Esther Ried H49, Pansy Feilitzsch

Woher kam es, dass Esther ihr Licht nicht leuchten ließ? Schlief sie? Wollte sie droben „die Krone des Lebens" haben, ohne hienieden zu kämpfen und zu siegen? Es war keine leichte Aufgabe, die Esther als älteste Tochter und Hauptstütze ihrer Mutter in dem großen Haushalt zufiel, und ihre stete Rührigkeit und Geschäftigkeit ließ darauf schließen, daß sie sich ihrer Verantwortlichkeit bewußt war. Sie ist jetzt eben in ihrer großen, geräumigen Küche beschäftigt; dabei wirft sie von Zeit zu Zeit einen Blick auf die Uhr, denn alles im Haus ist an äußerste Pünktlichkeit gewöhnt, und es ist Teezeit.

Die nächstälteste Schwester Helene besuchte noch die höhere Töchterschule mit der achtjährigen Julie, Alfred das Gymnasium; nur die kleine Minnie, der allgemeine Liebling des Hauses, war noch nicht schulpflichtig und genoß ihre Freiheit nach Herzenslust. Überall waren die Spuren der kleinen, nichtsnutzigen Finger zu sehen, und das blonde Lockenköpfchen erschien gerade da am häufigsten, wo es am wenigsten zu gebrauchen war. So reizbar und ungeduldig Esther aber auch sein mochte, die kleine Minnie bekam nie ein böses Wort; selbst inmitten der anstrengendsten Arbeit behielt Esthers Stimme dem Kind gegenüber stets den gleichen liebevollen Klang. Minnie, der Sonnenstrahl der ganzen Familie, war das Kind der ältesten Schwester, die schon lange in fremder Erde ruhte, nachdem sie die Kleine noch auf dem Sterbebett der Mutter und den Geschwistern ans Herz gelegt hatte..