Ich wende mich nicht an Fachleute. Sie können für sich selber sorgen. Seit fünfundzwanzig Jahren habe ich für den Mann auf der Straße geschrieben, der kein Theologe ist. Dieser gewinnt nun leider heute häufig den Eindruck, daß auf das Neue Testament geschichtlich kein Verlaß mehr sei.
Folgende Begebenheit löste meinen, wie ich hoffe, gerechten Zorn aus. Ein alter Pfarrer, der im Ruhestand lebte und, wenn Sie so wollen, zu nichts mehr nütze war, nahm sich das Leben, nachdem er sich mit der „neuen Theologie" beschäftigt hatte und unter dem Eindruck bestimmter Fernsehsendungen zu dem Schlug gekommen war, seine Lebensarbeit sei auf einer Lüge aufgebaut gewesen. Seiner Meinung nach waren ihm die hochgelehrten Verfasser und Sprecher so sehr an Wissen überlegen, daß sie auch im Recht sein mußten: Jesus Christus sei nicht wirklich von den Toten auferstanden und das Neue Testament, auf das er sein Leben und Amt gegründet hatte, sei nichts weiter als eine Sammlung frommer Sagen.
Das also machte mich zornig. Ich dachte an die erschreckenden Worte Jesu, wonach es für einen Menschen besser wäre, mit einem Mühlstein um den Hals im tiefsten Meer ertränkt zu werden, als „einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zur Sünde zu verführen" (Matth. 18, 6).
Seit vielen Jahren liegt mir daran, die Wahrheit der christlichen Botschaft zu vermitteln. Ich bin nicht daran interessiert, den christlichen Glauben zurechtzubiegen oder zu verwässern, damit beispielsweise moderne Studenten der ersten Semester ihn ohne Murren bejahen können. Mir geht es um die Wahrheit, wie sie in und durch Christus offenbart ist. Die moderne Welt soll sich Christus anpassen. Hüten wir uns doch davor, Christus einpassen zu wollen in unsere übergescheite moderne Welt. Ich bin genausowenig gegen den Verstand eingenommen wie der Apostel Paulus, der mit solchem Nachdruck schrieb, daß die Welt Gott durch Weisheit nicht erkannte (vgl. Kor. -i, ?-i). Offen gesagt, einige Intellektuelle (Gott sei dank nicht alle!), die so klug und vernichtend über den christlichen Glauben schreiben, scheinen den lebendigen Gott persönlich nicht zu kennen. Es fehlt ihnen nämlich an Ehrfurcht, Demut und an der Verantwortung, die jeder Christ seinem schwächeren Bruder schuldet. Sie setzen alles daran, keine „Narren um Christi willen" (vgl. i. Kor. 4, -10) zu werden; dabei ist es ihnen gleich, wie vielen Menschen sie den Glauben untergraben.
Nur wenige haben einen so engen und ständigen Kontakt mit dem Neuen Testament wie ich. Noch geringer ist die Zahl derer, die sich zu verstehen mühten, was „Kommunikation" ist. Ich sage dieses nicht überheblich; es ist einfach eine Tatsache. Mir scheint es darum an der Zeit zu sein, daß jemand das Wort ergreift, der die besten Jahre seines Lebens damit verbracht hat, das Neue Testament und gutes Umgangsenglisch zu studieren. Es interessiert mich wenig, was die „Vorhut" der Fachleute sagt. Mich kümmert, was Gott sagt und tut. Darum rnu2 ich dieses Buch schreiben. Es soll mein Bekenntnis zur Geschichtlichkeit und Zuverlässigkeit des Neuen Testamentes sein.
J.B. Phillips
1.Die Wahrheit der Erfahrung
Die Wahrheit erkennen
Pfarrer Harry Williams, der Dekan des Trinity College in Cambridge, macht in seinem kürzlich erschienenen Buch' darauf aufmerksam, daß wir es mit zwei Arten von Wahrheit zu tun haben. Die eine Wahrheit ist „äußerer" Art. Sie bezieht sich auf die gesicherten Tatsachen in den verschiedensten Bereichen menschlichen Tuns und ist unabhängig von uns. Die andere Wahrheit, auf die Williams hinweist, liegt „in" uns selber. Sie wird uns zum Teil durch Ahnung, zum Teil durch Erfahrung bewußt. Furcht, Enttäuschung und Zweifel, aber auch Freude, überzeugung und zuversichtlicher Glaube bringen sie hervor. Williams nimmt darum an, daß es so etwas wie eine Theologie der Erfahrung gibt 1. Ich glaube, daß wir mit Hilfe einer solchen „Theologie" eine Reihe wichtiger Fragen beantworten können- Was zum Beispiel drängt und befähigt den Menschen, die Wahrheit zu ergründen, selbst wenn sie schmerzlieh ist und ihm alle Illusionen nimmt? Hier liegt eins der tiefsten Geheimnisse des Lebens verborgen. Welche geistige, uns von Gott geschenkte Kraft befähigt uns, Gottes Wort als Gottes Wort zu begreifen und nicht bloß als eine
1 The True Wilderness (Constable).
2 Wörtlich: „Theologie des inneren Selbst" (d. Übers).