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-Schiff in Not -Allein in London -Bessies Mission -Hans Kohl
Vor der Küste Ostfrieslands zieht sich eine Reihe schmaler, langgestreckter Inseln hin. Einst bildeten sie die Küste des Festlandes, aber vor vielen Jahrhunderten bereits hat die gefräßige See in gewaltigem Ansturm die zusammenhängende Linie zerrissen. Jetzt sind die Inseln ein natürliches Bollwerk gegen den oft gewaltigen Wogenanprall und schützen so das dahinter gelegene Festland. Ackerland ist selten auf diesen Inseln, und deshalb sind seit Generationen ihre Bewohner fast ausschließlich Fischer gewesen.
Das änderte sich dann in den letzten Jahrzehnten vollständig. Zwar wurde auch da hin und wieder noch der Fischfang vom Boot aus mit einem Handnetz oder mit der Angel betrieben. Aber war schon früher der finanzielle Ertrag dieses Berufes gering, so wurde die Lage der Fischer besonders durch den Bau der Fischdampfer, die den Fang nach rationellen Methoden betrieben und dabei in der Lage waren, auch entfernter gelegene Fischgründe regelmäßig aufzusuchen, noch schwieriger. Deshalb waren diese Fischer gezwungen, ihre Selbständigkeit aufzugeben und sich nach anderen, besseren Erwerbsquellen umzusehen.
Still und einförmig verlief noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts das Leben auf diesen Inseln. Ein Ereignis war es schon, wenn das Fährschiff einmal einen Fremden an Bord hatte. Auch das hat sich nun in den letzten Jahrzehnten vollständig geändert. Je mehr das geschäftige Treiben die Nerven der Großstädter verbrauchte, desto mehr lernte man die Ruhe auf diesen Inseln und ihre reine, kräftigende Luft schätzen. Jetzt bevölkern in den Sommermonaten alljährlich viele Zehntausende diese Inseln. Dann ist von Einförmigkeit nichts mehr zu merken. Aber in den langen Wintermonaten, wenn die großen Häuser leer und verlassen dastehen, zeigen die Inseln fast noch das frühere Bild.
Es war an einem klaren Oktobertag. Das Fährschiff lag segelfertig da, und ein starkgebauter hochrädriger Leiterwagen fuhr über die fahlgrünen Wattwiesen einige Herren zum Schiff. Es war Ebbe, und das Schiff konnte nicht dicht an den Strand heran. Einige Schiffer standen zusammen und besprachen das Ereignis, das für sie alle von großer Bedeutung war: Die Fremden gehörten einer Gesellschaft an, die auf der Insel ein Badehotel mit Strandhallen errichten wollten. Mit den Arbeiten sollte bald begonnen werden, damit im nächsten Sommer bereits Gäste aufgenommen werden konnten.
Kein Wunder, daß die in Aussicht stehende Bautätigkeit die Gemüter erregte. Jeder, der ein Fahrzeug hatte, überschlug, wieviel Baumaterial er wohl herbeischaffen könne, denn der Transport sollte den Inselschiffern übertragen werden. Viele waren es ja nicht, die noch ein seetüchtiges Fahrzeug hatten, denn die Küsten-Dampfschiffahrt hatte ihnen viel Verdienst genommen, und die wenigen größeren Fahrzeuge, die noch auf der Insel waren, lagen auf dem Schlick, zum Teil bereits
morsch und leck, für unruhige See nicht mehr zu gebrauchen. Wer aber im Besitz eines guten Fahrzeuges war, der schmunzelte Das tat auch Pitt Rickmers, ein stämmiger, breitschultriger Mann von etwa fünfzig Jahren. Er war im Rechnen und Plänemachen der Eifrigste, denn er hatte die meisten Gewinnaussichten. Man sah seinem breiten Gesicht die Freude an, als er zu seinem Bruder sagt "Fein, Jan, das mit den neuen Bauten. Das bringt wenigstens noch mal wieder Geld auf die Insel. Es war aber auch just die höchste Zeit, denn mit dem Schellfischfang ists nichts mehr, und der Granat scheint auch von unserer Insel wegziehen zu wollen. Wahrhaftig, es wird alles schlechter auf der Welt. Und wenn wir nicht diesen Badestrand hätten und nun bald auch Badegäste hierher bekommen - ich hätt bald nicht mehr gewußt, was anfangen."
Pitt Rickmers war immer zum Übertreiben geneigt, sei es zum Guten oder Schlechten. Und doch stand er sich gar nicht schlecht. Er war einer der Meistbegüterten auf der Insel, aber die Sucht, noch mehr zu haben, erfüllte sein Herz und bestimmte sein ganzes Tun.
Sein Bruder war ganz anders. Jan war ein wahrer Christ, ruhig und ernst, und er ließ sich durch das Wort Gottes leiten. Geld und Gut hatte er nicht viel, doch klagte und murrte er nie. Er wußte sich in den guten Händen Gottes. Er kannte das Gebot und die Verheißung: ,Trachtet aber zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugefügt werden.' Hieran dachte er auch jetzt, als ihn sein Bruder anredete. Da er nicht sofort antwortete, fuhr der andere fort:
"Wahrhaftig, Jan, wir können es alle gut gebrauchen, und du doch besonders. Dabei stehst du da, als machtest du dir aus der ganzen Sache nichts. Und doch ist es ein Glück und ein Segen für die ganze Insel."
Er hatte hastig gesprochen und sah seinen Bruder erwartungsvoll an. Jan erwiderte ruhig: "Wenn Gott es segnet, ja, dann kann ein Segen daraus werden, sonst aber nicht." "Ach was", rief Pitt verdrießlich, "daß du in alles Gott hineinbringen mußt! Die Hauptsache ist doch, daß wir allerlei Verdienstmöglichkeiten auf die Insel bekommen. Darüber solltest du dich doch freuen, und daß sich auch für deinen Wilhelm Arbeit finden wird. Gebrauchen kannst du es doch!" "Das leugne ich auch gar nicht, Pitt", entgegnete Jan ebenso ruhig wie vorher, "und sollten wir etwas davon mitbekommen, so freue ich mich gewiß. Aber ich lebe doch nicht deshalb, weil hier ein Seebad hinkommt, sondern weil Gott in Seiner Güte mich nie vergißt.
Und er kann mir etwas geben, wenn auch das Auge nichts sieht als nur Verdrießliches, - so wie du eben vom Schellfisch- und Granatfang sprachst. Das ist ja eben der Unterschied, der Glaube stützt sich auf Gott und ist zufrieden. Der Unglaube sieht nur das Sichtbare, und je nachdem, ob die Aussicht heiter oder trübe ist, so ist dann auch die Stimmung. Gott aber ist unveränderlich in Seiner Güte und Macht, und darum kann der Glaube so ruhig und fröhlich sein."
"Ach, schnack doch nicht immer solch fromme Worte", sagte Pitt ärgerlich. "Wir wollen lieber mal beraten, wie wir dabei am besten verdienen können. Ich werde da oben eine Kantine errichten mit SchlafsteIlen für die Bauleute, dann verdien' ich Tag und Nacht. Und Steine werde ich auch noch vom Festland herüberholen. Sicher, ich werd mich schon rühren, mein Teil mitzubekommen. Die Umstehenden sahen Pitt Rickmers neidisch an. Er wohnte ja auch den Baustellen am nächsten, und es konnte nicht ausbleiben, daß er "sein Teil mitbekam", wie er sagte. Ein wenig spöttisch meinte Hein Kemkes:
"Du bist immer ein Glückskind gewesen. Und das mit dem Glauben ist doch mehr eine fromme Redensart. Dir hat es jedenfalls nicht geschadet, daß du immer tüchtig zugegriffen hast, wenn es etwas zu verdienen gab!" "Ei freilich. Sich selbst helfen, da habe ich es stets mit gehalten. Und du sollst sehen, Hein, auch diesmal fällt für mich genug ab. Oder meinst du nicht?" " Glaubs schon", nickte Kemkes nachdenklich. Jan Rickmers aber konnte sich nicht enthalten zu sagen:
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