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1. Kindheit und Jugend
Georg von Viebahn entstammte einer preußischen Beamtenfamilie, die durch Friedrich Wilhelm I. (1740) aufgrund der hohen Verdienste eines Ahnen geadelt worden war. Der Vater Georgs hatte teil an der oben geschilderten Frömmigkeit und an den preußischen Tugenden wie Gewissenhaftigkeit, Treue, Einfachheit und Sparsamkeit. Der junge Viebahn wurde von klein auf in allen diesen Eigenschaften erzogen. Echtes Gottvertrauen und Treue zum Überkommenen prägten die Familie. Georgs Vater, Johann Georg von Viebahn, teilte das Schicksal der meisten Beamten: er wurde sehr oft versetzt. Als promovierter Jurist hatte er nacheinander Regierungsämter in Arnsberg, Minden, Posen, Düsseldorf und Berlin inne. Als ihm sein dritter Sohn Georg am 15. November 1840 geboren wurde, war er Oberregierungsrat in Arnsberg. Zwei Jahre später jedoch schon Geheimer Finanzrat im damaligen Finanzministerium in Berlin. Und hier verlebte Georg den größten Teil seiner Kindheit mit drei Brüdern und einer Schwester. Es liegt eine Niederschrift Georg von Viebahns vor, der begonnen hatte, seine. Lebenserinnerungen zu schreiben. Leider fand sich die Zeit zur Fortsetzung nicht. So haben wir nur kurze Notizen. Er schreibt: "Ich weiß, daß meine Mutter jeden Abend, wenn wir Kinder zu Bett gebracht waren, zu uns kam und wir ein Gebet sagen mußten; es lautete:
,Lieber Gott, ich bet zu dir, mach ein frommes Kind aus mir,
und sollte ich es nicht werden, nimm mich lieber von der Erden! Amen. '
Alsdann sagte sie uns gute Nacht. Deutlicher werden meine Erinnerungen von der Zeit an, wo meine Eltern in Berlin die Wohnung in der Lenne-Str. 8, eine Treppe hoch, bezogen (nahe dem BrandenburgerTor). Wir wohnten dort wunderhübsch, gegenüber dem Tiergarten, mit Balkon. Unsere Kinderstube, welche zugleich das Eßzimmer war, hatte zwei Fenster nach den Gärten der Nachbarschaft hinaus.
Meine Erziehung lag hauptsächlich in den Händen meiner Mutter, da mein Vater den Tag über sehr beschäftigt war und in den wenigen Stunden, welche er in seiner Familie verleben konnte, sich an derselben erfreuen und erquicken wollte. Des Morgens frühstückten wir alle zusammen; im Sommer ging Papa vorher zum Schwimmen und nahm uns vom achten Jahre an dazu mit hinaus. Auf dem Hin- oder Rückwege las er uns ein Gedicht von Schiller oder Uhland vor, dessen einzelne Verse wir dabei auswendig lernen sollten, was immer sehr fatal war. Dennoch tat mein Vater in seiner großen Freundlichkeit dasselbe stets, ohne ungeduldig zu werden. Überhaupt war er sehr gütig; trotzdem hatte ich als Kind und Junge eigentlich mehr Furcht und Respekt vor meinem Vater als Liebe, obwohl er uns nur sehr selten, in ganz außerordentlichen Fällen, strafte. Wenn er strafte, so tat er es allerdings sehr tüchtig, und deshalb war das Wort ,du sollst zu Papa in die Schreibstube kommen' ein Donnerwort des Gerichtes.
Meine Mutter erzog uns ziemlich streng, insofern, als wir nicht unbeschränkt in Essen und Trinken, Herauslaufen und Daheimbleiben waren, sondern alles mußte seine bestimmte Ordnung haben.
Ich erinnere mich, schon als Kind den Wunsch gehabt zu haben, Soldat zu werden; und zwar zog mich seit der Kinderzeit die Uniform der Schwarzen Dragoner an, in der ich den alten Prinzen Wilhelm im Tiergarten täglich spazieren gehen sah. Auch für alles, was mit Pferd und Wagen zusammenhing, hatte ich ein sehr großes Interesse, daher außer den Zinnsoldaten, Säbel und Gewehr namentlich ein kleiner, gelber Postwagen mein Lieblingsspielzeug war, an dem aber die Pferde zum Ausspannen sein mußten.
Ich weiß aber auch, daß Ehrfurcht vor Gott und dem Könige uns Kindern von Vater und Mutter eingepflanzt wurde, und dafür sei ihnen besonders gedankt. Als ich noch ein Kind war, schrieb mir meine teure Mutter auf die erste Seite eines kleinen Stammbuches am 17. November 1849:
,Du weintest einst, als du die Welt erblicktest, doch aller Augen Lächeln grüßte dein Erscheinen. Gott gebe, daß, wenn sich dein Auge schließt, du lächelst, während alle weinen."
Georg war zum Unterschied von seinen Brüdern von Kind auf nicht kräftig. Auch beim Knaben konnte man die Leistungsfähigkeit des Mannes noch nicht erkennen. Es hing wohl mit seiner schwachen Konstitution zusammen, daß er einst beim Baden fast ertrunken wäre, als er sich im Schlinggewächs verfangen hatte. Sein Freund von Prittwitz, der Sohn des Generals von Prittwitz und Gaffron, rettete ihn damals. Doch im Kampf mit seiner körperlichen Schwachheit entfaltete sich die Energie des späteren Offiziers.
Er besuchte das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Berlin, bis der Vater 1858 Regierungspräsident in Oppeln/Oberschlesien wurde. Hier schließt Georg die Schule 1859 mit dem Abitur ab. Schon als Gymnasiast begann er nach einem festen Fundament seines Glaubens zu suchen. Offenbar genügte ihm eine traditionelle Frömmigkeit nicht. Etwa in der Zeit seines Konfirmandenunterrichtes hatte er ein Gespräch mit seinem Mitschüler Walther von Prittwitz. Dieser fragte ihn, warum er immer so traurig aussähe. Die Antwort lautete überraschenderweise:
"Es bekümmert mich, daß ich' Gott nicht so liebe, wie ich sollte. " Eine seltsame Antwort, die eine unerwartete Reife zeigt! Die Frage des jungen von Prittwitz, der ihn dann auf Jesus hinwies, hat Viebahn lange nicht losgelassen.
Seinem jüngsten Sohn Bernd hat er später erzählt, daß er in der Zeit des Konfirmationsunterrichts beim Domprediger Snethlage eine Stunde der Erweckung erlebte, die wir wohl seine Bekehrung nennen dürfen. Snethlage war von König Friedrich Wilhelm IV. aus dem Wuppertal an den Berliner Dom berufen worden. Im Wuppertal war damals eine tiefgehende Erweckung im Gange, und der neue Domprediger vertrat die lebendige Botschaft dieser Bewegung. Georg von Viebahn erzählt, mit fünfzehn Jahren habe er abends kniend vor seinem Bett gebetet und sein Leben bewußt Jesus übergeben. Ein Bibelwort hat damals eine entscheidende Bedeutung für ihn bekommen. Es ist das Wort aus dem Buch Jesaja
(54, 10): "Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer." Diese große Zusage seines Gottes ging der eigenen Lebensübergabe voraus. Dadurch entstand wirklicher Glaube. Die verheißene Treue des Herrn hat diesen jungen Menschen überwunden. Viebahn hat sie sein Leben lang gepriesen. Treue wurde der besondere Charakterzug sowohl seines beruflichen wie seines geistlichen Lebens. Georg und seine Brüder wurden von ihren soldatischen Vorgesetzten als hochgebildet bezeichnet. Das Elternhaus hatte offenbar auch außerhalb der Schule für eine geschichtsfrohe und literarische Bildung gesorgt, die über den normalen Durchschnitt hinausging. Das reichste Erbe aus der Kinderzeit war jedoch der entschlossene Glaube seit jener Stunde, als der Fünfzehnjährige den Weg zu Jesus fand. Dieses Erleben, da er sich mit seiner ganzen Existenz dem Auferstandenen übergab, hat sein weiteres Leben geprägt.
Daß ihm dieser Gewinn aus der Entwicklungszeit in der Kaserne nicht verlorenging, verdankte er den Freunden, die Gott ihm zuführte. Aber zugleich war es doch die Treue, die aus dem Wort seiner Erweckung zu ihm gesprochen hatte: "Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen. " Diese Zusage seines Gottes, die er ganz persönlich für sich in Anspruch genommen hatte, verpflichtete den jungen Mann zu gleicher Treue. So blieb es durch sein ganzes Leben: Treue gegen sein Volk und gegenüber seinem König, Treue zu seiner Frau - und über allem die Treue zu seinem Gott und Heiland!
Der Verlust dieser Treuebegriffe, den wir heute weithin in unserem Volk feststellen müssen, ist der größte Verlust, der nur durch eine tiefe geistliche Erweckung in den Gewissen durch Gott geheilt werden kann. Geschieht das nicht, so ist der Untergang des deutschen Volkes nicht mehr aufzuhalten. Gott schenke uns Väter und Mütter, die sich zur Treue bekennen und in ihren Kindern die Bereitschaft dazu stärken und die damit Abbild und Hinweis auf die Treue Gottes sind, welche Georg von Viebahn so ergriffen und dann durch sein ganzes Leben durchgetragen hat.
2. Der Soldat
Die Familie von Viebahn war seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts eine preußische Beamtenfamilie. Das war gleichbedeutend mit konservativ und königstreu. Doch interessanterweise hatte gerade der Vater Georg von Viebahns als ehemaliger Burschenschaftler in der Zeit der sogenannten "Demagogenverfolgung" mehrere Jahre Festungshaft zu erleiden. Die Burschenschaftsbewegung war eine nationale Bewegung unter den Studenten, die über alle Grenzen der deutschen Kleinstaaterei hinweg die jungen Intellektuellen verband und wegen ihrer reformerischen Ideen das Mißtrauen der Regierungen auf sich gezogen hatte. Trotz der Restauration und der erlebten Diskriminierung war es für den Vater Johann Georg eine Freude, daß drei seiner Söhne Berufsoffiziere wurden und alle drei es bis zum General brachten.
Der Älteste, Rudolf, war zwei Jahre älter als Georg. Er war 1838 in Berlin geboren und trat nach kurzem Philosophiestudium in Bonn und Berlin als Einjährigfreiwilliger in das Alexander Gardegrenadierregiment ein. Nach den Feldzügen von 1866 und 1870/71 wurde er schnell befördert. Bei dem Angriff der Kavallerie bei Gravelotte wurde sein Pferd unter ihm erschossen. Zwanzig Jahre später war er Generalmajor, 1896 Generalleutnant, 1900 kommandierender General und 1901 als General der Infanterie zur Disposition gestellt.
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