J.N.Darby: Der Brief an die Galater

11/02/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

J.N.Darby: Der Brief an die Galater

Der Brief an die Galater zeigt uns die Hauptquelle der Trübsale und Kämpfe des Apostels in den Gegenden, in denen er die frohe Botschaft verkündigt hatte, und damit zugleich das Hauptmittel, das von dem Feinde benutzt wurde, um das Evangelium zu verderben. Freilich hat Gott in Seiner Liebe das Evangelium den Bedürfnissen der Menschen angepaßt; aber der Feind zieht das, was den Na­men Evangelium trägt, herab auf den Boden des stolzen Willens des Menschen und des Verderbens seines natür­lichen Herzens. Er verwandelt so das Christentum in eine Religion, die diesem Herzen entspricht, und jenes aufhören läßt, der Ausdruck des Herzens Gottes, und zwar eines all­heiligen Gottes sowie die Offenbarung dessen zu sein, was Er in Seiner Liebe getan hat, um uns mit Seiner Heilig­keit in Verbindung zu bringen. 

Zugleich sehen wir hier in denen, die das Werk des Apostels hinderten, die Verbin­dung der jüdischen Lehre (welche die völlige Erlösung leug­net und in dem Fleische und Willen des Menschen noch etwas Gutes sucht, indem sie Kraft in dem Menschen vor­aussetzt, um in sich selbst eine Gerechtigkeit für Gott her­vorzubringen) mit den Angriffen, denen sein Dienst fort­während ausgesetzt war. Denn dieser Dienst berief sich ge­radewegs auf die Kraft des Heiligen Geistes und die un­mittelbare Autorität eines verherrlichten Christus und setzte sowohl den Menschen in seinem Verderben, als auch das Judentum, das sich mit dem Menschen beschäftigte, gänz­lich beiseite.

 Während der Apostel so den Anstrengungen der jüdischen Lehre entgegentritt, entwickelt er notwendi­gerweise die elementaren Grundsätze der Rechtfertigung aus Gnaden. Spuren von diesem Kampf mit dem Geiste des Judentums, durch welchen Satan das wahre Christentum zu verderben trachtete, sowie von der Art und Weise, wie der Apostel diese Freiheit und die Autorität seines Dienstes aufrecht hielt, finden sich, außer in der Apostelgeschichte, in zahlreichen Stellen der Briefe an die Korinther, Philipper, Kolosser und an Timotheus. In dem Briefe an die Galater aber werden diese beiden Gegenstände in unmittelbarer und eingehender Weise behandelt. Deshalb wird das Evangelium zu seinen einfachsten Grundsätzen und die Gnade zu ihrem einfachsten Ausdruck zurückgeführt. Aber hinsichtlich des Irrtums wird die Frage um so bestimmter entschieden, und der unversöhnliche Unterschied zwischen den beiden Grundsätzen: Judentum und Evangelium, um so schärfer hervorgehoben. 

Gott ließ diesen Angriff auf Seine Versammlung in den frühesten Tagen ihres Daseins zu, damit wir eine von Ihm eingegebene Unterweisung über jene beiden Grundsätze besäßen, wenn diese sich zu einem festgestellten System entwickelt haben würden ‑ zu einem System, das als die vorgeblich von Ihm gestiftete Kirche und als das alleinige von Ihm anerkannte Amt von den Kindern Gottes Unterwerfung fordert. So stellt denn unser Brief klar und deutlich dar, zunächst die unmittelbare Quelle alles wahren Dienstes nach dem Evangelium, das Paulus den Nationen predigte, und dann die Unmöglichkeit, das Gesetz mit diesem Evangelium zu vereinigen, oder mit anderen Worten, ein Unterworfensein unter die Satzungen des Gesetzes, die Unterscheidung von Tagen usw. zu verbinden mit der heiligen und himmlischen Freiheit, in die w;‑ durch einen auferstandenen Christus eingeführt worden sind, ‑ ich wiederhole, die Unmöglichkeit, die Religion des Fleischer mit der des Geistes zu vereinigen. 

KAPITEL 1 

Der Apostel stellt von vornherein die Unabhängigkeit seines Dienstes gegenüber allen anderen Menschen fest, indem er dessen wahre Quelle angibt, aus dem er ihn ohne die Vermittlung irgendeines Zwischenwerkzeugs empfangen hatte; und um zu zeigen, daß die Galater in Gefahr standen, den allgemeinen Glauben der Heiligen zu verlassen, fügt er hinzu: und alle Brüder, die bei mir sind.‑ Indem er dann auf den Gegenstand seines Briefes eingeht, erklärt er sofort, daß die Lehre, welche die Anhänger des Judentums bei den Galatern eingeführt hatten, ein anderes Evangelium sei (das aber in Wirklichkeit kein anderes Evangelium war) und nicht das Evangelium Christi. 

Der Apostel beginnt also mit der Erklärung, daß er nicht ein Apostel von Menschen, noch durch einen Menschen sei (V. ‑i). Er kommt nicht von seiten der Menschen, als ob er von ihnen gesandt worden wäre, noch hat er seinen Auftrag mittelst irgendeines Menschen empfangen, "sondern durch Jesum Christum und Gott, den Vater, der ihn auferweckt hat aus den Toten"; durch Jesum Christum, als er auf dem Wege nach Damaskus war, und durch den Vater, wie mir scheint, als der Heilige Geist sagte: "Sondert mir nun Barnabas und Saulus aus" (Apg. 13, 2). Er spricht aber so, um den Ursprung seines Dienstes zu der Urquelle alles wahren Gutes und aller rechtmäßigen Autorität zurückzuführen*. 

* "Nicht von Menschen" wird die sogenannte "Geistlichkeit" gern zugeben, aber "nicht durch Menschen" kann sie nicht zugeben, da es ihr Dasein als solche an der Wurzel angreift. Man rühmt sich der Abkunft von einem Menschen, aber nicht (und das ist bemerkenswert genug) von Paulus, dem wahren Diener der Kirche, sondern da, wo man hauptsächlich auf dieser Abkunft besteht, von Petrus, dem Apostel der Beschneidung. Petrus war aber gar nicht der Apostel der Heiden und ist, soviel wir wissen niemals zu ihnen gegangen. Er wünscht, wie gewöhnlich, der Versammlung Gnade und Friede von Gott, in Seinem Charakter als Vater, und von Jesu Christo, in Seinem Charakter als Herr. Doch fügt er hier dem Namen Jesu das hinzu, was notwendig zu jenem Charakter des Evangeliums gehört, den die Galater aus den Augen verloren hatten, nämlich: daß Christus Sich Selbst für unsere Sünden hingegeben hat, damit Er uns herausnehme aus der gegenwärtigen bösen Welt (V. 4). 

Der natürliche Mensch in seinen Sünden gehört dieser Welt an. Die Galater wünschten, unter dem Vorwand der Erlangung einer Gerechtigkeit nach dem Gesetz, zur Welt zurückzukehren. Christus hat Sich Selbst für unsere Sünden hingegeben, damit Er uns aus der Welt herausnehme; denn die Welt ist gerichtet. Als im Fleische 'betrachtet, sind wir von der Welt. Nun, Gesetzesgerechtigkeit hat es mit Menschen im Fleische zu tun. Der Mensch im Fleische hat sie zu erfüllen, und das Fleisch hat seinen Wirkungskreis in dieser Welt; eine Gerechtigkeit, die der Mensch im Fleische vollbringen würde, wäre den Elementen dieser Welt entsprechend. Gesetzliche Gerechtigkeit, der Mensch im Fleische und die Welt gehen zusammen. 

Dahingegen hat Christus uns als Sünder betrachtet, die keine Gerechtigkeit haben, und hat Sich Selbst für unsere Sünden hingegeben, um uns so aus dieser gerichteten Welt zu befreien aus einer Welt, in der die Menschen Gerechtigkeit aufzurichten trachten, indem sie sich auf den Boden des Fleisches stellen, das aber niemals Gerechtigkeit hervorbringen kann. Diese Befreiung entspricht auch dem Willen unseres Gottes und Vaters. Er will ein himmlisches Volk haben, erlöst gemäß jener Liebe, die uns einen Platz droben bei Ihm gegeben hat und damit ein Leben, in welchem der Heilige Geist wirkt. Und Er wirkt, um uns dieses Leben genießen zu lassen und uns zu befähigen, in der Freiheit und Heiligkeit zu wandeln, die Er uns in dieser neuen Schöpfung gibt, von der Jesus Selbst, auferweckt und verherrlicht, das Haupt und die Herrlichkeit ist. 

Der Apostel beginnt seinen Gegenstand ohne jede weitere Einleitung. Er ist ganz von ihm erfüllt. Zugleich zwingt der Zustand der Galater, die im Begriff standen, das Evangelium in seinen Grundlagen aufzugeben, sein bedrücktes und, ich möchte sagen, mit Unwillen erfülltes Herz, davon zu reden. Wie war es möglich, daß die Galater Ihn, der sie nach der Macht der Gnade Christi berufen hatte, so bald verlassen konnten, um eines anderen Evangeliums willen? Durch diese Berufung Gottes hatten sie teil an der herrlichen Freiheit und an dem Heil, das seine Verwirklichung im Himmel findet. Durch die Erlösung, die Christus vollbracht hatte, und durch die Gnade, an der wir in Ihm teilhaben, genossen sie ein hinunlisches und christliches Glück.

 Und jetzt wollten sie sich zu einem ganz anders gearteten Zeugnis wenden, zu einem Zeugnis, das kein anderes Evangelium, keine andere frohe Botschaft war. Indem es das wahre Evangelium verdarb, versetzte es ihre Herzen nur in Unruhe. "Aber", sagt der Apostel (und er wiederholt seine Worte über diesen Gegenstand), "wenn auch ein Engel aus dem Himmel oder ich selbst euch etwas als Evangelium verkündigte, außer dem, was wir euch verkündigt haben, der sei verflucht!" 

Beachten wir hier, daß er nicht erlauben will, daß dem, was er gepredigt hatte, irgend etwas hinzugefügt werde. Die Galater verleugneten Christum nicht ausdrücklich; sie wünschten nur die Beschneidung hinzuzufügen. Aber das Evangelium, das Paulus verkündigt hatte, war das vollkommene und ganze Evangelium. Man konnte ihm nichts hinzufügen, ohne es zu verändern, ohne dadurch zu sagen, daß es nicht das vollkommene Evangelium sei, ohne in Wirklichkeit etwas Fremdartiges hinzuzufügen, das heißt, es zu verderben. Denn was Paulus sie gelehrt hatte, war die ganze himmlische Offenbarung Gottes. In seiner Unterweisung hatte er den Kreis der Lehre Gottes geschlossen. 

Etwas hinzufügen hieß ihre Vollkommenheit leugnen, ihren Charakter verändern und das Evangelium verderben. Der Apostel spricht nicht von einer Lehre, die dem Evangelium offen entgegentrat, sondern von dem, was sich außerhalb des von ihm gepredigten Evangeliums befand. Also, sagt er, kann es kein anderes Evangelium geben; es war ein verändertes Evangelium, aber es gab keine gute Botschaft außer der, welche er verkündigt hatte. Es war nur eine Verfälschung des wahren Evangeliums, eine Verfälschung, durch die die Seelen verwirrt wurden. Deshalb konnte er aus Liebe zu den Seelen diejenigen verfluchen, die sie von der vollkommenen Wahrheit, die er gepredigt hatte, abzuwenden suchten. 

Es war das Evangelium Gottes selbst. Alles andere war von Satan; wenn auch Paulus selbst es brachte, sollte doch der Fluch ihn treffen. Das reine und ganze Evangelium war schon verkündigt worden, und es behauptete seine Rechte im Namen Gottes wider alles, was sich mit ihm zu vereinigen bestrebte. Suchte Paulus in seinem Evangelium Menschen zufrieden zu stellen, oder suchte er Menschen zu gefallen? Keineswegs, denn dann würde er Christi Knecht nicht gewesen sein (V.10). 

Weiterhin redet der Apostel geschichtlich von seinem Dienst und beschäftigt sich mit der Frage, ob der Mensch irgend etwas damit zu tun habe. Sein Evangelium war nicht "nach dem Menschen" (V. ‑11); denn er hatte es weder von irgendeinem Menschen empfangen, noch hatte er es gelernt. Was er besaß, war ihm geworden durch die unmittelbare Offenbarung, die er von Jesu Christo empfangen hatte (V. ‑12). Und als es Gott, der ihn von seiner Mutter Leibe an abgesondert und durch Seine Gnade berufen hatte, wohlgefiel, Seinen Sohn in ihm zu offenbaren, besaß die Offenbarung sofort eine eigene Kraft als solche (V. 15. 16). Er ging nicht mit irgend jemand zu Rate, er setzte sich nicht in Verbindung mit den übrigen Aposteln, sondern handelte sofort unabhängig von ihnen, als einer, der unmittelbar von Gott belehrt war. Erst nach drei Jahren ging er hin, um mit Petrus Bekanntschaft zu machen, und er sah auch Jakobus. Den Versammlungen von Judäa war er von Person unbekannt; allein sie verherrlichten Gott der Gnade wegen, die er empfangen hatte. Zudem war er nur fünfzehn Tage in Jerusalem. Dann ging er in die Gegenden von Syrien und Cilicien (V. 18‑24). 

KAPITEL 2 

Vierzehn Jahre später ging Paulus mit Barnabas hinauf nach Jerusalem (die nähere Mitteilung darüber finden wir in Apg. 15) und nahm auch Titus mit sich. Titus war ein Grieche, war aber trotzdem nicht beschnitten worden: ein deutlicher Beweis von der Freiheit, in welcher der Apostel öffentlich stand. Es war seinerseits ein kühner Schritt, daß er Titus mitnahm und auf diese Weise die Frage zwischen ihm selbst und den jüdischgesinnten Christen entschied. Er ging hinauf der eingeschlichenen falschen Brüder wegen, die die Freiheit auszukundschaften suchten, in welche Paulus (der sie im Geiste genoß) die Gläubigen einführte; und er ging hinauf zufolge einer Offenbarung (V. ‑1‑5). 

Beachten wir hier, wie die Mitteilungen des Herrn innerlich unser Verhalten leiten können, obwohl wir Beweggründen nachgeben, die andere uns dargeboten haben. In Apg. 15 finden wir die äußere Geschichte, hier hingegen das, was das Herz des Apostels beherrschte. Um jeden Mund zu verschließen und die Einheit zu bewahren, leitete Gott es so, daß die Sache zu Jerusalem entschieden wurde, indem Er dem Apostel nicht erlaubte, zu Antiochien die Oberhand zu haben, oder ohne weiteres das Verhalten der dortigen Versammlung zu regeln.

 Ebensowenig erlaubte Er ihm, mit seinen eigenen Überzeugungen für sich dazustehen, sondern Er ließ ihn hinaufgehen nach Jerusalem, um den vornehmsten Aposteln mitzuteilen was er lehrte, damit in dem Zeugnis über diesen so wichtigen Gegenstand Gemeinschaft bestände, und damit auch jene Paulus als einen Mann anerkennten, der unabhängig von ihnen von Gott belehrt war. Zugleich sollten sie anerkennen, daß sein Dienst von Gott verordnet war und daß er ebensosehr von seiten Gottes wirkte wie auch sie. Denn obwohl Gott wollte, daß er ihnen mitteilte, was er andere gelehrt hatte, empfing er doch nichts von ihnen. Die Wirkung seiner Mitteilung war, daß sie die Gnade anerkannten, die Gott ihm verliehen, und den Dienst, den er für die Nationen empfangen hatte, und daß sie ihm und Barnabas die Rechte der Gemeinschaft gaben (V. 6‑9). 

Wäre er früher nach Jerusalem gegangen, so würden, wie groß auch seine Erkenntnis gewesen wäre, die Beweise seines besonderen und unabhängigen Dienstes nicht vorhanden gewesen sein. jetzt aber hatte er seit vielen Jahren mit Erfolg gearbeitet, ohne daß er irgendeine Mission von anderen Aposteln empfangen hatte, und sie mußten jetzt nicht nur seine Apostelschaft als die unmittelbare Gabe Gottes anerkennen, sondern auch den Wahrheiten ihre Zustimmung geben, die Gott ihm mitgeteilt hatte: die Beweise dafür waren vorhanden. Geradeso wie Gott dieses Apostelamt gegeben hatte, so hatte Er Sich auch zu ihm bekannt. Die Zwölfe hatten weiter nichts zu tun als er, anzuerkennen, wenn sie anders Gott für die Quelle all dieser ausgezeichneten Gaben hielten. Paulus war ein Apostel von Gott, ohne ihre Vermittlung. Sie konnten seinen Dienst und in demselben den Gott anerkennen, der auch ihnen gegeben hatte, was sie selbst ausübten. 

Überdies hatte Paulus in der Erfüllung seiner Sendung er unabhängig gehandelt. Als Petrus nach Antiochien kam, widerstand er ihm ins Angesicht, weil er zu tadeln war. Petrus stand Paulus nicht gegenüber wie ein Vorgesetzter, vor dem die Untergebenen ein ehrerbietiges Schweigen beobachten müssen. Obwohl Gott in Petrus mächtig gewirkt hatte, konnte doch sein Mitapostel (der Dein treu war, der ihn berufen hatte) nicht zulassen, daß das Evangelium, das von dem Herrn Selbst seiner Sorge anvertraut war, verfälscht wurde. Feurig, wie er war, war der arme Petrus immer zu sehr um die Meinung anderer besorgt. 

Die in der Welt herrschende Meinung ist ja stets etwas, was auf das menschliche Herz Einfluß ausübt, und sie ist immer so beschaffen, daß sie dem Menschen nach dem Fleische eine gewisse Ehre einräumt. Paulus, belehrt von oben und erfüllt mit der Kraft jenes Geistes, der durch Offenbarung der himmlischen Herrlichkeit ihn hatte fühlen lassen, daß alles, was das Fleisch erhob, diese Herrlichkeit verdunkelte und das Evangelium, das dieselbe kundmachte, verfälschte. ‑ Paulus, der innerlich in der neuen Schöpfung, deren Mittelpunkt ein verherrlichter Christus ist, lebte und webte, der ebenso fest war wie feurig, weil er die unsichtbaren Dinge verwirklichte, und ebenso klarsehend wie fest, weil er in der Verwirklichung der geistlichen und himmlischen Dinge in Christo lebte ‑ Paulus, für den der Gewinn des also verherrlichten Christus alles war, erkannte klar den fleischlichen Wandel des Apostels der Beschneidung. Der Mensch schreckte ihn nicht; mit Christo, der sein Alles war, und mit der Wahrheit beschäftigt, schonte er niemand, der diese Wahrheit verkehrte, mochte seine Stellung in der Versammlung sein, welche sie wollte.

 

In Petrus war Heuchelei. Solange er allein war und der Einfluß der himmlischen Wahrheit ihn beherrschte, aß er mit denen aus den Nationen und gab sich das Ansehen, als ob er in derselben Freiheit wandle wie andere. Sobald aber gewisse Personen von Jakobus kamen, von Jerusalem, wo er selbst gewöhnlich wohnte, von jenem Mittelpunkt, wo das religiöse Fleisch und dessen Gewohnheiten (unter der langmütigen Güte Gottes) noch so viel Kraft besaßen, hatte er nicht länger den Mut, eine Freiheit zu gebrauchen, die von den jüdischgesinnten Christen verurteilt wurde; er zog sich zurück. Welch ein armes Geschöpf ist der Mensch! 

Und wir sind schwach nach dem Maße unserer Wichtigkeit vor den Menschen; wenn wir nichts sind, so vermögen wir, insoweit menschliche Meinung in Betracht kommt, alles. Wir üben zugleich einen ungünstigen Einfluß auf andere aus, und zwar in demselben Grade, in welchem wir dem Einfluß nachgeben, den der Wunsch, unseren guten Namen unter den Menschen zu erhalten, auf unsere Herzen ausübt; und die ganze Achtung, die man uns, wenn auch mit Recht, erweist, wird ein Anlaß zum Bösen*. Petrus, der die von Jerusalem gekommenen Judenchristen fürchtet, reißt alle Juden und sogar Barnabas in seiner Heuchelei mit sich fort. 

Paulus, durch die Gnade energisch und treu, bleibt allein aufrichtig, und er tadelt Petrus vor allen. Warum die Nationen zwingen, zum Zweck der Herstellung einer völligen christlichen Gemeinschaft wie die Juden zu leben, wenn er selbst, der ein Jude war, sich frei gefühlt hatte, wie die Nationen zu leben? Sie selbst, von Natur Juden und nicht arme Sünder aus den Nationen, hatten das Gesetz als ein Mittel, sich der Gunst Gottes zu versichern, aufgegeben und zu Christo ihre Zuflucht genommen. Wenn sie aber das Gebäude gesetzlicher Verpflichtungen wiederaufzubauen trachteten, um Gerechtigkeit zu erwerben, warum hatten sie es dann vorher abgebrochen? Indem sie so handelten, stellten sie sich in dem Abbrechen als Übertreter dar. 

* Es ist für das praktische Leben wichtig zu beachten, daß Weltlichkeit oder Nachgiebigkeit in irgendeiner Sache, die nicht aus Gott ist, auf seiten eines frommen Mannes dem von ihm erlaubten Bösen das Gewicht seiner Frömmigkeit verleiht. 

Noch mehr: um zu Christo zu kommen, hatten sie aufgehört, das Gesetz als ein Mittel zur Rechtfertigung zu gebrauchen und die Gerechtigkeit durch das Gesetz zu Suchen; Christus war also ein Diener der Sünde, denn Seine Lehre hatte sie zu Übertretern gemacht. Dadurch, daß sie das Gebäude des Gesetzes wieder aufbauten, bekannten sie augenscheinlich, daß sie es nicht hätten abbrechen sollen; Christus aber war es, der sie dazu veranlaßt hatte! 

Welch ein Ergebnis der Schwachheit, die, um Menschen zu gefallen, zu jenen Dingen zurückgekehrt war, durch die das Fleisch befriedigt wurde! Wie wenig hatte Petrus daran gedacht! Wie wenig ahnen es viele Christen! Auf Satzungen ruhen heißt auf dem Fleische ruhen; im Himmel gibt es keine Satzungen. Wenn Christus, der dort ist, alles ist, kann so etwas keinen Raum finden. Christus hat zwar Satzungen aufgestellt, um Sein Volk von der Welt zu unterscheiden, um dadurch einerseits kundzutun, daß sie nicht von der Welt sind, sondern mit Ihm derselben gestorben, und um anderseits sie zu versammeln auf Grund dessen, was allein sie alle vereinigen kann, das ist auf dem Boden des Kreuzes und der vollbrachten Erlösung, in der Einheit Seines Leibes. 

Wenn wir aber, anstatt diese Satzungen mit Danksagung nach Seinem Willen zu benutzen, auf ihnen ruhen' so haben wir die Fülle, die Allgenugsamkeit Christi verlassen, um auf das Fleisch zu bauen, das sich auf diese Weise mit jenen Satzungen beschäftigen kann und in ihnen seine verderbliche Nahrung findet. Sie wirken dann wie eine Art Vorhang, der den vollkommenen Heiland vor uns verbirgt, von dessen Tode, in Beziehung zu dieser Welt sowie zu dem im Fleische lebenden Menschen, diese Satzungen so deutlich zu uns reden. Auf christlichen Satzungen ruhen heißt nichts anderes, als die köstliche und erhabene Wahrheit, die sie uns darstellen, verleugnen, daß es nämlich, seitdem Christus gestorben und auferstanden ist, keine Gerechtigkeit nach dem Fleische mehr gibt. Dies fühlte der Apostel tief; er war auch berufen worden, gerade dies durch die Kraft des Heiligen Geistes den Augen und Gewissen der Menschen vorzustellen. Wie viele Trübsale, wie viele Kämpfe kostete ihn seine Aufgabe!

 Das Fleisch des Menschen hat so gern etwas Anerkennung; es kann nicht ertragen, als schlecht und zu allem Guten unvermögend betrachtet zu werden. Völlig ausgeschlossen und zur Vernichtung verdammt zu sein ‑ und das nicht etwa durch seine Anstrengungen, sich selbst zu nichts zu machen, was ihm seine ganze Wichtigkeit zurückgeben würde, sondern durch ein Werk, welches das Fleisch in seinem wahren Nichts läßt und das unbedingte Todesteil über dasselbe ausgesprochen hat, so daß es, von der Tatsache überführt, daß es nichts als Sünde ist, nur zu schweigen hat ‑ das kann es nicht ertragen. Wenn das Fleisch in Tätigkeit tritt, so geschieht es nur, um Böses zu tun. Sein Los ist, tot zu sein und nichts anderes. Wir haben sowohl das Recht als auch die Kraft, es dafür zu halten, weil Christus gestorben ist und wir in Seinem Auferstehungsleben leben. 

Er Selbst ist unser Leben geworden. In Ihm lebend, betrachte ich das Fleisch als tot; ich bin nicht ein Schuldner desselben. Gott hat die Sünde im Fleische verurteilt, indem Sein Sohn in Gleichgestalt des sündigen Fleisches und für die Sünde gekommen ist. Dieser große Grundsatz, daß wir mit Christo gestorben sind, ist es, den der Apostel am Ende des Kapitels entwickelt, nachdem er zuvor die Kraft des Gesetzes, das Gewissen vom Tode zu überzeugen, anerkannt hat. Er hatte entdeckt, daß unter einem Gesetz zu sein nichts anderes war, als sich zum Tode verurteilt zu finden. Er hatte im Geiste die ganze Kraft dieses Grundsatzes erfahren; seine Seele hatte den Tod in seiner ganzen Kraft verwirklicht. Er war gestorben; aber wenn er gestorben war, so war er dem Gesetz gestorben. 

Die Macht eines Gesetzes geht nicht über das Leben hinaus; wenn sein Opfer einmal gestorben ist, hat es keine Macht mehr über dasselbe. Nun, Paulus hatte diese Wahrheit erkannt, und, indem er dem Grundsatz des Gesetzes seine ganze Kraft zuerteilte, bekannte er, daß er selbst durch das Gesetz und darum dem Gesetz gestorben war. Aber wie? Hatte er die ewigen Folgen der Übertretung des Gesetzes getragen? Denn wenn das Gesetz tötete, so verdammte es auch (siehe 2. Kor. 3, 7 u. 9). Keineswegs. Es handelt sich hier um eine ganz andere Sache. Paulus leugnete nicht die Autorität des Gesetzes; er erkannte die Kraft desselben in seiner Seele an, aber im Tode, damit er nun Gott leben möchte. 

Wo aber konnte er dieses Leben finden, da das Gesetz ihn nur getötet hatte? Das erklärte er. Nicht er in seiner eigenen Verantwortlichkeit hätte das vermocht, da er ja den endgültigen Folgen der Übertretung des Gesetzes verfallen war ‑ wer hätte je im Gesetz das Leben finden können? Aber Christus war gekreuzigt worden, Er, der den Fluch des Gesetzes Gottes tragen, den Tod erleiden und dennoch leben konnte in dem mächtigen und heiligen Leben, das nichts wegzunehmen vermochte, und das es dem Tode unmöglich machte, Ihn zu behalten, obgleich Er in Gnade den Tod schmeckte. Dieselbe Gnade aber hatte den Apostel erreicht, und indem er nun als ein armer, dem Tod unterworfener Sünder der Wahrheit gemäß das Geschehene anerkannte und den Gott pries, der ihm die Gnade des Lebens und der freien Annahme in Christo verliehen hatte, war er in den Ratschlüssen Gottes mit Christo in Seinem Tode einsgemacht worden. Jene Ratschlüsse waren jetzt verwirklicht durch den Glauben und praktisch zur Wahrheit geworden durch Christum, der gestorben und wieder auferstanden war und so das Leben des Apostels ausmachte. Er war mit Christo gekreuzigt, so daß das Verdammungsurteil des Gesetzes für ihn beseitigt war.

 

Christus war es, den der Tod unter dem Gesetz erreicht hatte. Tatsächlich hatte das Gesetz Saulus, den Sünder, erreicht in der Person Dessen, der Sich für ihn dahingegeben hatte (zugleich aber hatte es auch ihn selbst in seinem Gewissen erreicht und den Tod eingeführt, d. h. den Tod des alten Menschen; siehe Röm. 7, 9.10), und so hatte das Gesetz jetzt kein Recht mehr an ihn; denn das Leben, an welches die Herrschaft des Gesetzes geknüpft war, hatte auf dem Kreuze sein Ende gefunden*. Dessenungeachtet lebte er; doch nicht er, sondern Christus, und zwar in jenem Leben, in dem Christus aus den Toten auferstanden ist: Christus lebte in ihm. 

Also verschwand die Herrschaft des Gesetzes über ihn (obgleich er demselben~ seine ganze Kraft beließ), weil diese Herrschaft verbunden war mit jenem Leben, dem er sich in Christo für gestorben hielt. Christus hatte Sich ja zu diesem Zweck dem Tode wirklich unterzogen. Und Paulus lebte in jenem mächtigen und heiligen Leben, in dessen Vollkommenheit und Kraft Christus aus den Toten auferstanden war, nachdem Er den Fluch des Gesetzes getragen hatte. Er lebte Gott und hielt das verderbte Leben seines Fleisches für tot. Sein Leben leitete seinen ganzen Charakter, sein ganzes Wesen von der Quelle her, aus der es floß. 

Doch das Geschöpf muß einen Gegenstand haben, für den es lebt; das war auch mit der Seele Pauli der Fall, und zwar durch den Glauben an Jesum Christum. Er lebte wirklich durch den Glauben an Jesum Christum. Der Christus, der die Quelle seines Lebens, der sein Leben war, war auch der Gegenstand desselben. Das ist es, was stets das Leben Christi in uns kennzeichnet. Er Selbst ist der Gegenstand desselben, Er allein. Wenn die Tatsache stets vor unserer Seele steht, daß Er durch Sein Sterben für uns in Liebe (Er, der allein dazu fähig war, der Sohn Gottes) uns, die also freigemacht sind von der Sünde, dieses Leben als unser eigenes gegeben hat, dann ist Er in unseren Augen bekleidet mit der Liebe, die Er uns also erwiesen hat. 

* Christus hatte auch seine Sünden getragen, doch davon ist an dieser Stelle keine Rede; es handelt sich hier um die Herrschaft des Gesetzes über ihn, während er auf Erden lebte. 

 Wir leben "durch den Glauben an den Sohn Gottes, der uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat‑. Und hier ist es das persönliche Leben, der persönliche Glaube, der uns mit Christo verbindet und Ihn uns köstlich macht als den Gegenstand des innigsten Glaubens der Seele. Auf diese Weise wird die Gnade Gottes nicht ungültig gemacht; denn wenn Gerechtigkeit sich auf dem Grundsatz des Gesetzes aufbaute, so wäre Christus umsonst gestorben, weil wir, indem wir selbst das Gesetz hielten, in unserer eigenen Person Gerechtigkeit erwerben würden. 

KAPITEL 3 

Welch ein schrecklicher und unersetzlicher Verlust, einen solchen Christus zu verlieren, wie wir Ihn unter der Gnade erkannt haben! eine solche Gerechtigkeit, eine solche Liebe! den Sohn Gottes Selbst, der unser Teil, unser Leben ist, den Sohn Gottes, der Sich für uns hingegeben und Sich uns gänzlich gewidmet hat! Der Gedanke daran erweckt die Gefühle des Apostels so mächtig, daß er ausruft: "0 unverständige Galater! wer hat euch bezaubert?" Christus war, als unter ihnen gekreuzigt, ihnen vor Augen gemalt worden. Ihre Torheit trat noch überraschender zu Tage, wenn sie sich an das erinnerten, was sie empfangen, an das, was sie tatsächlich unter dem Evangelium genossen und was sie für dasselbe gelitten hatten. 

Hatten sie den Geist aus Gesetzeswerken empfangen oder aus der Kunde des Glaubens? Nachdem sie durch die Kraft des Geistes angefangen hatten, wollten sie die Sache nun durch das elende Fleisch zur Vollendung bringen? Sie hatten für das Evangelium gelitten, für das reine Evangelium, das weder durch das  Judentum, noch durch das Gesetz verfälscht war. War denn das alles vergeblich? "Und", fragt der Apostel weiter, "der euch nun den Geist darreicht und Wunderwerke unter euch wirkt ‑ ist es aus Gesetzeswerken oder aus der Kunde des Glaubens?" d. h. in Verbindung mit einem Zeugnis, das sie durch den Glauben aufgenommen hatten. Geradeso hatte auch Abraham Gott geglaubt, und es war ihm zur Gerechtigkeit gerechnet worden. Diesen Grundsatz der Rechtfertigung aus Glauben hatte Gott in der Geschichte des Vaters der Gläubigen aufgerichtet. 

Deshalb waren die, welche sich durch Gnade auf den Boden des Glauben stellten, auch "Söhne Abrahams". Und die Schrift, in der Voraussicht, daß Gott die Nationen aus Glauben rechtfertigen würde, verkündigte dem Abraham diese gute Botschaft zuvor, indem Gott ihm sagte: "In dir werden gesegnet werden alle Nationen." 

Der Brief muß notwendigerweise die Anfangsgründe der christlichen Wahrheit behandeln, denn die Galater waren beschäftigt, das Fundament zu verlassen, und der Apostel besteht auf demselben. Die Hauptgrundsätze des Briefes sind, in Verbindung mit der bekannten Gegenwart des Geistes: Verheißung der Gnade gemäß, im Gegensatz zum Gesetz und vor dem Gesetz, und dann Christus als die Erfüllung der Verheißung, nachdem das Gesetz inzwischen nebeneingekommen ist. Die Nationen waren somit Erben in Christo, dem wahren und einzigen Erben der Verheißung, und die Juden erlangten die Stellung von Söhnen. 

Wir haben in diesem Kapitel also den Grundsatz, auf dem Abraham vor Gott stand, sowie die Erklärung, daß in ihm die Nationen gesegnet werden sollten. Alle nun, die auf dem Boden des Glaubens stehen, sind mit dem gläubigen Abraham gesegnet, während das Gesetz ausdrücklich einen Fluch über sie ausspricht, die es nicht in jedem Punkte beobachten (V. 10).

 Die Anwendung, die der Apostel hier von 5. Mose 27 macht, ist schon an anderer Stelle besprochen worden. Ich möchte hier nur daran erinnern, daß (während die zwölf Stämme in zwei Teile von je sechs geteilt wurden, der eine um den Segen, der andere um den Fluch zu verkünden) nur die Flüche ausgesprochen wurden, während die Segnungen gänzlich unterblieben. Der Apostel benutzt diesen auffallenden Umstand, um den wahren Charakter des Gesetzes ans Licht zu stellen. Zugleich erklärt die Schrift auf die deutlichste Weise, daß nicht Gesetzeswerke rechtfertigen können; denn sie sagt:

 "Der Gerechte wird aus Glauben leben." Das Gesetz aber war nicht aus Glauben, sondern: "Wer diese Dinge getan hat, wird durch sie leben." Sollte denn diese Autorität des Gesetzes, die doch die Autorität Gottes war, nicht aufrechtgehalten werden? Sicherlich! Aber Christus hatte den Fluch des Gesetzes getragen (und also diejenigen erlöst und befreit, die, zuvor dem Urteilsspruch des Gesetzes unterworfen, jetzt an Ihn geglaubt hatten), damit der Segen Abrahams durch Ihn zu den Nationen käme, so daß alle Gläubigen, sowohl die aus den Juden als auch die aus den Nationen, den verheißenen Geist empfangen möchten. 

Christus hatte für den Gläubigen (der zuvor dem Gesetz unterstanden und sich der Übertretung desselben schuldig gemacht hatte) den ganzen Fluch, den es über den Schuldigen aussprach, erschöpft; und das Gesetz, durch das Israel abgesondert war, hatte seine Kraft über jeden Juden, der an Jesum glaubte, verloren, und zwar durch die nämliche Handlung, welche die Autorität des Gesetzes in der schlagendsten Weise bezeugt hatte. Darum war die Scheidewand nicht mehr vorhanden, und der einst verheißene Segen konnte (den Worten gemäß, in denen er seinerzeit dem Abraham gegeben wurde) jetzt frei ausströmen auf die Nationen durch Christum; denn der Fluch, den das Gesetz auf die Juden gebracht hatte, war durch Ihn weggenommen, und sowohl Juden als Nationen konnten nun durch den Glauben an Ihn den Heiligen Geist, den Gegenstand der Verheißung Gottes, in der Zeit der Segnung empfangen. 

Nachdem der Apostel diesen Punkt erörtert hat, behandelt er das gegenseitige Verhältnis, das zwischen dem Gesetz und der Verheißung bestand, ohne von der Wirkung des Gesetzes auf das Gewissen zu reden. Die Verheißung war zuerst gegeben, und nicht nur gegeben, sondern auch bestätigt worden; und wäre es nur ein menschlicher, feierlich bestätigter Bund gewesen, so hätte weder etwas hinzugefügt noch aufgehoben werden können. Nun aber hatte Gott, 430 Jahre vor dem Gesetz, Sich Selbst dem Abraham durch Verheißung verbindlich gemacht, und hatte die Segnung der Nationen gleichsam in der Person Abrahams hinterlegt (1.Mose 12). Diese Verheißung wurde seinem Samen (Isaak) bestätigt* (1.Mose 22), 

* Wir müssen lesen: "Dem Abraham waren die Verheißungen zugesagt, und seinem Samen"; nicht: "dem Abraham und seinem Samen waren die Verheißungen zugesagt." Die auf die irdischen Segnungen Israels bezüglichen Verheißungen wurden dem Abraham und seinem Samen gegeben, mit der Hinzufügung, daß dieser Same sein würde wie die Sterne des Himmels an Menge. Aber hier spricht Paulus nicht von den den Juden gegebenen Verheißungen, sondern von der Segnung, die den Nationen verliehen war. 

Die Segensverheißung für die Nationen wurde dem Abraham allein gegeben, sein Same wird dabei nicht erwähnt (1. Mose 12, 3), und sie wurde, wie der Apostel hier sagt, seinem Samen bestätigt, hier wird Abraham nicht genannt (i. Mose 22, 18) ‑ und zwar in der alleinigen Person des Isaak, dem Vorbilde des Herrn Jesu, der zum Schlachtopfer dargebracht und aus den Toten auferweckt worden ist, wie es vorbildlich bei Isaak der Fall war. Also wurde die Verheißung nicht in Christo, sondern Christo, dem wahren Samen Abrahams, bestätigt. Auf diese Tatsache, daß die Verheißungen Christo bestätigt oder zugesichert waren, stützt sich die ganze Beweisführung des Apostels. 

Die Wichtigkeit der vorbildlichen Tatsache, daß nach der bildlichen Opferung und Auferstehung Isaaks diesem die Verheißung bestätigt wurde, ist augenscheinlich. Ohne Zweifel sicherte das, was dieses Vorbild verwirklichte auf diesem Wege die Verheißung dem David; aber zu gleich wurde die Zwischenwand abgebrochen, die Segnung konnte den Nationen zufließen und, fügen wir hinzu, auch den Juden, kraft der durch Christum vollbrachten Versöhnung. Der Gläubige, der in Ihm Gottes Gerechtigkeit geworden ist, kann mit dem verheißenen Heiligen Geiste versiegelt werden. Wenn man einmal die Wichtigkeit von 1.Mose 12 und 22 bezüglich der den Nationen gegebenen Segensverheißungen verstanden hat, erkennt man auch sehr deutlich die Grundlage, auf welcher die Beweisführung des Apostels ruht. 

und zwar nur einem; Er sagt nicht, "den Samen", sondern „dem Samen"; und dieser Same ist Christus. Ein Jude würde diesen letzten Punkt nicht leugnen. Nun aber konnte das so lange nachher kommende Gesetz die Verheißung, die von Gott zuvorgegeben und feierlich bestätigt worden war, nicht ungültig und wirkungslos machen. Denn wenn die Erbschaft aus Gesetz wäre, so wäre sie nicht mehr aus Verheißung; aber Gott hat sie dem Abraham durch Verheißung geschenkt (V. 18). Warum denn aber das Gesetz, wenn die unveränderliche Verheißung schon gegeben war und die Erbschaft dem Gegenstand dieser Verheißung zufallen mußte, ohne daß das Gesetz Kraft gehabt hätte, irgend etwas daran zu ändern? 

Es ist gegeben worden, weil noch eine andere Frage zwischen der Seele und Gott lag, oder wenn man will, zwischen Gott und dem Menschen, nämlich die der Gerechtigkeit. Die Gnade, die so gern Segen austeilt und ihn zuvor verheißt, ist nicht die einzige Segensquelle für uns. Die Frage der Gerechtigkeit muß mit Gott in Ordnung gebracht werden, d. i. die Frage der Sünde und der Schuld des Menschen. 

Nun, die Verheißung, die bedingungslos Christo gegeben war, redete von der Frage der Gerechtigkeit nicht. Diese Frage mußte aber notwendigerweise erhoben werden, und zwar zunächst dadurch, daß Gerechtigkeit von dem Menschen gefordert wurde. Der Mensch war verantwortlich, Gerechtigkeit hervorzubringen und vor Gott in ihr zu wandeln; er hätte vor Gott gerecht sein sollen. Aber da die Sünde schon da war, wurde das Gesetz in Wirklichkeit dazu eingeführt, die Sünde offenbar zu machen. Die Sünde war schon vorhanden, der Wille des Menschen befand sich in Auflehnung wider Gott; aber das Gesetz rief erst die ganze Kraft dieses bösen Willens wach, und dieser offenbarte seine völlige Verachtung Gottes darin, daß er die Schranke, die das Gebot Gottes zwischen ihm und seinen Lüsten errichtet hatte, einfach übersprang. 

Das Gesetz wurde hinzugefügt, damit Übertretungen da sein möchten, nicht (wie wir bereits bei der Betrachtung des Römerbriefes gesehen haben, wo derselbe Gegenstand behandelt wird) damit Sünde, sondern Übertretungen da seien, durch welche die Gewissen der Menschen erreicht und das Urteil des Todes und der Verdammnis in ihren leichtfertigen und sorglosen Herzen recht fühlbar gemacht werden könnten. Das Gesetz wurde also zwischen die Verheißung und ihre Erfüllung eingeschoben, um den wirklichen sittlichen Zustand des Menschen offenbar zu machen. Die Umstände, unter denen es gegeben wurde, ließen nun völlig ans Licht treten, daß es keineswegs das Mittel zur Erfüllung der Verheißung war. 

Das Gesetz stellte im Gegenteil den Menschen auf einen ganz anderen Boden, auf dem er sich selbst kennenlernte, und der ihn zugleich verstehen ließ, daß er auf der Grundlage seiner eigenen Verantwortlichkeit unmöglich vor Gott bestehen konnte. Gott hatte dem Samen Abrahams eine bedingungslose Verheißung gegeben. Er wird sie unfehlbar erfüllen, denn Er ist Gott. Aber in der Mitteilung des Gesetzes kam nichts unmittelbar und geradewegs von Gott. Es wurde durch die Vermittlung von Engeln angeordnet. Es war nicht Gott, der Sich, indem Er spricht, einfach durch Sein Wort der Person verbindlich macht, zu deren Gunsten die Verheißung erfüllt werden soll. 

Die Engel der Herrlichkeit, die an den Verheißungen kein Teil hatten (denn es waren Engel, die in der Herrlichkeit des Sinai glänzten; siehe Psalm 68), bekleideten nach dem Willen Gottes die Verordnung des Gesetzes mit der Herrlichkeit ihrer Würde. Aber der Gott der Engel und Israels stand abgesondert da, verborgen in Seinem Heiligtum von Wolken und Feuer und dichter Finsternis. Er war mit Herrlichkeit umgeben, machte Sich furchtbar in Seiner Pracht; aber Er enthüllte Sich nicht. Die Verheißung hatte Er persönlich gegeben, das Gesetz brachte ein Mittler.

 Nun, das Vorhandensein eines Mittlers setzt notwendig zwei Parteien voraus; Gott aber (und das ist die Grundlage der ganzen jüdischen Religion) war einer! Die Festigkeit des auf Sinai gemachten Bundes hing deshalb von einem anderen ab. Und in der Tat stieg Mose hinauf und hinab und überbrachte Israel die Worte des Herrn, und dem Herrn die Antwort Israels, das sich verpflichtete, alles das zu erfüllen, was Jehova ihm als Bedingung zum Genuß der Verwirklichung Seiner Verheißung auferlegte. 

Auf die Worte Jehovas: Wenn ihr fleißig auf meine Stimme hören werdet", hatte Israel durch Moses Vermittlung geantwortet: "Alles was Jehova geredet hat, wollen wir tun." Was waren die Folgen? Der Apostel beantwortet ‑ aus zarter Schonung, wie mir scheint diese Frage nicht; er zieht nicht die notwendigen Folgerungen aus seiner Behauptung. Sein Zweck war, den Unterschied zwischen der Verheißung und dem Gesetz zu zeigen, ohne das Herz eines Volkes, das er liebte, unnötigerweise zu verwunden. Im Gegenteil bemühte er sich sogleich, jedem Anstoß, den seine Worte hervorrufen konnten, vorzubeugen; zugleich fährt er fort, seinen Gegenstand weiter zu entwickeln. 

War das Gesetz wider die Verheißungen Gottes? Keineswegs! Denn wenn ein Gesetz gegeben wäre, welches Leben mitteilen konnte, so wäre wirklich Gerechtigkeit (denn das ist unser Gegenstand hier) durch das Gesetz. Der Mensch, im Besitz des göttlichen Lebens, würde gerecht gewesen sein in der Gerechtigkeit, die er selbst gewirkt hätte. Das Gesetz verhieß die Segnung Gottes unter der Bedingung des Gehorsams des Menschen. 

Hätte es zugleich Leben geben können, so wäre das der Beweis gewesen, daß dieser Gehorsam seitens des Menschen hätte geleistet werden können, und Gerechtigkeit wäre auf Grund des Gesetzes gewirkt worden. Die Empfänger der Verheißung würden kraft ihrer eigenen Gerechtigkeit in den Genuß derselben eingetreten sein. Doch das Gegenteil trat ein; denn schließlich ist jeder Mensch, ob Jude oder Heide, von Natur ein Sünder: ohne Gesetz ist er ein Sklave seiner zügellosen Leidenschaften, und unter Gesetz zeigt er deren Kraft dadurch, daß er das Gesetz bricht. So hat die Schrift alles unter die Sünde eingeschlossen, damit die Verheißung durch den Glauben an Jesum Christum zu Gunsten derer erfüllt würde, die da glauben. 

Bevor nun der Glaube kam (der christliche Glaube nämlich, als Grundsatz der Beziehungen zu Gott), bevor das Dasein der wirklichen Gegenstände des Glaubens in der Person', dem Werke und der Herrlichkeit Christi, als Mensch, das Mittel geworden war, den Glauben des Evangeliums aufzurichten, waren die Juden unter dem Gesetz verwahrt gewesen, eingeschlossen mit der Aussicht auf den Genuß jenes kommenden Vorrechts. So war das Gesetz den Juden wie der Vormund eines unmündigen Kindes, wie ein Zuchtmeister auf Christum hin, gewesen, damit sie auf dem Grundsatz des Glaubens gerechtfertigt würden.

 Inzwischen waren sie nicht ohne Zaum und Zügel; sie waren von den Nationen abgesondert, obgleich nicht weniger schuld als diese, ‑ abgesondert für eine Rechtfertigung, deren Notwendigkeit noch deutlicher hervorgetreten war durch das Gesetz, das sie nicht erfüllten, das aber Gerechtigkeit von dem Menschen forderte und somit zeigte, daß Gott diese Gerechtigkeit verlangte. Sobald aber der Glaube gekommen war, standen die, welche bis dahin dem Gesetz unterworfen gewesen waren, nicht mehr unter der Vormundschaft dieses Gesetzes; dasselbe band sie nur so lange, bis der Glaube gekommen war. 

Denn dieser Glaube stellte den Menschen unmittelbar in die Gegenwart Gottes und machte den Gläubigen zu einem Sohne des Vaters der Herrlichkeit und ließ so keinen Raum mehr für die Leitung des Zuchtmeisters. Eine solche konnte nur Verwendung finden, so lange die Unmündigkeit dessen dauerte, der jetzt in Freiheit gesetzt und in unmittelbare Beziehung zu dem Vater gebracht war. 

Der Gläubige ist also ein Sohn in unmittelbarer Verbindung mit seinem Vater, mit Gott, indem Gott Selbst nunmehr geoffenbart ist. Er ist ein Sohn; denn alle, die getauft worden sind, um an den Vorrechten, die es in Christo gibt, teilzuhaben, haben Christum angezogen. Sie stehen nicht vor Gott als Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, Mann oder Weib, sondern gemäß ihrer Stellung in Christo. Sie sind alle einer in Ihm, weil Christus für alle der gemeinsame und einzige Maßstab ihrer Beziehung zu Gott ist. Aber dieser Christus war, wie wir gesehen haben, der eine Same Abrahams; und wenn die aus den Nationen in Christo waren, so traten sie folgerichtig auch in diese bevorzugte Stellung ein. Sie waren in Christo der Same Abrahams und Erben nach der Verheißung, die diesem Samen gegeben war. 

KAPITEL 4

Die entsprechende Stellung des Juden (selbst wenn er ein Gläubiger war), bevor Christus kam, sowie diejenige des gläubigen Juden oder Heiden nach der Offenbarung Christi ist also klar vorgestellt worden. Im Anfang des 4. Kapitels nun faßt der Apostel des Gesagte noch einmal zusammen. Er vergleicht den Gläubigen vor dem Kommen Christi mit einem unmündigen Kinde, das mit seinem Vater hinsichtlich seiner Gedanken nicht in unmittelbarer Verbindung steht, sondern des Vaters Befehle empfängt, ohne daß ihm der Grund dafür angegeben wird, ähnlich wie ein Knecht sie empfangen würde. 

Er ist unter Vormündern und Verwaltern bis zu der von dem Vater bestimmten Zeit. So standen die Juden, obwohl sie Erben der Verheißung waren, nicht in Verbindung mit dem Vater und Seinen Ratschlüssen in Jesu, sondern befanden sich unter der Vormundschaft von Grundsätzen, die dem System der gegenwärtigen Welt, d. i. einer verderbten und gefallenen Schöpfung, angehörten. Ihr Wandel in diesem System war von Gott angeordnet und ging nicht über dasselbe hinaus. Wir reden von dem System, durch das sie geleitet wurden, abgesehen von dem göttlichen Licht, das sie von Zeit zu Zeit empfangen mochten, um ihnen den Himmel zu offenbaren und ihre Hoffnung zu beleben, während das System Selbst, unter dessen Herrschaft sie gestellt waren, nur noch finsterer dadurch wurde.

 Unter dem Gesetz waren sie also, obwohl Erben, noch in Knechtschaft. Als aber die Zeit erfüllt und dazu reif war, sandte Gott Seinen Sohn (eine Handlung, die aus Seiner überschwenglichen Güte hervorfloß) zur Erfüllung Seiner ewigen Ratschlüsse und zur Offenbarung Seines ganzen Charakters. Gott war es, der das tat; Er war es, der handelte. Das Gesetz forderte den Menschen auf, zu handeln, und es brachte ans Licht, daß der Mensch gerade das Gegenteil von dem war, was er dem Gesetz gemäß hätte sein sollen. Der Sohn Gottes aber kommt von Gott. Er fordert nichts. Er ist in der Welt in Beziehung zu den Menschen geoffenbart worden in dem zwiefachen Verhältnis eines Menschen, "geboren von einem Weibe und geboren, unter Gesetz". 

Wenn Sünde und Tod durch das Weib in die Welt gekommen sind, so kam auch Christus durch das Weib in diese Welt. War der Mensch durch Gesetz unter der Verdammnis, so stellte sich auch Christus unter Gesetz. In diesem zwiefachen Verhältnis nimmt Er den Platz ein, auf dem sich der Mensch befindet. Er nimmt ihn ein in Gnade, ohne Sünde, aber mit der damit verbundenen Verantwortlichkeit, einer Verantwortlichkeit, der Er allein entsprochen hat. Jedoch ging der Zweck Seiner Sendung viel weiter, als in Seiner Person den Menschen ohne Sünde inmitten des Bösen und mit der Erkenntnis des Guten und Bösen zu offenbaren

. Er kam, um diejenigen zu erlösen, die unter Gesetz waren, damit die Gläubigen (wer sie auch sein mögen) die Sohnschaft empfingen. Daß Gläubige aus den Nationen zugelassen waren, um an der Sohnschaft teilzuhaben, war bewiesen durch die Sendung des Geistes, der sie rufen ließ: "Abba, Vater!" Denn weil sie Söhne sind, hat Gott den Geist Seines Sohnes ohne Unterschied sowohl in ihre Herzen als auch in diejenigen der Juden gesandt. Der Heide, ein Fremder bezüglich des Hauses, und der Jude, der sich in seiner Unmündigkeit in nichts von einem Knechte unterschied, hatten beide, zufolge der durch den Sohn für sie bewirkten Erlösung, die Stellung eines Sohnes in unmittelbarer Beziehung zu dem Vater eingenommen ‑ eine Beziehung, von der der Heilige Geist die Kraft und das Zeugnis war. 

Der Jude unter dem Gesetz bedurfte der Erlösung ebensosehr wie der Heide in seinen Sünden. Die Wirksamkeit dieser Erlösung war aber eine so große, daß der Gläubige nicht Knecht, sondern Sohn war, wenn aber Sohn, so auch Erbe Gottes durch Jesum Christum. Der Heide war zuvor in Knechtschaft gewesen, freilich nicht unter dem Gesetz, sondern unter dem, was seiner Natur nach nicht Gott war (V. 8). Er kannte Gott nicht und war ein Sklave von allem, was sich des Namens Gottes rühmte, um dadurch das Herz des von dem wahren Gott und von Seiner Erkenntnis entfremdeten Menschen zu verblenden. 

Doch was taten diese Heiden jetzt, nachdem sie Christen geworden waren? Sie wollten sich wieder in die Knechtschaft unter diese armseligen weltlichen und fleischlichen Elemente, denen sie vorher unterworfen gewesen waren, zurückbegeben ‑ unter Dinge, aus denen der fleischlich gesinnte Mensch, ohne irgendeinen sittlichen oder geistlichen Gedanken, seine Religion bilden konnte, und welche die Gott gebührende Ehre in äußerliche Satzungen faßten, die ein Ungläubiger wie ein über Gott unwissender Heide rühmend seine Religion nennen konnte. 

Als Bilder, die Gott gebraucht hatte, um von den Wirklichkeiten, die in Christo sind, zuvor Zeugnis zu geben, besaßen sie ihren Wert. Gott wußte den Gebrauch dieser dem Glauben nützlichen Vorbilder mit einem religiösen System zu vereinigen, das den Menschen im Fleische auf die Probe stellte und dazu diente, die Frage zu beantworten, ob der Mensch mit jeder Art von Hilfe imstande sei, vor Gott zu stehen und Ihm zu dienen. jetzt aber zu diesen, für den Menschen im Fleische gemachten Satzungen zurückkehren, nachdem Gott die Unfähigkeit des Menschen, vor Ihm gerecht zu werden, erwiesen hatte, jetzt wo das Wesen dieser Schatten gekommen war, hieß zu der Stellung des Menschen im Fleische zurückkehren und diese Stellung ohne irgendein dahingehendes Gebot Gottes einnehmen. 

Es war ein Zurückkehren auf den Boden des Götzendienstes, das heißt zu einer fleischlichen Religion, die von Menschen, ohne irgendwelche Autorität von Gott, angeordnet war und den Menschen in keinerlei Weise mit Ihm in Verbindung brachte. Denn ein Dienst im Fleische konnte das durchaus nicht bewirken. "Ihr beobachtet Tage und Monate und Zeiten und Jahre." Das taten die Heiden in ihrer menschlichen Religion. Freilich war das Judentum eine von Gott verordnete menschliche Religion; aber durch ihr Zurückkehren zu derselben, nachdem die Verordnung Gottes nicht mehr in Kraft war, kehrten die Galater nur zum Heidentum zurück, aus dem sie berufen worden waren, um mit Christo an himmlischen Dingen teilzuhaben. 

Nichts könnte deutlicher zeigen, was religiöse Gebräuche nach dem Tode Christi wert sind, als dies. Zu der Religion des Menschen zurückzukehren, wenn Gott völlig geoffenbart ist, ist einfach Heidentum. "Ich fürchte um euch", sagt der Apostel, "ob ich nicht etwa vergeblich an euch gearbeitet habe." Sie warfen aber dem Apostel vor, daß er kein treuer Jude nach dem Gesetz sei, sondern sich von der Autorität desselben frei gemacht habe. Doch er begegnet diesem Vorwurf mit den Worten: "Werdet wie ich, denn auch ich bin wie ihr", nämlich frei vorn Gesetz. Ihr habt mir nichts zuleide getan, indem ihr dies gesagt habt. Wollte Gott, ihr wäret ebenso! Dann erinnert er sie an seinen Dorn für das Fleisch (siehe 2. Kor. 12, 7).

 Derselbe bestand in irgend etwas, das ihn in seinem Dienst verächtlich zu machen vermochte. Trotzdem hatten die Galater ihn wie einen Engel Gottes, wie Jesum Christum Selbst, aufgenommen. Was war aus dieser Glückseligkeit geworden? War er ihr Feind geworden, weil er ihnen die Wahrheit gesagt hatte? Eifern war gut; aber wenn ihr Eifer eine rechte Sache zu seinem Gegenstand hatte, so hätten sie in demselben beharren und ihn nicht nur zeigen Sollen, solange Paulus bei ihnen gegenwärtig war. jene neuen Lehrer beeiferten sich sehr, die Galater zu ihren Parteigängern zu machen und sie von dem Apostel zu trennen, um sie an sich zu fesseln. 

Dieser arbeitete wiederum, als wenn er in Geburtswehen wäre, damit Christus gleichsam aufs neue in ihren Herzen gestaltet werden möchte: ein rührendes Zeugnis von der Stärke seiner christlichen Liebe. Diese Liebe war göttlich in ihrem Charakter; sie wurde durch die ihr widerfahrene Undankbarkeit nicht geschwächt, weil sie nicht ihre Quelle in der Liebenswürdigkeit und Anziehungskraft ihrer Gegenstände hatte. Moses sagte einst: "Habe ich denn dieses ganze Volk geboren, daß ich es in meinem Busen tragen soll?" Paulus ist bereit, zum zweiten Male Geburtswehen um sie zu haben. 

Er weiß nicht, was er sagen soll. Er wünschte sehr, bei ihnen gegenwärtig zu sein, damit er, wenn er sie sähe, seine Worte ihrem Zustand anpassen könnte; denn sie hatten wirklich den Boden des Christentums verlassen. Wollten sie denn, da sie unter dem Gesetz zu sein wünschten, das Gesetz hören? Sie konnten in demselben, unter dem Vorbilde der Hagar und Sara, die zwei Systeme erblicken: das des Gesetzes, welches zur Knechtschaft, und das der Gnade, welches zur Freiheit gebiert; und nicht allein das, auch die bestimmte Ausschließung des Kindes der Knechtschaft von dem Erbe wurde offenbar. Die beiden Kinder konnten nicht miteinander vereinigt werden: das eine schloß das andere aus. Das Kind der Magd war nach dem Fleische geboren, das der Freien aber nach der Verheißung. 

Das Gesetz und der sinaitische Bund standen mit dem Menschen im Fleische in Verbindung. Der Grundsatz der Beziehungen des Menschen zu Gott dem Gesetz gemäß (wenn solche Beziehungen möglich gewesen wären) war derjenige eines zwischen dem Menschen im Fleische und dem gerechten Gott gebildeten Verhältnisses. Was den Menschen anbetraf, so waren das Gesetz und die Satzungen für ihn nur eine Knechtschaft. Ihr Zweck war, den Willen zu zügeln, ohne daß er verändert worden wäre. Es ist höchst wichtig zu verstehen, daß ein Mensch unter dem Gesetz ein Mensch im Fleische ist. Wenn er wiedergeboren, gestorben und wiederauferweckt ist, so ist er nicht mehr unter Gesetz; dasselbe übt seine Herrschaft nur insoweit über den Menschen aus, wie er hienieden lebt. "Das Jerusalem droben ist frei, welches unsere Mutter ist." Es steht im Gegensatz zu dem Jerusalem auf Erden, das

in seinen Grundsätzen dem Berge Sinai entsprach. Beachten wir, daß der Apostel hier nicht von der Übertretung, sondern von dem Grundsatz des Gesetzes redet. Das Gesetz selbst versetzt den Menschen in einen Zustand der Knechtschaft. Es ist dem Menschen im Fleische auferlegt, der im Widerspruch zu demselben steht. Gerade durch die Tatsache, daß er einen eigenen Willen hat, liegen das Gesetz und dieser Wille in stetem Kampf miteinander. Eigenwille ist nicht Gehorsam. 

Der 2.7. Vers bietet manchen Seelen Schwierigkeit, weil sie seinen Inhalt gewöhnlich mit Hagar und Sara vermengen, während er nur eine alleinstehende Bemerkung enthält, die hervorgerufen ist durch den Gedanken an das Jerusalem droben. Der Vers ist eine Anführung aus Jesaja 54, wo die Freude und Herrlichkeit des irdischen Jerusalem im Anfang des Tausendjährigen Reiches gepriesen wird. Der Apostel führt diese Stelle an, um zu zeigen, daß Jerusalem während der Zeit ihres Verlassenseins mehr Kinder besaß, als zur Zeit, da sie einen Mann hatte. Im Tausendjährigen Reich wird Jehova, der Herr, ihr Mann sein, wie Er es auch vor der Zeit ihres Verlassenseins war. jetzt ist sie vereinsamt, sie gebiert nicht. Dennoch sind mehr Kinder da als zuvor, da sie verheiratet war. Das sind die wunderbaren Wege Gottes. 

Wenn Gott dereinst wieder mit der Erde in Verbindung treten wird, so werden alle Gläubigen als Kinder Jerusalems gerechnet werden, des Jerusalems jedoch, das jetzt ohne Mann und verlassen ist; darum sollten die Galater es nicht anerkennen, als wenn Gott es noch anerkennte. Sara war nicht ohne Mann. Das beweist schon, daß der Gedankengang hier ein anderer ist. Ohne Mann und verlassen (so daß sie im eigentlichen Sinne keine Kinder hat), besitzt Jerusalem jetzt mehr Kinder, als in den besten Tagen ihres Lebens, als Jehova ihr zum Manne war. Denn hinsichtlich der Verheißung kam das Evangelium aus Jerusalem hervor. Die Versammlung (Gemeinde) ist nicht nach der Verheißung. 

Sie war ein in Gott verborgener Ratschluß, von dem die Verheißungen nie geredet hatten. Ihre Stellung ist eine noch höhere; doch an dieser Stelle erreicht die Belehrung des Apostels diese Höhe nicht. Indessen sind auch wir Kinder der Verheißung und nicht des Fleisches. Israel nach dem Fleische hatte keine anderen Ansprüche, als daß sie dem Fleische nach Kinder Abrahams waren. Wir sind das nur durch Verheißung. Das Wort Gottes aber stieß den Sohn der Magd, der nach dem Fleische geboren war, hinaus, damit er nicht erben möchte mit dem Sohne der Verheißung. Was uns betrifft, so sind wir Kinder der Verheißung. 

KAPITEL 5 

Als Kinder der Freien, des Jerusalems droben, sollten die Galater in dieser Freiheit, in der Freiheit des Christus, feststehen und sich nicht wieder unter das Joch des Gesetzes stellen. Sobald sie diesen Boden betraten, machten sie sich verantwortlich, das Gesetz persönlich und völlig zu halten, und Christus war ohne Nutzen für sie. Sie konnten nicht zur Erlangung der Gerechtigkeit auf dem Werke Christi ruhen und zugleich sich verantwortlich machen, selbst eine Gerechtigkeit nach dem Gesetz zu erwirken. Diese beiden Dinge stehen im Widerspruch miteinander. Es wäre daher nicht mehr der Boden der Gnade gewesen, auf dem sie standen. Sie verließen die Gnade, um die Forderungen des Gesetzes zu erfüllen. Das ist nicht die Stellung des Christen. 

Des Christen Stellung ist vielmehr diese: er trachtet nicht nach Gerechtigkeit vor Gott wie ein Mensch, der sie nicht besitzt; er ist Gottes Gerechtigkeit in Christo, und Christus Selbst ist der Maßstab dieser Gerechtigkeit. Der Heilige Geist wohnt in ihm. Der Glaube ruht in dieser Gerechtigkeit, gleichwie Gott in ihr ruht, und dieser Glaube wird aufrechtgehalten durch den Heiligen Geist, der das in dieser Gerechtigkeit befestigte Herz auf ihren Lohn, die Herrlichkeit, hinlenkt ‑ ein Lohn, den Christus bereits genießt, so daß wir wissen, was diese Gerechtigkeit verdient. Christus befindet sich in der Herrlichkeit, die der Gerechtigkeit, dem Werke, das Er vollbracht hat, gebührt. Wir kennen diese Gerechtigkeit kraft dessen, was Er gewirkt hat, weil Gott Sein Werk anerkannt und Ihn zu Seiner Rechten droben gesetzt hat. 

Die Herrlichkeit, in der Er ist, ist Sein gerechter Lohn und der Beweis dieser Gerechtigkeit. Der Geist offenbart die Herrlichkeit und versiegelt uns diese Gerechtigkeit, auf die der Glaube baut. Der Apostel drückt diese Wahrheit mit folgenden Worten aus: "Wir erwarten durch den Geist aus Glauben die Hoffnung (die erhoffte Herrlichkeit) der Gerechtigkeit." Für uns ist es Glauben, denn wir sind noch nicht im Besitz dessen, was wir hoffen ‑ jener Herrlichkeit nämlich, die der Gerechtigkeit, die unser Teil ist, gebührt. Christus besitzt sie, so daß wir wissen, worauf wir hoffen. 

Durch den Geist kennen wir die Herrlichkeit und haben zugleich die Gewißheit der Gerechtigkeit, die uns das Recht gibt, jene zu besitzen. Es ist also nicht Gerechtigkeit, worauf wir warten, sondern wir erwarten durch den Geist aus Glauben die der Gerechtigkeit angehörende Hoffnung. Es geschieht aus Glauben: "Denn in Christo vermag weder Beschneidung noch Vorhaut etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe wirkt." Es muß Wirklichkeit im Herzen vorhanden sein. 

Das Herz des Apostels ist niedergedrückt bei dem Gedanken an das, was die Galater verwarfen, und an das Unheil, das die böse Lehre unter ihnen anrichtete. Es fließt über. Inmitten seiner Beweisführung unterbricht er sich plötzlich mit den Worten: "Ihr liefet gut; wer hat euch aufgehalten, der Wahrheit nicht zu gehorchen?" So leicht von dieser jüdischen Lehre, die nur ein verderblicher Irrtum war, überredet zu werden, war nicht das Werk Dessen, der sie berufen hatte. Auf diese Weise waren sie nicht durch Gnade Christen geworden. Ein wenig Sauerteig durchsäuerte den ganzen Teig. 

Dennoch gewinnt der Apostel sein Vertrauen wieder, indem er höher schaut. Ruhend auf der Gnade, die in Christo für die Seinigen vorhanden ist, kann er sich hinsichtlich der Galater wieder ermutigen. Er war in Verlegenheit, wenn er an sie dachte; wenn er aber auf Christum blickte, so hatte er Vertrauen, daß sie gewiß nicht anders gesinnt sein würden. So durch die Gnade über dem Bösen stehend, war er bei den Korinthern, wo sittliche Dinge in Frage standen, bereit, allen Ungehorsam zu bestrafen, wenn alle, die zu gehorchen verstanden, völlig zum Gehorsam zurückgebracht sein würden (2. Kor. io).

 Und ebenso sollte auch hier, wo es sich um Lehre handelte, jedes Herz, das dem Einfluß der Wahrheit zugänglich war, zu der Kraft der Wahrheit Christi zurückgebracht werden; und die, welche, im Bösen tätig, sie durch falsche Lehre beunruhigten, deren Wille damit beschäftigt war, den Irrtum zu verbreiten, sollten ihre Last tragen. Es ist sehr schön, des Apostels Unruhe zu sehen, wenn er an die Menschen denkt (eine Unruhe, die übrigens die Frucht seiner Liebe zu ihnen war) sowie das Vertrauen, das er wiedergewinnt, sobald er sein Herz zu dem Herrn erhebt. Sein gedrängter Stil, seine abgebrochenen und unzusammenhängenden Worte, alles zeigt, wie tief sein Herz bewegt war. 

Der Irrtum, der die Seele von Christo trennte, war ihm schrecklicher als die traurigen Früchte einer praktischen Trennung. In seinem Briefe an die Korinther finden wir nicht dieselben Zeichen tiefer Gemütsbewegung wie hier; es handelt sich hier eben um die Grundlage von a ein. Die Herrlichkeit Christi, des Erlösers, stand auf dem Spiele, die einzige Sache, die eine Seele mit Gott in Verbindung bringen konnte; und auf der anderen Seite sah sich der Apostel einem planmäßigen Werke Satans gegenüber, das die Wahrheit umstoßen wollte, daß das Evangelium von Christo zum Heil der Menschen unentbehrlich ist. 

An dieser Stelle fügt Paulus, sich unterbrechend, die Worte hinzu: "ich aber, Brüder, wenn ich noch Beschneidung predige, was werde ich noch verfolgt?" Tatsächlich waren die Juden gewöhnlich die Urheber der Verfolgungen, die der Apostel seitens der Heiden zu erdulden hatte. Der Geist des Judentums, der religiöse Geist des natürlichen Menschen, war zu allen Zeiten das große Werkzeug Satans in seinem Widerstand gegen das Evangelium. Wenn Christus dem Fleische Seine Anerkennung geben wollte, so würde die Welt Frieden machen und so religiös sein, wie man es nur wünschen möchte; sie würde sich sogar ihrer Frömmigkeit rühmen. Aber in diesem Falle war es nicht mehr der wahre Christus. Christus ist gekommen als ein Zeugnis, daß der natürliche Mensch verloren, gottlos, ohne Hoffnung, tot in seinen Vergehungen und Sünden ist, und daß die Erlösung und ein neuer Mensch nötig sind. 

Er ist in Gnaden gekommen, eben weil der Mensch jeder Verbesserung unfähig war. Aus diesem Grunde mußte alles unvermischte Gnade sein und in Gott seine Quelle haben. Wollte Christus Sich irgendwie mit dem alten Menschen einlassen, so wäre alles gut; aber ich wiederhole, Er wäre dann nicht mehr Christus. Die Welt, der alte Mensch, erträgt Ihn nicht. Ein Gewissen, das Gefühl, daß man der Religion bedarf, sowie das Blendwerk einer alten, von den Vätern überlieferten Religion sind vorhanden, einer Religion, die, wenn auch verderbt, in ihren ursprünglichen Grundlagen vielleicht wahr ist. Der Fürst dieser Welt benutzt daher gern fleischliche Religion, um das Fleisch ‑ diesen, wenn einmal erwacht, willigen Feind der geistlichen Religion, aufzuwiegeln, um so mehr als diese das Fleisch verurteilt. 

Es handelt sich also nur darum, Christo etwas hinzuzufügen. Aber was? Wenn es nicht Christus und der neue Mensch ist, so ist es der alte, der sündige Mensch; und anstatt einer notwendigen und vollbrachten Erlösung und eines ganz neuen Lebens von oben erhält man ein Zeugnis, daß zwischen jenem und diesem eine Verständigung möglich ist: man bedarf der Gnade nicht, es sei denn höchstens als einer kleinen Beihilfe. Der Mensch ist nicht schon verloren und tot in seinen Vergehungen und Sünden, und endlich, das Fleisch ist nicht tatsächlich und durchaus böse. 

Auf diese Weise wird der Name Christi dem Fleische untergeordnet, das sich gern mit dem Ansehen dieses Namens schmückt, um das Evangelium in seinen wahren Grundlagen zu zerstören. Man predige nur Beschneidung und erkenne den Gottesdienst des Fleisches an, so wird jede Schwierigkeit aufhören; die Welt wird ein solches Evangelium annehmen, aber es wird nicht das Evangelium Christi sein. Das Kreuz in sich selbst (d. h. der Beweis des gänzlichen Verderbens und der Gottesfeindschaft des Menschen) sowie eine vollkommene, vollendete Erlösung aus Gnaden werden stets ein Stein des Anstoßes für alle bleiben, die für das Fleisch einiges Ansehen zu behalten wünschen. "Ich wollte", ruft der Apostel aus ‑ denn er sah, wie das ganze Evangelium vor diesem listigen Angriff in Trümmer ging und die Seelen zerstört wurden ‑, "ich wollte, daß sie sich auch abschnitten, die euch aufwiegeln!" Was haben wir seitdem gesehen? Und wo findet sich diese heilige Entrüstung des Apostels? 

Paulus geht jetzt zu den praktischen Folgerungen aus seiner Lehre über: die Lehre von einer vollkommenen Gnade, ohne Gesetz, ‑ist mit einem dem Volke Gottes würdigen Wandel verbunden. "Denn ihr seid zur Freiheit berufen worden, Brüder", sagt er; "allein gebrauchet nicht die Freiheit zu einem Anlaß für das Fleisch" ‑ wozu das Fleisch sofort bereit sein würde. Hatte Gott das Gesetz gegeben, um den Menschen von der Sünde zu überführen, so wollte das Fleisch es gebrauchen, um Gerechtigkeit zu erwirken. Handelt Er in Gnade, um uns über die Sünde zu erheben und von ihrer Herrschaft zu befreien, so will das Fleisch die Gnade als einen Anlaß benutzen, um ohne Schranken zu sündigen. 

Der Christ, in Wahrheit freigemacht von dem Joch der Sünde und von ihrem Gericht (denn der auferstandene Christus ist sowohl sein Leben als auch seine Gerechtigkeit, und der Geist ist die Kraft und der Leiter seines Wandels zur Herrlichkeit hin und Christo Jesu gemäß), sucht, anstatt seinen Lüsten zu folgen, anderen zu dienen; denn er ist frei, das in Liebe zu tun. Auf diese Weise wird das Gesetz selbst erfüllt, ohne daß wir uns unter seinem Joch befinden; denn das ganze praktische Gesetz ist in dem Wort zusammengefaßt: "DU sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." 

Wenn die Galater, indem sie sich dem Fleische ergaben und die Unbeschnittenen anfielen, einander bissen und fraßen, so sollten sie zusehen, daß sie nicht voneinander verzehrt würden. Doch der Apostel wünschte ihnen noch eine bestimmtere Belehrung zu geben. "Ich sage aber", fährt er nach der Einschaltung, die er gemacht hat, fort, "wandelt im Geiste, und ihr werdet die Lust des Fleisches nicht vollbringen." Niemand hat Kraft der Sünde gegenüber, wenn er sich unter das Gesetz stellt. Der Geist, der infolge der Erhöhung Christi (unserer Gerechtigkeit) zur Rechten Gottes herniedergesandt ist, ist des Christen Kraft. Die beiden Mächte, das Fleisch und der Geist, sind einander entgegengesetzt. Das Fleisch strengt sich an, uns zurückzuhalten, wenn wir nach dem Geiste wandeln wollen, und der Geist widersteht der Wirkung des Fleisches, um es an der Erfüllung seines Willens zu hindern. 

Es heißt nicht: "So daß ihr nicht tun könnt", sondern "auf daß ihr nicht das tuet, was ihr wollt." Aber wenn wir durch den Geist geleitet werden, so sind wir nicht unter Gesetz. Heiligkeit, wahre Heiligkeit, wird ohne Gesetz vollendet, so wie auch Gerechtigkeit nicht aufs Gesetz gegründet ist. Auch ist es gar nicht schwierig, zwischen dem, was vom Fleische und dem, was vom Geiste ist, zu unterscheiden. Der Apostel zählt die traurigen Früchte des Fleisches auf und fügt das bestimmte Zeugnis hinzu, daß, die solches tun, das Reich Gottes nicht ererben werden. Die Früchte des Geistes sind in ihrem Charakter ebenso offenbar wie jene, und gewiß gab es wider solche Dinge kein Gesetz. Wenn wir nach dem Geiste wandeln, so wird das Gesetz nichts in uns zu verurteilen finden. Und diejenigen, welche Christi sind, haben das Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und Lüsten. Das ist ihr Charakter, insofern sie Christen sind: es ist das, was sie von anderen unterscheidet. Wenn jene Galater wirklich lebten, so war es durch den Geist; deshalb sollten sie auch durch den Geist wandeln. 

Das ist die allezeit gültige Antwort des Apostels für alle, die das Gesetz als ein Heiligungsmittel und als den Leiter unseres Wandels einzuführen suchen. Die Kraft und die Richtschnur zur Heiligkeit liegen in dem Geiste; das Gesetz gibt den Geist nicht. Schließlich ermahnt der Apostel die Christen, nicht eitler Ehre geizig zu sein, einander herauszufordern, einander zu beneiden. Offenbar hatten die anmaßenden Forderungen, das Gesetz zu halten, dem Hochmut des Fleisches freies Feld gegeben. 

KAPITEL 6 

wenn irgendein Mensch aus Unwachsamkeit einen Fehltritt beging, so lag es dem Christen ob, dieses Glied Christi, das sowohl Christo als auch ihm selbst teuer war, zurechtzubringen, und zwar der Liebe Christi gemäß, im Geiste der Sanftmut; zugleich sollte er bedenken, daß auch er selbst fallen könnte. Begehrten die Galater ein Gesetz hier war eines: "Einer trage des anderen Lasten, und also erfüllet das Gesetz des Christus", d. i. die Regel Seines ganzen eigenen Lebens hienieden. Wenn man nichts ist, so wird wahrer Ruhm nicht dadurch erlangt, daß man sich rühmt. "Man betrügt sich nur selbst", sagt der Apostel einfach; aber gerade diese Einfachheit stellte alle, die solches taten, in ihrer ganzen Verächtlichkeit dar. 

Jene Gesetzesleute machten viel Rühmens von sich selbst und legten Lasten auf andere, ohne sie ihnen tragen zu helfen. Zugleich benutzten sie das, was anderen eine Last war, für sich selbst zu eitlem Ruhme. Sie rühmten sich ihres Judentums und dessen, daß sie andere ihm unterwarfen, Allein was war ihr Werk? Hatten sie wirklich für den Herrn gearbeitet? Keineswegs. Ein jeder sollte sein eigenes Werk prüfen. Wenn es irgendein christliches Werk gab, zu dessen Ausführung sie gedient hatten, so würden sie Ursache gehabt haben, sich zu rühmen. Aber in dem, was sie damals taten, gab es sicherlich keine Ursache zum Ruhm für sie; denn es war ein anderer, der in Galatien das Werk Christi getan hatte. Und schließlich sollte doch ein jeder seine eigene Last tragen. 

Der Apostel fügt dann noch einige wenige praktische Worte hinzu. Wer im Worte unterwiesen würde, sollte von allerlei Gutem dem mitteilen, der ihn unterwies. 10berdies hatte Gott, obwohl die Gnade vollkommen war und die Erlösung vollbracht, so daß der Glaubende den Heiligen Geist als Siegel davon empfing, dennoch unausbleibliche Folgen an den Wandel des Menschen geknüpft, sei er nun nach dem Fleische oder nach dem Geiste. Die Wirkungen folgten der Ursache, und die Galater konnten Gott nicht spotten, indem sie die Gnade oder das Christentum bekannten und doch nicht nach dem Geiste desselben wandelten, als solche, die durch den Heiligen Geist, der die praktische Kraft dieses Wandels ist, geleitet wurden. Von dem Fleische würden sie Verderben, von dem Geiste ewiges Leben ernten. Doch als Christen sollten sie ausharren, damit sie ernten möchten, und nicht müde werden im Gutestun; die Ernte war gewiß. Sie sollten gegen alle das Gute wirken, am meisten gegen die, welche dem Hause Gottes angehörten. 

Paulus hatte diesen Brief mit eigener Hand geschrieben, eine ungewöhnliche Sache für ihn. Er benutzte meist andere dazu (z. B. Tertius für den Brief an die Römer), indem er ihnen diktierte, was er zu sagen wünschte; und dann fügte er mit eigener Hand den Segenswunsch hinzu, als ein Zeugnis für die Richtigkeit des Geschriebenen (i. Kor. ‑16, 21; 2. Thess. 3, 17). 

Es ist das ein beachtenswerter Beweis von der Wichtigkeit, die der Apostel seinen Schriften beilegte: er sandte sie nicht hinaus wie gewöhnliche Briefe, die ein Mensch dem anderen schreibt, sondern als mit einer Autorität versehen, die die Anwendung solcher Vorsichtsmaßregeln nötig machte. Sie wurden sorgfältig mit der apostolischen Autorität bekleidet. Bei dieser Gelegenheit aber schrieb er, voll von Betrübnis und in dem Gefühl, daß die Grundlagen des Glaubens umgestoßen worden waren, den ganzen Brief mit eigener Hand. Deshalb kehrte er auch sogleich wieder zu dem Gegenstand zurück, der ihm zu jenem Abweichen von seiner Gewohnheit Anlaß gegeben hatte. 

Die im Fleische wohl angesehen sein wollten, nötigten die Heiden, beschnitten zu werden, um auf diese Weise der Verfolgung, die mit der Lehre vom Kreuz und der freien Gnade verbunden war, zu entrinnen. Die Beschnittenen waren Juden und gehörten einer Religion an, die selbst in dieser Welt anerkannt und angenommen worden war; aber die jünger eines Gekreuzigten zu werden, eines Menschen, der wie ein Missetäter gehenkt worden war, und Ihn als den alleinigen Heiland anzuerkennen ‑ das war etwas, das nimmermehr Anerkennung seitens der Welt finden konnte. Aber gerade die Schmach des Kreuzes war das Leben des Christentums. 

Die Welt war gerichtet, sie war tot in ihrer Sünde. Der Fürst der Welt war gerichtet; er besaß nur das Reich des Todes und war (mit seinen Anhängern) der ohnmächtige Feind Gottes. Angesichts eines solchen Gerichts war das Judentum in den Augen der Welt ehrenwerte Weisheit. Satan machte sich selbst zu einem Anhänger der Lehre von einem einigen Gott; und die, welche daran glaubten, verbanden sich mit ihren früheren Widersachern, den Anbetern der Teufel, um diesem neuen Feinde zu widerstehen, der auf die ganze gefallene Menschheit Schmach brachte, indem er sie zu Rebellen gegen Gott und für das Leben entblößt erklärte, das in Jesu allein geoffenbart worden war. Das Kreuz sprach das Todesurteil über die Natur, und der Jude im Fleische wurde durch dieses Urteil noch mehr beleidigt als der Heide, weil er dadurch die Ehre verlor, mit der er, wegen seiner Erkenntnis des allein wahren Gottes, vor den Augen anderer bekleidet gewesen war. 

Das fleischliche Herz leidet nicht gern, noch möchte es die gute Meinung der Welt verlieren, in der von verständigen Menschen ein gewisses Maß von Licht anerkannt oder zugelassen wird (und das sogar von aufrichtigen Personen, wenn kein größeres Licht zu erlangen ist), vorausgesetzt, daß man keine Behauptung aufstellt, die jedermann verurteilen und alles das richten, wonach das Fleisch verlangt, und worauf es sich seiner Wichtigkeit wegen stützt. 

Einen Vergleich, der mehr oder weniger das Fleisch gelten läßt, der es nicht als tot und verloren verurteilt, sondern, wenn auch nur in dem geringsten Maße, die Welt und das Fleisch als seine Grundlage anerkennt, ‑ einen solchen Vergleich wird die Welt annehmen. Sie kann nicht hoffen, sich mit Erfolg der Wahrheit, die das ganze Gewissen beurteilt, widersetzen zu können, und erkennt daher eine Religion an, die den Geist der Welt zuläßt und sich dem Fleische anpaßt, das sie zu schonen wünscht. Müssen dann auch schmerzliche Opfer gebracht werden, wenn nur nicht das Fleisch selbst gänzlich beiseite gesetzt wird! Der Mensch ist bereit, ein Fakir* zu werden, ja, sein Leben aufzuopfern, wenn nur das eigene Ich es ist, das dies tut, und nicht Gott das Ganze in Gnaden getan hat, indem Er das Fleisch, als unfähig, Gutes zu tun (weil es nichts Gutes in sich hat), verurteilt.

 

Die Beschnittenen betrachteten das Gesetz nicht, das würde gar zu schwerlich gewesen sein; aber sie wünschten sich in den Proselyten zu rühmen, die sie für ihre Religion gewonnen hatten. In der Welt hatte der Apostel nichts gesehen als Eitelkeit, Sünde und Tod; der Geist der Welt, der Geist des fleischlichen Menschen, stand in sittlicher Beziehung auf niedrigem Boden, war verderbt, schuldig und rühmte sich selbst, weil er Gott nicht kannte. Anderswo hatte er Gnade, Liebe, Reinheit, Gehorsam, Widmung für die Herrlichkeit Gottes, des Vaters, und für das Glück armer Sünder gesehen. 

Das Kreuz gab von zwei Dingen Zeugnis: es offenbarte auf der einen Seite, was der Mensch ist, und auf der anderen, was Gott und was Heiligkeit und Liebe sind. In den Augen der Welt aber bedeutete es die tiefste Erniedrigung, es warf ihren ganzen Stolz zu Boden. Ein anderer als der Apostel hatte, um den Preis Seines eigenen Lebens und indem Er die schrecklichsten Leiden erduldete, jene Offenbarung zuwege gebracht, und deshalb konnte Paulus den Gefühlen und der Liebe seines Herzens freien Lauf lassen, ohne sich selbst irgendeiner Sache zu rühmen; im Gegenteil, er vergaß sich selbst. Wir rühmen uns nicht unser selbst, wenn wir zum Kreuze Christi aufschauen; vielmehr sind wir dann von uns selbst befreit. 

* indischer Büßer. 

Er, der an dem Kreuze gehangen hatte, war groß in den Augen des Apostels. Die Welt, die Ihn gekreuzigt hatte, wurde demgemäß von Paulus in ihrem wahren Charakter erkannt, ebenso aber auch der Christus, der auf dem Kreuz gelitten hatte, in dem Seinigen. Dieses Kreuzes wollte der Apostel sich rühmen; er war glücklich, mittelst desselben für die Welt tot zu sein, und freute sich, daß sie für sein Herz aufgehört hatte, daß sie ihm gekreuzigt und zuschanden gemacht war, wie sie es nicht anders verdiente. Der Glaube an den gekreuzigten Sohn Gottes überwindet die Welt. 

Für den Gläubigen besitzt die Welt ihren wahren Charakter; denn tatsächlich hat in Christo weder Beschneidung noch Vorhaut irgendwelchen Wert (das alles ist mit einem gestorbenen Christus verschwunden), sondern eine neue Schöpfung, nach der wir alles werten, wie Gott es wertet. Solchen Menschen, d. h. den wahren Kindern Gottes, wünscht der Apostel Friede. Nicht das beschnittene Israel nach dem Fleische war das Israel Gottes. Wenn es etliche von diesem Volke gab, die im Herzen beschnitten waren, die sich des Kreuzes rühmten nach den Gefühlen der neuen Schöpfung ‑ diese waren das Israel Gottes. Überdies gehörte jeder wahre Christ ihm an nach dem Geiste seines Wandels.

 

Zum Schluß fordert der Apostel, daß ihm niemand wegen seines Dienstes Mühe mache. Er trug die Malzeichen des Herrn an seinem Leibe. Es ist bekannt, daß den Sklaven in jenen Zeiten mit einem glühenden Eisen ein Mal aufgedrückt wurde, um die Person ihres Eigentümers zu bezeichnen. Die Wunden, die der Apostel empfangen hatte, zeigten hinlänglich, wer sein Herr war. Man sollte deshalb hinfort sein Recht, sich einen Knecht Christi zu nennen, nicht in Frage stellen. Wahrlich, eine rührende Berufung von einem Manne, dessen Herz verwundet war durch die Entdeckung, daß sein Dienst für den Herrn, den er über alles liebte, in Zweifel gezogen wurde! Überdies sollte auch Satan diese Merkmale, die er ihm selbst aufgedrückt hatte, diese schönen Anfangsbuchstaben des Namens Jesu, anerkennen.

 

Der Apostel wünscht den Galatern, daß gemäß der göttlichen Liebe, die ihn beseelte, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus mit ihnen sein möge. Sie waren, was auch ihr Zustand sein mochte, Seelen, die Christo teuer waren. Doch fehlt in diesem Brief jeder Herzenserguß, wie wir ihn anderswo in liebevollen, an Christen gerichteten Grüßen finden. Es war eine Pflicht,' eine Pflicht der Liebe, die der Apostel erfüllte; aber welche Bande der Liebe konnte er im übrigen mit Personen haben, die ihren Ruhm im Fleische suchten, die das anerkannten, was Jesum verunehrte, und die den Ruhm Seines Kreuzes schwächten, ja, sogar zunichte machten? Ohne daß der Apostel es gewünscht hätte, war der Strom der Zuneigung gehemmt. Das Herz wandte sich dem Seiner Ehre beraubten Christus zu, obwohl es die Seinigen in Ihm liebte. Das ist das wahre Gefühl, wie es sich in den letzten Versen unseres Briefes ausgedrückt findet.

 

Im Galaterbrief finden wir wohl Christum in uns lebend, im Gegensatz zu dem Fleische oder zu dem noch im Fleische lebenden Ich; doch wird uns hier weder der Gläubige in Christo noch Christus in dem Gläubigen als Lehre und Wahrheit vorgestellt. Den praktischen Zustand des Christen finden wir am Ende des zweiten Kapitels. Im übrigen aber ist der ganze Brief eine Verurteilung jeder Rückkehr zum Judentum als gleichbedeutend mit heidnischem Götzendienst. Das Gesetz und der Mensch im Fleische gehörten zusammen. Das Gesetz war zwischen der Verheißung und Christo, dem Samen, nebeneingekommen; es war ein sehr nützlicher Prüfstein für den Menschen, aber tatsächlich brachte es ihm den Tod und verdammte ihn. Dem war nun in Gnade auf dem Kreuze völlig begegnet worden, da wo der Mensch im Fleische im Tode sein Ende gefunden hatte, und die Sünde in dem zur Sünde gemachten Christus. Jede Rückkehr zum Gesetz war ein Aufgeben der Verheißung sowohl als auch des Gnadenwerkes in Christo, und ein Zurückkehren zum Fleisch (das als Sünde und als verloren erwiesen war), als ob in ihm eine Verbindung mit Gott bestehen könnte. Es war zugleich ein Leugnen der Gnade, der wahren Wirkung des Gesetzes und des auf dem Kreuze erwiesenen Zustandes des Menschen. Es war Heidentum. Das Beobachten von Tagen und Jahren usw. erkannte noch den Menschen als im Fleische lebend an; es war nicht das Ende des alten Menschen auf dem Kreuze in Gnade. Wir haben demzufolge entweder Christum als unser Leben, oder der Tod läßt uns ohne jede Hoffnung

 

Den eigentlichen Stand des Christen: wir in Christo und Christus in uns, haben wir, wie gesagt, hier nicht. Es ist eine Erörterung über das Werk, das uns dahin bringt, sowie über die Frage, wo der Mensch sich befindet, und diese Erörterung ist von außerordentlichem Werte. Der Mensch im Fleische hat gänzlich jede Verbindung mit Gott aufgegeben, und es kann keine wieder angeknüpft werden: eine neue Schöpfung muß da sein.