Dienst in der Gemeinde 1927 BdH

10/18/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Einiges über den Dienst in der Versammlung

Eine der kostbarsten Wahrheiten, die Gott in diesen letzten Tagen wieder auf den Leuchter gestellt hat, ist die von der Gegenwart des Heiligen Geistes in der Versammlung der Heiligen. Die Verleugnung dieser Wahrheit ist zum großen Teil die Ursache und zugleich eins der wichtigsten Kennzeichen des Verfalls in der bekennenden Kirche. Jedes gläubige Herz sollte wegen dieser Sünde der Christenheit beständig trauern und sich vor Gott tief, demütigen und mit Daniel bekennen: „Wir haben gesündigt“. Das Übel zu beseitigen und alle Gläubigen zurückzuführen zu dem, „was von Anfang war“, steht nicht in unserer Macht; aber wir können uns persönlich den göttlichen Grundsätzen unterwerfen und von allen menschlichen Einrichtungen trennen, durch welche der Heilige Geist gehindert wird, Seine Obergewalt auszuüben und Seine Wirksamkeit zum Segen der Heiligen wie auch der Welt zu entfalten. Dies sollte von allen Heiligen geschehen; denn wie traurig, mit Einrichtungen in Verbindung zu sein, wo der Mensch, mit Autorität bekleidet, den Gehorsam gegen das Wort verwirft und der bekennenden Christenheit das Kennzeichen aufdrückt, das an das nahe Gericht über sie erinnert. Wo die Heiligen in wahrer Gottesfurcht im Namen Jesu versammelt sind, da ist die Gegenwart des Heiligen Geistes eine Tatsache. Wer vermöchte ihre Tragweite und Kostbarkeit völlig zu erkennen? – 

Der Herr hat die Absicht, die Seinen bei ihren Zusammenkünften zu segnen. Er möchte sie durch Seinen Geist einführen in die herrlichen Gnadenratschlüsse Gottes und belehren über Seine eigne Herrlichkeit, sowohl über die Seiner Person als auch über die Seines vollkommenen Werkes, über die kostbaren Beziehungen der Seinen zu Ihm und dem Vater, und über ihre Stellung zur Welt, über die Weisheit der Wege Gottes und über Seine    Liebe, Güte, Gnade und Treue. Dies kann aber nur da nach Seinem wohlgefälligen Willen und in der von Ihm beabsichtigten Weise geschehen, wo die Gegenwart des Heiligen Geistes verwirklicht und Ihm die Leitung überlassen wird. Freilich wird Er die Seinen durch jeden von Ihm begabten Heiligen, wenn er in Gottesfurcht den Dienst ausübt, segnen, aber eine andere Sache ist die, ob sie überall den von Ihm zugedachten Segen empfangen können. Da müssen wir sagen: Nein. Dies kann nur da geschehen, wo man im Namen Jesu, d. h. in der Anerkennung Seiner Autorität zusammenkommt.

Für ein gottesfürchtiges Herz ist es gesegnet zu wissen, daß, wie Christus einst wirklich unter den Seinen auf Erden war, jetzt ebenso wirklich der Heilige Geist in den Versammlungen der Heiligen gegenwärtig ist, wenn sie im Namen Jesu zusammenkommen. Diese Wahrheit kann allerdings nur durch einen einfältigen Glauben verwirklicht werden. Wo dieser Glaube nicht ist, da bindet sich der Christ lieber an etwas Sichtbares, an schwache Menschen und törichte Einrichtungen, als daß er sich gänzlich der Leitung des Heiligen Geistes überläßt, geradeso wie Israel einst in der Wüste, als Mose verzog, vom Berge Sinai zu kommen, seine Zuflucht zu einem goldenen Kalbe nahm, anstatt im Glauben dem großen und guten Gott zu vertrauen. Man kann sich dies gut erklären. Die Verwirklichung der Gegenwart des Heiligen Geistes erfordert wahre Heiligkeit und Gottesfurcht, sowie eine tiefe Abhängigkeit von Ihm und völliges Vertrauen zu Ihm. Die menschlichen Einrichtungen mit ihren amtlich eingesetzten Predigern dagegen entheben ihn mehr oder weniger der Verantwortlichkeit und erlauben ihm eine freiere Bewegung, kurz, er braucht sich um den Dienst nicht zu kümmern; es sind ja Leute da, die dies alles amtlich erledigen. Wie sehr aber dadurch Gott betrübt, der Heilige Geist beiseitegesetzt und der Gläubige des ihm von Gott zugedachten Segen verlustig geht, darüber macht man sich leider keine Gedanken und kein Gewissen.

Es sei erlaubt, noch einmal auf die zwei gesegneten. Wahrheiten hinzuweisen:

1. Der Heilige Geist ist wirklich in der Versammlung der Heiligen.

2. Er allein will die Leitung in ihr haben.

Also ist es ausgeschlossen, daß eine bestimmte Ordnung geschaffen werden darf, wonach die Versammlung geleitet wird. Weiter kann weder jeder Gläubige nach seinem Belieben einen Dienst in ihr ausüben, noch darf eine menschliche Beschränkung stattfinden. Niemand hat das Recht, im Gottesdienst oder bei der Wort betrachtung und in der Gebetsstunde betreffs des Dienstes einen Platz einzunehmen, der ihm nicht von Gott bestimmt und für den er nicht von Ihm befähigt ist. Die Freiheit des Dienstes, besteht darin, daß der Heilige Geist frei wirken kann. O, wie gesegnet würden wir sein, wenn wir alle bei unsern Zusammenkünften Seine heilige Gegenwart verwirklichten und unter Seiner Leitung ständen!

Im Alten Testament lesen wir: „Bewahre deinen Fuß, wenn du zum Hause Gottes gehst; und nahen, um zu hören, ist besser, als wenn die Toren Schlachtopfer geben: denn sie haben keine Erkenntnis, so daß sie Böses tun. – Sei nicht vorschnell mit deinem Munde, und dein Herz eile nicht, ein Wort vor Gott hervorzubringen; denn Gott ist im Himmel, und du bist auf der Erde: darum seien deiner Worte wenige“ (Pred. 5, 1‑2). So sollte der Israelit denken, wenn er in den Tempel ging. Ihm war von der Gegenwart des Heiligen Geistes in der Mitte der Heiligen nichts bekannt. Uns aber, die wir größere Segnungen und innigere Beziehungen zu Gott haben, sollte das Bewußtsein, daß der Heilige Geist in unserer Mitte ist, ein wichtiger Beweggrund zu einer heiligen Scheu und zu einer gottseligen Furcht sein, als der Gedanke, daß Gott im Himmel und wir auf der Erde sind.

Wenn Seine Gegenwart durch unsere Sinne wahrgenommen werden könnte, wenn unsere Augen Ihn zu sehen vermöchten, wie einst die Jünger den Herrn auf Erden sahen, welch ernste Gefühle würden uns erfüllen! Wie feierlich still würden wir dasitzen, wie aufmerksam hören und voll Ehrfurcht auf Sein Tun achten, wie völlig würden wir Ihm vertrauen! Niemand erlaubte sich dann wohl ein voreiliges Reden, niemand hegte in seinem Herzen Neid oder gäbe fleischlicher Aufregung Raum, weil dieser oder jener Bruder spräche. Keine lieblose Kritik fände statt, und sicher ließe niemand seine Gedanken umherschweifen, um so des Segens verlustig zu gehen. Sollte nun die Wirklichkeit Seiner Gegenwart weniger Einfluß auf uns ausüben, weil ihre Wahrnehmung eine Sache des Glaubens und nicht des Schauens ist?

Kostbar und gesegnet ist die Verwirklichung obiger Wahrheit. Dies haben wir gewiß schon alle erfahren. Es konnte sein, daß Pausen eintraten, die ein Unkundiger als unangenehm empfunden hätte, uns aber ließen sie umsomehr die Gegenwart des Herrn verspüren. Niemand hätte es gewagt, im Buch zu blättern oder die Stille durch voreiliges Reden zu unterbrechen, um die Pause abzukürzen. Da merkte man keine unruhige Bewegung und keine Neugierde, was wohl jetzt geschehen könnte, welcher Bruder aufstehen und beten oder lehren möge. Alle Herzen waren mit dem Herrn beschäftigt. Und sicher gab Er dann ein Lied, eine Unterweisung oder ein Gebet, das dem Zustand und den Bedürfnissen der Heiligen entsprach, so daß die Gefühle und die Wünsche aller dadurch zum Ausdruck gebracht und die Versammlung mit viel Lob, Dank und Fürbitte schloß.

Wir wissen nun aus der Schrift, daß der Heilige Geist der Versammlung zu ihrer Auferbauung Gaben gegeben hat. Er allein hat das Recht, dies zu tun. Es könnte jemand begabt sein, gut zu reden, wenn er aber dem Nächsten nicht „zum Guten“, „zur Auferbauung“ gefallen kann, so hat ihn der Heilige Geist nicht für den Dienst zur Auferbauung der Versammlung bestimmt. Wird er trotzdem sich einen Dienst anmaßen, so verunehrt er den Herrn, betrübt den Heiligen Geist und verachtet die Versammlung Gottes. Er ist nicht dem Heiligen Geiste unterworfen, sondern tut seinen eigenen Willen, von dem die Schrift sagt, daß er „wie Abgötterei und Götzendienst ist“ (l. Sam. 15, 23).

Der Heilige Geist teilt die Gaben aus, wem Er will, und zwar so, daß die Gabe des einen die Ausübung der Gabe des anderen nicht hindert. Die Zahl der Gaben ist beschränkt. Wir lesen in 1. Kor. 12, 29. 30: „Sind etwa alle Apostel? alle Propheten? alle Lehrer?“ usw. Nein, nicht alle Gläubigen haben Gaben. Gott hat etliche in der Versammlung gesetzt: „erstens Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer“ u. s. f. In den organisierten Kirchen ist gewöhnlich ein Mann amtlich eingesetzt zur Bedienung der bekennenden Gemeinde. Hier ist also die Zahl im Gegensatz zum Wort Gottes beschränkt. Wie verkehrt! Es wäre vieles über die unbiblischen Einrichtungen der Kirchen zu sagen, aber wir wollen uns heute mehr mit dem Dienst in einer Versammlung beschäftigen, die auf dem Boden des Wortes steht, und wo man die Autorität des Geistes und des Wortes anerkennt. Hier können bei allem Festhalten an den richtigen Grundsätzen der Schrift doch die Brüder praktisch fehlen. Es kann nicht genug beklagt werden, wenn jemand aus eigenem Antrieb ein Lied vorschlägt, ein Gebet spricht oder einen Abschnitt aus der Schrift vorliest, ohne durch den Heiligen Geist geleitet zu werden. Durch seinen Dienst in der Versammlung bekennt der Bruder, daß er vom Heiligen Geist geleitet oder angetrieben worden sei. Ist das Bekenntnis unwahr, dann begeht er eine vermessene Handlung, er sündigt gegen den Herrn. Wer ein wenig Verständnis darüber hat, was Gemeinschaft ist, der wird auch wissen, wie schwierig es ist, ein Lied vorzuschlagen oder ein Gebet zu sprechen, das vor Gott den wahren Zustand der Versammlung und ihren Bedürfnissen Ausdruck gibt. Wer könnte dies tun ohne die unmittelbare Leitung des Heiligen Geistes?

Die ganze Versammlung hat die Verantwortlichkeit, darüber zu wachen, daß der Dienst in Abhängigkeit ausgeübt wird. Wenn sie dies nicht tut und alles gehen läßt, ohne die Schuldigen in Liebe und Weisheit und Gnade züi ermahnen, dann wird der Dienst nicht zur Auferbauung, sondern zum Unsegen sein.

Jeder vom Heiligen Geist begabte Bruder, der in Gottesfurcht wandelt, soll Gelegenheit haben, Seine Gabe auszuüben. Dient er im Segen, dann wird die Versammlung ihn ermuntern, auch an anderen Orten tätig zu sein. Denn die Gabe ist nicht nur für eine örtliche Versammlung, sondern für den ganzen Leib gegeben.

Sehr zu beklagen ist es, wenn ein Bruder mit einer besonderen Gabe in der örtlichen Versammlung stets den ganzen Dienst übernimmt und Brüder mit geringerer Begabung nicht zu Wort kommen läßt. Hier. gilt das Wort des Apostels: „Ein jeder sehe nicht auf das Seinige, sondern ein jeder auch auf das der anderen“, d. h. jeder soll die Gabe des anderen achten und zur Ausübung kommen lassen. Dies wird auch geschehen, wenn der begabtere Bruder nicht von sich erfüllt ist und in Abhängigkeit den Dienst ausübt. Wenn auch eine lieblose Kritik sehr zu verurteilen ist, so wäre in diesem Falle die Versammlung gezwungen, den Bruder in aller Liebe zu ermahnen, obiges Wort an die Philipper zu beherzigen.

II.

Schon im ersten Teil unserer Betrachtung ist dargelegt worden, daß Christus die Gaben für Seinen Leib gegeben hat. Niemals aber können wir aber irgendwo den ganzen Leib darstellen, sondern immer nur einen Bruchteil. Selbst wenn die Kirche noch wie zur Zeit der Apostel eine sichtbare Einheit darstellte, so könnte es doch der Fall sein, daß an einem Orte kein Evangelist in der Versammlung sei, an einem anderen Orte kein Hirte oder Lehrer. Heute, wo die Kirche zerspalten ist, wird dies erst recht der Fall sein. Christus trägt aber Sorge für Seinen Leib und gibt ihm die notwendigen und nützlichen Gaben. Alle Gläubigen zusammen bilden an einem Ort die Kirche oder Versammlung. So kann es denn sein, daß unter denen, die im Namen Jesu zusammenkommen, wenig oder gar keine Gaben sind, während sie in den an jenem Orte befindlichen Gemeinschaften, sei es eine landeskirchliche, oder seien es Methodisten oder Baptisten, reichlich zu finden sind. Aber auch umgekehrt.

Wenn man nun in der gottgewollten Weise, also im Namen Jesu, zusammenkommt, so will dies nicht sagen, daß dadurch die Gaben auch vermehrt werden. Ein Bruder, den der Herrr nicht zum Evangelisten, Hirten oder Lehrer bestimmt hat, wird es auch dann nicht werden, wenn er sich mit denen versammelt, die im Namen Jesu zusammenkommen, wo also die Gegenwart des Geistes und die Freiheit des Dienstes anerkannt ist. Niemals wird es zur Auferbauung der Versammlung dienen, wenn die, welchen der Herr keine Gabe gegeben hat, sich dennoch eine solche Stellung anmaßen und einen derartigen Dienst ausüben; vielmehr wird es nur Verwirrung bringen. „Gott (aber) ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens, wie in allen Versammlungen der Heiligen“ (l. Kor. 14, 33).

Die Schwierigkeiten betreffs der Gaben und des Dienstes kommen nur da vor, wo man sich in rechter Weise nach dem Wort versammelt. Wo dagegen alles schon im voraus !durch eine Kirchenordnung festgelegt ist, da geht alles nach der Schablone seinen Gang. So liebt es der unbekehrte Mensch, auch der Gläubige, wenn er nicht geistlich ist. Gott aber will alle Heiligen beständig in Übung halten. Der Dienst soll in der Gemeinschaft mit Ihm geschehen und nach Seinem Worte. Dies bringt aber die Versammlung in Übungen, die dem Fleische sehr unbehaglich sind, weil es die Ruhe und die Bequemlichkeit liebt. Es fällt ihm daher nicht schwer, ein Opfer an Geld für eine angestellte Person zu bringen, wenn es damit der Verantwortlichkeit enthoben ist.

Es sei nun noch etwas gesagt über den Unterschied zwischen Gottesdienst und Dienst. Beim Gottesdienst redet der Gläubige mit Gott und bringt Ihm Lob, Dank und Anbetung; beim bloßen Dienst aber redet Gott mit dem Menschen durch Seine Diener, die das Wort verkündigen.

Das Recht, Gottesdienst auszuüben, hat jeder Gläubige; es ist ihm verliehen durch die Gnade Gottes, der ihn würdig gemacht hat zu diesem Dienst auf Grund des vergossenen Blutes Christi.

Zum Dienst in der Versammlung hat nur der Gläubige das Recht, dem der Herr eine Gabe für diesen Dienst verliehen hat. Jeder gottesfürchtige Bruder hat das Recht, ein Lied vorzuschlagen, ein Gebet und eine Danksagung zu sprechen. Dies soll man nicht nur von denen erwarten, die eine Gabe zum Dienst haben. Allerdings muß der Heilige Geist es dem Bruder aufs Herz legen, der Mund der Versammlung zu sein und die Danksagung oder das Gebet vor Gott zu bringen oder ein Lied vorzuschlagen, wodurch die wirklichen Wünsche, Gefühle und Bedürfnisse der Versammlung zum Ausdruck gebracht werden.

Wenn wir nun einerseits festhalten, daß der Heilige Geist allein das Recht hat, die Gaben für den Dienst zu bestimmen und sie in der Versammlung zur Ausübung des Dienstes zu veranlassen, so ist andererseits bei der Freiheit des Dienstes Gefahr vorhanden, daß jemand voreilig und selbstgefällig sein, oder kurz, daß er ohne die Leitung des Geistes handeln kann. Der Heilige Geist hat die Freiheit, den einen Bruder zu veranlassen, ein Lied vorzuschlagen, den andern, ein Gebet zu sprechen, und einen dritten, zu lehren und zu ermahnen. Da wir aber Menschen sind, die noch das Fleisch, die angeerbte böse Natur, in sich haben, so ist die Möglichkeit gegeben, daß jemand anstatt vom Geiste, sich von seinem Fleische leiten läßt. Er kann ein Lied vorschlagen, weil ihm die Melodie gut gefällt, oder beten, weil seine Person in den Vordergrund treten will, ja, er kann sich anmaßen, zu lehren und zu ermahnen, weil er sich gerne selbst hört. Hier wäre die Quelle des Dienstes das Fleisch. Wie traurig und wie betrübend für Gott, wenn das Fleisch zur Auswirkung kommt, von dem Er sagt, daß es „nichts nützt“, ja, daß es böse, verderbt und seine Gesinnung Feindschaft wider Gott ist. Christus mußte dafür sterben: in Seinem Tode ist es gerichtet worden. Nun soll der Gläubige sich der Sünde für tot halten. Für jeden Diener ist es wichtig aus welcher Quelle er schöpft, und alle Heiligen sind verpflichtet zu urteilen, ob der Geist oder das Fleisch zur Geltung kommt. „Prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind“ (l. Joh. 4, 1).

Da keinem Bruder ein Hindernis im Wege steht zu dienen, so liegt es nahe, daß jemand, der seinem Fleische keine Zügel anlegen will, diese Freiheit benutzt, ein Lied vorzuschlagen, eine Danksagung zu sprechen oder einen Abschnitt vorzulesen und darüber zu reden. Da könnte es denn z. B. beim Zusammenkommen am Tische des Herrn vorkommen, daß viel gesungen und vorgelesen würde, aber kein geistlicher Bruder Raum fände für eine Gott wohlgefällige Danksagung. Dies wäre sehr zu beklagen. Und was würde Gott von einem solchen Gottesdienst denken? Sein Herz würde sicher betrübt sein und alle geistlich gerichteten Seelen auch. In einem solchen Falle muß von einsichtsvollen Brüdern gehandelt werden, damit sich eine derartige Handlungsweise nicht wiederholt. Dies kann geschehen, indem man in einem Kreise von Brüdern in Liebe darüber redet und die Schuldigen in Liebe ermahnt.

Man soll auch nicht denken, wenn beim Zusammenkommen der Heiligen eine Stille eintritt, dieser müsse man ein Ende machen. Diese Gefahr entsteht besonders dann, wenn fremde Personen anwesend sind, von denen    man annimmt, daß sie die Stille als unpassend und unbehaglich finden. Es kann sein, daß die Versammlung durch diese Stille in ihrer Armut offenbar wird, und dann sollen alle Heiligen sich demütigen; ist sie aber vom Herrn, so wird sie sicher zur Erbauung dienen, indem jede Seele Gelegenheit hat, sich mit dem Herrn zu beschäftigen.

Weiter besteht die Gefahr, ein Lied oder einen Abschnitt aus dem Worte Gottes vorzuschlagen, die dem betreffenden Bruder einmal zum Segen waren, indem er der Meinung ist, sie müßten auch in der gegebenen Stunde allen Heiligen zum Segen sein. Wenn‑dies der leitende Gedanke ist, dann geht man sicher irre. Das Lied oder der Abschnitt aus der Schrift sollen doch den Bedürfnissen und dem Zustand der Heiligen entsprechen. Damals, als das Lied oder das betreffende Wort zum Segen gereichten, lag vielleicht ein gewisser Druck oder eine Schwierigkeit vor, und Gott benutzte das Lied und das Wort zu meiner Ermunterung und Tröstung. Deshalb soll ich aber zu einer anderen Zeit die Versammlung nicht in meine zurückliegenden Schwierigkeiten und traurigen Umstände hineinziehen, vielmehr dem Geiste die Wahl des Liedes und des Wortes und mich ganz Seiner Leitung überlassen, damit Er dem Zustand und den Bedürfnissen der Versammlung entsprechend handeln kann.

Man hat die Erfahrung gemacht, daß Brüder, die unter einem Druck standen, sich dieser Bürde in der Gebetsstunde zu entledigen suchten. Dabei wurde die ganze Versammlung in ihren Zustand hineingezogen. Die persönliche Bitte für eine Schwierigkeit und Bürde gehört ins Kämmerlein, aber nicht in die Gebetsstunde der Heiligen.

Um als der Mund der Versammlung zu dienen und die Gefühle, kurz, den Zustand aller Heiligen vor Gott zum Ausdruck zu bringen, muß der betreffende Bruder sich mit ihnen einsmachen. Der Gottesdienst kann nur dann wahr und aufrichtig sein, wenn er der treue Ausdruck des Zustandes und der Gefühle derer ist, die jeweils zusammengekommen sind. Im allgemeinen kann man sagen, daß Gott einen höheren Ton hat hören lassen, der in allen Herzen einen Widerhall fand und dadurch dem Gottesdienst einen erhabeneren Charakter verlieh. Aber einen ganz peinlichen Eindruck erweckt es, wenn der Zustand der Versammlung so niedrig ist, daß er dem warmen, herzlichen Ausdruck des Lobes, das ein geistlicher Bruder vor Gott bringt, nicht entspricht, da die übrigen Geschwister kalt, traurig und in ihren Gedanken zerstreut sind.

Anders ist es dagegen beim Dienst. Dieser ist durch unseren Zustand nicht beschränkt. Hier kann uns Gott, da Er zu uns redet, Wahrheiten verkündigen, die wir vielleicht noch nie gehört haben oder die wenigstens aufgehört hatten, mit einer solchen Macht auf uns zu wirken. Darum muß der Heilige Geist bei allem unser Leiter sein.

Notwendig für den Dienst ist die Liebe zum Herrn und die Kenntnis des Wortes. Aus der Liebe zu Ihm ergibt sich dann auch die Liebe zu den Heiligen und zu den Sündern. Paulus konnte von sich persönlich und von seinen Mitarbeitern sagen: „Die Liebe des Christus drängt uns“ (2. Kor. 5, 14). Nicht die Eitelkeit, nicht die Macht der Gewohnheit, auch nicht die Ungeduld, die die Ruhe nicht ertragen kann, sondern die Liebe zum Herrn sollte die Triebfeder zum Dienst sein. Und was das Wort Gottes betrifft, so schreibt Paulus an Timotheus: „Und was du von mir in Gegenwart vieler Zeugen gehört hast, das vertraue treuen Männern an, welche tüchtig sein werden, auch andere    zu lehren“ (2. Tim. 2, 2). Der Älteste oder Aufseher sollte folgende Eigenschaften haben: „Anhangend dem zuverlässigen Worte nach der Lehre, auf daß er fähig sei, sowohl mit der gesunden Lehre zu ermahnen, als auch die Widersprechenden zu überführen“ (Tit. 1, 9).

Weiter sollten wir ein tiefes Gefühl über unsere Verantwortlichkeit besitzen. Wenn jemand redet, so rede er als Aussprüche Gottes. Darunter ist nicht nur zu verstehen, daß er genau nach der Lehre der Schrift rede, sondern daß seine mitgeteilten Gedanken als Aussprüche Gottes an die Versammlung empfunden werden, wie Er sie dem Zustand der Versammlung entsprechend geben will.

Es ist möglich, daß jemand gar keine oder nur wenig menschliche Erkenntnis besitzt und unfähig ist, sich in einer schönen und immer grammatisch richtigen Weise auszudrücken, und doch ein guter Diener Christi ist. Aber es ist nötig, daß der Diener einen Geist der Besonnenheit habe und sich z. B. im Gebet nicht an den Vater wendet und nachher fortfährt, daß er auf Golgatha gestorben sei, oder sich an Christum wendet und hernach sagt, er habe Seinen Sohn dahingegeben. Dies wäre kein Gebet geleitet durch den Geist.

Wo wahre Frömmigkeit und Unterwürfigkeit unter den Heiligen Geist ist, da wird der Gottesdienst und der Dienst zur Ehre Gottes und zum Segen für die Hörer ausgeübt. Da wird man auch nicht lieblos kritisieren, wohl aber die schwachen Brüder, von denen man Weiß, daß sie eine Gabe vom Herrn empfangen haben und gottesfürchtig sind, zum Dienst ermuntern, sowie auch die, welche keine Gabe haben, aber doch in Treue vor dem Herrn wandeln, ermuntern, an der Danksagung und am Gebet sich zu beteiligen. Sehr zu beklagen ist es, wenn Brüder, die jahrelang die Versammlung besuchen, nie ein Lied vorschlagen oder ein Gebet sprechen. Hier liegt meist ein Mangel an Treue und geistlicher Gesinnung vor. Der Herr wolle geben, daß alle Erlösten beim Zusammenkommen mit ihrem Herzen und Gewissen vor Gott sind, um das Ihm Wohlgefällige zu tun zur Ehre Seines Namens und zum Segen für die Heiligen und für die Unbekehrten, auf daß, wenn ein Ungläubiger oder Unkundiger hereinkommt, von allen überführt, von allen beurteilt wird, ja, daß das Verborgene seines Herzens offenbar wird, und er also, auf sein Angesicht fallend, Gott anbeten und verkündigen wird, daß Gott wirklich unter ihnen ist (l. Kor. 14, 24. 25).