Zeichen seiner Siege, Alexander Morel

MEINE FÜHRUNG

Als die Pioniere des Blauen Kreuzes in den Schweizer Jura kamen, hatte ich manches an der Abstinenz auszusetzen. Ich fand die Leute zu schroff; mein Freiheitsgefühl litt darunter. Und doch: jedesmal, wenn ich L. L. Rochat reden hörte, war ich von seiner liebenswürdigen Art getroffen. Wir erhoben allerlei Einwände, die nicht immer freundlich waren, aber niemals spürte ich in seinen Entgegnungen die geringste Bitterkeit, er blieb im Gegenteil wohlwollend und höflich.

Dann wunderte ich mich über die ungewöhnliche Freudigkeit, die diese Gründer erfüllte, besonders bei ihrem ersten Fest, das im Frühling 188I in unserer Gegend, in Tavannes, gefeiert wurde. Als junger Pfarrer ging ich hin, Neugier hatte mich getrieben, und ich war zur Kritik aufgelegt. Ich wollte mir selbst ein Urteil bilden über diese sonderbare Gesellschaft der „Wassertrinker", die vor kurzem in unserem Juraland aufgetaucht waren. An folgendes entsinne ich mich noch: Männer und Frauen kamen gegen neun Uhr morgens vom Bahnhof her. Es mochten wohl ioo Teilnehmer sein. Sie schritten zwischen Spöttern, die den Mund voll böser Witze hatten und dreinschauten, als wollten sie sagen: Das sind also die „Verrückten vom Jura"! Diese aber stimmten voller Freude ihr erstes Kampflied an: „Nein, wir können's nicht verschweigen."

Vorsichtig folgte ich dem Zug „von ferne", und als sie alle in der Kirche waren, schlich ich mich heimlich auf die äußerste Ecke der Empore. Die Orgelpfeifen verdeckten mich. Pfarrer Alphons Besson leitete die Feier mit großer Freude und Kraft. Von dem, was an diesem merkwürdigen Tage gesprochen wurde, weiß ich nicht mehr viel, zweierlei aber blieb in mir haften: das Ergriffensein, mit dem frühere Alkoholiker Zeugnis ablegten. „Die Heiligen haben nie geschwiegen", sagt Pascal, und diese führten an diesem Tage eine ungemein kräftige Sprache. Das andere Geschoß, das mich traf, und zwar mitten ins Herz, war die Rede des Gründers unseres Werkes, L. L. RochaL.

Die Fischer auf dem Ozean werfen mit unerhörtem Geschick ihre Harpune auf die Walfische, die zu ihrem Unglück die Nase aus dem Wasser strecken. Rochat jagte die seine in meine Flanke. Ich unterschrieb zwar nicht, im Gegenteil: Wie ein getrofferier Wal seinem GeschiOK durch Untertauchen zu entrinnen glaubt, so verschwand ich meinerseits aus der Versammlung. Ich weiß nicht wie, jedoch ohne mich zu verabschieden. Aber es war um mich geschehen.

Der Stachel, den Rochat abgeschossen hatte, saß fest. Nach einigen Monaten lebhafter Erörterung des Für und Wider und nichtigen Nörgelns streckte ich die Waffen und verpflichtete mich zur Enthaltsamkeit. Sie hat meinem Leben viel reine Freude und Segen gebracht.

 

Wenn sich ein Schwurgericht zur Behandlung eines schweren Falles versammelt, so wird inmitten des Vierecks, das vom Staatsanwalt, dem Gericht und dem Anwalt gebildet wird, ein Tisch aufgestellt. Darauf kommen die Beweisstücke des Prozesses. Um ein umfassendes Bild zu vermitteln, möchte ich auf einem Tisch alle die Verpflichtungsheftchen aufstapeln, die in jenen Jahren im Jura vollgeschrieben wurden. Das gäbe ein Denkmal besonderer Art. Ohne Worte würden sie uns die Seite unserer Geschichte erzählen, von der ich in diesen Zeilen nur stammeln kann.

Diese alten vergilbten Hefte, von Tränen gezeichnet, verschmiert durch die ungeschickten Hände derer, die