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Menschen der Bibel begegnen Jesus - der Gelehrte aus Mesopotamien - der Gelähmte mit seinen Freunden - der Standortoffizier aus der Garnison - die Halbweltdame mit veränderter Haltung - der Unentschlossene vom See Genezareth - der Pastor mit der todkranken Tochter - der Ratsherr und sein diskreter Besuch - der Pflegefall aus dem Siechenhaus - der Vater mit seinem Sorgenkind - der Leprakranke und seine neun Leidensgenossen - die Lebedame oder das Ende der Unmoral - der Blinde aus der Palmenstadt - der Steuerinpektor und seine Kletterpartie - der Wachbeamte mit dem delikaten Auftrag - der römische Offizier und Exekutionskommando - die Anhängerin aus dem Dorf Magdala - der nächtliche Wanderer und sein Freund
Leseprobe: Der Gelehrte aus Mesopotamien
Noch heute sehe ich mich in der Erinnerung auf dem Kamel hocken, am Sattelknauf festgeklammert, mit diesem flauen Gefühl im Magen von der ewigen Schaukelei, aber den Blick fest nach oben gerichtet... Nacht für Nacht ritten wir so durch die Wüste.
Nicht nur, um der größten Hitze zu entgehen, reisten wir nachts, sondern vor allem deshalb, um den Stern nicht aus den Augen zu verlieren, der ja die Ursache dieser Expedition war.
Sie müssen wissen, daß wir den Nachthimmel nicht nur beobachten, sondern auch deuten. Seit alter Zeit halten wir an der Tradition fest, daß zwischen dem Lauf der Gestirne und dem Geschehen auf der Erde ein Zusammenhang besteht. Genaues wissen wir in diesen Fragen zwar nicht, aber es gehört zum Wesen des Menschen, daß sein Wissen immer bruchstückhaft und ungenau bleibt. Auch wer das weiß, wird nicht aufhören zu suchen. Erst recht nicht, wenn er forschender Wissenschaftler ist.
Als wir den Stern entdeckt hatten, war das eine wis-. senschaftliche Sensation. Nächtelang standen wir auf dem Turm und schauten und maßen und diskutierten. Das war eine Aufregung in Fachkreisen! So etwas hatte es noch nie gegeben, solange unsere Fakultät ihre Forschungen anstellte!
Der neue Stern erschien in einer Konstellation, die auf zweierlei hindeutete: auf das Volk der Juden und auf die Geburt eines Königs. Hinzu kam, daß man in jener Zeit viel davon sprach, aus dem Volk der Juden sollte ein mächtiger Herrscher hervorgehen. Wir Sternkundigen wußten besonders viel über die Erwartung, denn wir konnten sie mit der Überlieferung der Juden in Verbindung bringen. Sie wissen sicher, daß sie ein paar hundert Jahre vorher als Gefangene in Babel waren. Als Cyrus sie freiließ, blieben viele da und prägten mit ihrem Glauben zu einemm gewissen Teil auch unsere Kultur. Einer ihrer geistigen Führer, Daniel, war damals Rektor unserer Universität. Aus dieser Zeit stammte die Tradition, daß ein großer jüdischer König erwartet wurde. Die Propheten dieses Volkes sollen ihn schon vor langer Zeit angekündigt haben.
Eines Tages faßten wir also den Entschluß, mit einer Abordnung namhafter Wissenschaftler hinzureisen und der Sache auf den Grund zu gehen. Auf diese Weise kam es zu diesem endlos scheinenden Ritt durch die nächtliche Einsamkeit. Mir tut heute noch der Rükken und dessen Verlängerung weh, wenn ich daran denke. Doch, Spaß beiseite - es war ja eine ernste wissenschaftliche Untersuchungskommission, die da durch die Wüste schaukelte. Und das Objekt, das es zu untersuchen galt, faszinierte uns alle ungeheuer.
Neugier und Spannung ließen uns alle Strapazen unwichtig erscheinen. Was würden wir wohl antreffen? Einen kleinen Prinzen, der im Palast geboren und mit einem rauschenden Fest begrüßt wurde? Oder einen Knabenn aus einem anderen vornehmen Haus, der erst später König werden sollte? Dann freilich dürfte von seinem Genius noch nicht viel zu sehen sein. Denn wenn wir annahmen, daß er bei Erscheinen des Sterns geboren wurde, konnte er jetzt kaum über ein Jahr alt sein.
Damaskus ließen wir rechts liegen und kamen von Nordosten her ins Land der Juden. Wir konnten uns in der aramäischen Handelssprache ganz gut verständigen und fragten uns bis nach Jerusalem durch.
Kennen Sie Jerusalem? Nicht so imponierend wie Babel, erst recht nicht wie Rom. Aber es wirkt auch nicht provinziell. Das kommt durch die beherrschende Lage auf dem Höhenzug und vor allem durch den imponierenden Bau des Tempels. Lachen Sie mich nicht aus, aber ich dachte zunächst, das sei der Königspalast. Eine riesige Anlage mit Hallen und Arkaden und in der Mitte der gewaltige Quader des Tempels mit vergoldeten Zinnen. Dagegen nahm sich die Burg gleich nebenan schon bescheidener aus, wenn sie auch mit ihren vier mächtigen Ecktürmen durchaus imponieren konnte. Aber diese Burg war der Sitz des römischen Statthalters. Erst an dritter Stelle kam der vergleichsweise bescheidene Palast des Königs. Der König hätte das gern anders gehabt, wie wir bald merkten, aber er konnte nicht an den tatsächlichen Machtverhältnissen vorbei, die sich in den Bauten widerspiegelten: erst die Religion, das fromme Judentum, Synhedrium, Hohepriester usw., dann die römische Besatzung mit der äußeren Gewalt, aber ohne Einfluß auf Denken und Fühlen der Menschen. Und erst dann kam der König Herodes. Wenn die Römer ihn nicht gestützt hätten, wäre er längst hinweggefegt worden, denn er war im Volk verhaßt. Er war kein reiner Jude; es Floß edomitisches Blut in seinen Adern. Zwar versuchte er, sich beliebt zu machen. - so hatte er z. B. den Tempel vergolden lassen-, aber man verzieh ihm seine Grausamkeiten nicht. Die Familie der Makkabäer, die vor ihm regiert hatte, rottete er grausam aus, und dann begann er...
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