so dass man es deutlich selbst sehen oder aus dem Munde einwandfreier Zeugen vernehmen kann, muss selbstverständlich gerichtet werden. Wir sind stets verantwortlich, das was Gott beleidigt zu verabscheuen, mag es unmittelbar oder mittelbar zu unserer Kenntnis kommen; denn Gott lässt sich nicht spotten, und die Kinder Gottes dürfen sich nicht durch die Kunstgriffe und Listen des Fleisches täuschen lassen.
Was will denn nun der Herr mit den Worten sagen: „Richtet nicht, auf das; ihr nicht gerichtet" werdet“? Er will uns, wie gesagt, nicht auf etwas hinweisen, das offen vor aller Blicken daliegt, sondern auf verborgene Dinge, bezüglich deren, wenn sie auch wirklich vorhanden sind, es Gott noch nicht gefallen hat, klare Beweise vor die Augen Seines Volkes zu legen. Wir sind nicht berufen, Dinge zu richten, die wir nicht wissen; im Gegenteil, wir sollen vor jenem Geist, der überall Böses wittert, auf der Hut sein. Vielleicht liegt Böses vor, Böses schlimmster Art, wie z. B. in dem Falle des Judas Iskariot. Der Herr sagte von ihm: „Einer von euch ist ein Teufel“ (Joh. 6, 70), und dennoch hielt Er die Jünger absichtlich im Dunklen über die Einzelheiten des Verrats. Auch ist beachtenswert, dass nur das Evangelium nach Johannes uns zeigt, dass des Herrn Kenntnis von Judas die einer göttlichen Person war. Lang bevor sich irgend Etwas Böses zeigte, legte Er Zeugnis von ihm ab. In den anderen Evangelien bleibt alles verborgen bis zu dem letzten Abend. Johannes aber wurde durch den Geist geleitet, daran zu erinnern, was der Herr den Jüngern schon lange vorher gesagt hatte. Aber wenn Er auch wusste, was geschehen würde, sollten sie doch vertrauensvoll alles Ihm überlassen. Denn wenn der Herr mit Judas Geduld hatte, sollten sie dann nicht dasselbe tun? Solang Er ihnen keine Anweisung gab, wie sie mit dem Bösen handeln sollten, war es ihre Aufgabe, zu warten. Das ist die nie fehlende Hilfsquelle des Glaubens: „Wer glaubt, wird nicht ängstlich eilen“, besonders nicht in einem so ernsten Falle. Wir brauchen uns nicht um Dinge zu beunruhigen, die noch nicht festgestellt sind. Vor den Augen Gottes liegt alles offen, alles ist in Seinen Händen, und Ihm dürfen wir vertrauen. Geduld ist das Wort, das wir uns zurufen müssen bis zu dem Augenblick, wo es dem Herrn gefällt, mit dem Bösen abzurechnen. Der Herr lässt den Judas sich völlig offenbaren, und dann war keine Rede mehr davon, dem Verräter gegenüber Nachsicht zu üben. Während es Fälle des Bösen gibt, wo wir richten sollen, gibt es andere, die unserer Entscheidung nicht unterstellt sind.
Zu allen Zeiten ist Vorsicht geboten, damit wir Gott nicht vorgreifen und eines Tages die Erfahrung machen müssen, dass wir in dem einen oder anderen Punkt, möglicherweise in der Hauptsache, mit Ihm nicht im Einklang sind, Ihm vielleicht gar entgegenarbeiten. Niemals sollten wir das geknickte Rohr zerbrechen, indem wir bitteren persönlichen Gefühlen oder parteiischen Neigungen Raum geben. Das ist eine große Gefahr für uns.
Die unvermeidliche Folge eines richtenden Geistes ist immer die, dass wir selbst gerichtet werden. Wer an allem etwas auszusetzen hat, von dem wird man bald allgemein übel reden. „Denn mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welchem Maß ihr messet, wird euch gemessen werden.“
Der Herr geht in Vers 3 zu einem besonderen Fall über, indem Er sagt: „Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber in deinem Auge nimmst du nicht wahr?“ Das heißt: Da, wo sich eine Neigung zum Richten vorfindet, ist gewöhnlich noch etwas Schlimmeres vorhanden; meist ruht ungerichtetes Böses in dem Innern des Betreffenden, sei er nun ein bloßer Bekenner oder ein wahrer Gläubiger, und das macht ihn ruhelos und weckt das Verlangen in ihm, auch bei anderen Unrecht zu finden.
„Oder wie wirst du zu deinem Bruder sagen: Erlaube, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und siehe, der Balken ist in deinem Auge?“ (Vers 4). Der Splitter ist nur ein kleiner Gegenstand; aber wie viel Aushebens wird von ihm gemacht, während der gewaltige Balken im eigenen Auge stillschweigend übergangen wird! Der Herr stellt in überaus ausdrucksvoller Weise die Wahrheit ans Licht sowie die Gefahr . eines argwöhnischen, richtenden Geistes. Und Er zeigt uns, dass, wenn wir das Beste Seines Volkes suchen und es vom Bösen befreit zu sehen wünschen, wir mit Selbstgericht beginnen müssen. Nur so sind wir imstande, die Sache richtig anzufassen. Begehren wir wirklich, den Splitter aus unseres Bruders Auge zu ziehen? Lasst uns dann mit den schwereren Verfehlungen in uns beginnen, von denen wir fühlen, dass wir sie nur wenig bekannt und gerichtet haben. Das ist Christi würdig. Wie verfährt Er mit dem Splitter in unseres Bruders Auge? Sagt Er: Geh damit zum Richter? — Keineswegs; sondern: Prüfe dich selbst! Da ist der Ausgangspunkt für meine Seele. Wenn ich damit beginne, das Böse, dessen ich mir bewusst bin, zu verurteilen, oder Gott bitte, mir Nichtbewusstes zu zeigen, damit es hinweggetan werde, so werde ich klar sehen, wie es mit meinem Bruder steht. Mein Herz ist imstande, in seine Umstände einzugehen, mein Auge ist hell und gereinigt von alledem, was das Herz verfinstert und mich unfähig macht, mit den Gefühlen und Gedanken Gottes die Angelegenheiten meines Bruders zu besehen.
„Heuchler, ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter aus deines Bruders Auge zu ziehen“ (Vers 5). Obgleich der Herr, wenn Er sagt: „Heuchler“, wohl an das Übel in seiner schlimmsten Form denkt, findet es sich doch grundsätzlich oder in seinen Keimen bei uns allen. Aber was widerstrebt mehr einer wahren Einfalt und Aufrichtigkeit? Der Herr zeigt uns, wozu sich jene Keime auswachsen können, wenn wir nicht wachsam sind: zu dem hässlichsten Übel, das unter Seinem Namen geschehen kann, zu einer Sache, die selbst das Gewissen des natürlichen Menschen verabscheut und verwirft, zur Heuchelei.
„Heuchler, ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter aus deines Bruders Auge zu ziehen.“ Wieder und wieder hat man die Erfahrung gemacht, dass, wenn der Balken entfernt wurde, der Splitter nicht mehr zu sehen war; er war bereits verschwunden. Das ist ein großer Trost; und da wo das Herz auf den Herrn gerichtet ist, wird man nicht traurig sein über die Entdeckung, dass man sich Betreffs des Bruders geirrt hat. Sollte ich mich nicht freuen, die Gnade Gottes in meinem Bruder wirken zu sehen, während ich vielleicht erkennen muss, dass nur bei mir das Unrecht vorhanden war? Sicherlich wird eine solche Erkenntnis mich schmerzlich berühren, aber die Liebe Christi in meinem Herzen wird Befriedigung finden in dem Bewusstsein, dass dem Herrn weitere Unehre erspart bleibt.
Möchten wir denn alle ernstlich wachen gegen die Gewohnheit, übereinander zu richten! Sie bringt Bitterkeit in die eigene Seele, tut dem anderen unrecht und macht uns unfähig, uns in der rechten Weise mit anderen zu beschäftigen. Wohl lesen wir schon im Alten Testament: „Du sollst deinen Nächsten ernstlich zurechtweisen, damit du nicht seinetwegen Schuld tragest“ (3. Mose 19, 17), aber wir sagten uns schon wiederholt, dass es sich in solchem Falle um Verfehlungen handelt, die offen zu Tage liegen, von dem Nächsten aber noch nicht als böse erkannt und gerichtet worden sind, so dass ich mich durch mein Stillschweigen mitschuldig machen würde. Wir haben ernste Verpflichtungen gegeneinander, gerade weil wir, wie der Apostel Paulus uns belehrt, als Glieder an dem Leibe gesetzt sind, um uns gegenseitig zu helfen und zu dienen; aber wir sind nicht berufen, Gedanken und Beweggründe bei unserem Bruder zu beurteilen oder gar in argwöhnisch kritisierendem Geist Böses zu vermuten und ihm nachzuspüren.
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Sorget nicht
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Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 279ff
„Mein Gott wird alle eure Notdurft erfüllen nach Seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christo Jesu“ (Phil. 4, 19). Kostbare Worte des bejahrten, im Kerker zu Rom weilenden Apostels! Zunächst: „Mein Gott“ —der Gott, den ich auf meinem langen Wege erprobt, dessen Liebe und Treue ich tausendfach erfahren, dessen Güte ich geschmeckt habe. Auf Ihn kann ich rechnen für euch wie für mich, und Er „wird alle eure Notdurft erfüllen“, nicht nur nach dem Reichtum Seiner Gnade, sondern nach Seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christo Jesu“; Er hat euch aus dieser Welt herausgenommen und zu Seinen Kindern gemacht und will euch als die Genossen Seines Sohnes droben haben. Nach dieser eurer Bestimmung, nach eurem dereinstigen Platz in Herrlichkeit, verfährt Er jetzt mit euch. Was irgend diesem großen Plane Seiner Herrlichkeit und Liebe entspricht, was irgend als Folge desselben gedacht werden könnte, wird Er euch geben.
So dürfen wir denn unseren Weg gehen in dem Bewusstsein nicht nur, dass Gott kein Gutes vorenthalten wird denen, die in Lauterkeit wandeln (Ps. 84, 11), sondern auch dass Er stets mit uns handelt im Blick aus die Herrlichkeit, die vor uns liegt. „Er, der doch Seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird Er uns mit Ihm nicht auch alles schenken?“
„Seid nicht besorgt auf den morgenden Tag, denn der morgende Tag wird für sich selbst sorgen (Matth. 6, 34). Das will doch sagen: eure Sorge für den kommenden Morgen, euer ängstliches Fragen, was für ein Übel der morgende Tag wohl bringen könnte, ist nichts als Unglaube. Wenn der Morgen kommt, wird er für sich selbst sorgen, d. h. entweder trifft das gefürchtete Böse gar nicht ein, oder wenn es kommen sollte, so ist Gott da! Vielleicht muss Er uns ein wenig schmecken lassen, was es ist, unserem Willen, unseren eigenen Gedanken gefolgt zu sein; aber wenn unsere Herzen sich vor Ihm. beugen, wenn wir unsere eigenen Pläne fahren lassen, wie oft trifft dann das Böse, das wir so sehr fürchteten, gar nicht ein! Wenn wir uns willig in Gottes Hände legten und wirklich sagen konnten: „Alles sei Dir übergeben, Du sollst Rat und Helfer sein, wie oft verschwand da die finstere Wolke! Das Licht brach durch, und der Herr begegnete uns mit unerwarteter Güte und Freundlichkeit. Er vermag selbst Prüfung und Schmerz in lauter Segen zu verkehren; und was irgend auch Sein Wille sein mag, er ist immer gut. Darum „Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugefügt werden; und: „Jeder Tag hat an seinem Übel genug“.
Du sorgst für alle Dinge
so weise, treu und gut;
Nichts ist Dir zu geringe,
drum mein Herz sorglos ruht.
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Die Welt und der Christ
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Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 281ff
„Liebet nicht die Welt, noch was in der Welt ist. Wenn jemand die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm“ (1.Joh. 2, 15). „Wisset ihr nicht, dass die Freundschaft der Welt Feindschaft wider Gott ist? Wer nun irgend ein Freund der Welt sein will, stellt sich als Feind Gottes dar“ (Jak. 4,4).
Was ist die Welt? Diese Frage tritt oft und eindringlich an den denkenden Christen heran. Wovon sollen wir uns unbefleckt erhalten? Das Wort „Welt“ kann in einem dreifachen Sinne gebraucht werden. Zunächst bedeutet es die Ordnung oder das System, nach welchem sich alle menschlichen Angelegenheiten auf Erden regeln. Dann wird die Erde selbst die Welt genannt, weil sie der Schauplatz ist, auf welchem die Weltordnung ihre Wirkungen entfaltet, und schließlich werden die Menschen, die dieser Weltordnung gemäß leben, ebenfalls die Welt genannt. Man könnte die drei auch folgendermaßen unterscheiden: der Weltenraum, die Weltkinder und die Weltordnung oder das Weltsystem. Wenn es heißt, dass Jesus Christus in die Welt kam, um Sünder zu erretten, so verstehen wir darunter, dass Er in den Weltenraum kam, und indem Er das tat, musste Er mit dem Weltsystem, das Ihn hasste, in Berührung kommen. Er sagte zu Seinen Jüngern: „Ihr seid nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin, -— mit anderen Worten: Ihr seid nicht von dem System, das von der Welt regiert wird, ihr findet euer Leben nicht darin. Wer ein Freund dieses Systems ist, ist ein Feind Gottes, weil es sich selbst regiert und Gott nicht unterwürfig ist.
Nehmen wir als bildliche Erläuterung das Militärwesen. Der Rekrut, der seinen bürgerlichen Beruf verlassen muss, findet beim Militär alles für sich bereit. Er wird in seine Garnison befördert, wird vom Kammerunteroffizier eingekleidet und mit Waffen versehen, von anderen Unteroffizieren ausgebildet und bekommt zur bestimmten Zeit seinen Sold. Bei größeren Übungen oder im Felde wird für sein Quartier gesorgt, zu bestimmten Stunden muss er zum Exerzieren, Turnen usw. antreten; aber er kann aus eigenem Willen keinen Schritt unternehmen. Er hat nur die Befehle seiner Vorgesetzten auszuführen und seinen Platz in der Kaserne, auf dem Übungsplatz oder im Felde auszufüllen. Diesem System ist er unterworfen, sobald er ins Heer tritt. Es wird mit Recht eine kleine Welt genannt und gibt, weil seine Einrichtungen so vollkommen und systematisch sind, ein schwaches Bild von dem all-beherrschenden System, die Welt genannt, wo jedem menschlichen Bedürfnis Rechnung getragen ist, jede Fähigkeit sich entfalten kann.
Der Mensch verlangt nach Geselligkeit, und die Welt sorgt dafür durch alle möglichen gesellschaftlichen Einrichtungen; sie zu kennen erfordert schon ein Studium. Auf Stellung kommt es in erster Linie an; jeder müht sich darum, und keine Anstrengung wird gescheut, um eine möglichst hohe Sprosse auf der gesellschaftlichen Leiter zu erreichen. Geradezu zahllos sind die Klassen und Abstufungen der Gesellschaft je nach ihrem Wesen, ihrem Zweck und ihren Bestrebungen, und wie völlig werden Herz und Sinn von der gewaltigen Macht dieses gesellschaftlichen Systems eingenommen!
Der Mensch bedarf ferner einer politischen Regierung, die sein Leben, sein Eigentum und seine Rechte schützt. Diesem Verlangen kommt das Weltsystem durchaus nach.
Weiter, welch eine erstaunliche Tätigkeit sehen wir in der sogenannten Geschäftswelt! Für Männer von körperlicher Kraft ist überall Arbeit. Leute, die erfinderisch veranlagt sind, finden Spielraum für ihr Genie. Künstlerische Naturen schwelgen in ihrer Welt der Bildhauerei, Malerei, Musik, Dichtkunst. Die Gelehrten brüten über schweren Ausgaben, die Schriftsteller schreiben Bücher, andere wieder drucken und verbreiten sie. Selbst die Lüste und der Luxus, dem einige fröhnen, gewähren anderen die Mittel zu ihrem Dasein. Ja, sagen die Menschen, alles das ist nötig, um eine Welt zu bilden.
Der Mensch ist ein sehr verwickelt angelegtes Geschöpf. Die meisten bedürfen eine Reihe der verschiedenartigsten Dinge: ein wenig Arbeit, ein wenig Politik- ein wenig Gesellschaft, ein wenig Wissenschaft und auch etwas Religion. Der Mensch ist ja religiös veranlagt. Das Wort Religion, das wir so häufig gebrauchen, kommt nur fünfmal in der ganzen Bibel vor. Religion ist nicht etwa Gottseligkeit; denn Götzendiener sind auch religiös. Die Religion bildet geradeso gut einen Teil der Natur des Menschen wie sein Verstand oder sein Gedächtnis; ja, weil sie ein so wichtiger Bestandteil der Menschennatur ist, besitzt das Weltsystem eine besondere, in jeder Weise vollkommene Einrichtung für ihre Erfordernisse. Der eine ist milden Eindrücken besonders zugänglich, hat Sinn für das Schöne; für ihn gibt es herrliche Musik, eindruckerweckende Zeremonien und religiöse Gebräuche. Andere sind von Natur frei, geradeaus; ihnen wird Gelegenheit geboten, ihren Gefühlen ungehindert Luft zu machen. Wieder andere sind kühl, zurückhaltend, überlegend; für sie passt eine strenge Rechtgläubigkeit. Noch andere haben eine peinlich gewissenhafte, sich selbst geringschätzende Natur; ihnen verschafft es Befriedigung, sich in der einen oder anderen Weise zu kasteien. Auch dafür ist. gesorgt. Es gibt Glaubensbekenntnisse, Lehren und Sekten für jede Schattierung der religiösen Gemütsanlage, für jede Abstufung des fleischlich-religiösen Gefühls.
Könnte es ein vollkommeneres und bewunderungswürdigeres System geben? Nichts fehlt. Freude und Befriedigung ist genug da, um die große, wogende Masse der Menschheit völlig in Anspruch zu nehmen und sie je nach Bedürfnis zufrieden zu stellen; — Herzen, Gedanken, alles ist vollauf und beständig beschäftigt. Schlägt eine Sache fehl, so wird sofort für etwas anderes gesorgt. Sogar Tod und Trauer sind in die Berechnung mit eingezogen worden, denn das Weltsystem hat seine Begräbnisfeierlichkeiten, seine Trauerkleider, Trauerbesuche, Trauerbriefe usw. So ist die Welt imstande, sich nach verhältnismäßig kurzer Zeit über Kummer und Schmerz hinwegzusetzen und sich gerade so zu beschäftigen wie vorher.
Nun aber, Gott bringt einige wenige zu der Erkenntnis, dass alle die genannten Dinge: Handel, Politik, Erziehung, Wissenschaft, Erfindungen, gesellschaftliche Einrichtungen und Reformen, milde Stiftungen, Religion, kurz alles .dem Weltsystem angehört. Und dieses System wird von Tag zu Tag vollkommener. „Der Fortschritt der Zeit“ ist weiter nichts als die unaufhaltsam fortschreitende Entfaltung des weltlichen Elements. Wie steht der Christ nun zu dieser Welt? Genauso wie Christus. Der Platz, aus welchem der Herr sich droben befindet, und der Platz, den Er hier auf — Erden nicht einnimmt, bestimmt den unsrigen. Woher kommen alle jene Dinge? Wird es jemand überraschen, zu hören, dass Satan der Gott dieser Welt ist, der Fürst der Gewalt der Lust und der Leiter dieses gewaltigen Systems? Sein ist die Energie, er ist der alles leitende Geist, er ist der Fürst der Welt. Als Jesus Christus auf Erden war, kam der Teufel und bot Ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit an. „Denn“, sagte er, „mir ist sie übergeben, und wem irgend ich will, gebe ich sie; wenn du nun vor mir anbeten willst, so soll sie alle dein sein.“ Hier wird der Vorhang ein wenig gehoben, und wir sehen den wahren Gegenstand aller menschlichen religiösen Anbetung. Die Schrift beschreibt ihn als „das Bild der Vollendung, voll von Weisheit, vollkommen an Schönheit, der „die Gestalt eines Engels des Lichtes“ annimmt. Man braucht sich deshalb nicht zu wundern, wenn gedankenlose, ja, auch verständigere Leute getäuscht und verführt werden. Wie wenige haben geöffnete Augen, um durch das Wort Gottes und die Salbung des Heiligen Geistes zu erkennen, was die Welt wirklich ist! Manche meinen, dem Fallstrick der Weltlichkeit entronnen zu sein, wenn sie die sogenannten weltlichen Vergnügungen aufgegeben und sich einer Kirche oder irgend einer religiösen Verbindung angeschlossen haben, und erkennen nicht, dass sie dem Weltsystem genauso gut angehören wie früher. Der einzige Unterschied ist der, dass Satan, der Fürst des Systems, sie aus der einen Abteilung in eine andere versetzt hat, um ihre unruhigen Gewissen zu beschwichtigen, so dass sie mit sich selber mehr zufrieden sind.
Wenn das nun alles so ist, so entsteht von selbst die Frage: Wo liegt das Heilmittel? Wie können diejenigen, welche auf dem breiten Wege sind und dem Weltsystem gemäß leben, der Herrschaft desselben entrinnen? Wie können wir wissen, was von der Welt und was von Gott ist? Der Apostel sagt: „So viele durch den Geist Gottes geleitet werden, diese sind Söhne Gottes“. Die Lebensregel eines Christen ist, von Christo geleitet zu werden, wie der Körper eines Menschen von seinem Haupte geleitet wird. Ist der Körper gesund, so bewegt sich die Hand oder der Fuß nur dann, wenn das Haupt sagt: Bewege dich! In derselben Weise ist Jesus Christus das Haupt des Christen: er wird in allen Dingen, klein oder groß, von Ihm geleitet. Und deshalb zerstört das Christentum alle Weltförmigkeit von Grund aus; denn der freie Wille des Menschen ist der Grundsatz, auf welchem sich das Weltsystem aufbaut, geradeso wie der Grundsatz des christlichen Lebens Abhängigkeit von Gott und Gehorsam gegen Seinen Willen ist. Satans Hauptzweck ist, ein System für den Menschen aufzurichten, welches die Geistesleitung Gottes völlig ersetzt. Das ist gleichsam das letzte Meisterstück Satans und das besondere Merkmal des eilig nahenden großen Abfalls. Satan wird öffentlich und in eigener Person erklären, dass er der Gott dieser Welt sei — eine volle Offenbarung dessen was jetzt noch in einem Geheimnis verborgen ist.
Ist es darum nicht hohe Zeit, dass die Christen erwachen und zusehen, dass sie in keiner Weise mit einem System verbunden sind, welches so schnell dem Gericht entgegenreift? Aber, fragt man, wie können wir einer solchen Verbindung entgehen? Kommen wir doch durch unser Gewerbe, unseren Beruf oder als Glieder von Verwaltungen und. Gesellschaften notwendigerweise mit der Welt in Berührung! Wir müssen unseren Geschäften doch nachgehen! Ja, das ist eine Notwendigkeit, die jedermann einsieht; aber man beachte wohl: gerade die Tatsache, dass jedermann damit einverstanden ist, zeigt, dass der Einwand nicht von Gott ist.
„Und dies ist der Sieg, welcher die Welt überwunden hat: unser Glaube.“ Der Glaube zieht äußere Umstände nicht in Betracht, beschäftigt sich nicht damit, was möglich oder unmöglich ist. Der Glaube lässt das, was zu sein scheint, außer Acht und blickt auf Gott. Überall sagen einem die Leute, was man inmitten der Menschen notwendigerweise zu tun und zu lassen habe, denn sie urteilen und richten sich nach dem, was dem Menschen passt. Aber das Kind Gottes geht geradeaus und lässt sich von ihnen nicht irre machen; sein Maßstab ist das, was Gott passt. Die Menschen haben den Weg so deutlich wie möglich vorgezeichnet, und er scheint auch sehr vernünftig und richtig zu sein; aber wer im Glauben wandelt, kehrt sich nicht daran. Er weiß, dass alles, was allgemein. als richtig anerkannt ist, verkehrt sein muss; es ist der breite Weg.
Zum Beispiel: Jedermann sagt, dass der Christ, sich für die Regierung des Landes, dem er als Bürger angehört, interessieren und sich an den verschiedenen Wahlen beteiligen sollte, damit bewährte Männer ans Ruder kommen. Gott spricht aber anders. An verschiedenen Stellen und aus verschiedene Weise zeigt Er mir, dass ich als Sein Kind nicht wie andere Bürger irgend eines Landes oder Glied irgend einer Gesellschaft sein kann; mein Bürgertum ist in den Himmeln, und ich habe deshalb mit himmlischen Dingen zu tun. Das Kreuz Christi hat mich der Welt gekreuzigt und die Welt mir; widme ich nun meine Gedanken und mein Herz den irdischen Dingen, so werde ich ein Feind des Kreuzes Christi sein. „Seid nicht gleichförmig dieser Welt.“ Wie stehen wir denn zu der Obrigkeit? Wir haben uns ihr zu unterwerfen, da Gott sie verordnet hat. Fordert sie Steuern, so bezahlen wir sie; zugleich tun wir Fürbitte bei Gott für Könige und alle, die in Hoheit sind. Alles, was ein Christ deshalb mit der Politik zu tun hat, ist, dass er sich der verordneten Obrigkeit unterwirft, „nicht allein der Strafe wegen, sondern auch des Gewissens wegen“ (Röm. 13, 5). Es ist wahr, dass er in Christo der Erbe „aller Dinge“ ist, wozu auch die Welt, in welcher jetzt das Weltsystem seine Wirkungen ausübt, gehört; doch (wie Abraham in Kanaan) gibt Gott ihm nicht einmal einen Fuß breit als gegenwärtigen Besitz. „Der Gerechte wird aus Glauben leben“. Deshalb fragt sich das wahre Kind Gottes: Soll ich wählen? nicht weil es das Wählen an und für sich für verkehrt hält, sondern weil seine Stimme und sein Interesse jenem Menschen im Himmel gehören, den Gott als König der Könige und Herrn der Herren erhoben hat. Er hat überhaupt sein Interesse an diesen Dingen verloren, weil er etwas weit Anziehenderes gefunden hat. Er sieht außerdem, dass die Welt ihrem Geist und Wesen nach gottlos ist, dass die Reformen und Fortschritte, deren sie sich rühmt, alle darauf gerichtet sind, Gott von dem Herzen des Menschen auszuschließen. Ihm liegt daran, für die Wahrheit und für Gott und von dem kommenden Gericht zu zeugen, während die Menschen von „Frieden und Sicherheit“ reden und sich deshalb Glück wünschen. Er wünscht, dass andere lernen möchten, wie sie dem Fallstrick, mit dem Satan die große Masse der Menschheit umgarnt hat, entgehen können.
Wir, die wir gerettet sind, müssen entschieden sein, müssen zeigen, dass wir der Welt gegenüber auf der Seite eines verworfenen Christus stehen, der von ihr gekreuzigt wurde. Die Welt sollte uns kennen als ein himmlisches Geschlecht, tadellos und lauter, als unbescholtene Kinder Gottes, die inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts scheinen wie Lichter in der Welt. Das ist die große Aufgabe, die Sendung der Kinder Gottes. Aber es kostet etwas, so zu leben. Es heißt einem einzelnen. Felsen in einem reißenden Strome gleichen. Alles umher ist in Bewegung, alles drängt mit Gewalt nach einer Richtung hin. Da ist fortwährend Druck, Druck, Druck. Aber da steht er inmitten eines nie endenden Widerstandes, der ihn sicherlich mit sich fortreißen würde, wenn er nicht ein Fels wäre. Wenn wir lernen, die Worte Gottes in uns aufzunehmen, danach zu handeln und in unserem Leben Zeugnis davon abzulegen, so bleibt der Sturm nicht aus. Einer der bestehenden „Kirchen“ anzugehören, ist leicht genug; zu tun wie andere tun, ein ehrlicher Mensch und ein guter Bürger zu sein, das ruft keine Verfolgung wach; man kann das alles tun und sein und doch mit dem Strome schwimmen. Aber in der Welt als Lichter für Gott scheinen, das weckt die Feindschaft der Welt. Wo und inwieweit Christus gesehen wird, da wird Er gehasst; sieht man Ihn in mir, so werde ich um Seinetwillen gehasst. Wenn ich aber einen guten Namen vor der Welt habe, wenn niemand etwas wider mich als Christ zu sagen hat, was dann? Wird das Leben Jesu nicht in meinem sterblichen Leibe offenbar, so ist Christus nicht in mir wahrzunehmen.
Die Sache verhält sich demnach so: wenn eine Person wirklich einmal Gott erkannt hat, oder vielmehr von Ihm erkannt worden ist, so wird sie durch die Vereinigung mit Christo droben nach oben gezogen, hinweg von jeder Teilnahme an den Dingen des Weltsystems, so dass mit Recht gefragt werden kann: „Wie wendet ihr wiederum zu den schwachen und armseligen Elementen?“ Wie kann ein Mensch, der ein Sohn Gottes geworden ist, Leben, ewiges Leben, in Christo besitzt und eins ist mit dem ihm vermittelst des Wortes durch den Geist geoffenbarten Haupte, ja, wie kann ein Mensch, der dahin gelangt ist, Gott zu erkennen, noch Interesse nehmen an der Welt? Wenn wir einen Knaben saure, schlechte Früchte in einem Obstgarten essen sähen, während an einem Baume in allernächster Nähe die schönsten Äpfel hingen, so würden wir urteilen, dass er von den Äpfeln nichts wüsste. So ähnlich ist es mit einem Menschen, der sich angelegentlich mit den Dingen beschäftigt, die zu dem Menschensystem gehören; kann er, so fragen wir, kann er Gott kennen? Das ist auch der Grund, weshalb die Worte Gottes nicht als bestimmte Befehle an uns herantreten, wie z. B.: Du sollt nicht wählen, du sollst nicht Ehre in diesem bösen Zeitalter suchen, du sollst Schmach leiden usw., sondern vielmehr so abgefasst sind, dass ein treuer Jünger, dessen selbstsüchtiges Herz zerbrochen ist, und dem daran liegt, die Gedanken seines Herrn zu kennen, das Geheimnis lernen kann, dadurch dass er sich nahe beim Herrn hält, um so, „aus dieser gegenwärtigen bösen Welt herausgenommen,“ immer mehr in Sein Bild verwandelt zu werden. Es heißt heute nicht wie bei den alten Geboten im levitischen Gesetz: du sollst, und: du sollst nicht; und doch sind die Gebote des Herrn klar und leicht zu verstehen, wenn nur das Auge einfältig ist. Es ist eine wunderbare, aber von Gott so vorgesehene Sache, dass ein liebeerfülltes Herz keine Schwierigkeit darin findet, den Willen Gottes zu entdecken, während ein Herz, das nicht aufrichtig ist, immer nur Entschuldigungen sucht und Mittel findet, um einem unangenehmen Pfade zu entgehen. Eine gute bildliche Erläuterung liefert uns die Familie. Da ist ein liebevoller, pflichtgetreuer Sohn; er lernt bald die Wege und den Willen seines Vaters kennen, und alles ist leicht und natürlich für ihn, während ein anderer Sohn, obwohl er auf denselben Weg gestellt ist, in allem nur Vorteile für sich zu finden sucht. Er kennt oder könnte wenigstens gerade so gut den Willen des Vaters kennen wie sein Bruder; da ihm aber nur daran liegt, seinem eigenen Vergnügen nachzugehen, so macht er lauter Ausflüchte: Ich habe das nicht gewusst; du hast mir, nie verboten, dies oder das zu tun, nach diesem oder jenem Orte zu gehen usw.
Zum Schluss nur noch dies: dass wir bis zu einem gewissen Grade mit dem Weltsystem in Berührung kommen müssen, ist klar; aber diese Berührung sollte nie auf Gemeinschaft hinauslaufen. Welche Übereinstimmung kann es zwischen Christo und Belial geben? „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnehmest, sondern dass du sie bewahrest vor dem Bösen.“ Jesus, welcher nicht von dieser Welt war, litt und war beengt. Das Gefühl der Einsamkeit und die Trübsal waren wirklich für Ihn, und sie werden es in demselben Maße für uns sein, wie wir in Seine Fußstapfen treten. Suchen nicht zu viele von uns Bequemlichkeit und Befriedigung und fühlen sich heimisch hienieden, was unter diesem gottlosen Weltsystem gänzlich ausgeschlossen sein sollte? Sich heimisch hier fühlen, wo Christus nicht ist?! Nein, wir sind heimatlose Wanderer und müde Pilger, ja, Fremdlinge, wenn wir wirklich des Herrn sind. Berührung mit der Welt ist nicht zu umgehen, solang wir in ihr sind. Aber kommt es nicht oft und in manchen Punkten zu einer Berührung, wo keine stattfinden sollte und keine da sein würde, wenn wir das Sterben des Herrn Jesus an unserem Leibe umhertrügen? Zahlreich sind die Täuschungen, durch welche der Feind die Herzen berückt, auch die von Gottes Kindern. Religiöse Versammlungen, Dienst in der einen oder anderen Form, christliche Gemeinschaftspflege usw., alles Dinge, an welchen das Fleisch teilnehmen kann, treten an die Stelle eines Lebens durch den Glauben an den Sohn Gottes. Alle, die vor alters gottselig wandelten, von denen wir gehört haben, dass sie Gott gefielen, waren verachtet; sie waren der Auswurf aller bis jetzt. Ihr Bürgertum war in den Himmeln. Im Gegensatz zu ihnen sind wir angesehene Leute. Ach! wir leben zu sehr nach dem Weltsystem, aus lauter Sorge, nicht mit ihm in Streit zu geraten, und die Folge ist, dass wir als Untertanen Christi untreu sind; wir entgehen so dem Kreuz und seiner Schmach. Das Wort bleibt unveränderlich wahr: „Alle aber auch, die gottselig leben wollen in Christo Jesu, werden verfolgt werden. Es gibt einen schmalen Weg! Mögen wir zu den „Wenigen“ gehören, die ihn finden! Wir haben unseren Reisepass bei uns. Wir sind versiegelt mit dem Heiligen Geist und warten nur auf den Zuruf von oben, um entrückt zu werden in die Luft, dem Herrn entgegen, um dann allezeit bei Ihm zu sein. Welch eine gesegnete Hoffnung!
„Der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, spreche: Komm!“
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Der Erstgeborene aller Schöpfung *)
Bibelstelle: Kolosser 1,15
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 294ff
. . . Der Weg menschlicher Spekulation in göttlichen Dingen ist der Weg schlimmer und verhängnisvoller Irrung, und es ist ein großer Schmerz, so manchen Führer in den Kreisen der Gläubigen heute in Wort und Schrift Ansichten vertreten zu sehen, die man als Ergebnisse eines folgerichtigen Denkens bezeichnen mag, die aber dem einfachen Wortlaut der Schrift zuwiderlaufen.
Vor allem wenn es sich um die Person des Sohnes Gottes handelt, wie Er hienieden geoffenbart war, hört alles menschlich-logische Denken, Abstrahieren und Schlüsse ziehen auf. „Niemand erkennt den Sohn, als nur der Vater.“ Die Verbindung von Gottheit und Menschheit in Ihm ist und bleibt in alle Ewigkeit für uns ein Geheimnis. Hier betreten wir das Gebiet des Glaubens; und jeder Ausdruck, der sich im Blick auf die Person des Sohnes nicht in der Schrift findet, ist von vornherein mindestens bedenklich.
Sie nennen Christum den Kulminationspunkt alles Geschaffenen. Damit leugnen Sie Seine Gottheit. Denn wenn Er zu dem Geschaffenen gehört, sei es auch als Kulminationspunkt, ist Er nicht Gott, nicht der Schöpfer. Gottes Wort aber sagt: „Das Wort (durch welches alles geschaffen wurde) ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir haben Seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater. Er, Jesus Christus, wie Er hienieden war und jetzt droben weilt, ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben (1. Joh. 5,20). Er ist „Gott, geoffenbart im Fleische (1. Tim. 3, 16). Er ist „Gott über alles, gepriesen in Ewigkeit“ (Röm. 9, 5). Das Kindlein in der Krippe war „Christus, der Herr (Jehova)“. Simeon segnete die Eltern, aber nicht das Kindlein, trotzdem er es in seinen Armen hielt (Luk. 2).
Ferner: Wenn Christus in irgend einer Weise zu dem Geschaffenen gehört, so gibt es eine Möglichkeit für den Menschen, Ihn zu erreichen, dem „Kulminationspunkt“ nach und nach näher zu kommen. Es ist also im Grunde das, was die modernen Theologen wollen. Christus ist das Ideal, dem man nachstrebt, dem man, wenn man es auch nicht völlig erreichen kann, immer ähnlicher zu werden hofft. Er ist, wie Sie es im Blick auf die nicht gefallene Schöpfung ausdrücken, der Zentralpunkt, „auf welchen hin alles gravitiert. O geliebter Bruder, wohin kommt man, wenn man Gedanken und Vernunftschlüsse nicht gefangen nimmt unter den Gehorsam des Christus!
Was lehrt die Schrift? Christus nahm als Mensch eine ganz eigenartige Stellung ein. Er kam in die Schöpfung, wurde ein wahrhaftiger Mensch, aber nicht ein Geschöpf. „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt, sagte Gott von Ihm, dem in diese Zeit Eingetretenen. Er ging durch den Mutterleib der Maria, nicht nur ohne die Befleckung der menschlichen Natur anzunehmen, sondern auch in einer so eigenartigen, uns ganz unbegreiflichen Weise, dass von Ihm gesagt werden konnte: „Das Heilige, das geboren werden wird, wird Sohn Gottes genannt werden. Er stand als Mensch ganz allein, in keinerlei Verbindung mit der Menschheit als solcher. Die einzige Möglichkeit einer Verbindung lag in Seinem Tode. (Vergl. Joh. 12, 24.) Es gab keine Verbindung zwischen dem Heiligen und den Unheiligen, selbstverständlich auch nicht in dem Sinne, dass Er das Haupt der Menschheit geworden wäre. Adam war das Haupt dieser Schöpfung, Christus ist das Haupt der n e u en Schöpfung. *) Christus ist Mensch geworden, nicht um sich mit der alten Schöpfung, sondern um Seine Erlösten mit sich in der neuen Schöpfung — zu verbinden. Der einzige Weg dahin war, wie gesagt, Sein Tod. Der, welcher heiligt, und die, welche geheiligt werden, sind alle von einem. Deshalb schämt Er sich nicht, sie Brüder zu nennen. (Hebr. 2.) Wann geschah das? Nach Seiner Auferstehung, mit welcher die neue Schöpfung begann. Ist das Gesagte nicht wahr, so sind wir verloren. Die Erlösung ist keine Erlösung. Wir sind noch in unseren Sünden. Nur ein heiliges Opfer konnte Gott befriedigen, nur das Blut Seines Sohnes uns von aller Sünde reinigen.
Auch zwischen dem ersten Adam vor seinem Fall und dem zweiten Menschen gibt es keine Gleichartigkeit. Adam war von Gott geschaffen, Christus ist von Gott gezeugt. Adam war ein unschuldiges Geschöpf, Christus ist der Heilige Gottes, Gottes Sohn. Adam war fähig zu sündigen, und als die Versuchung zur Sünde an ihn herantrat, hat er gesündigt. Christus war unfähig zu sündigen, und als Versuchung auf Versuchung auf Ihn eindrang, erwies Er sich stets als der Heilige, in welchem es keinerlei Anknüpfungspunkte für die Sünde gab.
Der Ausdruck „Erstgeborener aller Schöpfung“ ist ein Titel. So heißt Christus auch der „Erstgeborene der Toten“ (Offbg. 1, 5). Von David wird gesagt: „Ich will ihn zum Erstgeborenen machen, zum, Höchsten der Könige der Erde“ (Ps. 89, 27). Wir lesen ferner im Alten Testament von dem „Erstgeborenen des Todes“, dem „Erstgeborenen der Armen“ (Jes. 14, 30) usw. — lauter Stellen, die zeigen, dass es sich bei diesem Ausdruck um eine Stellung, einen Platz des Vorrangs handelt. Wenn Christus in die Schöpfung eintrat, so konnte es nur sein als Der, welchem aller Vorrang gebührte, denn Er ist der Schöpfer: „Alle Dinge sind durch Ihn und für Ihn geschaffen“. Wollte man den Ausdruck „Erstgeborener“ buchstäblich erklären, so würde nur der Sinn möglich sein: Geboren vor allem Geschaffenen, also geboren vor Adam, was sich aber von selbst verbietet; denn Er ist als Mensch nicht vor Adam geboren.
Im Anschluss an die bösen Behauptungen von . . . sagen Sie, „Sie könnten sich mit dem Gedanken einverstanden erklären, dass Gott dem Menschen die Ziele nicht erst in Christo, dem Erlöser, sondern bereits in Christo, dem Kulminationspunkt der Schöpfung, gesteckt habe“. Aber, lieber Bruder, wo finden Sie etwas dergleichen in der Schrift? Es. ist nichts als menschliche Philosophie, ebenso wie die Ausführungen, die Sie an das Bestehen eines göttlichen Vorsatzes knüpfen.
Gewiss gibt es einen ewigen göttlichen Vorsatz im Blick auf den Menschen, aber doch nur in Verbindung mit Christo, dem Gestorbenen und Auserweckten. Weshalb Gott den ersten Menschen schuf, sagt Er uns deutlich in 1. Mose 1, 26. Die Ziele Gottes mit dem ersten Menschen waren erreicht, als Er Adam und Eva vor sich sah, in Frieden sich erfreuend an allem, was Er ihnen gegeben, und worüber Er sie als Haupt gesetzt hatte. Gott ruhte in Seiner ersten Schöpfung. Es war alles sehr gut. Glauben Sie, Gott könne je etwas Unvollkommenes schaffen, etwas, das erst allmählich zu seinen Zielen gelangen müsste? Ich denke, Sie sind mit mir eins, dass das völlig ausgeschlossen ist. Erst nachdem der Mensch durch die Sünde seinen Platz eingebüßt und Tod und Gericht über sich gebracht hatte, trat der ewige Vorsatz Gottes hervor: der Same des Weibes wurde angekündigt, zugleich aber auch gesagt, dass nur durch den Tod Christi der Schlange der Kopf zertreten werden könne.
Wirklich, teurer Bruder, alles was Sie in Verbindung mit dem „Vorsatz Gottes“ sagen, gehört in das Gebiet der Spekulation. Sie nennen es „Theologie“ oder „Gedanken, die sich jedem eigentlichen Theologen notwendig aufdrängen müssen“. Aber wenn es Theologie ist, so ist es eine einseitige, falsche Theologie. Dass sich solche Fragen, Gedanken und Folgerungen dem menschlichen Geist aufdrängen wollen, weiß ich aus Erfahrung; aber da heißt es, sich einfältig dem Worte unter-werfen und nicht Dinge erforschen und ergründen wollen, die Gott uns nicht geoffenbart hat, die Er dem menschlichen Geiste gar nicht offenbaren kann und will. Ein wirklicher Theologe ist Gott und Seinem Worte einfältig unterworfen und weiß, dass alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis in dem Geheimnis Gottes verborgen sind, welches Er allein erschließen kann, und das Er nicht den Weisen und Verständigen erschließt, sondern dem, der da zittert vor Seinem Worte. Ein solcher hält sich, vor allem wenn es sich um die Person des Hochgelobten und Sein Werk handelt, genau an dem Buchstaben der Schrift, weil er weiß, dass Gott allein imstande ist, dieses Geheimnis in Worte zu fassen, und dass er, sobald er einen Ausdruck gebraucht, der sich nicht mit der Schrift deckt, in Gefahr kommt, die Spur zu verlieren, wenn er sie nicht bereits verloren hat.
Indem ich die Schlussworte aus meinem ersten Briefe noch einmal wiederhole: „Gott helfe uns, das Geheimnis der Person Seines Sohnes mit heiliger Scheu und tiefer Ehrfurcht zu bewahren, so zu bewahren, wie Er es uns anvertraut hat“, verbleibe ich……
Fußnote:
*) Aus einem Briefe.
**) das Haupt. Seines Leibes, der Versammlung, welcher Er als Haupt über alles gegeben ist. Haupt über alles wurde Er auch erst n ach Seiner Auferstehung. (Eph. 1, 20 -- 23.)
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Ein treuer Knecht I
Bibelstelle: 2. Mose 32 - 34
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 299ff
Das 32. Kapitel des 2. Buches Mose berichtet von einer betrübenden Unterbrechung der wunderbaren Offenbarungen Gottes an Seinen Knecht Mose. War Gott bisher tätig gewesen, hier tritt das Volk in Tätigkeit, indem es zu seiner Beschämung und zu seinem Verderben die Grundlagen der göttlichen Wahrheit und Ehre, ja, den Thron Gottes selbst antastet. Das arme Volk! Obwohl der Gegenstand zahlloser Gnadenerweisungen seitens seines Gottes, macht es mit Hilfe Aarons, des Hohenpriesters, ein goldenes Kalb und ruft tanzend und jubelnd: „Das ist dein Gott, Israel, der dich aus dem Lande Ägypten heraufgeführt hat“. Gott will das hartnäckige. Volk daraufhin vernichten und Mose zu einer großen Nation machen (Kap. 32, 9. 10). Er lässt die Untreue Israels zu einem Prüfstein für das Herz Seines Knechtes werden.
Gott hatte ja selbst Sein Volk lieb und erfreute sich an der Liebe Moses zu ihm, aber wenn Er das Volk durch das Gesetz auf die Probe stellte, so brachte Er Mose gleichsam unter die Erprobung der Gnade. Und Mose bestand die Probe! Indem er Gott an Seine Ehre, die durch ein Umkommen des Volkes auf dem Wege nach Kanaan in Frage gestellt worden wäre, und an die Verheißungen erinnerte, die Er. einst Abraham, Isaak und Israel (beachten wir: nicht Jakob) gegeben hatte, betrat er einen Boden, auf welchem Gott unmöglich seine Bitten abweisen konnte. Als er dann aber vom Berge herabkam, mit den beiden Gesetzestafeln, dem Werke Gottes, in seiner Hand, da lesen wir: „Und als er dem Lager nahte und das Kalb und die Reigentänze sah, da entbrannte sein Zorn, und er warf die Tafeln aus seinen Händen und zerbrach sie unten am Berge“ (V. 19). Und nachdem er das Kalb zu Staub zermalmt und seinem Bruder Aaron seine große Sünde vorgestellt hatte, wodurch Israel zum Gespött unter seinen Widersachern geworden war, „stellte er sich auf im Tore des Lagers und sprach: Her zu mir, wer für Jehova ist!“ Mit anderen Worten: unter Verzichtleistung auf jeden eigenen Gewinn, der ihm auf Kosten des Volkes hätte zufallen können, vertritt er mit unerschütterlicher Treue die heiligen Ansprüche Gottes und gibt den Leviten die Waffen in die Hand wider ihre Brüder. „Und die Leviten taten nach dem Worte Moses, und es fielen von dem Volke an selbigem Tage bei dreitausend Mann.“
War das aber Liebe? höre ich fragen. Es gibt kaum etwas, Betreffs dessen der Mensch geneigter wäre, Fehler zu machen, als betreffs der Natur und des Tuns wahrer Liebe. Mose liebte Israel mit einer Liebe, die stärker war als der Tod, und gerade deshalb zeigte er schonungslos seinen Abscheu gegen den Aussatz, der unter dem Volke ausgebrochen war. Er fühlte, dass das Übel um jeden Preis ausgerottet und aus der Mitte Israels verbannt werden musste. Und dann? Dann kehrte derselbe Mose zu Jehova zurück mit dem Bekenntnis: „Ach! dieses Volk hat eine große Sünde begangen, und sie haben sich einen Gott von Gold gemacht. Und nun, wenn du ihre Sünde vergeben wolltest! . . . wenn aber nicht, so lösche mich doch aus deinem Buche, das du geschrieben hast.“
Welch ein liebliches und zugleich ergreifendes Vorbild ist Mose hier von Christo! Christi Geist und Christi Liebe wirkten in ihm, dieselbe Liebe, von welcher Paulus in späteren Tagen bezeugt: „Denn die Liebe des Christus drängt uns“. Wie ist Gottes Herz dadurch erquickt worden, wenngleich Er Seinem Knechte antworten muss: „Wer gegen mich gesündigt hat, den werde ich aus meinem Buche auslöschen. Und nun gehe hin, führe das Volk, wohin ich dir gesagt habe.“ Mose wusste nicht, was er von Gott erbat, aber die Liebe ließ ihn sich selbst und alles andere vergessen. Was hätte es nützen können, wenn Gott ihn aus Seinem Buche ausgelöscht hätte? Nichts. Was kann es nützen, wenn eine Mutter sich dem Löwen entgegenwirft, der ihr Kind zerreißen will? Ein Größerer und Stärkerer als Moses war nötig, um eine solche Aufgabe zu erfüllen. Gott sei gepriesen, dass Er gekommen ist und das große Werk vollbracht hat!
Trotz der erfahrenen scheinbaren Abweisung beharrte Mose bei seiner Bitte. Er machte es wie die Witwe in Lukas 18. Vierzig Tage und vierzig Nächte lang warf er sich nieder vor Jehova und flehte für sein geliebtes, schuldiges Volk (Vergl. 5. Mose 9, 25 — 29). Gott stellte seinen Glauben bis aufs Äußerste auf die Probe, indem Er selbst die Sprache des Volkes annahm. Sie hatten Ihn verleugnet und ihre Befreiung Mose allein zugeschrieben, und nun nimmt Gott ihre Worte auf und sagt: „Geh, ziehe hinauf von hinnen, du und das Volk, das d u aus dem Lande Ägypten heraufgeführt hast . . . , in ein Land, das von Milch und Honig fließt; denn ich werde nicht in deiner Mitte hinaufziehen, denn du bist ein hartnäckiges Volk, dass ich dich nicht vernichte auf dem Wege (Kap. 33, 1 — 3).
Dieses „böse Wort“ hatte zweierlei Ergebnisse: 1. das Volk trauerte und riss sich seinen Schmuck ab, und 2. „Mose nahm das Zelt und schlug es sich aus außerhalb des Lagers, fern vom Lager, und nannte es Zelt der Zusammenkunft“. Konnte Gott nicht mehr in der Mitte Seines Volkes weilen, so war der Platz Seines Knechtes auch außerhalb des Lagers. „Wo ich bin, da wird auch mein Diener sein, sprach der Herr Jesus viele Jahrhunderte später. Zwei Dinge auch waren die Folge dieser Handlung: eine Nähe und Vertraulichkeit des Verkehrs zwischen Jehova und Mose, wie sie bisher nicht bestanden hatten, und — was mehr ist als das — eine Segnung des Volkes, reicher und voller als je zuvor.
Von diesem Augenblick an betritt Mose einen ganz neuen Boden für seine Fürbitte: gerade die Widerspenstigkeit und Schuldbarkeit des Volkes dienen ihm nunmehr als Grund, weshalb Gott in dessen Mitte hinausziehen soll, also genau das, was die göttliche Gerechtigkeit zum Anlass der Weigerung machte, mit Israel zu gehen. Aus der Tatsache, dass das Volk so hartnäckig und schuldig ist, zieht Mose den Schluss, dass Jehovas Gegenwart für Israel unerlässlich sei (Vergl. Kap. 34, 9). Erstaunlich ist die Kühnheit seines Glaubens, bewunderungswürdig sein Ausharren und sein Vertrauen auf die göttliche Gnade. In dem Zelt der Zusammenkunft, fern vom Lager, lernte er Gott und Seine Gnade in einer Weise kennen, wie er es nie vorher geahnt hätte. So ist es immer. Je näher wir Gott, dem Heiligen, kommen, und je mehr wir diese Seine Heiligkeit in treuer Absonderung verwirklichen, desto tiefere Blicke werden wir in die Höhen und Tiefen Seiner Gnade tun, desto herrlicher wird Seine Liebe sich vor uns entfalten, und desto inniger und vertraulicher wird unser Verkehr mit Ihm werden.
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Die Bibel
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 304ff
Ich habe einen tiefen, ungeheuchelten, ich glaube sagen zu dürfen, von Gott gegebenen Glauben an die Bibel. Durch die Gnade bin ich durch sie überführt, erleuchtet, zum Leben erweckt und errettet worden. Ich habe durch sie die Kenntnis von Gott empfangen, um Seine Vollkommenheiten anbetend zu bewundern, und die Kenntnis von Jesu, dem Heilande, der Freude, der Kraft und dem Troste meiner Seele. Es gibt viele, die es gewissermaßen anderen Menschen zu verdanken haben, dass sie zu Gott gebracht worden sind, seien es Prediger jenes Evangeliums, das die Bibel enthält, oder Freunde, die an dem Wort ihre Wonne haben. So war es nicht bei mir. Jenes Werk, das natürlich immer Gottes Werk ist, wurde in mir durch das geschriebene Wort gewirkt. Wer einmal den Wert Jesu kennen gelernt hat, der weiß auch, was ihm die Bibel wert ist. Muss ich mich selbst leider auch manches Versäumnisses anklagen in einem wechselvollen Leben voll mannigfacher Mühe und Arbeit, die Bibel hat mir gegenüber nie etwas versäumt. Und wenn sie im Blick auf die armseligen und dürftigen Umstände der Zeit nie versagt hat, so wird sie, des bin ich gewiss, auch im Blick auf die Ewigkeit es nie tun. „Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit“. Wenn dieses Wort sich bis zu meinem niedrigen Zustande herablässt, so reicht es andererseits hinauf bis zu Gottes erhabener Höhe, denn es ist von dort; geradeso wie die Liebe, dadurch dass sie sich zu mir herabneigt und sich jeder Einzelheit meiner Schwachheiten und Verfehlungen anpasst, sich als göttlich erweist. Denn niemand außer Gott könnte so handeln, und deswegen führt diese Liebe hinaus zu Ihm. So wie Jesus von Gott kam und zu Gott ging, so auch dieses Buch, das in göttlicher Weise Ihn offenbart, als den von Gott Gekommenen und zu Ihm Erhobenen. Wird es wirklich aufgenommen, so bringt es die Seele zu Gott, denn Er hat sich in dem Worte geoffenbart. Die Beweise für seine Wahrheit liegen alle in ihm selbst. Die Sonne bedarf keines Lichtes, um dadurch sichtbar zu werden.
Ich bezeuge aus das klarste und entschiedenste meine tiefe, göttlich-gelehrte Überzeugung von der Inspiration der Schriften. Obwohl ich selbstverständlich zugebe, dass in der Überlieferung des Textes oder in der Übersetzung sich Fehler finden können, so lese ich die Bibel doch, so oft ich sie lese, als ein Buch von unbedingter Autorität für meine Seele, als Gottes Wort. Es gibt kein größeres Vorrecht als dieses: Mitteilungen unmittelbar von Gott selbst zu empfangen.
Meine Freude, mein Trost, meine Speise, meine Kraft aus meinem ganzen bisherigen Pilgerpfade waren die bedingungslos als das Wort Gottes aufgenommenen Schriften. Im Anfang meines Weges musste ich allerdings bezüglich dieses Punktes durch tiefe Seelenübungen gehen. Aber seitdem bin. ich durch die Gnade dahin. gekommen, an dem Worte festzuhalten als einem unzerreißbaren Bindeglied zwischen meiner Seele und Gott, sollten auch dabei Himmel und Erde, die sichtbare Kirche und der Mensch selbst in nichts zerfallen. Es genügt mir, dass Gott es mir als solches gegeben hat. Ich zweifle nicht daran, dass es der Gnade des Heiligen Geistes bedarf, um das Wort für uns nutzbringend zu machen und ihm wirkliche Autorität für unsere Seelen zu geben betreffs dessen, was wir sind; aber das ändert nichts an dem, was es in sich selbst ist. Um wahr zu sein, wenn es angenommen wird, muss es auch vorher wahr gewesen sein.
Und hier möchte ich hinzufügen, dass, wenn es auch der Gnade Gottes und des Werkes des Heiligen Geistes bedarf, um dem Worte jene lebendig machende Kraft zu geben, dennoch die göttliche Wahrheit, Gottes Wort, einen Einfluss auf das natürliche Gewissen hat, dem dieses sich nicht entziehen kann. Das Licht macht den Übeltäter offenbar, wenn dieser es auch hasst. Und so tritt das Wort Gottes an den Menschen heran, er mag ihm noch so feindlich gesinnt sein — tritt einerseits, und dafür sei Gott gepriesen! an ihn heran in Gnade, andererseits in Wahrheit. Und gerade dieser Umstand beweist die Bosheit des Willens des Menschen in der Verwerfung des Wortes. So besitzt das Wort Macht über das Gewissen, selbst wenn der Wille noch nicht verändert ist. Diese Tatsache mag die Abneigung des Menschen gegen das Wort noch vergrößern; aber die Abneigung ist vorhanden, weil das Gewissen fühlt, dass es die Wahrheit nicht leugnen kann. Die Menschen leisten dem Worte Widerstand, eben weil es wahr ist. Träfe es ihr Gewissen nicht, so brauchten sie sich nicht so viel Mühe zu geben, um sich seinem Einfluss zu entziehen und es zu widerlegen. Man wappnet sich nicht gegen Strohhalme, wohl aber gegen ein Schwert, dessen scharfe Schneide man fühlt und fürchtet.
Ich wiederhole: die Bibel redet von Gnade sowohl als auch von Wahrheit. Sie redet von der Gnade . und Liebe Gottes, der Seinen eingeborenen Sohn dahingab, auf dass Sünder, wie du und ich, bei Ihm sein und Ihn tief, wahr und nahe, ganz nahe kennen lernen und in alle Ewigkeit, ja jetzt schon, Ihn genießen möchten; auf dass das Gewissen, vollkommen gereinigt, mit Freuden in Seiner Gegenwart weilen möchte, ohne irgend eine Wolke, ohne Vorwürfe und Befürchtungen. Und in solcher Weise dort zu sein, in Gottes Liebe ruhend, das ist „völlige Freude“. Die Bibel sagt dem Menschen die Wahrheit über sich selbst, aber sie sagt ihm auch die Wahrheit von einem Gott der Liebe und enthüllt zugleich die Weisheit Seiner Ratschlüsse. Das allerbeste Mittel aber, um von der Wahrheit und Autorität der Bibel überzeugt zu werden, ist, das Wort selbst zu lesen.
J.N.D.
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Gedanken
Bibelstelle:
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 307ff
Wie tröstlich ist es, dass der mächtige Arm, der eine irdische Stütze bricht, stark genug ist, jeden Verlust zu ersetzen, und dass Gott Liebe genug hat, um alles zum Besten mitwirken zu lassen. Ohne Zweifel werden wir alle schon die Erfahrung gemacht haben, dass gerade in Augenblicken der Trauer die Liebe unseres Gottes und Vaters am tätigsten ist, die Niedrigen zu trösten und die Gebeugten auszurichten. Wir werden im Rück- blick auf unsere Erlebnisse stets bekennen müssen, dass da, wo des Leidens viel, auch des Trostes viel war. Darum dürfen wir allezeit getrost sein. Ein Vaterauge sieht auf uns herab, und ein barmherziger Hoherpriester, der in allem versucht worden ist gleichwie wir, hat Mitleid mit unseren Schwachheiten. Wenn wir betrübten Herzens auf die Umstände schauen, so glauben wir der Lüge, d. h. wir glauben, dass die Not größer sei als der Helfer. Blicken wir aber mit Vertrauen auf unseren Gott, ohne dessen Willen nicht ein Haar von unserem Haupte fällt, dann weist uns der Glaube auf das hin, was unser ewiges Teil ist; wir sind getrost und fühlen, dass wir in den traurigsten Umständen „mehr als Überwinder“ sein können. Gottes Arm ist nie verkürzt, Seine Liebe ist vollkommen und Seine Treue ohne Wanken.
O wie glücklich sind wir, wenn wir in allen Seinen Führungen die Liebe als den alleinigen Beweggrund erkennen! Wie ein Schatten fliehen dann die Tage dahin; näher und näher rückt der herrliche Augenblick, wo alles Weh ein Ende hat und einer unvergänglichen Freude Raum macht. Möchten wir daher mit Ausharren den vor uns liegenden Wettlauf laufen!
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Des Herrn Wunsch ist, unsere Herzen mehr und mehr für Seine Segnungen zuzubereiten. Darum richtet und bricht Er auch alles in uns, was Seinem Einfluss entgegensteht. Und wenn wir in Seiner Gemeinschaft sind, so fühlen wir Seine Liebe, selbst (ja, vielleicht ganz besonders) in solchen Stunden, wo Er uns in Sein Licht stellt, um in unseren Herzen das zu zerstören, was in uns fleischlich ist und die Freude der Gemeinschaft mit Ihm beeinträchtigen will. Ist unser Auge einfältig, so nehmen wir hierin wie überall die Spuren Seiner unveränderlichen Liebe wahr. Ist es doch die Lust Seines Herzens, uns immer reichlicher zu segnen und Seine Freude in uns völlig zu machen. Mangelt dieser Segen, so stehen wir uns selbst im Wege. Wie schade aber ist es, wenn unsere Herzen nicht empfänglich sind, um mit Begierde dessen teilhaftig zu werden, was Er uns so gern schenken will!
Hüten wir uns davor, dass wir unsere Gebete in nachlässiger, geschäftsmäßiger Weise verrichten, ähnlich wie ein Mietling seine Arbeit tut, um sie eben getan zu haben. ,,Betend im Heiligen Geiste!« sagt Judas. Wenn wir beten, sollte es stets in ausrichtigem Ernst und einfältigem Glauben geschehen, als Menschen, die da meinen, was sie sagen, und wünschen, um was sie bitten, und zugleich erwarten, dass sie es bekommen werden.
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Unsere Kinder
Bibelstelle: 1.Mose 21,17-19
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 309ff
„Und der Engel Gottes rief der Hagar vom Himmel zu und sprach zu ihr: Was ist dir, Hagar? Fürchte dich nicht! Denn Gott hat auf die Stimme des Knaben gehört, da wo er ist. Stehe auf, nimm den Knaben und fasse ihn mit deiner Hand, denn ich will ihn zu einer großen Nation machen. Und Gort öffnete ihre Augen und sie sah einen Wasserbrunnen; und sie ging hin und füllte den Schlauch mit Wasser und tränkte den Knaben" (1. Mose 21,17 - 19).
Der Teil der Geschichte Hagars, dem die obigen Verse entnommen sind, ist ergreifend. Abraham hatte sie, das Weib nach dem Fleische, deren Sohn nicht mit Isaak, dem Sohne der Verheißung, erben sollte, aus seinem Hause entlassen. Einsam irrte sie mit ihrem Knaben in der dürren Wüste von Beerseba umher, und als endlich der Wasserschlauch, den Abraham bei der Entlassung ihr mitgegeben hatte, leer geworden war, warf sie in bitterer Verzweiflung ihr verdurstendes Kind unter einen Strauch und setzte sich selbst weinend einen Bogenschuss weit von ihm entfernt nieder, um das Sterben des Kindes nicht ansehen zu müssen.
Hagars Kummer erweckt unwillkürlich unser Mitgefühl. Ihr Schmerz angesichts des sicheren Untergangs ihres einzigen Kindes rührt uns. Auch Gottes Herz wurde durch Hagars Weinen bewegt. War nicht Ismael trotz allem Abrahams Sohn? Und siehe da, ein Engel, ein dienstbarer Geist, ging von dem Thron Gottes aus, um der verzweifelnden Mutter Trost zuzusprechen und ihr einen „Wasserbrunnen" zu zeigen, aus dem sie schöpfen und so ihr sterbendes Kind am Leben erhalten konnte.
Beim Sinnen über diesen Abschnitt werden unsere Augen unwillkürlich auf unsere Kinder gelenkt. Manche von ihnen sind schon herangewachsen. Solange sie im elterlichen Hause weilen, vielleicht noch die Schule besuchen, gehen sie ja, selbst wenn sie noch nicht errettet sind, den Weg der Eltern. Vielleicht tun sie es weniger aus Bedürfnis, als aus Gehorsam. Sind sie aber einmal der Schule entwachsen, haben sie gar das elterliche Haus verlassen und müssen sich nun mehr oder weniger unter Weltkindern bewegen, so macht sich der verderbliche Einfluss der Welt oft in erschreckender Weise bemerkbar. Zuweilen werden sie mit unheimlicher Schnelligkeit umgarnt und in Sünde und Verderben hineingezogen. Mit Schmerz und tiefer Wehmut sehen die Eltern, wie sie sich jedem christlichen Einfluss entziehen, für alles Göttliche abstumpfen und ihr Ohr und Herz vor allen Ermahnungen verschließen. Und dürfen gläubige Eltern auch hinsichtlich aller ihrer Kinder der Gnade Gottes vertrauen und selbst im Blick auf solche, die in Welt und Sünde hineingeraten sind, darauf hoffen, dass der Reichtum des göttlichen Erbarmens auch sie auf den Pfad des Glaubens bringen wird, so ist und bleibt es doch sehr betrübend, wenn die schönsten Jahre des Lebens in der Welt, ja, oft im Schlamm der Sünde zugebracht werden. Die Folgen eines solchen Lebens bleiben auch, selbst wenn die Gnade Gottes eingreift und aus dem Verderben herausreißt, in vielen Fällen bestehen.
In unseren Tagen sind die Gefahren größer denn je. Furchtbar wirkt der Zeitgeist auf die Jugend ein. Viele sind bereits durch ihn beeinflusst und angesteckt worden. Wir möchten gleich Hagar bitterlich weinen über all den Schaden, der schon angerichtet ist, und zum Herrn schreien ob der geistlichen Not, die schlimmer ist als ein natürliches Sterben, wie es bei Ismael einzutreten drohte. Zugleich aber drängt sich uns die Frage auf: Wie kann dem Bösen am besten gesteuert, wie ihm vorgebeugt werden? Die Befreiung derer, die schon von den Einflüssen und Stricken des Feindes gefangen genommen worden sind, ist ein besonders ernstes Kapitel. Sehr oft gibt es da kein anderes Mittel mehr, als ein anhaltendes, dringendes Flehen für sie zu Gott.
Wenn ich in Beantwortung der oben gestellten Frage einige Gedanken niederschreibe, so geschieht es zunächst in dem Bewusstsein, dass es für die Erziehung der Kinder keine Schablone gibt; dann aber auch in der klaren Erkenntnis, dass alle eigene Kraft und Weisheit gerade in diesem Falle völlig versagt. Wenn irgendwo, so ist das Wort der Heiligen Schrift in Jak 1,15 hier am Platze: „Wenn aber jemand von euch Weisheit mangelt, so bitte er von Gott, der allen willig gibt." Es steht auch wohl außer Frage, dass jedes Elternpaar, das im Licht wandelt, sein vieles Zukurzkommen bekennen und, wenn seine Kinder errettet sind und auf dem Pfade des Glaubens wandeln, dies nicht sich, sondern mit dankbarem Herzen der Gnade Gottes zuschreiben wird. Damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, dass Eltern die Hände in den Schoß legen sollen. Im Gegenteil; eine ernste Verantwortlichkeit ruht auf ihnen, der sie sich nicht ungestraft entziehen können.
Zum Ausgangspunkt meiner Ausführungen möchte ich ein Wort nehmen, das, obgleich es dem Alten Testament entnommen und zunächst für Israel bestimmt, doch auch heute für alle Eltern bedeutungsvoll ist, und das vor allem in einer Zeit, die Familie und Familienleben am liebsten ganz ausrotten möchte, laut und eindringlich zu uns redet. Es lautet: „Siehe, ein Erbteil Jehovas sind Söhne, eine Belohnung die Leibesfrucht" (Psalm 127,3). Die Bedeutung dieses Wortes kann gar nicht überschätzt werden. Hier muss unsere Betrachtung beginnen, ja, hier liegen Anfang und Ausgang für jedes richtige Handeln in der Frage der Kindererziehung. Kinder sind eine Gabe Gottes, das kostbarste von all den Gütern, die unserer Verwaltung anvertraut sind. Ja, vergessen wir es nie: Kinder sind Güter, und anvertraute Schätze. Dass die Welt im allgemeinen nicht so denkt und urteilt, ist bekannt; aber wir haben es nicht mit dem Urteil der Welt, sondern mit den Gedanken Gottes zu tun. Bleiben wir nur einen Augenblick bei dem Worte stehen: anvertraute Schätze, die wir verwalten sollen! Welch ein hohes Vorrecht einerseits, welch eine ernste Pflicht andererseits! Die wunderbaren Worte des Herrn: „Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat", und: „Ich habe sie behütet, und keiner von ihnen ist verloren" (Hebräer 2,13; Johannes 17,12) beschäftigen uns oft und rufen in unseren Herzen heilige Bewunderung und Anbetung wach. Wir wissen ja, wer diese Kinder sind, und wie unser Herr für sie sorgt. Aber vergessen wir nicht, dass Gott auch uns solche anvertraut, die wir behüten und für Ihn erziehen sollen, damit keines von ihnen verlorengehe.
Wir wiederholen: ein gesegnetes Vorrecht, eine heilige Aufgabe! Betrachtet man von dieser Seite aus die Erziehung der Kinder, so wird man sich gewiss gern der Arbeit und Mühe unterziehen, die mit ihr verbunden sind. Man wird sich mit heiligem Eifer bemühen, in dieser Beziehung als „treue Verwalter" erfunden zu werden, und Gott wird uns ganz gewiss in seiner Gnade und Barmherzigkeit zu Hilfe kommen bei einer Arbeit, vor der man sonst verzagt zurückschrecken müßte. Die Aussicht, dereinst auch vor Gott hintreten und, die uns Anvertrauten mit uns führend, sagen zu dürfen: „Siehe, ich und die Kinder, die Du mir gegeben hast", wird selbst in schweren und entmutigenden Fällen betendes Ausharren und geduldiges Warten bewirken.
Sehen wir in unseren Kindern das, was Gott in ihnen sieht, so werden sie nicht nur erbetene, sondern auch auf betendem Herzen getragene Kinder sein. Das Gebet ist und bleibt ja die erste und wichtigste Arbeit bei der Erziehung. Ein lehrreiches Beispiel dafür liefert uns Hanna, die Mutter Samuels. Sie erbat ihren Sohn vom Herrn, und Ihm weihte sie ihn, und zwar für alle Tage seines Lebens. Es ist wohltuend, eine solche Gesinnung bei einer gläubigen Mutter des Alten Testaments vorzufinden; zugleich aber wird mit Macht die Frage in uns wachgerufen: Wo sind die betenden Väter und Mütter in unseren Tagen? Wenn bei der Erziehung unserer Kinder so manches übersehen und versäumt wird, wenn so viele in falsche Bahnen geleitet werden, liegt es nicht einfach daran, dass jene wichtige Arbeit vernachlässigt oder doch nur mechanisch ausgeführt wird, so dass Herz und Gewissen nicht dabei in Tätigkeit kommen? Geliebte Geschwister! wir wollen uns gegenseitig ermuntern, mehr als bisher von unserem gesegneten Vorrecht Gebrauch zu machen. Das Gebet ist eine Macht, die das Herz und die Hand Gottes in Bewegung setzt. O möchten wir uns dessen mehr bewusst sein und diese Macht, diesen Schlüssel zu den Schatzkammern der Gnade Gottes, reichlicher benutzen! Zahlreich und groß sind die Verheißungen Gottes hinsichtlich des Rufens der Seinigen, und zahllos die Beispiele Seiner gnädigen Erhörung, nicht zum wenigsten gerade im Blick auf unsere Kinder.
Das Gebet, das aus einem wahren Bedürfnis hervorgeht und in gläubiger Einfalt anhaltend geübt wird, wirkt auch noch in anderer Beziehung. Es übt gesegnete Einflüsse auf uns selbst aus, indem es unser Auge wachsam und scharf macht für Gefahren, die den Kindern drohen. Im Lichte der Gegenwart Gottes zu weilen übt das Auge und befähigt es, Gefahren zu entdecken, die ein anderes, weniger geübtes Auge noch gar nicht sieht. Wie vielem kann da beizeiten vorgebeugt werden! Man wird auch davor bewahrt, gleichgültig zu sein, wie einst der Priester Eli, der die Ungerechtigkeit seiner Söhne „wusste", aber ihnen „nicht wehrte". Wer in aufrichtigem, inbrünstigem Gebet, im Gefühl seiner Verantwortlichkeit, vor dem Herrn für seine Kinder eintritt, der kann nur mit tiefem Schmerz und wahrer Beugung die Wahrnehmung machen, dass seine Kinder nicht die Wege des Herrn wandeln. Er macht sich vor dem Herrn eins mit seinen Kindern und hat die geziemenden Gefühle über ihr Verhalten. Er entschuldigt nicht das Böse bei seinen Kindern, noch weniger deckt er es zu; und wenn er von irgendeiner Seite, sei es geschickt oder ungeschickt, aufmerksam gemacht wird auf irgendeine Gefahr, die seinen Kindern droht, so nimmt er es mit dankbarem Herzen aus des Herrn Hand an. Er erblickt in der Warnung eine Antwort auf sein Rufen und behandelt sie dementsprechend. Manche Eltern werden sehr geübt und auf die Probe gestellt, weil es so scheint, als ob der Herr nicht auf ihre Gebete höre. Ihre Kinder gehen eigene und oft gar böse Wege. Aber es ist wahr, was ein alter Christ in dieser Hinsicht einmal sagte: „Durch unsere Kinder müssen wir lernen, was wir sonst nie gelernt hätten." Zur Ermunterung für solche Eltern, die für ihre Kinder ernst und anhaltend beten und doch scheinbar keine Erfolge haben, sei hier, abgesehen von vielen anderen Fällen, an den Kirchenvater Augustin, den Sohn der Monika, erinnert. Jahrelang ging er eigene Wege, aber seine Mutter hörte nicht auf, ihn Tag und Nacht unter Tränen im Gebet dem Herrn darzubringen, so dass einer von ihren Bekannten ihr einmal sagte: „Ein Sohn so vieler Tränen kann nicht verlorengehen." Und er ging nicht verloren; nein, er wurde gefunden, und Gott benutzte ihn zu reichem Segen für viele.
Nächst dem Gebet ist ein sehr wichtiger Punkt das persönliche Vorbild. Wir alle wissen aus Erfahrung, dass der Anschauungsunterricht der beste ist. Das gilt auch im Blick auf unsere Kinder, die wir aufziehen sollen „in der Zucht und Ermahnung des Herrn" (Epheser 6,4; siehe auch Kol 3,21). Wie es niemals ohne gesegnete Einflüsse bleiben kann, wenn die Kinder wahrnehmen, dass wir mit ausharrendem Eifer am Thron der Gnade für sie ringen, so ruft auch der treue, vorbildliche Wandel ernste, unverwischbare Eindrücke hervor. Wenn wir der Aufforderung des Herrn folgen: „Lernet von mir", oder: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, auf dass, gleichwie ich euch getan habe, auch ihr tuet" (Mt. 11,29; Johannes 13,15), wenn wir uns beeifern, so „zu wandeln, wie er gewandelt hat" (1. Johannes 2,6), dann wird das sicherlich nicht ohne Wirkung bleiben. Wie mancher ist gewonnen worden durch den treuen Wandel von Gläubigen, die er kannte! Worte erwiesen sich als wirkungslos, „der Wandel ohne Wort" überwältigte ihn.
Vor allen Dingen bleiben Kinder nicht unberührt von dem Verhalten ihrer Eltern. Alles, was sie an ihnen wahrnehmen, prägt sich ihren jungen Herzen ein, sei es zum Schaden oder zum Nutzen. Die guten Lehren und Unterweisungen, die ihnen daheim, in der Sonntagschule und in den Versammlungen zuteil werden, fassen oder behalten sie vielleicht nicht, aber nie vergessen sie es, wenn sie ihre Eltern wandeln sehen in den Fußstapfen des Herrn Jesus, des Sanftmütigen und von Herzen Demütigen. Ein solches Beispiel geht den Kindern nach und beeinflusst sie selbst noch in den späteren Jahren ihres Lebens. Gelegentlich eines Zusammenkommens mehrerer junger Männer zwecks Besprechung schwieriger Bibelstellen sagte einer von ihnen: „Mir hat meine Mutter die beste Bibel-Erklärung gegeben; sie lebte mir die Bibel vor." Ein berühmter englischer Schriftsteller (Thomas Carlyle) bekennt von seiner Mutter: „Sie war die aufrichtigste Christin, die mir je in meinem Leben vorgekommen ist." Von seinem Vater konnte er bezeugen: „Er hat nie den Mund aufgetan, wenn er nicht etwas Wertvolles zu sagen wusste; nie habe ich eine leere Redensart von ihm gehört ... Er las nur ein Buch, die Bibel. Sie war ihm der Inbegriff aller Weisheit, und nie hat er an irgendeinem ihrer Worte gezweifelt." Ein Diener des Herrn berichtet: „Meine Mutter erzählte mir eines Tages, als ich noch ein Kind war, die Geschichte vom Heiland, wie er am Kreuz für uns starb. Dabei fielen heiße Tränen aus ihren, Augen auf meine Hand. Diese Tränen haben mich zum Herrn geführt. Ich bin früh ein Schäflein des guten Hirten geworden und es geblieben, und ich darf Ihm nun dienen."
Das sind schöne Zeugnisse, nicht wahr? Sie ließen sich mühelos vermehren; doch diese mögen genügen. Ein jeder von uns weiß ja auch aus eigener Erfahrung von solchen Beispielen und Vorbildern zu reden. Und sie wirken in der Stille, bringen Segen hervor, wenn auch manchmal erst nach Jahren, aber niemals bleiben sie ohne Frucht.
Teurer Leser! wollen wir uns nicht fragen: Wie sieht es in unseren Häusern aus? Was nehmen unsere Kinder an uns wahr? Ist es etwas, das sie günstig beeinflusst und zum Guten anspornt?
Schließlich möge auch ein Punkt hervorgehoben werden, der von der allergrößten Wichtigkeit ist. Es ist dieser: Vater und Mutter sollten bei der Erziehung ihrer Kinder stets völlig eins sein, füreinander eintreten, selbst wenn sie einmal meinen, der andere Teil sei in seinen Anordnungen etwas zu weit oder nicht weit genug gegangen. Unberechenbar ist der Schaden, wenn durch die Unweisheit des einen Ehegatten die Autorität und das Ansehen des anderen bei den Kindern untergraben wird. Seien wir deshalb auf der Hut! Vor allen Dingen gebe der Herr allen gläubigen Eltern darin einen Sinn, dass sie mit ihrem ganzen Hause in wahrer Absonderung von der Welt und ihren Dingen zu wandeln und die Kinder so zu erziehen begehren, dass sie, unter dem Einfluss des Wortes Gottes und durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes, schon früh den Herrn als ihren Heiland kennenlernen und begehren, auf Seinen Wegen zu wandeln! Von Abraham konnte Jehova bezeugen: „Denn ich habe ihn erkannt, auf dass er seinen Kindern und seinem Hause nach ihm befehle, dass sie den Weg Jehovas bewahren, Gerechtigkeit und Recht zu üben" (1. Mose 18,19). Und dieser Berufung entsprach Abraham. Der Herr wolle dieselbe Entschiedenheit bei allen Seinen Geliebten bewirken, denen Er einen Platz und Ruf als Haupt und Priester in der Familie gegeben hat!
Die Verordnungen Gottes im Alten Bunde geben uns manch wertvollen Wink für das praktische Leben auch in der gegenwärtigen Zeit. So die bekannte Verordnung für den Erstgeborenen in Verbindung mit dem Passah und dem Feste der ungesäuerten Brote in 2. Mose 13. Die Erstgeborenen gehörten Gott auf Grund ihrer Befreiung von dem Gericht, das alle Erstgeburt im Lande Ägypten getroffen hatte. Diese Befreiung hatte sie aber nicht nur in ein besonderes Verhältnis zu Gott gebracht, sondern auch ihnen und mit ihnen dem ganzen Volke eine ernste Verantwortlichkeit auferlegt. Jehova, der Gott Israels, der sie aus Ägypten herausgeführt und zu Sich gebracht hatte, war ein heiliger Gott, und deshalb durfte kein Sauerteig (das bekannte Bild der wirkenden Sünde) in allen Grenzen Israels gesehen werden, solange das Fest der ungesäuerten Brote währte. Als äußere Erinnerungszeichen an den Auszug aus dem „Hause der Knechtschaft" (dem Bilde der „Welt") mussten die Israeliten Denkzeichen auf Hand und Stirn binden - „es sei dir zum Zeichen an deiner Hand und zu einem Denkzeichen zwischen deinen Augen, damit das Gesetz Jehovas in deinem Munde sei". Der Gott, der sie mit starker Hand befreit hatte, machte Ansprüche an sie; all ihr Denken und Sinnen, ihr Tun und Handeln musste fortan unter der Leitung Seines Wortes stehen. In Übereinstimmung damit lesen wir in auf deinem Herzen sein. Und du sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzest und wenn du auf dem Wege gehst und wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst. Und du sollst sie zum Zeichen auf deine Hand binden, und sie sollen zu Stirnbändern sein zwischen deinen Augen; und du sollst sie auf die Pfosten deines Hauses und an deine Tore schreiben" (Vgl. Kap. 11,18-21). Wie schön und ernst ist die Reihenfolge in diesen Versen! Wenn die Gebote Gottes im Herzen der Eltern wohnen, werden sie auch im rechten Augenblick hervorkommen, denn „aus der Fülle des Herzens redet der Mund"; sie werden daheim und auf dem Wege, in Zeiten der Ruhe und der Tätigkeit den Kindern eingeprägt werden, indem sie Kopf und Hand der Eltern leiten und ihren bildenden und bewahrenden Einfluss auf das ganze Haus ausüben. Das Zeugnis des Hauses wird nach innen und außen, bis zu den Pfosten und Toren hin, ein gutes Zeugnis sein. O wenn nur alle christlichen Häuser diesem Bilde entsprechen möchten! Welch ein Segen würden sie sein gerade in diesen Tagen der Zuchtlosigkeit und Gottvergessenheit! Wie schon weiter oben angedeutet wurde, ist zur Erziehung der Kinder auch viel „Weisheit von oben" nötig. Gott öffnete der Hagar die Augen, so dass sie den Wasserbrunnen sah, aus dem sie schöpfen konnte. Aber ach! wird nicht der „Wasserbrunnen" der Gnade Gottes, der für alle da, für alle zugänglich ist, von manchen Eltern gewohnheitsmäßig vernachlässigt? Anstatt für sich und ihre Lieben zu schöpfen, lassen sie die ihnen von Gott geöffnete Quelle unberührt. Die Folgen werden nicht lange auf sich warten lassen. Wenn wir einmal von uns selbst reden wollen, wird ja gewiss der Treueste unter uns nicht sagen können, dass bei ihm alles so vor sich gegangen sei, so geordnet werde, dass der Herr nichts zu tadeln finde. Man kennt seine eigene Unzulänglichkeit und seine vielen Verfehlungen gut, und gerade weil man sie kennt, geht man zur Quelle und empfängt, was man bedarf. Aber es gibt Häuser, wo in dieser Hinsicht eine erschreckende Gleichgültigkeit und Leichtfertigkeit herrschen, obwohl vielleicht an der Wand der Spruch hängt: „Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen". Ja, da hängt er und wird von den ins Haus Eintretenden gelesen, aber in den Herzen der Bewohner lebt er nicht. Vielleicht hält man den Kindern lange Sittenpredigten, aber weil im eigenen Leben und Wandel die himmlische Gesinnung fehlt, haben die Worte keine Kraft. Sie verhallen wirkungslos, ja bewirken vielleicht nur eine noch größere Verhärtung des Herzens.
Dass in solchen Häusern die Kinder sich der Welt zuwenden oder auf die Einflüsterungen des Unglaubens horchen, ist nicht verwunderlich. Es ist ernst, aus dem Munde gläubiger Eltern Bekenntnisse zu vernehmen wie das folgende: „Wir waren nicht treu, waren keine Vorbilder für unsere Kinder, und so sind sie alle ihre Wege gegangen und machen uns jetzt viele Schmerzen und bringen Unehre auf den Namen des Herrn." Vor einiger Zeit befand sich der Schreiber in einer Familie, wo ihm Gelegenheit geboten wurde, mit einem erwachsenen Sohn ein Wort zu reden. Der junge Mann offenbarte ohne Scheu den Unglauben seines Herzens. Als der anwesende Vater das vernahm, wurde er unwillig und wies den Sohn scharf zurecht. Aber ich suchte ihn zu beschwichtigen, und als wir allein waren, sagte ich zu ihm: „Die Zeit, um ein Kind so zu behandeln, wie du es soeben getan hast, ist in diesem Alter vorbei. Jetzt gilt es, in der Gegenwart des Herrn zu weinen, sich zu demütigen ob der eigenen Untreue und der der Kinder, und zu Gott um Gnade und Erbarmen zu flehen. Dem Demütigen und Zerschlagenen gibt Gott Gnade."
Bei dieser Gelegenheit sei noch folgendes hervorgehoben: Wir wissen alle, dass unsere heranwachsenden Kinder nach vermehrter geistiger Anregung verlangen, auch gern etwas für sich haben möchten. „Man muss ihnen etwas bieten", sagt man deshalb. Ganz recht; aber wie und was? Sind sie bekehrt, so ist es ja leichter, ihren Wünschen nachzukommen, wenn auch das neue Leben vielfach schwach ist und mehr Neigungen zu den Dingen der Welt vorhanden sind, als Hingabe an den Herrn; sie möchten in ihrem Auftreten gern Schritt halten mit der Welt und ihren sogenannten Fortschritten. Sind die Kinder nicht bekehrt, so bedarf es weit größerer Gnade und Einsicht, um ihnen das Rechte darzubieten und ihnen so zu dienen, dass Bedürfnisse geweckt werden nach dem Herrn und Seinen Wegen. Leider werden den Kindern oft Zugeständnisse gemacht und Dinge geboten, die ihnen zum Schaden gereichen, ja, sie geradezu in die Arme der Welt führen. Der Herr wolle uns geben, dass wir Augensalbe von Ihm nehmen, um klar zu sehen, ein besonnenes Urteil behalten und unseren Kindern nichts zu erlauben oder zu bieten, was sie schädlich beeinflussen oder böse Neigungen in ihnen nähren könnte.
Endlich sei noch in Liebe ein Wort an alle gerichtet. Wir sind dem Herrn zu großem Dank verpflichtet für den Segen, den Er unseren Kindern durch die Sonntagschule geschenkt hat und schenkt. An vielen Orten haben sich auch schon seit Jahren Brüder und Schwestern mit hingebender Liebe der heranwachsenden Jugend angenommen, und viele bekennen mit dankbarem Herzen, dass sie reichen Segen durch solche Bemühungen empfangen haben, in der Erkenntnis befördert und zugleich vor manchen Schlingen des Feindes bewahrt wurden. Nun, in unserer Zeit mit ihren furchtbaren Gefahren und den stetig wachsenden Bedürfnissen auf geistlichem Gebiet gilt es, sich auch in besonderer Weise der reiferen Jugend anzunehmen. Ein verständnisvolles Nachgehen und ein liebendes Beschäftigtsein mit den Einzelnen wie in größerem Kreis ist nötig. Je ernster die Tage werden und je näher wir dem Ziele kommen, umso höher und mannigfaltiger werden ja die Anforderungen, die an einen jeden von uns herantreten. Aber wir wollen es uns dadurch nicht nehmen lassen, der Jugend nachzugehen, indem wir den Gläubigen unter ihnen die Lieblichkeiten des Herrn und Seines Wortes vorstellen und die, die noch ohne Heil dahingehen, immer wieder ermuntern, in Seine rettenden Arme zu fliehen, ehe es für ewig zu spät ist. Es könnte in dieser Hinsicht sicher manches anders unter uns sein, als es ist. Vielerorts fehlt es wohl noch an dem genügenden Verständnis für diese Frage. Das Bestreben der Ungläubigen, der Schule die Bibel zu rauben, hat freilich manchen die Augen geöffnet und sie mit Schrecken sehen lassen, wohin wir treiben; aber doch erkennen viele, zu viele, noch gar wenig den Ernst und die dringende Not unserer Tage, und fühlen darum nicht, was uns nottut. Deshalb sagt das Wort: „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten!" Auch heute passt gewiss das Wort: „Es ist gegen Abend, und der Tag hat sich geneigt". Die Nacht, da niemand wirken kann, wirft schon ihre dunklen Schatten voraus. Das „Geheimnis der Gesetzlosigkeit" ist nahe daran, in dem „Gesetzlosen" vor aller Augen enthüllt zu werden.
Der Dienst an der Jugend ist oft nicht leicht; er bringt manche Selbstverleugnung mit sich, gibt aber auch viel Freude, macht dankbare Herzen und kann vor allem auf die Anerkennung des Herrn rechnen. Die, welche durch solchen Dienst Segen empfangen, vergessen es auch selten; es bleibt ihnen für ihr ganzes Leben in dankbarer Erinnerung. Daher wollen wir alle viel den Brunnen Gottes aufsuchen und aus der Quelle schöpfen für uns selbst und für andere. Unsere Hände seien stark und lasst uns sie nicht erschlaffen lassen, denn „es gibt Lohn für unser Tun" (2. Chronika 15,7). Die Zeit der Abrechnung naht heran, und mit ihr Sein Lohn.
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Ein treuer Knecht II
Bibelstelle: 2. Mose 32 - 34
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 325ff
Es bleibt uns noch übrig, das Verhalten Moses und Gottes Antwort auf sein treues Bemühen für Israel von einem anderen Gesichtspunkte aus zu betrachten. Wenn einerseits der Glaube und die selbst- lose Liebe Moses das Herz Gottes erfreuten und Ihm Anlass gaben, neue, über den engen Rahmen des Gesetzes hinausgehende Gedanken zu offenbaren, so wurden sie anderseits für Gott zu einer Gelegenheit, das Herz Seines treuen Knechtes zu ermuntern und ihn für den ihm gewordenen Auftrag zu stärken. .
Gott hatte erklärt, dass Er nicht länger in der Mitte des hartnäckigen Volkes hinausziehen könne. Wie nun sollte Mose, der arme, schwache Mensch, die Führerschaft übernehmen können? Wie konnte er der schweren Ausgabe gerecht werden? Und ferner: wie sah es mit der Gnade aus, die Gott ihm doch verheißen hatte, wie mit der Treue Gottes gegenüber Seinen heiligen Verpflichtungen, wenn Er das Volk in der Wüste umkommen ließ?
Und Mose sprach zu Jehova: Siehe, du sprichst zu mir: Führe dieses Volk hinaus, aber du hast mich nicht wissen lassen, wen du mit mir senden willst. Und du hast doch gesagt: Ich kenne dich mit Namen, und du hast auch Gnade gefunden in meinen Augen. Und nun, wenn ich denn Gnade gefunden habe in deinen Augen, so lass mich doch deinen Weg wissen, dass ich dich erkenne, damit ich Gnade finde in deinen Augen; und sieh, dass diese Nation dein Volk ist“ (Kap. 33, 12. 13).
Wie gut können wir Mose verstehen! Unter dem tiefen Eindruck der Untreue des Volkes und seiner eigenen Schwachheit wollte er gern einen Einblick empfangen in Gottes Pläne für die Zukunft, in das Wie Seiner Wege und Führungen. Zugleich verlangte ihn nach einem Begleiter, nach einer Stütze für den langen, beschwerlichen Weg. Wie oft sehen auch wir uns nach einem Freunde um, nach einem mitfühlenden und mittragenden Herzen, wenn Gott uns vor irgend eine Aufgabe stellt! Wie gern möchten auch wir in die Zukunft blicken können! Mose war ein Mensch „von gleichen Gemütsbewegungen wie wir“. Aber wäre es Gnade gewesen, wie er meinte, wenn Gott seiner Bitte entsprochen hätte? Wäre es Gnade, wenn Gott unseren Blicken die Zukunft enthüllte? Wie würde Mose einerseits erschrocken sein, wenn Gott ihm gesagt hätte: Vierzig Jahre lang musst du mit diesem hartnäckigen Volke die Wüste durchwandern, und schließlich wirst du selbst nicht ins gelobte Land kommen! Wie viele kostbare Gelegenheiten anderseits, im Glauben auf Gott zu harren, würde er verloren haben! Nein, Gott entsprach der Bitte Seines Knechtes nicht, wie Er auch unsere Wünsche in dieser Beziehung nicht erfüllt. Und doch entsprach Er ihr, und zwar in einer weit herrlicheren Weise, als Mose es je hätte ahnen können. Er antwortet: „Mein Angesicht wird mitgehen, und ich werde dir Ruhe geben“. War das nicht unendlich höher und besser, als wenn Gott die vierzigjährige Wanderschaft Israels mit allen ihren Irrungen, Umwegen und Fehlern an dem Geistesauge Seines Knechtes hätte vorübergehen lassen? Das hätte ihn nur zu Boden schmettern können, während jene gnädige Antwort ihn nicht nur für den Augenblick aufrichtete, sondern auch für jeden Tag und jede Schwierigkeit der langen Reise genügte. Wenn Gottes Angesicht mit ihm ging, was konnte Mose, dem Knechte Gottes, dann fehlen? Wenn Gott ihm Ruhe gab, wer konnte dann beunruhigen?
Genauso ist es mit uns: „Wenn Gott für uns ist, wer wider uns?“ Und wenn Er uns an und in Seine starke Hand genommen hat, wer und was könnte uns dann von Ihm und Seiner Liebe scheiden? wer Seine Absicht, uns hier schon Ruhe zu geben und uns bald in die ewige Ruhe im Vaterhause droben einzuführen, durchkreuzen? Gott kennt ja jede Stunde unserer Reise im Voraus, Ihm ist jedes Mara, jedes Leid, jede Schwierigkeit des Weges wohlbekannt; aber Er verhüllt uns alles das gnädiglich, versichert uns statt dessen Seines Geleits und richtet unseren Blick auf das herrliche Ziel. Für den Glauben strahlt das Vaterantlitz Gottes stets freundlich. Freilich ist dieses Angesicht auch heilig; aber das aufrichtige Herz freut sich darüber, wünscht es gar nicht anders und findet gerade in dem heiligen Lichte des Vaterantlitzes tiefe, selige Ruhe. Und mögen die Tage auch heiß und schwer werden, mögen sie Kampf und Not, Sorge und Kummer bringen — je unruhvoller die Zeiten werden, desto kostbarer schmeckt die Ruhe in Gott, und desto begehrenswerter erscheint die Ruhe, die am Ende der Reise dem Pilger winkt.
Mose hätte also voll und ganz befriedigt sein können. Und doch war er es nicht. Warum nicht? Seine Worte: „Sieh, dass diese Nation dein Volk ist, zeigen es uns. Mose und das Volk waren. gleichsam. eins. Der treue Knecht wirft das Volk auf Gott zurück. Hatte Gott es nicht von allen Völkern der Erde abgesondert, und hatte nicht Mose gerade deshalb vierzig Jahre früher seinen Entschluss gefasst, lieber mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche. Ergötzung der Sünde zu haben? Hatte Gott dieses Volk nicht auch durch seine Hand aus Ägypten herausgeführt und ihn so mit Israel in die innigste Beziehung gebracht? Woran sollte es denn erkannt werden, dass Mose in Gottes Augen Gnade gefunden hatte, wenn nicht daran, dass auch Israel Gnade fand („ich und dein Volk, V. 16), dass Gottes Angesicht mit ihnen ging, und dass sie ausgesondert wurden, er und Gottes Volk, aus allen Völkern, die aus dem Erdboden lebten? Was konnte Gott gegenüber einer solchen Berufung auf Seine Gnade und Treue tun? Den Bittenden abweisen? Den Glauben beschämen? Nimmermehr! „Auch dieses, was du gesagt hast, werde ich tun; denn du hast Gnade gefunden in meinen Augen, und ich kenne dich mit Namen, so lautet die göttliche Antwort (V. 17). Dann wünscht Mose Gottes Herrlichkeit zu sehen. Der Glaube wird immer kühner und Gott wohlgefälliger, wenn auch diese Bitte nicht erfüllt werden konnte. Denn Gottes Herrlichkeit kann seitens eines sündigen Menschen nicht anders gesehen werden als nur im Versöhnungswerk Christi; nur Er, der Hochgelobte, konnte dieser Herrlichkeit begegnen, ohne zerschmettert zu werden, nur Er Gnade und Herrlichkeit miteinander verbinden. Aber „alle Seine Güte“ wollte Gott Mose schauen lassen, nachdem die Herrlichkeit Seines Angesichts an dem in der Felsenkluft Geborgenen vorübergegangen wäre.
Fürwahr, groß und wunderbar sind die Dinge, die wir hier schauen, und unsere Seele weiß es wohl. Groß und wunderbar sowohl im Blick auf Gott, als auch auf Seinen Knecht. Wie sollten wir darüber sinnen und nach ähnlicher Gnade begehren! Gott redete wirklich mit Mose, „wie ein Mann mit seinem Freunde redet (V. 11), und Mose offenbart eine Vertraulichkeit und eine Übereinstimmung mit Gottes Gedanken, wie sie wohl den meisten von uns, wenn nicht uns allen, fremd ist, trotzdem wir als Kinder jetzt dem Vater nahen dürfen und den Geist besitzen, der „alles, auch die Tiefen Gottes, erforscht“ (1.Kor. 2,10). Groß. und wunderbar ist auch das Ergebnis dieses innigen Verkehrs zwischen Gott und Seinem Knechte, wie das 34. Kapitel es uns mitteilt. Gott betritt auf Grund der Fürbitte Moses den Boden der Gnade, wenn auch nicht der unbedingten Gnade, und offenbart sich unter einem ganz neuen Namen: „Jehova, Jehova, Gott, barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und groß an Güte und Wahrheit, der Güte bewahrt auf Tausende hin, der Ungerechtigkeit, Übertretung und Sünde vergibt“ (Kap. 34, 6. 7). Zum ersten mal in der Heiligen Schrift wird die Tatsache, dass Gott Sünden vergibt, ausgesprochen. Gott hat selbstverständlich vorher in Nachsicht und vergebender Gnade gehandelt, aber nie wird es gesagt, dass Er ein vergebender Gott sei. Die Morgenröte eines Tages uns umschränkter Gnade, die in Christo in ihrem vollen Glanze erscheinen sollte, bricht hier an. Freilich war es noch keine bleibende Herrlichkeit, die von Moses Antlitz zurückstrahlte, als er von dem Berge herabstieg, aber doch leuchtete sie so stark, dass die Kinder Israel das Angesicht Moses nicht unverwandt anzuschauen vermochten „und sich fürchteten, ihm zu nahen“ (V. 30; vergl. 2. Kor. 3,7ff.).
Als Mose zum ersten Mal vom Sinai herniederkam, mit den beiden Gesetzestafeln in seiner Hand, da strahlte sein Antlitz nicht von dem Widerschein der Herrlichkeit der Gnade, sondern es erglühte in gerechtem Zorn wider die Übertreter des Gesetzes. Welch ein Unterschied! Und derselbe Unterschied zeigt sich in der Antwort Moses auf die Offenbarung des neuen Namens Gottes. Hat er vorher, in Erwiderung auf das „böse Wort“ Jehovas: „Ich werde nicht in deiner Mitte hinausziehen, denn du bist ein hartnäckiges Volk, dass ich dich nicht vernichte auf dem Wege, als Mittler und Fürsprecher um Gnade und Vergebung gebeten, so nimmt er jetzt gerade die Tatsache, dass Israel ein so hartnäckiges Volk war, zum Anlass, um Gottes Gegen wart in seiner Mitte zu bitten. Eilends neigte er sich zur Erde, betete an und sprach: „Wenn ich doch Gnade gefunden habe in deinen Augen, Herr (beachten wir auch diesen Unterschied: er nennt Gott jetzt „Herr“, nicht „Jehova“), so ziehe doch der Herr in unserer Mitte, denn es ist ein hartnäckiges Volk; und vergib unsere Ungerechtigkeit und unsere Sünde und nimm uns an zum Eigentum.“
Welch eine Veränderung! Aus Grund der anbetungswürdigen Gnade Gottes kann Mose jetzt zu Gott sagen: Gerade weil Israel ein so hartnäckiges Voll ist, können wir ohne dich und deine Gnade nicht auskommen. Der Zustand des Volkes, der Gott einst dahin führen musste, es auf dem Wege zu vernichten oder zum mindesten, nicht in seiner Mitte hinauszuziehen, wird jetzt zu einem Grunde, dass Gott in seiner Mitte hinausziehen muss. Die Gnade hat alles ins Gegenteil verkehrt. So ist es immer. Sobald die Gnade eingeführt wird, selbst wenn es nur bedingt geschehen kann, wie in dem vorliegenden Falle, (der Dienst blieb nach wie vor ein „Dienst des Todes und der Verdammnis“), erkennen wir, dass gerade unsere Sündhaftigkeit zu einem Grunde wird, weshalb die Gegenwart Gottes unentbehrlich für uns ist.
Nicht wahr, teurer Leser: erstaunlich sind die Wunder der Gnade Gottes. Sie überwältigen geradezu unsere armen, wankelmütigen und doch auch wieder so gesetzlichen Herzen. Aber wie werden wir erst staunen und uns anbetend niederwerfen, wenn wir droben, im vollen Lichte der Herrlichkeit Gottes stehend, unseren ganzen Weg zurückschauen und dann mit Mose und allen anderen Erlösten die ganze Größe und Fülle der Gnade erkennen werden, wenn das Stückwerk aufhört und das Vollkommene gekommen ist! Wie sehnt sich das Herz nach dieser Zeit, nach dem Morgen ohne Wolken, der den ewigen Tag, den Tag Gottes, einführen wird, wann Gott sagen kann: „Es ist geschehen!“ und: „Siehe, ich mache alles neu“.
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Er bringt dich durch!
Bibelstelle: 2. Mose 32 – 34
Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1920, Seite 332ff
Er bringt dich durch, das ist gewiss,
du wirst sein Helfen immer spüren.
Bei Ihm ist Licht – in Finsternis
vermag dich seine Hand zu führen.
Trost ist Er dir – nur unverzagt,
wenn Wolken dir die Sonne trüben!
Die Schmerzen, die man Ihm geklagt,
sind ohne Balsam nie geblieben.
Kraft ist Er – ist dein Los auch hart,
Er kennt die Not, Er kann sie wenden;
und Liebe ist Er nur wie zart
trägt Er sein Kind auf Vaterhänden!
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Vergangen Glück ist gegenwärtig Leid,
du kannst dein Herz mit Erdenglück nicht füllen,
mit Erdenschätzen nie sein Dürsten stillen;
Die ewge Seele schreit nach Ewigkeit.
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Derselbe Herr, der aus dem Worte sprach,
hilft auch den Seinen Tag für Tag.
Wem Weisheit fehlt, dem liegt Sein Schatz bereit,
Er schenkt das rechte Wort zur rechten Zeit.