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Bestell-Nr.: BN4283-20
Autor/in: Leontine von Winterfeld-Platen
Titel: Das große Ja
Preis: 5,00 €
Format: 19 x 12,5 cm
Seiten: 250
Gewicht: 330 g
Verlag: Otto Bauer Verlag
Erschienen: 1964
Einband: Leinen mit Schutzumschlag
Sprache: Deutsch
Zustand: leichte Gebrauchsspuren
Kurzinfo: Leontine von Winterfeld-Platen DAS GROSSE JA
Dem Buch ist der Leitgedanke zugrundegelegt: „Ich wuchs an allem, was mir ward.«
Die Schilderung von Gegenwartsschicksalen verbindet sich mit sinnvoller Führung, tröstlicher Gewißheit und bestimmter Gläubigkeit. Die Lebensgeschichte von Annemarie Knudsen enthält manche Ansätze zur Bewältigung von Ehe-und Familienproblemen. Im Gespräch mit einem um seinen bekümmerten Sohn besorgten Vater äußert Annemarie unter anderem: „Ein ordentliches, tüchtiges Mädchen lieben und heiraten, das wird die beste Medizin für alle ‚Seelenleiden' des Jungen sein. Wie der hoffende Vater wohl auf diesen Ausspruch reagiert hat?
Besonders verbunden ist das „Annmiken" mit Vater und Sohn Güldenwang, mit Mutter und Sohn Sören und mit dem originellen, umsorgten und geliebten Pastor Cmmle. Möglichkeiten eröffnen sich, die aber nicht auf bequeme Wege führen, sondern die die ganze Person fordern. Es stimmt dankbar, wenn man liest, wie das Leben der starken, zuversichtlichen und selbstlosen Annemarie endlich zur wirklichen Erfüllung geführt wird.
OTTO BAUER VERLAG STUTTGART-SILLENBUCH
In Schwarzburg blühen die Kastanien, und auf der ganzen, langen Straße von Blankenburg her, die Schwarza entlang, ist ein Jubeln und Singen, ein Knospen und Duften, als hätte nur auf diesem Wege allein der Frühling seinen Einzug gehalten. Und nun hebt sich über das Vogelsingen ein reiner, heller Klang aus jungen Menschenkehlen:
„Wer recht in Freuden wandern will, der geh' der Sonn' entgegen, da ist der Wald so kirchenstill, kein Lüftchen mag sich regen." -
Sie gehen alle drei in gleichmäßigem Marschtempo, den Rucksack auf dem Rücken. Als das Lied zu Ende ist, bleibt das Mädchen aufatmend stehen.
„0 Kinder, wie wunderschön ist das! Hier möchte ich wohl wohnen - immer und immer."
Sie lehnt sich an den Fels zur Rechten und sieht in den knospenden Buchenwald jenseits der Schwarza, wo die Drosseln schlagen.
„Nein, Annemarie, immer wohnen möchte ich da nicht. Ich würde Heimweh bekommen nach unserer Wasserkante, nach der See und der Heide und den Dünen."
Langsam setzt sich der Sprechende auf die hölzerne Bank und faltet die Hände zwischen den Knien. Er hat ein schmales, scharfgeschnittenes Gesicht und dichtes, blondes Haar. Seine Augen sind leuchtend und klar wie die eines Kindes und von einer tiefen, unbestimmten Farbe. Um seinen Mund liegt meist ein versonnenes Lächeln, das ihm etwas Anziehendes verleiht.
Erich Knudsen, Annemaries Bruder, setzt sich neben ihn und schlägt ihm lachend auf die Schulter.
„Ach, Klaus, nun laß doch mal deine alte, graue Nordsee und freue dich an Thüringens Maienpracht. Wenn wir erst beide wieder im Hörsaal sitzen, werden wir uns noch zurücksehnen in dieses liebliche Tal."
Annemarie nickt.
„Wie die Schwarza murmelt und schäumt! Ihr Wasser ist so grün und klar wie durchsichtiges Kristall. Ach, was wandern wir hier eigentlich mit schweren Schuhen auf der staubigen Straße!"
Sie springt auf und läuft den grasigen Abhang hinunter ans Ufer. Da zieht sie sich schnell Schuhe und Strümpfe aus und rafft ihr Kleid zusammen. Behutsam schreitet sie hinein in das blitzende Wasser und läßt es über ihre nackten Füße gleiten.
„Oh, ist das schön! Ich gehe hier unten nach Schwarzburg weiter. Schuhe und Strümpfe kommen in den Rucksack, so. Ich kann euch nur raten, ihr beiden da oben, macht es ebenso!"
Erich Knudsen und sein Freund lassen sich nicht lange bitten, und bald stapfen alle drei barfuß ihrem Ziele zu.
Es ist in den Pfingstferien, da haben sie auf wenige Tage den Ausflug nach Thüringen unternommen. Erich Knudsen mit Schwester und Freund, und des Freundes
Mutter ist auch dabei. Nur kann Frau Sören nicht mehr so weit zu Fuß wandern wie die Jugend. So benutzt sie denn gelegentlich die Bahn. Heute will sie die drei Wandervögel in Schwarzburg im „Weißen Hirsch" erwarten, wo man auch zu übernachten gedenkt.
Was für eine Frau ist eigentlich Frau Sören? Das fragt sich jeder, der sie kennenlernt. Denn man kommt nie gleich dahinter bei ihr, weil sie so anders ist als andere. Aber von ihren Augen geht ein Schein aus, der einem die Seele wärmt. Genau so wie bei ihrem Sohn Klaus. Sie trägt das graue Haar schlicht gescheitelt und ein schwarzes Häubchen darüber. Ihr Mann ist Pastor gewesen in dem kleinen Heidedörfchen Plichten, das hart an der See liegt. Nun hätte sie als Witwe eigentlich aus dem lieben, alten Pfarrhaus unter den breitästigen Linden ausziehen müssen. Und sie hatte sich schon davor gefürchtet, in der engen Stadt und einer dunklen Hinter-hauswohnung mit ihrem kleinen Klaus leben zu müssen. Aber „die Olsch hat wieder Glück", sagten die Leute, und es war wirklich so. Der neue Pfarrer war unverheiratet und ein etwas eigentümlicher Sonderling. Der hatte sie gebeten, doch bei ihm wohnen zu bleiben und ihm die Wirtschaft zu führen, da er niemanden mehr habe auf der weiten Welt. Auch ihren Klaus solle sie bei sich behalten und er wolle ihn gerne unterrichten. Da hatte die junge Pfarrwitwe Linchen Sören mit Tränen in den Augen die Hände gefaltet und Gott aus tiefstem Herzen gedankt, daß sie nun nicht aus ihrem lieben Plichten fortbrauchte. Sie wurde dem alten Junggesellen eine treue und emsige Hauswirtin. „Uns' Sonnenhüsing" haben die Leute das Pfarrhaus getauft, und die Sonne darin ist noch immer Frau Line Sören.
An den Staketenzaun des großen Pfarrgartens grenzt noch ein anderes Haus. Das gehört dem Pächter Knud-sen, der die fettesten Kühe auf den Marschen hat und die vollsten Scheunen. Aber obgleich es viel schöner und stattlicher ist als das strohgedeckte Pfarrhaus, heißt es im Munde der Fischer und Tagelöhner nur „Donnerhüsing", denn viel donnernde Worte kann man von da berausschallen hören auf die stille Dorfstraße. Das ist die Heimat von Erich und Annemarie. Und man muß sich wundern, daß die beiden trotzdem noch so viel Frisches und Sonniges an sich haben. Klaus Sören und die Knudsens sind Spiel- und Schulkameraden gewesen von Kind an. Das Pförtchen im verwitterten, alten Holzzaun des Pfarrgartens, der die beiden Grundstücke trennt, ist wohl hundertmal an jedem Tage, den der Herrgott werden ließ, auf- und zugeknarrt, um die trippelnden Kinderfüßchen hindurchzulassen. Und die Freundschaft ist auch geblieben, als die beiden Knaben von zu Hause fort mußten zum Studium. Klaus studiert Medizin und Erich Landwirtschaft. Das hatten sie sich schon in der Jugend vorgenommen, und sie sind beide ihren Kinderwünschen treu geblieben.
*
Auf der großen, glasbedeckten Terrasse am „Weißen Hirsch« sitzt Mutter Sören mit ihren Schutzbefohlenen. Ganz prächtig schmeckt ihnen das Abendbrot nach dem langen Marsch, und in stiller Freude trinken ihre Augen das zauberschöne Bild der nebelumwogten
Hirschwiese zu ihren Füßen und der dämmrigen, bergansteigenden Wälderweiten, in deren Kranz wie ein vergessenes Dornröschenschloß die alte Schwarzburg ragt, die vor tausend Jahren dem Deutschen Reich einen Kaiser schenkte.
Sie sprechen wenig, denn Mund und Augen haben so viel zu tun. Die großen Glasfenster stehen weit offen und lassen den würzigen Duft von den Wiesen heraufsteigen.
Endlich holt Mutter Sören tief Atem und faltet beide Hände auf dem Tisch.
„Nein, Kinder, so herrlich hätte ich es mir doch nie gedacht. Man hat es doch wieder mal viel, viel zu gut, daß man so etwas Herrliches mit seinen eigenen Augen sehen darf! Eigentlich war es doch furchtbar leichtsinnig von mir, diese teure, weite Reise auf so kurze Zeit zu machen."
Klaus, der ihr gegenüber sitzt, streichelt ihr quer über den Tisch herüber beide Hände.
„Wie du nur redest, Mutterchen. Meinst du, ohne dich hätten wir anderen die Fahrt ins Thüringer Land unternommen? Ganz gewiß nicht. Und für mich gab's keine größere Freude als dein Mitkommen."
Annemarie nickt lächelnd.
»Ja, lange genug gebettelt haben wir darum, Mutter Sören, denn mit Erich und Klaus allein hätten mich die Eltern nicht ziehen lassen. Du kennst ja die Mutter."
Es steht eine feine Falte zwischen ihren Augenbrauen, als sie das sagt, und ihr Gesicht ist ein wenig traurig geworden.
Frau Sören sieht es und fährt ihr mit der Hand über das dichte, blonde Haar.
„Laß gut sein, Annmieken. Nun sind wir ja hier und wollen uns alle von ganzem Herzen über diese Gelegenheit freuen."
Klaus nickt.
„In wenigen Tagen muß ich wieder in die Stadt zurück. Da merkt man wenig vom Frühling und seiner Blütenpracht."
Annemarie sieht ihn versonnen an.
„Und wann kommst du ganz und für immer nach Plichten zurück, Klaus?"
Er lächelt.
„Oh, das hat noch ein Weilchen Zeit. Ein paar Jahre muß erst noch studiert und assistiert werden. Wenn ich dann so weit bin, will Doktor Mertens sich ja zur Ruhe setzen und mir seine Praxis überlassen. 0 Mutterchen, das Leben ist doch prächtig, wenn man so viel Lockendes vor sich sieht wie ich."
Erich zuckt die Achseln und trinkt sein Glas Bier aus.
„Ansichtssache, mein Klaus. Für mich hat dein blödsinniges Geochse auf der Universität sehr wenig Verlockendes. Und dann diese Aussicht: Immer nur mit kranken, überreizten, klapprigen Leuten zu tun zu haben! Schrecklich!«
Klaus lacht.
»Anderen helfen zu können muß doch das Schönste sein, was es gibt, Erich. Ich habe von Kind auf keinen anderen Gedanken gehabt, als Arzt zu werden. Nicht, Mutter?"
»Ja, mein Junge, das ist richtig. Es ist mir wohl zuerst schwer geworden, weil ich wünschte, du möchtest auch Pastor werden wie dein Vater und Großvater.
Aber schließlich kommt es ja auch gar nicht so auf den Beruf an. Es muß nur ein jeder auf seinem Posten Gottes Mitarbeiter sein."
Erich zündet sich eine Zigarette an.
„Du redest oft so pastörlich, Tante Sören. Das ist mir manchmal zu hoch. Du mußt mir darum nicht böse sein, daß ich das sage. Aber ich bin nun eben ein einfacher Kerl. Für solchen medizinischen Gelehrtenkram, wie Klaus ihn betreibt, passe ich nun schon gar nicht. Aber unseren Hof hab' ich gern. Und auf unseren Hof pass' ich hin. So zwischen Kühen und Pferden ist mir immer am wohlsten gewesen. Und wenn ich mal Vaters Pacht in Plichten übernehme, werden wir beide uns ja nicht ins Gehege kommen - was, alter Klaus?"
Annemarie atmet schwer und sieht an den anderen vorüber.
„Ich möchte auch etwas lernen und werden, etwas leisten und schaffen. Aber ich muß still daheim sitzen und darf ab und zu in Mutters Obstkeller die faulen Apfel herauslesen und morgens die frischen Eier aus dem Hühnerstall holen."
Die andern lachen, aber Mutter Sören schüttelt verweisend den grauen Kopf.
»Wie du nur wieder schwatzt, Annmieken. Was wollt ihr jungen Mädchen von heute eigentlich? Es ist doch wohl das Nächstliegende für solch junges Ding, daheim im Hause der Mutter zu helfen.«
Annemarie sieht starr vor sich hin.
„Ja, aber wenn man es nie und nie recht macht? Und von früh bis spät nur gescholten wird?"
»Ach, Annmieken, nun übertreib nicht! So schlimm ist es wirklich nicht. Und wenn man eine Mutter hat,
die leidend und reizbar ist, muß man eben doppelt geduldig sein."
Annemarie schüttelt traurig den blonden Kopf.
„Du kannst das nicht verstehen, Tante Sören, weil du eben so ganz, ganz anders bist als Mutter. Aber verzeih, ich will nicht so reden. Ich weiß, daß das nicht nett ist. Es ging nur eben so mit mir durch, wie Klaus und Erich Zukunftspläne machten."
Mutter Sören legt ihre abgearbeitete Hand über des Mädchens feine Rechte.
„Nun sieh mir mal klar und froh in die Augen, Kind. So. Siehst du, es geht noch. Und laß das Sorgen und Grübeln. Es hilft doch zu nichts. Mußt dem lieben Herrgott auch ein bißchen für dich zu tun übrig lassen. Und nun, denke ich, sagen wir uns ‚gute Nacht' und gehen alle schnell ins Bett, denn es ist schon sehr spät."
Und sie zieht den blonden Kopf des Mädchens zu sich herunter und küßt sie mütterlich auf die Stirn.
„Es geht alles!" sagt Klaus Sören und hebt seine Mutter aus dem breiten, niederen Fenster zu ebener Erde, das gleich links von der dunkelgrünen Eingangstür des Pfarrhauses liegt und zum Garten hinausführt. „Wenn Pastor Ummle in seinen tiefen Gedanken die Haustür abschließt und den Schlüssel mitnimmt, dann bleibt uns eben nichts anderes übrig, als durchs Fenster zu steigen wie die Spitzbuben. Aber mache nicht solch ängstliches Gesicht, Mütterchen, ich halte dich wirklich ganz fest, du kannst dich drauf verlassen."
Und der junge, kräftige Mensch trägt seine Mutter behutsam durch die blühenden Asternbeete bis auf den schön geharkten Kiesweg, wo er sie ganz sanft und vorsichtig niedersetzt und sie noch ein Weilchen, als sie schon lange steht, ganz fest an den Schultern hält und besorgt fragt: „Stehst du auch?"
Da muß Mutter Sören lachen über ihren großen Jungen und geht eilig einige kleine Schritte von ihm fort.
„Als ob ich ein ganz kleines Kind wäre, Klaus, das eben laufen lernt. Und dabei bin ich doch noch gar nicht so altersschwach, wie du tust. Aber was wird Pastor tJmmle sagen, daß wir seine Asternbeete zertreten haben. Sieh nur!"
Sie kniet eilig nieder und glättet vorsichtig mit den kleinen runzligen Händen die schwarze Gartenerde auf den Rabatten vor dem Fenster, wo Klaus' Stiefelabsätze tiefe Spuren hinterlassen haben.
Er lacht.
„Mach dir doch nicht so viel Mühe, Mütterchen. Das ist trmmles eigene Schuld. Warum ist er so vergeßlich und sperrt uns an solchem goldenen Spätsommernach-mittag ins Haus. Aber da kommt Frau Knudsen angejagt, und die bringt nie etwas Gutes. Also erschrick nicht, Mütterchen."
Durch die kleine Gartenpforte zwischen den beiden alten, tiefverschatteten Gärten hastet eine lange hagere Frau. Sie hat ein enges dunkles Kleid an. Das spärliche, graue Haar ist straff nach hinten gezogen und in Eile ein Tüchlein schief darüber geworfen. Das Gesicht mit der sehr großen, vorstehenden Nase und dem schmalen scharfen Mund hat eine ungesunde fleckige Farbe. Die
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