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Südafrika im 19. Jahrhundert. Die Kolonie wird von den Briten regiert. Die Nachfahren holländischer Einwanderer, die afrikanischen Ureinwohner und die Mischlinge kämpfen um ihre Existenz in einem Land, in dem die afrikanische Identität durch das Christentum, aber auch durch die reichen Bodenschätze beeinflußt wird. Das Buch schildert das Schicksal der Familie Christiaan von der Kemp, die sich auf einen gefahrvollen Treck begibt, um in der unerforschten Wildnis eine neue Heimat zu finden.
Eine dramatische Geschichte aus einem unruhigen Land und einer bewegten Zeit. Ein in sich abgeschlossener Roman aus der Reihe »Südafrika Saga". Folge von Jack Cavanaugh, „Und niemand kennt das Morgen"
ISBN 3-86122-390-2
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Nicht zum erstenmal hatten sie dem Tod ins Angesicht geschaut. Im südafrikanischen Grenzland war man mit ihm ebenso vertraut wie mit dem Anblick einer Herde flinkfüßiger Springböcke oder eines Schwarms von Blaukranichen. Hier trat der letzte Feind jäh und dazu oft gerissen auf den Plan: Er konnte fauchend wie ein Leopard aus einem Gebüsch hervorspringen, mit weitaufgerissenem Maul eines Krokodils aus dem Fluß auftauchen oder einen mit dem lästigen Summen einer Tsetsefliege bedrohen.
Heute kam das Schreckgespenst des Todes von der grasbewachsenen Hügelkuppe herab, die das Anwesen der van der Kemps von dem schlammig-braunen Wasserlauf des Fish Rivers trennte, und zwar in Gestalt einer Horde schwarzglänzender Xhosa-Krieger. Hunderte schienen es zu sein.
Schulter an Schulter, Schild neben Schild standen sie abwehrbereit, die nach oben weisenden Speerspitzen in der Sonne schimmernd, während ein paar von ihnen das Vieh Christiaan van der Kemps über den Fluß trieben, der die Grenze zwischen dem Siedlungsgebiet der Kapkolonie und dem Land der Xhosa-Stämme bildete.
Die Flinte im Anschlag, sah Christiaan van der Kemp aus einem Fenster seines Hauses, wie seine Rinderherden hinter dem Höhenzug verschwanden. Er hörte die Tiere brüllen und ihre Hufe ins Wasser platschen, während sie durch den Fluß getrieben wurden.
„Wollen wir sie nicht aufhalten?" rief Oloff Klyn.
Christiaans zweiundsiebzigjähriger Nachbar kauerte hinter der Brüstung eines zweiten Fensters, das den Blick zur Hügelkuppe freigab. Sein wettergegerbtes Gesicht legte sich angesichts der Untätigkeit seines Nachbarn in ungläubige Falten. Neben ihm kniete Henry, sein achtzehnjähriger Sohn, und hantierte nervös an der Büchse, die er soeben für seinen Vater geladen hatte.
„Es ist nur Vieh!" antwortete Christiaan und zuckte dabei zusammen, so abwegig kam ihm sein eigener Satz vor.
„Nur Vieh!" brüllte Oloff. Dann kamen nur noch unverständliche Wortfetzen über seine Lippen. Er hob den Kolben seiner Muskete an die Wange. „Diese Halbaffen!" hörte man ihn murmeln. „Dies ist die einzige Sprache, die sie verstehen." Dabei kniff er sein linkes Auge zusammen und zielte am Lauf seiner Waffe entlang. Ohne Zweifel richtete er ihn auf den Brustkorb eines Xhosa-Kriegers.
„Oloff - nicht feuern!" warnte Christiaan.
Der alte Mann zog die Schultern hoch und drückte ab.
„Ich sagte, nicht schießen!" donnerte Christiaan. Seine Stimme dröhnte derart gewaltig, daß nicht nur alle innerhalb des Hauses davon aufgeschreckt wurden, sondern sogar durch die Reihen der XliosaKrieger auf der Kuppe etwas wie eine Welle des Erschreckens lief.
Oloff ließ das Gewehr sinken. Seine Lippen wurden zu einem dünnen Strich, sein weißscheckiger Bart zitterte. Er schwenkte das Gewehr in der Hand und sagte: „Wenn wir sie heute nicht zur Strecke bringen, holen sie morgen mein Vieh und übermorgen Pfeffers!"
Am anderen Ende des großen Zimmers kauerte ein verängstigt dreinschauender Adriaan Pfeffer, wie Christiaan und Oloff unter einem anderen offenen Fenster. Neben ihm kniete sein pockennarbiger Sohn, ein Pulverhorn in der Hand. Pfeffers Frau und seine Zwillingstöchter, Kleinkinder noch, hatten nicht weit entfernt auf dem Boden Schutz gesucht.
„Oloff hat recht", sagte Pfeffer leise. ,Wenn wir sie heute nicht aufhalten, kommen sie morgen wieder - das ist so sicher wie der Sonnenaufgang."
Niemand sonst im Raum sprach. Alle Gesichter wandten sich Christiaan zu und erwarteten seine Antwort.
Christiaan wollte, er wäre draußen auf seinem Acker und pflügte - dabei haßte er Pflügen. Jetzt den Führer abgeben zu müssen ging ihm aber noch viel mehr gegen den Strich. Er war ein kräftiger Mann mit breiten Schultern und muskulösen Armen, höher gewachsen als die meisten anderen. Und irgendwie schlossen die Leute aus seiner Körpergröße auf seine Führereigenschaften. Diese Schlußfolgerung verabscheute er.
Doch dies hier war sein Haus, und es waren seine Nachbarn. Pfeffer war ein guter Mann, aber zurückhaltend bis zur Unentschlossenheit, was hier im Grenzland bedeuten konnte, daß man schon mit einem Fuß im Grab stand. Oloff dagegen war hart und verbittert. Für ihn gab es eine einfache Lösung für das Grenzlandproblem: Man müsse die Xhosa und alle anderen, die den Kolonisten das Recht streitig machten, hier zu leben, einfach plattmachen.
Seufzend kratzte sich der fünfundvierzigjährige Nachfahre holländischer Einwanderer das bärtige Kinn und sah zu seiner Frau und den Kindern hinüber, die neben den Pfeffers am Boden kauerten.
Johanna war eine stattliche Frau und fühlte sich sichtlich unwohl, wie sie da gebückt auf dein Fußboden lag. Ruhelos nahm sie mal diese,
mal jene Stellung ein, aber das hatte weniger mit ihrer Körperhaltung zu tun als mit dem Kampf, der sich in ihr abspielte.
Johanna drängte es zu sagen, was sie dachte. Unter normalen Umständen hätte sie das auch getan, ohne mit der Wimper zu zucken. Nun aber, wo sie angegriffen wurden und Oloff ihren Gatten in dessen eigenem Haus herausforderte, zwang sie sich zu schweigen.
Christiaan konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Er liebte sie um so mehr wegen ihrer Zurückhaltung, zumal er wußte, daß es ihr alles andere als leichtfiel.
Johanna van der Kemp als „freimütig" zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Sie war nicht nur die Verkörperung der offenherzigen Wesensart der Grenzlandfrauen, sie war deren Oberhaupt. Ihre Zunge glich einem wilden Hengst, der die Dressur verweigerte. Wenn es die Umstände erforderten - wie gerade jetzt -, konnte sie ihn eine Zeitlang einpferchen, doch dann würde er sich unweigerlich voll aufgestauter Wut und unbändiger Kraft aufbäumen.
Johanna jedoch war auch eine praktisch denkende Frau. Und in einer Krise wie dieser war es geboten, daß nur einer das Sagen haben konnte. Also legte sie ihrer Zunge festes Zaumzeug an und wartete darauf, daß ihr Gemahl sagte, wie sie vorgehen sollten. Freilich hoffte sie, daß er sie nach ihrer Meinung fragen würde, bevor er etwas tat, was hinterher bedauert werden könnte.
Neben Johanna, mit dem Rücken gegen sie gelehnt, saß ihre Tochter Sina, sechzehn Jahre alt. Sie hatte dunkelbraunes Haar, helle Haut und war schlank gewachsen, viel zu schlank für ein Mädchen aus dem Grenzland. Obwohl ein Trupp von Xhosa-Kriegern vor dem Haus aufgezogen war, schien ihre Aufmerksamkeit viel mehr von der Nähe des jungen Henry Klyn beansprucht zu sein. Von Zeit zu Zeit, immer wenn sie glaubte, niemand würde es bemerken, warf sie ihm verliebte Blicke zu.
jAuf der anderen Seite der Mutter kauerte ihr jüngerer Bruder Kootie, gerade mal zwölfjährig. Seine weitaufgerissenen Augen waren erwartungsvoll auf seinen Vater gerichtet. Er wartete auf eine Geste, irgend etwas, das er als Erlaubnis auslegen könnte, sich zu den Männern an den Fenstern zu schleichen. Zwar war Kootjie für sein Alter groß, aber noch viel zu unreif, als daß sein Vater ihn als Mann hätte ansehen können. Kootjie sah das natürlich ganz anders. Er war ein guter Schütze und gut im Sattel, beherrschte aber noch nicht die Kunst, während des Ritts nachzuladen und zu schießen, eine Fähigkeit, in der die burischen Männer alle anderen übertrafen.
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