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1 Drei Länder
Marokko
»Mademoiselle! Mademoiselle!« Elsbeth ging schneller, als sie sah, daß inzwischen mehr als ein Dutzend französischer Soldaten ihr nachfolgten. Soweit sie wußte, war sie das einzige europäische Mädchen in der marokkanischen Stadt Marrakesch - und die französischen Truppen gaben nicht so schnell auf.
Wie leicht wäre es hier, jegliches Moralgefühl zu verlieren, dachte das Mädchen aus der Schweiz, während es schnell, aber bestimmt vor ihren Verfolgern herging. Für ein hübsches, siebzehnjähriges Mädchen war Marokko gefährlich. Es war ungefähr zehn Uhr morgens. Sie war in den Laden gegangen, um Fleisch zu kaufen; aber nachts würde sie sich nicht mehr auf die Straße wagen. Sie eilte auf den Teeladen ihrer Großtante zu, öffnete die Tür, ohne zurückzublicken, und trat ein, während sie die Franzosen bewußt aus ihrer Sicht und ihrem Gedächtnis verbannte. Renee, die junge jüdische Frau, die in dem Laden arbeitete, stand am Ladentisch. Elsbeth arbeitete gerne mit ihr zusammen.
Sie lernte dabei die Preise der Waren und half beim Verkaufen, wenn der Andrang groß war. Außer den Geschenkartikeln, die im Schaufenster ausgestellt waren, gab es noch vier Tische mit Stühlen, auf denen die Kunden ihren Kaffee oder Tee mit Kuchen, Pasteten oder Torten zu sich nehmen konnten.
Elsbeth betrachtete Renees schwarzes, lockiges Haar, das im Morgenlicht bläulich schimmerte. Sie war hübsch angezogen, hatte eine helle Haut und dunkelbraune Augen. Beide lachten sie über das Pech der französischen Soldaten und sprachen dann über Renees Familie. Im Spiegel bemerkte Elsbeth, daß ihre Tante auf den Laden zukam. Mit ihrem hoch erhobenen Kopf, den zurückgeworfenen Schultern und dem bestimmten Gang sah sie aus wie ein Soldat. Schnell griffen die Mädchen nach einem Staublappen und begannen, die Spiegel zu bearbeiten. »Ihr solltet immer irgend etwas tun«, hatte ihre Tante energisch gesagt. »Ihr dürft nie irgendwo herumsitzen. Für die Kunden ist es besser, daß ihr beschäftigt seid.
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