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Dämmerung zog durchs Haus. Durch die schönen traulichen Räume, die über Nacht so still geworden. Das fröhliche Bubenlachen war verstummt, und die glockenhelle Frauenstimme hatte das Singen verlernt. Vergessene Rosen welkten im Kristall. Unberührt stand der Flügel. Auf leisen Sohlen schlich das Leben über Gänge und Treppen, als hätt's kein Heimatrecht mehr im Haus.
Und die Schatten dunkelten.
Draußen in den schimmernden Baumkronen wob der Herbst seine Schleier. Im aufsteigenden Nebel träumten die Gärten. Und manch einer, der sich müde geschafft, wanderte ins Freie und schaute dem feiernden Tage nach.
Wolfgang Timmermann saß in seinem Studierzimmer und schrieb einen dringenden Geschäftsbrief. Starke Kopfschmerzen quälten ihn. Kaum vermochte er, einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen. Die letzten Tage hatten seine ganze Kraft in Anspruch genommen. Nun forderte der Körper sein Recht. Müde lehnte er sich zurück und versank in Nachdenken.
Früher hatte er diese Stunden geliebt. Die feuchten dunklen Frühlingsabende, das Weben scheidender Herbstespracht über still verglühender später Blüte. Der Gottsucher hatte sich an dem wundervollen Schöpfungsbilde berauscht, der Künstler empfing für sein Schaffen die Weihe. Und mit glänzenden Augen stand das Glück daneben.
Da war's geschehen, daß ein Schatten auf den hellen Weg fiel. In schlaflosen Nächten drängte er sich den erregten Sinnen auf, in die Einsamkeit der Werkstätte folgte er dem rastlosen Geist, in Stille und Sturm blieb er sein Geleitsmann. Der Zweifel war's, der nagende unabweisbare Zweifel an der Wahl des Weges, die quälende, Leib und Seele zermürbende Frage nach dem Einen, der das letzte Wort sprechen würde auf Erden, nach Zweck und Ziel des Daseins.
Gewaltsam unterbrach die Zeitenuhr das heimliche Raunen und gemahnte der Flüchtigkeit der Stunde. Das Leben trat in den Dienst der Warnerin: Mutterliebe in der Krone des Alters trug des Sohnes Zukunft auf betendem Herzen, ein schlichtes Weib aus dem Volke wachte über der Ewigkeit seiner Kleinen, des Freundes unerschütterliches Wort brannte ihm im Gewissen, Hanna Kiausenburgs stolze Armut schritt mit lohender Fackel durch das nächtliche Haus -‚ dann schloß sich die Pforte hinter den Lebenden. Der Tod streckte seine kalte Hand nach dem blühenden Kinde aus.
Die Uhr stand still. Aber im Kreislauf der Gedanken kehrten die Gestalten wieder und traten vor den Kämpfer mit ewiger Sendung.
‚Sei stark', riefen sie ihm zu, ‚wirf ab, was dich quält! Es gibt ein Leben, das den Tod überdauert! Ein Narr, wer den lebendigen Gott leugnet und an seiner Liebe zweifelt!'
Er schüttelte sich wie im Fieber. Stöhnend strich er über die heiße Stirn.
Vergeblich hatte er Ruhe in seinen vier Wänden gesucht. Drüben im Kinderzimmer, wo Fee ihren toten Liebling auf Rosen bettete, war's ihm zu eng geworden. Der Anblick der wildesten Verzweiflung hätte ihn nicht so erschüttert, wie dieser steingewordene Schmerz. Fast beraubte ihn der Gedanke, der starre Ausdruck könne sich für immer in die schönen Züge eingraben, der Sinne.
Aber seine Arbeit brachte ihm nicht die ersehnte Ablenkung, und die Einsamkeit erdrückte ihn.
Vom Kamin rief die Uhr mit silbernem Klang. Der Brief mußte fort. Vielleicht tat ihm ein Gang durch die frische Luft gut. Pelle war ja zu Hause und Fee in den besten Händen. Rasch beendete er das Schreiben. Bevor er hinausging, warf er noch einen Blick in den städtischen Anzeiger, der auf einem Tischchen neben dem Ruhebett lag. Ans Fenster tretend, entfaltete er das Blatt.
Da fiel sein Blick auf den Namen Klausenburg.
Sein Gesichtsausdruck wurde gespannt. Erst vorgestern hatte er die Todesanzeige des einzigen Sohnes gelesen.
Er überflog die Worte:
‚Nach kurzer schwerer Krankheit folgte meine geliebte Tochter
Ingeborg
heute abend ihrem Bruder Bernhard in die Ewigkeit.
In tiefem Schmerz
Hanna Klausenburg geb. Hubertus.'
IRRWEGE EINES VERLAGSLEITERS UND FAMILIENVATERS UND SEIN RINGEN NACH GLAUBEN
Gottessucher - Handlangerdienst - Kindertränen - die Philosophin - nachts - Not - Masken - Schiffbruch - allein - weltfremd
- Dämmerung - was ihr nicht tastet - Wolfgang Timmermanns Tag - Rosen - der Gottesschatz - wir, die wir leben und überleben
Eine spannende und lebendige Erzählung, die lange verschollen war.
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