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Ganz wohl war es Ulrich Richter an diesem Morgen nicht. Ein unbestimmter Druck im Kopf, den er auch mit mehreren Aspirintabletten nicht hatte verdrängen können, plagte ihn und hinderte ihn in seiner Arbeit. Kaum ein klarer Gedanke wollte ihm kommen, und dabei saß er schon seit Stunden vor seinem Zeichenbrett. Die ihm sonst so geläufigen Linien tanzten auf dem Papier hin und her und verwirrten sich zu einem Knäuel, dem jeder Sinn abging.
Und dabei war draußen der Himmel blau, die Sonne lachte bis ins Zimmer hinein, und es war angenehm warm, obwohl die schon spürbare Kürze der Tage die Nähe des Winters bereits ankündigte. Eigentlich hätte man nochmals die restlichen Ferientage nutzen müssen und wandern sollen in den bunten Wäldern oder gar noch einmal baden sollen im Meer. Renate, so ging es Ulrich durch den Kopf, hatte ihm das in den letzten Tagen vorsichtig, wie es ihrer Art entsprach, nahegelegt. Und er hatte es auch blitzartig verstanden, innerlich sogar bejaht und dann doch wieder verdrängt über dem Wust, dem Berg von Arbeit, die nach Erledigung schrie. Noch einmal nahm Ulrich einen Schluck Kaffee. Er fing an, Tagträume zu haben. Wunschträume, die ihn in unkontrollierten Momenten überfielen.
Wie war das früher gewesen? Als die Kinder noch kleiner waren? Als alles irgendwie harmonischer zuging, geordneter im Ablauf, ruhiger und doch sinnvoll und eigentlich genauso ergebnisträchtig wie heute? Wenn er mit seiner Frau dösend im Garten gelegen hatte und die Kinder spielten und von Zeit zu Zeit auch mal irgendeine vermutlich dringende Frage stellten und es doch nicht störte. Oder wenn sie alle zusammen in die Ferien fuhren? War das nicht schön gewesen? Zugegeben, das Auto war kleiner und eng, fast zu eng mit dem vielen Gepäck.
Aber ehe man irgendetwas kaufte, überlegte man, ob das noch im Haushaltsbudget drin war. Aber war der heutige, größere Wagen ein echter Ersatz? Hob das nicht mehr so notwendige echte Nachdenken bei den Ausgaben über das Unbefriedigtsein hinweg?
Natürlich wollte er nicht klagen! Das wäre sicher nicht recht! Nur die knurrige Stimmung, das manchmal entstehende Knistern ohne konkreten Anlaß im Familienkreis, das alles wurde ihm je länger je mehr zur Frage. Und die hatte er nicht beantwortet, noch nicht einmal sich konkret zu stellen gewagt, aus Angst vor der Antwort.
Es konnte ja sein, daß nur er so empfand und die anderen nicht. Renate danach zu fragen, hatte Ulrich sich bis heute gescheut. Und dabei wäre ein Gespräch mit ihr sicher nützlich und hilfreich gewesen. In ihren Augen konnte er manchmal eine Frage, lesen, die Frage, die sie ihm laut kaum zu stellen wagte: Was ist mit dir, Ulrich? Hast du was? Drückt dich etwas?
Aber er war ausgewichen. Und in ganz seltenen Augenblicken fragte er sich ängstlich, ob er damit nicht eigentlich ihre Liebe, die Harmonie ihrer Ehe verraten, vielleicht sogar verspielt habe. Ach, dieser Druck im Kopf! Ob er nicht doch mal wieder zum Arzt müßte? Aber ein Mensch war doch keine Maschine. Da ging es nicht so, wie bei seinen Konstruktionsprodukten, die mit ®1 und Fett, Betriebsmitteln und Material zufrieden waren. Und wenn eine Störung eintrat, behob ein einigermaßen tüchtiger Monteur den Schaden in Stunden oder Minuten. Beim Menschen ging das nicht so. Da machte sich das Alter schon bemerkbar und der damit verbundene Leistungsabfall. Konnte sein gestörtes Gleichgewicht vielleicht daher kommen? Doktor Renner, sein Arzt, hatte verschiedentlich derartige Andeutungen gemacht. Vom Klimakterium des Mannes, von der Notwendigkeit einer Besinnung und Anpassung an die Spannkraft hatte er gesprochen. Und innerlich, da wo keiner hineinsehen konnte, hatte er, Ulrich, ihm recht gegeben. Eigentlich sollte die Arbeit, an der er jetzt saß, die Konstruktionszeichnung des Antriebsteils der neuen MZ-Maschine,
heute noch fertig werden. Aber Ulrich gab es auf. Heute schien ihm nichts zu gelingen.
Wie war er nur so ins Trudeln geraten? Sein Kopf, ja, und der Druck! Und dann all die Gedanken, die ihn in den schlaflosen Stunden der Nacht gequält hatten und jetzt, wie aus grauen Nebelschwaden am hellichten Tag sein Denken gefangen hielten.
Gestern Abend hatte es angefangen, als er mit Renate zur Bibelstunde in die Räume der Gemeinde gegangen war. Das war nach langer Zeit wieder das erste Mal gewesen, und es war ihnen nicht sehr leicht geworden, die selbst aufgebaute Hemmschwelle zu überwinden. Als sie sich dann aber entschlossen hatten, waren sie erleichtert, sogar etwas froh geworden. Das, was der Redner dann im Vortrag gesagt hatte, war ihnen keineswegs neu gewesen. -Vor fünfzehn Jahren hatte Ulrich ähnlich als Jugendmitarbeiter in den Jugendstunden gesprochen. Restlos überzeugt war er davon gewesen. Nur hatte sich dann, wie sagt man: „der Lebenskampf', „der Existenzkampf' dazwischengeschoben und letztlich alles in den Hintergrund, zumindest aber an die Seite gedrängt, was ihm vorher wichtig und bedeutsam war. Damals war er ganz bewußt in die Arbeit der Gemeinde eingebunden gewesen, ein voll integriertes, nützliches Glied. Jetzt war er an den Rand geraten, ohne persönliches Engagement, nicht mit Absicht oder gar aus Vorsatz. Nein, nur die Proportionen hatten sich verschoben. Heute galt eine andere Rangordnung der Prioritäten bei ihm, und Entfremdung war die Folge. Wohl fühlte man sich dabei nicht. Und genau das alles hatte der Redner, der am Vorabend den Verkündigungsdienst getan hatte, angesprochen. Sein Thema war die biblische Aussage vom wiederkommenden Herrn Jesus Christus gewesen. Ganz hautnah hatte er diese Hoffnung mit all ihren Folgen in das Leben des Einzelnen wie der ganzen Gemeinde gestellt. Und das, das hatte Ulrich gepackt, überhaupt nicht mehr losgelassen, und verfolgte ihn in Gedanken bis heute.
Zuerst hatte er es durch belangloses Reden mit den Seinen über alle möglichen Themen loswerden wollen. Aber auch das hatte nur für kurze Zeit Entlastung gebracht. Die Kernfragen des Themas ließen sich einfach nicht abschütteln; sie hingen wie mit Widerhaken befestigt in seinem Inneren. Und er wußte genau, daß das Gottes Reden zu ihm ganz persönlich war. Ulrich faßte einen Entschluß. Es hatte ei.nfach, keinen Sinn mehr, nur herumzusitzen, wenn man sich nicht konzentrieren konnte. Und außerdem wollte er jetzt nicht mehr ausweichen, sondern ganz ehrlich zu einer echten Antwort auf die bohrenden Fragen kommen. Deshalb meldete er sich bei seinem Vorgesetzten ab: „Er wolle die restlichen Ferientage nehmen." „Er könne nicht konstruktiv arbeiten und wolle keine fadenscheinige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen." „Ein guter Mann", dachte Dr. Schatz, der Leiter des Büros, als er Ulrich durchs Fenster zum Ausgang gehen sah. Was er wohl hat? Er schien ganz durcheinander.
Ulrich Richter, diplomierter Ingenieur, war seit fast zwanzig Jahren als Konstrukteur bei der Firma Zeller angestellt. Ein tüchtiger Mitarbeiter, mit großem Freiraum in der Arbeitsgestaltung. Darüber war man sich einig. Wäre er nicht gewesen, die Firma Zeller hätte sicher nicht so große Bedeutung auf ihrem Marktsektor gehabt. Seine Ideen hatten das Werk weitergebracht, man war stolz auf ihn: den Ulrich Richter, 46 Jahre alt, seit zwanzig Jahren verheiratet mit Renate. Zwei Kinder hatte Gott dem Paar geschenkt in einer wirklich glücklichen Ehe. Daniel, 19 Jahre, kurz vor dem Abitur, und Bettina, 17 Jahre, seine Schwester, zwei Jahre zurück auf der gleichen Schule. In der Zeller-Siedlung gehörte ihnen ein hübsches Einfamilienhaus, und sie genossen in der Freizeit dort die Stille und die gute Luft außerhalb der Stadt. Sie fühlte sich rundum wohl, die Familie Richter, und konnte es ja wohl auch. Was fehlte ihnen denn noch zum Glück? Oder war doch die innere Harmonie lückenhaft?
Auf dem Firmenparkplatz traf Ulrich seinen Freund Bernd, Kollege in der Firma, alter Freund von früher, Glied der gleichen Gemeinde und auch Zuhörer von gestern Abend. „Hallo Ulrich, du gehst schon nach Hause? Was ist? Geht's dir nicht gut?"
„Doch, doch", antwortete Ulrich; „irgendwie muß ich aber jetzt mal raus." (Wer gibt Schwäche schon gern offen zu?)
„Wie gefiel es dir denn gestern Abend?" fragte Bernd. „Du warst hinterher so schnell verschwunden. Eigentlich wollte ich dich noch begrüßen, auch Renate. Du, und besonders auch die Deinen, ihr seid so seltene Gäste in der Gemeinde geworden. Und das tut uns leid. Irgendwie haben wir euch vermißt. Um so mehr haben wir uns über euren Besuch von gestern gefreut. War doch ein großartiges Thema, nicht Ulrich?" „Ja, schon!" Ulrichs Antwort kam befangen. „Es ging mir sogar noch durch die ganze Nacht bis heute nach. Im Grunde läßt es mich überhaupt nicht los. Wenn ich das alles doch noch einmal hören könnte!"
„Das kannst du! Ganz einfache Sache!" freute sich Bernd, griff in das Handschuhfach seines Wagens und gab Ulrich eine Tonkassette. „Da ist alles drauf' , sagte er. „Hör's dir nochmal an. Wir sprechen dann später mal drüber."
Inhaltsverzeichnis
»Ein langes Vorwort« oder: »Wie dieses Buch entstand und was es will« 9 Gedanken 13 Neues Hören 18 Die zwei Kommen Christi auf die Erde 20 Die Entrückung der Gemeinde 25 Folgen des Wissens 39 Und was nun? 43 Antwort im Gespräch . 47 Antwort in der Tat 63 Die andere Denkrichtung . . . . 63 Ganz anders handeln 72 Eine Frage zieht Kreise 75 Besuch bei Tante Charlotte 75 Wirkungen bei der Jugend 79 Lebers verzichten 86 Ein Krankenbesuch 92 Streitigkeiten (Wortauslegung-Erbfall) 96 Eine Gemeinde ändert ihr Image 99 Die Gruppe »Undank« 102 Neuorientierung und Engagement . . . . 1.04 Gemeinde entdeckt ihren Funktionsplan neu 107 Nachbesinnung 111 Anhang: I Die Entrückung- eine praktische »Lehre« 121 II Wann wird der Herr kommen? 124 III Kartenanhang 131 IV Entrückung vor oder nach der Drangsalszeit?
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