FRANZ, FREAKS & FRIENDS
Jeder kennt eine Gang, aber wir sind eine besondere Gang. In jeder Straße hängen Kids herum, fürchten sich vor dem leben
und warten, bis es beginnt. Manche Gangs sind gefährlich und aggressiv. Sie klauen und zerstören. Andere langweilen sich in
Discos. Ihr Motto: Feiere, solange es geht, ausruhen kannst du,
wenn du tot bist. Andere bleiben vor der Glotze oder ihrem PC und verlernen langsam ihre Sprache. Unsere Gang ist total abgefahren. Franz, ein krimineller Ex—Junkie, war einer unserer Großen. Er war ganz unten. Kaum eine finstere Seite des Lebens war ihm fremd. Er lebte 20 Jahre
als Schmarotzers Straßendieb, Drogenhändler und Versuchskaninchen im Drogenlabor.
5 Jahre davon verbrachte er im Knast und in Nervenanstalten. Doch Franz hat's uns gezeigt. Er hat unserer Gang gezeigt, dass es bei Gott keine hoffnungslosen
Gib dir dieses Buch und du wirst verstehen: 1 Wunder sind etwas Normales.
CLV
ISBN 3-89397-41 —4
Leseprobe: Franz Huber
TANZ MIT DEM TOD
Amsterdam – an einem schönen, warmen Sommertag.
Trixi, eine ehemalige Freundin von mir, sitzt mit einer Bekannten zusammen und verbringt noch ein paar schöne Stunden mit ihr. Nachdem sie sich verabschiedet
haben, geht Trixi in den 3. Stock des Hauses, trinkt eine Flasche hochprozentigen Schnaps und springt dann aus dem Fenster.
Amsterdam – an einem schönen Sommertag in der Veer Straat. Sie liegt mit Hirnquetschungen und zerbrochenem Becken auf der Straße. Minuten später wird sie mit Blaulicht ins Krankenhaus eingeliefert, wo die Ärzte verzweifelt um ihr Leben kämpfen.
Als wir sie nach Tagen besuchen, können wir nicht mehr mit ihr sprechen. Sie hat keinen Lebenswillen mehr. Nach einem unerfüllten Leben wünscht sie sich den Tod.
Trixi war meine erste Liebe in meinem Hippie-Dasein. Im P.N.-Hithaus in München (ein ähnlicher Club wie der Star-Club in Hamburg; wo die ersten Beat-Gruppen
spielten) sah ich sie zum ersten Mal. »Hallo, willst du tanzen, willst du Haschisch rauchen?« »Ja.«
Ich nahm sie mit in das Haus meines Freundes Bobby. Wir legten die RoIling-Stones auf, hörten die Beatles und
rauchten. Dann lagen wir auf dem Boden und es wurde viel von Freiheit gesprochen …
Trixi wurde für die nächsten Jahre meine Begleiterin auf der Drogen-Straße. Wir nahmen LSD, Meskalin, STP, DOM, wir rauchten Haschisch und Marihuana. Dann
kamen die Opiate: Morphin, Eukodal, Dilaudid und wir tanzten, tanzten, tanzten. In einen anderen Club, ähnlich wie der P.N., gingen wir
Nacht für Nacht. Wir hatten Morphin dabei, verkauften Morphium und nahmen Morphium. Die Droge hatte uns
gefesselt. Damals wohnten Trixi, Jacky und ich zusammen. Eines Abends, als auch der »schöne Bernie« zu Besuch war,
lagen wir, nachdem wir Morphium genommen hatten,
auf den Matratzen und hörten Musik. Plötzlich klingelte es an der Tür. Ich rappelte mich auf, sah durch den
»Spion« und erkannte draußen »Rudi Trallala«, der etwas in Packpapier eingewickelt trug. Okay, ich machte
die Tür auf, ließ ihn hinein. Er wickelte aus dem Packpapier ein Gewehr, legte auf mich an und sagte: »Franz,
du bist link!« Er drängte mich in die Ecke, wie in einem Wildwestfilm. »Du hast mich gelinkt!«
Ich bekam wahnsinnige Angst, daß jemand durchdrehen könnte und die Nachbarn oder die Polizei rufen würde.
Dann würden wir alle im Gefängnis landen. Deshalb gab ich ihm das Morphium, das er verlangte, und dann ging er. An einem Abend – ich weiß nicht mehr, ob es Sommer oder Winter war – saß ich mit Siggi und Roman in der Wohnung. Siggi hatte eine Nacht zuvor in einer Apotheke
eingebrochen und alle Morphium-Präparate gestohlen. Als wir die Beute betrachteten, jubelten wir:
»Oh, nur das Feinste vom Feinen!« und machten uns Cocktails mit Dilaudid und Kokain, bis Roman blau
wurde. Wir rissen das Fenster auf, ich gab ihm Ohrfeigen und schließlich machten wir Mund-zu-Mund-Beatmung.Nichts half.
Von der Angst getrieben, dass er bei uns im Zimmer sterben könnte und wir dann alle verhaftet würden, haben wir ihn auf die Schultern genommen, den Hausflur hinuntergetragen und unweit der Münchener Freiheit auf die Straße gelegt. Dann rannten wir zur Telefonzelle, riefen die Polizei an und sagten: »In der und der Straße liegt ein Bewusstloser, können Sie ihn bitte abholen?« Wir hingen auf und wussten, dass die Polizei der Sache nachgehen
würde. Und dann liefen wir quer durch die Stadt, denn wir hatten Angst. Als wir Stunden später nach Hause gingen, stand Roman
vor der Tür. Okay, Junge! Wir gingen in unsere Wohnung und nahmen Morphium. Roman fiel wieder um. Jetzt saß mir die Angst im
Nacken: »Roman, mir reicht’s, du musst ins Krankenhaus!« Wir brachten ihn bis vor den Krankenhauseingang und
warteten so lange, bis er schließlich hineinging, und dann liefen wir weg.
Roman lebt heute nicht mehr. München, Hirschgarten-Allee. Ein verkommenes Haus. Hier leben Drogensüchtige und Alkoholiker: Lupo, Siggi,
Viktor, Frank, Trixi und andere, deren Namen ich nicht mehr kenne. Wir hatten kein Morphium und kein Opium
mehr, dafür meldeten sich die gefürchteten Entzugserscheinungen – »Cold Turkey«. Wir wollten einbrechen
und warfen Lose, wer mitgehen sollte. Das Los fiel auf mich.
Es war mein erster Einbruch und ich zog mit Christian los. Zunächst gingen wir zu einem nahen Steh-Ausschank
und tranken uns mit Bier Mut an, denn wir waren keine Profis, und deshalb ging es auch nicht besonders leise bei unserem Einbruch zu. Wir warfen einen Pflasterstein ins Fenster, schoben dann noch schnell den Rolladen hoch und liefen weg. Wir beobachteten das Haus, ob sich dort
oder bei den Nachbarn etwas regte. Nichts rührte sich, keiner hatte etwas gemerkt. Nun stiegen wir ein und
ließen den Rolladen wieder vorsichtig runter. Endlich waren wir in der Apotheke, suchten fieberhaft den Giftschrank und konnten ihn nicht finden. Christian sagte
schließlich: »Wir müssen den Viktor holen!« Viktor hatte schon einige Apothekeneinbrüche hinter sich, war also
ein Mann mit Erfahrung. Während Christian zurücklief, um Viktor zu holen, musste
ich am Tatort Schmiere stehen und legte mich zu diesem Zweck unter ein Auto. Bald kam Christian mit Viktor
zurück, der sofort den Giftschrank fand und ihn aufbrach. Minuten später zogen wir glücklich ab. Für die
nächsten Tage hatten wir alles, was wir brauchten: Morphium, Dilaudid, Eukodal, Jetrium, Kokain usw. Nur mit Mühe konnten wir Christian daran hindern, auch noch eine Schreibmaschine mitzunehmen. Er war wirklich unerfahren. Monate später hatte ich wieder einen Entzug. Der
»Affe« saß mir im Rücken und ich hatte nichts zu »schießen«. Lupo und Frank auch nicht. Was wir noch hatten, waren ein Auto und ein gefälschtes Rezept. Wir
fuhren zur Wetterstein-Apotheke, die ich kannte, und wo ich schon einmal ein Rezept eingelöst hatte. Ich gab dem Apotheker das Rezept mit einem Jetrium-Präparat. Es war viel Betrieb zu dieser Tageszeit und die Angestellten liefen emsig hin und her. Ich sah schon das Jetrium-
Gläschen in der Hand des Apothekers und mein Puls schlug schneller. Doch er beeilte sich nicht sehr, mir das Mittel zu geben, sondern sagte, als plötzlich die Tür aufging, auf mich deutend: »Das ist er!« Ich wusste, dass nun hinter mir die Polizei stand. So war mein Tanz zu Ende und ab ging es ins Polizei-Gefängnis, in die Krankenabteilung. Nun, dies war zwar mein zweiter Gefängnisaufenthalt, aber doch der erste mit einem »Affen« im Rücken. Oh,
welch eine Qual, Schmerzen, nichts als Schmerzen und dann die Resignation: Alles vorbei, es läuft nichts mehr, kein Morphium, sondern Entzug! Cold Turkey!
Zuerst wurde ich in die Kleiderkammer geführt, wo ich blau-weiß gestreift – mit den Farben der Krankenabteilung – eingekleidet wurde. In der Krankenabteilung
selbst kam ich auf eine Gemeinschaftszelle, wo ich zunächst mit Behelfsmitteln wie Valium, Neurocil und anderen Psychopharmaka versorgt wurde. Ja, der Tanz
war aus! Da lag ich nun, die Nase lief und die Augen tränten, meine Kleider waren schweißdurchnässt. Heiße und kalte Schauer überfielen mich, Beine und Magen schmerzten. Nur ein Gedanke: Morphium! Doch war mir klar, dass es keinen Sinn hatte, zu jammern.
Ich konnte nur da liegen und mein Leid ertragen. Mir war bewusst, dass keiner mir helfen konnte, nur
die Zeit würde heilen, in 3 bis 4 Tagen würde das Schlimmste vorbei sein. Auf meiner Gemeinschaftszelle lag Robert, der große Dealer – selbst auch süchtig. Er sagte immer. »Das Feinste, das Feinste vom Feinen.« Da war Larry, ein ehemaliger Vietnam-Soldat, der immer ein lockeres Bein hatte
und bei jeder Gelegenheit tanzte. Da war ein Jugoslawe, Alkoholiker, wegen politischer Sachen eingelocht, er sorgte auf der Zelle für Sauberkeit
– er hatte einen regelrechten Putzfimmel. Und dann waren da noch die anderen: Diebe, Zuhälter, Schwule und Zeitgenossen ähnlichen Kalibers...