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Irma König kann die Welt nicht mehr verstehen: Bald nach der Eheschließung wird ihr Mann zur Wehrmacht eingezogen, bei der er auf Grund seltsamer Vorgänge kurze Zeit später als fahnenflüchtig gilt. Der Vater, der tagsüber auf ihren Sohn Karl achtgibt, stirbt plötzlich. Alle ihre Habe-geht bei einem Bombenangriff verloren.
Mittellos, geächtet und vereinsamt flieht die junge Frau in die Arbeit. Aber Gott hat sie nicht aus den Augen verloren und führt sie aus aller Traurigkeit heraus auf den Weg des Glaubens. Sie erfährt es immer wieder: »Mir wird nichts mangeln.« Das allein hält sie aufrecht, auch dann, als der unter großen Opfern ausgebildete Sohn sich von ihr trennt, nachdem er als gefeierter Sänger große Erfolge im Show-Geschäft zu verzeichnen hat.
Tief wird dann sein plötzlicher Sturz in Bedeutungslosigkeit und Armut - aber für Gott ist das der Weg, ihn zum Nachdenken und zur Umkehr zu bringen. Die Schicksale von Mutter und Sohn, eingebettet in eine Zeit, die viele von uns noch miterlebt haben, sind wirklichen Geschehnissen nachgezeichnet und nehmen gerade dadurch den Leser gefangen.
Die Bahnlinie trennt am Westerntor die Innenstadt von den Außenbezirken. Die Häuser des hier beginnenden Kamphausener Steinwegs waren eins wie das andere aus roten Backsteinen gebaut, Gebäude aus der Gründerzeit um die Jahrhundertwende. Sie waren gewiß zweckmäßig, aber von bedrückender Einförmigkeit. Jedes Haus hatte sieben Fenster in weißen Fensterrahmen und bestand aus vier Stockwerken. Irma empfand diese Einförmigkeit nicht bedrückend. Ihre Schulfreundinnen wohnten in den gleichen Häusern und besuchten wie sie die Schule am Kamphausener Platz, ebenfalls ein Gebäude aus den roten Backsteinen. Die kleine Grünanlage vor der Schule ließ das Gebäude eher trostloser erscheinen, als daß es seinen Anblick etwas freundlicher gestaltete.
Irmas Mitschülerinnen lebten in ähnlichen Verhältnissen wie ihre Eltern. Der Vater, Invalide des Ersten Weltkrieges, verdiente als Pförtner einer Fabrik nicht viel. Seine Kriegsrente war sehr gering. Schon deshalb mußte die Mutter als Küchenhilfe im Hotel Excelsior zum Unterhalt der Familie beisteuern. Die Familie lebte nicht dürftig, aber große Sprünge, wie man so sagt, konnte sie nicht machen. Irma verlangte auch gar nicht danach. Sie war zufrieden, weil es ihre Eltern auch waren. Nie hörte sie Vater und Mutter anders als freundlich miteinander reden. Was der Vater sagte und was er tat, hielt die
Mutter für gut und richtig - also auch Irma. In der Schule gehörte sie zwar nicht zu den besten Schülerinnen, aber ihre Hefte waren von der ersten bis zur letzten Seite gleichmäßig sauber beschrieben. Die Lehrer gingen in diesen Heften mit der roten Tinte vorsichtig um, so, als wollten sie das schöne, saubere Schriftbild nicht unnötig verschandeln.
Von jeher zart und schmächtig, war Irma erst mit sieben Jahren eingeschult worden. Und nach der Schulzeit war es schwer, für sie eine Lehrstelle zu bekommen. Sie wirkte wie eine Zwölfjährige. Niemand traute ihr bestimmte Leistungen zu. Da die Mädchen in jener Zeit ohnehin ein Pflichtjahr im Haushalt ableisten mußten, war eine Tätigkeit im Haushalt das Gegebene. Irma kam in einen Haushalt mit vier Kindern. Da sie willig und zu jedem Dienst bereit war, aber auch sauber und gewissenhaft ihre Pflichten erfüllte, wurde sie bald wie ein Kind des Hauses angesehen. So blieb sie auch nach Ablauf des Pflichtjahres im Hause, verlor jedoch dadurch den Kontakt mit ihren ehemaligen Schulfreundinnen, zumal sie sich nicht dem »Bund Deutscher Mädchen«, kurz BDM genannt, anschloß.
So selten der Vater auch von Politik sprach, begriff Irma bald, daß er die Partei und ihre Organisationen nicht mochte. Das war für Irma ausschlaggebend. Sie hielt sich von allem fern, was mit der Partei zusammenhing. Die Eltern hatten sich von der Staatskirche getrennt und besuchten die Gottesdienste einer Bekennenden Gemeinde, die sich in einer freikirchlichen Kapelle versammelte. lima nahm es hin, ohne sich darüber viele Gedanken zu machen.
Das Jahr 1938 brachte in Irmas Leben eine Veränderung. Die Mutter, die schon eine Zeitlang kränkelte, wurde bettlägerig. Irma mußte ihren Dienst aufgeben. Sie versorgte nun daheim den kleinen Haushalt und traf häufig mit Karl Königi&ammen, der öfter den Vater besuchte. Er war Facharbeiter in der Fabrik, in der Herr Ludwigs, Irmas Vater, als Portier angestellt war. Bislang hatte sie Karl König nur in der Kapelle gesehen. Langsam wuchs zwischen den beiden jungen Menschen eine herzliche Zuneigung.
Irma, noch immer zart und schmächtig, pflegte die Mutter aufopfernd. Der Arzt, der regelmäßig nach der Kranken sah, meinte, die Pflege sei für das zarte Persönchen zu anstrengend. Aber sie wehrte sich entschieden, die Mutter von der Familie zu trennen und sie in einem Krankenhaus der Pflege Fremder zu überlassen. Es gab für die Mutter keine Heilung, darüber waren sich Vater und Tochter klar. So schwer es die beiden traf, als die Mutter Anfang 1939 für immer die Augen schloß - angesichts ihres schweren Leidens erschien ihnen der Tod als eine Erlösung. Irma wußte, was der Vater meinte, als er sagte, die Mutter sei im Frieden heimgegangen zu ihrem Herrn und Heiland. Dennoch waren es für sie leere Worte.
Nach dem damals geltenden Wohnraumgesetz hätten Vater und Tochter nach dem Tod der Mutter ihre Wohnung mit einem Untermieter teilen müssen. Darum war der Vater über Karl Königs Werbung um Irma sehr erfreut. Die Heirat sollte bald sein. Karl verdiente gut und war in der Lage, eine Familie zu gründen.
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