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DER ENGEL DER VERGESSENEN
- Im Jahre des Herrn 1715
- Miserere mei - Domine Deus
- In der Schlucht von Navalet
- Im Bouchet wütet der Zorn
- Zwei Diener zweier Herren
- Ein Vogel geht ins Netz
- Du sollst ein Segen sein
- Pierre kehrt zurück
- wo du hingehst,will ich hingehn
- neues Leid bricht herein
- Pierre rechtfertigt sich
- La Devèze schlägt zu
- Der Turm der Constance
- In der Gefangenschaft
- Wiedersehen hinter Mauern
- Nachrichten aus der Heimat
- Verraten!
- Durch Dunkel ins Licht
- Tod ist verschlungen in Sieg
- ihre Augen werden aufgetan
- Freude in allem Leid
- Blutzeuge Matthieu Morel
- Gewitter über Vivarais
- Not und Versuchung
- Mühle Les Bonnets
- Gefangene von Beauregard
- Verurteilt
- Recister
- Gefangene bekommen Besuch
- Galeerensklave Espinas
- Anne Durand
- Verfolgungen ohne Ende
- Leiden und Tod im Turm
- Ein kühner Plan
- Der lang ersehnte Tag
- Die größte Enttäuschung
- Blut der Märtyrer
- Ihr seid frei!
- zurück in die Heimat
- Die Krone des Lebens
- Zeittafel
Hoch und silbern stand der Mond über dem Vivarais, dem westlich von Valence gelegenen, noch den Cevennen zugehörigen Bergland. In einem der Häuser des Marktfleckens Villeneuve-de-Berg erhob sich eine Frau von ihrem Lager, strich die Kleider zurecht, in denen sie sich niedergelegt hatte, und langte nach dem auf dem Tisch bereitliegenden Kopftuch. Vorsichtig öffnete sie die Tür, trat in den Gang hinaus und beugte sich lauschend gegen die Schlafkammern der Kinder vor. Es war alles still, also schliefen sie wohl.
Marie Gebelin, die nach dem Tode ihres Gatten Jean Court energisch und mit viel Eifer dessen kleinen Wollhandel weiterbetrieb und damit sich und ihre drei Kinder durchs Leben brachte, legte das Tuch auf den Scheitel, schlug die Zipfel um die Schultern und verließ das Haus.
Jetzt in der Nacht lagen die Gäßchen still und verlassen, und durch keines der Fenster schimmerte mehr Licht. Dennoch hielt sich die Frau, vorwärts hastend, im Schatten der Häuser, als suche sie zu vermeiden, von jemandem gesehen oder gar erkannt zu werden. Sie befand sich noch immer im Ort, als das Geräusch eiliger Schritte hinter ihr sie erschreckte und sie ängstlich zurückschauen ließ. Ein Kind folgte ihr, ein Knabe.
«Antoine, was ist mit dir? Hat es etwas gegeben? »
«Nimm mich mit, Mutter, ich weiß, daß du zur Versammlung gehst. »
«Was fällt dir ein, Antoine, wie kommst du darauf? » «Mutter, ich bitte dich! »
« Ssst, man darf uns nicht hören », beschwichtigte sie das Kind und ergriff seine Hand. « Es ist viel zu weit für dich. »
« Ich will aber dabeisein, wenn ihr betet. » Mit welcher Bestimmtheit er das sagte! Und sie, was sollte sie tun? Sollte sie mit dem Knaben nach Hause zurückkehren? Und doch hastete sie mit ihm vorwärts. Endlich lagen die letzten Häuser hinter ihnen. Marie Gebelin atmete auf. «Hattest du noch nicht geschlafen, Antoine?»
«Ich habe aufgepaßt, Mutter, weil ich mir vorgenommen hatte, heute endlich einmal mit dir zu gehen. Ich muß wissen, wie es dort zugeht, wo du dich mit den andern von der wahren Religion triffst. Ich habe es jedesmal gehört, wenn du weggegangen bist. Du weißt doch, daß mich die Kameraden Calvins ältesten Sohn nennen, seitdem sie vergeblich versucht haben, mich in die Messe mitzuschleppen. » Ja, Marie Gebelin hatte es nicht vergessen, wie der kleine Antoine damals Zeter und Mordio geschrien, wie er um sich geschlagen, gebissen und sich am Treppengeländer festgeklammert hatte, als seine Mitschüler ihn zum Kirchgang hatten abholen wollen. Und sie hatte es seither immer wieder erfahren, wie er, obwohl er noch ein Kind war, danach gierte, von ihr im verborgen geübten Glauben unterwiesen zu werden. Vielleicht - und wie ein scharfer Stahl durchstach der Gedanke ihr Herz -, vielleicht hatte Gott selber ihren Ältesten angerührt und bereits zu seinem Werkzeug ausersehen.
Aus dem Dunkel des kleinen Gehölzes, an dem der Weg vorüberführte, lösten sich da ein paar Gestalten. Es waren Gleichgesinnte, die auf Marie Gebelin gewartet hatten. « Und der Kleine? »
«Laßt ihn mitkommen, er wird uns nicht verraten. »
Später, nachdem sich ihnen in einem einsamen Gehöft noch drei Frauen angeschlossen hatten, schwang sich einer der Burschen den stillen Knaben auf die Achsel. Dann setzte die Gruppe in ernstem Schweigen den Weg über unbebautes, steiniges Land fort.
Es mochte auf Mitternacht gehen, als die Wanderer eine von Felsen umgebene Mulde erreichten, die der Ort der Versammlung war. Die Ankömmlinge knieten nieder und beteten, ehe sie sich zu den andern gesellten, die sich bereits auf dem mit Geröll übersäten Hang niedergelassen hatten.
Ernst, mit weitoffenen Augen, verfolgte der neben der Mutter sitzende kleine Antoine Court, was sich da um ihn herum begab. Nun stand, nicht weit von ihm, ein Mann auf und stimmte mit starker Stimme einen Psalm an, in den die übrigen sogleich einfielen. Das Herz des Knaben erzitterte unter dem in der mondhellen Nacht auf brausenden Gesang:
« Que Dieu se montre seulement. »
Dann trat eine Frau aus der Mitte des Kreises, eine Prophetin, die Witwe Ransel aus Vallon, um an Stelle des vertriebenen Pfarrers das Bibelwort auszulegen: «Was sollte man doch mehr tun an meinem Weinberge, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn Herlinge gebracht, da ich wartete, daß er Trauben brächte?» Antoine, die Hand der Mutter nicht loslassend, lauschte wie gebannt der etwas schrillen Stimme der Predigerin, und wenn er den Sinn ihrer anklagenden Worte auch nicht recht verstand, so ließ ihn dieses nächtliche Erlebnis doch mit ganzer Klarheit bewußt werden, daß es für ihn nur einen Weg geben konnte: fürderhin sein Leben zur Ehre Gottes im Dienst an seiner Kirche einzusetzen.
Nur wenig später, als Vierzehnjähriger, amtete er schon als Vorleser bei heimlichen Zusammenkünften der Protestanten.
Dann schloß er sich als Gehilfe dem Prediger Pierre Chabrieres, genannt Brunel, an. An seiner Seite durchzog er von 1713 an die Gegend von Vernoux im Vivarais. Mit siebzehn Jahren hielt er in einer Versammlung von dreißig Frauen seine erste Predigt, so hinreißend, daß es ihnen vorkam, als habe Gott in diesem schönen Jüngling einen seiner Engel gesandt, um den Gläubigen das wahre Wort zu verkündigen.
Mit freudiger Hingabe widmete sich Antoine Court fortan dem Predigtamt. Als ihn der Weg das nächstemal nach Villeneuve-de-Berg führte, teilte er der Mutter seinen Entschluß mit, sich von nun an ganz der notleidenden Kirche zur Verfügung zu stellen, da der große Hunger nach dem Wort Gottes über das Volk gekommen sei.
Auf Antoine, ihren Ältesten, hatte Marie Gebelin seit dem Tode ihres Gatten alle Hoffnungen gesetzt, und nun traf ein, was sie befürchtet und doch heimlich ersehnt hatte. Für sie würde er nun verloren sein, weil sein Gewissen ihm gebot, dem Wort Christi zu gehorchen: «Wer seinen Vater oder seine Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. »
Allein oder als Gefährte Brunels durchzog Antoine Court die Gegenden von Uzes und Nimes, kehrte ins Vivarais zurück und stieg von da in die Dauphine hinunter, um überall die zerstreut lebenden Gläubigen aufzusuchen und durch ein zündendes Wort ihren Glaubensmut zu stärken. Er schreckte nicht davor zurück, in Marseille zu den zum Galeerendienst verurteilten hundertfünfzig Glaubensbrüdern vorzudringen, um mit ihnen in einem Winkel des Schiffes heimlich Gottesdienste abzuhalten; obwohl er wußte, daß die Regierung für seine Ergreifung einen Preis von 5 00o Pfund *, Nach dem Geldwert von 1963 = 1ooooo Schweizerfrankenl ein Vermögen also, ausgesetzt hatte. Das Wort dieses Feuerkopfs übte überall eine fast zauber hafte Wirkung aus. Entbehrungen und Strapazen achtete er gering, bis er schließlich zusammenbrach und aufs Krankenlager geworfen wurde.
In der ihm aufgezwungenen Ruhe reifte in ihm der Entschluß, die zerstörte evangelische Kirche Frankreichs wieder aufzurichten, nicht durch bewaffneten Widerstand, wie es die Kamisarden vor einem Dutzend Jahren vergeblich versucht hatten, sondern allein durch den Zusammenschluß aller Getreuen zu einer neuen Gemeinde Christi, deren unerschütterliches Fundament die Wahrheiten der Heiligen Schrift sein sollten.
Kaum genesen, berief der Neunzehnjährige die acht letzten, im Languedoc noch heimlich ihres Amtes waltenden Pfarrer zu einer Synode zusammen. Sechs der Geladenen sowie drei Laien fanden sich im Jahre des Herrn 171 5 im Morgengrauen des z I. August in dem in der Nähe von St-Hippolyte-du-Fort gelegenen Weiler Monteges zusammen. Nach inbrünstigem Gebet entwickelte Antoine.Court vor seinen Glaubensbrüdern in klarer Rede seine Pläne, und in der Überzeugung, daß in diesem von Begeisterung glühenden Jüngling der neu zu formenden Kirche auch schon ihr Leiter geschenkt worden sei, stimmten die Versammelten seinen Anträgen zu.
Als das Frührot des neuen Tages durch das Fenster brach, hatte diese erste kleine Synode der Wüstenkirche ihre Beschlüsse gefaßt, die zur Wiederherstellung der evangelischen Kirche Frankreichs führen sollten. In der Einführung der alten Kirchenzucht, in der Einsetzung von Ältesten zur Betreuung der Gemeinden, in der Unterdrückung von Fanatismus und Schwärmerei in jeder Form, wozu auch das Predigtverbot für Frauen gehörte, sowie vor allem in der Heranbildung junger Pfarrer sahen sie die Möglichkeiten, das Volk zu Gemeinden im biblischen Sinne zu formen.
gebraucht
Bestell-Nr.: BN1792-1
Autor/in: Emil Ernst Ronner
Titel: Der Turm der Constance - Marie Durand - Der Engel der Vergessenen
Preis: 3,00 €
ISBN: 9783775108928 (früher: 3775108920)
Format: 11 x 18 cm
Seiten: 419
Gewicht: 323 g
Verlag: Hänssler
Auflage: 2. Auflage
Erschienen: 1993
Einband: Paperback
Sprache: Deutsch
Zustand: leichte Gebrauchsspuren
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