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Der Hut
In meiner Heimatstadt Frankfurt am Main war eine große jüdische Gemeinde. Die zog uns als Jungen merkwürdig an. Es lag etwas Geheimnisvolles über dieser fremden Welt. Einmal durften wir sogar einen alten Rabbiner besuchen, der in einem der verwinkelten, sehr schmalen Häuschen der Frankfurter Altstadt wohnte. Da zeigte er uns ein genaues Modell des salomonischen Tempels, das er in jahrelanger Arbeit angefertigt hatte. Während er uns alles erklärte, spürten wir Jungen etwas von der Sehnsucht dieses zerstreuten Volkes nach dem Heiligtum Gottes.
So ist es nicht verwunderlich, daß wir eines Tages am Sabbat in die Altstadt zogen, um an einem der geheimnisvollen Gottesdienste teilzunehmen.
Aber leider ergab sich nun eine Schwierigkeit. Die Juden halten es umgekehrt wie wir: Wir nehmen in der Kirche den Hut ab; in der Synagoge dagegen darf kein Mann erscheinen, ohne daß er einen Hut auf dem Kopfe hat.
Wir Jungen aber trugen keine Hüte. Es war für uns damals geradezu Ehrensache, ohne eine Kopfbedeckung herumzulaufen.
Da standen wir nun vor der Synagoge. Und ein kleiner, alter, ernster Mann erklärte uns, ohne Hut könnten wir auf keinen Fall die Synagoge betreten.
Hier war guter Rat teuer. Umkehren mochten wir nicht. Schließlich hatten wir diese Expedition doch lange besprochen und geplant.
Sollte sie nun so kläglich scheitern?
Der kleine, alte, bärtige Mann sah, daß es uns Ernst war mit dem Besuch der Synagoge und daß es sich nicht nur um einen spaßigen Einfall handelte. So trat er noch einmal zu uns und erklärte, er könne uns für die Dauer des Gottesdienstes Hüte vermieten, wenn wir ihm für jeden Hut einen Groschen Miete bezahlen wollten.
Da wurde große Kassenrevision gehalten. Und als sich herausstellte, daß genug Geld vorhanden war, gingen wir auf den Handel ein.
Der Mann brachte die Hüte. Ich denke, es waren abgelegte Kopfbedeckungen der vielen, vielen Rabbis, die hier gewirkt hatten: große, breitrandige, schwarze Dekkel. Es war gut, daß wir Ohren am Kopf hatten, sonst wären uns die Hüte über das Gesicht gerutscht.
Aber mit den schwarzen Hüten kam eine feierliche Stimmung über uns. So betraten wir die Synagoge. Andächtig machten wir den Gottesdienst mit. Und beim Ausgang gaben wir die Gottesdienst-Hüte wieder ab. - Seitdem habe ich oft an diese Hüte denken müssen. Wenn ich unsere lieben Christenleute im Gottesdienst sehe, machen sie alle einen so frommen und gottgefälligen Eindruck. Und sie singen die Glaubenslieder, in denen sie versichern, daß nichts sie vom Herrn Jesus trennen könne, auch wenn die Welt unterginge. Sie haben gleichsam feierliche Glaubenshüte auf.
Aber wenn der Gottesdienst zu Ende ist, geben sie den Glaubenshut schnell ab. Dann sind sie wie alle anderen Leute: Sie zanken und streiten, sie dienen dem Mammon, sie folgen ihren Lüsten und sie vergessen ganz den Heiland, der für sie starb. Sie leben ihren Alltag ohne den Erlöser. Das ist schlimm.
Wir sollten unseren »Glaubenshut« auch außerhalb des Gottesdienstes tragen.
»Welt ging verloren.
Es war im Jahre 1915.
Als blutjunger Kriegsfreiwilliger stand ich an der Front. Wir lagen am Kanonberg in der Champagne in einer trostlos zerstörten Gegend.
Am Tag vor Weihnachten kam Post. Ich kriegte auch ein Päckchen. Unter allerlei lieben Gaben war da ein gelber Wachsstock. »Kinder, wir machen uns einen Weihnachtsbaum!« hieß es, als man den Wachsstock in meiner Hand sah.
Am Morgen des Heiligen Abends zog ich mit meinen Kameraden los, um den Weihnachtsbaum zu suchen. Wie glücklich waren wir, ein kleines grünes Sträuchlein zu finden! Mit großer Liebe pflanzten wir es in eine Konservenbüchse. Mit mehr Geduld als Geschick wurde der Wachsstock zerschnitten und jedes Lichtlein mit einer Stecknadel an einen Zweig gespießt.
Und dann kam der Heilige Abend. Draußen war es ruhig. Nur hier und da bellte ein verlorener Schuß durch die Nacht. Jetzt sollte unsere Feier losgehen.
Ach, sie mißriet völlig! Am Nachmittag war uns eine große Korbflasche Schnaps geliefert worden. Diesem Gift hatten die Männer schon kräftig zugesprochen, so daß ein böser Geist herrschte. Ich versuchte zu retten, was zu retten war. Die Kerzen wurden angesteckt, und ich bat: »Laßt uns ein Lied singen!« Da war nun einer, der wollte uns mit dem Lichterbäumlein knipsen. Bis der endlich alles aufgebaut hatte, waren die kleinen Kerzen ausgebrannt. Dafür war der Unterstand voll beißenden Qualms vom Blitzlicht.
Ach, es mißriet alles! Warum? Ich denke heute, wir waren alle heimwehkrank an dem Abend. Kurz, es war trostlos. Und ich lief schließlich in Zorn und Schmerz aus dem Unterstand.
Draußen umfing mich sternhelle Nacht. Weiß leuchtete die aufgewühlte, zerschossene Kalkerde. Armes Land! Hier waren einst reiche Felder und Gärten. Dort unten in der Mulde hatte ein Dorf gelegen. Jetzt zeugten nur noch einige kahle Obstbäume davon. Selbst die Trümmer waren verschwunden, zum Straßenbau verwendet. Vor zwei Jahren hatten dort fröhliche Menschen Weihnachten gefeiert. Wo sind sie nun, die Heimatlosen? Da höre ich ein Geräusch. Aus dem Offiziersunterstand, der ein paar Schritte nebenan liegt, kommt jemand heraus. Er sieht mich nicht, weil ich im Schatten stehe. Aber ich kann ihn deutlich erkennen. Es ist ein Oberleutnant, der mir immer mächtig imponiert hat. Lange steht er und schaut in die trostlose Nacht. Sieh, denke ich, dem geht's wie mir. Im Offiziersunterstand sind sie wohl auch alle betrunken. Und jetzt geht auch ihm der ganze Jammer des Krieges auf, daß er ihn fast nicht mehr ertragen kann.
Doch - was hat er denn da? Er zieht unter seinem Umhang ein blitzendes Horn hervor, setzt es an die Lippen. Und nun klingt es unendlich weich und seltsam über das zerschossene, zerstörte Tal:
»0 du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit. . . «
Sein Blasen zwingt mich förmlich, den Text leise mitzusprechen. Und alles empört sich in mir. Nein! Nein! schreit mein Herz. Es ist nicht wahr! Hier ein zerstörtes Dorf. Jedes verwüstete Haus ein Strom von Herzeleid. Und dort die trunkenen, heimwehkranken Männer.
Und zu Hause die weinenden Frauen, Kinder, die nach ihren Vätern rufen - Blut, Sterben, Jammer. . . Wie kannst du so blasen: 0 du fröhliche. . .? Aber er bläst ruhig weiter. Und es klingt klagend:
»Welt ging verloren. . . «
Ja, denke ich, das ist nun ganz und gar wahr. So habe ich das noch nie empfunden und gesehen.
»Christ ist geboren. . . « bläst er in meine Gedanken hinein. So hell, so jubelnd, so schmetternd, daß ich aufhorche.
»Christ ist geboren!
Freue, freue dich, o Christenheit! «
Da fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Das ist Weihnachten, das und nichts anderes:
»Welt ging verloren - Christ ist geboren! Freue dich, o Christenheit!«
Der Brief aus der Heimat
Das Bähnlein ratterte durch die Nacht in die Berge hinein.
In fürchterlichem Gedränge saß ich neben meiner Mutter und überlegte mir, ob ich ihr wohl sagen solle, was mich bedrückte. Sie hatte mich in Tübingen abgeholt, wo ich Theologie studierte. Und nun fuhren wir zusammen zur Schwäbischen Alb.
Schließlich faßte ich mir ein Herz. »Weißt du, Mama,
- der Hut - Welt ging verloren - Der Brief aus der Heimat - das Lied - zu spät - die Schallplatte im Kopf - beinahe hätte ich Prügel bekommen - der aufschließt - neues Jahr - neues Leben - wo nahm Kain seine Frau her? - geh weg, Papa - Charlotte - Arm in Arm mit einem Mörder - Der Text für die Taufrede und viele mehr
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