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SCHRIFTVERSTÄNDNIS UND SCHRIFTAUSLEGUNG IM HEBRÄERBRIEF Schon beim ersten Lesen des Hbr spüren wir, daß sich in der Art, wie der Apostel das AT anführt, und der Form seiner Auslegung ein ganz bestimmtes Schriftverständnis zeigt. Offensichtlich hat sich der Verfasser damit im Einklang mit den Aposteln und den ntst Gemeinden gewußt. So können wir am Hbr einige wichtige Grundlinien atst Schriftauslegung ablesen, die auch an anderen Stellen des NT deutlich hervortreten.
1. Es gab in der Zeit der Abfassung unseres Briefes nicht nur eine, sondern zahlreiche Überlieferungen der hebräischen Schriften des AT, die gleiches Ansehen genossen, u. a. eine palästinensische, eine samaritanische und eine jüdisch-ägyptische Tradition. Unter diesen bestanden gewisse Verschiedenheiten und Abweichungen im Text, die einander jedoch nicht widersprachen. Bei der Übersetzung ins Griechische traten manchmal Sinnveränderungen ein. Dessenungeachtet bleiben die Bücher des AT in der schriftlich festgelegten Form sowohl des hebräischen als auch des griechischen Textes für den Apostel unantastbare Autorität[ A ]. In der Schrift des AT hört er Gott unmittelbar reden.
A) O. Michel, S. 70, zu Hbr 2,6-8: "Jemand hat irgendwo bezeugt. - Wenn unser Brief sich dieser hellenistischen Zitationsweise anschließt, dann bezeugt er, daß ihm das Schriftwort an sich (auch nach LXX) Autorität ist und daß es durch keinen menschlichen Namen gedeckt zu werden braucht."
2. Das ganze AT wird als christologisch-messianisches Buch verstanden, ohne daß damit der ursprünglich geschichtliche Sinn der Worte für Israel und die Bedeutung der irdischen Verheißungen für die Endzeit vergeistigt oder gar aufgehoben würden. |25| Das AT wird aus der Sicht echter Christuserkenntnis gedeutet und dient der Begründung der Größe und Herrlichkeit Christi und seiner Gemeinde[ A ]. Der Apostel sieht im AT bereits den heilsgeschichtlichen Weg der Gemeinde Jesu Christi vorgezeichnet - ähnlich wie Paulus 1 Ko 10,1-13; er findet in den Worten der Schrift die Person Christi, seinen Priesterdienst und sein Opfer beschrieben. In Hbr 3 und 4 hört er aus dem Text der LXX, wie Jesus, der "Apostel und Hohepriester", das ntst Gottesvolk ermahnt, die einmalige und endgültige Heilsverheißung nicht abzuweisen. Auf diese Weise wird verständlich, daß ntst Erkenntnisse der gläubigen Gemeinde auch dort in das AT eingetragen werden, wo sie ursprünglich nicht erkennbar sind. So wird z. B. Hbr 2,6-8 ein Wort aus Ps 8,5-7 angeführt.
Wenn der hebr. Text vom "Menschen" spricht, steht dort noch gar nichts vom Messias oder dem "Menschensohn" im ntst Sinn. Die Tatsache, daß Ps 8 bereits ein Wort ist, das auf Jesus Christus hinweist und in ihm seine Erfüllung gefunden hat, ist eine ntst Erkenntnis, die hier eingetragen wird, allerdings für die Auslegung des AT innerhalb der Gemeinde Jesu legitim geworden ist. Ähnliches beobachten wir bei einem Vergleich von Hbr 10,5-7 mit Ps 40,7-9. Der Apostel erschließt damit jeder Generation neu den Reichtum des Christuszeugnisses im AT.
A) Martin Luther schreibt in seiner Kirchenpostille 1522: "Zum ersten ist zu wissen, daß alles, was die Apostel gelehrt und geschrieben haben, das haben sie aus dem Alten Testament gezogen; denn in demselben ist alles verkündigt, was in Christus zukünftig geschehen sollte und gepredigt werden" (WA 10 I,1, S. 181,15 ff).
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