Elliot Elisabeth, Wege durch das Leiden

09/09/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Geknickt und abgebrochen von den Stürmen

»Die Samenkapsel hat keine eigene Tendenz mehr. Sie wartet nur auf eine Gelegenheit, abzufallen. Ihre Bestimmung ist erfüllt, wenn der Wind die letzten Samen verstreut hat und die welken Blütenstengel von den Herbststürmen geknickt und abgerissen sind. Die Samenkapsel gibt nicht nur alles, was sie hat, sondern ist schließlich selbst verbraucht.«
Als erste Missionarin Algeriens fühlte sich Lilias Trotter oft hilflos und stumm angesichts der immensen Aufgabe, das Evangelium durch diese öden Wüsten zu den zahllosen Meinen Dörfern zu bringen, die zwischen den Sandhügeln versteckt lagen. Nach sieben Jahren kehrte sie in die Heimat zurück. Sie fühlte sich so erschöpft, daß sie »Wochen zum Beten« brauchte. »Doch im Augenblick scheine ich nicht einmal in der Lage zu sein, mich aufs Gebet oder etwas anderes konzentrieren zu können. Ich vegetiere nur so dahin. Manchmal schreibe ich in mein Tagebuch und übertrage Bilder von sehr flüchtigen Skizzen und dazugehörige Bemerkungen hinein. Auf einem Kamelrücken sitzend hatte ich sie einst in meinem Meinen Notizbuch festgehalten oder auch in seltenen freien Augen-bücken, während das Abendessen kochte oder die Tiere getränkt wurden.«


Lilias' Arzt war der Ansicht, daß ihr Herz und ihre Nerven durch die Anstrengungen und das Klima erschöpft seien. Während eines Schirokkos (eines heißen, drückenden, staubgeschwängerten
Windes aus der libyschen Wüste) hatte sie einmal eine Rekordtemperatur von 47 Grad Celsius im Schatten festgestellt. Zusär7lich zu diesen physischen Belastungen kam der Eindruck, daß sie es mit bösen Mächten und geistlichen Angriffen zu tun hatte. Viele, die in Gegenden, wo das Licht des Evangeliums jahrhundertelang nicht geschienen hatte, gegen die Herrschaft der Finsternis angegangen sind, bezeugen diese Realität. Sie bekamen die Feindschaft dieser Kräfte und ihre fast greifbare Macht zu spüren, die ihnen entgegenschlug.
An einem Platz in England - Morley Hall - beschrieb Lilias dann ein »wunderbares Empfinden von dem, was es heißt 'mit Christus begraben< zu sein. Nicht nur 'tot<, sondern 'begraben<, im Grab zur Ruhe gebracht sein. Das 'ich kann< und das 'ich kann nicht< nebeneinander in der Stille 'eines Grabes neben Ihm< mit Gottes Siegel auf dem Stein und seiner Wache davor, so daß nichts außer dem Auferstehungsleben Jesu hervorkommen durfte. «

Da gerade Herbstzeit war, beobachtete sie die Eicheln, die draußen vor ihrer Unterkunft auf die Straße fielen. Sie dachte darüber nach, daß diese Samen niemals zu einer Entfaltung kommen würden, weil sie nur aufdem Boden lagen und nicht in ihm Sie lieferte sich: ganz neu Christus aus, um mit ihm zu sterben. Sie wollte ein Weizenkorn sein, das in den Boden hineinfiel.
Als sie an ihre Missionsarbeit zurückkehrte, traf sie Schlag auf Schlag. Zwei Bräute, junge Mädchen von fünfzehn und sechzehn Jahren, die sich dem Christentum zugewandt hatten, starben an einem ganz langsam wirkenden Gift. Zweifellos war es ihnen von Feinden des Evangeliums verabreicht worden. Ein Mädchen, das sich bekehrt hatte und schon jahrelang Treue im Glauben bewiesen hatte, geriet unter die Gewalt einer Zaubern und wollte plöt71ich mit den Missionaren nichts mehr zu tun haben. Schlimme Drogen wurden eingesetzt, um andere Bekehrte aufzuwiegeln. Obwohl mensch-licherseits nichts Mutmachendes zu erkennen war, kehrte Lilias Trotter doch immer wieder zu den Gleichnissen zurück, die die Natur um sie herum sie erkennen ließ.
»Angesichts dieses trostlosen Himmels und des kalten Windes haben vier kleine Schneeglöckchen in den letzten zwei oder drei Tagen ihre Köpfchen aus der Erde erhoben. Und heute hat nun eins von ihnen sich aufgerichtet; rein und furchtlos steht es da auf seinem Stiel, mit der ganzen Verheißung des Frühlings.«
Lilias Trotter kannte die Kraft des Gebetes, die alle Grenzen äußerer Möglichkeiten sprengte. Während sie an die '>lieben schmutzigen Hütten von Tolga, die runden Dächer der Souf, die hufeisenförmigen Bogengänge von Tozeur und die ziegelgedeckten kleinen Häuschen hinter stacheligen Birnenhecken in den Hügeln« und ihre Ohnmacht, sie aufzusuchen, dachte (ihr und ihren Mitarbeitern war es verboten worden, in den Süden des Landes zu gehen), erfüllte sie eine intensive Freude, für sie alle zu beten. Sie glaubte fest, daß sie durch dieses Medium nachdrücklicher »das Wirken des Heiligen Geistes auslösen« könne, als wenn man ihr erlaubt hätte, selbst dort aufzutreten.

 "Man kann beim Beten die Tür schließen und allein vor Gott stehen, wie es nicht möglich ist bei all den bedrängenden äußeren Ablenkungen aus dem Bereich des Sichtbaren.« Der Gedanke an das unbeantwortete Gebet Moses, der das gelobte Land nicht betreten konnte, tröstete sie. Jahrhunderte später durfte er dann mit Jesus selbst dort auf dem Berg stehen. Und dann war da Elia, dessen Wunsch zu sterben abgelehnt wurde. Aber er erfuhr die Herrlichkeit des feurigen Wagens, als Gottes Zeit kam, ihn zu sich zu rufen.
Wie die Stengel der Blumen, war Lilias Trotter durch viele Stürme geknickt worden. Sie hoffte nichts mehr für sich selbst, sondern nur noch darauf, zu »geben und hingegeben zu werden«, ihr Leben durch Verlieren und nicht durch Gewinnen bestimmen zu lassen, zum Brot zu werden, das gebrochen und zum Wein, der ausgegossen werden würde.
Samuel Zwemer, ein anderer Missionar in Nordafrika, beschrieb einmal, was auch für Lilias Trotters Leben gelten konnte: »Zufrieden sein damit, länger als eine Generation in der Verkündigung des Evangeliums auszuharren, wo es so wenig sichtbare Ergebnisse gibt, ist ein Heroismus höchsten Grades, ein Heroismus, der nicht von dieser Welt stammt« (»The Love that Was Stronger«, 1. R. Govan Stewart).

Der Same muß aufbrechen, um die neuen Triebe hervorkommen zu lassen. Die Blattknospe muß sich öffnen, damit das Blatt wachsen kann. Die Blütenknospe springt auf, um der Blüte die Entfaltung zu ermöglichen, und die.Blütenblätter schließlich fallen ab, damit die Frucht gebildet werden kann. So wird in dem wunderbaren Kreislauf, den der Schöpfer einrichtete, der Sinn jedes einzelnen Teils dieser Schöpfung erfüllt. Der Menschensohn verließ die Herrlichkeit des Himmels, um den Plan des Vaters zu erfüllen: »Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet. « (a. Kor 8.9)
Er ruft uns alle zum Armwerden auf - zu jener totalen Selbstentäußerung, die die Loslösung von allem bedeutet, was die Welt zu bieten hat. Manche beruft er zur Armut im engeren Sinn, daß sie nämlich ohne Geld und Besitz leben sollen. Geld entfaltet eine furchtbare Macht, wenn man es liebt. Es kann uns blind machen, uns fesseln, uns mit Angst und Furcht quälen, unsere Tage und Nachte. mit Elend erfüllen und uns total erschöpfen, wenn wir danach jagen. Die mazedonischen Christen, die wenig davon besaßen, akzeptierten ihr Schicksal im Glauben und Vertrauen. »Denn ihre Freude war überschwenglich, als sie durch viel Bedrängnis bewährt wurden, und obwohl sie sehr arm sind, haben sie doch reichlich gegeben in aller Einfalt.« (2. Kor 8,2) Sie waren der lebendige Beweis dafür, daß Großzügigkeit nicht von Armut oder Reichtum abhängt. 

Und manchmal sind die finanziell Armsten am ehesten bereit, mit anderen zu teilen. »... und haben uns mit vielem Zureden gebeten, daß sie mithelfen dürften an der Wohltat und der Gemeinschaft des Dienstes für die Heiligen.« (z. Kor 8,4)
Vielleicht werden wir aber auch dazu berufen, eine andere Art von Armut zu akzeptieren - etwas, dis andere gar nicht bemerken. 1 ilias Trotter konnte keine beeindruckenden Ergebnisse ihrer missionarischen Arbeit vorweisen, wenn man sie mit aufregenden Berichten, die gleichzeitig aus anderen Ländern kamen, verglich. Diese Armut hatte sie akzeptiert, das »Begrabensein« mit Christus, in einem versiegelten Grab, wie sie sagte, so daß nichts als das Leben des auferstandenen Herrn Jesus sichtbar werden sollte.
Eine Gruppe von Sonntagsschulleitern (zu denen auch mein Großvater gehörte und die mein damals neunjähriger Vater begleiten durfte) besuchte Lilias Trotter im Jahr 1907 und bat, etwas von ihrer Arbeit sehen zu dürfen.
»Unser erstes Empfinden war reine Bestürzung«, schrieb Miss Trottet »Was konnten wir ihnen in einer Stunde zeigen? Und dann: was hatten wir überhaupt, um es Amerikanern mit ihren großartigen Ideen und ihrem scharfen Geschäftssinn vorzuführen? Keine Krankenhäuser, keine Schulen, wenig Organisation und keine Resultate, über die man nach zwanzigjährigem Kampf in Algerien hätte sprechen können. Dann kam mir das lösende Wort in einem alten Spruch: 'Schwierigkeiten sind die Atmosphäre, in der Wunder geschehen<. Wir brachten das Problem vor Gott, und während wir beteten, entfalteten sich die Umrisse eines Programms. Wir beschlossen, ganz aufrichtig zu sein und nicht mit irgend etwas aufzuwarten, was wir getan hatten, sondern das zu zeigen, was noch nicht geschafft worden war. Wir trauten Gott zu, daß er unsere ganze Ohnmacht und Schwachheit benutzen könnte.«

Der Tag kam herbei, und der Führer der Gruppe erinnerte Miss Trotter daran, daß sie nur eine einzige Stunde zur Verfügung hätten. Doch diese Zeit wurde bei weitem überzogen, als Lilias Trot-ter ihnen dann die Karten zeigte, die sie auf ihrem Hof rund herum ausgelegt hatte. Diese wiesen »erbärmlich dünne Linien von Stationen auf und einen noch trübseliger anmutenden Bericht über einmal besuchte Plätze, die mit winzigen roten Fähnchen markiert waren, und die später wieder ihrer Dunkelheit überlassen blieben. Dazu kamen ein paar Fotos mit n±leiderregenden Gesichtern aus den Stämmen im Inland u ä. - von Menschen ohne Gott.«
Und was kam dabei heraus?
Bevor das Schiff, das die Amerikaner wieder entführte, Neapel erreichte, hatten sie bereits genug Geld beisammen, um sechs Missionare drei Jahre lang zu unterhalten. Die Algerische Missionsgesellschaft war gegründet worden, und in Amerika bildete sich ein Komitee zur Betreuung der Arbeit.
Gott hatte gerade die absolute Schwachheit der ganzen Sache benutzt. Die ganz neue Hingabe, die sie in Morley Hall in England vollzogen hatte, um ganz »mit Christus begraben« zu sein, hafte Lilias Trotter für die Tr*gödien vorbereitet, denen sie gegenüber- stand, als sie auf ihr Arbeitsfeld zurückkehrte. Doch das war nicht das Ende der Geschichte Gottes mit ihr. Dem Tod folgte die Auferstehung, wie es bei den Blumen und den Kindern Gottes immer zu gehen pflegt - zu Gottes Zeit.
Copyright 1990 Hännssler-Verlag

Kommentare

Keine Beiträge gefunden.

Rezension verfassen