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Ralph und seine vier Freunde Warum kann mein roter Bruder Falkenauge das Bleichgesicht nicht ausstehen? Paul Winkler, von allen nur Paulchen genannt, sah seinen Freund erwartungsvoll an. Der Angeredete warf einen überlegenen, schrägen Blick auf Paulchen, dann stieß er wütend mit seinem scharfen Fahrtenmesser in den morschen Baumstumpf neben sich. »Blöde Frage, den Kerl kann ich einfach nicht leiden. So richtige Gründe für meine Abneigung kann ich nicht mal angeben.« Er richtete sich aus seiner liegenden Stellung auf und blickte über das hitzeflimmernde Wiesengelände auf dem Berg. Unten im Dunst lag die Stadt, eingeschlossen in einen bewaldeten Kessel. »Wo die anderen nur bleiben?«
Paulchen zog es vor, zu schweigen. Er streifte sich den bunten Federschmuck von seinem Kopf und döste vor sich hin. Die riesigen Tannen warfen ihre zackigen Schatten bis weit in die Wiese hinein. Paulchen atmete erleichtert auf. Hinter der grünen Schlehenhecke tauchten drei Gestalten auf. Der mit Falkenauge Angesprochene grinste vor sich hin. Die drei hatten einen ziemlichen Zahn drauf, stellte er mit innerer Befriedigung fest. Sie wußten aus Erfahrung, daß ihr »Chef« nichts so haßte, wie Unpünktlichkeit. Paulchen setzte sich seinen Federschmuck wieder auf seine verschwitzten blonden Haare, dann stellte er sich mit verschränkten Armen neben den Anführer des aus fünf Freunden bestehenden Clubs.
Ralph Breuer, Sohn des Bürgermeisters, hatte sich diese vier großzügig ausgewählt. Viele Schulkameraden wären gern in diesem Club aufgenommen worden, aber Ralph hatte die Zahl absichtlich so klein gehalten. Nur eines wurmte ihn, daß der blasse Heiko, wie er ihn spöttisch nannte, auf sein Wohlwollen keinen Wert legte. Paulchen hatte mit seiner Frage genau ins Schwarze getroffen. Ralph mochte den ruhigen Klassenkameraden nicht.
In einem Buch hatte er gelesen, daß die Menschen in ihren Gefühlen einem Eisberg glichen. Nur ein kleiner Teil ragt aus dem Wasser, während etwa sechs Siebentel unter dem Wasser sind. Entsprechend sei es mit dem Bewußtsein des Menschen. Die bewußten Vorgänge des Denkens, die Sinneseindrücke und Empfindungen ragten wie die Spitze eines Eisberges aus dem Wasser, der viel größere Teil - das Unbewußte - bliebe verborgen. Es konnte also sein, daß dieser Heiko dauernd mit seinem Unterbewußtsein zusammenstieß.
Bei ehrlichem Überlegen hätte Ralph keine einleuchtenden Gründe gefunden, seine Antipathie gegenüber dem Klassenkameraden zu rechtfertigen
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