VORWORT
Die Geschichte der Wycliff Bibelübersetzer ist im deutschen Sprachbe;eich noch viel zu wenig bekannt. Wir sollten aber darüber Bescheid wissen, da wir es hier mit einer missionarischen Bewegung zu tun haben, die unsere uneingeschränkte Anerkennung verdient. Was von den Männern und Frauen, die zu den Wycliff Bibelübersetzern gehören, in kurzer Zeit in solchen Gebieten der Welt, die bis dahin kaum von einem Weißen betreten worden waren und deren Sprache völlig unbekannt war, geleistet worden ist, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Deshalb verdient dieses Buch bei uns weithin bekannt zu werden. Leider haben viele Christen bei uns in Deutschland kaum eine Vorstellung davon, wie viel harte und entsagungsvolle Arbeit dazu gehört, das Wort Gottes in eine bis dahin unerforschte Sprache zu übersetzen. Das vorliegende Buch kann uns froh und dankbar machen, daß diese Aufgabe in unseren Tagen so tapfer und energisch angefaßt wird.
Robert Steiner, Pfarrer
Wuppertal, Vorsitzender der Bergischen den 7. August 1964 Bibelgesellschaft
ANTIGUA
Der Student William Cameron Townsend hatte nicht erwartet, daß er bei der Musterung zurückgestellt werden würde.
Amerika hatte Deutschland den Krieg erklärt, und Townsends Altersgenossen meldeten sich mit der stürmischen Begeisterung unbeschwerter Jugend, um im alten Europa für Freiheit und Gerechtigkeit zu kämpfen. Er selbst war durch die herausfordernde Bemerkung einer alten Missionarin zurückgehalten worden:
„Ihr Feiglinge geht in den Krieg und überlagt das Missionsfeld uns Frauen!"
Dieses zornige Wort hatte bei Townsend eingeschlagen. Er bot sich dem Bibelhaus in Los Angeles als Kolporteur an für den Fall, daß er vom Kriegsdienst befreit werden würde. Und das war gerade geschehen.
„Gehen Sie nur, Townsend", hatte der Offizier gesagt, „Sie eignen sich besser dazu, in Guatemala Bibeln zu verkaufen, als in Frankreich zu schießen."
Ob seine körperliche Beschaffenheit oder was sonst der Grund gewesen sein mag - der Weg nach Guatemala stand ihm nun offen. Er hatte sich dann mit Hafenarbeit das Geld für die Reise verdienen müssen. Während Robinson, sein Studienkamerad, kaum noch etwas von den Anstrengungen spürte, hatte das Schleppen der schweren Obstkisten Townsends Kräfte bis zum Äußersten beansprucht.
„Robinson wird es schaffen, aber Townsend geben wir keine zwei Monate", prophezeite der alte Missionar, der die Neuankömmlinge in Guatemala begrüßte.
Zwei Wochen nach ihrer Ankunft wurden die beiden jungen Amerikaner zu einer Bibelkonferenz nach Antigua eingeladen, der früheren Hauptstadt Guatemalas, die fünfunddreißig Kilometer weiter im Innern des Landes liegt. Auf der Reise dahin gewannen sie ihre ersten Eindrücke von der indianischen Bevölkerung.
Sie begannen, Gesichter zu unterscheiden, die sich auf den ersten Blick alle zu gleichen schienen; Webart und Farbe der Kleidung wechselten gruppenweise und kennzeichneten die Bewohner der einzelnen Dörfer. Ab und zu tauchte ein einzelner Indianer zwischen den Kiefernstämmen auf, die die Straße säumten.
Doch in einem waren sich alle gleich, die da eilig oder mit müden Schritten Antigua zustrebten: Gebückt trugen Männer, Frauen und Kinder ihre Lasten auf dem Rücken. Brennholz, Hühner, Bananen oder Mais brachten sie - manche fünfzig Kilometer weit - in die Stadt, und dort verkauften sie es für geringes Geld.
Als die beiden jungen Männer durch die alten Steinruinen Antiguas gingen, reichte ihre Phantasie nicht aus, sich vorzustellen, daß diese Stadt einmal ein Mekka der Neuen Welt, eine Rivalin der reichen und mächtigen Hauptstädte Mexikos und Perus war, bis das große Erdbeben von 1773 die ganze Pracht zusammenstürzen ließ. Antigua war die dritte der alten Hauptstädte und die Vorgängerin von Guatemala-City.
1524 hatte Petru de Alvarado im Gefolge Cortez' die erste Hauptstadt in der Nähe des heutigen Tecpan gegründet, etwa siebzig Kilometer nordwestlich von Guatemala-City. Er betrat die Szene, als die Zeit für die spanischen Eroberer günstig war. Ursprünglich war Tecpan als Iximche bekannt, was in der Sprache der Mayas „Maispflanze" hieß. Hier war der Sitz der mächtigen Cakchiquels, dem bedeutendsten der drei Zweige der vorgeschichtlichen Mayas, die einstmals den Norden von Guatemala beherrschten. Als diese in den Süden wanderten, zerfielen sie in drei Völkerstämme, die Maya-Quiche, die Cakchiquels und die Tzutuhil. Die stärkeren Cakchiquels hatten gerade die Quiche unterworfen, als Alvarado auf der Bildfläche erschien.
Montezuma, der König der Azteken, hatte die kriegerischen Mayas darüber unterrichtet, daß die Weißen in den Norden ihres Landes eingefallen waren. Er hatte jedoch kein Gehör gefunden, deshalb konnte Alvarado die Quiche und die Cakchiquels verhältnismäßig leicht unterwerfen. Ihre Hauptstadt Iximche machte er zum Stützpunkt für seine Eroberungszüge.
Der Kampf gegen die Tzutuhils war härter. Auf einem befestigten Felsvorsprung, der in den Atitlan-See hinausragte, hatten sie sich eingeigelt. Sie verfügten über eine große KanuFlotte, mit der sie bisher auch den Eroberungsversuchen der Cakchiquels widerstanden hatten. Alvarado fand heftige Gegenwehr. Aber als ihm schließlich die Cakchiquels mit dreihundert Kanus halfen, gelang es ihm, die Tzutuhils zu unterwerfen. So wurde auch der letzte Teil der drei mächtigen Mayareiche dem spanischen Goldsucher versklavt.
Die immer neu aufflackernden Aufstände der rebellischen Cakchiquels veranlaßten Alvarado, den indianischen Mac-, 'tz zu zert,rören und ;einen Hof von iximche in das Tal von Ai, >nga zu verlegen. Dort wurde der Ort, der später als Cindad V~ bekannt wurde, 154i durch eine Flut zerstört. Dann bauten sie nntigua.
Der Einblick in die Geschichte der Mayas weckte in Townsend und Pobinson ein ganz neues Verscindnis für diese Scharen von Lastenträgern. Owohl sie drei Fünftel der 13evölkerung Guatemalas ausmachen, wurden sie durch die Schranken, die Sprache, Rasse, Kleidung Lind Sitte darstellen, von ihren spanisch sprechenden Landsleuten in die Separation gedrängt - zwei Welten auf kleinstem gcographischem Raum.
In den Gottesdiensten und in den Lüden von Antigua wurde spanisch gesprochen. Doch auf dein Markt hörte Townsend fast nur die Sprachen der Indianer. Ihm schien, als trügen sie ein geheimnisvolles Kapitel menschlicher Geschichte mit sich herum, für das er noch keinen Schlüssel hatte. Dennoch er, der junge Missionar, eine S!cht dafür zu bekommen, da(; diese Mrnschcn das Evangelium hören mußtcn, und zwar in der cinr.i,~,cn Sprache, die sie wirklich verstanden - ihrer Muttersprache.
WARUM SEID 11 IR NICIiT EHER GEKOMMEN!
Townsend, von Natur zurückhaltend und wenig aggressiv, scheute es, Fremde auf ihren Glauben anzusprechen - besonders in einer Fremdsprache! Aber er wußte, daß er es versuchen mußte. Eines Tages, als dieser innere Kampf zu einer Entscheidung drängte, machte er auf dem Steinpflaster von Antigua seinen ersten Versuch. Er nahm sich vor, jemanden anzureden und zu fragen: „Kennen Sie den Herrn Jesus?" Er hatte es auf spanisch gelernt: „Conoce Od al Senor Jesüs?" Aber als Amerikaner wußte er nicht, daß Se)ior eine Anrede ist und nicht wie das englische Wort Lord ein Titel, und Jesüs ein gewöhnlicher Vorname. Nachdem er lange genug geübt hatte und sicher war, daß er ohne fremden Akzent sprechen konnte, ging er auf einen Fuß