EINE LIEBE IN MASUREN 1
Auf diesem gesegneten Fleckchen Erde öffnen im Frühling 1913 zwei junge Menschen einander ihre Herzen: Ulrich, der Waldarbeiter und Evi, die arme Fischertochter. Und bald klopft noch ein anderer an das Herz des jungen Mannes... Nun könnte sein Glück perfekt sein, wäre da nicht ein Nebenbuhler. Der Sohn des reichen Großbauern ist es nicht gewohnt, zu verzichten... WEITER HIMMEL, DUNKLE WÄLDER, SEEN OHNE ZAHL - MASUREN
Der Großbauer sah mit zusammengezogenen Augenbrauen seinen Sohn an. „Wie hast du das denn gedacht? Willst du etwas ins Schaufenster stellen, und die Regale dahinter sind leer?"
Hubert Stawinsky sah seinen Vater ruhig an. „Sie ist das schönste Mädchen im ganzen Umkreis."
Der Bauer lachte. „Und ihre Eltern die ärmsten weit und breit. Also schlag dir das mal aus dem Kopf." Während er sprach, hielten seine Lippen die Pfeife im linken Mundwinkel fest. „Hast du ihr überhaupt schon einen Antrag gemacht?"
„Gefragt, ob sie mich mag?"
>,Ja."
Der achtundzwanzigjährige Erbe des Erlenhofes reckte seine Gestalt. Er sah seine Schwester, die sich schweigend hinzugesellt hatte, siegessicher an. „Frag doch .Johanna, ob mir schon jemand weggeschnappt hat, was ich unbedingt wollte?"
„Dummes Zeug. Auf jeden Topf passt der entsprechende Deckel", brummte der Bauer dazwischen. „Außerdem bist du im ganzen Kirchspiel die beste Partie."
Der Sohn lief rot an. Der unausgesprochene Verdacht seines Vaters beleidigte ihn. Es ging gegen seine Ehre, dass lediglich der vergoldete Hintergrund seine Chancen bei den Frauen erhöhen sollte.
Jetzt griff seine Schwester ein. „Glaub mir, Vater, wenn Hubert alle Tanzabenteuer heiraten wollte, hätten wir jeden Monat eine Hochzeit."
Der Bauer trat an den Kachelofen und klopfte seine Pfeife aus. „Nun, ich nehme an, dass du die schöne Evi nicht für ein Abenteuer suchst. Dafür wird sie sich kaum hergeben. Außerdem lässt sie ihre Schönheit vom lieben Gott bewachen!"
„Wie meinst du das, Vater?"
„Es wird euch doch nicht entgangen sein, dass sie seit geraumer Zeit zu den Frommen in die Stubenversammlung geht."
„Die aber der Pastor billigt , warf Johanna ein. „Außerdem hält sie nach wie vor den Kindergottesdienst in der Kirche. Überhaupt halten sich diese Separatisten mehr oder weniger zur Kirche."
Hubertus grinste. Er versuchte, das heikle Thema mit Humor zu verdünnen. „Ein fromm Gemahl hat Haus und Hof noch nie geschadet", versuchte er in lutherischer Sprache seinen Vater zu überzeugen.
Über dessen Gesicht zog ein überlegenes Grinsen. „Danke für die Stichworte: Haus und Hof noch nie geschadet. Darum geht es doch. Haus und Hof. Was würde sie denn zur Ehe beisteuern? Felder, Wälder, Wiesen - oder nur eine wurmstichige Truhe mit ein paar Habseligkeiten?"
Mit schweren Schritten durchmaß der Bauer die geräumige Stube. Dann trat er ans Fenster und riss die Gardine beiseite. „Schaut hinaus. Unsere Wiesen und Felder warten nur darauf, dass es sprießen und wachsen kann." Hinter einer entfernten Reihe hochgewachsener Erlen dehnte sich braun und glänzend ein Acker. Einer von den vielen, die der Erlenhofbauer besaß.
Die beiden Geschwister sahen sich enttäuscht an. „War wohl nicht der richtige Augenblick", sagten die Blicke der Schwester.
Der Bauer wandtc sich von,
Blicke suchten die seines Sohnes. wii dLr. (u1 heute!" Er trat auf den Sohn zu und legte hin dic 1 Iand Auf die Schulter. „Meinst du - gerade weil sie su schün ist -, die andern Burschen hätten keine Augen im Kopf?"
Der junge Bauer blickte trotzig nach unten. „Die nimmt mir keiner, die Evi nimmt mir keiner!" Er hielt seinen Kopf noch immer nach unten, als sein Vater den Raum längst verlassen hatte. Dann fühlte er die Hand seiner Schwester auf dem Arm. „Nimm's nicht so tragisch, Hubert."
„Tragisch, tragisch. Es ist eine Schande, dass er wie ein Pascha herrscht. Wir sind doch keine Kinder mehr." Sie sah, wie sich eine steile Falte in seine klare Stirn zeichnete, „Vor vollendete Tatsachen werde ich ihn stellen."
Johanna Stawinsky dachte nach. Sie sah die Gestalt der armen, schönen Evi vor sich. Hübsch war sie, das konnte auch sie nicht abstreiten. Nur, dass die Burschen immer so übertreiben mussten. Sie redeten so geschwollen daher und nannten sie eine Schönheit. Ihre Augen, so ging es Johanna durch den Sinn, hatten etwas von der Klarheit der Masurischen Seen, von dem Blau, in dem sich der weite Himmel spiegelte.
Gewiss, auch sie bekam manchmal Komplimente. Von (lern verkappten Poeten, der Verse und Kurzgeschichten nach Königsberg schickte. Ihre schweren goldgelben Flechten erinnerten an den reifenden Weizen, den der Sommerwind bewegt, und ähnliche Spinnereien. Gelegcntlich fiel das Wort hübsch. Das war sie schon von iht(-t- Kindheit an. Ein hübsches rotbackiges, freundliches blondes Mädchen. Nicht eingebildet darauf, dass der Wichste Bauer in der Gemarkung ihr Vater war.