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Uhrmacherin in Haarlem Corrie wurde wegen judenfreundlicher Betätigung in die KZ-Lager Vught und Ravensbrück gebracht. Menschliches und unmenschliches gaben Stoff genug für ihre drastischen Schilderungen. Mit diesem Buch wurde Corrie ten Boom in Deutschland bekannt. Ihre Botschaft von der Vergebung leuchtet durch diesen authentischen Bericht, der in seinen vielen Auflagen trotz des Schreckens, den er beschreibt, ein wahres Trostbuch geworden ist.
Untertaucher wurden in der niederländischen Widerstandsbewegung die sich vor dem Zugriff der Gestapo versteckenden Juden und anderen jungen Menschen genannt. Im großen Wohnzimmer unseres Hauses in der «Barteljorisstraat» in Haarlem erklingt eine Violinsonate von Tartini. Andächtig, völlig versunken, lauschen die Zuhörer. Der Geiger ist ein junger Rechtsanwalt, der zu uns gekommen ist, weil er in seiner bisherigen Umgebung schwermütig wurde. Man sagt, daß unser Haus das vergnügteste von allen Unter-taucherverstecken in den Niederlanden ist. Allerdings herrschen hier Harmonie und Freude, wenn auch vermischt mit quälender Sorge und häufig gestört durch drohende Gefahr.
Der letzte Geigenstrich ist zart verklungen, und es ist einen Augenblick totenstill. Jetzt wird Eusie singen. Mit einem Male hören wir von weitem das Abwehrgeschütz. In den Straßen ertönt das freudlose Singen deutscher Soldaten.
Eusie steht am Klavier. Er ist jüdischer Vorsänger und hat eine herrliche Stimme. Er singt voller Hingabe, Sehnsucht, Auflehnung; tiefes Leid spricht aus seinem leidenschaftlichen Gesang. Es drückt sich darin der unsagbare Schmerz aus um alles, was sein geliebtes Volk erdulden muß. Nur eines kann er nicht: leise singen. Leider muß ich ihn bitten aufzuhören.
«Eusie, man hört dich auf der Straße. Diese Musik verrät jedem, daß Her Juden im Hause sind. Wenn du nicht leiser singen kannst, dann höre bitte auf.» Ich bedaure unendlich, der schönen Musik, die eine solch milde Trösterin ist, ein Ende machen zu müssen.
Eusie ist wie ein großes Kind. Es ist ihm unmöglich, sich vorzustellen, daß er durch sein Äußeres sofort als Jude zu erkennen ist und er infolgedessen für seine Umgebung wie für sich selbst eine große Gefahr bedeutet. Plötzlich ist die Stimmung gedrückt. Wann, o wann wird diese ständige Bedrohung ein Ende nehmen? Wann werden wir wieder frei sein und unser junges Leben genießen können?
Ich setze mich ans Klavier und intoniere ein Lied. Wir singen vierstimmig: «Kommt mit Gesang und süßen Tönen, laßt klingen frohes Saitenspiel.. .» Schön klingt es, obgleich nicht alle Stimmen geschult sind.
Alle sind mit der Seele dabei. Da, ganz plötzlich, werde ich weggerufen. Unten im Flur steht ein jüdisches Ehepaar, ängstlich wie gehetz%wre Sie bitten in- ständig um Obdach
Ich nehme sie mit ins Zimmer und setze ihnen heißen Kaffee vor. Des Mannes zitternde Hände verschütten ein wenig davon, er kann die Tasse kaum halten. Seine Zähne klappern, und er fängt an, verwirrt zu erzählen von allem, was er hat zurücklassen müssen: einen wertvollen Lederkoffer, Lebensmittel, Wäsche und wundervolle Perserteppiche. Sie hatten schon gute Unterkunft gehabt, aber heute abend waren sie gewarnt worden: sie seien verraten worden und der SD(Sicherheits-Dienst) suche nach ihnen.
«Selbstverständlich können Sie die Nacht hierbleiben, und dann werden wir morgen weitersehen. Wir werden schon für Sie sorgen. Versuchen Sie, jetzt keine Angst mehr zu haben. Es wird bestimmt alles gut werden!»
ich führe die beiden Menschen zu Vater ins Zimmer. Er versteht so gut zu trösten. Er liebt die Juden. Seit Generationen lebt diese Liebe für die Kinder Israels in unserer Familie.
Oben in der Wohnstube überlegen wir krampfhaft: Hans, der Student, kann im sogenannten «Engelkasten» schlafen. Das ist ein verborgener Wandschrank hinter einer blinden Mauer. Darin gibt es ein Luftloch, dessen kleine Luke wir offenstehen lassen können. Die neuangekommene Frau kann in Hansens Stübchen und der Mann bei den übrigen jungen Leuten schlafen. Aber neun Untertaucher kann unser Haus auf die Dauer nicht verbergen. Piet muß gleich fortgehen, um eine neue Adresse ausfindig zu machen.
Kurz vor zehn ist er wieder da. Leider war die Sucherei vergeblich gewesen: bei der einen Familie war alles schon vollbesetzt, bei der nächsten gab es Kinder, und da war es deshalb gefährlich, weil Kinder nicht dichthalten können. Anderswo wieder wohnten «N.S.B.er» direkt gegenüber?*)
Es gibt nun zwei neue Bekümmernisse, die wir beim Abendgebet vertrauensvoll auf den Herrn werfen. Er wird uns helfen. Am nächsten Morgen kommen sie alle, unsere heimlichen Mitarbeiter. Ich frage jeden, ob er nicht eine Unterkunft für ein jüdisches Ehepaar weiß Fred kennt eine Adresse, wo übermorgen Platz sein wird Erfreut gehe ich zu «Tante Mien» (so soll der neuangekommene Gast genannt werden), um die Neuigkeit zu erzählen. Sie sitzt mit Eusie und den übrigen in der Küche und schält Kartoffeln Henk, der Geiger, erzählt Witze Es geht sehr lustig zu Ganz anders als in den ersten Tagen von Henks Hiersein.
Da saß er stumm da, starr geradeaus blickend Er entpuppt sich jetzt als ein zwar ruhiger, aber doch heiterer Mensch, der durch seine vergnügten Einfälle oft schallendes Gelachter zu entfesseln weiß «Onkel Jan», «Tante Miens» Mann, hat sich mit seiner Pfeife zu Vater gesetzt Als ich erzähle, daß wir für übermorgen eine Adresse ausfindig gemacht haben, bitten sie beide, doch nur ja hierbleiben zu durfen. Leider geht es auf gar keinen Fall Ich überlasse es Betsie, meiner Schwester, sie zu überzeugen, und gehe rasch in den ersten Stock hinauf. So viele brauchen meinen Rat und Zuspruch!
Gibt es irgendwo Platz für ein jüdisches Kindchen?
Wo könnte ich nur grüne Ausweise bekommen?
Einer ist aus der Provinz Limburg gekommen. Er arbeitet mit vielen anderen jungen Männern und Frauen in einer Organisation, die für Hunderte von jüdischen Kindern sorgt.
Eines der jungen Mädchen hat acht kleine Psychopathen verschiedener Altersstufen untergebracht. Es ist aber gefährlich, sie in ihrer kleinen Wohnung zu halten. «Gibt es einen Nervenarzt, den du um Rat fragen kannst? Gut, bitte ihn, ein ärztliches Gutachten auszuschreiben, dann werde ich dafür sorgen, daß die Kinder in Anstalten kommen, wo sie hingehören.»
Es geht heute wieder sehr lebhaft zu. Probleme ohne Zahl türmen sich vor uns auf. Eine jüdische Frau steht knapp vor der Entbindung ich muß versuchen, sie sofort in die Klinik aufnehmen zu lassen Ein Kind hat Diphtherie bekommen Ein Mann ist gestorben und es muß eine heimliche Bestattung ermöglicht werden.
An diesem Tage sende ich Kuriere nach Limburg, Friesland: und nach der Stadt Enschede. Wie schwierig und gefährlich die Fahrten unter den obwaltenden Umständen sind, weiß nur der, der solche Reisen hat machen müssen.
Mein Zimmer gleicht einem Bienerkorb, Ich kombiniere Nachfrage und Angebot «Sie haben 224 Adresse für einen Säugling? Wunderbar! Besprechen sie sich mit Miene Sie ist eben mit einem vordringlich zu erledigenden Fall beschäftigt und braucht dringend Ausweise Dick da kannst du raten und helfen› «Noch zwanzig Lebensmittelkarten? Selbstverstandlich, wird sofort erledigt Jaap, bitte, hole du schnell 25 Karten, du weißt schon wo Mien wird nachher noch fünf weitere holen.» Unser Lebensmittelkartenvorrat ist gut versteckt in einem Loch unter der Treppe, wo keiner auch nur ein heimliches Versteck vermuten wurde
In einem Schuppen in der Nahe eines Tennisplatzes liegt ein schwerkranker Mann Man hat ihn dort untergebracht, weil sein Gastgeber verhaftet wurde Er selbst entging mit knapper Not dem gleichen Schicksal Abends wird dort Tennis gespielt, also muß der Mann vor sechs Uhr fort sein. Und es ist in Saantpoort, weit außerhalb Haarlems! -
«Los, Jungen, an die Arbeit. Wer sorgt für den Transport? Wer für eine Adresse?»
Meine lieben, tüchtigen Kerle springen sofort auf und überlegen mit Gleich darauf sind sie schon unterwegs und viele andere ebenfalls. Es wird allmählich ruhiger in meinem Zimmer. Was sind es doch für reizende, zuverlässige junge Menschen. Intelligente, frische Gesichter. Die meisten sind sehr geschickt und wendig und alle weit über ihr Alter hinaus ernst und entschlossen Oft völlig auf sich selbst gestellt, leisten sie verantwortungsvolle Arbeit, die nicht selten mit größter Gefahr verbunden ist. Aber sie sind tapfer und treu. Sie wissen, daß von ihrer Verschwiegenheit alles abhängt
Bei mir fühlen sie sich heimisch. Wenn ihre Abeit ihnen keine Zeit laßt, nach Hause zu gehen, essen und schlafen sie bei mir in der «BJ», das ist der Deckname für unser Haus (Barteljonsstraat) Manchmal reicht die Zeit noch, auch einmal über ihre eigenen Sorgen und Schwierigkeiten zu sprechen, und sie vertrauen sich mir an Ihre Meinen Vertraulichkeiten verraten oft mehr über ihr Wesen und passen besser zu ihrem Alter als die vielen schweren Probleme mit denen sie sich nun schon lange täglich herumzuschlagen haben
Erst uni zehn Uhr abends finde ich Gelegenheit, meine Aufzeichnungen zu ordnen. Dem italienischen Unterricht habe ich-
*) N.S.B. Nationalsozialistische Bewegung, »N.S.B.er« also Angehörige der niederländischen Nazipartei
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