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Die Arzttochter Dorothea lebt in der idyllischen Ortschaft Walldorf. Obwohl sie noch drei Geschwister hat, ist das hübsche Mädchen der erklärte Liebling des Vaters. Als sie die Liebe eines jungen Mannes verschmäht, der sich daraufhin von ihr abwendet, muss sie dem Erwachsenenleben ins Auge blicken. Sie lernt einen jungen Wissenschaftler, Berthold Holzing, kennen und lieben, der jedoch nach Afrika geht. Tief enttäuscht beschließt Dorothea, Lehrerin zu werden. Nach dem Tod des Vaters erkennt sie, dass ihre Beziehung zu Berthold von Missverständnissen geprägt war. Wird es ihr gelingen, ihrem Leben eine neue Wendung zu geben?
1. Kapitel
Heute wurde Dorothea Stark zwanzig Jahre alt; und ihre ganze Familie feierte sie mit Kuchen und mit Blumen, soweit in der strammen Januarkälte welche aufzutreiben waren, ohne ein allzu großes Loch in den Geldbeutel zu reißen. Man hatte sich um den Tisch versammelt zum Geburtstagskaffee. Und selbst der Vater, Doktor Stark, der um seiner großen Landarztpraxis willen sonst nur wenig Zeit für seine Familie erübrigen konnte, nahm sich ein Stündchen für seine Älteste. Er haue sie, als er ihr vorhin Glück wünschte, scherzend die Krone seines Lebens genannt. Und sie war sein guter Kamerad, der ihm in der Sprechstunde beim Verbinden oder bei den Büchern half. So würde denn auch er ein bißchen mit ihr fröhlich sein.
»Ach ja, Dorothea, du meine Don Divina", sagte Bruder Bernhard, der Obertertianer, der sie so gern neckte, mit einem Stoßseufzer. „Zwanzig Jahre! Und jetzt kommt das Leben!"
Dorothea lachte. »Als ob das Leben nicht auch vorher schon dagewesen wäre!«
„Mit vier Jahren schon", ergänzte der Vater. »Wie war das doch damals mit dem Lerchensporn? Erzähle uns das einmal genauer, Do, wenn du willst!"
„Gern! Viel ist da jedoch nicht zu sagen. Ich hatte mir ein Schürzchen voll Lerchensporn gepflückt und saß damit im Gras des Obstgartens. Ich roch an dem scharfen Saft der Stengel und freute mich an den weißen und den roten Blümchen. Sie kamen mir vor wie winzige Vögel, die vom Stengel fliegen wollen. Es war wunderbar still um mich herum, kein Vogel sang. Son-nen]ichter huschten über die Grasfläche vor mir und bildeten, von den Schatten der Baumäste durchwoben, die eigenartigsten Figuren und Gestalten. Da durchschauerte es mich plötzlich von innen her, wie Angst oder Schrecken und doch auch wieder wohlig und wohltuend. Es muß das Gefühl der Einsamkeit gewesen sein. Aber daß sich das in dieser Weise äußerte, war merkwürdig. Es kam mir vor, als ob etwas Unsichtbares ganz nah bei mir war, das ich lieben und festhalten wollte. Da trat die Mutter durch die Gartentür, um nach mir zu sehen. Ich war froh, sprang auf, eilte auf sie zu, versteckte mich in ihrem Kleid und klammerte mich krampfhaft an sie. Schutz bei ihr suchend, Schutz vor mir selbst."
Auch Frau Stark erschrak damals nicht wenig. Was war mit dem Kind? War denn jemand bei ihm gewesen? Hat es eine Biene gestochen? Sie nahm die Kleine auf den Arm und lief mit ihr in das Arbeitszimmer ihres Mannes, der gerade seine Sprechstunde abhielt. „Um alles in der Welt, Karl", sagte sie erregt, „was hat Dorothea? Ich fand sie im Grasgarten. Sie wird doch nichts Giftiges gegessen haben?"
Der Doktor nahm das Kind auf sein Knie, besichtigte Zunge und Schlund der Kleinen und sah ihr dann lange in die Augen. Wenn der Doktor in dieser Weise einem seiner Kinder auf den Seelengrund sah, dann hatte er einen gar merkwürdigen Blick, scharf, durchschauend und dennoch liebevoll lockend. Er holte damit das sie Verbindende aus dem Inneren seines Kindes herauf.
„Ach wo", sagte er, »das Kind ist körperlich ganz gesund. Es wird sich seiner selbst bewußt geworden sein, reichlich früh allerdings. Sieh nur, sie lächelt schon wieder! Da, nimm sie, deine Ältester, Er schwang die Kleine hoch und legte sie dann seiner Frau in die Arme.
Das vierte und fünfte Lebensjahr füllte sich dann mit Begebenheiten, die sich dauerhaft in Dorotheas Gedächtnis einprägten. Worte, die sie gehört und wohl auch nachgesprochen, aber deren Sinn sie nicht recht erfaßt hatte, wurden nun durch mancherlei Erfahrungen lebendig in ihr.
Eines Tages im Herbst jenes Jahres kamen Hartschrots zu Besuch. Hartschrot war ein Freund aus der Studienzeit des Doktors und damals Notar in dem benachbarten Städtchen. Sie hatten ihren zwölfjährigen Fred mitgebracht, ihren Einzigen. Man schickte den Knaben in den Garten zu den Kindern. Dorothea saß mit ihrer um zwei
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