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Merkwürdig
»Ach, entschuldigen Sie bitte«, sagte die Dame mit dem Schleierhütchen, »können Sie mir wohl sagen.. Herr Doktor schickt mich nämlich zu einer Frau Herzgemisch. Es handelt sich... wissen Sie, ich bin nämlich so entsetzlich nervös, da nannte mir Herr Doktor -.-«
Hanka unterbrach sie höflich: »Ja, kommen Sie doch bitte mit, gnädige Frau. Es handelt sich sicher um das Teerezept. Darf ich Sie gleich in die Küche führen? Olken, die Dame kommt wegen des Beruhigungstees, weißt du?«
»Guten Morgen, guten Morgen! Entschuldigen Sie vielmals, wenn ich störe, aber Herr Doktor schickt mich zu Ihnen: Mayr ist mein Name, Mayr mit ay, ohne e - also, ich bin so sehr nervös, ich schreie oft jeden an, der mir nahekommt, ich bin eben nervös, wissen Sie, und da...«
»Aber nehmen Sie doch Platz, bitteschön! Wenn es Ihnen nichts ausmacht, hier in der Küche zu sitzen, würde ich Ihnen sofort eine Tasse aufbrühen, daß Sie sehen, wie er schmeckt.«
»Aber das kann man doch gar nicht verlangen, das ist ja reizend! Vielen Dank! Nein, ich sitze gerne hier, ich weiß ja, wie das ist, so mitten in den Mittagsvorbereitungen! 0 wie haben Sie es hübsch hier! Und so eine entzückende Aussicht! Überhaupt die Lage dieses Dorfes! Ich bin ja noch nie bis hier herausgekommen, aber Herr Doktor wurde mir so sehr empfohlen, wissen Sie... ach, wenn Sie wüßten, wie schlimm das mit meiner Nervosität ist!«
»Die Kräutermischung schreibe ich Ihnen am besten auf, liebe Frau Mayr. Man kann sie sojar selbst herstellen.« Olken war die Liebenswürdigkeit in Person, während sie vom Fensterbrett eine blühende Topfpflanze wegnahm und sie der Dame vor die Nase auf den Tisch stellte. »Die war auch so nervös, die Fuchsie«, bemerkte sie dazu.
Die Dame schob ihren Schleier über den Hut. »Wie meinen Sie?« Sie glaubte, nicht recht gehört zu haben. »Nervosität«, sagte Olken, indem sie kochendes Wasser auf zwei Löffel Tee in ein Porzellankännchen goß, »Nervosität ist eine schwerwiejende Krankheit, die einem leid tun kann. - Er muß unjefähr sieben Minuten ziehen jetzt.« Frau Mayr kam überhaupt nicht mehr zum Reden, denn Olken geriet in Fahrt, obwohl sie scheinbar ihre gesamte Aufmerksamkeit auf das Schneiden eines Kohlkopfes in feine Streifen richtete. »Nervös ist ja auch ein ausländisches Wort, jell? Auf deutsch heißt das meistens empfindlich oder so. Ja, meine Fuchsie war auch so nervös! Die machte uns allesamt mit nervös, jeht sie ein oder hält sie durch.
Da hab ich sie einfach an die Luft jesetzt. Da ist sie wohl fürchterlich erschrocken und hat sich jesagt: ‚jetzt jilt's! Entweder jehe ich jetzt ein, oder ich lasse meine Empfindlichkeit bleiben.' Und das Letzte hat sie dann jetan. Daraufhin hab ich sie dann wieder zu mir jenommen. Nun sehen sie selbst! Und Sie, meine liebe Frau Mayr, Sie sind durch Ihre jroße Empfindlichkeit jetzt augenblicklich ebenfalls in so einem Zustande, daß der liebe Gott Sie einfach hin-ausjetan hat. Sie müssen sich besinnen! Wenn Sie weiter Ihre Nebenmenschen mit Ihrer Empfindlichkeit und mit Ihrer Heftigkeit so am Jemüt belästijen und Ihre eijenen Nerven damit krank machen, dann jehen Sie langsam zujrunde. Aber es ist ja noch Zeit, alles dies abzulejen! Und was denken Sie, wie Sie aufblühen, wenn er Sie wieder nahe zu sich nimmt! «
Niemand vermochte Olken böse zu sein, wenn sie ihm »die Wahrheit sagte«. Sie tat es mit spürbarer Wärme und liebevollen Augen, in einem sich übertragenden Ernst und einer inneren Überlegenheit, die überzeugend wirkte, weil sie gegründet waren in einer ununterbrochenen demütigen Abhängigkeit von ihrem einzigen Herrn, von Gott.
Die nervöse Frau sah recht blaß aus, immerfort drehte sie an ihrem Trauring. »Aber das kann man doch nicht, seine eigene Nervosität lassen oder einfach ablegen, wie Sie meinen«, sagte sie heftig.
Hanka ging leise hinaus. Sie kannte Vaters Teekuren, da ging's stets um Patienten, die sich in Krankheiten geflüchtet hatten und - nichts weiter brauchten als eine »Kopfwäsche« oder seelsorger-
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