Dabei geht es uns nicht um das Werkzeug, das der Herr gebraucht, sondern um den Auftrag, den er uns gegeben hat. Wir können nur Handlanger sein. ER aber bleibt der Herr, das Haupt seiner Gemeinde. Was heißt es, eine Seele gewinnen? Ich habe vor, liebe Brüder, wenn Gott mir Kraft verleiht, Ihnen einen kleinen Kurs Vorlesungen unter dem Titel »Der Seelengewinner« zu halten. Seelengewinnen ist das Hauptgeschäft des christlichen Predigers; eigentlich müßte es das Hauptanliegen jedes wahren Gläubigen sein. Jeder von uns sollte mit Simon Petrus sprechen: »Ich will hin fischen gehen«; und mit Paulus sollte es unser Ziel sein, »daß ich allenthalben ja etliche selig mache«. Wir wollen unsre Reden über diesen Gegenstand damit beginnen, daß wir die Frage erwägen:
ISBN: 9783789371868 (früher: 3789371866)
Format: 18 x 11 cm
Seiten: 232
Verlag: Oncken Verlag
Erschienen: 1986
Einband: Taschenbuch
Vorwort
Wir leben nicht in einem geschichtslosen Raum, vielmehr sind wir eingebettet in die jeweilige Geschichte unseres Volkes mit ihren geistigen und ideologischen Strömungen. Aus diesem Raum können wir uns selber nicht ausladen, es sei denn, wir würden Hand an uns selber legen.
Nicht anders verhält es sich mit der Gemeinde Jesu. Sie hat ihre eigene Geschichte und ihren auftragsgemäßen Weg. Niemand, keine Macht dieser Welt, kann ihr das eine oder andere streitig machen. Der Herr hat sich in jeder Zeit in seiner Gemeinde Menschen für besondere Aufgaben zugestaltet. Unter ihnen hat der englische Er-weckungsprediger und begnadete Seelsorger C. H. Spurgeon einen ihm eigenen Platz. Er ist zum Menschenfischer gesetzt worden. Von ihm können wir lernen, was es heißt, Menschen zu Jesus zu rufen. Seine Erfahrungen sind nicht veraltet, sondern biblisch gewachsen. Sie sind nicht erdacht, sondern durchlebt, durchlitten und durchbetet.
Die ersten sechs Kapitel enthalten Vorlesungen im »College«. Ihm folgen vier Ansprachen an Sonntagsschullehrer, Straßenmissionare und Freunde, die zu Gebetsversammlungen jeweils am Montagabend im Tabernakel zusammenkamen. Außerdem enthält der Band Predigten, die sich mit der eigendichen Aufgabe jedes Gläubigen befassen, Menschen zu Jesus' zu führen.
Vergessen dürfen wir nicht, daß Spurgeon 40 Jahre lang durch seine Predigten und Schriften viele Menschen zum Glauben an den Sohn Gottes und sein Wort hat führen dürfen. Er ist vielen in aller Welt das Werkzeug zur Bekehrung geworden und das über seinen Heimgang hinaus. Übersehen werden darf nicht, daß jede Übersetzung an Ursprünglichkeit verliert. Dennoch kommt das Eigentliche des Anliegens dieses Vaters in Christo zum Tragen.
Deshalb meinen wir, im vorliegenden Band den Verkündigern, Jugenddiakonen, wie allen Mitarbeitern im Reiche Gottes eine Hilfe
und Anleitung zu geben. Dabei geht es uns nicht um das Werkzeug, das der Herr gebraucht, sondern um den Auftrag, den er uns gegeben hat. Wir können nur Handlanger sein. ER aber bleibt der Herr, das Haupt seiner Gemeinde.
Ulrich Affeid
Was heißt es, eine Seele gewinnen?
Ich habe vor, liebe Brüder, wenn Gott mir Kraft verleiht, Ihnen einen kleinen Kurs Vorlesungen unter dem Titel »Der Seelengewinner« zu halten. Seelengewinnen ist das Hauptgeschäft des christlichen Predigers; eigentlich müßte es das Hauptanliegen jedes wahren Gläubigen sein. Jeder von uns sollte mit Simon Petrus sprechen: »Ich will hin fischen gehen« ; und mit Paulus sollte es unser Ziel sein, »daß ich allenthalben ja etliche selig mache«.
Wir wollen unsre Reden über diesen Gegenstand damit beginnen, daß wir die Frage erwägen:
Was heißt es, eine Seele gewinnen?
Diese Frage wollen wir zuerst beantworten, indem wir beschreiben, was es nicht heißt. Wir betrachten es nicht als Seelengewinnung, Mitglieder anderer Kirchengemeinschaften zu stehlen und sie dahin zu bringen, unser besonderes Losungswort auszusprechen; wir streben vielmehr danach, Seelen zu Christus zu fuhren, und nicht Übergetretene in unsere Synagoge zu bringen. Es gibt Schafdiebe, von denen ich leider sagen muß, daß sie nicht »Brüder« sind, oder wenigstens, daß sie nicht in brüderlicher Weise handeln. Ihrem Herrn müssen sie stehen oder fallen. Wir halten es für sehr niedrig, unser eigenes Haus aus den Ruinen der Häuser unserer Nachbarn zu bauen; wir ziehen es weit vor, für uns selber die Steine aus dem Steinbruch auszubrechen. Ich hoffe, wir stimmen alle mit der weitherzigen Gesinnung Dr. Chalmers' überein, der, als man ihm sagte, eine gewisse Sache wäre für die besonderen Interessen der »Freien Kirche Schottlands« nicht gut, obwohl förderlich für die Religion des Landes im allgemeinen, erwiderte: »Was ist die Freie Kirche im Vergleich mit dem geisdichen Wohle des schottischen Volkes?« Was, in der Tat, ist irgendeine Kirche oder was sind alle Kirchen zusammen, als bloße Organisationen betrachtet, wenn sie mit dem sittlichen und geistlichen Wohl des Volkes im Widerstreit stehen oder wenn sie das Reich Christi hindern? Weil Gott die Menschen
durch die Kirche segnet, darum wünschen wir ihr Gedeihen, und nicht bloß um der Kirche selbst willen. Zuweilen mischt sich Selbstsucht in unseren Eifer für die Vergrößerung unseres Kreises, und von diesem bösen Geiste möge die Gnade Gottes uns befreien! Die Ausbreitung des Reiches ist mehr zu wünschen als das Wachstum einer bestimmten Glaubensfamilie. Wir würden ernsdich arbeiten, um einen, der an die Seligkeit durch den freien Willen glaubt, zu dem Glauben an die Seligkeit aus Gnaden zu bringen, denn wir sehnen uns, alle religiöse Lehre auf den festen Fels der Wahrheit gebaut zu sehen und nicht auf den Sand der Einbildungskraft. Aber doch ist unser Hauptziel nicht die Berichtigung von Meinungen, sondern die Wiedergeburt der Menschen. Wir wollen siez« Christus bringen und nicht zu unsern eigenen, besonderen Ansichten vom Christentum. Unsere erste Sorge muß sein, daß die Schafe zu dem großen Hirten gesammelt werden; nachher ist Zeit genug da, sie für unsere verschiedenen Hürden zu sichern. Proselytenmachen ist eine passende Arbeit für Pharisäer; Menschen für Gott zu gewinnen ist das ehrenvolle Streben der Prediger Christi.
Ferner halten wir nicht dafür, daß das etwas mit Seelengewinnen zu tun hat, wenn man eiligst neue Namen in das Mitgliederverzeichnis einträgt, um am Ende des Jahres von einem guten Zuwachs zu sprechen. Das ist leicht getan, und es gibt Brüder, die große Mühe, um nicht zu sagen Künste, anwenden, um dies zu bewerkstelligen; aber wenn das das Alpha und Omega der Bemühungen eines Predigers ist, wird das Ergebnis beklagenswert sein. Nein, laßt uns wahrhaft Bekehrte in die Gemeinde hinein bringen; denn es ist ein Teil unserer Arbeit, sie alles halten zu lehren, was Christus ihnen befohlen hat. Aber als Jünger, und nicht bloß mit dem Munde Bekennende, sollen wir dieses lehren; wenn wir das nicht beachten, können wir hierbei mehr Schaden als Gutes tun. Wenn man Unbekehrte in die Gemeinde aufnimmt, schwächt und entwürdigt man dieselbe; so ist ein scheinbarer Gewinn in Wirklichkeit ein Verlust. Ich gehöre nicht zu denen, die gegen jede Statistik sind, glaube auch nicht, daß sie alle Arten von Übel erzeugt, denn sie schafft viel Gutes, wenn sie genau ist und richtig gebraucht wird. Es ist gut, daß die Leute »die Blöße des Landes« sehen, wenn die Statistik eine Abnahme aufweist, damit sie auf die Knie getrieben werden und den Herrn um neuen Segen bitten; und auf der anderen Seite ist es durchaus nicht
schlecht, daß die Arbeiter ermutigt werden, wenn ihnen ein Bericht über Zunahme und Wachstum vorgelegt wird. Es würde mir sehr leid tun, wenn das Zuzählen und Abzählen und das Darlegen des Bestandes aufgegeben würde, denn es ist wichtig, daß wir unsern zahlenmäßigen Stand kennen. Man hat bemerkt, daß diejenigen, die dies Verfahren ablehnen, oft Brüder sind, die durch unbefriedigende Berichte gedemütigt werden. Ich hörte neulich von einem Prediger (von dem bekannt war, daß der Kreis seiner Zuhörer bis auf ein Minimum herabgesunken war), daß er recht gescheit geschrieben hatte: »Unsere Kirche sieht hinauf.« Als er darüber befragt wurde, erwiderte er: »Jedermann weiß, daß die Kirche auf dem Rücken liegt, und sie kann nichts anderes tun als hinaufsehen.« Wenn Gemeinden in dieser Weise »hinaufsehen«, so sagen ihre Pastoren gewöhnlich, daß die Statistik ein sehr trügerisches Ding sei und daß man das Werk des Geistes nicht in Tabellen fassen und das Gedeihen einer Kirche nicht nach Zahlen berechnen könne. Die Wahrheit ist, man kann sehr richtig rechnen, wenn die Zahlen ehrlich sind und wenn man alle Umstände in Erwägung zieht; wenn kein Zuwachs da ist, kann man mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß nicht viel getan worden ist, und wenn eine klare Abnahme zu verzeichnen ist, kann man den Schluß ziehen, daß die Gebete der Mitglieder und die Predigten des Pastors nicht von der kräftigsten Art sind.
Trotzdem: jede Eile, Mitglieder in die Gemeinde hineinzubringen, ist sehr schädlich, sowohl für die Gemeinde wie für die mutmaßlich Bekehrten. Ich erinnere mich sehr wohl einiger junger Männer von sittlich reinem Charakter, die auch in bezug auf das geistliche Leben zu Hoffnungen Anlaß gaben. Aber statt ihre Herzen zu prüfen und auf ihre wirkliche Bekehrung abzuzielen, ließ ihnen der Pastor keine Ruhe, bis er sie überredet hatte, ein Bekenntnis des Glaubens abzulegen. Er meinte, sie würden dann in geistlichen Dingen sich unter höherer Verpflichtung fühlen, und glaubte ganz sicher zu gehen, wenn er sie dazu antriebe; denn »sie gäben so viel Anlaß zu Hoffnungen«. Er bildete sich ein, daß eine aufmerksame Prüfung sie entmutigen und abstoßen könne. Um sie zu gewinnen, machte er sie zu Heuchlern. Diese jungen Männer sind jetzt viel weiter von der Gemeinde Gottes entfernt, als sie es gewesen wären, wenn man sie an dem für sie geeigneten Platz gehalten, sie gewarnt und ihnen
gesagt hätte, daß sie noch nicht zu Gott bekehrt seien. Es ist ein ernstlicher Schaden für jeden, der voreilig in die Zahl der Gläubigen aufgenommen wird, zu glauben, daß er wirklich wiedergeboren sei. Ich bin gewiß, daß es so ist; denn ich spreche nach sorgfältiger Beobachtung. Einige der offenbarsten Sünder, die mir bekannt sind, waren einst Mitglieder von Gemeinden und waren, wie ich glaube, durch ungehöriges, wohlgemeintes, aber unweises Drängen dahin gebracht worden, ein Bekenntnis abzulegen. Denken Sie deshalb nicht, daß Seelengewinnung durch Vermehrung von Taufen und Vergrößerung des äußeren Bestandes ihrer Gemeinde getan und gesichert wird. Was bedeuten solche Depeschen vom Schlachtfelde: »Gestern abend wurden vierzehn Seelen zur Erkenntnis ihrer Sünde gebracht, fünfzehn wurden gerechtfertigt und acht empfingen völlige Heiligung?« Ich bin müde dieses öffendichen Prahlens, dieses Zählens ungelegter Eier, dieser Schaustellung zweifelhafter Beute.
Geben Sie es auf, solches Zählen der Personen, solche eitle Anmaßung, in einer halben Minute feststellen zu wollen, was die Prüfung einer ganzen Lebenszeit nötig haben wird. Hoffen Sie das Beste, aber seien Sie nüchtern in Ihrer höchsten Aufregung.
Es ist auch das kein Seelengewinnen, liebe Freunde, wenn man bloß Aufregung erzeugt. Aufregung begleitet jede große Bewegung. Wir mögen mit Recht fragen, ob die Bewegung ernst und mächtig gewesen ist, wenn sie ebenso ruhig wie eine Bibelstunde im Salon verlief. Man kann nicht gut große Felsen sprengen, ohne das Geräusch der Explosionen zu erzeugen, und auch nicht eine Schlacht liefern und dabei jeden so still wie eine Maus halten. An einem trockenen Tage bewegt sich kein Wagen die Straße endang, ohne daß das Geräusch und Staub erzeugt. Reibung und Erregung sind das natürliche Ergebnis einer Kraft, die in Bewegung ist. So müssen und werden, wenn der Geist Gottes über einer Versammlung schwebt und die Seelen der Menschen bewegt werden, auch gewisse sichtbare Zeichen der Bewegung da sein, obgleich diese nie mit der Bewegung selber verwechselt werden dürfen. Wenn die Leute sich einbilden, das sei der Zweck beim Fahren eines Wagens, Staub zu machen, so könnten sie einen Besen nehmen und mit ihm sehr schnell ebensoviel Staub aufwirbeln, wie es fünfzig Kutscher tun; aber sie werden damit mehr Unannehmlichkeiten schaffen als Nutzen. Aufregung ist etwas Beiläufiges wie der Staub, und keinen Augenblick soll man
darauf abzielen. Als das Weib in Lukas 15 ihr Haus fegte, tat sie es, um ihr Geld zu finden und nicht,- um eine Staubwolke aufzuwirbeln.
Zielen Sie nicht auf Sensation und »Effekt« ab. Fließende Tränen und feuchte Augen, Schluchzen und Schreien, volle Nachversammlungen und alle Art von Erregungen mögen vorkommen und ertragen werden als Begleiter wahrer Gefühle; aber, bitte, legen Sie es nicht auf Erzeugung derselben an.
Es geschieht sehr häufig, daß Bekehrte, die während solcher Aufregung geboren wurden, sterben, sobald diese vorüber ist. Sie gleichen gewissen Insekten, die das Erzeugnis eines sehr warmen Tages sind und die sterben, wenn die Sonne untergeht. Gewisse Bekehrte leben wie die Salamander im Feuer; aber in einer vernünftigen Temperatur hauchen sie ihr Leben aus. Ich habe keine Freude an einem Glauben, der einen heißen Kopf nötig hat oder ihn erzeugt. Ich begehre die Frömmigkeit, die auf Golgatha gedeiht und nicht auf dem Vesuch
Der größte Eifer für Christus verträgt sich mit gesundem Verstand und mit Vernunft; Raserei, Geschrei, Fanatismus sind Erzeugnisse eines andern Eifers, der »mit Unverstand« verbunden ist. Wir sollen die Menschen für die »Kammer des Königs« vorbereiten und nicht für das ausgepolsterte Zimmer im Irrenhaus. Niemandem tut es mehr leid als mir, daß eine solche Warnung nötig ist; aber wenn ich an die tollen Einfälle gewisser wilder Erweckungsprediger denke, so kann ich nicht weniger sagen und könnte noch sehr viel mehr sagen.
Was ist es um das wirkliche Gewinnen einer Seele für Gott? Worin besteht das Verfahren, durch welches eine Seele zu Gott und zum Heil geführt wird? Ich halte dafür, daß eins der Hauptmittel darin besteht, die Menschen zu unterweisen, so daß sie die Wahrheit Gottes kennenlernen. Unterweisung durch das Evangelium ist der.An-fang aller wahren Arbeit an den Menschenseelen. »Gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe . . . Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende«'(Matth. 28, 19-20). Mit Lehren beginnt das Werk der wirklichen Seelengewinnung.
Das Evangelium nach Jesaja heißt: »Neiget eure Ohren her und kommt her zu mir; höret, so wird eure Seele leben.« Es ist also un
sere Sache, den Menschen etwas zu geben, was des Hörens wert ist, kurz, sie zu unterweisen. Wir sind gesandt zu evangelisieren oder das Evangelium aller Kreatur zu predigen, und das tun wir nicht, wenn wir den Menschen nicht die großen Wahrheiten der Offenbarung Gottes predigen. Das Evangelium ist gute Botschaft. Wenn man einige Prediger hört, könnte man denken, das Evangelium sei eine Prise heiligen Schnupftabaks, die Leute aufzuwecken, oder eine Flasche feurigen, geistigen Getränkes, ihr Gehirn zu erregen. Es ist aber nichts von der Art; es ist eine Botschaft, es ist Belehrung, Unterweisung über Dinge, die die Menschen wissen müssen, Ankündigungen, die denjenigen zum Segen werden sollen, die sie hören. Es ist nicht eine magische Beschwörungsformel oder ein Zauber, dessen Kraft in einer Sammlung von Lauten besteht. Es ist eine Offenbarung von Tatsachen und Wahrheiten, welche Kenntnis und Glauben erfordern. Das Evangelium ist ein einsichtiges göttliches Programm und wendet sich an den Verstand der Menschen; es ist eine Sache für das Nachdenken und die Betrachtung und wendet sich deshalb auch an das Gewissen und die Denkkraft des Menschen.
Wenn wir deshalb die Menschen nicht etwas lehren, mögen wir rufen: »Glaubet! Glaubet! Ghubet!«, aber was sollen sie glauben? Jede Ermahnung setzt eine entsprechende Unterweisung voraus, sonst bedeutet sie nichts. »Entrinnet!« Wem denn? Also erfordert solche Aufforderung die Lehre von dem kommenden Gericht über die Sünde. »Fliehet!« Aber wohin? Also müssen Sie Christus und seine Wunder predigen; ja, und die klare Lehre von der Versöhnung durch das Opfer. »Tut Buße!« Wofür? Hier müssen Sie Fragen beantworten wie die: Was ist Sünde? Was ist das Übel der Sünde? Was sind die Folgen der Sünde? »Bekehret euch!« Aber was heißt, sich bekehren? Durch welche Macht können wir bekehrt werden? Wovon? Wozu? Das Feld der Unterweisung ist groß, wenn die Menschen die errettende Wahrheit kennenlernen sollen. »Es ist nicht gut, daß die Seele ohne Kenntnis sei« (Sprüche 19,2 n. d. engl. Üb.), und als des Herrn Werkzeugen ist es unsere Sache, den Menschen die Wahrheit so bekannt zu machen, daß sie dieselbe glauben und ihre Kraft spüren können. Wir sollen nicht versuchen, sie im Dunkeln zu erretten, sondern in der Kraft des Heiligen Geistes sollen wir streben, sie von der Finsternis zum Licht zu bringen.
Glauben Sie also nicht, liebe Freunde, daß Sie, wenn Sie in Erwekkungsversammlungen oder zu besonderen evangelistischen Gottesdiensten gehen, die Lehren des Evangeliums weglassen müßten; im Gegenteil: Sie sollten die Lehren von der Gnade gerade dann besonders betont verkünden. Predigen Sie die evangelistischen Lehren klar, mit Liebe, einfach und deutlich, und besonders diejenigen Wahrheiten, die sich auf den Zustand des Menschen und die Gnade Gottes beziehen. Einige Schwärmer scheinen zu meinen, daß ein Prediger, sobald er die Unbekehrten anredet, absichtlich mit seinen gewöhnlichen Lehrpredigten in Widerspruch treten müßte, weil keine Bekehrungen stattfinden würden, wenn er den ganzen Rat Gottes predigte. Es läuft im Grunde darauf hinaus, Brüder, daß wir die ganze Wahrheit verhehlen und so Falschaussagen machen sollen, um Seelen zu retten. Wir sollten also die Wahrheit zu Gottes Kindern reden, weil diese nichts anderes hören wollen ; aber wir sollen Sündern in den Glauben dadurch hineinlocken, indem wir einen Teil der Wahrheit übertreiben und den übrigen verbergen bis zu einer gelegeneren Zeit.
Dies ist eine seltsame Theorie, und doch heißen viele sie gut. Ihnen zufolge sollen wir die Erlösung einer auserwählten Zahl den Kindern Gottes predigen, aber die allgemeine Erlösung muß unsere Lehre sein, wenn wir mit denen, die draußen sind, reden; wir sollen den Gläubigen sagen, daß die Errettung ganz aus Gnaden ist, aber zu Sündern sollen wir so sprechen, als ob sie sich selber erretten müßten; wir sollen die Christen lehren, daß der Heilige Geist allein Menschenherzen bekehren kann, aber wenn wir mit den Unerretteten sprechen, darf der Heilige Geist kaum genannt werden. Wir haben Christum nicht also gelernt. Andere haben so gehandelt; aber laßt sie uns als Warnungszeichen und nicht als Beispiel dienen. Der, der uns sandte, Seelen zu gewinnen, gestattet uns weder Hinterlist anzuwenden noch die Wahrheit zu unterdrücken. Sein Werk kann ohne solche verdächtigen Methoden getan werden.
Vielleicht werden einige von Ihnen erwidern: Aber doch hat Gott halbwahre Aussagen und wilde Behauptungen gesegnet. Seien Sie dessen nicht ganz so gewiß! Ich wage zu behaupten, daß Gott Falschheiten nicht segnet; er mag auch die Wahrheit segnen, welche mit Irrtum vermischt ist; aber viel mehr Segen wäre gekommen, wenn die Predigt sich mehr in Übereinstimmung mit seinem eigenen Worte befunden hätte. Ich kann nicht zugeben, daß der Herr
evangelistischen Jesuitismus segnet, und die Unterdrückung der Wahrheit ist nicht zu hart benannt, wenn ich sie so nenne. Die Vorenthaltung der Lehre von dem gänzlichen Verderben des Menschen hat an vielen Leuten, die eine gewisse Art von Predigten gehört haben, ernstlichen Schaden angerichtet. Sie werden nicht wahrhaft geheilt, weil sie nicht die Krankheit kennen, an der sie leiden; sie sind niemals wahrhaft bekleidet, weil nichts getan wurde, sie zu entkleiden. In vielen Predigten wird die Entfremdung des Menschen von Gott und die Selbstsucht und Schlechtigkeit eines solchen Zustandes nicht genügend enthüllt, und darum wird nicht genug Herzensforschung und Gewissenserweckung durch sie bewirkt.
Es muß den Menschen gesagt werden, daß sie ewig verloren sind, wenn nicht die göttliche Gnade sie aus ihrer Feindschaft gegen Gott herausbringt, und sie müssen an die Unumschränktheit Gottes erinnert werden und daran, daß er nicht verpflichtet ist, sie aus diesem Zustand herauszubringen, daß er gerecht sein würde, wenn er sie darin ließe; daß sie kein Verdienst vor ihm geltend machen können und keine Ansprüche an ihn haben, sondern daß, wenn sie errettet werden sollen, es nur aus Gnaden sein kann, und aus Gnaden allein. Des Predigers Werk ist es, die Sünder niederzuwerfen in völlige Hilflosigkeit, damit sie gezwungen werden, zu dem aufzublicken, der allein ihnen helfen kann.
Der Versuch, eine Seele für Jesus zu gewinnen dadurch, daß man sie in Unwissenheit über irgendeine Wahrheit erhält, steht dem Willen Gottes entgegen, und das Bemühen, Menschen zu erretten durch bloßes Haschen nach Beifall oder durch Aufregung oder Redekunst ist ebenso närrisch wie die Hoffnung, einen Engel durch Vogelleim zu halten oder einen Stern mit Musik anzulocken. Das Anziehendste ist das Evangelium in seiner Reinheit. Die Waffe, womit der Herr die Menschen besiegt, ist die Wahrheit, wie sie in Jesus zu finden ist. Man wird dabei erfahren, daß das Evangelium jeder Anforderung entspricht: es ist ein Pfeil, der das härteste Herz durchbohren kann, ein Balsam, der die tödlichste Wunde heilt. Predigen Sie es, und predigen Sie nichts anderes. Verlassen Sie sich unbedingt auf das alte, alte Evangelium. Sie brauchen keine anderen Netze, wenn Sie Menschen fischen wollen; die Ihr Meister Ihnen gegeben hat, sind stark genug für die großen Fische und haben Maschen, die fein genug sind, um die kleinen zu halten. Spannen Sie diese Netze aus
und keine andern, so brauchen Sie nicht zu zweifeln an der Erfüllung seines Wortes: »Ich will euch zu Menschenfischern machen«.
Zweitens: Um eine Seele zu gewinnen, ist es notwendig, nicht nur einen Hörer zu unterweisen und ihn die Wahrheit erkennen zu lehren, sondern sie ihm so einzuprägen, daß er sie fühlt. Eine bloß lehrhafte Predigtweise, die sich stets an den Verstand wendet und das Gefühl unberührt läßt, wäre sicherlich eine falsche Sache. »Die vBeine des Lahmen sind nicht gleich«, sagt Salomo (Sprüche 26, 7 n. d. engl. Ubers.); und die ungleichen Beine einiger Prediger machen sie zu Krüppeln. Wir haben einen solchen umherhinken sehen mit einem langen Lehrbein und einem sehr kurzen Gefühlsbein. Es ist etwas Schreckliches, wenn ein Mann von solch lehrhafter Natur ist, daß er kühl von dem Geschick der Gottlosen sprechen kann, so daß, wenn er auch nicht gerade Gott dafür lobt, es ihm doch auch keine Angst des Herzens verursacht, an das Verderben von Millionen unseres Geschlechtes zu denken. Dies ist entsetzlich! Ich hasse es, die Schrecken des Herrn verkünden zu hören von Männern, deren hartes Gesicht, harter Ton und gefühllose Seele eine Art von lehrhafter Austrocknung verraten; alle Milch menschlicher Freundlichkeit ist in ihnen vertrocknet. Da ein solcher Prediger selbst kein Gefühl hat, so erzeugt er auch bei anderen keines, und die Leute sitzen und hören zu, während er trockene, leblose Behauptungen aufstellt, bis sie dahin kommen ihn zu schätzen, weil er »gesund« im Glauben ist.
Und sie selber werden auch »gesund«; ich brauche nicht hinzuzufügen, daß sie auch in gesunden Schlaf fallen oder, wenn sie noch etwas Leben haben, es damit zubringen, Ketzerei zu treiben und ernstmeinende Männer um eines Wortes willen zu verurteilen. Mögen wir nie in diesen Geist getauft werden! Was ich auch glaube oder nicht glaube, das Gebot, meinen Nächsten zu lieben wie mich selbst, gilt immer noch für mich, und Gott verhüte, daß irgendwelche Ansichten oder Meinungen meine Seele so zusammenziehen und mein Herz so verhärten, daß ich dies Gesetz der Liebe vergesse! Die Liebe zu Gott ist das Erste, aber dies verringert keineswegs die Verpflichtung, die Menschen zu lieben; in der Tat, das erste Gebot schließt das zweite ein. Wir sollen unseres Nächsten Bekehrung wünschen, weil wir ihn lieben, und wir sollen von Gottes liebevollem Evangelium in liebe vollen Ausdrücken zu ihm sprechen, weil unser Herz sein ewiges Wohl wünscht.
Ein Sünder hat ein Herz sowohl wie einen Kopf; ein Sünder hat Gefühle sowohl wie Gedanken, und wir müssen uns an beide wenden. Ein Sünder wird nie bekehrt werden, solange nicht seine Empfindungen angesprochen sind. Wenn er keinen Schmerz über die Sünde empfindet und wenn er nicht die geringste Freude bei der Aufnahme des Wortes fühlt, können Sie nicht viel Hoffnung für ihn haben. Die Wahrheit muß in seine Seele eindringen und sie mit ihrer eigenen Farbe färben. Das Wort muß wie ein starker Wind sein, der durch das ganze Herz hindurchfährt und den ganzen Menschen lenkt, eben wie ein Feld reifenden Korns in dem Sommerwind hin und her wogt. Glaube ohne Gefühl ist Glaube ohne Leben.
Aber dennoch müssen wir acht darauf haben, wie diese Empfindungen verursacht werden. Spielen Sie nicht auf der Seele, indem Sie Gefühle erregen, welche nicht geistlich sind. Einige Prediger lieben es sehr, Begräbnisse und sterbende Kinder in ihre Reden hineinzubringen, so daß schon die natürliche Liebe die Leute weinen macht. Aber welchen Wert hat das hier? Wozu nützt es, einer Mutter Kummer oder einer Witwe Schmerzen neu aufzureißen? Ich glaube nicht, daß unser barmherziger Herr uns gesandt hat, um die Menschen über ihre abgeschiedenen Lieben weinen zu machen, indem wir von neuem ihre Gräber graben und vergangene Ôegebenheiten der Trennung und des Wehes wiederum vorführen. Warum sollte er das?
Zugegeben, daß Sie mit Nutzen das Totenbett eines Christen oder eines sterbenden Sünders als einen Beweis von der Ruhe des Glaubens in dem einen Fall und den Schrecken des Gewissens in dem andern brauchen können; aber aus der bewiesenen Tatsache und nicht aus der Illustration muß der Nutzen kommen. Natürlicher Schmerz dient an sich zu nichts. Ich sehe darin nur eine Ablenkung von höheren Gedanken und einen Preis, der zu groß ist, um ihn von weichen Herzen verlangen zu können, wenn wir sie nicht entschädigen können, indem wir bleibende geistliche Eindrücke in den Stamm natürlicher Liebe pfropfen. »Es war eine glänzende Rede, voll Leidenschaft«, sagte einer, der sie gehört hatte. Ja, aber was bewirkt dieses Pathos für das praktische Leben? Ein junger Prediger machte die Bemerkung: »Ergriff es Sie nicht sehr, eine so große Versammlung weinen zu sehen?« — »Ja«, erwiderte sein ein
sichtiger Freund, »aber noch mehr ergriff mich der Gedanke, daß sie wahrscheinlich noch mehr bei einem Schauspiel geweint haben würde.« So ist es, und das Weinen mag in beiden Fällen gleich wertlos sein. Ich sah ein Mädchen an Bord eines Dampfschiffes ein Buch lesen und weinen, als wenn ihr das Herz brechen wollte; aber als ich einen Blick auf das Buch warf, sah ich, daß es nur einer jener albernen Romane war, die an den Bahnhöfen in großer Menge verkauft werden. Ihre Tränen waren eine bloße Verschwendung von Feuchtigkeit, und das sind auch die, die durch solche Kanzelgeschicht-chen und Totenbettmalereien erzeugt werden.
Wenn unsere Hörer über ihre Sünden und vor Sehnsucht nach Jesus weinen wollen, so mögen ihre Tränen in Strömen fließen; aber wenn die Ursache ihres Schmerzes bloß natürlicher und ganz und gar nicht geistlicher Art ist, was für Gutes wird dadurch getan, daß man sie zum Weinen bringt? Es mag etwas Gutes darin sein, die Leute froh zu machen, denn es ist Leid genug in dieser Welt, und je mehr wir die Fröhlichkeit fördern können, desto besser. Aber wozu nützt es, unnötiges Elend hervorzubringen? Was für ein Recht haben Sie, durch die Welt zu gehen und jeden mit Ihrer Lanzette zu stechen, bloß um Ihre Geschicklichkeit in der Chirurgie zu zeigen? Ein wahrer Arzt macht nur Einschnitte, um Heilungen zu bewirken, und ein weiser Prediger erregt nur schmerzliche Empfindungen in den Menschen mit der bestimmten Absicht, ihren Seelen dadurch Segen zu bringen.
Sie und ich müssen fortfahren, auf die Herzen der Menschen einzudringen, bis sie gebrochen sind, und dann müssen wir dabei bleiben, Christus den Gekreuzigten zu predigen, bis ihre Herzen verbunden sind. Wenn dies getan ist, müssen wir anhalten mit der Verkündigung des Evangeliums, bis ihre ganze Natur dem Evangelium untenan geworden ist. Schon bei dieser vorbereitenden Arbeit werden Sie fühlen, daß Sie des Heiligen Geistes bedürfen, der mit Ihnen und durch Sie arbeitet. Aber dieses Bedürfnis wird noch klarer werden, wenn wir einen Schritt weiter gehen und von der neuen Geburt selbst sprechen, in welcher der Heilige Geist in seiner ganzen göttlichen Art und Weise wirkt.
Ich habe schon betont, daß Unterweisung und Eindringlichkeit unbedingt nötig zum Seelengewinnen sind; aber sie sind nicht alles, -sie sind in der Tat nur Mittel zu dem gewünschten Zweck. Ein weit größeres Werk muß getan werden, ehe ein Mensch errettet ist. Ein
Wunder göttlicher Gnade muß an der Seele geschehen, das weit über alles hinausgeht, was durch Menschenkraft vollbracht werden kann. Von allen, die wir gern für Jesus gewinnen möchten, gilt: »Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen.« Der Heilige Geist muß die Wiedergeburt in den Menschen, die wir lieben, wirken, sonst können sie niemals die ewige Herrlichkeit erlangen. Sie müssen zu einem neuen Leben erweckt werden, und sie müssen neue Kreaturen in Christus werden. Dieselbe Kraft, welche die Auferstehung und die Schöpfung bewirkt, muß in ihrer ganzen Macht an ihnen wirksam werden; nichts Geringeres als dieses genügt. Sie müssen von oben wiedergeboren werden. Auf den ersten Anblick mag es scheinen, als wenn damit menschliche Werkzeuge ganz beiseite geschoben würden. Aber wenn wir auf die Schrift hören, finden wir nichts, was eine solche Schlußfolgerung rechtfertigt, im Gegenteil! Sicherlich lesen wir da, daß der Herr alles in allem ist, aber wir finden keinen Wink, daß er dabei auf den Gebrauch von Werkzeugen verzichtet. Des Herrn Majestät und Macht wird um so herrlicher gesehen, weil er durch Werkzeuge wirkt. Gott ist so groß, daß er den Werkzeugen, die er gebraucht, sogar Ehre beizulegen vermag, indem er in hohen Ausdrücken von ihnen spricht und ihnen großen Einfluß einräumt. Es ist leider möglich, zu wenig von dem Heiligen Geist zu sagen. In der Tat, ich fürchte, dies sei eine der schreienden Sünden unserer Zeit.
Dennoch spricht das unfehlbare Wort, welches die Wahrheit stets im richtigen Gleichgewicht hält und den Heiligen Geist hoch erhebt, nicht erniedrigend von den Menschen, durch welche er wirkt. Gott sieht seine Ehre nicht als so fraglich an, daß sie nur durch Herabsetzung des menschlichen Werkzeuges aufrecht erhalten werden könnte. Es sind zwei Stellen in den Briefen, die, nebeneinander gehalten, mich oft in Staunen versetzt haben. Paulus vergleicht sich sowohl mit dem Vater als auch der Mutter in Sachen der neuen Geburt. Er sagt von einem Bekehrten: »Den ich gezeuget habe in meinen Banden«, und von einer ganzen Gemeinde sagt er: »Meine lieben Kinder, welche ich abermals mit Ängsten gebäre, bis daß Christus in euch eine Gestalt gewinne.« Das ist doch kühn geredet, in der Tat viel kühner, als die moderne Orthodoxie auch dem am meisten gesegneten Prediger gestatten würde. Und doch ist es eine Sprache, die vom Geist Gottes erlaubt, ja diktiert ist und deshalb nicht kritisiert werden darf. Solche geheimnisvolle Macht verleiht
Gott den Werkzeugen, die er verordnet, so daß wir »Gottes Mitarbeiter« genannt werden; und dies ist zugleich auch die Quelle unserer Verantwortlichkeit und der Grund unserer Hoffnung.
Die Wiedergeburt oder die neue Geburt wirkt eine Veränderung in der ganzen Natur des Menschen, und so weit wir beurteilen können, liegt ihr Wesen in der Einpflanzung einer neuen Grundkraft im Innern des Menschen. Der Heilige Geist schafft in uns eine neue, himmlische und unsterbliche Natur, welche in der Schrift »der Geist« genannt wird, zum Unterschied von der Seele. Unsere Lehre von der Wiedergeburt ist die, daß der Mensch in seiner gefallenen Natur nur aus Leib und Seele besteht und daß, wenn er wiedergeboren wird, in ihm eine neue und höhere Natur erschaffen wird - »der Geist«, welcher ein Funke von dem ewigen Feuer des Lebens und der Liebe Gottes ist. Dieser fällt in das Herz des Menschen und bleibt da und macht den Empfänger »teilhaftig der göttlichen Natur«. Von da an besteht der Mensch aus drei Teilen, Leib, Seele und Geist, und der Geist ist die herrschende Kraft von den dreien. Sie werden sich alle jenes bedeutungsvollen Kapitels über die Auferstehung erinnern, 1. Kor. 15, wo im Grund text der Unterschied klar ans Licht tritt und selbst in der Übersetzung wahrgenommen werden kann*. Die Stelle »Es wird gesäet ein seelischer Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib. Es gibt einen seelischen Leib, und es gibt einen geistlichen Leib. Wie geschrieben steht: Der erste Mensch, Adam, war gemacht zu einer lebendigen Seele; der letzte Adam war gemacht zu einem lebengebenden Geist. Aber das, was geistlich ist, war nicht zuerst, sondern das, was seelisch ist; und darnach das, was geistlich ist.« - Wir sind zuerst in dem natürlichen oder seelischen Stadium des Seins, wie der erste Adam, und in der Wiedergeburt treten wir dann in einen neuen Zustand ein, in den Besitz des lebengebenden »Geistes«. Ohne diesen Geist kann kein Mensch das Himmelreich sehen oder in dasselbe eingehen. Es muß deshalb unser dringender Wunsch sein, daß der Heilige Geist unsere Hörer besuche und sie von neuem erschaffe; daß er auf diese dürren Gebeine herabkomme und das ewige Leben in sie hineinhauche. Bis dieses getan ist, können sie niemals die Wahrheit auf-
* 1. Kor. 15, 45 heißt nach der engl. Übersetzung: »Der erste Mensch, Adam, war gemacht zu einer lebendigen Seele; der letzte Adam zu einem lebendigen Geist.« A. d. Üb.
nehmen; »denn der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen, denn es muß geistlich verstanden sein.« - »Fleischlich gesinnt sein ist eine Feindschaft wider Gott; sintemal es dem Gesetz Gottes nicht Untertan ist, denn es vermag es auch nicht.« Ein neuer und himmlischer Sinn muß durch Gottes Allmacht geschaffen werden, sonst muß der Mensch im Tode bleiben. Sie sehen also, daß wir ein gewaltiges Werk vor uns haben, zu dem wir in uns selber ganz und gar untüchtig sind. Kein einziger Prediger auf Erden kann eine Seele erretten. Ebensowenig können wir alle zusammen oder alle Heiligen auf Erden und im Himmel die Wiedergeburt in einem einzigen Menschen bewirken. Die ganze Sache steht schief, wenn wir uns nicht als solche betrachten, die vom Heiligen Geist gebraucht werden und mit seiner Macht erfüllt sein müssen. Andererseits sind die Wunder der Wiedergeburt, die unsere Predigt begleiten, die besten Siegel und Zeugnisse unseres Amtes. Während die Apostel sich auf die Wunder Christi und auf die, welche sie in seinem Namen taten, berufen konnten, berufen wir uns auf die Wunder des Heiligen Geistes, welche ebenso göttlich und ebenso wirklich sind wie die unseres Herrn. Diese Wunder sind die Schöpfung eines neuen Lebens in der menschlichen Brust und die völlige Veränderung des ganzen Wesens derjenigen, auf die der Geist herabkommt.
Da dieses von Gott gezeugte geistliche Leben im Menschen ein Geheimnis ist, wird es nützlicher sein, wenn wir bei den Zeichen verweilen, die ihm folgen und die es begleiten; denn die sind es, auf welche wir abzielen müssen. Zuerst wird die Wiedergeburt sich zeigen in der Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit. Dies halten wir für ein unentbehrliches Zeichen für das Werk des göttlichen Geistes. Das neue Leben verursacht, wenn es ins Herz kommt, tiefen innerlichen Schmerz. Obgleich wir heutzutage von Leuten hörend die geheilt wurden, ehe sie verwundet waren, und zu einer Gewißheit ihrer Rechtfertigung kamen, ohne daß sie je ihre Verurteilung beklagt haben, so bezweifeln wir doch sehr den Wert solcher Heilungen und Rechtfertigungen. Diese Art und Weise ist nicht der Wahrheit gemäß. Gott bekleidet die Menschen nicht, ehe er sie zuvor entkleidet hat, und er macht sie auch nicht lebendig durch das Evangelium, ehe er sie durch das Gesetz getötet hat. Wenn Sie Leute antreffen, in denen keine Spur von Sündengefühl ist, so können Sie
ganz gewiß sein, daß der Heilige Geist noch nicht auf sie gewirkt hat; denn, »wenn derselbige kommt, wird er die Welt strafen um die Sünde, um die Gerechtigkeit und um das Gericht«. Wenn der Geist des Herrn uns anhaucht, läßt er verdorren alle Herrlichkeit des Menschen, die nur wie die Blume des Grases ist, und offenbart dann eine höhere und bleibendere Herrlichkeit. Seien Sie nicht erstaunt, wenn Sie dieses Sündengefühl sehr heftig und beängstigend empfinden. Aber verurteilen Sie andererseits diejenigen nicht, in denen es weniger heftig ist; denn wenn die Sünde betrauert, bekannt, aufgegeben und verabscheut wird, dann ist das eine klare Frucht des Geistes. Viel von dem Schrecken und Unglauben, der sich mit dem Sündengefühl verbindet, ist nicht vom Geist Gottes, sondern kommt vom Satan oder von der verderbten Natur; doch muß ein wahres und tiefes Sündengefühl da sein; und der Prediger muß dahin arbeiten, dies zu erzeugen, denn wo es nicht ist, hat die neue Geburt nicht stattgefunden.
Ebenso gewiß ist es, daß die wahre Bekehrung erkannt werden kann an dem einfachen Glauben an Jesus Christus. Es ist nicht nötig, hierüber mit Ihnen zu sprechen, denn Sie selbst sind völlig davon überzeugt. Der Glaube ist der wahre Mittelpunkt des Ziels, auf das Sie ihre Pfeile richten. Der Beweis, daß Sie die Seele eines Menschen für Jesus gewonnen haben, liegt Ihnen solange nicht vor, als bis er mit sich selbst und seinem eigenen Verdienst am Ende ist und sich Christus hingegeben hat. Große Sorgfalt muß darauf verwendet werden, daß dieser Glaube an Christus der Glaube an ein vollständiges Heil und nicht nur an einen Teil desselben ist. Sehr viele meinen, daß der Herr Jesus die vergangenen Sünden vergibt, aber sie können ihm nicht vertrauen, daß er sie in der Zukunft bewahren werde. Sie vertrauen ihm im Blick auf die vergangenen Jahre, aber nicht in bezug auf die kommenden, während in der Schrift von keiner solchen Teilung des Heils je gesprochen wird. Entweder trug Christus alle unsere Sünden oder keine; entweder errettet er uns ein für allemal oder gar nicht. Sein Tod kann nie wiederholt werden und muß die Sühne gewesen sein auch für die künftigen Sünden der Gläubigen, sonst sind sie verloren, da sie auf keine künftige Versöhnung hoffen können, aber sicherlich in der Zukunft noch Sünde begehen werden. Gelobt sei sein Name, »durch ihn sind alle, die das glauben, gerechtfertigt von allen« (Apg. 13, 38. 39. n. d. engl.
Übers.). Die Errettung aus Gnaden ist eine ewige Errettung. Die Sünder müssen Christus ihre Seelen für alle Ewigkeit anbefehlen, daß er sie bewahre; wie können sie anders Errettete sein? Ach, nach der Lehre einiger sind die Gläubigen nur zum Teil errettet und müssen sich im Blick auf den übrigen Teil auf ihre eigenen künftigen Bemühungen verlassen. Ist dies das Evangelium? Ich meine nicht. Echter Glaube traut auf einen ganzen Christus und auf eine ganze Errettung. Ist es zu verwundern, daß viele Bekehrte abfallen, wenn sie in der Tat niemals gelehrt waren, von Jesus eine ewige Errettung anzunehmen, sondern nur eine zeitweilige Bekehrung? Eine fehlerhafte Darstellung Christi erzeugt einen fehlerhaften Glauben, und wenn dieser an seiner eigenen Schwäche dahinsiecht, wer ist dafür zu tadeln? Ihnen geschieht nach ihrem Glauben; der Prediger und der Träger eines teilweisen Glaubens müssen gemeinsam die Schuld tragen, wenn ihr armes, verstümmeltes Vertrauen zusammenbricht. Ich möchte um so ernsdicher hierauf bestehen, weil ein halbgesetzlicher Glaube so häufig ist. Wir müssen den zitternden Sünder antreiben, ganz und allein und für immer dem Herrn Jesu zu vertrauen, sonst zieht er den Schluß, daß er im Geiste anfangen und im Fleische vollenden muß.
Er wird sicher im Glauben wandeln, soweit es die Vergangenheit betrifft, und dann in Werken, wenn die Zukunft in Betracht kommt, und dies wird verhängnisvoll sein. Wahrer Glaube an Jesus empfängt ewiges Leben und sieht eine vollkommene Errettung in ihm, dessen eines Opfer das Volk Gottes ein für allemal geheiligt hat. Das Wissen, errettet zu sein, vollständig errettet in Christus Jesus, ist nicht, wie einige meinen, die Quelle fleischlicher Sicherheit und der Feind heiligen Eifers, sondern das gerade Gegenteil. Befreit von der Furcht und angetrieben von heiliger Dankbarkeit gegen seinen Erlöser, wird der Wiedergeborene der Tugend fähig und mit Eifer für Gottes Ehre erfüllt. Solange er in einem Gefühl von Unsicherheit zittert, richtet er seine Hauptgedanken auf seine eigenen Angelegenheiten; aber fest auf den Felsen des Heils gegründet, hat er Zeit und Herz, das neue Lied zu singen, das der Herr in seinen Mund gelegt hat. Dann ist seine sittliche Errettung vollständig; denn das Ich hat nicht mehr die Herrschaft über ihn. Seien Sie nicht zufrieden, bis Sie in Ihren Bekehrten ein klares Zeugnis von einem einfachen, aufrichtigen und entschiedenen Glauben an den Herrn Jesus sehen.
Zusammen mit ungeteiltem Glauben an Jesus Christus muß auch ungeheuchelte Buße sein. Buße ist ein altmodisches Wort, von den neueren Erweckungspredigern nicht viel gebraucht. »Oh«, sagte eines Tages ein Pastor zu mir, »es bedeutet bloß eine Sinnesänderung«. Er hielt dies für eine tiefsinnige Bemerkung. »Nur eine Sinnesänderung.« Aber was für eine Änderung! Eine Sinnesänderung in bezug auf alles! Statt zu sagen: »Es ist bloß eine Sinnesänderung«, scheint es mir richtiger zu sagen, daß es eine große und tiefe Änderung ist - ja, eine Änderung des Sinnes selber. Aber was immer das griechische Wort bedeuten mag, Buße ist keine Kleinigkeit. Sie werden keine bessere Definition finden als die in einem Kinderliede, wonach Buße tun heißt, die Sünden verlassen, die wir einst liebten, und unsere ernstliche Reue dadurch zu zeigen, daß wir sie nicht mehr begehen. - Wahre Bekehrung ist stets begleitet von einem Sündengefühl, worüber wir schon gesprochen haben; von einem Schmerz über die Sünde, einem heiligen Kummer darüber, daß wir sie begangen haben, von einem Haß gegen die Sünde, der beweist, daß ihre Herrschaft über uns zu Ende ist; und von einem Aufgeben der Sünde, welches zeigt, daß das innere Leben der Seele auf das äußere Leben einwirkt. Wahrer Glaube und wahre Buße sind Zwillinge; es würde müßig sein, sagen zu wollen, wer zuerst geboren ist. Alle Speichen eines Rades bewegen sich zugleich, wenn das Rad sich bewegt, und ebenso gleichzeitig beginnen alle Gnaden, wenn die Wiedergeburt vom Heiligen Geist gewirkt ist. Buße indessen muß da sein. Kein Sünder blickt auf den Heiland mit einem trockenen Auge oder einem harten Herzen. Streben Sie deshalb darnach, daß das Herz bricht, das Gewissen verdammt und die Seele von der Sünde entwöhnt wird, und seien Sie nicht zufrieden, bis der ganze Sinn tief und gründlich verändert ist.
Ein anderer Beweis, daß eine Seele für Christus gewonnen ist, findet sich in einer wirklichen Änderung des Lebens. Wenn ein Mensch nicht anders lebt als vorher, sowohl im Hause als außer dem Hause, hat seine Buße es nötig, daß Buße für sie getan wird, und seine Bekehrung ist eine Erdichtung. Nicht nur Handlung und Sprache, sondern Geist und Temperament muß verändert werden. »Aber«, sagt jemand, »die Gnade wird oft auf einen Wildling gepfropft.« Ich weiß das, aber was ist die Frucht des Pfropfens? Die Frucht wird. wie das Pfropfreis sein, und nicht wie der ursprüngliche Stamm.
»Aber«, sagt ein anderer, »ich bin sehr hitziger Natur und ganz plötzlich überkommt mich der Zorn. Er ist bald vorbei, und ich bereue ihn sehr. Obwohl ich mich nicht beherrschen kann, bin ich doch ganz gewiß, daß ich ein Christ bin.« Nicht so schnell, mein Freund, sonst möchte ich antworten, daß ich des Gegenteils ebenso gewiß sei. Was nützt es, daß du bald abkühlst, wenn du in zwei oder drei Minuten alles um dich her verbrühst? Wenn ein Mann mich in seiner Wut mit dem Dolch sticht, wird es meine Wunde nicht heilen, wenn ich sehe, daß ihm sein Wahnsinn leid tut. Ein heftiges Temperament muß überwunden und der ganze Mensch muß erneuert werden, sonst ist die Bekehrung zweifelhaft. Wir sollen nicht unsern Hörern eine eingeschränkte Heiligkeit vorhalten und sagen: Es wird ganz recht um euch stehen, wenn ihr schon diesen Grad erreicht. Die Schrift spricht: »Wer Sünde tut, der ist vom Teufel.« Das Bleiben unter der Macht einer erkannten Sünde ist ein Zeichen dafür, daß wir noch Knechte der Sünde sind; denn »des Knechte seid ihr, dem ihr gehorsam seid«. Müßig sind die Prahlereien eines Menschen, der in seinem Innern die Liebe zu irgend einer Übertretung hegt. Er mag fühlen, was er will, und glauben, was er will, er ist noch »voll bitterer Galle und verknüpft mit Ungerechtigkeit«, so lange eine einzige Sünde sein Herz und sein Leben beherrscht. Wahre Wiedergeburt pflanzt einen Haß gegen alles Böse ein, und wenn jemand an einer Sünde Freude hat, so ist das hinreichend, um keine begründete Hoffnung für ihn aufkommen zu lassen. Ein Mann braucht nicht ein Dutzend Gifte zu nehmen, um sein Leben zu vernichten, eins ist genug.
Es muß Ubereinstimmung zwischen dem Leben und dem Bekenntnis sein. Ein Christ bekennt, daß er der Sünde entsagt; wenn er dies nicht tut, so ist schon sein Name ein Betrug. Ein Betrunkener trat eines Tages auf Rowland Hill zu und sagte: »Ich bin einer von Ihren Bekehrten.« - »Ich glaube wohl, daß Sie das sind«, erwiderte der scharfsinnige und verständige Prediger, »aber Sie sind keiner von des Herrn Bekehrten, sonst würden Sie nicht betrunken sein.« Auf diese praktische Probe müssen wir alle unsre Werke stellen.
In den Bekehrten müssen wir auch wahres Gehet sehen, denn dies ist der Lebensodem wahrer Frömmigkeit. Wenn aber kein Gebet da ist, können Sie sicher sein, daß die Seele tot ist. Wir sollen nicht die Menschen zum Gebet antreiben, als wäre es die große evangelische
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Pflicht und der eine vorgeschriebene Weg des Heils; denn unsere Hauptbotschaft ist: »Glaubet an den Herrn Jesus Christus.« Es ist leicht, das Gebet an den unrechten Platz zu setzen und es darzustellen als eine Art Werk, durch welches die Menschen leben sollen; aber dies werden Sie, wie ich hoffe, sorgfältig vermeiden. Der Glaube ist die große Gnadengabe des Evangeliums. Aber wir können dabei nicht vergessen, daß wahrer Glaube immer betet, und wenn ein Mensch bekennt, daß er an Jesus glaubt, und doch nicht täglich zum Herrn ruft, dürfen wir seinen Glauben oder seine Bekehrung nicht für echt halten. Des Heiligen Geistes Offenbarung, durch die er Ananias von der Bekehrung des Paulus überzeugte, hieß nicht: »Siehe, er redet laut von seiner Freude und seinen Gefühlen«, sondern: »Siehe, er betet«, und dies Gebet war ernstes, aus gebrochenem Herzen kommendes Sündenbekenntnis und Flehen. O daß wir dieses sichere Zeugnis bei allen sähen, die behaupten, bekehrt zu sein!
Es muß auch eine Willigkeit sich finden, dem Herrn in allen seinen Geboten zu gehorchen. Es ist eine Schande, wenn ein Mensch sich als einen Jünger bekennt und sich doch weigert, in gewissen Punkten den Willen seines Herrn kennenzulernen, oder sogar wagt, ihm den Gehorsam zu verweigern, wenn ihm dieser Wille bekannt ist. Wie kann ein Mensch ein Jünger Christi sein, wenn er in offenem Ungehorsam gegen ihn lebt?
Wenn einer, der sich einen Bekehrten nennt, deutlich und überlegt erklärt, daß er seines Herrn Willen kennt, aber ihn nicht zu erfüllen beabsichtigt, dürfen Sie nicht seiner Vermessenheit nachgeben, sondern es ist Ihre Pflicht, ihm zu sagen, daß er nicht errettet ist. Hat der Herr nicht gesprochen: »Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein« ? Irrtümer über das, was des Herrn Wille ist, sollen mit Sanftmut berichtigt werden, aber jeder eigensinnige Ungehorsam ist verderblich; ihn zu dulden wäre Verrat an dem, der uns sandte. Jesus muß ebensowohl als Herr wie als Heiland von uns angenommen werden, und wo sich in diesem Punkt ein Schwanken findet, da ist der Grund des Lebens aus Gott noch nicht gelegt.
So sehen Sie, meine Brüder, die Zeichen, die beweisen, daß eine Seele gewonnen ist, sind keineswegs unbedeutend, und von dem
Werk, das getan werden muß, ehe diese Zeichen sich finden können, darf nicht leichtfertig gesprochen werden. Ein Seelengewinner kann nichts ohne Gott tun. Er muß entweder auf den Unsichtbaren seine Zuversicht setzen oder dem Teufel ein Spott werden, denn dieser blickt mit gänzlicher Verachtung auf alle, die da meinen, mit bloßen Worten und Argumenten die menschliche Natur bezwingen zu können. An alle, welche hoffen, eine solche Arbeit werde ihnen in ihrer eigenen Kraft gelingen, möchten wir die Worte richten, die der Herr zu Hiob sprach : »Kannst du den Leviathan ziehen mit dem Hamen und seine Zunge mit einer Schnur fassen? Kannst du mit ihm spielen wie mit einem Vogel? Oder ihn für deine Mädchen anbinden? Wenn du deine Hand an ihn legst, so bedenke, daß es ein Streit ist, den du nicht ausführen wirst. Siehe, jede Hoffnung wird an ihm zuschanden, schon wenn einer ihn sieht, stürzt er zu Boden.« Vertrauen auf Gott ist unsere Stärke und unsere Freude; in diesem Vertrauen wollen wir ausgehen und suchen, Seelen für ihn zu gewinnen.
Im Beruf unseres Predigtdienstes wird in dieser Hinsicht allerdings auch vieles fehlschlagen. Es gibt viele Vögel, die ich glaubte gefangen zu haben; es gelang mir sogar, Salz auf ihren Schwanz zu streuen, aber sie sind dennoch wieder fortgeflogen. Ich erinnere mich eines Mannes, den ich Thomas Sorglos nennen will. Er war der Schrecken des Dorfes, in dem er lebte. Es geschahen viele Brandstiftungen in der Gegend, und die meisten Leute schrieben sie ihm zu. Zuweilen war er zwei oder drei Wochen lang fortwährend betrunken, und dann raste und tobte er wie ein Wahnsinniger. Dieser Mann kam, mich zu hören; ich erinnere mich des Aufsehens, das er in der kleinen Kapelle erregte, als er hereinkam. Er saß da und verliebte sich in mich. Ich denke, das war die einzige Bekehrung, die mit ihm vorging, aber er behauptete, bekehrt zu sein. Dem Anschein nach war er wirklich bußfertig und wurde äußerlich ein ganz anderer, gab sein Trinken und Fluchen auf und war in vieler Hinsicht musterhaft. Ich sah ihn einmal eine Barke schleppen mit vielleicht hundert Leuten an Bord, die er zu einem Orte zog, wo ich predigen sollte. Er freute sich der Arbeit und sang so froh und glücklich, wie nur einer von ihnen singen konnte. Wenn jemand ein Wort gegen den Herrn oder seinen Diener sprach, zauderte er keinen Augenblick, sondern wies ihn gehörig zurecht. Ehe ich die Ge
gend verließ, fürchtete ich, daß kein wirkliches Gnadenwerk in ihm geschehen war. Er war eine Art wilder Rothaut. Ich habe gehört, daß er einen Vogel fing, ihn pflückte und ihn roh auf dem Felde aß. Dies ist nicht die Handlungsweise eines chrisdichen Mannes, es gehört nicht zu dem, was lieblich ist und was wohl lautet. Nachdem ich aus der Gegend fortgegangen war, habe ich mich nach ihm erkundigt und konnte nichts Gutes von ihm hören. Der Einfluß, der ihn äußerlich auf dem rechten Wege hielt, war nicht mehr vorhanden; er wurde schlimmer als zuvor, und ihm war auf keine Weise beizukommen! Dieses mein Werk konnte nicht die Feuerprobe bestehen; es konnte nicht einmal eine gewöhnliche Versuchung ertragen, nachdem derjenige, welcher Einfluß über ihn hatte, fort war. Wenn Sie das Dorf oder die Stadt verlassen, wo Sie gepredigt haben, ist es sehr wahrscheinlich, daß einige, die »fein liefen«, zurückgehen werden. Sie hatten eine Zuneigung für Sie, und Ihre Worte hatten eine Art magnetischen Einfluß auf sie, und wenn sie fort sind, so »frisset der Hund wieder, was er gespeiet hat, und die Sau wälzet sich nach der Schwemme wieder im Kot«. Seien Sie nicht zu eilig mit dem Zählen dieser angeblich Bekehrten! Nehmen Sie dieselben nicht zu früh in die Gemeinde auf! Seien Sie nicht zu stolz auf deren Begeisterung, wenn diese nicht mit einem großen Grad von Weichheit und Demut verbunden ist, welcher anzeigt, daß der Heilige Geist wirklich in ihrem Innern gewirkt hat.
Ich erinnere mich eines anderen Falles von ganz anderer Art. Ich will diese Person Fräulein Marie Seicht nennen; denn sie war eine junge Dame, die niemals viel Kopf gehabt hatte; aber sie wohnte in einem Hause mit mehreren christlichen jungen Damen und behauptete, bekehrt zu sein. Als ich mit ihr sprach, war scheinbar alles da, was man wünschen konnte. Ich dachte daran, sie zur Aufnahme in die Gemeinde vorzuschlagen; aber dann hielt ich es doch für das Beste, ihr erst noch eine kurze Probezeit zu geben. Nach einer Weile verließ sie den Platz, wo sie wohnte, und ging an einen Ort, wo sie nicht viel hatte, was sie in geistlichen Dingen fördern konnte. Ich hörte nie wieder etwas von ihr, ausgenommen, daß sie ihre ganze Zeit damit zubrächte, sich hübsch zu kleiden, wie sie irgend konnte, und an Vergnügungen teilzunehmen. Sie ist ein Typ derer, die nicht viel geistige Ausrüstung haben, und wenn die Gnade Gottes nicht den leeren Platz in Besitz nimmt, so gehen sie bald zurück zur Welt.
Ich habe auch mehrere gekannt, die einem jungen Mann glichen, den ich Karl Geschickt nennen will, ungewöhnlich geschickte Leute in allem und jedem, sehr geschickt auch darin, Religiosität nachzumachen, wenn sie sich damit befaßten. Sie beteten sehr fließend; sie versuchten zu predigen und taten es sehr gut. Was sie auch taten, sie taten es aus dem Stegreif.