Ein 68er Linker denkt nach
Als ich im Mai 1986 anfing, an dem Buch ROCKY, der Mann mit der Maske (Jahresbestsellerliste '87, Rang 2) zu arbeiten, ermahnte mich mein Freund und PUNKT-Herausgeber Ulrich Eggers, doch lieber über mein eigenes zerbrochenes und erneuertes Leben zu schreiben. Ich lehnte ab. Meine Wunden waren noch zu frisch. Ich erlebte ja bei Gerhard
(Rocky), wie er beim Erzählen seines Lebens nach jeder Stunde heulend zusammenbrach und getröstet werden mußte. Und was waren 15 Stunden Interview gegenüber 300 Stunden schmerzvollen Schreibens in der Einsamkeit? Ein Jahr später bat mich meine Lektorin, doch das von Eggers vorgeschlagene Buch »für meine Kinder und meine Schüler« (ich bin Lehrer) zu schreiben: Das Buch eines 68er Linken, der nicht rechts, aber gläubig geworden ist; eines Mannes, der alle Spielarten der alternativen Szene durchlaufen hat, der sich -trotz anderer Umwelt - in Rockys Zerstörtheit wiederfand, der öffentlich gegen Evangelikale hetzte und heute selber einer ist.
VORWORT
Kennengelernt habe ich den Autor dieses Buches 1984 auf einem Seminar der Zeitschrift PUNKT. Die Begegnung war kurz - aber für beide Seiten eindrücklich. Als Begleiter des jüdischen Zeitzeugen Kurt von der Walde, der auf unserem Seminar von seinem Kampf und Leiden erzählte, erwies sich Michael Ackermann als typischer »68er«, Kenner der jüngeren deutschen Geschichte und engagierter »Antifaschist«. Die Begegnung damals mag beide Seiten nachdenklich gestimmt haben: Junge Christen erfuhren von deutscher Geschichte aus der ganz anderen Sicht eines Betroffenen - und unsere beiden - mehr oder weniger atheistisch orientierten - Gastreferenten erlebten lebendige Christen, die auch ihr bisheriges Klischees durchbrachen und sich als nachdenklich, fragend, hör- und lernbereit erwiesen.
Ein Jahr später begegnete Michael Ackermann Christsein und Christus persönlich. Die Geschichte dieser »Umkehr zum Lebendigen« ist Inhalt des vorliegenden Buches, das damit eine Brücke schlagen kann von kritisch linker Weitsicht hin zu Christus - aber durchaus auch umgekehrt. Denn Ackermann ist - bei aller Distanz zu vielem Kaputten, Falschen und Zerstörerischen in der linken Szene - auch als Christ ein Linker geblieben. Das Einmischen in die Welt, Hinterfragen von Macht, ein kritisches Geschichtsverständnis, »Weltverbesserung« im weitesten Sinne sind ihm Anliegen geblieben. Nicht die kritischen Fragen der Linken entlarvt er als falsch, sondern lediglich die oft weit weniger idealistischen Antworten und Praktiken dieser Szene. Das wird manche Erwartung enttäuschen und unbequem und herausfordernd für viele Mitchristen sein, für die Umkehr zu Christus gleichbedeutend mit der Annahme eines konservativen Weltbilds und rechter politischer Haltung ist.
Aber auch an anderer Stelle kann uns dieses Buch zu einer anderen, differenzierteren Sicht verhelfen. Ackermanns Geschichte lehrt uns: Zu Veränderung kommt es nur durch Begegnung. Das christliche Salz gehört in die Suppe der Welt, es muß sich einbringen, berühren, heilen. Dazu aber muß ich mich einlassen auf den anderen, muß ihm zuhören, Fragen und Kritik verstehen lernen, differenziert sehen. Anders werden wir über gegenseitige Vorurteile schwer hinauskommen, und die Menschen um uns herum werden durch christliche Schranken an der Begegnung mit Christus gehindert.
Ein zweites: Veränderung ist möglich. Nicht durch christliche Überzeugungskraft, sondern durch Christus. Warum sind Christen - anders als Christus - so ungeduldig, so wenig von der gütigen Liebe Christi gezeichnet? Als Ackermann 1984 in der Zeitschrift »Junge Kirche« die Evangelikalen scharf angriff, brach ein Sturm der Entrüstung, Abwehr und Aggression los. Ackermann sah sich üblen Beschimpfungen ausgesetzt. An diesen Menschen brauchte man offenbar keine Hoffnung mehr zu verschwenden.
Und doch wurde aus dem Saulus ein Paulus - weil Gott die Hoffnung für Menschen nicht aufgibt und seine Hand nicht zurückzieht. Aber auch, weil da noch Menschen waren, die sich durch Angriff und linke Kritik nicht stören ließen und zu einer Begegnung verhalfen. Lernen wir doch, daß es nie zu spät ist, auf Menschen zuzugehen und daß unsere Ablehnung sehr wohl Ideen, Ideologien, Meinungen gelten darf, nicht aber Menschen.
Zuguterletzt: Bücher über Leute mit einer aus gutbürgerlicher Sicht eher exotischen Lebensgeschichte bergen immer eine Gefahr: Sie können ablenken vom Blick auf das eigene Leben, das doch anscheinend so viel normaler und ungefährdeter ist. Diese Gefahr geht von Ackermanns Buch über »Rocky«, dem Mann mit der Maske, genauso aus, wie von dem vorliegenden. Vorzeige-Linke und Vorzeige-Rocker können darüber hinwegtäuschen, daß auch wir gemeint sind. Denn nicht erst als Linker ist man Atheist. Der ganz normale atheistische Materialismus zwischen Urlaub, Kaufhaus, Auto und Eigenheim ist mit Sicherheit der größere Angriff auf eine lebendige Nachfolge Jesu Christi, denn er hat den besseren Leumund, kommt auf leisen Füßen und man verfällt ihm leicht und unbeobachtet. Lassen wir uns also nicht täuschen: Ackermanns Weg zu Christus ist kein anderer als der von Otto Normalverbraucher
ISBN: 9783417204209 (früher: 3417204208)
Format: 18 x 11 cm
Seiten: 94
Verlag: R. Brockhaus
Erschienen: 1988
Einband: Taschenbuch