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Prolog - Jerusalem, der sechste Tag des Ab, 70 n. Chr.
Unaufhörlich ertönte seit drei Tagen und Nächten das Krachen der Rammböcke. Und die wenigen Menschen, die noch innerhalb der Tempelmauern lebten, waren durch das Dröhnen, das von den Wänden widerhallte, dem Wahnsinn nahe.
Elisabeth preßte den schlafenden Jungen noch enger an sich, als sie daran dachte, was geschehen würde, wenn die Tore schließlich brechen würden. Ihr Blick verweilte auf seinem Kopf mit dem zerzausten Haar. Sanft berührte sie seine Stirn, sein Ohr und streichelte schließlich mit den Fingerspitzen über seine Wangen. Was für Hoffnungen hatte sie am Tage seiner Geburt gehegt! Als ein Erstgeborener aus dem Hause Levi haue er dem Herrn in seinem heiligen Tempel inJerusalem dienen sollen. Aber nun wußte sie, daß es anders kommen sollte. Aaron, ihr Sohn, das einzige Kind, das ihrem Schoß entstammte, sollte mit ihr zusammen sterben. Und mit ihnen würde auch die Hoffnung ihres Volkes sterben.
Mit festem Griff umfaßte sie die Mesusah, die Enoch ihr am Tage ihrer Hochzeit geschenkt harte. Die zierliche goldene Kapsel glitzerte im Mondlicht. Mit winzigen Buchstaben eingraviert, enthielt sie die Verheißung, die Elisabeth und Enoch gewählt hatten, um ihrem gemeinsamen Lebensweg Sinn und Halt zu geben: »Ich habe euch mit immerwährender Liebe geliebt.. .« Aber all dies wurde nun von den Eroberern mit Füßen getreten. Und ihr Liebstes lag schlafend in ihren Armen und würde bald nie mehr erwachen.
Der Kleine regte sich, sah seine Mutter, die ihn in schlaflosem Kummer betrachtete, zunächst schweigend an und sagte schließlich: »Mama, ich bin durstig. Dürfen wir jetzt Wasser trinken?«
Sie nickte und half ihm auf seine dürren Beine. Schon vor Tagen waren die letzten Lebensmittel aufgezehrt worden, nur Wasser gab es im Tempel immer noch im Überfluß. Unter seinem Hof bend sich ein Netz von Aquädukten und Zisternen, die Wasser von den Quellen des Kidrontales herbeiführten. Es konnte zwar sein, daß die Menschen in Jerusalem verhungern würden, aber die Könige des alten Israel hatten dafür gesorgt, daß sie nicht verdursten mußten.
Sie nahm Aaron auf den Arm und ging vorsichtig um die Menschen herum, die auf den Steinen des Frauenhofes schliefen und deren unru-
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Diese packende Serie der Bestseller-Autorin Bodie Thoene erzählt vom Überlebenskampf der jungen jüdischen Nation zwischen Holocaust und Staatsgründung
Band 1: Der Weg nach Zion
Band 2: Eine Tochter aus Zion
Band 3: Die Rückkehr nach Zion
Band 4: Licht über Zion
Band 5: Das Tor nach Zion
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