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Als man Pater Laurentius zur letzten Ruhe gebettet hatte, fand man in seiner Klause, halb versteckt unter dem Betschemel, einen länglichen Kasten. Er enthielt neben einer grauen Locke, einer getrockneten Rose, einem meerblauen Seidenband und einem eingewickelten Stück Mauerstein viele eng beschriebene Blätter: die Aufzeichnungen des Paters Laurentius. Gott hatte seinen Diener so schnell heimgerufen, dass er die Blätter nicht mehr vernichten konnte, wie er es vorhatte. Sein ungewolltes Vermächtnis hat den Lebenden viel zu sagen.
AM HOF DES BISCHOFS EBERHARD VON WALDBURG ZU KONSTANZ, im Juli Anno 1260
Ich bin nun schon seit vier Wochen hier und fasse mir des öfteren an den Kopf, um mich zu überzeugen, dass ich wirklich nicht schlafe oder träume, sondern wach, ganz wach bin! Vor vier Monden noch habe ich mir diese Zeit sonnig und licht ausgemalt, mich darauf gefreut und sie herbeigesehnt. Aber was haben diese vier Monde gebracht, die zwischen damals und heute liegen! Alles, was ich da erlebte, konnte wohl dazu dienen, aus dem Jüngling einen Mann zu machen!
Um nie dieses Gedankens ledig zu werden, will ich alles niederschreiben, was mir widerfahren ist. Ich will nichts vergessen - und ich will mich rächen, wo und wie ich kann! Und wenn ich selbst dabei zugrunde gehen sollte, was schadet es - wen kümmert es! Ich bin allein übriggeblieben, der letzte meines Geschlechts, da will ich wenigstens glatte Arbeit tun bei denen, die mich so ruchlos um alles gebracht haben! Tag und Nacht sehe ich das Grauenhafte vor mir - fahre des Nachts aus dem Schlaf, weil ich die Burg brennen sehe, das Geschrei der Sterbenden höre - Tag und Nacht sehe ich dein liebes, holdes Bild, Mutter, mit dem Stich im Herzen! Du Burg meiner Väter, du stolze, trutzige Veste Oberndorf - wie liebe ich dich! Wie fühle ich mich eins mit dir, verwachsen fast mit jedem Stein.
Alle meine Vorfahren waren edle, ritterliche Männer, und unter den Frauen unseres Geschlechtes galten Tugend und Herzensreinheit als selbstverständlich. Meine Mutter hat mir oft davon erzählt, was sie von der Kindsmagd meines Vaters vernommen hatte. Auch Ritter und Edle, die auf anderen Burgen saßen, haben ihr manch Rühmliches von unserem Geschlecht berichtet. Wir sind ein geachtetes, aber auch gefürchtetes Geschlecht. Recht und Gerechtigkeit standen allzeit obenan. Elendes Rauben, wie es noch jetzt oft geschieht, hätte nie einer der Unseren getan. Besonders scheint mein Vater diesem unguten Wesen abhold gewesen zu sein - denn alle, die es trieben, fürchteten ihn über Maßen und waren ihm gram.
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