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Wenn jemand in jeder Lage Grund zum Singen hat, dann sind es wir Christen! Die meisten Menschen singen nur, wenn es ihnen gut geht. Wer sich davon überzeugen will, braucht nur einmal die Liederbücher der Welt durchzublättern. Er wird bald feststellen, daß weitaus die meisten Lieder aus einer munteren oder fröhlichen Gemütsverfassung heraus entstanden sind. Viele spiegeln romantische Liebesgefühle in unerschöpflichen Variationen wider. Hier und da findet man auch Verse der Sehnsucht oder Trauer; ihre Zeilen enden in Trostlosigkeit oder mit dem Hinweis auf ein Ideal. - Politische Lieder schwärmen von einer besseren Zukunft, besingen den Kampf und strotzen vor Nationalbewußtsein. Recht gut kann ich mich noch entsinnen, wie begeistert wir damals in der HJ (Hitler-Jugend) brüllten:
»Wir werden weitermarschieren, bis alles in Scherben fällt; denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt!«
Die zu jeder Zeit populärsten Lieder sind die Schlager. Doch diese in inhaltlicher wie musikalischer Hinsicht vorwiegend flachen Produkte sind recht kurzlebig. Was heute Hit Nr. 1 ist, ist morgen schon »alte Kamelle« und kaum mehr unter den 20 Lieblingschlagern auf der Beliebtheitsskala zu finden. Hat sich ein Hit vielleicht einmal ein halbes Jahr gehalten, so hat er die Chance, in 30 Jahren als Evergreen noch einmal eine kurze Nachblüte zu erleben.
Ganz anders ist es aber mit dem Lied Gottes. Es gibt kein Liederbuch der Welt, das so alt ist und doch heute noch so viel gelesen wird wie das über 2500 Jahre alte Liederbuch aus dem Alten Testament: die Psalmen. Und viele ältere Choräle und Liedtext-Dichtungen sind nur eine Neufassung dieser alten biblischen Gesänge.
Wenn Sie das vorliegende Buch aufmerksam lesen, werden Sie etwas entdecken, was für mich eine große Bedeutung hat: Die meisten kirchlichen »Evergreens« sind nicht entstanden, als der Dichter »selig auf sonnigen Höh'n wandelte«. Sie sind vielmehr das Lob aus der Tiefe. Besonders der Dreißigjährige Krieg und die Jahre danach sind die fruchtbarste Zeit für das evangelische Kirchenlied gewesen.
Es war für mich eine Freude, die Entstehung der Lieder zu erforschen. Immer wieder fand ich heraus, daß sie ein Ergebnis tiefer Glaubenserfahrung sind - also weder erdacht noch auf eine Bestellung hin produziert, sondern erlebt. In ihnen spürt man den Pulsschlag der Gnade Gottes. Meisterhaft hat das der Verfasser des 89. Psalms in den Versen 1 und 3 zusammengefaßt: »Ich will singen von der Gnade des Herrn ewiglich und seine Wahrheit verkünden mit meinem Mund für und für und sage also: daß eine ewige Gnade wird aufgehn. Und du wirst deine Wahrheit treulich halten im Himmel.« Dieses Lied ist in der Bibel überschrieben: »Trost für das Haus Davids«. Eine dunkle Zukunft, ein zerbrochenes Königreich (V. 40), Schande, Verfolgung, Knechtschaft sind hier die Realitäten des Dichters. Aber er weiß, daß alle Traurigkeiten nur ein Durchgang sind. Er hat eine Hoffnung, die durch Trübsal wohl getrübt, aber nicht ausgelöscht werden kann. - Darum möchte ich nochmals betonen: Wenn jemand in jeder Lage Grund hat zum Singen, dann sind es wir Christen; denn wir haben selbst in der katastrophalsten Situation noch einen Herrn, der einen Ausweg weiß und die Sache meistern kann. - Walter Börner (geb. 1903) beschließt sein Lied »Herr, laß deine Fahnen wehen« mit dem Vers:
»Lob sei dir auch unter Tränen, Lob sei dir, der dennoch liebt! Stille unsres Herzens Sehnen und erfreu, was noch betrübt.
Laß dein Kreuz doch leuchtend stehen mitten in der wirren Welt, siegend laß dein Banner wehen, Christus, Heiland, Herr und Held!«
Über mehrere Jahre hin habe ich Material für dieses Buch gesammelt. Doch ich bin mir bewußt, daß diese Arbeit unvollständig ist. Ich habe aber die Hoffnung, daß jeder Leser dieses Buches ein Mitarbeiter wird, indem er mir weitere Zeugnisse über erlebte Lieder zuschickt.
Der Grund für die Herausgabe eines Buches über die Entstehung bekannter christlicher Lieder ist folgender: Man kann beobachten, daß die Texte in unseren Gottesdiensten, Versammlungen und Jugendstunden heute kaum noch bewußt mitgesungen werden. Das liegt nicht nur an der veralteten Sprache
vieler Choräle oder an den nicht als zeitgemäß empfundenen Melodien. Mir ist noch eine andere Tatsache bewußt geworden: Die Sänger haben oft kein tieferes Verhältnis zu den Liedern, weil sie den Dichter und die Entstehungsgeschichte dieser Lieder nicht kennen. Wir könnten es in bezug auf so manches beliebte, oft gesungene Gemeindelied gebrauchen, daß auf den bekannten Text ein neues Licht fällt, das ihn aufleuchten läßt zu einem neuen Erfassen.
Darum soll dieses Buch Predigern, Jugendgruppenleitern und allen, die kirchliche Veranstaltungen leiten, helfen, bei der Ansage eines Liedes noch etwas über dessen Hintergrund berichten zu können oder darüber, wie andere Christen heute durch dieses Lied gesegnet worden sind. Ich habe es erprobt und erfahren, daß die Gemeinde durch solche kurzen Erklärungen einen viel besseren Kontakt zu einem Lied bekommt. Die Lieder sind dann nicht nur ein Programmpunkt in der Veranstaltung, sondern sie werden zum Zeugnis, ja zur vertonten Botschaft (siehe: Singegottesdienste in Herrnhut).
In dem vorliegenden Buch sind nur Lieder aus den umseitig angeführten Liederbüchern behandelt. Die Reihenfolge der Liedbesprechungen ergibt sich aus den Geburtsjahren der Dichter und Komponisten. - Alle Beiträge werden in erzählender Form angeboten, damit sie gleich vorgelesen oder leichter nacherzählt werden können. Großalmerode, im Frühjahr 1980 Wolfgang Heiner
2. Jahrhundert Gesang in den Arenen Allein Gott in der Höh' sei Ehr EKG 131 RL alt 19/RL neu 1 GL 20 Gml 1 Wa 24
In den ersten Jahrhunderten der Christenheit, als noch die römischen Kaiser die Christen als Staatsfeinde ansahen, war die Antwort der Christen: Gesang. Sie priesen Gott nicht nur in ihren Katakomben und Gottesdiensten, sondern auch in den Kerkern, bei der Kreuzigung und wenn sie wilden Tieren vorgeworfen wurden. Als einer der Kaiser sich bei seinen Leuten nach der Stimmung der Christen erkundigte, bekam er die Antwort: »Majestät, sie singen ihrem Gott!«
Ein Lied aus der damaligen Zeit haben wir heute in einer Nachdichtung in unserem Gesangbuch, und zwar: »Allein Gott in der Höh' sei Ehr«. Es ist die älteste Stimme der apostolischen Kirche des Morgenlandes. Bereits Plinius scheint es gekannt zu haben, wenn er als Statthalter von Bithynien in seinem bekannten Brief an den Kaiser Trajan (98-117 n. Chr.) von den Christen berichtet, daß sie an einem bestimmten Tag vor Sonnenaufgang zusammenkommen und ein Lied auf Christus als auf einen Gott wechselweise singen. Das Lied wurde durch Bischof Hilarius von Poltiers, den Vater der lateinischen Dichtung, um 350 in die abendländische Kirche verpflanzt.
Besonders teuer wurde das Lied dem Geheimrat und Professor der Naturwissenschaft Dr. Gotthilf Heinrich Schubert in Erlangen auf einer Reise durch Südfrankreich. »Zu Marseille, der berühmten Handelsstadt, habe ich an der Küste des Meeres jene Höhlen besucht, in denen die ersten Christen, welche da mitten unter den Heiden wie ein Häuflein Lämmer unter einer Schar von Wölfen lebten, heimlich sich versammelten, um hier ihren Gott zu loben und das Abendmahl ihres Herrn zu feiern. Bei stiller Nacht fuhren sie in kleinen Kähnen durch die Felsenriffe hindurch an diesen abgelegenen Teil der Seeküste oder kletterten von oben durch die Tamariskenbüsche des Bergabhangs herunter, bis sie zu dem Ort der Zusammenkünfte der Brüder gelangten. Wenn dann am Tag des Herrn der Strahl des Morgens über das Meer herfürbrach, da ertönte in diesen armen Christenkirchlein der Wüste, welche durch keine Gaben der
Kunst, wohl aber durch die Gaben des Geistes Gottes geziert waren, das schöne Loblied auf den dreieinigen Gott, das wir noch jetzt - seinem Hauptinhalt nach - in unserem >Allein Gott in der Höh' sei Ehr< singen. Damals kostete es öfters Blut und Leben, wenn man nur einmal mit der Gemeinde ein >Allein Gott in der Höh' sei Ehr< anstimmen wollte.« So Dr. Schubert. - »Gloria in excelsis Deo« - ins Deutsche wurde es durch Nikolaus Decius (um 1485-1529), der wie Luther einst Mönch in einem Kloster gewesen und später Klosterpropst im Kloster Steterburg bei Braunschweig war, übertragen. Wenn dieses Zeugnis der mutigen Märtyrer in den Arenen erklang, wurden nicht wenige Schaulustige dadurch für Jesus Christus gewonnen.
4. Jahrhundert
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