Botschafter des Heils in Christo 1936

02/06/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1936 Seite
Herr Du bist unsere Wohnung gewesen 1
Wächter wie weit ist es in der Nacht? (Gedicht) 7
Äußere Form – Wahrheit im Innern 7
Vom Sinn des Alten Testaments 13
Schaf und Hirte 17
Fragen aus dem Leserkreis 25
Zum Jahreswechsel (Gedicht) 26
Deshalb will ich Sorge tragen 28
Jesus, der Pharisäer Simon und die Sünderin 29
Ein Mensch in Christo 45
Weltliebe 55
Dienst am Wort (Gedicht) 56
Glückselig der Mensch, der sich beständig fürchtet 57
Jesaja 53
Bemerkungen über Kolosser
Niemand erkennt den Sohn als nur der Vater 55
etwas vom Jochtragen 56
Herr Jesus komm 57
Der Kommende wird kommen 65
Des Herrn Mahl 75
In die Welt gesandt 81
Was ich oft gefunden habe 85
Antwort auf anonyme Zuschrift 110
Habt acht auf euch selbst 112
Prüfsteine für die Lehre 115
Gebet (Gedicht) 168
Gottes Wege anders als unsere Wege 169
zuständige örtliche Versammlung besuchen 195
Der Sohn des Menschen 309
Gewichtige Gründe 252
Vom Nahen zu Gott 277
Danklied (Gedicht) 280
Esra 7,10 280
Was von Anfang war 293
Ihr bedürft des Ausharrens (Gedicht) 308
Seid besonnen und nüchtern zum Gebet 318
bis hierher (Gedicht) 332

Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1936 Seite
Herr Du bist unsere Wohnung gewesen 1
Wächter wie weit ist es in der Nacht? (Gedicht) 7
Äußere Form – Wahrheit im Innern 7
Vom Sinn des Alten Testaments 13
Schaf und Hirte 17
Fragen aus dem Leserkreis 25
Zum Jahreswechsel (Gedicht) 26
Deshalb will ich Sorge tragen 28
Jesus, der Pharisäer Simon und die Sünderin 29
Ein Mensch in Christo 45
Weltliebe 55
Dienst am Wort (Gedicht) 56
Glückselig der Mensch, der sich beständig fürchtet 57
Jesaja 53 65
Bemerkungen über Kolosser 50
Niemand erkennt den Sohn als nur der Vater 55
etwas vom Jochtragen 56
Herr Jesus komm 57
Der Kommende wird kommen 65
Des Herrn Mahl 75
In die Welt gesandt 81
Was ich oft gefunden habe 85
Antwort auf anonyme Zuschrift 110
Habt acht auf euch selbst 112
Prüfsteine für die Lehre 115
Gebet (Gedicht) 168
Gottes Wege anders als unsere Wege 169
zuständige örtliche Versammlung besuchen 195
Der Sohn des Menschen 309
Gewichtige Gründe 252
Vom Nahen zu Gott 277
Danklied (Gedicht) 280
Esra 7,10 280
Was von Anfang war 293
Ihr bedürft des Ausharrens (Gedicht) 308
Seid besonnen und nüchtern zum Gebet 318
bis hierher (Gedicht) 332

.................... 56
„Glückselig der Mensch, der sich beständig fürchtet" ... 57
Einige Gedanken über das 53. Kapitel des Propheten
Jesaias .................................................................65. Zs
Bemerkungen über den Brief an die Kolosser 75. 102.
(27. (52. (77. (Z7. 237. 262. 297. 323
„Niemand erkennt den Sohn als nur der Vater" ... 8(
Etwas vom Jochtragen..................................................... 85
Herr Jesus, komm!................................................................ ((0
Der Kommende wird kommen (Gedicht).....................................((2
Des Herrn Mahl.........................................................((3. (Hs
In die Welt gesandt..................................................................... (25
was ich oft gefunden habe.......................................................... (37
Antwort auf eine anonyme Zuschrift.........................................(38
„Habet acht auf euch selbst ..."..............................................(H6
Prüfsteine für die Lehre .... (63. (87. 2(6. 2H6. 270
Gebet (Gedicht)........................................................................... (68
Gottes Wege anders als unsere Wege.................................(69
warum soll ich die für mich zuständige örtliche Versammlung
besuchen? ......................................................................(95
Der Sohn des Menschen . . . . 209. 225. 253. 28(. 30Z
Gewichtige Gründe...................................................... 23 (
vom Nahen zu Gott....................................................... 2H3
Danklied (Gedicht).......................................................252
Esra 7, (0...............................................................277
Gebet (Gedicht)..........................................................280
Berichtigung............................................................ 280
„was von Anfang war"..........................................................2Z3
„Ihr bedürfet des Ansharrens" (Gedicht)............................. 308
„Seid nun besonnen und seid nüchtern zum Gebet!" . . . 3(8
Bis hierher (Gedicht)............................................................... 332
„Herr, Su bist unsere Wohnung gewesen"
(Ein Mort der Nahimng und Ermunterung zum Neuen Dahr)
Im Wechsel der Zeiten, bei der Unbeständigkeit der
Verhältnisse, der Unzuverlässigkeit der Menschen und —
vergessen wir das Naheliegendste nicht — bei der eigenen
Unzulänglichkeit und Fehlerhaftigkeit, ist es ein großer
Trost, Einen zu kennen, der unwandelbar ist und ewig Derselbe
— den Fels, der nicht wankt in Ewigkeit, den Zufluchtsort,
der dem Kind Gottes in Lebensstürmen und
Zeiten äußerer und innerer Not allezeit offensteht, die Heimat,
wo die Seele sich geborgen weiß und fühlt.
In dem ältesten Psalm der Bibel, in welchem die
ganze menschliche Schwachheit und Vergänglichkeit der
göttlichen Majestät in Worten gegenübergestellt wird, die
an eindringlicher Kraft ihresgleichen suchen, betet der
Mann Gottes:
„Herr, Du bist unsere Wohnung gewesen von Geschlecht
zu Geschlecht."
Dieses Wort hat deswegen besondere Bedeutung, weil
es aus dem Munde eines Mannes kommt, der die Veränderlichkeit
der Umstände wie den Wankelmut der Menschen
reichlich auf seinem Wege erfahren hatte, und der ein Volk
führen mußte, das bei seinem unsteten Wanderleben kaum
mehr wußte, was eine Wohnung war. Aber was sie entbehrten,
das war Er, der da „Gott ist von Ewigkeit zu
Ewigkeit". Er war ihre Wohnung, ihre Zuflucht, ihr siche­
res Heim, die traute Stätte völligen Geborgenseins. Vier-

2
zig Jahre wanderte der Mann, dessen eigentliche Arbeit erst
mit seinem achtzigsten Lebensjahr begonnen hatte, „durch
diese ganze große und schreckliche Wüste", wo cs keine bleibende
Stätte für sie alle gab; aber er konnte denen, die er
führte, sagen: „Deine Wohnung ist der Gott der Urzeit",
Er, dem keiner gleicht, denn „keiner ist wie der Gott
JeschurunsH, der auf den Himmeln einherfährt zu deiner
Hilfe, und in Seiner Hoheit auf den Wolken". (5. Mose
33, 26. 27.)
Auch David, der König und Dichter — wie Moscs ein
Mann, dessen Leben reich war an Wechselfällen, der, wie
jener, in Jugend und Alter Zeiten gekannt hatte, in denen
er ruhelos umherirrte — redet gern von der Wohnung oder
der Zufluchtsstätte, die, wie einst für Moses, auch für ihn
sein Gott ist. „Sei mir ein Fels zur Wohnung", so ortet
er im 7t. Psalm, „um stets dahin zu gehen!" und fügt
dann sogleich in vollem Vertrauen hinzu: „Du hast geboten,
mich zu retten, denn Du bist mein Fels und meine
Burg". Und er meint das gleiche, wenn er an anderer
Stelle sagt: „Zu Dir nimmt Zuflucht meine Seele, und
ich will Zuflucht nehmen zu dem Scbattcn Deiner Flügel,
bis vorübergezogcn das Verderben", oder: „Du bist ein
Bergungsort für micb; vor Bedrängnis behütest Du mich;
Du umgibst mich mit Rettungsjubel." (Ps. 57, t; 32, 7.)
Tausende von Jahren sind verflossen, seitdem obige
Worte als Herzenserfahrungcn gläubiger Männer nieder-
geschrieben worden sind. Die Zeiten haben sich geändert,
ch cheschurnn bedeutet deu Kerade oder der iüechtschassene.
Udnnderbar ist die göttliche »töuade, die einen solchen Namen einem
Nolk beilegte, das sich vierzig stechte lang des söötzcndienstes, also
der schlimmsten chünde, schuldig gemacht batte, ivergi. Amos 5,
25- -27 mit Apstgsch. 7, Zs 47>..>
und ebenso in mancher Hinsicht die Menschen. Aber noch
heute dürfen die Gläubigen in ihren veränderten Umständen
ähnliche und gleiche Erfahrungen machen. Gotthat
s i ch nicht geände r t. Wer Ihm vertraut, findet auch
heute noch Zufluchtsstätte, Ruheplatz, Heim und Ber-
gungsort bei Ihm und in Ihm. Auch wir, Leser und
Schreiber dieser Zeilen, werden dies aus vergangenen Tagen
bestätigen können, falls wir Gott in Wahrheit vertraut
haben. Haben wir zu Ihm unsere Zuflucht genommen,
so sind wir nicht enttäuscht worden. Wohl mag Er in
Seinen weisen Erziehungswcgen eS hie und da für notwendig
erachtet haben, unö Leidenswege gehen zu lassen.
Vielleicht haben wir manche Hoffnung zu Grabe tragen
und manche Träne weinen müssen. Sind wir aber in solchen
Übungen den rechten Weg gegangen, d. h. haben wir,
obwohl wir gewahr worden sind, daß Seine Hand eö war,
die uns schlug, unsere Herzen Ihm zugewandt, so sind wir
nicht abgewiesen worden. Unsere Erlebnisse mögen, was
Schutz in Gefahren, Hilfe in Schwierigkeiten und Nöten
angeht, sehr verschieden gewesen sein; haben wir uns aber
in trüben Stunden an Sein Vatcrherz geflüchtet, so haben
wir auch erfahren, daß eine liebende Hand bereit war, unsere
Tränen zu trocknen, und daß es nie an Trostworten
gefehlt hat, die zu unseren zerschlagenen Herzen redeten.
Und wenn wir andere Erfahrungen gemacht haben?
Lag eS dann nicht daran, daß, wenn auch unsere Lippen
von Gottvertrauen redeten, unsere Herzen auf Menschen
gebaut und gehofft haben? Lag es nicht daran, daß wir
von Menschen Besserung unserer Verhältnisse erwarteten,
trotzdem wir Worte kannten und manchmal in GebetS-
stunden oder daheim lasen wie: „Nur Eitelkeit sind die
4
Menschensöhne, Lüge die Männersöhne. Auf der Waagschale
steigen sie empor, sie sind allesamt leichter als ein
Hauch"? (Ps. 62, 9.) Oder gar das so furchtbar ernste
Wort des Jeremias: „So spricht Jehova: Verflucht ist
der Mann, der auf den Menschen vertraut und Fleisch zu
seinem Arme macht"? (Kap. 47, 5.) Stets wird das aus
Psalm 62 angeführte Wort sich bewahrheiten. Haben wir
nun bittere Erfahrungen dieser Art gemacht, sind wir von
Menschen getäuscht worden, und müssen wir unbefriedigt
auf manchen unserer Wege zurückblicken, o so laßt uns lernen
aus dem, was wir erlebten! Was hinter uns liegt,
kommt nicht wieder. Aber vor uns liegt ein neues Jahr
mit neuen Erfahrungen und neuen Proben. Wenn wir doch
nur im Blick darauf aus dem bisherigen Erleben Nutzen
ziehen wollten! Freilich, wir lernen oft so schwer. Wir sind
gar arme Schüler, und das Sprichwort: „Durch Schaden
wird man klug", behält nicht immer recht. Gut, daß Gott
nichts vorwirft. Wenn jemand Weisheit mangelt, so darf
er kühn vor Gott hintreten, wieder und wieder, und „sie
wird ihm gegeben werden". (Jak. l, 5.) Suchen wir denn
im Neuen Jahr besser als bisher das Wort zu beherzigen:
„Vertrauet nicht auf Fürsten, auf einen Menschensohn,
bei welchem keine Rettung ist!" (Ps. 446, Z.) Groß ist
die Verheißung für den, der still auf Gott vertraut. „Gesegnet
ist der Mann", sagt Jeremias, „der auf Jehova
vertraut, und dessen Vertrauen Jehova ist! Und er wird
sein wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und am
Bache seine Wurzeln ausstreckt und sich nicht fürchtet, wenn
die Hitze kommt; und sein Laub ist grün, und im Jahre der
Dürre ist er unbekümmert, und er hört nicht auf, Frucht
zu tragen." (Jer. 47, 7. 8.)
5
„Glückselig der", frohlockt der Psalmist, „dessen
Hilfe der Gott Jakobs, dessen Hoffnung auf Jehova, seinen
Gott, ist! ... der Recht schafft den Bedrückten ..."
(Ps. 146, 5—9.) Und dabei sind das lauter Verheißungen
für die alttestamentlichen Gläubigen, und wir wissen und
bezeugen doch, daß die unsrigen größer und höher sind.
Denn könnte es Höheres geben als das Versprechen: „Der
Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure
Herzen und euren Sinn bewahren in Christo Jesu"? Diese
Segnung schließt alles andere in sich. Wer diesen Frieden
genießt, der fürchtet sich nicht nur nicht, wenn die Hitze
kommt, der bleibt nicht nur unbekümmert, wenn alles
ringsum dürr und leer ist, der fühlt sich nicht nur nicht allein
und verlassen, mag auch alles von ihm weichen; nein,
der jubelt in Dem, der das Herz unbeschreiblich glücklich
zumachen und zu erhalten weiß.
Das Gebet Moses', des Mannes Gottes, schließt mit
den Worten: „Und befestige über uns das Werk unserer
Hände; ja, das Werk unserer Hände, befestige es!" Von
dem Werk „unserer Hände" ist sonst in diesem Psalm nicht
die Rede. Gott, der Ewige und Allmächtige, der Schöpfer
und Erhalter, steht da sowohl in Seiner Majestät und
Stärke als auch in Seiner Güte und Huld; Ihm gegenüber
der Mensch in seiner ganzen Armseligkeit, Vergänglichkeit
und Sündhaftigkeit. Dennoch aber vermag unter
Seiner Gnade auch der Mensch etwas. Mit Gottes Hilfe
kann und soll er auf Erden ein gesegnetes Werk tun. Im
Blick hierauf ist es schön, den ersten und letzten Vers dieses
köstlichen Psalms miteinander zu verbinden. Wir dürfen
wohl sagen: Ist Gott unsere Wohnung, so können
wir auch ausgehen, um Ihm zu dienen und Sein Werk
b
zu tu«. Und noch ist's Tag. Aber es kommt die Nacht, da
niemand wirken kann. Die dunklen Wolken, die schon seit
langem über der Welt stehen und sich immer mehr zusammenzuziehen
scheinen, mögen wohl Vorboten sein von den
Gerichten, die Gottes Wort ankündigt, und von der hereinbrechenden
Nacht. Die Zeit ist gedrängt. Sie auszukaufen,
ist nötiger denn je. Noch ist Gelegenheit, Sünder auf die
Gefahr aufmerksam zu machen, in der sie sich befinden,
und ihnen das Heil in Christo anzubieten. Noch ist Zeit,
von der in Christo geoffenbarten Liebe Gottes durch Wort
und Wandel zu zeugen. Noch können wir auch unserem
Herrn an den Seinigen dienen. Aber wer weiß, wie lange
noch? Vielleicht erfüllt sich in diesem Jahr unsere Hoffnung.
Vielleicht kommt Er, der Kommende, und verzieht
nicht länger. Bis dahin gilt die Aufforderung: „Handelt,
bis ich komme!"
Schwierigkeiten mögen sich einstellen auf dem Pfade
der Nachfolge und des Dienstes, aber Er, dem wir dienen,
bleibt unsere sichere Zuflucht. So laßt uns denn „mitAuö-
harren laufen den vor uns liegenden Wettlauf, hinschauend
auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens,
welcher, der Schande nicht achtend, für die vor Ihm liegende
Freude das Kreuz erduldete und sich gesetzt hat zur Rechten
des Thrones Gottes!" (Hebr. 12, 1. 2.)
M laß uns wachen spät und früh.
Laß unsre Lampen brennen!
Dein heil'ges Gl uns mangle nie.
Laß nichts von Dir uns trennen,
Damit, wenn dann der Auf erschallt:
„Der Nräutaam kommt!" cs widerhallt:
„Ja, komme bald, lferr Jesus!"
7
„Wächter, wie weit Ist's in der Nacht?"
Oes. 2s, sl.)
Ls geht in unsern Tagen ein Rauschen durch die Meli,
Als stürmten heft'ge Minde durchs dürre Ahrenfeld.
Ls rauscht, als sei gekommen der Lrde Erntezeit;
Ls rauscht, als wollt' es sagen: Macht, Schnitter, euch bereit!
Ls rauscht, als schäume zornig ringsum das völkermecr,
Ls rauscht, als zögen Wetter mit Sturmgebraus einher.
Ls rauscht so ernst und düster und zeigt vernehmlich an,
Daß die Gerichte Gottes mit Blitzeseile nahn.
Doch gehet auch ein Rauschen - die Welt vernimmt es nicht -
Lin Wehn des bseil'gen Geistes, das zu dem Gläub'gen spricht.
Ls mahnt: Wach auf vom Schlafe, begegne deinem Zerrn,
Die Nacht, weit vorgcrücket, zeigt an den Morgenstern!
Wie steht's mit deiner Lampe, gibt sic auch Hellen Schein?
Und nimmst du deine Stellung als jünger Jesu ein?
Geliebte! laßt uns wachen und Ihm entgegen gehn;
Es ist die letzte Stunde, in der wir wartend stehn.
Bald ist der Rampf beendet, dnrchlaufen bald die Bahn,
Dann will der Zerr belohnen, was wir für Ihn getan.
Außere Zorm — Wahrheit im Innern
Als David das Wort: „Du hast Lust au der Wahrheit
im Innern" vor Gott aussprach, hatte er es aufgegeben,
die äußere Form zu wahren. Blutschuld lag auf ihm. Er
hatte Uria, einen seiner Helden, auf dem Gewissen. Diesen
trefflichen Mann hatte er seiner eigeneil Lust zum Opfer
gebracht. Durch daö Licht Gottes in seinem Gewissen überführt,
erkennt er dann, was er getan hat. Ja, er erkennt
noch mehr: Er sieht, was er ist vor Gott. Und jetzt
8
findet er Worte, die dartun, daß er sich vor Gott ganz ausgezogen hat. 
Kein Wort der Beschönigung, kein Mantel zum Bedecken wird benutzt. 
Alles sieht er bloß und aufgedeckt
vor dem Auge Dessen, mit Dem er es zu tun hat.
(Lies Ps. 51, 1—5.)
Bis dahin hatte David sich bemüht, seine Sünde zu
verbergen. Aber die Treue und Ergebenheit Urias, des betrogenen
Mannes, hatte seine Bemühungen vereitelt. Was
muß David empfunden haben, als er die Worte der Treue
aus dem Munde seines Opfers vernahm? (Lies 2. Sam.
11, 11—13.) Aber die Form mußte gewahrt werden.
In Treue widerstand Uria den ihm von David gebotenen
Lockungen. Nun mußte auf eine andere Weise versucht
werden, nach außen hin das Gesicht zu wahren. Es gelang,
aber auf blutigem Wege: Uria wurde unauffällig getötet.
Konnte es mit David noch weiter kommen? Ein Mehr an
Schuld konnte wohl nicht erreicht werde::. Dieses Maß
war voll. Aber das Gewissen Davids konnte noch weiter abstumpfen
bei seinem Bemühen, unter allen Umständen die
Form zu wahren. Und dahin wäre es wohl gekommen, wenn
Gott dem nicht vorgebeugt hätte. „Du bist der Mann",
tönt es ihm entgegen, als er selbst eben sein Urteil über
einen Frevel ausgesprochen hatte, der dem (einigen ähnlich
war. (Lies 2. Sam. 12, 7.) Nun ist es mit seinem
Schweigen vorbei. Das Wort aus Nathans, des Propheten,
Mund dringt mit Gewalt in sein Herz, erschüttert ihn.
Seine Lippen öffnen sich: „Ich habe gegen Jehova gesündigt".
(2. Sam. 12,13.) Hatte er nicht gegen Menschen
gesündigt? Gewiß. Auf das schändlichste hatte er gegen
Menschen gefrevelt. Aber zunächst hatte er es mit Gott zu
tun. „Gegen Dich, gegen Dich allein habe ich gesündigt",
y
lautet sein Bekenntnis. Es kam aus einem im göttlichen
Licht vor Gott offenbar gewordenen Herzen.--------
So wirkt das göttliche Licht zu aller Zeit. Der heimkehrende
Sohn bekennt: „Vater, ich habe gesündigt ge-
gendenHimmel und vor dir". Menschen sind geneigt,
den an Menschen verübten Frevel als das Erste und
das Wichtigste anzusehen, Sie vergessen dabei, daß jeder
Frevel, jede Sünde zunächst gegen Gott gerichtet ist. Das
hat Joseph verstanden. Als seine Brüder nach dem Tode
ihres Vaters seine Rache fürchteten, da belehrte er sie mit
den Worten: „Bin ich an Gottes Statt?" darüber, daß
sie es mit Gottzu tun hatten, und daß ihr Frevel gegen
ihn in erster Linie Sünde gegen Gott war. Fast noch
beachtenswerter ist, daß sich schon bei dem jungen Joseph
das in dieser Hinsicht richtige Urteil fand, als das Weib
Potiphars ihn zu verführen trachtete. „Warum sollte ich
dieses große Übel tun und wider Gott sündigen?"
lautete schon damals seine Entgegnung.
Hier liegt die Entscheidung für jedes Menschen Weg.
Der im Gewissen überführte Sünder muß sich entscheiden,
ob er im Schweigen und Dunkel verharren will m i t seiner
Schuld, oder ob er sie bekennend Gott kundtun will,
mag dabei auch die äußere Form Schaden leiden. Ist ihm
um Vergebung und Ruhe zu tun, so folgt er dem Ruf:
„Kommet her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen,
und ich werde euch Ruhe geben". Dieses Geben
folgt ohne Bedingung dem Kommen zu Ihm. Diese große,
für jeden ruhebedürftigen Menschen überaus wichtige
und kostbare Tatsache erlebte auch der gläubige
David. Er sagt darüber: „Ich tat Dir kund meine Sünde,
und Du, Du hast vergeben". (Ps. 32, 5). Sünden erfor-
10
dem Vergebung von feiten Gottes, ob sie nun von dem in
Finsternis und Blindheit dahinlebenden Gottlosen verübt
worden sind, oder ob der Gottes Licht kennende Gläubige
in Sünde gefallen ist. Der Gottlose kennt keine Ruhe,
und der verunreinigte Gläubige findet die Ruhe nicht
wieder, bis er daö verzehrende Schweigen bricht und
seine Sünde Gott kundtut wie David.
Ein gesegneter Knecht des Herrn sagte einmal: „Welche
Gnade, welch ein Vorrecht ist es, daß wir Schuld bekenne,:
können!" Er hatte offenbar in seinen: langen Leben
von diesem Vorrecht Gebrauch gemacht. Es lag ihn:
daran, die göttlich große Gnade Gottes zu rühmen, die
einen Weg gegeben hat, auf dem auch der tief gefallene
Gläubige wieder Ruhe findet. Dieser Weg ist der Weg
des Bekenntnisses. „Wenn wir unsere Sünden bekennen,
so ist Er treu und gerecht, daß Er uns die Sünden vergibt."
Die bis dahin gewahrte Form bricht dabei allerdings
in Stücke. Aber wie köstlich ist die bedingungslose Vergebung,
die, entsprechend Davids Erfahrung in Psalm 32,
auch hier dem Bekenntnis der Sünde unmittelbar folgt.
Ja, „Er ist reich an Vergebung". (Jes. 55, 7.) Es ist ein
Vorrecht, bekennen zu dürfen.
Bemerkenswert ist die Ausdrucksweise der Schrift,
daß Gott treu und gerecht ist, um zu vergeben.
Daß die Vergebung der Sünden in jedem Falle eine Gnadenhandlung
ist, bedarf keiner Frage. Dem Gläubigen
aber wird versichert: Gott ist treu und gere ch t, daß Er
vergibt. Deutlich wird Gottes Treue und Gere ch tig -
keit als Grundlage Seines Vergebens bezeichnet; die
Gnade dagegen wird hier nicht genannt. Was ist der
Grund dieser Betonung der Treue und Gerechtigkeit Got
— ii —
tes? Ich denke dies: Das Bemühen Satans geht dahin,
den Abgetreten und Verzagten, der keinen Grund mehr
unter den Füßen fühlt, völlig aus der Fassung zu bringen.
Er quält den Gefallenen mit Worten wie: „Nachdem
du den Boden der Gnade, auf dem du standest, in Ungerechtigkeit
verlassen hast, gibt es von da aus Hilfe mehr
mehr". Demgegenüber bezeugt Gott, daß Er treu und
gere ch t ist, um zu vergeben; treu, weil Er unter allen
Umständen zu Seinem einmal gegebenen Wort steht, und
gcre ch t, weil „der Christus einmal für Sünden gelitten
hat". An dieser großen und in ihren Wirkungen ewig
festen Tatsache wird durcb des Menschen Untreue nichts
geändert. Und Gottes G ercchtigkcit vergibt tim eben
dieser Tatsache willen. Wirklicher, gegründeter Friede kann
dem Verzagten nur in der Erkenntnis wieder zuteil werden,
daß die Vergebung Gottes in jede m Falle, aucb in dem
verzweifeltsten, auf gerc cd t c r Grundlage erfolgt. Ist
es nicht ein Zeugnis des Erbarmens Gottes mit dem gebeugten,
aus der Irre zurückkehrendcn Kinde, wenn Er
ihm versichert, daß Seine Treue und Seine Gerechtigkeit
Ihn bestimmen, zu vergeben?
Welch ein Gott ist unser Gott! Reich an Vergebung
(Jes. 55, 7), reich an Barmherzigkeit (Eph. 2, 4), reich
für alle, die Ihn anrufcn. (Rom. 40, 12.)
Dieser Reichtum genügt für jedes Bedürfnis, genügt
für jeden Schaden. Wie Er reich ist für den Verlorenen,
der Ihn anruft um Vergebung, Ruhe und Frieden,
so ist Er reich für das abgeirrte Kind, das Ihm seine
Sünden bekennt. Er ist „reich für alle, die Ihn anrufen".
O daß des Rufens mehr wäre! Daß dcö wirklichen
Bekennens im Kämmerlein mehr wäre, bei dem nicbt von
12
Schwachheit geredet wird, wo es sich umSünde handelt!
Daß auch in unseren Gebeten in der Versammlung der
Geist der Demut uns Worte finden lasse, die von wahrem
Gefühl für die wirkliche Lage der Dinge unter uns zeugen,
— womit dann freilich auch die Bereitwilligkeit zum Bekenntnis
voreinander verbunden sein muß, wenn die Sachlage
es nötig macht! Wann dies letztere der Fall ist, wird
der Geist der Demut, der zum wahren Bekenntnis vor
Gott anleitet, uns schon zeigen. Möge dieser Geist mehr
Raum in und unter uns haben! Seine Wirksamkeit bringt
uns auf einen Boden, von dem Ströme des Segens und
der Gnade ausgehen. Es ist der Boden, auf dem der Herr
uns stets sehen möchte, und auf dem Er uns unter allen
Umständen nahe ist, denn Er sagt: „Ich wohne in der Höhe
und im Heiligtum und bei dem, der zerschlagenen und gebeugten
Geistes ist". (Jes. S7,15.)
Freilich, die äußere, dem Menschen so ansprechend erscheinende
Form kommt dabei zu kurz. Aber bedeutet das
Verlust? Der in Eigenwillen oder in stolzem Schweigen
Dahingehende — wobei er sich vielleicht innerlich vor Unruhe
verzehrt wie einst David (Ps. 32, 3) — ist ebenso
das Zerrbild eines Erlösten des Herrn wie jener, der nach
außen eine Wärme zeigt, die dem Innern nicht entspricht.
Von beiden wird die Form nach außen gewahrt, aber auf
Kosten der Wahrheit im Innern. Das Wort: „Gott aber
sind wir offenbar geworden" (2. Kor. 5, 11), findet auf
beide Fälle keine Anwendung, und ein Auge, das zu beobachten
geübt ist, empfindet auf die Dauer auch den
Zwiespalt zwischen innen und außen. Wohltuend wirkt da­
gegen ein Christ, bei dem die Umgebung fühlt, daß er die
Gegenwart des Herrn verwirklicht. Er bezeugt vielleicht
13
weniger durch Worte, als durch Tun und Haltung, daß
er vor Gott offenbar ist. Und wenn wir Tun und Haltung
etwas näher besehen, dann merken wir: Sie sind das Ergebnis
der Gott wohlgefälligen Furcht, betreffs derer eö
heißt: „Glückselig der Mensch, der sich beständig fürchtet".
Diese Furcht treibt ins Gebet und nötigt auf den Boden
wahrer Abhängigkeit, die da rufen läßt: „Bewahre
mich, Gott, denn ich traue auf Dich!" (Ps. 1b, 1.) Auf diesem
Boden ist kein Raum für äußere Form, denn diese hat
es mit M e n s ch e n zu tun; wohl aber ist innige Gemeinschaft
mit dem Herrn des Gläubigen Teil, der im Bewußtsein
völliger Abhängigkeit sich nichts. Ihm aber
alles zutraut. Das Lernen des letzteren ist freilich nicht
leicht, denn die Form geht dabei zu Bruch. Doch das ist
kein Schaden. Gott hat Lust an der Wahrheit im Innern,
aber nicht an der Form.
Vom Sinn des Allen Testaments *!
*) Aus Hans Hofer „Die biblische Weltanschauung und die
völkische Bewegung". Verlag „Die Aue", W.-Elberfeld. Preis
60 Pfennig.
Heute wird das Alte Testament von manchen Kreisen
scharf angegriffen, ja, von nicht wenigen verworfen. Aber
gerade im Alten Testament beginnt und verläuft zu einem
großen Teil die Gottesgeschichte. Es geht deshalb
auch nicht an, das Alte und das Neue Testament gegeneinander
auszuspielen. Gewiß steht das Neue Testament
höher, denn die Heilsgeschichte schreitet ja vom Alten zum
Neuen Testament fort. Aber ohne Altes Testament ist das
Neue Testament ein unverständliches Bruchstück. Darum
kann man das Neue Testament und Christus nicht haben
14
und behalten, verstehen und auslegen ohne das Alte. Man
kann auch nicht Christus gegen daö Alte Testament aus-
spielcn, denn Christus ist ja der Vollender der alttestament-
lichen Heilsgeschichte. (Vergl. Matth. 5, 17; 26, 54; Luk.
24, 25—27; Joh. 19, 28.) Ohne Altes Testament wäre
Jesus eine geschichtlich grundlose Erscheinung...
Die Bibel ist — bei allen Unterschieden der geschichtlichen
Entwicklung und Stufen in ihr — eine Einheit, ein
Organismus. So wenig man in ihr Jesus gegen Paulus
ausspielen kann, so wenig Jesus oder das Neue Testament
gegen das Alte Testament. Alles gehört zusammen, darum
können wir das Alte Testament nicht entbehren, noch weniger
es verwerfen...
Waö ist aber der Sinn des Alten Testaments? Eben
jene Gottes- und Heilsgescbichte. Der Sinn deö Alten Testaments
ist nicbt, eine Geschichte oder gar eine Verherrlichung
des israelitischen Volkes zu geben. Allerdings erfahren
wir aus dieser Volksgeschichtc viel, aber doch nicht
alles; denn was wir erfahren, dient immer dazu, Gottes
Handeln und Gottes Weg und Ehre zu zeigen, nicht der
Menschen Ehre. Es ist deshalb schief, die alttestamentlichen
Geschichten als „jüdiscbc", nationalistische Geschichten zu
bezeichnen, uni daraus den Schlup zu ziehen, daß sie uns
nichts angingcn. Als „Deutsche" gehen sie uns freilich
nichts an. Aber als „Christen", als Menschen, die auf
Gottes Gnade angewiesen sind, gehen sie uns viel an. Denn
was das Alte Testament uns von den biblischen Menschen
erzählt, von Abraham, Isaak, Jakob, Moses, Samuel, David,
Elia usw. soll durchaus nicht israelitische Heldenge-
schichtc sein, sondern cs wird als Gottesgcschichte berichtet.
ES soll gezeigt werden, wie der heilige und doch barmher
zige Gott mit den unbeständigen, sündigen Menschen in
Gericht und Gnade verfährt, und wie Gott mit und trotz
den sündigen Menschen als Werkzeugen Seine Heilsgeschichte
durchführt. Darum ist auch im Alten und Neuen
Testament die Geschichte Israels mit den Sünden Israels
so schonungslos wahr erzählt, wie keine andere Volköge-
schichte es tut; denn in der Bibel soll nicht der Mensch,
sondern Gott verherrlicht werden. Wenn Israel daö „auS-
erwählte Volk" heißt, so soll daher auch dieser Ausdruck
nicht den Sinn haben, daß Israel ein besonders treffliches,
frommes Volk sei, sondern daß Gott dieses Volk, obschon
eS besonders halsstarrig und gottfeindlich ist (vergl. Apst.-
gesch. 7, 5l ff.), ausgewählt, d. h. dazu bestimmt hat,
daß Er an ihm und mit ihm, ja gegen es die Erlösungsgeschichte
durchführe. —
Daß Er das seit langem so unbeliebte israelitische
Volk dazu erkor, liegt in der göttlichen Souveränität, die
keinem Menschen Verantwortung schuldig ist... Die Wahl
Israels gehört auch zur „Torheit" des Kreuzes (k. Kor.
7, 78), d. h. zu den verwunderlichen Schwachheitszügen
(V. 25) der zum Kreuz Christi nicderstcigenden Heilsge-
schichtc, Züge, die menschliche Kritik herausfordern. Aber
gerade daran sieht man, daß in dieser Geschichte Gott am
Werke ist; denn eine von Gott geleitete Geschichte muß ja
wohl Geheimnisse in sich bergen, vor denen der Mensch erstaunt.
Und weil der Mensch gern alles nach seinem Maße
messen und nach seinen Ideen formen und beschreiben will,
rufen solche Geheimnisse, die sich dem Menschen nicht beugen
und sich nicht glatt von ihm formen lassen, nicht nur
das Erstaunen, sondern aucb den Widerwillen des Menschen
hervor. So stoßen sich dann an der von der Bibel
16
berichteten Gottes- und Heilsgeschichte von Natur alle
Menschen und Völker und Zeiten.... Überaus beachtenswert
ist, daß Israel der biblischen Offenbarung allezeit widerstrebte
(siehe z. B. Apstgesch. 7, 43. 51 ff.) und sich immer
wieder eigene Götter und eine eigene Religion machen
wollte, eben eine echt israelitische, semitische, rassische, völkische
Religion, daß es die biblische Offenbarung als
Fremdreligion empfunden hat, daß es schließlich den Christus
verwarf und kreuzigte und damit seine Feindschaft
gegen die biblische Gottesgeschichte auf die Spitze trieb!
Man sieht: Vor Gottes Taten und Wegen müssen sich alle
Menschen, Völker und Rassen ehrfürchtig und schweigend
beugen und anerkennen, daß — schließlich natürlicher-
und begreiflicherweise — Seine Gedanken höher sind als
menschliche Gedanken (Jes. 55, 8 ff.), und daß Seine
Wege für uns rätselhaft sind. Das bekannte Bibelwort:
„Wie unausforschlich sind Seine Gerichte und unausspürbar
Seine Wege!" (Röm. 11, 33), ist ja gerade in Bezug
auf die biblische Gottesgeschichte und in ihr wieder in Bezug
auf Gottes Gericht über daö verstockte Israel gesagt.
Denn wie wunderlich, nach menschlichem Ermessen verkehrt
und ungeschickt, erscheint es doch von Gott gehandelt, daß
Er gerade jenes Volk (Israel), um das Er sich besonders
bemüht hatte, an dem Er die Heilsgeschichte begonnen und
bis zu Christus durchgeführt hat, in den Unglauben, in die
Verstockung, unter Seinen Fluch kommen läßt! Welcher
Mensch würde so handeln? Und doch ist diese Geschichte
Gottes Meisterwerk! Er weiß auch schließlich über die Verstockung
Israels Herr zu werden und auch dieses Volk
zum Glauben an Christum und das Evangelium zu führen.
(Röm. 11, 29—36.)
17
... An Israels Geschick wird erschreckend klar, daß
Gott keine Sünde schont, sondern daß Er lieber das „auserwählte
Volk" aufs schwerste straft, wenn es gegen Gott
sündigt, als daß Er Sein sittliches Gesetz preisgäbe. So ist
in dem allen gerade das Volk Israel in seiner eigenartigen
Geschichte und seiner Anstößigkeit ein Beweis dafür, daß
es sich in der Geschichte, von der die Bibel berichtet, nicht
um menschliche Erfindung und Gedanken handelt, sondern
um eine objektive, nicht von Menschen, sondern von Gott
erzeugte und geführte Geschichte, und zwar eine heilige
Geschichte.
Schaf und Hirte
Einige Gedanken über den 23. Psalm.
Wo immer ich auch in meinem langen Leben über den
23. Psalm habe sprechen hören, entsinne ich mich doch keiner
Gelegenheit, bei der es bei einer einfachen Aufzählung
der in ihm enthaltenen Wahrheiten geblieben wäre. Selbst
habe ich immer neue Wahrheiten in diesem unvergleichlichen
Lied vom Guten Hirten und Seinem Schaf entdecken
und auch anderen mitteilen dürfen.
Diese Tatsache hat nichts Erstaunliches, wenn man
bedenkt, daß der kurze Psalm in seinen sechs Versen nicht
weniger umfaßt als die ganze Zeitspanne, die für den
Gläubigen zwischen seiner Bekehrung liegt, das heißt zwischen
der Erkenntnis des Werkes Christi am Kreuze, wie
Ps. 22 es uns vor Augen stellt, und seinem Eingehen in
die Herrlichkeit, die der 24. Psalm schildert. Wir haben in
ihm den ganzen Lauf eines Erlösten, in all seinen Teilstrek-
ken bis zu seiner Vollendung.
18
Aber — und das ist so überaus kostbar — dieser
Psalm macht uns außer mit unseren Wegen durch
alle Schwierigkeiten auch mit dem Wege Christi
bekannt. Das Schaf weiß, daß der Hirte im voraus
von seinem Wege Kenntnis genommen hat, Er, der vorher
weiß, aus welche Auen dieser Weg führt, und was für Gefahren
cS zu meiden gilt, um zu diesen Auen zu gelangen.
Was die Gefahren anlangt, so versteht es sich von selbst,
daß der Hirte sie für sich selbst stets meidet; denn wie
könnte Er sonst Seine Schafe so leiten, daß sie nicht in diese
Gefahren hineingeraten? Sein Auge hat genügt, um die
Gefahren zu erfassen und zu meiden. Er hatte nicht nötig,
selbst durch die Gefahren einer Weide hindurchzugehen,
um Seine Herde davor bewahren zu können. Nie bedurfte
Er Stecken und Stab für den eigenen Weg. Er benutzt sic
ausschließlich, um Seine Schafe auf dem rechten Wege
zu erhalten, wenn sie in Gefahr sind, sich zu verlieren.
Ist Gefahr im Anzug für das Schaf, so ist der Hirte
bemüht, es von neuem an Sich zu ziehen. Doch sei dies
nur beiläufig bemerkt, denn von Verirrungen des Schafes
ist eigentlich in diesem Psalm keine Rede. Vielmehr haben
wir hier das Muster eines Schafes, so wie der Hirte cs
liebt und haben möchte, eines Schafes, das bereits seinen
Ausgangspunkt am Kreuze genommen und daher nicht
mehr nötig hat, über diesen Punkt belehrt zu werden. Seine
Sprache lautet: „Jehova ist mein Hirte, mir
w irdniehts mangel n". Sollte es aber einmal diese
Unterweisung vergessen haben — denn es gibt nichts Unverständigeres
als ein Schaf —, so erinnert es sich der
Unterweisung: „Dein Stecken und dein Stab,
sic trö st en mi ch". Wie gesagt, bedarf der Hirte seine
— —
Geräte keineswegs für sich selbst; aber da Er nun einmal
die Verantwortung dafür übernommen hat, Seine Schafe
ans Ziel zu bringen, so sind die Waffen in Seiner Hand
notwendig, damit dieses Ziel erreicht wird. Außerdem ist
eö für das Schaf ein Trost, den Hirten im Besitz von
Stecken und Stab zu wissen, denn Er benutzt weder den
Stecken zum Schlage», »och den Stab, um Seine Schafe
damit zu verwunde». Aus diesem Gruude sagt das Schaf:
„Dein Stecken und dein Stab, sie tröste n mich^. Der
Stecken besteht aus einem langen Stiel mit einer Eisenschippe,
die so geformt ist, daß damit Erdklumpen nach
den Schafen geworfen werden können; der Schäfer tut
das, wenn ein Schaf Miene macht, seine eigenen Wege zu
gehen, damit es auf diese Weise zur Herde zurückgebracht
wird. Er warnt also das Schaf dadurch, und das Tier läßt
es sich gefallen. Von dem Stabe hörte ich, daß der Hirte
mit ihm das zurückgebrachte Schaf an sich drücke und ihm
somit gleichsam das Gefühl gebe, daß eö geliebt und überwacht
wird, und daß sein Hüter seine Freude daran hat,
es nahe bei sich zu halten.
Der Leser möge mir erlauben, daß ich angesichts der
Reichtümer, die der Psalm enthält, ihn an die Hand nehme
rind so von einem Vers zum anderen führe, zu keinem anderen
Zweck, als ihn an der Freude teilnehmen zu lassen,
die die Verse mir selbst gebracht haben. Er möge mir ferner
gestatte», ihn zugleich aus die verschiedenen Charakterzüge
hinzuweise», welche nach diesem Psalm die Welt
für den Gläubigen hat.
Dieser Charakterzüge sind vier. Die Welt ist für de»
Christen, ich meine natürlich den wahren Christen, zunächst
eine W ü st c, dann der Ort, w o d i c S ü n d e h e r r s ch t,
20
drittens das Land der Trauer und schließlich das
Gebiet seiner erbitterten Feinde.
Bevor ich jedoch etwas näher auf diese vier Charakterzüge
eingehe, möchte ich noch bemerken, daß die Welt sich
den unbekehrten Menschen — auch diejenigen eingeschlossen,
die durchaus das christliche Kleid tragen — in einer
ganz anderen, sicherlich unendlich mannigfaltigeren Weise
vorstellt. Trotzdem läßt, wie Gottes Wort uns mittcilt,
diese unendliche Mannigfaltigkeit sich kurz zusammenfas-
sen in den einen Satz: „Alles, was in der Welt
ist,dieLustdesFleischeSunddieLustderAu-
genund der Hochmut des Lebens, ist nicht von
dem Vater, sondern ist von der Welt". Dieser Satz ent­
hält die volle Wahrheit. Freilich, nur Gott allein ist imstande,
alle die so unendlich verschiedenen Dinge, die in der
Welt sind, in solch wenige Worte zusammenzufassen. Und
was ist das Ende von ihnen allen? Sie vergehen, und
nichts als das Gericht bleibt für sie übrig.
Noch eins, bevor wir uns den vier erwähnten Charakterzügen
der Welt zuwenden:
In diesem kurzen Psalm finden wir die innigste
Übereinstimmung zwischen Schaf und Hirte. Die Schrift
erwähnt hier nichts von der Art und Weise, wie die Schafe
dazu verführt werden, einen falschen Schritt zu tun, etwas,
was sie sonst so oft im Blick auf die Geschichte der Schafe
des Herrn tun muß; sie erwähnt auch nicht, was die traurigen
Folgen sind, wenn die Schafe ihrem eigenen Sinn
gefolgt sind. Der 2Z. Psalm zeigt uns nur, wie Hirte
und Schaf den gleichen, und zwar den durch den Hirten in
Seiner liebevollen Sorge für das Schaf gewählten Pfad
gehen. Letzteres kennt und schätzt den Hirten nach Seinem
21
wahren Wert, indem es Ihn „mein Hirte" nennt. Es fühlt
und weiß, daß es für Ihn alles ist, wie es anderseits
zum Ausdruck bringt, daß Er ihm alles ist, denn eö sagt:
„Mir wird nichts mangeln". Und hier möchte ich fragen:
Werden wir jemals hienieden in dem Zustand sein,
daß der Hirte alles für Sein Schaf ist, daß Er alleS
ist für uns? Daß wir Ihm alles sind, hat Er bewiesen,
denn Er konnte sagen: „Ich bin der gute Hirte; der gute
Hirte läßt Sein Leben für die Schafe". Daß Er außer Seinem
Hirtenamt noch viele andere Tätigkeiten für die Deinigen
auöübt, sagt uns die Schrift ebenfalls. „Auf Seinem
Haupte sind viele Diademe." Er ist König, Sachwalter,
Hohepriester in einer Person. In göttlicher und vollkommener
Weise widmet Er sich diesen verschiedenen Tätigkeiten
ebensowohl wie der des Hirten. Alles dies ist uns
bekannt. Aber, möchte ich wiederum fragen, gibt eö für
uns, die wir uns Seine Schafe nennen, einen Gegenstand,
einzig in seiner Art, notwendig und unentbehrlich,
der alle anderen übertrifft und beherrscht? Was ist Er
uns als unser Hirte?
Die Wüste
„Er lagert mich auf grünen Auen, Er führt mich zu
stillen Wassern."
Auf zweierlei Weise kann der Gläubige die Wüste betrachten.
Die erste Art lernt er im 63. Psalm kennen, wo
wir David in der „Wüste Juda" finden. Hier ist die Wüste
ein trostloser Ort, ohne Wasser und ohne Nahrung. „Es
dürstet nach Dir meine Seele", ruft David; „nach Dir
schmachtet mein Fleisch in einem dürren und lechzenden
Lande ohne Wasser." (V. 1.) Dieser Anblick, diese Dürre,
diese Trostlosigkeit, die der königliche Prophet kennengelernt
hat, wie nur ein Gläubiger sic kennenlernen kann,
legt ihm die Frage in den Mund: Wenn ich vor Hunger
und Durst sterbe, wird Gott mir dann nicht Seine
Macht und Seine Herrlichkeit zeigen, so wie ich
sie in der Vergangenheit gekannt habe? Die Antwort läßt
nicht auf sich warten. Du hast diese Dinge gesehen, antwortet
Jehova ihm gleichsam. Nunmehr sind sie dir entzogen.
Du wirst sie aber Wiedersehen am Tage meiner
Herrlichkeit und Macht. Inzwischen gebe ich dir Besseres.
Ich gebe dir meine Güte (ein Ausdruck, der im allgemeinen
im Alten Testament gebraucht wird, um das zu bezeichnen,
was das Neue Testament Liebe nennt). Die
Liebe übersteigt vieltausendmal alles, was du hienieden
erwarten zu dürfen glaubtest! Hat nicht Moses dieselbe
Erfahrung gemacht, als er Mich bat: „Laß mich doch Deine
Herrlichkeit sehen!" und als Ich ihm antwortete: „Ich
werde alle meine G ü t c vor deinem Angesicht vorübergehen
lassen"? (2. Mose ZZ, Z8. 1y.)
Die zweite Art, die Wüste zu betrachten, besteht im
Anschaucn der Fürsorge des guten Hirten für
Leine S ch afe. Diese Fürsorge erweist sich, ohne daß
Einzelheiten erwähnt werden, im Blick auf alle Enttäuschungei:,
die diese Öde bieten kann, alle Leiden, alle Leere,
allen Durst, jeden Mangel an Nahrung, sowie alle Schrek-
ken dieser Einsamkeit. Alles dies und noch weit mehr ist
für immer gewichen. Das Schaf hat auserlesene Nahrung
auf grünen Arien gefunden, sowie die zum rechten Genuß
notwendige Ruhe. Welch eine Erquickung, sich von der Liebe
nähren zu dürfen, die von den Himmeln auf die Erde her-
abgestiegen ist, die alle Schrecken des drohenden Gerichts
... 2Z —
auf sich genommen hat, um die Gegenstände dieser Liebe
für immer davon zu befreien, so daß hinfort auch gar
nichts mehr übrigbleibt! O diese Liebe, die uns zu Wassern
des Friedens führt, die uns durch den Geist das Unterpfand
der himmlischen Herrlichkeit und durch Ihn auch
eine gegenwärtige, friedenerfüllte und von Segnungen
überfließende Freude schenkt, einen sicheren Beweis der zukünftigen
Seligkeit und Herrlichkeit! O mein Leser, ist
dieses erhabene Vorrecht dein Teil? Bist du, mehr als
David im 63. Psalm und mehr als Moses im 2. Buch
Mose, im Besitz des köstlichen Genusses, der diesem demütigen
und einfachen Schaf eigen ist, das nichts kennt als
die Hilfsquellen seines Hirten?
D e r O r t, w o d i e S ü n d e h e r r s ch t
„Er erquickt meine Seele, Er leitet mich in Pfaden der
Gerechtigkeit um Seines Namens willen."
Die „E rquickun g", die das Schaf bei seinem Hirten
rühmt, ist augenscheinlich anderer Art als die Segnungen,
die eS an den stillen Wassern empfangen hat, denn
eö fährt fort, von einem Leiten „in Pfaden der Gere
ch t i g k e i t" zu reden. Es befindet sich auf dem Schauplatz
der Ungerechtigkeit, dem Ort, wo die Sünde herrscht,
und wo es so mancherlei Anfechtungen ausgesetzt ist. Ich
frage nun: Ist das Schaf imstande, die Sünde und ihre
mannigfachen Versuchungen hienieden zu meiden? Kann
es in einer Weise vor dem Bösen bewahrt werden, daß dieses
es nicht berührt? Nun, das Wort sagt uns, daß eS vor
dem Bösen bewahrt werden soll. Wir haben es hier mit einer
unbedingt sicheren Tatsache zu tun. „Auf daß ihr lauter
und unanstößig seid auf den Tag Christi", sagt ein
24
Apostel. (Phil. l, 10.) „Ich schreibe euch dieses, auf daß
ihr nicht sündiget", sagt ein anderer. (1. Joh. 2, 1.) Somit
besteht für den Gläubigen durchaus keine Notwendigkeit,
zu sündigen. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? In
dieser Hinsicht macht daö Schaf demütigende Erfahrungen.
Der Dichter hat recht, der in einem Liede bekennt:
Doru, ich muß mich billiu schäumn,
Daß ich armer, eitler Tor
Deinem Reichtum, Deiner Fülle
Lrdenlust noch ziehe vor.
Aber die Sprache des Schafes seinem Hirten gegenüber
lautet anders. Was es beschäftigt, ist nicht das Fehleil,
sind nicht die Begehrlichkeiten, die zu einem solchen
Fehlen führen, sondern vielmehr die Weise, deren der Hirte
sich bedient, um es wiederherzustellen, nachdem es gefehlt
hat. „Er erquickt meineScel e." Er gibt der Seele
neue Belebung. Seine ganze liebevolle Sorge entfaltet sich,
um die Seele des Schafes, das in Gefahr steht, auf dem
Schauplatz der Sünde den Mut zu verlieren oder sich noch
weiter zu verlieren, sorglich zu pflegen, sie neu zu beleben
bis zur völligen Erquickung. Dies alles findet das Schaf
in den Armeil des Hirten. Gerade die Anfechtungen des
Pfades, der über den Schauplatz der Sünde führt, läßt es
die Hilfsquellen erfassen, die in dem Hirten sind für solch
ein armes, zum Fehlen geneigtes Geschöpf. Und dann läßt
die gemachte Erfahrung es den Hirten als den Einzigeil
rühmen, der imstande ist, die Seele, wenn sie sich irgend­
wie verirrt hat, wiederherzustellen und zu erquicken.
Doch dabei bleibt das Schaf nicht stehen. Die bloße
Wiederherstellung und Erquickung der Seele genügt nicht.
Die gemachte Erfahrung soll zur Bewahrung vor neuen
Verirrungen dienen. So findet das Schaf in dem Hirten
25
den Einzigen, der zwischen ihm und der Sünde eine
Schranke aufzurichten vermag: „Er leitet mich in
Pfaden der Gerechtigkeit um Seines Namens
Wille n". Das ist Er sich selbst schuldig, denn Er
hat dem Schaf, das Ihm angehört, Seinen heiligen Namen
aufgeprägt. Er kann weder wollen noch erlauben, daß
das Geschöpf, für das Er die Verantwortung übernommen
hat, sich von neuem verirre. Er kennt vollkommen die
Pfade, auf denen nicht eine einzige Versuchung das Schaf
erreichen kann. Diese Pfade haben einen Namen. Es sind
PfadederGerechtigkeit. Nach der Ausdrucksweise
des Alten Testaments sind es Wege, in welche die
Sünde weder ein dringt, noch eindringen
kann. Der Hirte kennt nur solche, folgt nur solchen und
keinen anderen. Wie sagt doch der Apostel? „W ieDer,
welcher euch berufen hat, heilig ist, seid auch
ihr heilig in allem Wandel; denn es steht geschrieben:
„Seid heilig, denn ich bin heilig."" (1. Petr, 1, 15. 1.6.)
(Schluß folgt.)
Gedanke
Wenn wir Christum kennengelernt haben, ist es an
uns. Ihm nachzusolgen. Er zeigt uns einen Weg, der keinen
Rückzug zuläßt, denn Er läßt uns durch den Glauben
schon für diese Zeit in eine Verbindung mit Ihm treten.
Wenn wir — du und ich — voll Glaubens, in der Kraft
des Heiligen Geistes, und so beschäftigt mit Christo, als sähen
wir Ihn, diesen Pfad wandeln, was kann dann noch
von unserem Ich bestehen bleiben? Wir folgen Christo dann
wie ein Kahn, der durch einen Schleppdampfer gezogen
26
wird. Unsere Gemeinschaft, unsere Freude, unsere Herrlichkeit
— alles ist in Ihm, denn wir sind Sein Volk. Ist es
nicht Gnade, Ihm zu dienen und Ihm nachzufolgen? Ist
es nicht Gnade, Ihn öffentlich bekennen zu dürfen, Ihn,
der uns befähigt hat, zu sagen: Wir sind in Dir angenommen,
und Deine Herrlichkeit ist die unsrige? Ja, es ist
Gnade, der glücklichen Stellung gemäß wandeln zu können,
in die Er uns versetzt hat. Solange der Wert von Tod
und Auferstehung eine unbekannte Sache bleibt, weiß man
wenig von dem Gesalbten. Der Tod führt uns zu Ihm.
Die Auferstehung sammelt und verbindet uns mit
Ihm. G. V. W.
Kragen aus dem Leserkreise
Ich bitte um eine Erklärung von Judas 23. Woran ist
wohl bei dem Ausdruck „das vom Fleische befleckte
Klei d" zu denken? Darf man da, wie es manche tun, an B e -
kenntnis denken? Womit und mit welchen Schriftstellen wird
diese Ansicht gestützt? Wenn sie als richtig anzunehmen ist, wie ist
dann zu verstehen: „von dem Fleische befleckt"?
I. Wer unter Rleid das Bekenntnis versteht, legt es sich so zurecht
:
Nein Nitgläubiger ist einem verderblichen Irrtum verfallen,
indem er, dem Beispiel von Verführern folgend, die Gnade zu
einem Freibrief für ein Leben nach dem Fleische macht. Mder
er ist einen, verfänglichen, verderbenbringenden Irrtum in der
Lehre zur Beute geworden, (vergl. Rain, Bileam und Rorah.)
Er bleibt aber dabei, er glaube so gut wie jeder andere an Gott,
an den Herrn Jesus, an die Heilige Schrift usw. Unter solchen
Umständen wird dieses Bekenntnis mit Recht etwas Hassenswertes
für den anderen, denn es ist nicht weniger als Selbstbetrug, sowie
Betrug an anderen und an Gott, indem der Feind es verstanden
hat, einen solchen Nenschen völlig zu verblenden. Hierher gehören
anch Stellen wie Gffbg. 3, f. H, wo die Rede ist von Nenschen,
die den Namen haben, daß sie leben, und doch die Rleider besudeln,
d. h. Wirklichkeit und Bekenntnis in Widerspruch sein lassen;
oder auch 2. Ror. 7, l, wo der Apostel dazu auffordert, sich von
jeder Befleckung des Fleisches zu reinigen, d. h. die Regungen des
27
Fleisches, der sündigen Natur, zu unterdrücken und nicht durch
Nachgeben oder gar sich Hingeben Flecken auf das persönliche und
allgemeine Bekenntnis zu Gott und Christus zu bringen. Der, welcher
zurechtzubringen sucht, vermeidet bei seinen Rettungsversuchen
peinlich alles, was ihn in den verdacht bringen könnte, ec mache
Zugeständnisse, weil die Wahrheit und die Heiligkeit Gottes ihn
zwingen, das zu Unrecht bestehende Bekenntnis zu hassen.
II. wenn es sich nm die eigentliche Erklärung von Zudas 23
handelt, sei zunächst vorausgeschickt, daß der Text der verschiedenen
Handschriften an dieser Stelle nicht nbereinstimmt. wenn man
die nach bestem wissen und Gewissen in der Elberfelder Übersetzung
gegebene Lesart ruhig und bedachtsam bis zu Vers 22 und
25 durchstudiert, so steht man unter dem Eindruck, daß „die einen
... die anderen" sich auf Personen bezieht, die sich in der Witte
der „Geliebten" befinden, denen der Brief gilt, daß sie aber nicht
zu der Masse der „Gottlosen" gehören, von denen vorher die Rede
ist. Zn allen Briefen ausnahmslos finden sich ja zarte oder auch
scharfe Hinweise und Rügen, die dartun, daß von jeher Doppel-
herzige und Schwache unter den Aufrechten und Entschiedenen in
den Versammlungen waren. Nach der mehr allgemeinen Abhandlung,
die in Vers fü endet, wendet sich Zudas zweimal, Vers l 7
und Vers 20, in vertraulicher Anrede („Zhr aber, Geliebte") an
diejenigen, die ein Herz für diesen Titel haben, und an ihre innerlichen
Gefühle und fährt dann in Vers 22 fort:
„Die einen" unter euch, die mit den Dingen und Personen,
vor denen ich gewarnt habe, liebäugeln, sich gern,in Streitereien
darüber einlassen, weiset zurecht, d. i. legt ihnen ernstlich nahe,
daß sie in Gefahr sind, selber auf die schiefe Ebene zu geraten, auf
der inan immer rascher hinabgleilet, bis man schließlich da anlangt,
wo das Fleisch endet.
wegen „der anderen", die sich, etwa aus Unerfahrenheit,
schon hatten verführen lassen, sollten sie wirklich in Furcht fein.
Die Zustände waren ja in der Tat furchtbar: Bei den Liebesmahlen
der Gläubigen waren die im ersten Teil des Briefes Gebrandmarkten
zugegen, redeten stolze Worte, dis den Unerfahrenen imponierten,
konnten vorteilshalber auch schmeicheln und wohl noch
anderes. Das ewige Feuer wartet ihrer! wer sich von ihnen einfangen
läßt, begibt sich auf denselben weg zum Gericht! Deshalb
die Aufforderung: Handelt, als ob sie schon von dem Gericht ereiltwären!
Reißt sie aus dem Feuer, koste es, was es wolle!
wenn es auch Leichtgläubigkeit war, von der jene sich hatten
umgarnen lassen, so erhebt sich doch die Frage: war und ist
solche Leichtgläubigkeit etwas anderes als gestattete Wirksamkeit
des Fleisches, als erlaubte; sich Regen der Natur des nicht
wiedergeborenen Menschen? Fast zu gleicher Zeit wie Zudas tritt
Petrus dieser Gefahr mit den ernsten Worten entgegen: „Ihr nun,
28
Geliebte, da ihr es vorher wisset, so hütet euch, daß ihr nicht,
Lurch den Irrwahn der Ruchlosen mit fortgerissen, aus eurer eigenen
Festigkeit fallet". (2. Petr, ö, l 7.) Dieses sich Regen, dieses
sich Wirksamerweisen Les Fleisches befleckt das ganze übrige Wesen
der Betreffenden. Sie tragen es in allem mit sich herum, wie man
die Kleider am Leibe trägt. *) Die in Nüchternheit Bewahrten können
gar nicht anders als dieses Wesen hassen, weil es aus dem
Fleische kommt. Sie hassen nicht die Träger, die in Thristo immer
Geliebte sind. Ihr Bemühen geht ja dahin, solche aus ihren: regelwidriger:
Zustand herauszuretten.
wer dergleichen Dinge schon praktisch mitgemacht hat, der
versteht den Apostel gut. Denn leider, leider gibt es heutzutage so
viele Geliebte, die Beispiele des Dargestellten sind. Ls ist so: Line
heilige Lntrüstung, ja, Haß, wie Judas sagt, durchwühlt das Innere,
wem: man den klaren, eindeutigen Aussprüchen der Schrift
gegenüber aus dem Munde derer, die man retten will, immer hören
muß: „Ja, aber . . .." F. Rpp.
*1 Me su« der Kußnvt« hervorgeht. Ist «tgentllch das Unterkleld ge»
meint, da« Hemd, wie wir sagen würden, das dem Körper sm nächsten ist.
Zum Sahreswechsrl
Nun ist das Jahr zu Lnde. — Nach seinem letzten Tag
Falt' still ich meine Bände beim letzten Glockenschlag.
Im wechsel seiner Tage ging hin mein Pilgerlauf.
Ls gab so manche Frage und manches Rätsel auf.
vorbei des Lenzes Blühen, der Sommer ist verrauscht.
In Freuden, Sorg' und Mühen ward Tag um Tag getauscht.
Doch will ein Stern mir strahlen in kalter Winternacht
ins Herz, das oft mit (tzualen und Seufzern aufgewacht.
Der Stern, auf den ich traue, bist Du, mein Morgenstern;
das Licht, das ich erschaue, zeug:, daß der Tag nicht fern.
Der Morgenröte Scheinen am Horizont erglüht;
Ans Herzen, die hier weinen, erklingt ein neues Lied.
Herr Jesus, Du wirst kommen. Die Braut, sie wartet Dein.
Dann führest Deine Frommen zur Herrlichkeit Du ein!
W. R.
„Seshalv will ich Sorge tragen"
„Deshalb will ich Sorge tragen, euch immer an diese
Dinge zu erinnern, wiewohl ihr sie wisset und in der gegenwärtigen
Wahrheit befestigt seid." (2. Petr. 1, 1.2.)
So schrieb vor beinahe zweitausend Jahren ein alter
treuer Diener Christi an die ihm anvertraute Herde, der er
jahrelang in Liebe und Treue gedient hatte. Sein Herr und
Meister Jesus Christus selbst hatte ihm die Sorge für
Seine Schafe und Lämmer übergeben. „Weide meine
Lämmlein!" „Hüte meine Schafe!" „Weide meine Schafe!"
So hatte der letzte Auftrag des Herrn an Seinen Jün­
ger Petrus gelautet, bevor Er diese Erde verließ, um zum
Vater zurückzukehren. Und Petrus hatte den Auftrag treu
ausgeführt. Das beweisen vor allem seine Briefe. Jetzt
stand er im Begriff, seinen Hirtenstab für immer in die
Hand des Erzhirten zurückzulegen. Die Stunde des Ablegens
seiner Hütte stand bevor, die Stunde, die für die
Natur schrecklich war — denn er würde seine Hände ausstrecken
und hingebracht werden, wohin er nicht wollte —,
und dennoch die Stunde, die für den seinen Herrn aus tiefster
Seele liebenden Jünger begehrenswert war, denn ihm
sollte Gelegenheit gegeben werden, Gott durch seinen Tod
zu verherrlichen.
Bis diese Stunde kam, hatte der bejahrte Apostel eine
und dieselbe Sorge. Sie galt den Schafen und Lämmern
der Herde Christi, denn sie bedurften, „immer an diese
UXXXIIII 2
— 30 —
Dinge erinnert zu werden". Er „hielt es für recht", sie, solange
er in dieser Hütte war, durch Erinnerung aufzuwek-
ken.
„Ich halte es für recht." Diese bescheidenen Worte
sprach der Mann, der einst auf sein Zeugnis hin den gewaltigen
Ausspruch des Sohnes des lebendigen Gottes hatte
hören dürfen: „Ich sage dir, daß du bist Petrus; und auf
diesem Felsen werde ich meine Versammlung (Gemeinde)
bauen, und des Hades Pforten werden sie nicht überwältigen.
Und ich werde dir die Schlüssel des Reiches der Himmel
geben; und was irgend du auf der Erde binden wirst,
wird in den Himmeln gebunden sein, und was irgend du
auf der Erde lösen wirst, wird in den Himmeln gelöst sein."
(Matth. 1.6, 18. 19.) Große Worte fürwahr! Die sogenannten
Kirchenfürsten, die in den Jahrhunderten der Kirchengeschichte
eine Rolle auf dieser Erde gespielt haben, berufen
sich gern auf sie, nennen sich auch gern Nachfolger
des „Apostelfürsten" Petrus. Schade, daß sie so wenig
von der Liebe und Sorge, der Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit
des Apostels übernommen haben. „Ich will
Sorge tragen... Ich halte es für recht." über diese beiden
kurzen Sätze sollten wohl alle im Kämmerlein sinnen, denen
des Herrn Gnade irgend eine Gabe zu Nutz und Frommen
Seiner Herde gegeben hat!
Der Apostel richtete seinen Brief an Leute, die die
Dinge bereits wußten, welche er ihnen immer wieder ins
Gedächtnis zurückrufen wollte, an Gläubige, die „in der
gegenwärtigen Wahrheit" befestigt waren. Hier möchte
man fragen: War denn ein solch beständiges Erinnern damals
schon nötig, in der Zeit der ersten Frische und Kraft?
Die Briefe des Apostels Paulus, die wohl sämtlich nicht
— 31 —
später geschrieben sind als der zweite Brief des Petrus, geben
da die beste Antwort. Die Christen jener ersten Zeit
waren aus dem gleichen Holz geschnitzt wie wir heute.
Mochte Gottes Geist auch noch so mächtig in und unter ihnen
wirken, die Sünde wurde doch „geboren", wie Jakobus
sich ausdrückt (Kap. 1, 1.5), den Lockungen der Welt wurde
gefolgt, und Satans List feierte ihre Triumphe. Denken
wir nur an den ersten Brief an die Korinther, der verhältnismäßig
früh geschrieben ist. In ihrer Mitte gab es Spaltungen
und offenbare Sünden. Sogar die christlichen Liebesmahle,
bei denen in der frühesten Zeit die Liebe in einer
Weise zum Ausdruck gekommen war, daß die Gläubigen
beim ganzen Volke Gunst hatten (vergl. Apstgsch. 2, 42
bis 47), waren in Korinth so sehr entartet, daß sie sich zu
regelrechten Gelagen ausgebildet hatten. Und in Verbindung
mit diesen Mahlzeiten feierten die Korinther das
„Mahl des Herrn"! Oder denken wir an den Brief an die
Galater, denen Paulus schreiben mußte: „Ich wundere
mich, daß ihr so schnell von dem, der euch in der Gnade
Christi berufen hat, zu einem anderen Evangelium umwendet".
(Kap. 1, 6.) Denken wir an den Philipperbrief, in
welchem der Apostel mit Weinen sagen mußte, daß da viele
wandelten — nicht Heiden, sondern solche, die sich Christen
nannten —, die Feinde des Kreuzes Christi waren, „deren
Ende Verderben, deren Gott der Bauch, und deren Ehre
in ihrer Schande war, die auf das Irdische sannen". (Kap.
3,18. 19.) Und denken wir schließlich noch an den wohl
letzten Brief des Paulus, in welchem der alte, bewährte
Apostel seinem geliebten Timotheus klagte, daß alle, die
in Asien waren, sich von ihm abgewandt hatten, und daß
bei seiner ersten Verantwortung vor dem römischen Kaiser
32
kein Mensch ihm beigestanden, sondern alle ihn verlassen
hatten. (Kap. 4, 45; 4, 4b.) Es ist gewiß nicht erbaulich,
sich an diese Vorgänge und Jeitverhältnisse zu erinnern,
aber es kann nützlich sein, denn es zeigt so deutlich und
klar, daß da, wo persönliche Hingabe und Wachsamkeit fehlen,
alle Gnadengaben und Geisteswirkungen im Endergebnis
versagen. Anderseits aber dürfen wir aus dieser an und
für sich betrübenden Feststellung den für uns tröstlichen
Schluß ziehen — denn wir leben in einer Zeit kleiner Kraft,
ohne große Gaben und Wirkungen des Geistes —, daß
da, wo man sicherinnern läßt, wo die eigene Schwachheit
gefühlt, aber von der in Christo vorhandenen Gnade
und Kraft Gebrauch gemacht wird, gute Früchte des Geistes
gebracht werden können zur Ehre des Herrn.
Unsere Stelle besagt klar, daß es dem Apostel nicht
darum zu tun war, neue Wahrheiten zu verkünden. Diese
Zeit war vorüber. Zwar finden wir Petrus am Ende seines
zweiten Briefes als Prophet, indem er über zukünftige Ereignisse,
so z. B. „den Tag Gottes", schreibt, aber der
Zweck des Briefes war ein anderer. Im dritten Kapitel gibt
er ihn noch einmal an: „Diesen zweiten Brief, Geliebte,
schreibe ich euch bereits, in welchen beiden ich durch Erinnerung
eure lautere Gesinnung aufwecke". Beide Briefe tragen
also einen ermahnenden Charakter. So schließt auch
der erste bezeichnenderweise mit den Worten: „Ich habe
euch mit wenigem geschrieben, euch ermahnend und
bezeugend, daß dies die wahre Gnade Gottes ist, in welcher
ihr stehet". (Kap. 5, 42.) Wenn wir nun aber auch
dem Apostel Petrus keine Wahrheiten von der Größe und
Herrlichkeit verdanken wie Paulus, dem Apostel der Nationen
— z. B. lesen wir in seinen Briefen nichts von „Ge
3Z
Heimnissen", und er selbst betont am Ende dieses zweiten
Briefes, daß der „geliebte Bruder Paulus nachderihm
gegebenen Weisheit" Dinge geschrieben habe, die
schwer zu verstehen seien —, so ist es doch dieWahrheit,
über die er schreibt, und die er in Erinnerung zu
bringen sucht. Die, welche „einen gleich kostbaren Glauben
mitempfangen" hatten (V. 1), waren „in der gegenwärtigen
Wahrheit", d. h. in dem, was ihnen bis dahin als
die „Wahrheit" verkündigt worden war, befestigt. (Vergl.
auch Kap. 3,1.7.)
„Die Wahrheit" ist ein außerordentlich umfassender
Begriff. Wer da behauptet, „die Wahrheit" zu haben, bekennt
sich damit zu einem Besitztum, über dessen Größe er
sich wohl in den seltensten Fällen den richtigen Begriff
macht. „Die Wahrheit", auf das geschriebene Wort angewandt,
umfaßt sämtliche, in diesem Worte enthaltenen
„Wahrheiten", mit denen es auf sein volles Maß gebracht,
also abgeschlossen ist. (Vergl. Kol. 1, 25.) Uns „in
die ganze Wahrheit zu leiten" (Joh. 16,13), ist eine der
Tätigkeiten des „anderen Sachwalters", des „Geistes der
Wahrheit". Lassen wir uns von Ihm leiten, so steht „die
Wahrheit" in ihrer ganzen Fülle zu unserer Verfügung.
Welcher Christ aber würde es wagen, von sich zu sagen,
daß er „die ganze Wahrheit" erfaßt habe?
Wir haben heute einen großen Vorzug vor jenen Gläubigen,
denen Petrus bekundete, daß sie „in der gegenwärtigen
Wahrheit befestigt" waren. Denn wir haben das ganze
geschriebene Wort, die Fülle der geoffenbarten göttlichen
Geheimnisse, in Händen. Damit ist aber nicht gesagt, daß
wir glücklicher sind als jene Gläubigen, denn es kommt
nicht auf das Maß der geoffenbarten Wahrheit an, sondern
34
darauf, wie ich sie erfasse und auf Herz und Gewissen anwende.
Daß dieser Zweck erreicht werde, deshalb hat Petrus
seine beiden Briefe, vor allem den zweiten, geschrieben.
Wenn wir uns nun fragen, was jene Gläubigen, an
die Petrus schrieb, als gegenwärtige Wahrheit besessen haben
mögen, so müssen wir seinen ersten Brief lesen, denn
in diesem Brief hat der Apostel schriftlich niedergelegt, was
er ihnen verkündet hatte. Ich will damit nicht behaupten,
daß diese Gläubigen von den durch Paulus mitgeteilten
Wahrheiten garnichtS gewußt hätten, doch dürfen wir nicht
vergessen, daß Paulus der Apostel der Nationen war,
und ferner, daß Abschriften seiner Briefe bis dahin höchstens
in den Besitz einzelner gelangt sein werden, und keineswegs
Allgemeingut waren. Mochten aber nun jene
Gläubigen, die Petrus meint, etwas von dem, was Paulus
lehrte und schrieb, wissen oder nicht, jedenfalls war das,
was sie wußten, genug und übergenug, um sie „mit unaussprechlicher
und verherrlichter Freude frohlocken" zu lassen.
Sie wußten von Christi Herrlichkeit und Seinem Reich,
wußten, daß sie „auserwählt waren nach Borkenntniö
Gottes, des Vaters", daß sie mit dem kostbaren Blute
Christi erlöst und durch den Geist Gottes selbst von der
Welt und für Ihn abgesondert waren. Sie wußten weiter
von „einem unverweslichen und unbefleckten und unver-
welklichen Erbteil in den Himmeln", wußten, daß sie ein
„heiliges Priestertum" und ebenso „ein königliches Priestertum
waren, eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum".
Sie wußten von der Macht Gottes zu ihrer Bewah­
rung und von Seinen Wegen zu ihrer Segnung usw. Der
Apostel hatte ihnen feierlich bezeugt, daß dies die wahre
Gnade Gottes war, in welcher sie standen, (r. Petr. 5,42.)
35
So war das diesen Gläubigen geschenkte Gut der
Wahrheit groß und kostbar genug. Es war der Mühe wert,
sie an diese Dinge zu erinnern und betreffs ihrer ihre Gewissen
aufzuwecken. Denn es kann eine Erkenntnis Jesu
Christi vorhanden sein bei gleichzeitig trägem und fruchtleerem
Leben. Diese Möglichkeit hat den Apostel ernste
Worte finden lassen im Blick auf den tagtäglichen Wandel.
(Vergl. V. 5—8.) Es kann jemand die „Wahrheit" zu besitzen
behaupten und dabei „blind und kurzsichtig sein und
die Reinigung seiner vorigen Sünden vergessen haben".
(V. 9.) Und das ist der Fall, wenn der Wandel nicht mit
dem Bekenntnis übereinstimmt, mit anderen Worten,
wenn das, was man zu haben behauptet, ohne Einfluß ist
auf das tagtägliche Leben.
Ein solcher „ist blind". Wenn Christus der einzige
Gegenstand des Herzens ist, so ist das Auge einfältig und
der ganze Leib licht. Ein einfältiges Auge sieht immer nur
einen Gegenstand, einen bestimmten Punkt. Ist dagegen
das Auge auf mehrere Gegenstände gerichtet, so ist von
Einfalt keine Rede mehr, und der Leib ist nicht licht, son­
dern Finsternis.
Ein solcher ist auch „kurzsichtig". Er sieht nicht weit
und ist außerstande, das, was um ihn her vorgeht, richtig
zu beurteilen und mit göttlichem Maßstabe zu messen.
Und drittens hat ein solcher „die Reinigung seiner vorigen
Sünden vergessen". Indem er das große Werk vergißt,
das an ihm geschehen ist, vergißt er auch, zu welchem
Zweck er gereinigt worden ist. Die herrliche Person seines
Heilandes entschwindet mehr und mehr seinem Gesichtskreis.
Anstatt Fortschritte zu machen, geht er zurück. Da§
Leben wird träge und fruchtleer,
36
Und was ist nun das Mittel, um diesem traurigen Zustand
vorzubeugen oder, wenn er bereits eingetreten ist,
wieder davon zu befreien? Was ist die beste Erinne -
rung? Liegt sie nicht in der Aufforderung: „Betrachtet
den Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses, Jesum"?
„Schauet hin auf Jesum, den Anfänger und Vollender
des Glaubens"?
Immer wieder sucht Petrus die inneren Gefühle derer,
die zur Herde gehören, dadurch in Tätigkeit zu setzen,
daß er sie auf die Person seines geliebten Herrn hinweist.
Er ist's, den sie lieben. Er ist das Lamm ohne Fehl und
ohne Flecken. Er ist der auserwählte, kostbare Eckstein. Er
ist Der, welcher litt und unsere Sünden an Seinem Leibe
auf dem Holze getragen hat, durch Dessen Striemen wir
heil geworden sind, der uns zu Gott geführt hat. Seine
„herrliche Größe" hatte der Jünger mitsamt seinen
beiden Gefährten mit eigenen Augen geschaut, als sie mit
Ihm auf dem heiligen Berge waren, und vom Himmel her
hatte er dort mit eigenen Ohren die Worte hören dürfen:
„Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen
gefunden habe". Das Herz geht dem Apostel auf,
wenn er auf diese Person zu sprechen kommt.
Es kann nicht meine Absicht sein, uns, die wir das
Wort Gottes in seiner Vollendung besitzen, auf alle die
Wahrheiten aufmerksam zu machen, die dieses Wort in seiner
unendlichen Fülle enthält, denn dann wäre des Schreibens
kein Ende. Auch ich möchte nur erinnern, mit dem
Zweck, uns gegenseitig aufzuwecken. Mancher Christ, so
las ich in einem alten Botschafterband, gleicht einem reichen
Manne, der in einem wohlverschlossenen Schrank kostbare
Kleinodien aufbewahrt. Anfänglich, als sie in seinen Be
37
sitz kamen, betrachtete er sie mit großem Interesse und herzlicher
Freude und konnte sich nicht satt sehen an ihnen. Aber
nach und nach sind sie etwas Altes für ihn geworden, und
schließlich zeigt er sie nur noch dann und wann einem Besucher.
So geht es manchem Gläubigen mit den kostbaren
Dingen Christi. Das, was sein Herz im Anfang vor Freude
überströmen ließ, das er nicht genug betrachten konnte,
liegt gleichsam im Schrank und wird nur gelegentlich einmal
hervorgeholt, um — vor anderen damit zu glänzen.
Das sind beherzigenswerte Worte auch für unsere
Zeit. Es ist erfreulich, daß in unseren Tagen wieder mehr
ein wirkliches Forschen in der Schrift begonnen hat. Nur
hüte man sich dabei vor verstandesmäßigem Studieren!
Dem alten, treuen Apostel kam es, wie wir uns sagten,
weniger auf vermehrtes Wissen an als darauf, daß
Herzen und Gewissen aufgeschlossen und aufgeweckt, daß
dem Glauben geistliche Energie hinzugefügt, und daß Enthaltsamkeit,
Gottseligkeit und Liebe mehr unter den Gläubigen
gefunden würden. Wenn wir in Apstgsch. 2 von den
Neubekehrten lesen, daß sie in der Lehre der Apostel verharrten,
so ist damit wohl in erster Linie die Beschäftigung
mit der Person und den Worten des Herrn gemeint, bzw.
mit den in Ihm erfüllten alttestamentlichen Verheißungen
und den Prophezeiungen. Und wie glücklich, wie warm wurden
die Herzen dabei! Das Erforschen der Briefe der Apostel
ist gut und nützlich und gesegnet. Aber E r steht über allem.
Ihn werden wir einst sehen von Angesicht zu Angesicht.
Ihn laßt uns heute schon betrachten! Wenn Er unseres
Herzens Gegenstand ist, dann ist Er auch für uns
das Leben. (Phil, 7, 27.)
38
Schaf und Hirte
Einige Gedanken über den 23. Psalm
(Schluß)
Das Land der Trauer
„Auch wenn ich wanderte im Tale des Todeöschat-
tens, fürchte ich nichts Übles, denn Du bist bei mir; Dein
Stecken und Dein Stab, s i e trösten mich."
Wer von uns ist nicht schon durch dieses Tal gewandert?
Überall starrt uns ja das schreckliche Wort Tod entgegen.
Die Menschen können es nicht hören, ohne zu erzittern,
hat es doch die gesamte Menschheit seit dem Tage von
Adams Sünde bis zum heutigen Tage in seinen Bann geschlagen.
Leicht, sehr leicht gewöhnt sich der Mensch an die
Sünde. Sie flößt ihm keine Angst ein. Mit dem Tod
ist es anders. Eö gibt ja Menschen — aber der Fall ist selten
—, die sich im Blick hierauf mit einem Panzer des
Vergessens umgeben zu haben scheinen, um dem Tod zu
trotzen oder ihm wenigstens mit Gleichgültigkeit gegenüberzutreten.
Aber wenn wir einmal dahintergekommen
sind, was sich unter der scheinbaren Unempfindlichkeit solcher
Leute oft genug verbirgt, so erschrecken wir. Der Tod,
dieses unausbleibliche Los, dem niemand entrinnt, der oft
ganz unvermutet über uns kommt, den nichts aufhalten
kann, rind der den Menschen in das finstere Geheimnis
eines unbekannten Jenseits versenkt — der Tod wirft seinen
schwarzen Schatten auf die ganze Welt, die ganze
Schöpfung, auf alles menschliche Leben. Lesen wir
1.. Mose s! „Und er starb", heißt es da wieder und wieder.
Und was folgt auf den Tod? Gericht, ewige Trennung von
Gott!
3d
Doch das Tal des Todesschattens in unserem Psalm
ist nicht der Tod selbst. Es ist das Tast über das der Tod
seinen Schatten wirfst das Tast das viel mit dem Tränental
von Psalm 84 gemein hast das Tast in welchem Tränen
fließen. Jesus selbst hat geweint in diesem Tal (Joh.
44, 35) angesichts des verhängnisvollen Geschicks des
Menschen, das zu beseitigen Er die Macht hatte, aber das
Seine Freunde mit Leid und Traurigkeit erfüllte. Ein
trefflich gewählter Ausdruck: „Tal des Todesschattens",
für dieses tiefe, sich unabsehbar weit ausdehnende Tal voll
dichten, schwarzen Nebels, der alle Strahlen des Tageslichts
aufsaugt! Man sieht nichts darin und muß doch darin
wandeln. Lauern dort nicht unvorhergesehene Gefahren auf
das Schaf? Wird nicht ein gähnender Abgrund sich plötzlich
vor seinen Füßen auftun? Nichts ist furchtbarer als
ein Schweben in angstvoller Erwartung. Ein solcher Zustand
ist oft noch schrecklicher als die schrecklichste Wirklichkeit.
Vor den Gefahren, die man sieht, kann man fliehen,
aber wie ist's mit denen, die unsichtbar auf einen lauern?
Und nun hören wir, was das Schaf sagt! „Auch wenn ich
wanderte im Tale des Todesschattenö, fürchte ich
nichtsllble s." Nicht um das Übel selbst, sondern um
die Furcht vor ihm handelt es sich hier. Was das Übel
ist, wird nicht gesagt. Das Schaf leidet mehr unter der
Furcht vor dem Unbekannten als unter dem Übel selbst.
Hier nun geht es seinen Weg, indem es gar nichts weiß
und auch nichts wissen will und kann. Eines genügt ihm:
„Dubistbeimi r". Das ist für alles genug. Die bisher
gemachten Erfahrungen haben sein Vertrauen verzehnfacht.
Es kennt nur noch Ihn. Es spricht von Ihm nicht
mehr in der dritten, sondern in der zweiten Person. Es sagt
40
D u zu Ihm. Dos bedeutet wachsendes Vertrautsein, und
dieses Vertrautsein ist's, das es erfreut. Vorher hat es von
Ihm zu anderen geredet. Jetzt spricht es zu Ihm von Ihm
selbst. „Du bist bei mir." Es ist, als ob es fragte:
Warum bist Du in diesem Tale? Warum wandelst Du
darin? Und es gibt selbst die Antwort: Nicht für Dich,
sondern für mich; um bei mir in diesem Tal zu sein,
um mich hier zu leiten, zu führen, zu verteidigen. Bis
zum Ende des finsteren Tales wirst Du mich auch nicht
einen Augenblick verlassen. In Deinen Händen sind die
notwendigen Geräte, um Dein Schaf, wenn es sich verirrt
haben sollte, zurückzubringen und dann das Iurück-
gebrachte in unerschütterlichem Vertrauen bei Dir zu halten.
Und weil Du nun in dem Tale bei mir bist, was sollte
ich da noch fürchten?
O Du guter Hirte, einst haben Maria und Martha,
Deine Schafe von ehemals, dieses Tal durchschritten. Auf
dem ganzen Wege haben sie Deine Gegenwart erfahren
dürfen. Daß Du Dich mit ihnen beschäftigtest, war ihnen
alles. An Deiner Hand haben sie nie einen falschen Schritt
getan, und sie haben das Ende des Tales des Todeöschat-
tens erreicht, indem sie den herrlichen Tag erleben durften,
an dem Lazarus, ihr Bruder, auferweckt wurde.
Das Gebiet unserer erbitterten Feinde
„Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner
Feinde; Du hast mein Haupt mit Dl gesalbt, mein Becher
fließt über."
Dieser Vers enthüllt uns den Gegensatz, der da besteht
zwischen den Gefühlen, die die Welt den Schafen des
Guten Hirten gegenüber hegt, und dem inneren Zustand,
— 41 —
der bei den Schafen vorhanden ist angesichts der Feindschaft
und des Hasses ihrer Widersacher. Einer der ausgeprägtesten
Charakterzüge der Welt ist ihre Feindschaft zu
den Kindern Gottes. Diese Feindschaft weist verschiedene
Grade auf, je nach dem mehr oder weniger angriffslustigen
Sinn der Feinde selbst, oder, und das ist der Fall, der vor
allem unsere Beachtung erfordert, je nach dem mehr oder
weniger weltlichen Charakter derer, die da bekennen,
als Schafe dem Herrn anzugehören. Doch laßt uns, was
den zweiten Fall angeht, nicht vergessen, daß wir in unserem
Psalm das Muster eines Schafes haben, das
voll und ganz die Tugenden seines Hirten würdigt. Das
Schaf, wie es hier dargestellt wird, denkt nicht daran, sich
der Welt anzupassen und sich ihr zu nähern, wie es auch
(Vers 2) keinerlei Befriedigung in der Wüste gesucht hat.
Indem es die Welt unter dem Gesichtspunkt ihrer Beziehungen
zu Gott betrachtet, steht es selbst allen weltlichen
Verbindungen völlig fremd gegenüber und sieht nichts anderes
bei ihr als ihre Feindschaft. Hat die Welt diese Feindschaft
nicht dadurch bewiesen, daß sie Christum an ein
Kreuz schlug? Nicht einmal Seinen Füßen gestattete sie
einen Platz auf dem Boden, welcher dereinst nach dem Gericht
über Seine Feinde Sein Königreich werden wird.
Dieser Umstand kennzeichnet die Stellung des treuen
Schafes zur Welt. Könnte es je diejenigen Freunde nennen,
die seinen Heiland gekreuzigt haben? Ist die Welt ihm gegenüber
anders gesinnt als Christo? So wird es tausendmal
lieber an der Seite seines Hirten stehen als an der
ihrigen.
Bemerkenswert ist, daß der Charakter der Welt von
dem Schaf erst ganz am Ende seines Weges erwähnt wird.
42
Es bedarf oft langer Erfahrungen, bis der Christ versteht,
daß die Welt, mag es auch manchmal anders scheinen,
niemals etwas anderes gewesen ist als die geschworene Feindin
Christi und der wahren Christen. Nie hat diese Feindschaft
ihr Wesen verändert für den, der sie sieht, wie sie ist,
und der sich nicht blenden läßt durch den Schmuck des geborgten
Gewandes, mit dem die Welt ihre Feindschaft so
trefflich zu bedecken weiß. Man braucht als Christ der
Welt gegenüber nur eine klare Haltung anzunehmen, um
dies ohne weiteres zu bemerken. So lange der Gläubige
an die Verbesserung der Welt glaubt, wird er überall
freundliche Aufnahme und zustimmend ihm entgegengestreckte
Hände finden. Sobald er es aber offen ausspricht,
daß alle Verbesserungsbestrebungen der Menschen sowie
ihre versuchten Entwicklungen zum Guten nichts sind als
ein über einen unheilbaren Zustand geworfener Schleier,
der nur täuscht, so erfährt er die Abneigung der Welt, besonders
der sogenannten christlichen Welt. Am Ende wird
Verachtung sein Teil, des Hasses letzte Äußerung.
Aber der Herr läßt sich nicht unbezeugt. Der Haß ist
ebensowenig wie die Begierden imstande, die Seele eines
Menschen zu nähren. Der Hirte hat für Sein Schaf einen
bevorzugten Platz: „Du bereitest vor mir einen
Tisch angesichts meiner Feinde". Du gibst mir
reichliche, ausgewählte Nahrung, und das angesichts derer,
die mich hassen. Ihre Strafe besteht darin, daß sie der
ganzen Entfaltung der Reichtümer, die das Teil der Gläubigen
sind, und von denen die Welt auch nicht ein Krümchen
besitzt, verständnislos gegenüberstehen müssen. Und
das Allerdemütigendste für diese Feinde ist der Umstand,
daß sie von diesem Tisch weder etwas rauben, noch ihn
43
umwerfen oder gar zertrümmern können; daß sie im Gegenteil
gezwungen sind, zu sehen, daß da Menschen in völligem
Frieden und vollkommenem Glück leben, und daß
die gleichen Menschen mit aller Bestimmtheit sagen können:
„Mir wird nichts mangeln". Alle Feindschaft
der Welt vermag nicht, dem Schaf auch nur das
Geringste von dem Mahl zu nehmen, das der Hirte ihm
bereitet hat. Genüsse ähnlicher Art gibt es auch in der jetzigen
Zeit. Des Herrn Tisch ist auch heute noch für Seine
Schafe gedeckt, und mehr und mehr machen sie die Erfahrung,
daß nichts Ihm zu vergleichen ist.
Bevordas Schaf sich jedoch an dieser Festtafel niederläßt,
kann es sagen: „Du hast mein Haupt mit Ol
gesalbt". Es war Sitte, die Gäste, bevor sie sich an den
Tisch setzten, mit köstlichem Ol zu salben. In der Anwendung
dieses Brauchs auf das Schaf dürfen wir die öffentliche
Anerkennung der Tatsache sehen, daß das Schaf abgesondert
ist für den Hirten, Ihm geweiht, Sein ganz persönliches
Eigentum. Die Handlung ist außerdem das Zeichen
einer besonderen dem Schaf verliehenen Würde. Das
Wort leitet uns an, bei solcher Salbung an die Gabe
des Heiligen Geistes zu denken. In der Salbung mit dem
Heiligen Geist liegt neben der öffentlichen Anerkennung
eine, wie wir sagten, dem Schaf verliehene besondere Würde.
Durch den dem Gläubigen gegebenen Heiligen Geist ist
dieser imstande, himmlische Dinge zu genießen. Für uns
Christen heute ist es nicht anders. Um die geschenkten Güter
genießen, um an ihnen teilhaben zu können, bedürfen wir
der Salbung des Heiligen Geistes, ohne die es ebensowenig
zu einem persönlichen Genuß als zu einem Mitteilen jener
Segnungen an andere kommen würde.
44
Aber das ist immer noch nicht alles. Da ist auch noch
ein gefüllter Becher. Das Maß ist so überfließend,
die Freude so tief und innerlich, daß es zu dem oben erwähnten
Mitteilen kommen muß: Ströme lebendigen
Wassers sollen aus dem Gläubigen fließen. Welch ein
Glück, daß es also ist, und daß die tiefe, völlige Befriedigung
der Seele sich auch anderen Mitteilen kann! Darf man
nicht sagen, daß in diesem „überfließenden Becher" all die
Segnungen, an denen dieser Psalm so reich ist, ihren Höhepunkt
erreichen? Welcher Freudentrank könnte noch demjenigen
hinzugefügt werden, der den Becher füllt? Haben
wir hier nicht den Ausdruck der vollen Befriedigung, welche
dem Herzen des Schafes die Erinnerung an den langen
unter der Führung des Guten Hirten zurückgelegten Weg
gibt, und zwar in dem Augenblick, wo es triumphierend
ausrufen kann: Das Ziel ist erreicht!?
„Fürwahr, Güte und Huld werden mir
folgen alle Tage meines Lebens; und ich
werde wohnen im Hause Jehovas auf immer
d a r."
Nach der köstlichen Schilderung, die unser Psalm gibt,
hat das Schaf alle Ursache, auszurufen: Liebe (im Alten
Testament durch Güte ausgedrückt) und Huld werden mir
folgen alle Tage meines Lebens! Davon ist mein eigener
Lebenslauf das beste Beispiel. Da ist nicht ein einziger Tag,
an dem man nicht an mir zur Verherrlichung des Hirten,
der mich geführt hat, hätte sehen können, was Liebe und
Huld sind! Wenn der letzte Tag meines Lebens hienieden
gekommen ist, dann wird meine Wohnung im Hause Jehovas
sein, solange, wie dieser Welt noch das Tageslicht
leuchten wird! Denn vergessen wir nicht, — die Segnun-
45
gen dieses Psalms gehören den Gläubigen dl.' Alten
Bundes, die ihr Teil auf Erden und nicht, wie wir, im
Licht des ewigen Tages haben!
Aesus, der Pharisäer Simon und
die Sünderin
(Luk. 7, 36—50.)
Die im vorliegenden Abschnitt mitgeteilte Geschichte
beginnt eigentlich schon früher. Wann sie beginnt, können
wir aus den Worten in Vers 47: „sie hat viel geliebt"
entnehmen. Wieso?
Die Wunder- und Liebestaten des Herrn sowie Seine
Sünderliebe waren landauf landab bekannt. In ganz Judäa
und in der ganzen Umgegend redeten die Leute davon,
daß ein großer Prophet unter dem Volke erweckt worden
sei, und daß Gott Sein Volk besucht habe. (Siehe die Verse
46 u. 77 unseres Kapitels.) Vor allem wurde auch vermerkt,
daß dieser Prophet ein Freund von Zöllnern und
Sündern war. (Vers 34.)
Wer durch Beobachtung an anderen oder aus eigener
Erfahrung weiß, was Ode und Leere des Herzens ist, und
was es heißt, sehnsüchtig nach etwas zu verlangen, das
eine Seele zu befriedigen vermag, die genug hat von dem,
was in der Gottesferne zu finden ist; ich sage, wer über
solche Dinge Bescheid weiß, dem geht ein Licht auf darüber,
was im Herzen dieser Frau alles vorgegangen sein mag,
zumal ihr sittlicher Zustand schlecht gewesen war. (Er wird
durch den des verlorenen Sohnes veranschaulicht: ein Leben
sittlicher Ausschweifung lag hinter beiden. (Luk. 15,
13. 30.)) Tritt in solchem Fall zu dem Unbefriedigtsein
46
noch das Bewußtsein der Sündenschuld, so wird aus der
Sehnsucht nach etwas Befriedigendem ein inbrünstiges
Verlangen nach vergebender Liebe.
Andem Punkt war die Frau in der Stadt, die eine
Sünderin war, bereits angelangt. Auch über sie war Freude
im Himmel vor den Engeln Gottes gewesen. Denn bezeugt
nicht die ganze Begebenheit, daß wir es hier mit einem bußfertigen
Menschenkind zu tun haben? Weshalb sonst ihre
Tränen? Ein solcher Seelenzustand aber ist nichts anderes
als Buße, als Sinnesänderung.
Auf der Erde, im Hause Simons, des Pharisäers,
geht nun die Geschichte weiter, die sich bis dahin in einem
Menschenherzen und im Himmel abgespielt hatte. Und da
dürfen wir Zeugen davon sein, wie Gott lenkte.
Da, im Hause Simons, war der Prophet, von Dem
sie wußte, einer, der mehr als ein gewöhnlicher Mensch sein
mußte, der den Friedeleeren, den Ruhesuchenden, den offenbaren
Sündern ein Freund war! „Darf nicht auch ich
Ihm nahen? Wird Er nicht um das Verlangen meines
Herzens wissen? Sollte Er mich zurückweisen? Wird Er
nicht ein gutes Wort für mich haben? — Ich will's wagen,
in das Haus des Pharisäers zu gehen, sollte man dort
auch mit Fingern auf mich weisen!"
Ich frage: Ist das nicht ein Herz, das liebt, ja, das
viel liebt, und zwar noch ehe es der Art der Aufnahme
gewiß ist? Die Tat, zu der sich die Gefühle ehrfurchtsvoller
Liebe verdichten, gibt die Antwort auf die
Frage.
Billig war das Alabasterfläschchen mit dem Salböl
gewiß nicht gewesen. War es etwa erworben mit dem Erlös
aus dem sündhaften Leben? Wer weiß? Umso ange
47
brachter dann die Verwendung! Ihr Tun nötigt uns staunende
Bewunderung ab. Wir deuteten schon an, daß Mut
dazu gehörte, das vornehme Haus eines sich seines sittlichen
Hochstandes bewußten Pharisäers zu betreten. Aber
dann erst ihr Tun! Man bedenke: Die Füße Dessen, dem
ihre Liebe galt, trugen die Spuren des Straßenstaubes,
denn Ihm war kein Wasser gereicht worden, um Seine
Füße zu waschen. Aber das hindert sie nicht, sie mit ihren
Tränen zu benetzen, mit ihren Haaren, dem Schmuck und
Stolz der Frau, zu trocknen. Und dann küßt sie diese Füße.
Zärtlich küssen ist wohl die treffendste Wiedergabe
des im griechischen Text gebrauchten Wortes. Wie stark
muß die Erschütterung der Gefühle in der Brust dieses
Weibes gewesen sein, daß sie so handeln konnte!
Und der Herr? Was war das alles für Ihn? Was
empfand Er über das Tun des Weibes? War es für Ihn
nicht wie ein Trunk aus dem Bache? (Ps. 440, 7.) Wir
wissen aus etlichen Seiner Äußerungen, wie sehr es Ihm
zu Herzen ging, wie es Ihm Wohltat, wenn Seelen die
rechte Stellungnahme zu Ihm fanden, wenn sie Ihn begriffen.
Denken wir nur an Maria, die zu Seinen Füßen
saß und Ihn später auch salbte; oder an den Samariter,
der mit neun anderen vom Aussatz geheilt worden war,
wie Ihm das Zurückkehren dieses Mannes und seine Dankesbezeugungen
zu Herzen gingen, wie es Ihm eine Genugtuung
war, daß Gott wenigstens durch den einen geehrt
wurde. (Vergl. Luk. 17, 15—19.)
Jesu Worte an Simon zeigen klar, was Ihm das
Tun des Weibes bedeutete.
Zunächst veranlaßt es Ihn, Simon auf seine Taktlosigkeit
Ihm gegenüber hinzuweisen. Erste selbstverständliche
48
Pflicht eines Gastgebers war, dem zu Tisch Geladenen dadurch
seine Achtung zu erweisen, daß man ihm, als von
der Straße kommend, die Möglichkeit gab, sich gereinigt
und erfrischt aufs Polster zu legen. Dazu gehörte Füße-
und Händewaschen, auch Ll, um das Haupthaar damit zu
befeuchten. (Vergl. 4. Mose 48, 4; Pred. y, 8; Ps. 2Z, 5;
Amos 6, 6.) Und wenn die Einladung von Herzen ergangen
war, so empfing der Hausherr den Gast mit einem
Kuß.
Das Tun des Weibes gab dem Herrn willkommenen
Anlaß, dem Pharisäer seine Unterlassung recht eindringlich
zu Gemüt zu führen. Unübertrefflich ist die Art, wie Er
diesen Mann bloßstellt. Zwei große Fehler des Pharisäers
treten bei der Gelegenheit offen zutage. Der eine Punkt:
Der Pharisäer war außerstande, zu begreifen, daß ein Prophet
und Lehrer sich von einem sündigen Weibe dergleichen
gefallen lassen konnte. Der andere: Es fehlte ihm das Bewußtsein
der eigenen Sündhaftigkeit. Deshalb läßt der
Herr ihn durch das Gleichnis von den zwei Schuldnern
und die daran geknüpfte Frage das Urteil über sich selbst
sprechen und führt ihn dahin, es auf sich anwenden zu müssen,
indem Er ihn dem Weib gegenüberstellt: was die eine
getan, hatte der andere zu tun versäumt. (V. 44—47.)
Wie muß das Weib aufgehorcht haben, als der Herr,
mit dem Finger auf sie deutend, den Blick auf Simon gerichtet,
anhob: „Siehst du dieses Weib?"! Wie muß ihr
Herz gepocht haben, als sie ihr Tun s o anerkannt sah! Und
wie muß sie den Atem angehalten haben, ob sie denn auch
recht höre, als der Herr hinzufügte: „Deswegen ...:
Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt"!
Das übertraf ihre kühnsten Erwartungen. Das
49
brachte ihre Liebe zum überströmen. Sie spricht kein Wort.
Aber in ihrem Herzen wird es gewogt haben von Gefühlen
und Gedanken. Ihr Gedankengang wird unterbrochen durch
die Anrede an sie selbst: „Deine Sünden sind vergeben!
... Dein Glaube hat dich errettet; geh hin in Frieden"!
Was ist das, ihr „Glaube"? Ich denke, eben die Tatsache,
daß ihr Herz aus dem Bewußtsein der Sündhaftigkeit
heraus und der Sehnsucht nach einem anderen verstehenden
Herzen sich zu Ihm hinwandte und Ihm, von dem
sie verstanden zu werden hoffte, erwies, was die Begebenheit
berichtet.
Können wir uns in ihre Stimmung hineindenken, in
der sie das Haus des Pharisäers verlassen haben wird?
„E r hat's gesagt! Hat gesagt: „Deine Sünden sind vergeben!"
Hat gesagt: „Geh hin in Frieden!""
Es ist der Mühe wert, zu fragen: Schwingt unser
Herz nicht mit dem ihrigen, wenn wir solches lesen oder hören?
Oder lesen und hören wir's so oben hin, wenn wir
ihm auch zustimmen mögen? Wie groß wäre unser Verlust,
wenn das Wort: „Wem wenig vergeben wird, der
liebt wenig", auch uns gälte, wenn wir damit zufrieden
wären, der Vergebung unserer Sünden sicher zu sein! Gewiß,
wir glauben an den Herrn Jesus, wir blicken auf das
Kreuz, wir glauben dem Zeugnis Gottes, das Er zeugt
über Seinen Sohn. Aber ist das alles? Hat unser Herz
nicht mehr für Ihn? nicht das brennende Verlangen,
Ihn vielzu lieben und es Ihm zu beweisen, wo und wie
es nur geht? Ist das nicht der Fall, so schätzen wir die Vergebung
als etwas Geringes ein, und die Folge ist: Wir lieben
wenig. Nicht, als ob wir überhaupt nicht liebten, aber
zu einem „viel lieben" kommt es nicht, weil das diesbe
so
zügliche Empfindungsvermögen sich nie recht entwickelt,
oder weil es nachgelassen hat.
Das sollte nicht sein! Er ist es wert, mit viel Liebe
wiedergeliebt zu werden, Er, der uns zuerst geliebt hat.
Ein Mensch in Christo
Gott hat uns in Seinen Sohn versetzt. Er hat uns in
Ihm verborgen. So wie Jehova einst Moses in die Felsenkluft
stellte, so hat Gott uns in Christo unseren Platz angewiesen.
Bin ich in Christo verborgen, so kann es für
mich keine Verdammnis mehr geben, denn könnte Gott die
verdammen, die in Seinem Sohne sind? Könnte Er an
Ihm etwas zu tadeln finden? Einen Menschen, der in
Christo ist, vermag Satan nicht anzutasten. Versuchte er es
— es würde seine eigene Verdammnis nur größer machen.
Für mich, einen Menschen in Christo, gibt es keine mehr.
Ich frohlocke in Christo als einem lebendigmachenden
Geiste. Ich danke es Ihm nicht nur, daß Er mich aus dem
Bereich Satans herausgeführt hat, sondern ich erfreue
mich in Ihm als Dem, mit welchem ich schon im Leben vereinigt
bin, nachdem Er als der auf Golgatha Gekreuzigte,
als der aus den Toten Auferstandene und zur Rechten Gottes
Erhöhte mich durch Seinen Geist lebendig gemacht hat.
Mag auch allem, was von dem ersten Adam in mir ist, der
Todesstempel aufgeprägt sein, so hat doch der Geist des
Lebens in dem letzten Adam „mich freigemacht von dem
Gesetz der Sünde und des Todes". Ich erkenne und genieße,
daß Christus mein Leben ist. Der Strom des Lebens
fließt von Ihm auf mich hernieder und führt mich in den
Geist des Lebens ein, weil der Geist Gottes in mir wohnt.
— 5r —
Christus ist der geschlagene Fels, aus dem einst die
Wasser strömten, die dem dürstenden Volk in der Wüste
das Leben gaben. Von Ihm strömt das lebendige Wasser
in meine Seele und gibt Zeugnis von himmlischen Dingen.
Und wenn der Geist auch noch in einem Leibe wohnt, der
„tot ist der Sünde wegen", so genießt ein solcher dennoch
im Herrn eine „unaussprechliche und verherrlichte Freude".
Sosolltees sein. Aber ach, wo ist die unaussprechliche
Freude der ersten Christen geblieben? Weshalb wird sie von
uns heute oft so wenig genossen? Weil wir nicht gelernt
haben, den ersten Adam für den letzten aufzugeben und so
zu wandeln, wie die ersten Christen gewandelt haben. Nehmen
wir nicht bei uns den Mangel des Wirkens des
Heiligen Geistes wahr? Sehen wir nicht das Fehlen eines
Wandelns in himmlischer Gesinnung? O wir sind in
uns selbst ein so harter Fels. Werden wir nicht von allem,
was in Christo ist, durchdrungen, so bleibt das eigene Ich
bestehen. Und welch eine Rolle spielt dieses eigene Ich in
uns und in unserer Mitte! Ach, daß wir uns so vielfach damit
begnügen, errettet, Christen zu sein! Sollte nicht die
Sprache eines jeden von uns lauten: „Mag auch sonst niemand
himmlisch gesinnt sein, ich sollte und möchte cs sein!
Mögen auch andere nicht voll Heiligen Geistes sein, ich
sollte und möchte es sein"? Laßt uns nur kein leichtfertig
Spiel treiben mit den aus Gnaden empfangenen Gütern!
Gott hat uns eine Freude geschenkt, die unsere Seelen bis
zum Überströmen füllen kann und wird, wenn wir, ja,
wenn wir nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste
wandeln. Nichts trübt die Freude Christi, den wir mit aufgedecktem
Angesicht anschauen dürfen. Keine Wolke verhüllt
Ihn vor unseren Augen, und unsere Segnung ist wie
52
die Seinige. Möchten wir doch dem Wirken des Heiligen
Geistes nicht im Wege stehen! Seine Macht will so in uns
wirken, daß wir die Fülle der Segensquelle in Ihm kennen
und Gott vertrauen lernen, der uns erquickende Wasser genießen
lassen möchte, die dem Sohne Seiner Liebe ent-
quillen.
Bekanntlich ist eS Petrus, der in seinem ersten Bries
von dem Genuß der „unaussprechlichen und verherrlichten
Freude" schreibt. Dieser Mann hat für sich erfahren,
was es ist, in den Pfaden des Lammes Gottes zu wandeln.
In diesen Pfaden, Pfaden „des Gehorsams", vermochte
er Ihn zu bewundern und anzubeten, der selbst als
der vollkommen Gehorsame allzeit den Willen des Vaters
erfüllt und bei jedem Schritt etwas von den Absichten
des Vaters kundgetan hatte, und dies in einer Weise,
daß dabei auch die Schönheit und Herrlichkeit des Eingeborenen
vom Vater ans Licht traten. Also hinter Jesu verborgen,
war er fähig, das durch Sein Licht erhellte Trä­
nental zu durchschreiten.
Eine andere Seite des Wandelns hienieden finden wir
bei Johannes, wenn er die Offenbarung schreibt. Als
Schreiber seines Evangeliums wird sein Herz, wie vielleicht
kaum eines zweiten der zwölf Apostel, fortgerissen
von der Bewunderung und der Anbetung Dessen, der in
Herrlichkeit und Gnade Seinen Weg durch diese Welt
ging. Aber als Schreiber der Offenbarung finden wir ihn
als einen „Mitgenossen in der Drangsal in Jesu", der die
Gemeinschaft der Leiden des Herrn Jesus kennen zu lernen
hat. Als ein nach dem einsamen Patmos Verbannter und
scheinbar von jedem Dienst Ausgeschlossener war sein
53
Teil, zu leiden. Aber er konnte sagen: „Ich war auf der
Insel, genannt Patmos, um des Wortes Gottes
und des Zeugnisses Jesu willen". Um Jesu
willen in der Trübsal sein, ist kostbar, ist ein Vorrecht.
Johannes betrachtete es so. Aber wie steht's in dieser Hinsicht
mit uns? Mit einem treuen Zeugnis ist mancherlei
Aufgeben verbunden. Würden wir z. B. ein entschiedeneres
Zeugnis von der Wahrheit ablegen, daß alle Macht auf
Erden und im Himmel dem Herrn Jesus gegeben ist, so
würden wir als Toren betrachtet werden, und der Zorn der
Welt würde sich mit derselben Heftigkeit wider uns richten
wie damals, als die Volksmenge Ihm als dem König
der Inden huldigte. Auf den Schauplatz, wo Jesus verworfen
wurde, sind wir als Knechte gestellt worden, um
hier das Wort des Lebens darzustellen. Fürwahr, es ist der
Mühe wert, diese Aufgabe zu erfüllen. Dazu bedürfen wir
der Geduld in den Trübsalen und des Ausharrens, um den
Willen des Herrn kennen zu lernen. Wir sind wie Johannes
„Mitgenossen in der Drangsal und dem Königtum
und dem Ausharren in Jesu". Das Bewußtsein,
daß wir dies „in Jesu" sind, vermag allein uns in allen
Lagen aufrecht zu erhalten, und aus der Hand des Vaters
empfangen wir dann jede Segnung, während wir bei den
Menschen nichts als Herzeleid und ein Patmos finden.
Mit Christo lebendig gemacht zu sein, ist etwas ganz
Großes, ein Vorrecht, dessen würdig zu wandeln sich wahrlich
lohnt, so daß jeder, dem diese Gnade zuteil geworden
ist, sich tagtäglich ganz persönlich fragen sollte: Wandle
ich in dieser Weise? Wache ich über die Gedanken meines
Herzens, so daß sie den Beifall Gottes finden, in Dessen
54
untrüglichem Licht ich mich zu prüfen habe, und in Dessen
Gegenwart mein Platz ist, und zwar nicht als ein Fremder,
sondern als ein Sohn? Gehe ich meinen Weg als ein
Mensch, der vom Kreuz zur Herrlichkeit wandert? Ich
glaube, daß nichts besser das Maß der Kraft und Stärke
des geistlichen Lebens in uns kennzeichnet als die Art und
Weise, in der wir alles, nicht nur das in Wort und Werk
zutage Tretende, sondern auch die im Innern verborgenen
Quellen, unsere Gedanken und Beweggründe, richten und
verurteilen. Manche Handlung wirkt gar schön und macht
an und für sich dem, der sie begeht, alle Ehre. Trotzdem
kann die Quelle, aus der sie hervorgeht, durch Eigennutz
getrübt, kann die Triebfeder Christi ganz und gar unwürdig
sein. Ach, unsere Herzen sind so arglistig! Auch betrügen
wir leicht uns selbst. So reden wir von der Freude, in
dem Werke Christi zu ruhen, und dabei entspricht unser
Wandel keineswegs der Stellung, in die uns dieses Werk
versetzt hat. Wir reden vom Gestorbensein mit Christo und
lassen dabei dem eigenen Willen die Zügel schießen. Gott
helfe uns, diese Widersprüche in unserem Leben zu erkennen
und das Böse zu richten! Denn wenn wir uns nicht
selbst richten, muß Er es tun. Unsere Stellung in Christo
ist überaus gesegnet, hoch und herrlich. Uns ihrer bewußt,
sollten wir als solche, die in dem Lichte weilen, wie Er in
dem Lichte ist, und die befähigt sind, zu erkennen, was
Christo gefällt oder was Seiner unwürdig ist, uns einerseits
selbst rein erhalten von jeder Befleckung und anderseits
für andere ein rein und klar leuchtendes Licht sein
und bleiben.
55
Weltliebe
Es gibt kein wahres Glück, auch nicht für solche, die
nicht nur dem Namen nach Christen sind, solange noch
der Liebe zur Welt oder zum eigenen Ich nachgegeben
wird. (1. Ioh. 2, 15. 16.) Wir können nicht wirkliche
Ruhe und wahre Freude genießen, solange wir nicht mit
der Liebe zur Welt gebrochen und gelernt haben, daß es unsere
Sache ist, nur Dem zu leben, der für uns gestorben ist
und ist auferweckt worden. Ist unser Sinnen und Trachten
auf die Welt gerichtet, folgen wir den Neigungen und
Wünschen der alten Natur, so brauchen wir uns nicht zu
wundern, wenn wir Enttäuschungen erleben. Aber wie muß
uns erst zumute sein, wenn einmal unser Leben sich dem
Ende zuneigt, und wir uns beim Rückblick auf das verflossene
Leben gestehen müssen, daß diese Welt, deren Fürst
und Gott Satan ist, es war, die unser Herz heimlich so
geliebt hat; diese Welt, die Den gehaßt und verworfen
hat. Dem wir alles verdanken, was wahren Wert besitzt:
ewiges Leben und ewige Glückseligkeit! Wie schwer
werden die Stunden eines Christen sein, der sich auf dem
letzten Lager sagen muß: Ich habe mich selbst geliebt statt
meinen Herrn! Ich habe meinen Vorteil gesucht statt Seine
Ehre! Ich habe die mir von Gott gestellte Aufgabe nicht erfüllt!
Lot vergleichbar, der seine gerechte Seele quälte mit
den gesetzlosen Werken der Menschen, in deren Mitte er sich
nach eigener Wahl begeben hatte, habe ich dieses Leben verbracht,
und für das zukünftige habe ich keine Schätze gesammelt!
56
Sienst am Vstort
KW du erfüllt dich von dem Geist der Wahrheit,
Daß du in Seinem Dienst mit vielem Freuen
llnd Segen wirken kannst, wozu die Klarheit
Von Seinem Licht dich täglich will erneuen:
Dann stell dich voll und ganz in Sein Geleit,
Und übe treuen Dienst in dieser Zeit.
Bist voll des Wissens du, kannst andre lehren,
Dann prüfe, ob dich treibt der Geist der Liebe,
Damit nicht endlich gar den Rücken kehren
Du mußt dem Arbeitsfeld, das leer und trübe
Geblieben ohne kseil'gen Geistes Wehn,
Und du — beschämt — wirst leer ausgehn.
Erfüllt dich froher, freud'ger Mut zum Dienen,
Und stählet Manneskraft dir dies Begehren, —
Erwäg', ob fleißig du, so wie dis Bienen
Am ÜZuell den ksonig saugen zum verzehren,
Das Nöt'ge dir erwirbst bei Tag und Nacht,
Um dann zu Lienen durch des Wortes Macht.
Fühlst du dich schwach, so hol' am Thron der Gnade
Dir stets aufs neue Trost und Kraft und übe
Dich auf Les großen Meisters Pilgerpfade,
Nach Ihm dich bildend in dem Geist der Liebe:
Und Seins Gnade laß genügen dir,
Zu schmücken dich mit Seiner Lehre Zier.
Doch steht dein großes Ich im Vordergrunds,
Sind Ehre, Ansehn deines Wirkens Triebe,
Dann gibt es keinen Balsam für dis Wunds
Und keinen Trost kostbarer bseilandsliebe.
Dann mög' in Gottes Licht dir werden kund,
Daß dir geziemt, zu heil'gen deinen Mund.
Eingesandt.
„Glückselig der Mensch, der sich
beständig fürchtet"
Die Geschichte des Menschen ist von ihrem Anfang an
bis zum heutigen Tage auch eine Geschichte des Versagens
und Fehlens gewesen. Alles, was Gott gemacht oder neu
errichtet hat, hat der Mensch, nachdem eS ihm in die Hand
gegeben war, in kurzem gering geachtet, vernachlässigt und
verdorben. *) Wo immer die Heilige Schrift von göttlich
gewirktem Gutem berichtet, sehen wir dies gar bald in Verfall
geraten, wenn es menschlicher Verwaltung übergeben
und menschlicher Verantwortung unterstellt wird.
*) Lin Trost bleibt uns: In Lhristus, dem vollkommenen
Menschen, dem Menschen der Ratschlüsse Gottes, wird einmal alles,
was der Mensch verdorben und verwirkt bat, in vollkommen ­
ster Meise nicht nur neu errichtet, sondern auch aufrechterbalten
werden.
I-XXXIM
In fast auffälliger Weise tritt uns obige Erscheinung
beim Lesen und Betrachten der Bücher Josua und Richter
entgegen. Während wir in dem ersten Buche das wunderbare
Wirken Gottes inmitten Seines Volkes Israel beobachten
und hier — mit wenigen Ausnahmen — ein Seinen
Anordnungen Folgeleisten wahrnehmen in Abhängigkeit
und Gehorsam, sehen wir in dem zweiten den Menschen
am Werk, und sofort gibt sich Vernachlässigung des
Wortes und der Anordnungen Gottes sowie ein Befolgen
des eigenen Willens kund, das in völliger Zügellosigkeit
endet.
Die Zeit, von der das Buch Josua berichtet, war eine
Zeit großer Glaubenskraft, die die mächtige Dazwischen­
3
58
kunft Gottes zugunsten Seines Volkes zur Folge hatte,
gemäß der diesem gegebenen Verheißung. Unter der Führung
Josuas, „eines Mannes, in dem der Geist war",
(4. Mose 27,18) ging das Volk Israel, nachdem es den Jordan
durchschritten hatte, und die Mauern Jerichos, des ersten
Bollwerks des Feindes, „durch Glauben" gefallen wa­
ren, von Sieg zu Sieg. (Die einzige Ausnahme von dieser
Regel — die Niederlage bei Ai — hatte ihre Ursache in
Ungehorsam und Selbstvertrauen.) Ein Teil des verheißenen
Landes nach dem anderen fiel in die Hand Israels,
nach dem Wort Jehovas an Moses: „Jeden Ort, auf den
eure Fußsohle treten wird, euch habe ich ihn gegeben". (Jos.
1, Z.) Herrliches Ergebnis des Gehorsams, sowie der unwandelbaren
Treue Gottes!
Doch wie völlig verändert ist die göttliche Schilderung
im Buche der Richter! Statt Sieg fast nur Niederlage auf
Niederlage. Statt daß die Kinder Israel ihre Feinde ausrotteten
oder austrieben, bedrängten diese die Israeliten,
nachdem sie sie in dem ihnen von Gott geschenkten Lande
hatten wohnen lassen, und wurden ihnen „zu Stacheln in
ihren Seiten". Die Ursache dieser großen Veränderung war
der innere Zustand des Volkes: Mangel an Gottesfurcht,
infolgedessen Unabhängigkeit von Gott und Ungehorsam
gegen Ihn, und dementsprechend die Tätigkeit des eigenen
Willens. Treffend wird dieser Zustand mit den Worten beschrieben:
„Sie wichen schnell ab von dem Wege, den Geboten
Jehovas zu gehorchen", und: „Ein jeder tat, was
recht war in seinen Augen".
So unerwartet und auffallend dieser schmerzliche
Wechsel in der Geschichte des Volkes Gottes uns nun auch
vorkommen mag — am Schluß des Buches Josua wird
Sy
bereits sehr deutlich darauf hingewiesen. Dort heißt eS:
„Und Israel diente Jehova alle Tage Josuas und alle Tage
der Ältesten, welche ihre Tage nach Josua verlängerten,
und die das ganze Werk Jehovas kannten, das Er für Israel
getan hatte". (Kap. 24, 3t.) Diese Stelle ist überaus
beachtenswert, und zwar nicht nur in bezug auf die
Geschichte Israels. Sie enthält eine ernste Warnung und
Mahnung zu unermüdlicher Wachsamkeit für alle, die jemals
an die Stelle von Persönlichkeiten getreten sind, die
in Zeiten großer geistlicher Erweckungen gelebt und in ihnen
eine starke geistliche Kraft und Hingabe für den Herrn
geoffenbart haben. Solange Josua und die Ältesten lebten,
„die das ganze Werk Jehovas kannten, das Er für Israel
getan hatte", Männer, die Gott persönlich gekannt und
Seine mächtigen Taten geschaut hatten, wurde das Volk
durch ihren Glauben und ihre geistliche Tatkraft beeinflußt
und mitfortgerissen. Als jene aber vom Schauplatz abtraten,
trat der Mangel an eigener Glaubenskraft und an
Hingebung an den Willen Gottes in Erscheinung, und die
Folge war Abweichen von Gott und Niedergang. Wohl
fanden in späteren Tagen neue Erweckungen statt. Sobald
aber der Richter gestorben war, den Gott jeweils in Seiner
Gnade dazu benutzt, und der durch seinen Glauben das
Volk mitfortgerissen hatte, sank dieses nicht nur wieder in
den alten Zustand zurück, sondern verfiel meist in einen
noch schlimmeren. Innerlich war dieser Zustand gekennzeichnet
durch religiöses und sittliches Verderben, äußerlich
durch Geknechtetsein unter die Feinde.
Diese Erscheinungen in der Geschichte Israels, des
verantwortlichen irdischen Volkes Gottes, sind sehr lehrreich
im Blick auf die Kirche Christi, die Gott verantwort
60
liche Körperschaft in der Jetztzeit. Hier wie dort dieselbe
schmerzliche Wahrnehmung. Der Anfang der Geschichte
der christlichen Kirche hat eine auffallende Ähnlichkeit
mit dem Bericht im Buche Josua über das Volk Israel,
ihr Verlauf mit dem, was das Buch der Richter über
jenes Volk mitteilt. Kraftvoll durch das Herniederkommen
des Heiligen Geistes auf Erden gegründet, wirkte des Geistes
Macht in ihr, um ihre Glieder von der Welt und ihren
Dingen zu lösen (indem Er sie lehrte, ein System als feindlich
zu betrachten, das ihren Herrn Christus verworfen
hatte), und um sie mit dem Himmel zu verbinden. Die ersten
Christen waren äußerlich wie innerlich von der Welt
getrennt: Sie bekannten, daß sie Fremdlinge hienieden waren,
und ihr himmlisches Bürgertum war ihnen Wirklichkeit.
Aber schon bei Lebzeiten der Apostel, ganz besonders
aber nach deren Abscheiden, ließen die geistliche Kraft und
Frische bedenklich nach, und dieser Zustand nahm immer
mehr zu, bis die Kirche schließlich dort wohnte, „wo der
Thron des Satans ist", und selbst wieder „die Welt"
wurde, die als solche von Christus gerichtet werden wird.
(Vergl. *l. Thess. 5, 2 u. Z mit Offbg. Z, Z.) Wohl gab
der Herr in Seiner Gnade auch in der Kirche zu verschiedenen
Zeiten Erweckungen, indem Er ihr bedeutende Glaubenszeugen
schenkte, durch deren treuen Dienst viele gewonnen
und dem sie umgebenden Verderben entrissen wurden.
Wenn man aber diese großen Bewegungen etwas näher
betrachtet, so nimmt man nicht nur wahr, daß sie in
der Größe des Erfassens der geistlichen Vorrechte bei weitem
nicht der ersten Zeit gleichkamen oder die geistliche
Kraft jener Zeit erreichten, sondern daß sie, sobald jene
Glaubenszeugen die Erde verlassen hatten, sehr bald an
61
Kraft einbüßten. Ein Schulbeispiel für diese Behauptung
ist die protestantische Kirche. Welche Kraft in der Zeit der
Reformation! Aber welche Kraftlosigkeit gar nicht viele
Jahrzehnte später! Und bietet sich nicht ein ähnliches Bild,
wenn man die verschiedenen Benennungen und Gemeinschaften
betrachtet, die durch treue, hingebende Glaubens-
männer ins Leben gerufen wurden, Männer, die sich mit
dem, was sie in der protestantischen Kirche fanden, aus
Gewissensgründen nicht eins erklären konnten, da es nicht
mit dem Worte Gottes übereinstimmte?
Und wie im Großen, so kann man's auch im Kleinen
finden. Wie ist's in mancher Familie zugegangen? Die
Großeltern oder Urgroßeltern sind durch die Gnade Gottes
aus der Welt und dem ewigen Verderben, dem sie entgegengingen,
herausgerissen worden. Jene hatten in der
Kraft des Glaubens Eifer, Entschiedenheit und Hingabe
für Christus gezeigt, um Seinetwillen viele Vorteile aufgegeben
und manche Leiden erduldet. Durch ihr treues
Zeugnis wurden nicht nur ihre Kinder, sondern auch manche
andere Angehörige für den Herrn gewonnen. In der Regel
waren auch noch die Kinder, die mehr oder weniger an
den Glaubensübungen der Eltern teilgenommen hatten,
hingebende, treue Christen. Kommt man aber zu dem dritten
Gliede, so muß man häufig genug ein bedenkliches
Nachlassen der geistlichen Kraft und Frische, die sich bei den
Eltern und Großeltern zeigten, feststellen, verbunden mit
mehr oder weniger starker Verweltlichung. Äußerlich mag
noch das Bekenntnis der Väter festgehalten werden. Aber
die innere Kraft ist dahin. Sehen wir letzteres nicht besonders
deutlich bei den Nachkommen jener treuen Christen,
die zu ihren Zeiten in den verschiedenen Ländern um ihres
62
Glaubens willen Heimat, Stellung, Haus und Hof hatten
preisgeben müssen?
Wir haben allen Grund, uns die Beobachtungen aus
der Heiligen Schrift und der Geschichte, wie wir sie oben
andeuteten, zu eigener Belehrung und Warnung dienen
zu lassen. Schreiber dieser Zeilen wie auch viele Leser deö
„Botschafter" sind nicht, wie man sich auszudrücken pflegt,
mitten aus der Welt herausgenommen worden. Wir sind
durch gläubige Eltern mit den göttlichen Wahrheiten, die
jene durch hingebendes Forschen unter Glaubensübungen
in der Schrift gefunden hatten, bekannt gemacht und in sie
hineingeführt worden. Wir wurden durch ihre Glaubenskraft
mitfortgezogen, folgten ihnen auf dem Glaubenspfade
und konnten die Früchte von dem ernten, was sie sich,
oft genug unter großen Opfern, erkämpft hatten. Für uns,
die wir diese Vorrechte so leicht erlangt haben, besteht dieselbe
Gefahr, die vorhin beschrieben worden ist. Weil wir
das Werk, das Gott zur Zeit unserer Vorfahren und teilweise
durch sie getan hat, nicht miterlebt, sondern es nur
gelernt, übernommen haben, so kann es leicht sein, daß
wir diese Wahrheiten nicht so schätzen wie jene und sie deshalb
auch leicht, ganz oder teilweise, preisgeben. Auch ist
es vielfach so, daß man herrliche Wahrheiten, die man bekennt,
nicht völlig mit dem Herzen erfaßt hat, daß sie nicht
persönliches inneres Eigentum geworden sind und infolgedessen
auch nicht Kraft genug geben, um den starken Strömungen
der Welt und Zeit auf religiösen und anderen Gebieten
zu widerstehen. Es ist nämlich ein großer Unterschied,
ob man selbst in der Kraft des Glaubens lebt und durch sie
vorwärts getrieben wird, um so immer mehr die damit verbundenen
Vorrechte zu erfassen und innerlich zu genießen.
63
oder ob man durch den Glauben anderer mitfortgerissen
wird und man das, was andere sich mit Fleiß, Selbstverleugnung
und oft unter Preisgabe äußerer Vorteile erworben
haben, mühelos erlangt hat, ohne sich dessen wirklich
zu erfreuen und von Herzen dafür dankbar zu sein. Für jeden,
auf den letzteres zutrifft, kann das Wort des Herrn
leicht in Erfüllung gehen: „Wer irgend nicht hat, von
dem wird selbst, was er zu haben scheint, genommen werden".
(Luk. 8,18.)
Prüfen wir uns alle ernstlich, ob wir nicht zu denen
gehören, deren Glaube solch schwache, nicht tiefgehende
Wurzeln hat, und ob unser Bekenntnis nicht mehr ein
Nachreden anderer als eigene, tiefe Überzeugung ist! Müssen
wir diese Prüfung in Gottes untrüglichem Licht mit Ja
beantworten, so haben wir alle Ursache, „Furcht" und großes
Mißtrauen gegen unser „Feststehen" zu haben. Nichts
ist gefährlicher, als sich hoher Wahrheiten zu rühmen, die
man innerlich kaum erfaßt hat und noch weniger genießt.
Und in jedem Fall ist es weit besser, bescheiden zu sein und
sich der Wahrheit des Apostels zu erinnern: „Wer zv stehen
sich dünkt, sehe zu, daß er nicht falle", oder auch jener
anderen: „Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich!"
(i. Kor. 10, 12; Röm. ii, 20.)
Wie entgehen wir nun der uns drohenden Gefahr —
sie besteht für uns alle —, und welches sind die Mittel,
um uns vor dem Niedergang zu bewahren, oder besser gesagt,
den bereits eingetretenen Niedergang aufzuhalten und
einen neuen Aufstieg zu ermöglichen? Das erste Erfordernis
scheint mir Furcht voruns selbst zu sein, denn
Sicherheit ist ein gefährliches Übel. Der Feind schläft nie.
Stets ist er auf dem Plan, um uns Schlingen zu legen, und
64
da unser Glaube im allgemeinen wenig durch größere Proben
geübt worden ist, werden seine Angriffe uns umso gefährlicher.
Sodann ist eine tiefe, persönliche Gottesfurcht
notwendig. Wir sollten lernen, alle Dinge, mit denen wir
in Berührung kommen, durch das heiligende Bewußtsein
Seiner Gegenwart zu beurteilen. In Verbindung hiermit
ist es unbedingt erforderlich (was eigentlich selbstverständlich
ist, aber woran immer wieder erinnert werden muß),
Gottes Wort unter viel Gebet zu erforschen — wobei man
auch die guten Schriften treuer, bewährter Knechte Gottes
als vortreffliche Hilfsquellen benutzen kann —, damit wir
das, was gleichsam von unseren Vätern als ein Familiengut
auf uns übergegangen ist, oder was hingebende, begabte
Diener des Herrn uns als ein Vermächtnis zurückgelassen
haben, für uns selbst erwerben. Wie ganz anders schätzt
und genießt man persönlich Erworbenes als nur Geschenktes!
Beachten wir diese Hinweise, so wird die Wahrheit auch
für uns eine Quelle der Kraft werden, vorausgesetzt — laßt
uns auch dies nicht vergessen! —, daß ihr Erforschen mit
einem Wandel in ihr und einem innigen Gebetsleben verbunden
ist. Statt sie preiszugeben, werden wir dann immer
mehr in ihr befestigt werden und uns darüber freuen „wie
einer, der große Beute findet".
Der Herr helfe uns, daß wir das, was Er uns anvertraut
hat, nicht verlieren, sondern in Demut und in Abhängigkeit
von Ihm bewahren, bis Er kommt! Er mache
uns auch allen klar, daß wahre Beugung vor Ihm das
Gebot der Stunde ist! Daß der Niedergang in unserem engeren
Kreise bedenkliche Formen angenommen hat, wird
kaum von Einsichtigen geleugnet werden. Was es da für
den einzelnen, auch den Treuesten, zu tun gibt, zeigt ergrei-
65
send das Beispiel Daniels, des vielgeliebten Mannes. Trotz
der eigenen bewiesenen Treue machte er sich völlig eins mit
der allgemeinen Sünde, Verkehrtheit und Gesetzlosigkeit
seines Volkes, indem er sie als eigene Schuld bekannte.
Auf ein solches Gebet konnte Gott antworten.

(Matth. 11, 27.)
Aus einem alten Brief
Unser Herr und Heiland war Mensch, so wahr und
wirklich, wie wir Menschen sind, doch ohne Sünde, auf
wunderbare Weise durch göttliche Kraft gezeugt. Ja, mehr
noch, Er war „Gott, geoffenbart im Fleische".
82
Indem ich dies sage, möchte ich Sie aber dringend davor
warnen, die Person unseres hochgelobten Heilandes
zu zergliedern oder ihr Geheimnis zum Gegenstand vernünftelnder
Erwägungen zu machen. Das würde nämlich
den Wohlgeruch Christi für Sie zerstören, und an seine
Stelle würden fruchtlose, menschliche Gedanken treten, die
die Liebe Ihres Herzens zu Ihm nicht fördern. Für den
Menschengeist, der ja nur mit menschlichen Mitteln arbeiten
kann, ist dieser Gegenstand wie ein Irrgarten. Es ist,
wie wenn man den Leib eines Freundes zerstückeln würde,
anstatt daß man sich seiner Liebe und Vortrefflichkeit erfreut.
Es ist sehr traurig und eins der bedenklichsten Kennzeichen,
die sich in der Kirche Christi zeigen können, wenn
Gläubige in solche Dinge hineingeraten. Ich bin so tief von
der völligen Unfähigkeit der Menschen, in dieses Geheimnis
einzudringen, überzeugt, sowie davon, daß es nicht die
Absicht des Heiligen Geistes ist, uns über die Art der Vereinigung
von Gottheit und Menschheit in Christus zu belehren,
daß ich ohne weiteres zugebe, selbst schon im Sprechen
über diesen Gegenstand zu weit gegangen zu sein, so
ernstlich ich auch wünsche, dies zu vermeiden.
Daß Er wahrhaft Mensch, der Sohn des Menschen,
und als solcher abhängig von Gott war und ohne Sünde
in dieser Stellung der Abhängigkeit verharrt hat, und daß
Er zugleich wahrhaft Gott war in all Seiner unendlichen
Vollkommenheit, diese Überzeugung ist mir teurer als mein
Leben. Doch weiter zu gehen in der Bestimmung Seiner
Person und Seines Wesens, maße ich mir nicht an. „Niemand
erkennt den Sohn, als nur der Vater." Gegen al­
les, was die eine oder andere dieser Wahrheiten schwächen
oder Ihn, der ihr Gegenstand ist, verunehren könnte, wür
83
de ich mit aller Entschiedenheit Stellung nehmen, so wie
Gott mich dazu berufen mag.
Möge Gott Ihnen schenken, alles im Glauben anzunehmen,
was das Wort uns in bezug auf Jesus sagt!
ES ist unsere Speise und Kraft, das zu erfassen, was der
Geist uns von Ihm zu verstehen gegeben hat. Möchten wir
aber nie das mit unserem Verstand zu erfassen suchen,
was Er uns nicht zum Zergliedern, sondern als Gegenstand
der Anbetung gegeben hat, als Gegenstand, von dem
wir uns nähren sollen und den, nach der Gnade und Wirksamkeit
des in uns wohnenden Heiligen Geistes, in unserem
Leben darzustellen unsere Berufung ist. I. N. D.
Gedanke
Wenn ein Mensch es fertig bringt, irgendeine böse
Gewohnheit abzulegen, sei es Übles Nachreden, Lügen, Fluchen,
Trinken, oder was es sein mag, so wird er meist,
wenn nicht immer, etwas dagegen eintauschen, das schlimmer
ist als das Abgelegte. Er beginnt nämlich, etwas von
sich zu halten, wird hochmütig und eigengerecht.
Wenn aber Gott einen Verleumder, Lügner, Flucher
oder Trinker usw. umwandelt, dann geschieht es so, daß
von jenem Menschen gesagt werden kann: „Das Alte ist
vergangen, alles ist neu geworden".
Kragen aus dem Leserkreise
Vas will „ein gewaltiger Jäger vor Jehova" (s. Mose sO,
8. 9) sagen?
Um in der Beantwortung dieser Frage zu einem einigermaßen
gesicherten Ergebnis zu kommen, müssen wir unser Augenmerk auf
die Menschen und Umstände der damaligen Zeit richten.
84
Label, dessen Entstehung im ss. Rapitel berichtet wird, war
der Anfang von Nimrods, des gewaltigen Jägers, Reich. Also
bestand Babel zu Nimrods Zeit. Weiter ist zu bemerken, daß Nimrod
kein leiblicher Lohn Ruschs war. Dessen leibliche Löhne werden
in Vers 7 genannt. Daß es dann noch besonders heißt: „Rusch
zeugte Nimrod", will sagen: er zeugte ihn durch seine Nachkommen.
Nimrods Abstammung wird so dargestellt, daß er durch nur
e i n Zwischenglied von jenem Dani getrennt ist, der den häßlichen
Charakter der Schamlosigkeit und Schadenfreude seinem betrunkenen
Vater gegenüber an den Tag legte. Dieses schlimme Vorzeichen
durch Abstammung wird zu nicht rühmenswerter Erwähnung
von Charaktereigenschaften, die seit der Flut noch nicht dagewescn
waren. Mit diesen Dingen ist Nimrods Name unlöslich verbunden;
cs scheint, daß er nur um ihretwillen genannt wird, denn er wird
nicht wie die anderen als Erzeuger eines Geschlechts aufgeführt.
Sein Name besagt: Seien wir widerspenstig, empörerisch! Ist
die Bedeutung dieses Namens vielleicht so auszulegen, daß er der
Hauptanstiftcr zur Erbauung der Stadt und des Turmes gewesen
wäre?
Zunächst und in erster Linie heißt es von ihm: „E r fing
a n , ein Gewaltiger zu sein auf der Erde". Das Wort Gewaltiger
ist die Benennung für „Rkachtbesitz" in allen möglichen Schattie
rungen: durch physische Stärke, durch Reichtum, Tüchtigkeit, Heldentum,
und auch durch Gewalttätigkeit und Bosheit. Ls wird von
Gott und von Menschen gebraucht, z. B. auch von Doeg in j)s. 52,
s. Nimrod ist der zweite im j. Buch Mose, dem dieser Titel al-
zweifelhafte Ehre beigelegt wird. Lin erstes Mal tragen ihn die
berüchtigten Bastarde aus der Verbindung zwischen Söhnen Gottes
(Elohim) und Töchtern des Menschengeschlechts, jene „Helden,
welche von alters her waren, die Männer von Ruhm gewesen
sind", deren Bosheit das Gericht der Sintflut über die Erde
brachte.
Nimrods verwegener Charakter mochte sich zunächst darin zeigen,
daß er etwa den schädlich werdenden wilden Tieren zu Leibe
rückte. Lin etwas Großes, etwas Außerordentliches sein, wird in
der Schrift gern, in Gutem oder Bösem, mit „vor Gott" oder „vor
Jehova" begutachtet, d. h. Gott, Jehova nimmt gebührend Rennt-
nis davon, (vergl. z. B. s. Mose 6, ss; j3, s3; s7, l.)
Daß anschließend von „seinen: Reich" die Rede ist, von einer
Sache und einem Zustand, die gänzlich neu waren, zeigt unwider-
sprschlich, daß Nimrods Verwegenheit in ein Gewalttätigsein
(v. 8) seinen Mitmenschen gegenüber ausartete. Er war der Weiterführer,
nur in anderer Form, der Gewalttätigkeiten, die vor der
Flut sich breit gemacht hatten, und war so in doppelter Hinsicht
ein „Held im Jagen", wie in Jes. 5, 22 ironisch von „Helden im
Weintrinken" die Rede ist. F. Rpp.
Etwas vom Hochtragen
„Nehmet auf euch mein Joch!" (Matth. 2d.)
Das sagt der Herr, nachdem Er Mühseligen und Beladenen
Sein freundliches: „Kommet her zu mir!" zugerufen
und ihnen bedingungslos Ruhe zugesichert hat. Eö
ist naheliegend, daß den Mühseligen und Beladenen das
Wort: „Nehmet auf euch mein Joch", unmittelbar
nicht gilt, denn sie bedürfen nichts als Ruhe, sehnen sich
danach, und der Herr sagt: „Ich werde euch Ruhe g e -
b e n". Und Er gibt Ruhe für das belastete Gewissen, Ruhe
von jeder Seelenmühsal jedem, der da kommt.
Frei von der Last und Qual der Sünden hört nun der
zur Ruhe Gekommene das Wort Jesu: „Nehmet
auf euch mein Joch". Die Bürden der Vergangenheit ist
er los geworden. Er atmet frei und leicht in der Nähe seines
Heilandes, der ihm Ruhe gab, und ist jetzt fähig, etwas
zu tragen. Freilich muß das gelernt werden, und der
Herr weiß dies, denn Er fügt dem: „Nehmet auf euch
mein Joch", das: „Lernet von mir!" hinzu. Das Tragen
des Jochs, das der Herr hienieden trug, bedeutet für den
bisherigen Bürdenträger etwas Neues, Ungekanntes, etwas,
das seinem alten Wesen fremd ist. Darum: „Lernet
vonmir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig".
Bis dahin mit Bürden belastet, hat der Mensch bei
dieser Mühsal Sanftmut und Demut nicht gelernt. Jetzt
braucht er beides, da es sich darum handelt, mit Ihm z u -
sammengejocht zu sein.
UXXXIlll 4
8b
„Mein Joch!" Was liegt in diesem Wort? Wäre der
Ausdruck „Abhängigkeit" nicht so abgenutzt, so könnte damit
alles gesagt sein. Jesu Joch aufnehmen bedeutet: Sich
hinsichtlich Gesinnung, Wort und Tun unter Gottes
Willen stellen, die eigene Haltung, kurz, den ganzen
Menschen unter Gottes Autorität stellen,
von Ihm abhängig in allem. Das hat unser erhabenes
Vorbild, unser hochgelobter Herr, der Mensch Christus Jesus,
getan, so daß der Vater vom Himmel her Zeugnis
gab: „An Ihm habe ich Wohlgefallen gefunden". Nie hat
ein Erden-Mensch sagen können: „Ich bin sanftmütig und
von Herzen demütig". Diese Eigenschaften sind vielmehr
seinem Wesen so fremd, daß sie ihm verächtlich erscheinen.
Kein Wunder daher, daß ihr vollkommener Träger „für
nichts geachtet wurde".
Wer Jesu Joch aufnehmen will, muß diese, seiner eigenen
Wesensart fremden Eigenschaften vonIhm lernen.
Beim Lernen ist der eine glücklicher daran als der andere.
Einer lernt an sich leichter als ein anderer, und es gibt
Dinge, für die von Hause aus eine gewisse Veranlagung
oder Begabung vorhanden sein kann. Ob das auch im vorliegenden
Falle gilt, bleibe dahingestellt. Sicher aber ist,
daß das „Lernen von Ihm" für den von Hause aus unbotmäßigen,
hochmütigen Menschen unaufhörliche
Übung und Selbstverleugnung erfordert. Auch
bleibt das: „Lernet von mir!" zeitlebens für ihn bestehen,
weil seine Art ihn hindert, auszulernen. Das ist keine erhebende
Feststellung. Im Gegenteil, es ist eine beschämende
Tatsache. Trotzdem: Wohl jedem, der sie anerkennt!
Dem „Nehmet auf euch mein Joch", fügt der Herr
die Verheißung hinzu: „Ihr werdet Ruhe finden für
87
eure Seelen". Hier steht nicht das bedingungslose: „Ich
werde euch Ruhe geben", sondern: „Ihr werdet---------
finden". Nicht Sein Geben, sondern des Jochträ-
gerö Finden wird herausgestellt. Lehrt uns nicht auch
die Erfahrung, daß die Ruhe der Seele gewonnen wird
und erhalten bleibt dem, der in Jesu Joch geht, der
Seine selige und bewahrende Gegenwart in Einfalt verwirklicht?
„Der Mensch, vom Weibe geboren, ist .... mit
Unruhe gesättigt", sagt Hiob. (Kap. 74, 7.) Ihm ist
Ruhe einfremdes Element, und er findet sie erst dann,
wenn er dem Rufe des Menschen vom Himmel folgt, von
Ihm Ruhe empfängt für sein Gewissen und dann seinen
Weg inSeinemJoch weitergeht. Dann findet er Ruhe
für die Seele Tag für Tag in einer Welt voller Menschen,
die mit Unruhe gesättigt sind. Wie wohltuend, solche unter
den Menschenkindern anzutreffen, bei denen die vom Herrn
verheißene Seelen-Ruhe wahrzunehmen ist! Diese Ruhe
ist nicht angeboren. Sie ist nicht Veranlagung, sondern sie
wird gefunden nach des Herrn Wort in Seinem Joch, in
Seiner Gemeinschaft, im Bewahren des einfältigen Glau-
benögehorsams, der mit Gott rechnet, selbst dann, wenn
alle sichtbaren Rechnungsfaktoren einen nahen Zusammenbruch
künden mögen.
Der Ruf des Herrn Jesus: „Nehmet auf euch mein
Joch", ist von keiner Einschränkung begleitet. Er gilt jedem,
der ihn vernimmt. Aber wir finden ein Wort in der
Heiligen Schrift, das in Verbindung mit dem Jochtragen
von einer bestimmten Altersstufe redet: „Es ist dem
Manne gut, daß er das Joch in seiner Jugend trage".
(Klagel. 3, 27.) Vielleicht wird hier eingewendet, des
Herrn Wort richte sich nicht ausdrücklich an die Jugend,
88
und somit sei in der aus den Klageliedern angeführten
Stelle wohl nicht von des Herrn Joch die Rede, sondern
ein anderes Joch sei gemeint, das in besonderer Weise für
die Jugend in Frage komme. Auch wird man einwenden,
daß doch die Jugend die Jeit der Freude und des Glücks
sei, und daß selbst die Heilige Schrift der Jugend Freude
zugestehe, wenn sie sage: „Freue dich, Jüngling, in deiner
Jugend". Dieses Wort, so folgert man, besage klar,
daß selbst die Schrift eine Einengung der Jugend, wie das
Jochtragen sie darstellt, nicht im Auge habe.
Es kann nur zur Klärung dessen beitragen, worauf
Gottes Heiliger Geist unser Auge richten möchte, wenn wir
in allen Fällen von vornherein unterscheiden zwischen Einwendungen,
die auf Grund der Schrift mit Recht gemacht
werden können, und den Folgerungen, die wir ziehen
aus Mangel an Einfalt und Unterwürfigkeit. In unserem
Fall findet sich tatsächlich in den Worten des Herrn:
„Nehmet auf euch mein Joch", kein Hinweis an die Jugend.
Auch sollten wir nicht die Tatsache übersehen, daß
die Jugendzeit der Regel nach die Zeit des Frohsinns und
der Freude ist. Die Schrift redet von einem Fruchtbringen
„zu seiner Zeit". (Ps. t, Z.) Im Frühjahr erwartet man
vom Apfelbaum noch keine Ernte, und vom Pflaumenbaum
nimmt man keine reife Frucht zur Zeit der Kirschenernte.
Trotzdem bleibt bestehen: „Es ist dem Manne gut,
daß er das Joch in seiner Jugend trage". Wie mancher bittere
Weg fand in der Jugend seinen Anfang. Wie manche
Bürde muß zeitlebens unter Not und Qual getragen
werden, weil man sich in der Jugend weigerte, das
Iochzu tragen. Wie manche Eltern gibt es, denen die Kinder
zu schade waren, um sie in der Jugend das Joch tra-
89
gen zu lassen, und die nun im Alter an den Bürden der
nicht ans Joch gewöhnten Kinder mittragen müssen. „Es
ist dem Manne gut" ... Es ist ihm nützlich; er lernt in der
Jugend leichter, sich ans Joch zu gewöhnen. Jedes
Jochtragen muß gelernt werden. Jedes Joch erfordert von
seinem Träger eine Zeit der Eingewöhnung. Obgleich das
Wort vom Joch zweifellos jedem gilt, der es hören will,
so kommt für den jugendlichen Hörer noch hinzu: „Es ist
gut", das Joch in derIugendzu tragen. Oder ist etwa
die Jugendzeit zu schade, um sie in Jesu Joch zu verleben?
Kann etwas für Ihn zu schade sein? Es ist zweierlei, Jesus
„Herr" zunennen oder Ihn in Einfalt und Unterwürfigkeit
als Herrn zu betrachten, d. h. Ihm zu
dienen. Er selbst sagt: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr,
Herr! wird in das Reich der Himmel eingehen". (Matth.
7, 2t.) Oder ist es etwa Verlust, das Joch Jesu aufzunehmen?
Was ist mehr wert: die im Joch des Herrn gewonnene
und bewahrte Seelenruhe, die für ihren Besitzer ein
Genuß und für seine Umgebung ein Segen ist, oder der
zweifelhafte Wert weltlicher Anerkennung mit der für jeden
w a h r e n Christen unausbleiblichen Zugabe eines gequälten
Gewissens? Die Wahl ist nicht schwer, wenn das
rechte Augenmaß vorhanden ist. Bei Lot hat das Augenmaß
gefehlt. Daher das jammervolle Ergebnis einer tagtäglichen
Qual für seine Seele. (Lies 2. Petr. 2, 8.) Bei
Moses war es anders. Ihm war es wertvoller, „mit dem
Volke Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche Ergötzung
der Sünde zu haben". Denn die Schmach des Christus
dünkte ihn größerer Reichtum als die Schätze Ägyptens.
Weshalb? „Er schaute auf die Belohnung." Lot
schaute und wählte auch. Er sah und wählte wasserreiche.
90
fruchtbare Gefilde, die er für seine Viehherden gut gebrauchen
konnte. Doch diese Gefilde samt Lots Herden gingen
im Gericht zugrunde, und Lot selbst wurde mit knapper
Not gerettet. Aber Moses wurde gewürdigt, der Vertraute
Gottes zu sein: „Er tat Seine Wege kund dem Mose" ...
(Ps. -lOZ, 7.)
Vor eine Wahl ähnlicher Art wird jeder wahre Gläubige
gestellt, und es steht außer Zweifel, daß die Jugendzeit
mehr als das höhere Lebensalter die Zeit der Entscheidungen
ist. Deshalb das Gebot des Apostels an den jungen
Timotheus, den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen.
Freilich, solchen Entscheidungen geht Kampf voraus.
Und ist bei diesem Kampf der Blick auf das Sichtbare
gerichtet, so fällt mit Sicherheit die Entscheidung im Sinne
der des Lot; es kann nicht anders sein. Doch „die Welt vergeht
und ihre Lust". Der Gläubige aber hat das Unsichtbare
zum Gegenstand. Dies allein verleiht das rechte Augenmaß
für die nie bereute Entscheidung, die Schmach des Christus
den Gütern dieser Welt vorzuziehen. Der Kampf des
Gläubigen — und ohne Kampf gibt es kein Leben des
Glaubens — wurde zu aller Zeit entschieden durch das,
was das Auge zum Gegenstand hatte. Hängt das Auge,
das Herz, an dem Sichtbaren, wie kann ich mich dann für
die Schmach des Christus entscheiden? Schaue ich aber etwas
von der göttlichen Herrlichkeit Jesu, der, mit Ehre gekrönt,
zu Gottes Rechten ist, Dessen Dortsein auch mir dort
einen Platz sichert, so harre ich des Augenblicks, der mir gestattet,
diesen Platz bei Ihm einzunehmen, jener unvergleichlichen
Stunde, wo Er die Seinen krönt und ihnen die
Belohnung austeilt. Im Blick auf diese wird die Entscheidung
nicht schwer, die Schmach des Christus vor die
— yr —
Schätze der Welt zu stellen. Aber auch nur mit dieser Blickrichtung
wird eine solche Wahl getroffen. Der Psalmist
ruft voll Freude: „Wen habe ich im Himmel? und neben
Dir habe ich an nichts Lust auf der Erde!" (Ps. 73, 25.)
Wer von Herzen in diese Worte einstimmen kann, ist ein
glücklicher Jochträger Jesu, er sei alt oder jung.
Einige Gedanken über das 53. Lapttel
des Propheten Desaias
(Schluß)
In den Versen 7—d unseres Kapitels redet Gott
Worte, welche die ganze Wonne Seines Herzens zum Ausdruck
bringen, mit der Er Seinen Geliebten sowie die Art
betrachtet, wie Er Seinen Weg des Gehorsams bis ans
Ende gegangen ist.
„Er wurde mißhandelt, aber Er beugte sich und tat
Seinen Mund nicht auf, gleich dem Lamme, welches zur
Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf, das stumm
ist vor seinen Scherern; und Er tat Seinen Mund nicht
auf."
„Er wurde mißhandelt."
Welch ein Gedanke! Das Geschöpf mißhandelt seinen
Schöpfer, das Volk mißhandelt seinen König! Wir sehen,
wie Gott den Leidensweg Seines geliebten Sohnes unaufhörlich
beobachtet, wie Er Kenntnis nimmt von allem, was
der Mensch Ihm zugefügt hat. Auf eins möchte ich in Verbindung
mit dieser Stelle Hinweisen. Wenn es sich um die
sühnenden Leiden Jesu handelt, so finden wir, daß
es von feiten Gottes für den Menschen kein Gericht, sondern
nur Gnade und Erbarmen gibt. Ist dagegen von den
Y2
Leiden die Rede, die Christus von den Menschen erduldet
hat, weil sie Ihn um Seiner Gere chtigk eit willen
bis in den Tod verfolgt haben, so muß das göttliche Gericht
die unausbleibliche Folge für sie sein. Gott wird einst
das Blut Seines Sohnes von den Menschen fordern.
„Aber Er beugte sich."
Da ist nichts von innerlicher Empörung, nichts von
Auflehnung gegen die Bosheit Seiner Feinde zu sehen. Er
hat im Gegenteil für sie gebetet: „Vater, vergib ihnen,
denn sie wissen nicht, was sie tun!" (Luk. 23, Z4.) Er, der
gescholten wurde, schalt nicht wieder; Er, der da litt, drohte
nicht, sondern übergab sich Dem, der recht richtet. (Vergl.
b. Petr. 2, 23.) Göttlich war Seine Widmung, erhaben
Seii: Opfer. Zn dem tiefen Gefühl dessen, daß Er jetzt der
Stellvertreter Seines Volkes, ja, unser Stellvertreter war,
ging Er in den Tod.
„Er tat Seinen Mund nicht auf, gleich dem Lamme,
welches zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf,
das stumm ist vor seinen Scherern; und Er tat Seine n
Mund nicht auf."
Meinen wir nicht, hier den Herrn als das Lamm in
Gemeinschaft mit Seinem Vater zur Schlachtung gehen
zu sehen, um sich als Opfer für unsere Sünden hinzugeben?
Wie einst Abraham mit seinem Sohne in das Land
Morija zog, um ihn auf einem der Berge zu opfern, so
schritt der Herr in Gemeinschaft mit dem Vater zum Opferaltar.
Der Vater geht mit dem Sohne, und der Sohn
geht mit dem Vater. Und auch auf diesem schwersten Teil
Seines Weges treten uns, wie immer im Leben des Herrn,
Seine völlige Ergebenheit und die Unterwürfigkeit unter
Gottes Willen in wunderbarer Weise entgegen.
— 93 —
„Wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern;
und Er tat Seinen Mund nicht auf/''
Zweimal lesen wir in diesem Vers: „Und Er tat Seinen
Mund nicht auf". Als der Herr vor dem Hohenpriester
stand, antwortete Er nichts. Kein Wort zu Seiner Verteidigung
kam über Seine Lippen. Erst als der Hohepriester
Ihn mit den Worten beschwor: „Ich beschwöre dich bei
dem lebendigen Gott, daß du uns sagest, ob du der Christus
bist, der Sohn Gottes" (Matth. 26,63), brach ErSein
Schweigen, und zwar mit Worten, die Seinem Gegner die
schärfste Waffe in die Hand gaben. „Du hast es gesagt",
lautet Seine unzweideutige Antwort, und Seine Aussage
gleichsam unterstreichend, fügt Er hinzu: „Doch ich sage
euch: Von nun an werdet ihr den Sohn des Menschen sitzen
sehen zur Rechten der Macht und kommen auf den Wolken
des Himmels". (Matth. 26, 64.) Das war das Wort, auf
das die Ankläger warteten, um den tödlich Gehaßten völlig
verderben zu können. Auf dieses Zeugnis hin verurteilten
sie Ihn zum Tode. Auch vor Pilatus hat der Herr Seinen
Mund nicht aufgetan, um irgend etwas zu Seiner Verteidigung
zu sagen (vergl. Matth. 27, 72—74). Nur wenn es
sich darum handelte, „das gute Bekenntnis zu bezeugen",
sprach Er ein kurzes Wort. (Vergl. z. B. Joh. 79, 70. 77;
7. Tim. 6, 73.) Dem Herodes dagegen, vor den Er noch
gestellt wurde, und der Ihn mit vielen Worten befragte,
antwortete der Herr auch nicht ein einziges Wort. (Luk. 23,
8. 9.) Wir sehen, wie sich alles wortgetreu erfüllt hat, was
im Alten Testament über Ihn geweissagt worden war.
„Er ist hinweggenommen worden aus der Angst und
aus dem Gericht."
Während uns in den Evangelien die äußeren Um
94
stände mitgeteilt werden, die sich abspielten, als der Herr
am Kreuze hing, schildern die Psalmen, in welcher Angst
und in welchem Gericht Er gewesen ist, als Gott Ihn verlassen
hatte. Nur mit tiefer Ergriffenheit liest man Worte
wie: „Wie Wasser bin ich hingeschüttet, und alle meine Gebeine
haben sich zertrennt; wie Wachs ist geworden mein
Herz, es ist zerschmolzen inmitten meiner Eingeweide".
(Ps. 22, 44.) Und doch — was alles in der Seele des
teuren Lammes Gottes vorgegangen ist in jenen Stunden,
in denen Er als unser Stellvertreter Gott im Blick auf unsere
Sünden verherrlicht hat, vermögen auch die Psalmen
nicht zu künden. Auch Jesaias sagt nichts weiter als: „Er
ist hinweggenommen worden aus der Angst und aus dem
Gericht". Er übergab Seinen Geist in die Hände des Vaters,
teilt Lukas mit. Er ging in Frieden heim, „der Erstling
der Entschlafenen". Gott hatte Ihn „hinweggenommen
aus der Angst und aus dem Gericht".
„Und wer wird Sein Geschlecht aussprechen? denn Erwürbe
abgeschnitten aus dem Lande der Lebendigen: wegen
der Übertretung meines Volkes hat Ihn Strafe getroffen."
Hier ist die Rede von dem Tode, aber wohl auch von
der Auferstehung des Herrn?) „Er ist hinweggenommen",
„Er wurde abgeschnitten", oder, wie andere übersetzen:
„hinweggerissen". Im Blick auf dieses Hinwegreißen hatte
Er ja schon in dem „Gebet eines Elenden, wenn er verschmachtet
und seine Klage vor Jehova ausschüttet", geru-
*) Man beachte die Anmerkung zu „Strafe getroffen" (v. 8,
Schluß), Lerzufolge der Text, anstatt: „Wer wird Sein Geschlecht
aussprechen?", auch lauten kann: „Und wer von Seinen Zeitgenossen
bedachte es, daß Lr abgeschnitten wurde aus dein Lande der
Lebendigen, indem Ihn Strafe traf wegen der Übertretung meines
Volkes?"
95
fen: „Mein Gott, nimm mich nicht hinweg in der Hälfte
meiner Tage!" (Ps. 402, 24.) Aber Er ist hinweggenommen
worden. Er i st gestorben. Doch Er ist auch auferstanden.
„Wer wird Sein Geschlecht aussprechen?" Nachdem
Er als das wahre Weizenkorn in die Erde gesenkt worden
und gestorben ist, bringt Er viel Frucht. An Seinem Auferstehungsleben
nehmen Unzählige teil. „Blicke gen Himmel
und zähle die Sterne, wenn du sie zählen kannst!",
hatte Gott einst zu Abraham gesagt. „Also wird dein Same
sein." (4. Mose 45, 5.) So ist es mit dem Geschlecht oder
der Nachkommenschaft des aus dem Lande der Lebendigen
Abgeschnittenen. Es wird eine Zahl sein, die niemand zu
zählen vermag. Und damit doch niemand denke, der Herr
habe Seiner selbst wegen in diesem furchtbaren Gericht gestanden,
weist Gott ausdrücklich und feierlich auf die Tatsache
hin, daß Er einzig und allein der Stellvertreter Seines
Volkes war: „Wegen der Übertretung meines Volkes
hat Ihn Strafe getroffen".
„Und man hat Sein Grab bei Gesetzlosen bestimmt;
aber bei einem Reichen ist Er gewesen in Seinem Tode,
weil Er kein Unrecht begangen hat, und kein Trug in Seinem
Munde gewesen ist."
Der Mensch konnte in seiner Bosheit nicht weitergehen,
als Gott ihm erlaubte. Gott ließ zu, daß er Seinem
Geliebten am Kreuz einen Platz zwischen zwei Übeltätern
gab. Aber damit war es auch genug. Nach dem Urteil der
Menschen wäre Jesu Platz auch nach Seinem Tode unter
den an der Hinrichtungsstätte verscharrten Verbrechern gewesen.
Aber Gott sorgte dafür, daß es nicht dahin kam.
Eine von einem Neichen erbaute und noch nie benutzte Gruft
sollte nach Seinem Willen Den aufnehmen, der kein Un
9b
recht begangen hatte, und in Dessen Munde kein Trug gewesen
war. Wie wichtig Gott die Bestattung Seines Sohnes
war, geht wohl am besten aus der Tatsache hervor,
daß alle vier Evangelisten sie berichten, sie alle meinem
Sinn ganz gleichmäßig, und doch hinwiederum in wundervoller,
harmonischer Verschiedenheit, je nach dem Charakter
des betreffenden Evangeliums. Während Matthäus,
der Prophezeiung gemäß, denreichen Mann von Arima-
thia erwähnt, der kommt und dafür sorgt, daß der Leib des
Gestorbenen eine Ruhestätte findet, die für den Messias geziemend
ist, führt Markus den ehrbaren Ratsherrn,
Lukas den guten und gerechten Mann und Johannes
schließlich den verborgenen Jünger Jesu an, der
Pilatus um die Ehre bittet, den Leib Jesu abnehmen zu
dürfen, und der dann mit Nikodemus zusammen sich darum
müht, daß der Sohn Gottes in geradezu fürstlicher
Weise bestattet wird. (Vergl. Matth. 27, 57—60; Mark.
15, 42—46; Luk. 23, 50—53; Joh. 19, 38—42.) Beachten
wir die Verschiedenheit der Ausdrücke: Reicher Mann,
ehrbarer Ratsherr, guter und gerechter Mann, Jünger
Jesu! So ehrt Gott Seinen Geliebten in Seinem Tode»
„Doch Jehova gefiel es, Ihn zu zerschlagen, Er hat
Ihn leiden lassen. Wenn Seine Seele das Schuldopfer gestellt
haben wird, so wird Er Samen sehen, Er wird Seine
Tage verlängern; und das Wohlgefallen Jehovas wird in
Seiner Hand gedeihen. Von der Mühsal Seiner Seele wird
Er Frucht sehen und sich sättigen."
In diefem 10. Vers hören wir wieder die Stimme
des gläubigen Überrests. Diese Gläubigen machen die wunderbare
Feststellung: „Jehova gefiel es. Ihn zu zerschlagen".
Die Worte erinnern an den Ausspruch des Sachar-
Y7
ja: „Schwert, erwache wider meinen Hirten und wider den
Mann, der mein Genosse ist! spricht Jehova der Heerscharen;
schlage den Hirten!" (Kap. 73, 7.) Wunderbare,
nie gehörte Tatsache:
„Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe,
Der Gute Hirte leidet für die Schafe,
Die Schuld bezahlt der Herre, der Gerechte,
Für Seine Knechte!"
Hier sei nochmals hingewiesen auf die zwei so bedeutsamen,
gänzlich verschiedenen Seiten in den Leiden Christi:
Das, was Er durch die Bemühungen Satans als
Mensch im Kampf mit dem Feind, der die Macht des Todes
besitzt, gelitten hat, und zwar in Gemeinschaft
mit dem Vater, und:
Das, was Er gelitten hat, um das Sühnungswerk für
die Sünde zu vollbringen, von Gott verlassen, indem
Er den Zorn Gottes trug und den bitteren Kelch trank,
den der Vater Ihm gereicht hatte. Welche Seite die bitterere
war, sagten wir bereits. Es bedarf nur eines Wortes,
um die Unergründlichkeit der Leiden zu bezeichnen, die mit
dem Trinken des Kelches des Vaters verbunden waren, und
dieses Wort heißt: Gethsemane.
Aber wie konnte es Gott gefallen, „Ihn zu zerschlagen,
Ihn leiden zu lassen"? O es gefiel Ihm, weil Er
kein Gefallen am Tode des Gesetzlosen hat. (Hes. 33,
17.) Weil es Sein Wille ist, daß der Gesetzlose lebe,
mußte Jesus, der Heilige und Gerechte, „nach dem bestimmten
Ratschluß und nach Vorkenntnis Gottes übergeben"
werden, wie Petrus sich ausdrückt. (Apostelgeschichte
2, 23.)
„Wenn Seine Seele das Schuldopfer gestellt
haben wird, so wird Er Samen sehen."
98
Welch ein Opfer hat Er gebracht! Seine Seele hat
Er als Schuldopfer gegeben. „Denn das Blut ist es, welches
Sühnung tut durch die Seele", heißt es im Gesetz
(Z. Mose 17, 1."!), und „die Seele des Fleisches ist im
Blute". Weil nun aber die blutigen Opfer, die in früheren
Tagen gebracht worden sind, nicht eine einzige Sünde vor
dem heiligen Gott zu tilgen vermochten, mußte Sein
Blut fließen. Und so hat Er „sich selbst für unsere Sünden
hingegeben" (Gal. 7, 4). Auf diese Weise allein kann
und „wird Er Samen sehen". „Mit einem Opfer hat
Er auf immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden."
(Hebr. 10,14.) Auf immerdar! Wie Er selbst Seine
Tage verlängern wird — Er, der tot war, ist „lebendig
von Ewigkeit zu Ewigkeit" (Offbg. 1, 18), und „Seine
Jahre enden nicht" (Ps. 102, 27), — so wird es auch Seinem
Samen geschehen.
„Und das Wohlgefallen Jehovas wird in Seiner
Hand gedeihen."
Alle Seine Ratschlüsse hat Gott in die Hand Dessen
gelegt, von Dem hier die Rede ist, zu ihrer Erfüllung. Soweit
sie noch nicht erfüllt sind, wird Er sie erfüllen, sei es
im Blick auf die Gemeinde oder Kirche, sei es im Blick auf
Sein irdisches Volk oder im Blick auf die Schöpfung, sowie
auf das Endziel: die Herbeiführung eines neuen Himmels
und einer neuen Erde. Der einst ausrief: „Es ist
vollbracht!", wird bald sagen: „Es ist geschehen!" Dann
wird Er alle Ratschlüsse Gottes herrlich hinausgeführt haben.
Dann ist alles in Seiner Hand herrlich gediehen, und
die Zeit ist gekommen, wo auch der Sohn selbst Dem unterworfen
sein wird, der Ihm alles unterworfen hat, „auf
daß Gott alles in allem sei". (1. Kor. 15, 28.)
yy
„Von der Mühsal Seiner Seele wird Er Frucht sehen
und sich sättigen. Durch Seine Erkenntnis wird mein gerechter
Knecht die Vielen zur Gerechtigkeit weisen, und ihre
Missetaten wird Er auf Sich laden. Darum werde ich Ihm
die Großen zuteil geben, und mit Gewaltigen wird Er die
Beute teilen: dafür daß Er Seine Seele ausgeschüttet hat
in den Tod und den Übertretern beigezählt worden ist; E r
aber hat die Sünde vieler getragen und für die Übertreter
Fürbitte getan."
In den Schlußversen dieses Kapitels nimmt Gott
noch einmal das Wort:
„Von der Mühsal Seiner Seele wird Er Frucht sehen
und sich sättigen."
Ja, Mühsal der Seele, davon konnte wohl bei Ihm
geredet werden. Welche Mühsal, welche Arbeit in Seinem
Leben! Und das Ergebnis? „Umsonst habe ich mich abgemüht,
vergeblich und für nichts meine Kraft verzehrt."
Dürfen wir sagen, daß man den GesichtSzügen des
Herrn Seine unaufhörliche Arbeit und Seine nie endende
Mühsal angesehen hat? Bezeichnend ist jedenfalls, daß man
Ihn, obschon Er erst dreiunddreißig Jahre alt war, für einen
etwa Fünfzigjährigen hielt. (Vergl. Joh. 8, 57.)
Mühsal und Arbeit von Jugend an. In diesem Sinn kann
sicher auch das Prophetenwort auf Ihn angewandt werden:
„Ich bin kein Prophet, ich bin ein Mann, der das Land bebaut;
denn man hat mich gekauft von meinerJu-
gend an". (Sach. 73, 5.) Bis zu Seinem dreißigsten
Lebensjahr wissen wir ja nicht viel von unserem Herrn. Als
der Sohn des Zimmermanns oder auch als der „Zimmermann"
war Er bekannt und wohl auch damals schon wenig
geachtet.
— roo —
Aber der Mühsal Seiner Seele entspricht auch die
Frucht. In Seinem Tode hat Er den Grund gelegt, auf
dem der dreimal heilige Gott, unbeschadet Seiner Heiligkeit
und Gerechtigkeit, mit einem sündigen Geschlecht in
Verbindung treten und ihm den ganzen Reichtum Seiner
Gnade und Liebe zuwenden konnte und kann. Vor dem
Tode des Herrn war Er allein. Es gab keine Verbindung
zwischen Ihm und den übrigen Menschen. Die Sünde stand
trennend zwischen ihnen und dem heiligen Gott — ein unübersteigbarer
Wall. Und Jesus wäre allein geblieben,
wenn Er nicht in den Tod gegangen wäre. (Vergl. Joh. 12,
24.) Aber in Seinem Tode hat Er sich mit uns eins gemacht,
und in Seiner Auferstehung sind wir auf ewig mit
Ihm verbunden.
„Durch Seine Erkenntnis wird mein gerechter Knecht
die Vielen zur Gerechtigkeit weisen."
Nicht nur hat der Herr, der gerechte Knecht, die
Sünde Vieler getragen, sondern Er hat es auch übernom­
men, die Geretteten zur Gerechtigkeit zu weisen, ihnen zu
zeigen, daß man durch den Glauben an Sein vollbrachtes
Werk gerechtfertigt wird. Wer sich von Ihm weisen läßt,
wird durch Ihn in die Stellung eines Gerechten gesetzt.
(Röm. 5,1y.) Und fortan ist es das Begehren des gerechten
Knechtes, die also Gerechtfertigten in Pfaden der Gerechtigkeit
zu leiten um Seines Namens willen.
„Und ihre Missetaten wird Er auf Sich laden."
Immer wieder macht Gott auf das Kreuz, auf die
Stellvertretung Seines Sohnes aufmerksam. „Ihre Missetaten
wird Er auf Sich laden... Er ist den Übertretern beigezählt
worden. Er hat die Sünde vieler getragen und für
die Übertreter Fürbitte getan."
— ror —
Zeigen nicht diese wiederholten Hinweise auf das
Sühnungswerk Christi, wie wertvoll Sein Tod in Gottes
Augen ist? Zeigen sie nicht, wie sehr Seine Fürbitte für
die Übertreter Gottes ureigensten Gedanken entspricht?
Herrlicher könnte das Evangelium von dem göttlichen Erbarmen
auch im Neuen Testament nicht verkündigt werden.
Und bedenken wir weiter, wie durch dies alles der Name
Gottes aufs vollkommenste verherrlicht worden ist, so verstehen
wir gut die dem Sieger gegebene Verheißung:
„Darum werde ich Ihm die Großen zuteil geben, und
mit Gewaltigen wird Er die Beute teilen."
Nachdem der gerechte Knecht durch Schmach zur Herrlichkeit
gegangen ist, empfängt Er den Lohn für die
Schmerzen, für die Mühsal Seiner Seele. Dieser letzte Vers
läßt uns indessen einen Blick in die Zukunft tun. Wir sehen
den Herrn als den Löwen aus dem Stamme Juda und
als mächtigen Sieger über alle Seine Feinde. Es ist, als
wenn uns Ereignisse vor Augen gestellt würden, die sich
nach einer gewonnenen Schlacht abspielen. Gleichwie Gott
einst dem David einen Namen gemacht hat, „gleich dem
Namen der Großen, die auf Erden sind" (t. Chron. t7,
8), so wird der Herr wie jene großen Sieger und Gewaltigen
eine Teilung der Beute vornehmen, und — das dürfen
wir dankbar und voll seliger Hoffnung hinzufügen —
Er wird auch die Beute Seines Sieges mit denen teilen,
die Ihm der Vater gegeben hat, jenen „Zahlreichen" (so
kann auch statt „Gewaltigen" übersetzt werden), die einst
arm und klein waren, dann aber in königlicher Herrlichkeit
herrschen werden mit Ihm, den der Vater zu Seiner
Rechten erhoben und mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt hat.
— 102 —

— rro —
Herr Jesus, komm!
(Offbg. 22, 77)
Den von der Welt Verworfenen hat Gott mit Ehre
und Herrlichkeit gekrönt. (Hebr. 2, y.) Und der Tag ist
nahe, wo Ihm alles unterworfen sein wird. Diesem Tag
schauen die Seinigen mit Sehnsucht entgegen, denn es ist
für ein gläubiges Herz ein erhebender Gedanke, daß vor seinem
Herrn, den es lieb hat, einmal jedes Knie sich beugen
wird. Vor Anbruch dieses großen Tages dürfen sie Ihn
mit glücklichem Herzen aus dem Himmel erwarten.
Jesus erwarten? Ja, Er kommt wieder! Er wird sich
vom Thron erheben und die Seinen, die heute noch Fremdlinge
auf der Erde sind, in ihre Heimat, das Haus Seines
Vaters, führen. Wenn diese kostbare Hoffnung die Herzen
der Erlösten erfüllt, rufen sie voll Freude: „Komm!"
Zwar genießen wir Gläubigen heute schon Seine ganze
Zuneigung. Wir besitzen in Ihm einen untrüglichen Führer.
In allen Mühen, Nöten, Versuchungen wissen wir:
Er nimmt Anteil an allem. Er ist voller Barmherzigkeit
und voller Mitgefühl. Wir wissen. Er betet für uns.
Eins aber ist uns noch nicht zuteil geworden: Wir
habenJesusnochnicht vonAngesicht zuAn-
gesicht gesehen. Kann man jemand lieben und nicht
wünschen, ihn zu sehen, bei ihm zu sein? Das wäre unbegreifliche
Gleichgültigkeit und kein Zeichen von Liebe.
Darum ruft die Braut: Komm! Das will sagen:
Halte Dich nicht auf! Komm sofort, komm heute, komm
jetzt! Jesus sehen, unseren Heiland schauen, das ist der Inbegriff
der höchsten Glückseligkeit. Freust du dich auch,
Jesus zu schauen? Oder ist deine Freude mit einer gewissen
— rrr —
Furcht vermischt im Blick auf Seine Erscheinung? Johannes,
der Jünger, den Jesus liebte, schreibt in seinem ersten
Brief: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene
Liebe treibt die Furcht aus.... Wer sich aber fürchtet,
ist nicht vollendet in der Liebe."
Es gibt kein unglückseligeres Christentum, als die
Wiederkunft unseres Herrn und Heilandes von irgend etwas
abhängig zu machen. Ich denke jetzt nicht an die viel
verbreitete Lehre, daß die Kirche durch die Gerichte der Offenbarung
hindurchgehen müsse, sondern an den HerzenS-
zustand derer, die Ihn erwarten. Da kann es Dinge geben,
die uns hindern, Ihn zu erwarten. Bringen wir aber in alles
Seine Wiederkunft hinein, so ist alles geregelt und geordnet.
Ist der Grundton unserer Herzen auf die Bitte gestimmt:
Herr Jesus, komm! so wird die Antwort des
Herrn nicht ausbleiben, denn in Seinem Herzen sind die
gleichen Gefühle wie in den unsrigen. Wir warten. Er wartet.
Mehr als wir in unserer schwachen Hütte uns freuen
könnten, freut Er sich darauf, Seine durch Sein Blut erkaufte
Brautgemeinde bei sich zu haben.
„Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der
glänzende Morgenstern", sagt der Herr selbst von Sich.
Als die Wurzel und das Geschlecht Davids ist Er der Sproß
aus Davids Haus. Als solcher ist Er der Erbe. Daß Ihm
das Erbe werde, ist der Inhalt der ganzen Offenbarung.
Noch ist es Ihm nicht zuteil geworden. Noch bedeckt Dunkelheit
und Finsternis den Erdkreis. Aber an dem nächtlichen
Himmel wird der Morgenstern aufgehen. Er ist der
Kündiger des großen Tages, an dem der Wurzel und dem
Geschlecht Davids alle Rechte werden, die Ihm gebühren.
Dann wird Seine Braut als Sein Weib zu Seiner Seite
— rr2 —
sein und mit Ihm herrschen, und als die Sonne der Gerechtigkeit,
allen leuchtend, wird Friede Sein Zepter sein.
Die Verse aus dem letzten Kapitel der Offenbarung,
die »ms beschäftigen, könnte man auch an den Anfang dieses
Buches setzen, denn sie stehen für sich da. Wenn du
willst, kannst du sie überall hinsetzen, denn sie passen überall.
Gott hat sie wohl deshalb an den Schluß Seines heiligen
Buches gestellt, um uns noch einmal die herrlichste
aller Wahrheiten vor Augen zu führen: Jesus kommt!
Wir werden Ihn sehen! Vielleicht heute
n o ch!
Ser kommende wird kommen
Nein, der Herr wird nicht verziehen,
Heine Stunde kommt gewiß,
Seht, schon wich dem Morgengranen
Ringsumher die Finsternis!
Vas wir Tag uni Tag erflehen —
Einmal wird es doch geschehen!
vielleicht noch ein kurzes Schreiten,
Und dann sind wir schon ani Ziel,
Da der Herr der Herrlichkeiten
Sich uns offenbaren will,
Und Sein Angesicht wir sehen —
Einmal wird es doch geschehen!
Darum stärkt die müden Unice,
Laßt die Hände tätig sein,
Noch gilt es, in treuer Mühe
Unsern Dienst dem Herrn zu weihn
Und im Glauben festzustehen —
Einmal wird es doch geschehen! j). B.
Des Herrn Mahl
(Nach einem Eingesandt)
Dieser Gegenstand soll hier hauptsächlich in Anlehnung
an 1. Kor. behandelt werden. Es ist eine erweiterte
Wiedergabe von Betrachtungen, die gelegentlich einer
Besprechung im Brüderkreise angestellt wurden.
Erhaben ist der Gegenstand, der hier erwogen werden
soll. Obwohl die Größe der Aufgabe mich niederdrückt, will
ich doch den Versuch machen. Die Gefahr, zu irren, wird
dann am wenigsten bestehen, wenn ich mich kurz fasse.
In 1. Kor. io, 15—22 hat der Apostel Paulus das
Brotbrechen behandelt im Gegensatz zu der Teilnahme an
Götzen-Mahlzeiten. Es war eine sittliche Unmöglichkeit, am
„Tische der Dämonen" teilzunehmen und zugleich auch am
„Tische des Herrn" (V. 21). Woher der Ausdruck „Tisch
des Herrn"? Er wird gebraucht im Anschluß an Mal. 1,
7. 12, an welchen Stellen der Altar Jehovas so genannt
wird. Der Tisch der Schaubrote ist eö nicht. Das Wort
selbst nennt den Brandopferaltar „Tisch". Und so kommen
wir ganz von selbst zu dem Gedanken: Beim Brotbrechen
stehen wir im Geiste am Brandopferaltar. Dort hat Christus
selbst im Tode Gott verherrlicht. Dort hat Er das Gericht
über die Sünde erlitten und zugleich uns den Frieden
erstritten und unsere Gemeinschaft mit Gott begründet.
Diese Gemeinschaft ist's, die Paulus in 1. Kor. 10 in den
Vordergrund stellt. Aus diesem Grunde redet er auch zuerst
vom Kelch und dann erst vom Brot. Christi teures
UXXXIIII 5
— 444 —
Blut hat uns mit Gott versöhnt und so die Grundlage einer
Gemeinschaft geschaffen, die so vollkommen ist, daß
jetzt sogar von „einem Leib" die Rede sein kann. Der Auferstandene
ist das Haupt dieses Seines Leibes, dessen Glieder
die Erlösten sind: „Wir, die Vielen". (Vergl. auch 4.
Kor. 42, 42.)
Es ist ein wunderbares Vorrecht, am Tische des Herrn
(sozusagen im Geist am Brandopferaltar stehend) durch
das gemeinsame Essen von dem einen Brote der Wahrheit
von dem einen Leibe Ausdruck zu geben und zugleich
beim Trinken von dem „Kelch der Segnung" anbetend und
lobpreisend Dessen zu gedenken, dessen Blut uns mit Gott
versöhnt hat. Hier sei nun ausdrücklich bemerkt, daß praktisch
und wirklich an diesem Vorrecht nur der teilnimmt,
der „ißt und trinkt". Wer beim Tempel oder bei der
Stiftshütte mit den anderen Anbetern erschien und vom
Friedensopser aß, der war „in Gemeinschaft mit dem Altar".
(V. 48.) Wer demnach in der Zeit der ersten Chri­
sten an heidnischen Opfermahlzeiten teilnahm — was vorgekommen
sein kann —, war damit in Gemeinschaft mit
dem betreffenden Götzen-Altar und somit in Gemeinschaft
mit den Dämonen, die sich hinter den Götzen verbargen.
Wie konnte ein solcher am „Herrn-Tisch" erscheinen, dem
Gegenstück des Brandopferaltars? (Vergl. 4. Kor. 40,
48 mit Mal. 4, 7.) Gemeinschaft haben mit den Dämonen
und zugleich mit dem Herrn war eine sittliche Unmöglichkeit.
Haben wir es nun im 40. Kapitel mit einer Wahr-
heit zu tun — das eine Brot wird in Verbindung gebracht
mit dem einen Leib —, so kommen wir im 44. Kapitel
zur
— 445 —
Praxis des BrotbrechenS.
„Wenn ihr nun an einem Orte zusammenkommet,
so ist das nicht des Herrn Mahl essen." (V. 20.) Der Wortlaut
dieses Verses scheint darauf hinzudeuten, daß der
Apostel nicht einfach sagen will: „Wenn ihr in irgendeiner
Zusammenkunft vereint seid". Es handelt sich um das
Zusammenkommen als Versammlung, Christus in ihrer
Mitte, und zwar zu dem erhabenen Zweck, des Herrn Mahl
zu essen. Selbst bei diesem Zusammenkommen trat zutage,
wie wenig die also Versammelten einander verstanden, und
welch eine Unordnung in ihrer Mitte herrschte.
Ich denke mit anderen Verfassern, daß die Abendmahlsversammlung
die erhabenste aller Zusammenkünfte
ist, diejenige, wo sich der Charakter der „Versammlung
Gottes" am höchsten ausprägen könnte. Die Korinther
„verachteten" diese Versammlung und drückten des Herrn
Mahl herab zu einem Liebesmahl, wie der ganze Wortlaut
von 4. Kor. 44, 48—34 beweist.
Darf man annehmen, daß der Apostel sich mit dem
Ausdruck: „An einem Orte zusammenkommen" in V. 20
an einen Sprachgebrauch der Schrift anlehnt, wie wir ihn
häufiger finden, z. B. 2. Mose 20, 24; 5. Mose 42, 5
und 46, 2. 46? Ich denke ja.
Wenn eine Schar von Gläubigen „zu Seinem Namen
hin versammelt ist", dann ist der Herr in ihrer Mitte
nach Matth. 48. Dort ist der Ort oder der Platz, wo man
zum Mahl des Herrn zusammenkommt. Wäre das von jeher
mehr bedacht worden — es gäbe nicht so viele Spaltungen.
Man hätte sich dann bemüht, an diesem „einen
Ort" zusammenzukommen. (Man vergleiche hierzu noch
4. Kor. 44, 23.)
— 116 —
Wie der Israelit nur «meinem Ort die Gegenwart
des Herrn erleben konnte, wenn er kam, um anzubeten, so
sollte sinngemäß auch heute e i n Ort alle Gläubigen beieinander
sehen. Die ganze Versammlung, die ganze
Gemeinde, an einem Ort versammelt — welch ein gewaltiger,
lieblicher Gedanke! Wie sagte doch der Apostel
im 1.0. Kapitel? „Ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen,
denn wir alle nehmen teil an dem einen Brote."
(V. 17.)
Mögen auch an manchen Plätzen, vor allem in großen
Städten, in denen viele Gläubige wohnen, diese sich
nicht alle an einem Ort versammeln können — dem
Schriftgrundsatz nach sollten alle auf einem Boden stehen,
dem der Einheit des Leibes. Es ist wirklich schwer zu
begreifen, wie ernste Gläubige Spaltungen, mit anderen
Worten: den vielen Kirchen, Kirchlein und Gemeinschaften,
das Wort reden können. Der Satz: „Getrennt marschieren,
vereint schlagen!" ist hier sicherlich nicht angebracht.
DesHerrnMahlandesHerrnTag.
In Offbg. 1,10 schreibt Johannes: „Ich war an des
Herrn Tage im Geiste". In der zu diesem Vers gehörenden
Anmerkung steht: „Eig. an dem demHerrn gehörenden
Tage". So könnte auch zu dem Satz „Des
Herrn Mahl essen" die Anmerkung gemacht werden: „Eig.
dasdemHerrngehörende Mahl". Es ist sprachlich
wie sinngemäß der gleiche Ausdruck. „Des Herrn Tag" ist
der Tag, den wir Sonntag nennen, der erste Tag der
Woche. *)
*) Daß der Ausdruck „Tag des Herrn" auch noch eine andere
Bedeutung hat und dem Ausdruck „Tag Jehovas" entspricht,
darf als bekannt vorausgesetzt werden, (vergl. 2.
Thess. 2, 2.)
— 447 —
Zn Apstgsch. 20, 7 findet man bereits diesen ersten
Tag der Woche als den Tag, an welchem des Herrn Mahl
gegessen wurde. Der Wortlaut deutet auf eine regelrechte
Gewohnheit hin, die sich bereits in jener Zeit eingebürgert
hatte. Besondere Vorschriften für die Begehung dieses Tages
bringt das Neue Testament nicht. Zweifellos aber
steht fest, daß der Heilige Geist die Christen dahin geleitet
hat, des Herrn Auferstehungstag auszuzeichnen und zu
heiligen. Sabbath und alte Ordnung des Gesetzes waren
dahin. Laut 1. Kor. 46, 2 sind auch die Sammlungen für
das Werk des Herrn oder für Bedürftige für jenen Tag
verordnet worden.
Vom 20. Verse unseres Kapitels (7. Kor. 44) ab
finden wir den „Herrn" nicht weniger als siebenmal bis
zum Schluß des Abschnitts erwähnt. Die Korinther haben
durch ihre Fehler Gott Veranlassung gegeben, diese
großen Dinge in diesem Paulusbriefe niederzulegen. Ein
Liebesmahl, mit dem Mahl des Herrn verknüpft, brachte
dort die oberflächlichen Herzen zu unwürdigen Vorstellungen
und Handlungen: „Eigenes Mahl.. hungrig .. trunken
.. verachtet die Versammlung Gottes und beschämt die,
welche nichts haben.. ich lobe euch nicht".
„Zeh habe von demHerrnempfangen"
fährt der Schreiber im 23. Verse fort und betont damit,
daß er, der Apostel der Nationen, besonders, und zwar vom
Himmel aus, vertraut gemacht worden war mit der Einsetzung
des Herrn-Mahles, bei dessen ursprünglicher Einsetzung
er ja nicht zugegen war. Wir dürfen wohl sagen,
daß diese Offenbarung mit seiner Sonderstellung als „Verwalter
der Geheimnisse Gottes" (vergl. 4. Kor. 4, 4) zusammenhängt.
— 448 —
Was dem Herrn derart wichtig ist, daß Er Seinem
Apostel dazu eine besonders geoffenbarte Mitteilung gab,
sollten gewiß alle wahren Kinder Gottes zu schätzen wissen,
zumal der Herr ausdrücklich gesagt hat: „D i e s tut
zumeinemGe d äch tn i s!" (Luk. 22, 49; 4. Kor. 44,
24. 25.) Und unter welchen Umständen sagte Er dies, in
welch dunkler Stunde!
Einer der Zwölfe war es, der Jesus in die Hände Seiner
erbitterten Feinde überlieferte. Judas wußte, daß diese
Feinde seinen Herrn zu töten wünschten. Wohl mag es
sein, daß er mit einem Wunder Jesu rechnete, so daß das
Allerschlimmste am Ende vermieden wurde. Aber dieser
Umstand macht sein Tun nicht besser, zumal Worte und
Verhalten Jesu ihm deutlich bewiesen, daß die Tatsache
Seiner baldigen Überlieferung in der Menschen Hände Ihn
ständig aufs tiefste bewegte. Und so überlieferte der Jünger
seinen Herrn in der bekannten Weise. „Einer von euch",
sagt der Herr. (Matth. 2b, 24 usw.) Dieser Mensch von
Karioth hatte sich sogar erboten, Ihn zu überliefern.
Der Wortlaut von Matth. 26, 44—46 beweist dieses Anerbieten
an den Rat.
In jener furchtbaren Nacht mit der Verhaftung des
Herrn, mit der Flucht Seiner Jünger und den verschiedenen
Verhören bis zum schrecklichen Abschluß — wie steht
der Herr von Anfang bis zu Ende so groß da! Und zu dem
Größten, scheint mir, gehört es, wenn Er, der doch alles
wußte, was Ihm bevorstand, kurz bevor alles kam, wie es
kommen mußte, dieses Neue einsetzte und sagte:
„Dies tut zu meinem Gedächtnis!"
„Zum Gedächtnis" — dieser Ausdruck erklärt sich
uns aufs einfachste, wenn wir die Verordnung zum Passah
— 119 —
in 2. Mose 12, 14 studieren. Und doch, wie groß ist der
Unterschied zwischen dort und hier! Für uns ist nicht eine
zeitliche Errettung vollbracht worden, sondern eine ewige,
die uns dahin leitet, anbetend des großen Erretters zu gedenken
in gemeinsamer Danksagung.
Der Herr unterschied das Brot vom Kelche. Vom
ersteren sagte Er: „Dies ist mein Leib, der für euch ist".
Verschiedene Lesarten (vergl. auch Luthers Übersetzung)
gestatten die Jusatzworte: „der für euch gebrochen wird".
(1. Kor. 11, 24.) Ich will nicht versuchen, zu entscheiden,
ob diese Fassung richtig sein mag. Aber ich bitte, nicht zu
erschrecken, wenn jemand in einem Dankgebet diese Worte
benutzt und etwa sagt: „Sein Leib .. für uns gebrochen".
Gewiß ist nicht zu vergessen, daß geschrieben steht: „Kein
Bein von Ihm wird zerbrochen werden". (Vergl. Ioh.
ly, 36 mit 2. Mose 12, 46.) Dieses Wort hat sich erfüllt.
Dem Herrn wurden nicht, wie das bei den Räubern geschah,
die Beine zerschlagen, um den Tod — im Blick auf
den anbrechenden Sabbath — zu beschleunigen. In diesem
Sinne durfte Ihm, dem wahren Passah, „kein Bein zerbrochen
werden". Aber im übrigen, wie ist dieser heilige
Leib mißhandelt, angenagelt, zerstoßen und zuletzt auch
noch mit einem Speer durchbohrt worden! Immerhin,
wenn wir heute im Gebet die Wendung: „für uns gebrochen",
vermeiden, und statt dessen sagen: „Für uns ge-
gebe n", so tun wir gut. Das ist ja der Hauptgedanke in
diesem Kapitel: Er gab Seinen Leib füruns:
Später reichte Er den Seinen den Kelch, der vom
Passah übrig war: „desgleichen auch den Kelch nach dem
Mahle". „Desgleichen" bedeutet: wie beim Brote lobpries
Er vorher. Dieser Kelch redet von Seinem teuren Blute,
120
das die Sühnung und zugleich auch die rechtliche Grundlage
des Neuen Bundes wurde (der in einem noch zukünftigen
Zeitpunkt mit Israel geschlossen werden
wird). Man lese betreffs des Vorbilds 2. Mose 24, 8. Wie
der Neue Bund mitSeinem Blute, so ist der erste Bund
mit dem Blut von Opfertieren eingeweiht worden.
Mit diesem Blut ist der Gläubige erlöst worden, jenem
„kostbaren Blute Christi, als eines Lammes ohne Fehl
und ohne Flecken", (4. Petr. 4, 4Y.) Wer könnte es genugsam
schätzen? Und wieder fügt der Herr hinzu: „Dies
tut.. zu meinem Gedächtnis!" Das Blut ist vom Leibe getrennt
erwähnt — das Zeichen des Todes des Herrn, den
wir verkündigen —, weil die Sühnung vor Gott, dem Heiligen,
durch Sein teures Blut erfolgen mußte. „Ohne
Blutvergießung gibt es keine Vergebung." Wenn eine einzige
Persönlichkeit der „Vielen" gerettet werden sollte, so
mußte erst jene einzig vollwertige Sühnung geschehen, die
in dem Kelche geistig vor uns tritt, wenn wir ihn trinken.
(4. Kor. 44, 25.)
Im 40. Kapitel redete der Apostel von dem „Kelch der
Segnung", nicht etwa von dem „gesegneten Kelch", wie
Luther übersetzt. Ich erwähne dies nebenbei, weil der letzte
Ausdruck leicht zu irrigen Vorstellungen (Meßopfer) führt.
Es heißt richtig: „Kelch der Segnung", d. h. der Danksa­
gung. Dieser Kelch redet zwar von Segnungen und ruft
Lobpreis hervor, Danksagung für Ihn, der ihn uns gab-
Aber wie schrecklich war Sein Kelch! Die Menschen häuften
alle ihre Bosheiten auf Ihn, aber Er nahm diesen Leidenskelch
aus des Vaters Hand. (Joh. 48, 44.) Wunderbarer
Herr, der in Frieden selbst diesen Kelch von dem
Vater annehmen und ihn trinken konnte! Wenn wir heute
— 121 —
den „Kelch der Segnung" trinken, so gedenken wir Seines
Todes und damit Seiner großen Liebe. Nicht das Kreuz
betet man an, noch die Dornen, nicht das Blut an sich, noch
Seinen Schweiß, so wirklich und erschütternd diese Einzelheiten
sind — wir beten Ihn an. Seine Person, zuSeine
m G e d ä ch t n i 6.
Im Essen des Mahles des Herrn bekunden wir und
alle Leute, die das Abendmahl halten: Christus, der
Herr, ist gestorben. Gewaltige Tatsache! Indem Er
freiwillig sich preisgab, begründete Er eine neue Art des
Lobes und der Verherrlichung Gottes. Denn wir können
jetzt als erlöste Kinder Gottes Ihn als Vater preisen.
Und dieser Christus lobsingt nun Gott selbst inmitten der
Versammlung. (Ps. 22, 22.) Indem Er uns zu Seinen
„Brüdern" erhob — welche Herablassung und Güte! —
machte Er sich mit uns eins auf Grund Seines Todes und
Seiner Auferstehung. Sein Vater ist unser Vater, Sein
Gott ist unser Gott. (Joh. 20, 17.) Das war die erste Botschaft
des Auferstandenen an die trauernden Jünger durch
Maria von Magdala.
Man hat gefragt: Gehört
die Anbetung des Vaters
in die Stunde des Zusammenseins, in der wir als Hauptzweck
das Mahl des Herrn essen zu Seinem Gedächtnis?
Daß in 1. Kor. 71, nicht die Liebe des Vaters erwähnt
wird, steht fest. Aber wird die Beschäftigung mit der Liebe
des Sohnes nicht ganz von selbst auch zu dem teuren Gott
und Vater führen, der den eigenen Sohn in solche Not hineinführte?
Der Akt des Brotbrechens selber hat es freilich
mit Christus allein zu tun, und daß es das Gedächt -
n i s mahl des Herrn ist, zu dem wir zusammenkommen,
r22
sollte auch während des ganzen Zusammenseins nicht
außer acht gelassen werden. Trotzdem wird es, meine ich,
eins unserer größten Vorrechte bleiben, gerade bei diesem
Zusammenkommen auch dem Vater anbetend zu nahen,
eingedenk der eigenen Worte des Herrn: „Der Vater sucht
solche (d. h. wahrhaftige Anbeter, die den Vater in Geist
und Wahrheit anbeten) als Seine Anbeter".
In Verbindung mit diesem Wort sei mir gestattet,
hier einige Gedanken über den Begriff „Anbetung" anzuführen,
die bereits vor einigen Jahren im „Botschafter"
gestanden haben, da sie in schöner Weise zeigen, wie die Anbetung
des Vaters den Sohn zum Gegenstand hat.
„Anbetung ist etwas, was der Mensch Gott darbringt.
Er darf Ihm etwas bringen. Es muß also etwas
sein, woran Gott Wohlgefallen empfindet, was Seiner
Herrlichkeit Freude bereitet. Müssen wir da nicht in erster
Linie an die Wertschätzung Dessen denken, den E r uns gegeben
hat? Er ist Seine höchste Gabe. Wollen wir Gott
ehren, wollen wir Ihn verherrlichen, ja, wollen wir Ihn,
Sein Herz, wahrhaft erfreuen? Wir können es durch nichts
mehr, als indem wir in Seine Gedanken und Gefühle in
bezug auf Seinen Sohn eingehen. In Ihm, dem Eingeborenen,
hat Er von jeher Seine Wonne gefunden. Dieses
Wohlgefallen an Ihm hat Er in besonderer Weise gefunden
und bezeugt, als Sein Eingeborener hinging, um Mensch
zu werden, als Er kam, um Seinen Willen zu tun. Für
Ihn war Er das vollkommene Brandopfer, der sich
selbst ohne Flecken Gott geopfert hat, in vollkommener Liebe
und völligem Gehorsam, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch.
„Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben
lasse." Seines Vaters Herrlichkeit stand auf dem Spiel.
Er hat sie überaus herrlich gemacht. Er hat sie triumphieren
lassen. Durch Ihn ist die sittliche Herrlichkeit Gottes
in ihrem vollen Glanze hervorgestrahlt. Durch den Menschen
war Er verunehrt worden. Nie hätte derunschul -
dige Mensch Ihn so verherrlichen können. „Ich habe dich
verherrlicht auf der Erde." Das konnte nur der Sohn sagen.
Er ging hin in vollkommener Liebe und in vollkommenem
Gehorsam. Sein Weg führte Ihn an das schreckliche
Kreuz. Sollten wir errettet werden, so mußte Er für uns
eintreten. Er mußte sterben, weil wir Sünder waren, arme,
rettungslos verlorene Sünder, sündig durch und durch.
Er, der „Sünde nicht kannte", mußte „für uns zur Sünde
gemacht" werden. Das Gericht mußte Ihn treffen, das
Gericht des heiligen Gottes wider die Sünde. Gottes Angesicht
verbarg sich Ihm nicht nur, der ganze gerechte Zorn
Gottes gegenüber der Sünde wälzte sich auf Ihn herab.
Gott mußte Ihn „zerschlagen".
„Denkst du an alle deine Sünden? Der Mensch sucht
sie vor Gott zu verbergen. Gott gedachte analle, und für
jede derselben mußte Christus leiden, gestraft werden.
Keine konnte Ihm erspart bleiben. Er trug sie alle in die
unmittelbare Gegenwart Gottes, des heiligen und gerechten
Gottes. Er litt die Strafe für sie, deine und meine
Strafe. Jesaja 5Z ist dafür ein unauslöschliches Dokument.
Je öfter ich es lese, desto mehr ergreift es mich in allen Fasern
meines Herzens. Die überaus dunkle Szene dort am
Kreuz tritt überwältigend vor meine Seele. Was kann sie
anders auslösen in mir als heißes Dankgefühl neben innigstem
Mitfühlen für Seine Angst und Schmerzen? Ihr
Strom muß zu Ihm auöströmen, muß in Bewunderung,
Lob und Preis emporsteigen, muß sozusagen untersinken in
— 124 —
dem unergründlichen Meer Seiner Liebe. Das ist A n -
betun g."
In dem Sinne obiger Ausführungen genommen, dürfen
wir sicher sagen: Das Wort des Herrn Jesus aus Joh.
4, 23 findet auch Anwendung auf die Anbetung am Tische
des Herrn. Als Versammlung zusammengekommen, haben
wir Christus als das Opfer vor Augen. Dasselbe Feuer
des Gerichts, das Christus zu erleiden hatte — es hat das
Feuer der Anbetung entzündet, das der goldene Altar trägt.
Heißt es in Hebr. 13: „Durch Ihn nun laßt uns Gott
stets ein Opfer des Lobes darbringen...", — eine Aufforderung,
die dem einzelnen gilt —, so kann beim Lesen
der Worte aus Joh. 4 mit Recht an einen gemeinsamen
Gottesdienst gedacht werden, denn in diesem Kapitel ist von
Stätten der Anbetung (Jerusalem und „dieser Berg")
die Rede. Ein solcher gemeinsamer Gottesdienst wird immer
seine höchste Ausprägung beim Abendmahl finden und so
naturgemäß auch zur Anbetung des Vaters führen, der
den Sohn hingab in Gericht und Tod. Über die Art und
Weise dieser Anbetung Richtlinien aufzustellen, ist nicht
unsere Sache. Sie zu bestimmen, ist Sache des Heiligen
Geistes. Seien wir achtsam auf Seine Leitung, anderseits
aber auch vorsichtig in der Beurteilung, wie weit dieses oder
jenes Danklied nach der einen oder anderen Seite zu viel
oder zu wenig ausdrückt. Gott helfe zu sorgsamen und
geistlichen Äußerungen in Wort und Lied an diesem heiligen
Platze! Das Herz soll, im Geiste Gottes geübt, sich ausdrücken.
Der Verstand ist hier zu fürchten. Unser Gott
ist ein treuer Vater, der uns ins Verständnis der Wahrheit
führt, und der uns Seinen Heiligen Geist auch zu dem
Zweck gab, um jetzt Anbeter zu sein. „In Geist und Wahr
125
heit" — eng verbunden miteinander: ein heiliges Zwil­
lingspaar.
Möge doch der Heilige Geist mehr Raum im eigenen
Leben erhalten, damit die Liebe des Vaters, welche uns
diese „unaussprechliche Gabe" geschenkt hat, unter uns eine
rechte Antwort finde! Sollte unser Gott und Vater nicht
auch nach dem Ausdruck unserer liebenden Herzen verlangen,
wenn wir am Tische des Herrn, Seines Geliebten,
versammelt sind? (Schluß folgt.)
Zn dienest gesandt
Nicht für die Einsamkeit erzieht sich der Herr Seine
Jünger, sondern um ein Zeugnis für Ihn zu sein. Nicht
abseits von der Welt, sondern mitten durch die Welt führt
Er uns zum seligen Ziel. Er enthebt uns nicht der Proben
und Kämpfe, der Schwierigkeiten und Aufgaben des Lebens,
sondern stellt uns mitten in sie hinein. Als Salz der
Erde setzt Er uns mitten unter die, die im Verderben sind
und dem ewigen Verderben entgegengehen. Als Licht der
Welt stellt Er uns nicht in die Verborgenheit, sondern mitten
in das Leben und Treiben der Finsternis hinein. Er
fürchtet sich nicht, Seine Lämmer mitten unter die Wölfe
zu senden. Dennoch handelt Er von Fall zu Fall verschieden,
bald vor zu großen Proben bewahrend, bald durch zugelassene
Proben die Glaubenskräfte stärkend und stählend.
Er kennt jeden einzelnen und handelt mit ihm ganz
seiner Eigenart entsprechend. Von Israel lesen wir: „Und
eS geschah, als der Pharao das Volk ziehen ließ, da führte
Gott sie nicht den Weg durch das Land der Philister, wiewohl
er nahe war; denn Gott sprach: Damit es das Volk
126
nicht gereue, wenn sie den Streit sehen, und sie
nicht nach Ägypten zurückkehren". (2. Mose 13, 17.) Einen
Samuel aber ließ Er aufwachsen neben den gottlosen
Söhnen Elis. Seinen Gesalbten, den jugendlichen David,
stellte Er neben einen Saul, von dem der Geist Jehovas
gewichen war, und den ein böser Geist ängstigte. Er ließ
Daniel und seine Freunde mit nach Babel ziehen, weil Er
wußte, daß für sie Seine Gnade ausreichend sein würde,
um sich auch in dieser Atmosphäre zu bewähren. Er ließ
auch einen Joseph an dieser Gnade keinen Mangel leiden,
damit er in der verführerischen Umgebung, im Hause Po-
tiphars, ein Zeugnis sein könnte und vor dem Bösen bewahrt
bliebe.
Der Herr betete einst zum Vater: „Ich bitte nicht,
daß du sie aus der Welt wegnehmest, sondern daß du sie
bewahrest vor dem Bösen. .... Gleichwie du mich in die
Welt gesandt hast, habe auch i ch sie in die Welt gesandt."
(Joh. 17, 15. 18.) — Hier in der Welt finden wir unseren
Bewährungsboden und unser Arbeitsfeld.
Wir sind nicht in die Welt gestellt, um uns ihr gleichförmig
zu machen, sondern um sie durch Glauben zu überwinden,
nicht um uns zu beugen vor ihren Götzen, sondern
um in ihr dem wahren und lebendigen Gott zu dienen, nicht
um uns zu erquicken an ihren löcherichten Brunnen, die
ohne lebendiges Wasser sind, sondern um Menschen zu
Dem zu führen, der da sagt: „Ich will dem Dürstenden
aus der Quelle des Wassers des Lebens geben umsonst".
(Offbg. 21, 6.) Wir sind nicht berufen, uns in ihr zu verlieren,
sondern in ihr unseren Fremdlingscharakter zu bewahren
als solche, deren Bürgertum in den Himmeln ist.
Wir sind berufen, tadellos und lauter zu sein, unbescholtene
127
Kinder Gottes, um als solche zu scheinen wie Himmelslichter
in der Welt, darstellend das Wort des Lebens.
(Vergl. Phil. 2,15.1b.)
Bemerkungen über den Brief
an die Lolosser
ii.
(Kap. 1, 4—18; Fortsetzung)
Wenn ich auf Christus blicke, wie Er hier auf der
Erde war, so sehe ich Ihn in Schwachheit und Schande und
Verwerfung, dabei aber voll der tiefsten Gnade, und dies
nirgends mehr als am Kreuze; und obgleich wir nicht auskommen,
ohne Ihn so zu betrachten — denn in Wahrheit
ist Christus überall unaussprechlich kostbar und unbedingt
nötig für uns —, so besteht doch für den Christen das Mittel,
um „Kraft" zu finden, in dem Schauen auf den auferstandenen
und verherrlichten Christus. Ohne Zweifel
weckt der Gedanke an den Christus, der einst hienieden in
dieser Welt war, die Zuneigungen des Herzens, geradeso
wie das Kreuz der Gewissensnot begegnet. Aber keins von
beiden kann aus sich selbst Kraft geben; keins ist von Gott
dazu bestimmt, uns alles das darzureichen, was wir in dieser
Hinsicht brauchen. Das ist der Grund, daß die, welche
Christus überhaupt kennen, wohl Leben und Segnung in
Ihm finden werden, aber niemals Kraft, wofern der irdische
Pfad Christi alles ist, was ihre Herzen beschäftigt.
Was ist es denn, das in dieser Hinsicht unserem Bedürfnis
entspricht? Wir finden es in 2. Kor. Z: „Wir alle, mit aufgedecktem
Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend,
werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit
128
zu Herrlichkeit". (V. 18.) Hier haben wir das, was Kraft
gibt fürs Leben. Die Frage nach Kraft ist nur in Verbindung
mit Seiner Herrlichkeit zu lösen. Handelt es sich dagegen
um Mitleid (vergl. Hebr. 4,15), so steht dies immer
in Verbindung mit Seinem Leben hienieden. So ist im Hebräerbrief
z. B. wohl von Christus als zur Rechten Gottes
befindlich usw. die Rede, aber hauptsächlich doch in Verbindung
mit dem Gedanken, daß Er der ist, welcher von Mitgefühl
bewegt wird im Blick auf unsere Schwachheiten,
indem Er einst in allem versucht worden ist wie wir, ausgenommen
die Sünde. Das ist überaus tröstlich in bezug
auf die Kraft des Mitleids. Ewiges Leben und Kraft sind
zwei sehr verschiedene Dinge. Manche kennen nur den einen
Gedanken, Christus als ihrem Vorbild nachzufolgen.
Das ist natürlich bewundernswert; aber wo soll die Kraft
dazu Herkommen? Zuerst muß ich in Verbindung mit Gott
sein, um ewiges Leben zu besitzen; und dann ist Kraft vonnöten.
Sie zu empfangen bin ich aber nicht eher in der richtigen
Verfassung, als bis ich die Erlösung durch das Blut
Christi kenne. Und Kraft ist allein zu finden in dem auferstandenen
und verherrlichten Christus. Die Kraftquelle
liegt nicht darin, daß man auf das schaut, was Er hienieden
war, sondern darin, daß man von der Herrlichkeit
weiß, die in Ihm ist. Die Macht dieser Herrlichkeit muß
mein eigenes Herz erfüllen und mir die Gewißheit geben,
daß ich bei Ihm sein werde. Ist dies der Fall, so werde ich
nicht vor der Verwerfung zurückschrecken, die Christi Teil
hienieden war, „gekräftigt", wie ich bin, „zu allem Ausharren
und aller Langmut mit Freuden". Es ist eine böse
Welt, die wir zu durchschreiten haben, aber wir besitzen ein
wundervolles Geheimnis: wir haben das Bewußtsein einer
r29
besseren Segnung, die wir in Christus besitzen. Möge man
mir deshalb die Bemerkung gestatten: Unser Durchschreiten
der Welt sollte in geradem Gegensatz zu dem eines
Menschen stehen, der mit gesenktem Kopf durch die Prüfung
geht. Es sollte vielmehr, entsprechend der Macht Seiner
Herrlichkeit, ein Durchschreiten mit Freuden sein,
„danksagend dem Vater, der uns fähig gemacht hat zu dem
Anteil am Erbe der Heiligen in dem Lichte".
Dazu sind wir schon gegenwärtig fähig gemacht.
Anteil an dem Erbe der Heiligen in dem Lichte haben, ist
ein überaus wundervolles Vorrecht. Aber der Apostel zögert
nicht, es von diesen Kolossern zu behaupten, Leuten,
die er im nächsten Kapitel mit allem feierlichen Ernst zu tadeln
im Begriff stand. Ihnen schreibt er, der Vater habe
uns fähig gemacht zum Anteil am Erbe der Heiligen in
dem Lichte. „In dem Licht" wird ausdrücklich hinzugefügt,
um zu zeigen, wie das Ergebnis des Werkes Gottes
in Christus ein unbedingtes ist. Es ist nicht einfach „das
Erbteil", denn in diesem Ausdruck ist nicht ohne weiteres
der Gedanke der alles bloßstellenden Heiligkeit enthalten,
wie es bei „Licht" der Fall ist. Ferner: der „Anteil der Heiligen
in dem Lichte" ist nicht eine Sache, die der Erde angehört,
ist auch nicht nur eben eine Himmelssache. Nein, eS
geht weiter. Der Anteil ist „in dem Lichte", da, wo Gott
als solcher wohnt. Ist das nicht ein geradezu wundersamer
Ort für uns? Und für diesen Anteil hat unser Vater
uns fähig gemacht. Das Gesetz hat stets die Wirkung, Gott
in die Ferne zu rücken. Deshalb wird hier der Vater vorangestellt.
Eö gibt viele, die in Gott nur den Schöpfer und
den Richter sehen. Obwohl sie zugeben, daß in Christus
das Leben ist, fühlen sie sich doch nicht heimisch bei dem Va
ter. Sie machen aus dem Christus, was die Papisten aus
der Jungfrau Maria machen. Das eine ist so falsch wie das
andere. Und eben dies machte es nötig, den Vater besonders
voranzustellen. Im Brief an die Epheser war das unnötig.
Die Epheser hatten Verständnis über die Wahrheit. Obwohl
nun der große Zweck des vorliegenden Briefes der ist,
aus Christus, aus Seiner uneingeschränkten Herrlichkeit
das zu machen, was Verordnungen usw. ausschließt, bringt
der Apostel doch gerade hier den Vater hinein, indem er
zeigt, daß der Vater in Seiner Liebe gewirkt hat. Die Verbindung
von vollkommener Liebe und unserem Passendgemachtsein
für das Licht, und zwar schon jetzt, ist eine
wundervolle Wahrheit. Was das Licht anlangt, so befindet
sich der Christ immer in demselben, wenn es auch der Fall
sein kann, daß er nicht immer dem Licht gemäß wandelt.
Wenn daher ein Christ sündigt, so sündigt er in dem
Licht, und das ist's, was seinem Sündigen einen, ich
möchte sagen, dreisten Charakter verleiht. Mag er sich selbst
praktisch in einem nicht guten Zustand befinden, dennoch
ist er immer in dem Lichte. Und das gerade ist es, was die
Sünde eines Christen so überaus ernst macht. Er begeht sie
angesichts einer vollkommenen Liebe und angesichts eines
vollkommenen Lichts. Deshalb gibt es keine Entschuldigung
für sie.
Das gesegnete Vorrecht, von dem wir sprachen, hängt
von zwei Dingen ab: zunächst von der Wirkung des Blutes
Christi, das eine vollständige Sühnung unserer Sünden
zustande gebracht hat, und sodann von der Tatsache, daß
uns das Leben Christi mitgeteilt worden ist, ein Leben, das
uns befähigt, mit Gott Gemeinschaft zu haben in dem
Lichte. Diese beiden Gnadengaben sind unbedingt wahr von
jedem Christen. Der Gläubige Hat das Blut, das ihn reinigt,
so weit er das je braucht; und er hat in Christus das
Leben, das seiner Seele in ausgedehntestem Maße mitge-
teilt worden ist. Was da noch an Erfahrungen hinterher
folgen mag, ist einfach eine vertiefte Wertschätzung dessen,
was das Blut Christi bewirkt hat, sowie davon, was Er
selbst ist, der uns eine solch unendliche Gunst erwiesen und
so viel für uns getan hat. Unser Vater hat aber noch mehr
getan, denn wie der Apostel ferner zeigt, hat Er „uns errettet
aus der Gewalt der Finsternis". Es handelt sich hier
nicht bloß um böse -Werke, sondern um die Gewalt der Finsternis,
um die Errettung aus der Gewalt Satans. Aber
der Apostel sagt nicht nur, daß die Gläubigen aus dieser
Gewalt errettet, sondern auch, daß sie „versetzt worden
seien in das Reich des Sohnes Seiner Liebe". Alles Ge­
schehene ist vollkommen. Die Errettung von dem Feinde
Gottes ist vollständig, und so ist es mit dem Versetztwordensein
in das Reich des Sohnes Seiner Liebe. „In welchem
wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden."
In Luthers Übersetzung finden wir der Vergebung der
Sünden noch „durch Sein Blut" hinzugefügt. In Wirklichkeit
gehören diese Worte aber zum Epheserbrief. (Kap. r,
7.) Ich bin überzeugt, daß die Abschreiber sie hier eingefügt
haben, weil sie dort stehen. Im Epheserbrief haben
wir eine größere Fülle als im Kolosserbrief. Daher zeigt
jener Brief, wie die Segnung möglich ist trotz unserer
Sünden, die in dem herrlichen Bericht dort (Kap. t) in
Erscheinung treten. Hier im Kolosserbrief dagegen haben
wir nur eben die Aufzählung der Segnung: „In welchem
wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden, welcher
das Bild des unsichtbaren Gottes ist".
— rZ2 —
Der Zweck ist augenscheinlich nicht so sehr, bei dem
Werke Christi zu verweilen, als vielmehr Seine persönliche
Herrlichkeit herauszustellen. So wird Er „das Bild des
unsichtbaren Gottes" genannt. Von Christus wird nie gesagt,
daß Er das „Gleichnis" des unsichtbaren Gottes sei
(vergl. Mose "l, 26), weil das den Gedanken Hervorrufen
könnte. Er sei nicht wirklich Gott. Das wäre ein verhängnisvoller
Irrtum. Er i st Gott (ohne dies wären Gottes
Herrlichkeit und Erlösung eitel); aber doch ist Er daö
Bilddes unsichtbaren Gottes, indem Er die einzige Person
der Gottheit ist, die Ihn kundgemacht hat. (Vergl.
Ioh. H ^8.) Der Heilige Geist offenbart Gott nicht. Er
offenbart Seine Macht, aber nicht Ihn selbst. Aber Christus
ist „das Bild des unsichtbaren Gottes". Er hat Gott
in Vollkommenheit dargestellt; Er ist die Wahrheit. Wer
Ihn gesehen hat, hat den Vater gesehen. Er war stets Der,
welcher Gott offenbarte. Das Wort „Bild^, so hat jemand
bemerkt, wird in der Schrift immer wieder in dem
Sinne von Darstellung gebraucht. Das ist auch hier der
Hauptgedanke. Christus hat den unsichtbaren Gott dargestellt.
Als Seine nächste Herrlichkeit wird gesagt, daß Erder
„Erstgeborene aller Schöpfung" ist. Diese Mitteilung
ist offenbar das Gegenstück zu der ersten, daß Er das Bild
des unsichtbaren Gottes ist. Christus wurde so wahrhaftig
Mensch, wie Er Gott war und ist. Er ward Fleisch. Nie
wird von Ihm gesagt, noch konnte von Ihm gesagt werden,
Er sei Gott geworden. Er nahm teil an Fleisch und
Blut in der Zeit, aber von Ewigkeit her ist Er Gott. Nachdem
der Apostel gezeigt hat, daß Er das Bild des unsichtbaren
Gottes war, spricht er. von Ihm als dem „Erstgebo
— 1ZZ —
renen aller Schöpfung". Aber wie ist das möglich? Das
Urbild davon haben wir in Adam. Wir würden sagen,
daß obiger Titel ihm zukomme als dem ersten Menschen.
Aber hier, wie an anderen Stellen, drückt der Titel „Erstgeborener"
eine besondere Würde aus, anstatt einen rein
zeitlichen Vorrang zu bedeuten. Adam war der erste
Mensch; er war aber nicht der Erstgeborene und konnte es
auch nicht sein. Aber wie kann von Christus, der doch so
spät hienieden geboren wurde, als von dem Erstgeborenen
gesprochen werden? Die Wahrheit ist, daß, wenn Christus
Mensch wurde und in den Bereich der Schöpfung eintrat.
Er einfach nichts anderes sein konnte. Denn Er ist der
Sohn und Erbe. In gleichem Sinn heißt es durch die
Gnade jetzt von uns, daß wir „die Versammlung der Erstgeborenen"
seien, obwohl esvor der Versammlung (Gemeinde)
Heilige, d. h. Gläubige gegeben hat. Es ist eine
Rang-, nicht eine Zeit frage. Christus ist in Wahrheit
der Erstgeborene aller Schöpfung. Er hat nie den Platz des
Geschöpfes eingenommen, bis Er Mensch wurde und dann
notwendigerweise der Erstgeborene sein mußte. Selbst
wenn Er buchstäblich der letzte gewesen wäre, mußte Er
dennoch der Erstgeborene sein, denn dies hat, wie gesagt,
nichts mit dem Zeitpunkt Seines Kommens zu tun, sondern
mit der Ihm innewohnenden Würde. Alle anderen
waren lediglich Kinder des gefallenen Menschen Adam, und
von ihnen konnte in keinem Sinne einer der Erstgeborene
sein. Er war so wahrhaftig Mensch wie sie, aber mit einer
ganz besonderen Herrlichkeit. Warum Er hier als Erstgeborener
aller Schöpfung vorgestellt wird, geht aus den
Worten hervor: „Denn durch Ihn sind alle Dinge geschaffen
worden". Das macht den Grund völlig klar. Er
— r34 —
war Erstgeborener aller Schöpfung, weil Er, der in den
Kreis des geschaffenen Menschentums eintrat, der Schöpfer
war; darum mußte Er notwendigerweise der Erstgeborene
sein. Das ist die klare und sichere Bedeutung dieser
Stelle, die auf das stärkste die Gottheit Christi bestätigt,
anstatt sie zu schwächen, wie einige die Stelle aus einem
seltsamen Mißverständnis heraus aufgefaßt zu haben scheinen.
Daher übersetzen viele: „der Erstgeborene vor allen
Kreaturen". (Luther.) *) Diese Auffassung ist unmöglich,
und es liegt in der Tat keinerlei Bedürfnis für eine Änderung
des Textes vor. Gottes Wort ist weiser als die Menschen.
Es gibt keine Schriftstelle, die Christi Würde mehr
hervortreten ließe als diese.
*) Menge: „Erstgeborener vor aller Schöpfung"; Schlatter:
„Erstgeborener vor allen Geschaffenen". Wisse: „Erstgeborener
vor jeglicher Kreatur".
Zuerst also wird von Ihm gesagt, daß Er das Bild
des unsichtbaren Gottes sei. Sodann haben wir Seinen
menschlichen Platz, an dem Er der Erstgeborene ist, weil,
da Er Gott ist, es nicht anders sein konnte. Im Hebräerbrief
heißt es von Ihm, daß Er zum Erben aller Dinge gesetzt
worden sei, weil Er der Sohn Gottes war. Hier aber
lesen wir: „Alle Dinge sind durch Ihn", oder wörtlicher:
„i n Ihm (d. i. vermöge Seiner, in der Kraft Seiner Person)
geschaffen worden". Die Bedeutung ist nicht einfach:
„durch" Ihn, sondern: vermöge Seiner eigenen göttlichen
Kraft. „Denn durch Ihn (in Ihm) sind alle Dinge geschaffen
worden, die in den Himmeln und die auf der Erde,
die sichtbaren und die unsichtbaren, es seien Throne oder
Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten: alle Dinge
sind durch Ihn und für Ihn geschaffen." Alles das
— rzs —
erstreckt sich auf Dinge, von denen wir wenig wissen,
Dinge, die außerhalb unseres Gesichtskreises liegen. Wie
im Anfang des Verses von dem die Rede war, was vermöge
Seiner Kraft (in Ihm) geworden ist, so heißt es am
Schluß „d u r ch" *) Ihn, weil Christus beides war: ein in
Seinem eigenen göttlichen Recht Handelnder, und ebenso
einer, der zu Gottes, des Vaters, Herrlichkeit als Dessen
Werkzeug handelte. „Alle Dinge sind durch Ihn geschaffen.'"
„Geschaffen worden" und „sind geschaffen"
sind unterschiedlich zu bewerten. In dem einen Fall ist es
eine abgeschlossene Handlung, in dem anderen dagegen das
als Ergebnis der vergangenen Handlung gegenwärtig Geschaute.
Das erste ist die Kraft, die ins Dasein rief, das
zweite das gegenwärtige Ergebnis. „Und Er ist vor allen,
und alle Dinge bestehen zusammen durch Ihn." Nicht nur
war Er vor allen Dingen, sondern vor allen (Gott
natürlich ausgenommen). Auch nicht, daß alle Dinge nur
waren, sondern sie sind „für Ihn" geschaffen, zu Seinem
Gefallen. „Und alle Dinge bestehen zusammen durch Ihn"
(hier wieder in (en) Ihm, kraft Seiner Person). Kraft
Seiner, in der Kraft Seiner Person macht den Gedanken
klarer und verinnerlicht ihn mehr. Es kommt dem Schreiber
darauf an, alle Unklarheit betreffs der Erhabenheit
Christi zu entfernen.
°*) im Griechischen zwei verschiedene Ausdrücke: en (in) und
ciis (durch).
Aber weiter: „Und Er ist das Haupt des Leibes, der
Versammlung, welcher der Anfang ist, der Erstgeborene
aus den Toten, auf daß Er in allem den Vorrang habe".
Den Grund hierfür werden wir in dem finden, was folgt.
Zunächst sei auf die interessante Tatsache hingewiesen, daß
136
es zwei sehr verschiedene Erstgeborene gibt: Den Erstgeborenen
aller Schöpfung, weil Er der Schöpfer ist, und
dann den Erstgeborenen aus den Toten. Dies letztere wird
hier als eine klare und wichtige Tatsache bezeugt. Christus
ist also nicht nur das Haupt der Schöpfung als Mensch,
sondern Er ist Erstgeborener aus den Toten als Auferstandener.
Zn Verbindung hiermit ist Er das Haupt der
Versammlung, der LLLle8is.Auf Erden stand Er nicht in
diesem Verhältnis. Er war es nicht nur einfach dadurch,
daß Er Mensch wurde. Daß das Wort Fleisch wurde, ist
eine Wahrheit, die ganz und gar verschieden ist von der,
daß Christus das Haupt der Versammlung ist. Letzteres
schließt eine weitere Wahrheit in sich, die der Vereinigung
oder Verbindung mit anderen. Von Ihm als dem Haupt
des Leibes, der Versammlung, kann erst die Rede sein,
seitdem Er aus den Toten auferstanden ist und Seinen
Platz im Himmel eingenommen hat. Aber der Kolosserbrief
beginnt nicht sogleich mit dem himmlischen Platz Christi.
Es ist der Epheserbrief, der Christus klar darstellt als Den,
der auferstanden ist und sich als Haupt gesetzt hat. Die
Sprache im Kolosserbrief trägt einen mehr allgemeinen
Charakter. Es wird nichts davon gesagt, daß Christus im
Himmel sei. Er ist „der Anfang, der Erstgeborene aus den
Toten, auf daß E r in allem den Vorrang habe". Manche
verwechseln Vereinigung mit Fleischwerdung. Aber durch
Sein Annehmen von Fleisch und Blut hienieden ist noch
keine Vereinigung geworden. Sie finden wir erst in der
Tatsache, daß wir zu Gliedern Seines Leibes gemacht worden
sind, und zwar jetzt, nachdem Er auferstanden und
verherrlicht ist. Solange Tod und Auferstehung nicht stattgefunden
hatten, konnte es keine Vereinigung mit Zhm
137
gebe». Erst nachdem Er auferstanden war, wurde der Heilige
Geist gesandt, um uns mit Ihm in dieser Stellung
der Auferstehung zu vereinigen. Von da an, und nicht vorher,
haben wir den Leib, die Versammlung. Er hatte einen
menschlichen Leib, selbstverständlich; aber der geheimnisvolle
Leib wird durch den Heiligen Geist gebildet, der her-
uiedergesandt wurde, nachdem Er aus den Toten auferstanden
war. Das eine war verbunden mit der Erde, das
andere steht in Verbindung mit dem Himmel.
Das ich ost gefunden habe
(Aus einem alten Brief)
... Wenn man die Auslegungen über die Bibel studiert
oder im Worte Gottes selbst forscht, ohne sichmit
den Seelen zu beschäftigen, so setzt man sich
stets einer großen Gefahr aus. Man verfolgt gewisse
Ideen. Die dazu notwendige Korrektur liegt darin, daß
man den Seelen nachgeht. Man muß danach trachten, das
eigene Wissen ihrem Zustand anzupassen, sonst wird es zu
nichts nütze sein. Man mag die Wahrheit auslegen und für
sich selbst darüber im klaren sein, aber das bedeutet noch
nicht, daß man auch in bezug auf andere den rechten Gebrauch
von ihr macht. Wenn unsere Intelligenz zu viel in
Tätigkeit tritt, so hört die Wahrheit auf, ein Band zwischen
den Seelen und Gott zu sein.
Ich habe noch nie jemand, der viel im Worte las, gefunden,
der sich, wenn er sich beim Forschen nicht seiner
Verantwortlichkeit den Seelen gegenüber in Liebe bewußt
war, nicht in Ideen verrannt hätte, die zwar manchmal
harmlos, oft aber auch völlig falsch waren. So kann die
138
Wahrheit noch nicht einmal ein Band zwischen meiner eigenen
Seele und Gott sein.
Wenn Sie, lieber Bruder, meinen, viel schaffen zu
müssen, so möchte ich Sie veranlassen, zuerst etwas für die
Seelen, insbesondere für die Unbekehrten, zu tun. Es ist
gar nicht zu glauben, wieviel Gutes das für einen selbst
bewirkt, wie man klein wird, und wie die Wahrheit dann
zu ihrem Rechte kommt. Ich sage „schaffen", weil man
forschen kann, ohne Ergebnisse zu haben, wenn auch das,
was man sucht, in sich selbst gut sein mag. Kommt es zu
solchen wirklichen Ergebnissen des Glaubens, bleibt es nicht
blos? bei Ideen, so werden unsere eigenen Seelen zur wahren
Stellung vor Gott geführt.
Selbstverständlich soll das, was ich sage, nicht etwa
dazu dienen, die biblischen Studien zu beeinträchtigen. Im
Gegenteil, sie werden gewinnbringender sein, weil der Geist
Gottes Seiner Natur gemäß Seine wahrhaftige Tätigkeit
entfalten und so, ungehindert wirkend, uns die göttlichen
Dinge mitteilen kann.
Dies ist es, was ich oft gefunden habe...
Im Januar 1845. I. N. D.
Antwort auf eine anonyme Kuschrist
in der beanstandet wird, daß im Februar-Botschafter Seite 46/47
gesagt wird, „die Verwendung des Salböls sei umso angebrachter
gewesen, falls es mit dem Erlös aus dem sündhaften Leben der
Frau erworben worden sei".
Ich versetze mich an die Stelle der Frau, denke mich in ihre
Gefühle hinein und sage mir dann:
Dein Leben hätte Gott geweiht sein sollen, nicht der Sünde.
Das Salböl wolltest du zur Befriedigung deiner Eitelkeit in weiterem
Sündendienst verwenden. Mas willst du jetzt damit anfangen,
da dein Leben diese Umstellung erfahren hat, da du dich und dein
Leben verurteilst, dich nach Vergebung und nach einem dich verste
— 13S —
henden und mitfühlenden Herzen sehnst, welches Herz du in diesem
Jesus, der im Hause des Pharisäers weilt, gefunden zu haben
glaubst? Könntest du etwas Besseres damit anfangen, als in Reue
Seine Lüste zu salben, um dadurch auszudrucken: Kann ich auch
meine Irrwege nicht ungeschehen machen, kann ich kein Ergebnis
eines Dienstes bringen, weil ich Gott nie gedient habe, so weihe ich
Ihm doch heute diesen Dienst der Huldigung. Er, den ich als einen
von Gott Gesandten liebe, wird es so aufnehmen, wie ich's
meine. —
Übrigens: Nahm Jesus nicht teil an Mahlzeiten, zu denen
Zöllner Ihn einluden, z. Bl Matthäus (Matth. 9, 9 usw.)? Und
legen die Evangelisten nicht durchweg den Gedanken nahe, daß die
Zöllner sich durch Betrug ihren Reichtum erwarben? (kies z. B.
kuk. 3, (2. (3 u. (9. 8.) Und der Herr, der gekommen war, das
verlorene zu suchen, den Kranken, nicht den Gesunden Arzt zu sein,
Sünder, nicht Gerechte zu rufen, ließ es sich gefallen, zu Gastmählern
geladen zu werden, deren Kosten wohl nicht alle mit einwandfrei
erworbenem Geld bestritten wurden.
Daß man doch nicht in den Fehler der Pharisäer verfalle, die
gnädige Herablassung des Herrn nicht verstehen zu können! Ist
mit dieser gnädigen Herablassung zu vereinen, was dis Zuschrift
weiter sagt: „Wie könnte etwas im Sündendienst Erworbenes für
unseren dreimal heiligen Heiland-Gott umso angebrachter, also
vorzüglicher geeignet sein?" Ich frage: Ist das Verhältnis des
hinter dem Vorhang im Allerheiligsten verhorgenen dreimal heiligen
Jehova des Alten Testaments zu den Menschen dasselbe wie
das des n i ch t in dreifacher Heiligkeit, sondern in Gnade gekommenen
Heilandes und Freundes der Sünder, der mit
ihnen d a verkehrte, wo sie waren, und in denverhältnis-
sen, in denen sie sich befanden, und eben dadurch ihre Herzen
gewann? der unter anderem ausdrücklich den Jüngern sagte:
„Machet euch Freunde mit dem ungerechtenMammon,
auf daß, wenn er zu Ende geht, man euch aufnehme in die ewigen
Hütten"? (Luk. s6, 9-)
Das mag genügen, um zu zeigen, daß der Beweggrund, der
dem Tun der Frau in Luk. ? zugrunde lag, den Gedanken ausschaltet,
als sei das Salböl wegen der ins Auge gefaßten Herkunft
etwas Unreines gewesen, wie die Zuschrift durch die sicher richtige
Bemerkung: „Nichts Unreines durfte in das Haus Jehovas kommen",
beweisen zu sollen glaubt.
Die Zuschrift möchte auch darauf Hinweisen, daß gerade
manche Hauptbetrachtungen des Botschafters, die tiefer in die
Wahrheiten führen, die also Helfer zum Ergreifen der großen
Reichtümer des Wortes Gottes sein sollen, für viele Kinder Gottes
schwer verständlich seien, daß ihnen manches wie ein verschlaf-
— 140 —
senes Land sei. Die Betrachtungen erforderten öfters eine zu große
Denkarbeit, die nicht viele leisten könnten usw.
Ich möchte dem Herausgeber die Blühe einer Erwiderung
abnehmen und sagen: Diese Beanstandung ist alt und kommt immer
wieder. Sind aber die Beanstander wirklich dis berufenen
Vertreter vieler Geschwister? Wer normalen verstand hat, seine
Bibel fleißig, unter Gebet, und den Botschafter regelmäßig und
aufmerksam liest, der wird verstehen können, was vorgetragen
wird. Fehlt es nicht vielfach am sich-Mühe-geben-w ollen, am
Denken-wollen beim Lesen? Was über Gottes Wort geschrieben
wird, ist keine Unterhaltungslektüre. Was man bei erstmaligen!
Lesen nicht versteht, muß man eben ein zweites Mal lesen,
und, wenn nötig, auch ein drittes Mal. Ls wird für den Leser kein
Schade sein. Man bedenke auch: Paulus schrieb seine Briefe über
die großen Reichtümer der ihm geoffenbarten Wahrheiten an
Leute, die auch nur normalen verstand hatten („nicht viele
Weise"! s. Kor. s), eben aus dein Heidentum herausgekommen
waren und z. T. das Alte Testament erst kennen lernen mußten.
Lr setzte voraus, daß er verstanden werde. Johannes desgleichen
setzte voraus, daß er verstanden werde, und richtete seinen ersten
Brief gleicherweise an drei verschiedene Altersklassen des geistlichen
Lebens: an Kindlein, Jünglinge und Väter. Liegt der Fehler
an ihm oder an uns, wenn seine Briefe dem Verständnis so viel
Kopfzerbrechen machen, wie es den Anschein hat? Haben wir,
haben die Beanstander schon das Wort im Hebräerbrief zu Herzen
genommen: „. . . . was mit Worten schwer ansznle -
gen i st, weil ihr im Hören träge geworden seid. Denn da ihr
der Zeit nach Lehrer sein solltet, bedürfet ihr wiederum, daß man
euch lehre, welches die Elemente des Anfangs der Aussprüche
Gottes sind; und ihr seid solche geworden, dis der Milch bedürfen
und nicht der festen Speise"? Also schon damals lag die Schwierigkeit
vor: Wie muß ich es anstellen, um das, was ich vortrage,
begreiflich zu machen? — Unter vielem, das gesagt werden könnte,
noch dieses: Haben die Kinder Gottes unter den Lesern des
Botschafters, Sie stärkerer Denkarbeit fähig sind, nicht anch ein Anrecht
auf Speise, die ihnen zusagt, wenn man einmal gelten lassen
will, daß manche Hauptbetrachtungen schwer verständlich seien?
Haben solche sich je beklagt, daß sie durch leichtverständliche Artikel
zu kurz gekommen seien? Gedacht mögen sie es haben. Sie
schwiegen aber darüber aus Nachsicht gegen die weniger denkstarken
Geschwister. „Zur gleichen Vergeltung" (2. Kor. 6, ss — (3)
mögen diese auch Nachsicht üben. Und dann sind doch in jeder Versammlung
Brüder, an die man sich um Auskunft wenden kann,
wenn einem etwas unverständlich ist. Frauen können ihre Männer
fragen, wie Paulus in s. Kor. s H, 35 anregt.
Der Verfasser des Artikels über Luk. ?.
Des Herrn Mahl
(Schluß)
„Wer irgend das Brot ißt oder den Kelch
des Herrn trinkt unwürdiglich..."
Die nachfolgenden Verse in l. Kor. ll warnen uns
und betonen die persönliche Verantwortung des Christen
in dieser hochheiligen Sache. Wenn Paulus sich des Wortes
„unwürdiglich" bedient, so meint er damit eine unpassende
Art und Weise des Genusses des Mahles des
Herrn. Die Korinther wie alle wahren Gläubigen sind
grundsätzlich würdig, dieses Mahl zu essen. „Unwürdig"
ist kein wahrer Christ, weil der Herr und Sein Werk ihm
die volle Würdigkeit erworben haben. Aber die Korinther
machten durch ihr unwürdiges Verhalten ihre Teilnahme
zu einer ungehörigen, so daß sogar Gottes Gericht über sie
kam. Daß die Warnung auch uns heute gilt, die wir alle
noch von Gefahren umgeben sind, versteht sich von selbst.
Daher ist Selbftgericht am Platze. „Wenn wir uns selbst
beurteilten, so würden wir nicht gerichtet." (V. 3l.)
Nachdem der Apostel in V. 28 und 29 persönlich den
einzelnen gemeint hat, wendet er sich an die Gesamtheit,
indem er einen ewigen Grundsatz vor uns bringt, der der
Allgemeinheit so gut gilt, wie der Apostel ihn auf sich anwendet,
denn des Herrn Mahl ist heilig und eine priesterliche
Handlung des Anbetens vor dem Herrn. Darum ist
dieses Teilnehmen bei allem Köstlichen doch eine Sache,
die mit dem heiligen und erhabenen Herrn
UXXXIIIl 6
742
und Seinem Namen verbunden ist. Gott macht über ihr,
das sollten wir stets bedenken, wenn es uns auch bekannt
sein mag. In Korinth hatte Gott die Versammlung heimgesucht.
(V. 30.) Er wollte heilen und wieder zurechtbringen.
Denn dieses Gericht ist nur zeitlich; eS hat den Zweck,
„zur Disziplin zu bringen", wie ein geliebter Bruder übersetzt
hat. So hat hier Gottes Gericht den Zweck heiliger
Erziehung, ähnlich wie in Hebr. 72, 5. 6. 10. 77.
Die Welt hat die Verdammnis zu gewärtigen. Der
ungläubig hinsterbende Mensch wird verdammt werden,
wie in Joh. 3, 3b gesagt ist. Gott aber erzieht heute
Seine Heiligen als der „Vater der Geister"; das sollten
wir wissen, damit wir Seinen heiligen Namen fürchten.
Ziel Seiner Erziehung ist, daß „wir Seiner Heiligkeit teilhaftig
werden". Sie geschieht uns „zum Nutzen". Das
zeitliche Gericht aber können wir uns ersparen, wenn wir
uns daran gewöhnen, „uns selbst zu richten". Der Heilige
Geist will uns diese Lauterkeit lehren. An uns ist es, uns
vom Geiste leiten zu lassen.
Was sagt der Apostel in 2. Kor. 7 zu Beginn? Auf
das in Kap. b, 78 Verheißene zurückweisend, macht er die
ermutigende Schlußfolgerung: „Da wir nun diese Verheißungen
haben, Geliebte, so laßt uns uns selbst reinigen
von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes, indem
wir die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes". Wer
aber unordentlich wird, dahinläuft nach dem eigenen verkehrten
Sinn des alten Menschen, unaufrichtig, unwahr,
und gar oft sich in noch schlimmeren Dingen bewegend,
und dann doch zum Abendmahl kommt,
ohne Selbstgericht zu übeninTreue,
— was soll Gott mit einem solchen tun? Wird Er ihn in
143
Ruhe lassen? Wird Gott nicht nach dem vielfachen Mahnen
und Warnen zur Züchtigung schreiten müssen?
Daß man dem Herrn seine Vergehungen bekennen
soll, ist jedem Christen aus 1. Joh. 1 gut bekannt. Daß
man aber auch gegenseitig zu bekennen hat, scheint weniger
bekannt zu sein. Man studiere doch still für sich Jak. 5,1b!
Das Ende wird ein Erschrecken sein über die eigene Gleichgültigkeit.
Wohl uns, wenn es dahin kommt! Denn verschließen
wir uns in Hochmut den Mahnungen des Wortes,
so kann es geschehen, daß der Satan sich diesen Hochmut
zunutze macht, um die Heilung zu verhindern und die
praktische Gemeinschaft mit Gott und mit den Heiligen
ganz zu ruinieren, wenn — Gott nicht dazwischentritt.
So beachtenswert das Wort ist: „Wenn wir uns
selbst beurteilten", so wichtig ist es, im Blick auf andere
auf das zu achten, was der Apostel seinen geliebten Korinthern
vorher, im 4. Kapitel, geschrieben hatte. Daß Gottes
Gericht in Korinth bei Seinem Hause angefangen hatte
(vergl. 1. Petr. 4,17), beweist klar der 30. Vers unseres
Kapitels: „Deshalb sind viele unter euch schwach und
krank, und ein gut Teil sind entschlafen". Doch wer wollte
nun feststellen, welche Christen am meisten belastet waren
in Korinth? Waren die Entschlafenen, die Kranken etwa
die Schuldigen gewesen? Vielleicht war es im allgemeinen
so. Doch hüten wir uns heute, im Blick hierauf
voreilige Schlüsse zu ziehen. Der Herr hat oft diejenigen
am Leben gelassen, die verworrene Wege gegangen sind.
Statt dessen hat Er häufig Segensträger fortgenommen,
um undankbar gewordene Versammlungen zu züchtigen.
Wir werden nicht angeleitet, andere zu beurteilen, sondern
es heißt: „Wenn wir uns selbst beurteilten..."
144
Wir können dieses Wort nicht ernst genug nehmen,
denn: Wer unwürdiglich ißt und trinkt,
„wird des Leibes und Blutes des Herrn
schuldig sein".
Dies wäre nach des Apostels Wort also der Fall,
wenn sie „unwürdiglich essen und trinken" würden. Die
Leiden des Herrn als Zeuge Gottes und als zum Tode
überliefert haben boshafte Menschen über Ihn gebracht.
Und der leichtfertige Christ würde an seinem Teile dies —
bildlich gesagt — wiederholen, wenn er mit ungerichteter
Sünde am Mahl des Herrn teilnehmen würde. Er versündigt
sich damit am Leibe und Blute seines Herrn, indem
er die heilige Handlung nicht mit der gebührenden Ehrfurcht
vornimmt. Das will kein wahrer Christ. Aber der
Apostel warnt uns, indem er zugleich den Seelen das tiefe
Bewußtsein der Tatsache einprägt, daß Christi Leib und
Blut aufs entsetzlichste behandelt worden sind durch jene
Welt, die dafür Gott einst Rechenschaft geben wird. Leichtfertige
Gläubige können sich in leeren Formen bewegen.
Sie können ganz richtige und passende Schriftstellen verlesen
und schöne Lieder Vorschlägen. Das kann eine Weile
ohne den Heiligen Geist möglich sein.
Helfe der Herr uns immer mehr zur Wirklichkeit im
Heiligen Geiste! Ich erinnere bei dieser Gelegenheit an
das heilige Zeugnis Gottes wider das „fremde Feuer"
in Z. Mose rv. Nur was vom Brandopferaltar ge­
nommen wurde, durfte als reines Feuer auf den goldenen
Altar der Anbetung und Fürbitte kommen. Eigenes Feuer
war verboten. Es ist heute nicht weniger verwerflich.
Zum Schluß sei noch auf ein Wort hingewiesen, das
häufig in Verbindung gebracht wird mit dem Mahle des
r4Z
Herrn. Es ist die Aufforderung des Apostels in dem S. Kapitel
unseres Briefes, Vers 8:
„Laßt unsFestfeier halten..."
An dem Gedanken, daß die obige Aufforderung sich
auf das Mahl des Herrn beziehe, wird man kaum festhalten
können, wenn man das Kapitel im Zusammenhang
liest. Erst im U. Kapitel kommt der Apostel ja auf die
Gedächtnisfeier zu sprechen. In Kapitel 5 redet Paulus
vom Passah: „Christus, für uns geschlachtet". Er schreibt
mit großer Entschiedenheit vom Ausfegen des alten Sauerteigs,
sowie des Sauerteigs der Bosheit und Schlechtigkeit,
mit anderen Worten: vom Selbstgericht. Wie
im Vorbild der wirkliche Sauerteig fehlen mußte, so sollte
es bei uns im Geistlichen sein. Feierten sie ehedem Passah,
indem sie das Lamm aßen usw., so feiern wir es mit unseren
S e e l e n. Das ist aber doch nicht essen vom Abendmahlsbrot,
als wenn dieses unser Passah vorstellen solle.
Nein, es handelt sich hier um geistliche Dinge.
Die Aufforderung: „Laßt uns Festfeier halten!" steht
übrigens wohl noch mehr in Verbindung mit der Fortsetzung
des Passah, d. h. dem „Fest der ungesäuerten Brote",
als mit dem Passah selbst. (Vergl. Z. Mose 23, S. 6.)
Das „Fest der ungesäuerten Brote" dauerte bekanntlich
sieben Tage, das Passah nur einen Tag. Diese sieben Tage
aber deuten das Leben an, das der Erlöste jetzt „mit Ungesäuertem
der Lauterkeit und Wahrheit" führt, oder besser
gesagt, führen sollte — die ganze Lebenszeit hindurch. Ein
solches Leben wird der Seele zur Festfeier, weil diese Lauterkeit
das praktische Glück der Seele verbürgt.
Wer die Verse 5 und 6 in 3. Mose 23 aufmerksam
liest, wird mit mir darin übereinstimmen, daß „Festfeier
146
halten" nach 1. Kor. 5, 8 das heilige Leben des Christen
bedeutet, nicht etwa das Abendmahl. Aber das möchte ich
fragen: Sollte nicht jedesmal beim Essen des Mahles des
Herrn die Energie, der Wunsch verstärkt werden, in jener
Lauterkeit zu wandeln? Man könnte noch fragen: Wird
das Essen des Abendmahls überhaupt eine „Feier" ge­
nannt im Worte Gottes? Wer den Ausdruck braucht, mag
es tun; aber wenn ich erwäge, woran dieses Essen denken
läßt: an Seinen Tod, Seine Leiden, Seine Schmach, Sein
Kreuz, dann kann ich nicht gut von „Festfeier" reden. Aber
wohl kann unser Leben als Christen für Ihn eine solche
werden durch die Gnade.
Hier sei noch bemerkt, daß oft von dem Fest unserer
Errettung gesprochen wird. Davon sagt die Schrift nichts.
O wenn doch mehr vor unseren Blicken stünde, was
die Ursache des Kreuzes und Todesleidens unseres teuren
Herrn war — meine Sünden, mein sündiger, hoffnungslos
verderbter Zustand —, und wie Er durch Gericht
und Tod hindurchgegangen ist, mir zum Heil und Gott
zur Verherrlichung, wie würde diese Erinnerung sich auch
auswirken bei dem Mahl des Gedächtnisses, das für alle
Zeit Sein letztes und köstlichstes Vermächtnis ist und bleibt!
„Habet acht auf euch selbst___"
Ganz allgemein gilt, daß der Mensch den anderen
leicht schärfer beurteilt als sich selbst. Über nichts ist er
mehr im unklaren als über sich selbst. Wird einem Menschen
zum ersten Mal der untrügliche Spiegel des göttlichen
Wortes vorgehalten, so bestreitet er entrüstet die Zuverlässigkeit
des Spiegels. Es ist ein Zeugnis der göttlichen
147
Gnadentätigkeit und ein besonderer Grund zur dankbaren
Anerkennung derselben, wenn ein die Wahrheit scheuender
Mensch dahin kommt, das göttliche Zeugnis über sich selbst
anzuerkennen, nachdem er sich in diesem Spiegel gesehen
hat. Und es bedarf derselben Gnade, um den Menschen, der
seinen Platz vor Gott eingenommen hat, auch auf diesem
Boden zu erhalten. Dazu braucht er ständig den Spiegel;
sonst vergißt er, wie er beschaffen ist. (Jak. 1, 24.)
„Habet nun acht auf euch selbst..." Das ruft der
Abschied nehmende Apostel den Ältesten von Ephesus
mahnend zu. Es handelte sich um Männer, denen er bezeugte,
daß der Heilige Geist ihnen Platz und Amt verliehen,
die sich also bis dahin bewährt hatten. Mit feierlichem
Ernst sagt erdiesen Männern: „Aus euch selbst werden
Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger
abzuziehen hinter sich her". (Apstgsch. 20, 30.) Angesichts
solcher Worte, zu solchen Männern geredet,
erfaßt uns Furcht vor uns selbst, Furcht vor Fehlgehen
und Abirren, Furcht vor Blindheit und Selbstbetrug. Diese
Furcht ist heilsam. Sie bewahrt vor Überhebung und leitet
an zum Achthaben auf uns selbst mittelst des treuen und
wahrhaftigen Spiegels, den Gottes Wort darstellt. Auf
diesem Boden bewahrheitet sich: „Glückselig der Mensch,
der sich beständig fürchtet". (Spr. 28, 14.) In Wahrheit,
mit dieser gesegneten Furcht ist Freude und Dankbarkeit
gepaart, die hervorgehen aus dem Bewußtsein, daß über
allen feindlichen Mächten und Widerständen ein übermächtiger
Heiland steht, der betreffs Seiner Erlösten gesagt hat:
„Niemand wird sie aus meiner Hand rauben". Auf diesem
Boden besteht Sicherheit; die mächtige Hand des treuen
Hirten verbürgt sie.
— 148 —
Man kann wohl sagen: Die Mahnung „Habet acht
auf euch selbst", und das Wort „Glückselig der Mensch,
der sich beständig fürchtet", stehen in Wechselbeziehung
zueinander. Die beständige Furcht ist das Ergebnis
ständigen Achthabens auf mich selbst und umgekehrt.
Vielleicht bin ichheute infolge sorgsamen Achthabens auf
mich selbst in dem Zustande, in welchem heilige Furcht
mich beherrscht und den Weg mir zeigt. Morgen dagegen
denke ich vielleicht beim Hören des Wortes Gottes an den
Bruder oder an die Schwester, für die das gehörte Wort
nach meiner Ansicht so vorzüglich paßt. Gilt das Wort
denanderen oder mir? Wenn es zu mir nicht so eindringlich
redet, wie es mir bezüglich des anderen notwendig
scheint, dann ist es hohe Zeit, um Licht zu bitten
und um Bewahrung vor Selbstbetrug und Blindheit. Es
kann dahin kommen, daß ich anderen das Wort mit scheinbarer
Wärme und Kraft predige und doch in Gottes Gegenwart
innewerden muß, daß es bei mir selbst an Kraft
und Wirksamkeit eingebüßt hat. Die Wirkung eines dauernden
Zustandes dieser Art ist erschreckend. Der Herr
schenke ein ernstes Wollen jedem von uns, das Wort in
allen Fällen zunächst auf uns selbst anzuwenden! Dann
wird Er Seinen Segen nicht vorenthalten, wenn wir Sein
Wort auch anderen nahezubringen suchen.
Dem Wort: „Habet acht aus euch selbst", folgt unmittelbar:
„und auf die ganze Herde". Zwei gewichtige
Gründe fügt der Apostel dieser Mahnung hinzu. Zunächst
waren die Ältesten, an welche die Mahnung gerichtet ist,
als Aufseher über die Herde gesetzt, und zwar hatte der
Heilige Geist ihnen diesen Platz zugeteilt — Grund genug,
auf dem Platz treu zu sein. Dann aber ruft der Apostel
144
ihnen ins Gedächtnis, daß es sich um die Versammlung
Gottes handelte, „welche Er sich erworben hat
durch das Blut Seines Eigenen". O daß wir
alle es lernen möchten, in jedem einzelnen innerhalb des
Hauses Gottes den „durch das Blut Seines Eigenen" Erkauften
zu sehen! Wie hoch stehen unsere Geschwister in unseren
Augen, wenn wir sie als die Erkauften des Herrn
ansehen, als die, „für welche Christus gestorben ist"!
Mit dem Hinweis auf diese beiden Gründe werden die
Ältesten von Ephesus an ihre Aufgabe erinnert, die Herde
zu betreuen, indem sie achthatten „auf sich selbst".
Diese Mahnung besteht auch heute noch zu Recht,
denn die Herde ist noch vorhanden, und der Kaufpreis der
Versammlung Gottes ist unverändert. Wo aber sind Männer
willigen Herzens, die, geleitet durch den Heiligen Geist
und in voller Anerkennung des gezahlten hohen Kaufpreises,
die Herde hüten und auf sie achthaben? Wo wird das
Achthaben auf sich selbst im Licht des göttlichen wahren
Spiegels mit der Unterwürfigkeit geübt, die fähig
macht zum Achthaben auf die ganze Herde? Denken wir
nicht an den anderen, sondern zunächst ein jeder an sich
selbst, um zu lernen, wie wir beschaffen sind. Dann werden
wir fähig, in rechter Art auf die Herde zu achten und
ihr zu dienen. Daß dieser Dienst notwendig war und ist,
dürfte wohl von niemand bestritten werden. Tiefe Sorge
klingt aus den Worten des Apostels, wenn er am Schluß
seiner herzergreifenden Ansprache sagt: „Und nun befehle
ich euch Gott und dem Worte SeinerGnade". Wenn
„verderbliche Wölfe" eindringen, wenn selbst aus der eigenen
Mitte Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden,
um die Jünger hinter s i ch herzuziehen, so ist auf nichts
150
mehr zu rechnen als auf Gott. „Wenn die Grundpfeiler
umgerissen werden, was tut dann der Gerechte? Jehova
ist inSeinemheiligenPala st." (Ps. 11, 3. 4.)
Wenn irdische Stützen sich als morsch erweisen — der Thron
Gottes ist unerschütterlich. Der Herr Jesus sagt: „Niemand
kann sie (die Seinen) aus der Hand meines Vaters
rauben". Ihm und dem Worte Seiner Gnade konnte der
Apostel in Wahrheit die Herde anvertrauen.
Im 1. Brief an Timotheus schreibt derselbe Apostel:
„Habe acht auf dich selbst und auf die Lehre...". Es könnte
der Gedanke aufkommen, daß das Achthaben auf die
Lehre nicht so wichtig sei, wenn nur Weg und Wandel in
Ordnung seien, und tatsächlich begegnet man dieser Auffassung
manchmal. Die so denken, fragen: Hat nicht unser
Herr selbst durch das Wort: „An ihren Früchten
werdet ihr sie erkennen", gezeigt, daß Leben und Tun
des Menschen und nicht Lehre und Bekenntnis die Hauptsache
sind? Entsteht nicht dadurch, daß auf die Lehre so
viel Gewicht gelegt wird, die Gefahr, daß aus dem Evangelium
eine Verstandeslehre, aus dem Glauben ein Wissen
gemacht wird, wobei an Stelle lebendigen Christentums
eine hohle Form mit äußerem Gepränge und stolzem Dünkel,
aber ohne wahres Leben, tritt?
Hier möchten wir die Gegenfrage stellen: Ist nicht
der Umstand, daß eö für den Nachkommen Adams stets
und überall Gefahren gibt, ein Grund mehr, sorgsam achtzuhaben
auf die „gute", „heilsame", „unverfälschte" und
„gesunde" Lehre, um einerseits selbst nicht den Weg zu
verfehlen und anderseits nicht anderen zum Schaden zu
sein? Und was ist richtig: Sind etwa das eigene Leben
und Tun Grund und Ursache der Errettung des Gläubi-
— 151 —
gen, machen eigene Leistungen seine Seligkeit aus; oder
ist nicht vielmehr einzig und allein in Jesus, seinem Herrn,
das Heil? Er ist uns geworden „Weisheit von Gott und
Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung". Somit ist E r
alles, und wer Ihn verkündet, verkündet die „rechte Lehre".
Wer Ihn darstellt in Wort und Werk, der ist Sein
Knecht, der wird seinen Lohn nicht verlieren. Immer wieder
erinnert der treue Apostel in den verschiedensten Formen
an die „Lehre" und an das Festhalten daran:
„Halte fest das Bild gesunder Worte, dieduvon
mir gehört hast, in Glauben und Liebe, die in Christus
Jesus sind." „Halte im Gedächtnis Jesus Christus,
auferweckt aus den Toten, aus dem Samen Davids, nach
meinemEvangeliu m." (2. Tim. 1, 13; 2, 8.)
„Nach meinem Evangelium." Dieses Evangelium redet
von einem Jesus, der in den Tod ging, um verlorene
Menschen zu erretten, und der aus den Toten auferweckt
ist. Und es redet von einem Jesus, der „aus dem Samen
Davids gekommen ist dem Fleische nach". (Röm. 1, 3.)
Wenn es schon in Korinth „etliche" gab, die die
Wahrheit der Auferstehung leugneten (lies 1. Kor. 1.5),
und wenn heute innerhalb der Christenheit viele Anstoß
an der Tatsache nehmen, daß Jesus aus dem Samen Davids
gekommen ist, so erkennt der Glaube das Zeugnis Gottes
an, das Er gezeugt hat über Seinen Sohn. Der Glaube
weiß, daß, „so viele der Verheißungen Gottes sind",
in diesem Jesus das Ja und Amen aller Verheißungen ist.
Dem Glauben kann nur der Jesus genügen, der den Inhalt
des Evangeliums bildet. Darum: „Halte fest...",
und: „Halte im Gedächtnis..."! Darum auch: „Habe
acht auf dich selbst und auf die Lehre".
— 152 —
Ium Schluß erinnern wir uns noch, daß unser Herr
kurz vor Seinem Tode den Jüngern sagte: „Wenn jemand
mich liebt, so wird er mein Wort halte n". Das ist
die beste Frucht, die je ein Menschenkind gebracht hat. Und
der Versammlung in Philadelphia sagt Er, der Heilige und
Wahrhaftige, die anerkennenden Worte: „Du hast mein
Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet".
Möge dieses Wort von einem jeden von uns gesagt
werden können, wenn Er kommt!

des im Fleisch gekommenen Herrn. In bezug hierauf sagt
Er selbst: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen";
oder: „Wenn ich durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe,
so ist also das Reich Gottes zu euch hingekommen".
Wir wissen ja, daß alles, was Er tat und redete, immer
durch die Kraft des Heiligen Geistes geschah. So wahrhaftig
gefiel es der ganzen Fülle, in Ihm zu wohnen.
153
Mr haben schon früher bemerkt, daß Er der Erstgeborene
aller Schöpfung genannt werden konnte, weil Er
eine göttliche Person ist. Dieser Titel beruht auf der Tatsache,
daß Er Gott war, der alles erschaffen hat und erhält.
Aber hier finden wir mehr. In Ihm zu wohnen,
war das Wohlgefallen der ganzen Fülle.Hier
handelt es sich nicht nur um Tun oder Handeln, sondern
um Wohnen, Er mochte handeln oder nicht. Die hier
gemachte Feststellung ist also in der Tat höchst umfassend
und reich.
Dann aber gibt es in dieser Stelle (Vers 20) noch
eine andere Entfaltung der Wahrheit, die Seine Herrlichkeit
weiter ausführt, noch einen anderen Grund für die
Unbestreitbarkeit Seines Vorrangs: Durch Ihn, den Christus,
ist die Versöhnung geschehen. Der ganzen Fülle der
Gottheit gefiel es, i n Ihm zu wohnen und durch Ihn
alle Dinge mit sich zu versöhnen. Die ganze Ausdrucksweise
ist eine eigentümliche, so gewählt, weil, wenn ich mich
nicht sehr täusche, die Absicht darin liegt, uns zu zeigen,
daß die ganze Fülle der Gottheit in Christus wohnte,
und nicht etwa eine Person dieser göttlichen Fülle unter

Prüfsteine für die Lehre
Gottes Wort hat an mehreren Stellen, was die christliche
Lehre angeht, Irrtümer und Verführungen für die
Zukunft vorausgesagt, und eö ist nicht zu leugnen, daß unsere
Tage vor allem durch solche gekennzeichnet werden. Es
gibt Irrtümer gröberen und feineren Grades. Sie alle
werden von dem Feind der Seelen dazu benutzt, um die
Menschen von Gott und dem Herrn Jesus Christus abzuziehen.
Satan versteht eö meisterhaft, derartige Irrtümer
unter dem Mantel der Wahrheit, schriftgemäß klingender
Worte und frommen Wesens zu verbergen, um womöglich
auch die Gläubigen zu verführen. Da er zudem oft mit feinen
und feinsten, wohl verborgenen und daher schwer entdeckbaren
Gift-Dosen arbeitet, bedarf es scharfer Aufmerksamkeit,
sozusagen einer Prüfung mit der Lupe, um das
gefährliche Gift zu erkennen.
Da Satans List so groß, und wir stets geneigt sind,
Irrtümern zur Beute zu fallen, wäre die Gefahr unüberwindlich,
wenn Gottes Geist uns in Seinem Wort nicht
untrügliche Prüfsteine gegeben hätte, an denen es möglich
ist, jegliche Lehre zu prüfen und ihren Ursprung zu erkennen,
auch dann, wenn die Abweichung von der reinen Lehre
nur gering und das vorhandene Gift zunächst kaum erkennbar
ist. Nie darf vergessen werden, daß auf geistlichem Gebiet
Gift in jeder Form schädlich wirkt. Es ist deshalb zur
geistlichen Gesunderhaltung der Gläubigen nötig, selbst
die feinste Dosis solchen Giftes zu meiden. Zu diesem
Zweck besitzen wir ja auch als Gottes geliebte Kinder neben
Seinem Wort die „Salbung von dem Heiligen und wissen
alles" (1. Joh. 2, 20). Das will sagen: Nachdem der Hei
— 164 —
lige Geist in uns Wohnung genommen hat, wirkt Er in uns
und belehrt uns, die göttlichen Prüfsteine zu gebrauchen.
Er gibt uns, so wir uns wirklich SeinerLeitung
und nicht unserer eigenen Urteilskraft und unseren Gefühlsregungen
überlassen, Augensalbe (Offbg. Z, 18), mittelst
derer wir allein richtig und klar zu sehen vermögen.
Vor einer Prüfung durch eigene menschliche Urteilskraft
kann kaum genug gewarnt werden, weil diese allzusehr
daran gewöhnt ist, alles durch die farbigen und trüben
Brillen der eigenen Wünsche und Gefühlsregungen zu betrachten.
Sie ist deshalb nicht zuverlässig.
Da es heutzutage so viel zu prüfen gibt, möchten wir
versuchen — und Gott wolle uns dabei behilflich sein! —
zum Nutzen der Kinder Gottes einige wichtige Prüfsteine
für die Lehre hervorzuheben und ein Wort darüber zu sagen.
Es handelt sich dabei um Prüfsteine, die auf jede
Lehre angewandt werden können. Sie zeigen, was und
wie der Heilige Geist in Wahrheit lehrt.
Denn darauf allein kommt es an, nicht darauf, ob i ch in
einer Lehre etwas Anstößiges finde oder nicht. Wie bedeutsam
es ist, daß eine Lehre genau der Darstellung des
Geistes Gottes entspricht, kann man an den erschreckend
ernsten Worten des Apostels in Gal. 1, 6—9 sehen. Durch
den Heiligen Geist verflucht Paulus an dieser Stelle den,
der es wagt, irgend ein anderes als das durch ihn verkündigte
Evangelium zu bringen, und wenn es selbst ein Engel
aus dem Himmel wäre. Es handelte sich in dem vorliegenden
Fall darum, daß dem von Paulus Evangelisierten etwas
beigemischt wurde, was einst durch Anordnung
von Engeln gegeben worden war. (Apstgsch.
7,53.)
165
Schließlich sei noch bemerkt, daß es nicht unsere Absicht
ist, im einzelnen auf die verschiedenen verkehrten Lehren
einzugehen und sie zu widerlegen. Darüber gibt es Sonderschriften
genug. Wir beabsichtigen nichts anderes, als
einige der vorhandenen Prüfsteine — es gibt noch viele
andere — herauszustellen. Daß es dabei möglich ist, verschiedene
Prüfsteine auf die gleiche falsche oder wenigstens
zweifelhafte Lehre anzuwenden, sei von vornherein
gesagt.--------
Als ersten untrüglichen Prüfstein möchten wir Joh.
16,13.14 nennen:
„Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen
ist, wird Er euch in die ganze Wahrheit leiten; denn Er
wird nicht aus sich selbst reden, sondern was irgend Er hören
wird, wird Er reden, und das Kommende wird Er euch
verkündigen. Er wird mich verherrlichen, denn
von dem Meinen wird Er empfangen und
euch verkündigen."
Diese Stelle legt die große grundlegende Wahrheit
fest, daß der Heilige Geist ausschließlich das redet, was die
Person des Herrn Jesus Christus erhebt und zu Seiner
Verherrlichung beiträgt. Es ist Sein Bestreben, Ihn, und
nur Ihn allein, uns, den Seinigen, vorzustellen und nahezubringen,
Ihn uns wert zu machen als Den, der „in allem
den Vorrang hat" (Kol. 1), der in Gottes Haus der auS-
erwählte, kostbare Eckstein (1. Petr. 2, 4—7), der der
Träger alles Lebens und aller Herrlichkeit ist usw., mit
einem Wort als Den, der allein wert ist, Gegenstand und
Mittelpunkt unserer Herzen zu sein.
Im Gegensatz dazu ist Satan allezeit bestrebt, die
Person des Herrn herabzusetzen und zu verunehren, sie den
— rbb —
Seelen wegzunehmen und Augen und Herzen der Gläubigen
von Ihm abzuwenden. Er tut dies, indem er, wo er nur
kann, Einzelheiten wichtig macht, so daß dann diese vor allem
verfochten und zum Mittel- und Angelpunkt der Herzen,
ja, sogar zum entscheidenden Punkt der Lehre, zum
Schibboleth, erhoben werden. Auf diese Weise ist dem Feind
schon oft eine beträchtliche Schädigung des Zeugnisses und
der Kinder Gottes gelungen. Gar manche Dinge weiß er,
entgegen den deutlichen Worten der Schrift, auf Kosten
des Herrn in den Vordergrund zu stellen, z. B. große Gaben
(Heilungen, Jungenreden usw.), oder gesetzliches Wesen,
ungesunde Heiligungsbestrebungen, die aus eigener
Kraft zur Sündlosigkeit führen sollen, oder auch den Zustand
der Seelen nach dem Tode, Wiederbringung und
Allversöhnung, ja, sogar auch Organisationen, Ämter,
Dienste usw., in diesem Fall also Dinge, die an und für sich
nicht nur nicht verwerflich, sondern teilweise sogar geboten
sind, aber in einer Weise von ihm herangezogen werden,
daß das Fleisch, das eigene Ich, wiederum Raum zum
Wirken gewinnt. Dies ist niemals die Art des Heiligen
Geistes. Er kennt, wie gesagt, keinen anderen Angel- und
Mittelpunkt als nur die Person des Herrn Jesus Christus
und Seine Verherrlichung, und Bestrebungen, die den
gleichen Zweck erkennen lassen, können unweigerlich als
von Ihm gewirkt anerkannt werden. Wo man aber Wortverkünder
gleichsam mit Spezialitäten hausieren gehen
sieht, ist Vorsicht geboten. Steckt nicht Satan dahinter, so
doch das eigene Ich. Und beides ist gleicherweise vom Übel.
Mit den oben erwähnten Dingen gelingt es dem Feinde
auch, unbefestigte Seelen in steter Unruhe und Unsicherheit
zu halten und manche suchenden, noch nicht wiederge
— 167 —
borenen zu verhindern, die rechte Tür zur rettenden Arche
zu finden. Was die Seelen bedürfen, ist Christus, nicht
irgendwelche Lehrsätze, mögen sie selbst ein biblisches Gepräge
tragen.
Ist es das Bestreben des Heiligen Geistes, die ganze
Herrlichkeit und Vollkommenheit des Herrn Jesus zu offenbaren,
so gilt das gleiche natürlich von Gott überhaupt.
Der Geist zeigt uns Gott in einer absolutenVoll-
kommenheitin allen Seinen Wesenheiten: Licht, Liebe,
Leben, Heiligkeit, Gerechtigkeit, Treue und Wahrheit, Allwissenheit
und Weisheit, Allmacht und Stärke usw., ohne
jede Unebenheit, Widersprüche und Flecken, als einen Gott,
der sich stets selbst treu bleibt, der unveränderlich Derselbe
ist — „Ich bin, der ich bin" —, und Dessen Worte und
Werke unbedingt Ja und Amen sind. Es ist in allem ein
Gott, der durchaus jenseit unseres menschlichen Erkennens
steht. Er ist der „selige und alleinige Machthaber, der König
der Könige und Herr der Herren, der allein Unsterblichkeit
hat, der ein unzugängliches Licht bewohnt, den keiner
der Menschen gesehen hat noch sehen kann, welchem
Ehre sei und ewige Macht!" (1. Tim. 6,15. 16.)
Liest man solche Worte und hört dann Lehren, die in
irgend einer Weise die absolute göttliche Vollkommenheit
in Wesen, Wort und Werk übersehen und antasten, indem
sie Dinge über Gott lehren, die, recht besehen, eine Unvollkommenheit
in Seinem Wesen bedeuten, so weiß man, wohin
sie zu verweisen sind. Indem sie nichts als die Verunehrung
und Herabsetzung Gottes bedeuten und im Widerspruch
stehen zu Gottes Offenbarungen selbst, ist über ihre
Quelle nicht länger zu streiten. (Fortsetzung folgt.)
— 168 —

Gottes Vstege anders als unsere Wege
Der Herr will uns als Seine Kinder im Glauben treu
erhalten. Oft benutzt Er dazu die Leiden. Die Art ist bei einem
jeden von uns verschieden. „Das Herz kennt seine
eigene Bitterkeit." (Spr. 1.4, 10.)
Gottes Ratschluß von Grundlegung der Welt an ivar,
ein abgesondertes Volk für diese Erde zu haben. Deshalb
die Verheißungen an Abraham, Isaak und Jakob.
Aber wie sollte dieser Ratschluß zur Ausführung kommen?
Hier den Wegen Gottes zu folgen, ist wahrlich nicht
so einfach. Die Wege der Menschen sind einfacher zu erklären.
Ihre Pläne, Mittel und Endziele können wir begreifen.
Aber bei Gott ist es so ganz anders: Seine Wege sind nicht
unsere Wege.
In ausfallender Weise führt uns das die Geschichte
Josephs vor Augen. Das Haus Jakobs war in Trauer.
Auf seiner Reise hatte Jakob seine geliebte Rahel begraben
müssen. Zwei kleine Waisen blieben zurück.
Das erste, was Gott Joseph nahm, war seine Mutter.
Gott nimmt oft das, was wir am liebsten haben, plötzlich
fort. Vielleicht wußte Joseph damals kaum, was es heißt,
eine Mutter zu verlieren. Aber wie groß war trotzdem der
Verlust!
Die Umstände waren von Anfang an nicht günstig für
Joseph. Wohl besaß er die volle Liebe seines Vaters, aber
dafür haßten ihn seine Brüder. Sie beneideten ihn und waren
voller Eifersucht. Da ihrer viele waren, wog ihr Haß
umso schwerer. Aber in diesem allen sehen wir die Hand
Gottes. Denn die Nadel von Josephs Kompaß zeigte nach
^XXXII» 7
— rio —
Ägypten. Das verstand er damals noch nicht. Aber später,
als seine Brüder nach Ägypten gekommen waren, sagte er
zu ihnen: „Gott hat mich vor euch hergesandt".
Gottes Wege sind nicht unsere Wege. Doch vertrauen
wir dem Wort, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge
zum Guten mitwirken! Wir möchten vielleicht hinzufügen:
Alle Dinge, ausgenommen dies oder das. Aber das ist nicht
richtig. Alles, auch was uns Leid und Schmerz verursacht,
soll zum Guten mitwirken. Bald wird die Stunde
kommen, wo alles, was hier dunkel ist, im Lichte gesehen,
und wo das gesandte Leid erkannt wird als das Beste, das
Gott für uns hatte.
Die Zukunft, die vor Joseph lag, war herrlich. Großes
sollte durch ihn geschehen. Gott wollte ihn gebrauchen. Der
Weg dahin aber führte durch Leid, „durch Leid zur Herrlichkeit".
Es gibt keinen Segen ohne Leid. Wir müssen durch
die Schule der Leiden hindurch.
Joseph wußte nicht, was Gott mit ihm vorhatte, Jakob
auch nicht. Sie wählten ihre Wege, aber — Gott
leitete! Jakob rief Joseph und sandte ihn nach Sichern
zu seinen Brüdern. Und wohin ging der weitere Weg?
NachAgypte n. Das war in Gottes Ratschluß vorgesehen
von Grundlegung der Welt an, und jetzt war der Augenblick
der Ausführung gekommen. Dieser Jüngling ist
der Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Gott hatte ihn
auserwählt, daß durch ihn Sein Plan erfüllt würde.
Joseph selbst wußte davon nichts; er wußte auch nicht, was
seiner in Sichern wartete. Als seine Brüder ihn sahen, faßten
sie einen bösen Plan. Aber ob böse oder nicht, Gottes
Stunde für Joseph hatte geschlagen. „Er sandte einen
Mann vor ihnen her, Joseph wurde zum Knechte ver
— 171 —
kauft." (Ps. 105,17.) In Sichern fand Joseph seine Brüder
nicht. Er hätte nun zurückkehren können, denn sein Auftrag
war erfüllt. Doch er wollte seinen Vater voll befriedigen
und ging deshalb weiter. Da der Weg ihm unbekannt
war, verirrte er sich. In diesem Augenblick begegnete ihm
ein Mann. Das war kein Zufall. Der Mann war es, der
Joseph ansprach: „Was suchst du?" „Ich suche meine Brüder;
tu mir doch kund, wo sie weiden." Hätte der Mann gewußt,
welch ein Los dieses Jünglings wartete, hätte er ihm
vielleicht den Weg nicht gezeigt. Doch eine weise Hand leitete
alles. „Ich hörte sie sagen: Laßt uns nach Dothan ziehen!"
Dort fand Joseph seine Brüder. Er wird sich darüber
gefreut haben. Ob auch seine Brüder? Ja, aber — mit teuflischer
Freude. „Kommt, und laßt uns ihn erschlagen!"
Das war die Begrüßung ihrer Herzen.
Doch auch diese Feindschaft und dieser Haß dienten in
Gottes Hand zur Ausführung Seiner Ratschlüsse.
Wir wissen, wie es weiterging. Joseph wurde nicht getötet.
Das durfte nicht sein. Auf Rubens Rat warf man
ihn in eine Grube, und dann setzten seine Brüder sich nieder
zum Essen, als ob nichts geschehen wäre. Gerade in diesem
Augenblick kamen Midianiter des Weges. Es konnte nicht
anders sein. So mußte es gehen. Gott hat Seine Zeit genau
abgemessen. Er hat die Tage und Stunden festgestellt.
Über alles, auch über Kleinigkeiten wacht Gott. Er sorgte,
daß diese Handelsleute gerade in dieser Stunde des Weges
kamen. Er wußte auch, was sie mit sich führten, und wohin
ihre Reise ging. Dort bei der Grube wurde Josephs Los
beschlossen. Es bereitete den Brüdern keine Schwierigkeit,
Joseph zu verkaufen. Joseph weinte und flehte. Warum
wurde das Herz der Brüder nicht getroffen durch die Trä
— 172 —
nen und die Seelenangst ihres Bruders? Joseph war doch
erst siebzehn Jahre alt und hatte nichts Böses getan, wenn
man auch wohl sagen kann, daß er durch sein Verhalten
(vergl. Kap. Z7, 2 u. 5—10), vielleicht ganz unbewußt,
die Brüder manchmal gereizt hatte. Jedenfalls hatten sie
außer Ruben kein Erbarmen, kein Mitleid mit dem Jungen.
Es sollte auch nicht sein. Gott regelt alles, gebraucht
alles in Seiner Weisheit: Liebe und Haß, Sympathie und
Antipathie. Seine Hand leitet alles zum Besten Seines
Volkes. Darum:
Ihn, Ihn laß tun und walten. Er ist ein weiser Fürst
llnd wird sich so verhalten, daß du dich wundern wirst.
Wenn Lr, wie's Ihm gebühret, mit wunderbarem Nat
Das Werk hinausaeführet, das dich bekümmert hat.
Joseph mußte nach Ägypten! Er wird unterwegs
viel geweint haben. Welch ein Los für den Sohn Jakobs,
als Sklave nach Ägypten verkauft zu werden! Aber nachher,
später hat er den Weg Gottes mit ihm verstanden.
„Du wirst es aber hernach verstehen", hat der Herr Jesus
einmal gesagt. Ist es nicht fast unbegreiflich, daß die
Brüder ihre Tat gar nicht gereute? Wir können vielleicht
sagen, daß Gott zu diesem Zeitpunkt die Herzen der Brüder
verhärtet hat, denn Joseph sollte nach Ägypten geführt
werden. Es lag in Seinem Ratschluß.
In Ägypten findet Joseph gute Aufnahme. Alles geht
nach Wunsch.
Aber dann geschieht etwas, das beinahe eine Wiederholung
des bisher Erlebten genannt werden kann. Seine
Brüder hatten ihm den bunten Rock ausgezogen und ihn
selbst in die Grube geworfen. In Ägypten nimmt eine heidnische
Frau sein Kleid, und er wird ins Gefängnis geworfen.
Joseph war dem Thron schon nahe, doch noch nicht
1.73
nahe genug. Er war dem königlichen Palast nahe, doch noch
nicht darin.
Ich will nun nicht über Satan sprechen, der Josephs
Untergang und Verderben suchte. Auch nicht über die Frau,
die Satans treue Dienerin war, um Joseph zum Bösen zu
verleiten. Potiphars Frau beschuldigt Joseph, und obschon
er ein treuer junger Mann war, der bis dahin das ganze
Vertrauen seines Herrn besessen hatte, und Gott sichtbar
mit ihm war, stellt Potiphar keine weiteren Untersuchungen
an, sondern wirft Joseph kurzerhand ins Gefängnis. Doch
das ist nicht das Ende. Gott war mit Joseph, auch in dieser
schweren Prüfung. Joseph genießt Gottes Gegenwart.
Im Gefängnis macht er die Bekanntschaft von zwei
Hofbeamten des Pharao, die sich an ihrem Herrn versündigt
hatten, des Bäckers und des Schenken des Königs von
Ägypten. Beide träumen. Joseph legt die Träume aus und
prophezeit den beiden Kämmerern ihr Schicksal. Seine
Worte treffen ein. Der eine wird befreit, der andere gehängt.
Und nun? Joseph hatte dem Schenken gesagt: „Gedenke
meiner ... und erwähne meiner bei dem Pharao".
Doch der Schenke vergaß ihn. War das lediglich Undankbarkeit?
Kaum. Gottes Stunde war noch nicht da.
In den Prüfungen sind wir oft nicht geduldig. In unserem
Leidenöbuch möchten wir die Blattseiten gern schnell
umschlagen und damit Gottes Tun mit uns entgegenarbeiten.
Aber nein, Gott selbst will die Seiten in unserem Leidensbuch
umwenden, und wohl uns, wenn wir imstande
sind, still auf Seine Stunde zu warten!
„wart' nur geduldig ab, bis i ch die Seite wende,
Dir zeige, was dir dient als nächste Lektion!"
Und wieder beuge ich das Haupt und flüstre leise:
Geduld, Geduld, Geduld. . . und harre Seines Winks.
174
Im Leiden ist der Herr uns besonders nahe. Ein Prophetenwort
sagt: „Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum
und bei dem, der zerschlagenen und gebeugten Geistes
ist". (Zes. 57,15.) Ist es nicht köstlich, daß Gott nahe sein
will? So sei denn geduldig! Vertraue still aus den Herrn!
Zu Seiner Zeit gibt Er auch den rechten Ausweg. Nach der
Nacht der Leiden kommt der Morgen ewiger Freuden. Gott
schlägt wohl Wunden, aber Er heilt sie auch. Freilich gibt es
Wunden, die erst geheilt werden, wenn wir bei Ihm sind.
Doch es ist Seine liebende Hand, die sie geschlagen hat, wie
es Seine liebende Hand ist, die uns im Leiden stärkt und
hält. Manche Wunden werden auch schon hienieden geheilt.
Josephs Herz ist voller Hoffnung. Bald wird er befreit
werden. Wohin soll er dann gehen? Ein neues Arbeitsfeld
suchen? Wird seine Unschuld an den Tag kommen?
Davon wird uns nichts mitgeteilt. Und Arbeit suchen?
Dazu ist er nicht nach Ägypten geführt worden. Für
den Thron ist er bestimmt. Vorher aber mußte erfüllt werden,
was Ps. 105,18 gesagt ist: „Man preßte seine Füße
in den Stock, er kam in das Eisen". Die letzte Stufe war
weit schwieriger zu ersteigen als die vorletzte. Aber es hieß
ausharren. Joseph sollte durch Leiden geläutert werden.
(V. 19.)
Gott hat uns lieb. In Seiner Liebe hat Er dir vielleicht
eine Krankheit gesandt, die langsam wirkt. Du siechst
hin. Vielleicht auch hast du mit viel Widerwärtigkeiten im
Geschäft zu schaffen, erlebst vielleicht viele Enttäuschungen.
Geduld! Gott gibt uns Zeit, damit unser Vertrauen zu
Ihm gefestigt werde. Ist das der Fall, so haben wir nur
Nutzen davon. Gott eilt nicht. Das ist das Bezeichnende in
der Lebensgeschichte Josephs.
r7Z
Das sind keine guten Arbeiter, die nicht warten können,
bis sie das Ergebnis ihrer Arbeit sehen.
Mit Joseph können wir gut fühlen. Ein Tag nach dem
anderen, eine Woche nach der anderen ging dahin seit der
Befreiung des Schenken, und Joseph war immer noch im
Gefängnis — wahrlich, ein Grund, niedergeschlagen zu
werden. Geduld, Josephl.Nicht zwei Wochen oder zwei Monate,
nein, zwei volle Jahre soll es dauern; keine Minute
weniger. Monat für Monat geht dahin. Keine Rettung
kommt. Es war noch zu früh!
Auch in bezug auf die Brüder Josephs ist Gottes Tun
wunderbar. Sollte man nicht erwarten, daß Gott diese
Männer wegen ihrer verabscheuungswürdigen Tat ernstlich
gestraft hätte? Es steht doch geschrieben: „Was irgend ein
Mensch sät, das wird er auch ernten".
Nun, Gott hat die Brüder ihre Sünde tief fühlen lassen.
Doch Er erweist ihnen Gnade. Er bringt sie zur Einkehr,
Umkehr und zum Glauben. Gott benutzt ihre große
Sünde, um sie zu retten. „Fürwahr", sprachen sie zueinander,
als sie später in Ägypten vor Joseph standen, „wir
sind schuldig wegen unseres Bruders, dessen Seelenangst
wir sahen, als er zu uns flehte, und wir hörten nicht; darum
ist diese Drangsal über uns gekommen." Gott bediente
sich ihrer Ungerechtigkeit zu ihrem Heil. Gott ist Weisheit.
Hab' deshalb Geduld! Sobald die Stunde kommt,
wirst du sehen, was Gott tun kann. Selbst deine Sünde
wird vielleicht in Gottes Hand das Mittel, um dich zu ret­
ten.
Jakob hat sicher den bunten Rock seines Sohnes aufbewahrt.
Wie wird er getrauert, wie sich selbst beschuldigt
haben! Er hätte Joseph nicht fortsenden sollen. Nein, Ja
176
kob, du mußtest ihn senden. Weine nicht um Rahels Sohn!
Wenn Gottes Zeit gekommen ist, gibt es ein herrliches
Wiedersehen. Als hochbetagter Greis findet er Joseph und
erhält ihn zurück. Seine Kinder sollen in dem besten Teil
von Ägypten wohnen. Joseph sitzt auf dem Throne Ägyptens.
Er fährt in des Pharao Prachtwagen. Alles Volk
kniet vor ihm nieder. Das ist das Ende des Weges des
Herrn mit ihm. Er ist voll Gnade und Barmherzigkeit.
„Dem allein weisen Gott durch Jesus Christus, Ihm sei
die Herrlichkeit in Ewigkeit!" (Röm. 16, 27.)
Hätte jemand dem Joseph nach all seinen Erfahrungen
gesagt: „Alle Dinge sollen zum Guten mitwirken",
so würde er geantwortet haben: „Ja, nun weiß ich es".
Aber ob er auch so geantwortet haben würde, wenn es ihm
jemand im voraus gesagt hätte?
Das ist der Spiegel, in welchem wir unser eigenes
Bild sehen müssen. Sie fallen uns so schwer, diese Dinge,
die uns Schmerz und Pein verursachen. Aber der Psalmist
sagt in Ps. 119: „Es ist gut für mich, daß ich gedemütigt
ward", und: „Bevor ich gedemütigt ward, irrte ich; jetzt
aber bewahre ich Dein Wort". (V. 71 u. 67.)
Warum können wirheute noch nicht einsehen, daß
alles, was Gott tut, gut ist? Der Gott, der das Ende gut
macht, ist Derselbe, der auch Anfang und Mitte in Seiner
Hand hat. Nichts geschieht ohne Seinen Willen. Alles ist
in Seiner Hand: Zuneigung und Abneigung, ja, sogar der
Haß. Er gebraucht alles in Seinen Wegen: gute Tage, böse
Tage, Sonnenschein und Regen. Er leitet alles. In Ps.
34,1 lesen wir: „Jehova will ich preisen allezeit, beständig
soll Sein Lob in meinem Munde sein". Das ist die
rechte Sprache. Dem Gott, der uns liebt, so wie Er Seinen
177
Sohn geliebt, den Er für uns alle dahingegeben hat, gebührt
all unser Loben. Und die völlige Liebe treibt die
Furcht aus. Wenn wir daran denken, warten wir geduldig
ab und werden nicht beschämt werden.
(Nach dem Holländischen v. M. L.)

Prüfsteine für die Lehre
(Fortsetzung)
Prüfsteine für die Lehre von, wie mir scheint, ganz besonderer
Bedeutung enthält der 1. Brief des Johannes.
Dieser Brief wurde bekanntlich geschrieben, um den schon
damals gefährlich gewordenen Irrtümern zu begegnen.
Vor allem im zweiten Kapitel wird von Vers 18 ab eine
Dreiergruppe von diesbezüglichen Fundamentalpunkten erläutert.
Die hier genannten Prüfsteine sind derart, daß sie
wohl nie versagen, indem falsche Lehren immer in dem einen
oder anderen Punkt von ihnen abweichen werden.
Der erste der drei Prüfsteine inl. Joh. 2.
„Wer ist der Lügner, wenn nicht der, der da leugnet,
daß Jesus der Christus ist? Dieser ist der Antichrist, der
den Vater und den Sohn leugnet. Jeder, der den Sohn
leugnet, hat auch den Vater nicht." (V-. 22. 23.)
Dieser Prüfstein betrifft die Leugnung der Person des
Sohnes Gottes, Jesus Christus, die auch diejenige Gottes,
— rss —
des Vaters, in sich schließt. Denn nur durch den auf Erden
im Fleisch geoffenbarten Sohn, der völlig wesenöeins ist
mit dem Vater, kann der Vater erkannt werden (vergl.
Joh. 74, b—77), und nur durch das Erlösungswerk des
Sohnes kann man zum Vater kommen. (Joh. b, 37.) Wer
den Sohn leugnet, hat tatsächlich bestenfalls, wie die Juden,
den Gott des Alten Testaments, d. h. den des Gesetzes, vor
Dem der Sünde wegen niemand bestehen kann. Meistens
aber bleibt nur eine unklare Vorstellung von einem „Herrgott"
oder einem „lieben Gott", der in Wirklichkeit mit
dem Gott der Bibel wenig oder gar nichts mehr gemein hat.
Dies muß am Ende der Entwicklung dazu führen — und
eS ist in großem Maße schon jetzt der Fall! — daß Gott und
Gottes Sohn überhaupt ganz beiseite geschoben werden,
und der Mensch« nSeineStelle gesetzt wird.
Näheres über die Leugnung der Person Jesu Christi
wird im 4. Kapitel unseres Briefes (V. 7—3) und ebenfalls
im 7. Verse des 2. Briefes gesagt. Zur Unterscheidung
der Geister ergeht die Aufforderung, zu prüfen, ob
die Betreffenden bekennen, daß Jesus Christus im Fleische
gekommen sei oder nicht. Die Stellungnahme zu dieser
Tatsache ist ausschlaggebend.
Ein solches Bekenntnis darf aber natürlich kein rein
dogmatisches sein. Es darf nicht nur die Verkündigung erfüllen
und durchziehen, sondern das ganze Leben muß unter
seiner Wirkung stehen. Welchen Wert haben überhaupt
theoretische Bekenntnisse? Was nur eine bloße Formel der
Lippen ist und bleibt, während Herz und Gewissen nicht berührt
worden sind (wie es bei der Masse der christlichen Bekenner
der Fall ist), oder während andere Lehren oder Vorschriften
zur Erlangung der Seligkeit das Bekenntnis prak
489
tisch wieder entkräften, umstürzen oder ausschalten, ist
wertlos und im Grunde genommen der Leugnung des Bekenntnisses
selbst gleichzusetzen. Es ist nicht durch den Heiligen
Geist gewirkt.
Das Bekenntnis, „Jesus Christus, im Fleische gekommen",
umfaßt nun zwei Punkte von größter Wichtigkeit.
Da beide Grundlage und Pfeiler, Kernpunkte der
ganzen göttlichen Offenbarung sind, bilden sie naturgemäß
die Hauptzielscheiben der Angriffe des Teufels.
Der erste Punkt ist die Tatsache, daß der Herr Jesus
Christus Gottes Sohn ist von Ewigkeit her und damit
Schöpfer und Herr der ganzen Welt. Mit dieser Feststellung
beginnt Johannes sein Evangelium: „Im Anfang
war das Wort". Das Wort war stets bei dem Vater, und
alles ward durch dasselbe. (Vergl. auch Kol. 4, 43—47.)
Hinzu kommt, daß diese wunderbare Person nicht nur
Sohn von Ewigkeit her ist. Er ist auch als Sohn von Gott
gezeugt worden, entsprechend der bekannten Stelle aus Ps.
2 und Hebr. 4: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich
gezeugt". (Vergl. auch Ps. 45, 6. 7; sowie Ps. 440, 4 u.
Matth. 22, 44—46.) Als „Gott, geoffenbart im Fleische",
ist Er „im Fleische gekommen", nicht: i n s Fleisch
gekommen, denn das hieße: in unser gefallenes Fleisch gekommen.
Er ist im Fleische gekommen, von Gott in einem
Weibe auf wunderbare Weise gezeugt, in einem nicht erschaffenen,
sondern von Gott wunderbar bereiteten Leibe.
(Hebr. 40, 5.) So wird Er der Maria von Anfang an als
dasHeilige, nicht als ein Heiliger, angekündigt
und später bei Seinem öffentlichen Auftreten am Jordan
von vornherein durch Gott vom Himmel her anerkannt.
(Vergl. Matth. Z, 46. 47; Mark. 4, 40. 44; Luk.
190
3, 22.) Darum war Jesus Christus auch als Mensch hie-
nieden vollkommener Gott, Mensch und Gott, in wunderbarer,
unzertrennlicher Einheit verbunden, eine Tatsache,
die wir Menschen nicht ergründen können. „Niemand erkennt
den Sohn, als nur der Vater." (Matth. 11, 27.) So
wie von Israel niemand in die Bundeslade hineinschauen
durfte zur Befriedigung seiner Neugier, so haben wir heute
nichts anderes zu tun als zu stehen und Ihn, unser Heiligtum,
anzubeten. Jeder Schritt weiter überschreitet unsere
Befugnisse und muß zu weiteren Entgleisungen führen.
Der andere Punkt, unauflöslich mit dem Bekenntnis
von Jesus Christus, im Fleische gekommen, verbunden, ist
das Kreuz von Golgatha. Ohne das Kreuz keine
Erfüllung der ewigen Ratschlüsse und damit keine Verherrlichung
Gottes, keine Erfüllung der gottgegebenen Verheißungen
und keine Grundlage für die Erlösung des Menschen
von Sünde, Tod und Gericht. „Dieser ist es, der gekommen
ist durch Wasser und Blut, Jesus, der Christus;
nicht durch das Wasser allein, sondern durch das Wasser
und das Blut." (1. Joh. 5, 6.) Vom Wasser als dem Mittel
zur Reinigung redet der vom Himmel herabgestiegene
Sohn des Menschen in Joh. 3, 5: „Es sei denn, daß jemand
aus Wasser und Geist geboren werde, so kann er
nicht in das Reich Gottes eingehen". Aber sollte Sühnung
geschehen für die durch die Sünde verdorbene Schöpfung
sowie für den dem Tode verfallenen Menschen, so mußte
das Blut hinzukommen. Das Leben und Wirken des Sohnes
Gottes als Mensch an und für sich konnte dies nicht
bewirken. Sühnung war notwendig, damit der Heiligkeit
und Gerechtigkeit Gottes Genüge geleistet würde. So ist
das Kreuz von Golgatha eine unbedingte Notwendigkeit.
— 1S1 —
Es ist der Angelpunkt des göttlichen Zeugnisses. Am Kreuze
fand die Verherrlichung Gottes durch Seinen Geliebten ihren
Höhepunkt. Um des Kreuzes willen hat Jesus „einen
Namen" empfangen, „der über jeden Namen ist", und in
welchem Ihm einmal die Huldigung aller Geschöpfe im gesamten
Weltall zuteil werden wird zur Verherrlichung Gottes,
des Vaters. (Vergl. Phil. 2, 8—11.)
Der Auftrag des Herrn an Seine Jünger vor Seiner
Rückkehr zum Vater ist deshalb auch vollständig auf das
Kreuz gegründet. Im Namen des gestorbenen und auferstandenen
Christus sollten sie B u ß e u n d V e rg e b un g
der Sünden verkünden allen Nationen. Gewiß, das
Wort Buße gefällt vielen Menschen nicht. Von Vergebung
wollen sie nichts wissen. Unter das Urteil Gottes in bezug
auf Sünde und Sündhaftigkeit wollen sie sich nicht beugen.
Aber wird dadurch die Schärfe des Wortes beeinträchtigt?
Gott muß unter allen Umständen gerechtfertigt werden,
und Sein Wort wird recht behalten, wenn es feststellt:
„Da ist kein Gerechter, auch nicht einer..." „Es ist
kein Unterschied, denn alle haben gesündigt...". „Ich bin
fleischlich, unter die Sünde verkauf t." (Röm. 3,
10—12. 22. 23; 7, 14.) Und dieses Wort behält auch
recht in bezug auf die sogenannte Erbsünde. Mögen die
Menschen es wahr haben wollen oder nicht: „Durch e i -
n e n Menschen i st die Sünde in die Welt gekommen, und
durch die Sünde der Tod". „Durch des einen Menschen
Ungehorsam s in d die Vielen in die Stellung von Sündern
gesetzt worden." „In Ungerechtigkeit bin ich geboren, und
in Sünde hat mich empfangen meine Mutter." (Röm. S,
12.19; Ps. 51, 5.) An dieser Tatsache ist nichts zu ändern.
Der Mensch ist ein geborener Sünder und bleibt es, mögen
192
seine Anstrengungen, sich aus diesem Zustand zu befreien,
auch noch so groß sein. Er steht deshalb auch für immer unter
dem Urteil des Todes (Röm. 5,12), und es gäbe keine
Rettung für ihn, wenn Gott seine Sache nicht in die Hand
genommen hätte. Wir erwähnten bereits das Wort Jesu
an Nikodemus: „Es sei denn, daß jemand ausWasser
undGeist geboren werde, so kann er nicht in das
Reich Gottes eingehen". Hier ist der Ausweg. Er muß von
neuem geboren werden. Nur ein völliger Neuanfang als
neuer Mensch auf ganz neuem Boden, eine von Gott
bewirkte Wiedergeburt zu einem neuen Leben aus
Gott durch Seinen Geist macht den Eingang des Menschen
in Gottes Reich möglich. Aber wie kann diese Neugeburt
geschehen? Daß der Mensch sie selbst nicht bewerkstelligen
kann, ist schon in der Natur der Sache begründet. Er muß
ja „geboren werden", und zwar muß er „von neuem",
oder „von oben her" geboren werden. Damit kommen wir
aus bereits Gesagtes zurück. Gott muß alles tun. Daß Er
es tun kann, dazu ist die Grundlage auf Golgatha gelegt
worden. (Vergl. Röm. 8, 2 ff.) Dort vollzog Gott das
Gericht über die Sünde an Seinem Sohne. Dort hat unser
(der Gläubigen) alter Mensch im Tode Christi sein
Ende gefunden. Dort ist auch die Reinigung von unseren
Sünden geschehen. Eine völlige Erlösung: dort ist sie zustande
gebracht worden — für immer und vollkommen.
(Hebr. 10,14.) Ist nun jemand in Christus, d. h. ist Christus
sein Stellvertreter geworden, in welchem er jetzt vor
Gott dasteht, so ist er eine neue Schöpfung. (2. Kor. 5,17.)
Das ist das Zeugnis des Geistes Gottes über den
Zustand des Menschen, das der dem Menschen von Gott
gewiesene und bereitete Weg zur Errettung und Seligkeit.
— 193 —
Das sind die drei Stücke der Predigt des Kreuzes: Buße,
Vergebung der Sünden und Wiedergeburt aus göttlichem
Samen. Fehlt ein Stück dieser Verkündigung, so ist es
nicht mehr die reine Lehre.
Satan, der große Feind der Seelen, hat es verstanden,
auch in dieser Hinsicht verderblich zu wirken, indem er
schön und oft selbst biblisch klingende Lehren von Christi
Kreuz und Tod, sogar Sündenbekenntnis und Übergabe
usw. unter die Leute bringt. Mögen seine Lehren aber auch
schön klingen, dennoch sind es solche, welche in Wahrheit
das Kreuz Christi zunichte machen, indem sie die oben erwähnten
drei Punkte nicht in ihrer Gesamtheit bringen.
Auch hier gilt der im Anfang aufgestellte Satz: Je verborgener
das Gift, desto gefährlicher.
Um die Lehre des Wortes Gottes zu verfälschen, suchende
Seelen und auch Gläubige irrezuführen Und sie um
den Frieden der Seele zu betrügen, schlägt Satan verschiedene
Wege ein.
Manchmal kommt er mit Zusätzen, Verrichtungen,
Werken, Ordnungen oder gesetzlichen Systemen, die entweder
darauf ausgehen, die Seligkeit mehr oder weniger
von menschlichen Bemühungen abhängig zu machen oder
den Seelen ein Joch aufzulegen, oder ihnen den Genuß
ihrer Errettung und die ihnen im Wort Gottes zugedachte
Freude (vergl. z. B. Joh. 15,11; Phil. 4, 4; 1. Joh. 1,
4 usw.) und Ruhe und damit dem Herrn die Ehre zu rauben.
Gern führt er auch die Seelen wieder unter das harte
Joch des Gesetzes vom Sinai zurück, entgegen so vielen
ausdrücklichen Stellen im Römer- und Galaterbrief, die
das Verkehrte dieser Rückkehr klar und deutlich beleuchten.
Manchmal spiegelt er auch den Seelen einen Begriff
— ry4 —
von Heiligung vor, der sie veranlaßt, in eigenem Bemühen
nach Sündlosigkeit zu streben, womit ein stetes in sich
selbst Hineinschauen verbunden ist, statt einem Schauen
auf den Herrn. Die weitere Folge solchen Strebens ist eine
falsche Selbstzufriedenheit, die Großzüchtung des eigenen
Ichs, oder aber (in Erkenntnis des vergeblichen Bemühens)
Unruhe und Unsicherheit, das Fehlen jeglichen Genusses an
dem herrlichen Geschenk der Errettung, schließlich Zweifel,
ob man überhaupt errettet ist, und am Ende gar Verzweiflung
— alles Dinge, die hinwiederum den Herrn um Seine
Ehre bringen. Freilich steht geschrieben: „Seid heilig,
denn ich bin heilig!" oder: „Jaget der Heiligkeit nach!",
auch geht aus der Schrift, besonders dem 4. Brief des Johannes,
hervor, daß der Christ nicht zu sündigen braucht
(vergl. Kap. 2, r), aber keineswegs, daß er sündlos wird.
„Wenn wir sagen, daß wir keine Sünde haben, so betrügen
wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns" (l. Joh.
l, 8), schreibt der Verfasser. Was die Schrift unter Heiligung
versteht, und wie sie erlangt wird und zur Ehre Gottes
geschieht, ersehen wir aus 2. Kor. 3, 18 und anderen
Stellen, z. B. Kol. 3.
Daß Satan mit Vorliebe auch Dinge lehrt, durch
welche die Erlösung durch das Kreuz, wenn nicht überflüssig
gemacht, so doch stark entkräftet wird, bedarf kaum der
Erwähnung. Auf die Allversöhnungslehre kommen wir
später noch zu sprechen. Da nach ihr alle Menschen und
sogar die Teufel am Ende selig werden, nennen wir sie
hier als eine der Lehren, die dem Kreuz Christi zum mindesten
einen Teil seiner Ehre nehmen und deshalb verwerflich
sind. (Fortsetzung folgt.)
r9s
V?arum sott ich die für mich zuständige
örtliche Versammlung besuchen?
Zunächst sei vorausgeschickt, daß unter der „zuständigen
örtlichen Versammlung" der Ort und der Raum gemeint
sind, die meiner Wohnung am nächsten liegen.
Nicht selten findet man Geschwister, die es sich zum
Grundsatz gemacht haben, an Stelle der für sie zuständigen
örtlichen Versammlung die Zusammenkünfte in einem anderen
Ort zu besuchen, selbst wenn er weit von ihrer Wohnung
entfernt liegt. Die Beweggründe sind sehr verschiedener
Art. Verwandtschaftliche oder freundschaftliche Beziehungen
können die Ursache sein; mancher fühlt sich auch
deshalb zu einer anderen Versammlung hingezogen, weil
er daselbst zum Glauben gekommen ist. Diese Beweggründe
sind verständlich und nicht ohne weiteres zu verurteilen.
Aber es gibt auch andere.
Es kommt vor, daß Streitigkeiten untereinander, Unzufriedenheit
mit dem Dienst der Brüder, Standesunterschiede
oder — und das ist ein wichtiger Punkt — das Gefühl,
selbst nicht genügend beachtet zu werden, die Veranlassung
sind. Ist das der Fall, dann betrügen wir uns
selbst, wenn wir annehmen, in einer anderen örtlichen Versammlung
mehr Segen zu empfangen. Der Herr, der bei
all unseren Zusammenkünften der Mittelpunkt sein sollte,
kann da nicht mitgehen. Welchen Wert haben aber dann die
Zusammenkünfte noch? Doch selbst vorausgesetzt, daß
Gründe vorliegen, die den Besuch der örtlichen Versammlung
nicht zu einem angenehmen machen — wird dadurch
irgend etwas gebessert, daß ich sie meide? Hilft man einem
Übel ab, wenn man ihm aus dem Wege geht? Handelt
es sich um Streitigkeiten untereinander, so gibt Gottes
Wort klare Richtlinien dafür, wie wir uns verhalten sollen.
Ist Unzufriedenheit mit dem Dienst der Brüder vorhanden
und auch begründet, ja, habe ich dann nicht alle Veranlassung,
mich ganz besonders im Gebet für die Betreffenden
zu verwenden? Suche ich mir selber dadurch zu helfen, daß
ich der Versammlung den Rücken kehre, so erweise ich ihr
— ryb —
einen schlechten Dienst. Handle ich so, dann habe ich etwas
Wichtiges übersehen, nämlich die Tatsache, daß ich mit
verantwortlich bin. Und hiermit kommen wir auf
den eigentlichen Kernpunkt der Sache. Die V e ra ntWortung,
die jeder Bruder und jede Schwester hat, findet
allgemein viel zu wenig Beachtung. Wir schließen uns gern
der Auffassung an, daß nur die Brüder verantwortlich
sind, die den Dienst in der Versammlung ausüben. Dann
ist die Sache freilich für uns sehr einfach. Aber nicht die
Bequemlichkeit, sondern das Wohl des Ganzen soll ausschlaggebend
sein. Es gibt in unseren Tagen genug, die niederreißen,
aber wenige, die aufbauen helfen. Vergessen wir
nicht, daß auch der geringste Dienst, im richtigen Geiste getan,
nützlich sein kann. Das Gebet in der Stille ist oft mehr
wert als ein langer Vortrag.
Sehr zum Schaden, sowohl für mich selbst als auch
für die Gesamtheit, ist es, wenn ich aus dem Grunde die
örtliche Versammlung meide, daß ich angeblich nicht genügend
beachtet werde. Da steht das eigene große Ich im
Vordergründe, die eigene Wertschätzung. Gewiß kann es
sein, daß es in der Versammlung an Liebe mangelt. Habe
ich aber dieses Empfinden, dann ist es gut, wenn ich die
Schuld zunächst bei mir selbst suche. Haben die anderen
Geschwister nicht auch vielleicht Grund, von mir zu sagen,
daß ich ihnen gegenüber kalt und lieblos sei? Versuchen wir
doch einmal, zunächst ihnen mit Liebe zu begegnen! Wir
werden sicher gute Erfahrungen dabei machen und uns
vielleicht nach einiger Zeit auch sagen müssen, daß unser Urteil
über den einen oder anderen verkehrt war. Der allerwichtigste
Rat aber für uns alle ist der: Betrachten wir
mehr Jesus, unser großes Vorbild! Er, der heute den allerhöchsten
Platz einnimmt, hat einst aus freien Stücken
den allerniedrigsten eingenommen. Was sind wir im Vergleich
mit Ihm! Sollten wir da nicht bereit sein, uns auch
einmal mit dem untersten Platz zu begnügen, wenn wir
dadurch anderen eine Hilfe sein können?

Himmel angehören. „Denn in Ihm wohnt die ganze Fülle
der Gottheit leibhaftig." Könnte es einen wundervolleren
Blick auf Christus geben als diese Wahrheit, die der einfachste
Gläubige kennt oder kennen sollte, so wenig fähig
.er auch sein mag, sie zu erklären? Es gibt nichts, das dem
gleichkäme. Hier allein haben wir die Wahrheit. Wir kennen
jetzt Gott, und wie kennen wir Ihn! Nicht indem wir
Vemuuftschlüsse ziehen, als ob wir Ihn auf diese Weise
suchen und finden könnten. Wir kennen Ihn in Christus,
in jener lebendigen Person, die einst leibhaftig in dieser
Welt lebte, in Ihm, der jetzt noch Seinen Leib hat, droben,
über der Welt. Wir wissen von Gott, aus Seinem Wort,
daß in der Person Christi „die ganze Fülle der Gottheit
leibhaftig wohnt", .nicht nur in Seinem Geist, sondern
wirklich leibhaftig in Ihm, obwohl Er jetzt verherrlicht ist.
Er hatte einen wirklichen, wahrhaftigen Leib von dem Tage
der Menschwerdung an, aber also hatte Er die ganze
Fülle der Gottheit in Sich wohnend.
Und das ist noch nicht alles. Der Apostel fügt hinzu:
„Ihr seid vollendet in Ihm", so daß ihr der Philosophie
nicht bedürfet, selbst wenn sie etwas Gutes enthielte —
wieviel weniger, da sie bestimmt schlecht ist. Was uns nottut,
ist, Christus besser zu genießen. Ihm im Wandel mehr
zu entsprechen — nicht auf die Suche nach anderen Dingen
zu gehen, die von Menschen sind, als ob jene dem Reichtum
Christi etwas hinzufügen könnten! Sie verderben nur
die Wahrheit. Der gefallene Mensch ist fern von Gott und
steht unter der Macht des Teufels. Das macht diese
206
menschlichen Begriffe so irrig und verderblich. Philosophische
Grundsätze entspringen dem Tod und können nur
Tod hervorbringen. Im gesamten Heidentum ist nichts
tödlicher als dessen Philosophie. Der Unterschied ist nur,
daß sie weniger täuscht als die Religion der Welt. Sie hört
sich vernünftig an und bezaubert durch die Schönheit oder
die Kühnheit der Gedanken und Vorstellungen der Sprache
usw. Der Glaube zerstört durch die Wahrheit Gottes
beides, Aberglauben und Unglauben, und zwar durch die
Offenbarung Christi. Die Fülle der Gottheit wohnte nie
leibhaftig in dem Vater oder dem Heiligen Geiste, sondern
nur in Christus. Er war der einzige, von Dem diese wum
dcrbare Wirklichkeit behauptet werden konnte. Die ganze
Fülle wohnte und wohin noch in Ihm. „Der Vater, der
in mir bleibt", sagte Er selbst, „Er tut die Werke." Öderan
anderer Stelle: „Wenn ich durch den Geist Gottes
die Dämonen auötreibc" usw. Hier haben wir nicht müden
Sohn, sondern in Ihm und durch Ihn die drei Personen
der Gottheit in Gnaden tätig in dieser bösen Well.
Und der Glaube erfaßt, was die Schrift vom Unsichtbaren
und Ewigen sagt: er handelt in bezug auf die Gegenwart
nach den geoffenbarten Gedanken Gottes. Der ungläubige
Mensch weist zurück, was über ihn hinausgeht,
und zieht Folgerungen aus dem, was er kennt oder auch
nicht kennt. Aber Gott wird sowohl ihn als seine Folgerungen
zerstören. Gan; anders mit dem Gläubigen. Nicht
nur wohnt die ganze Fülle der Gottheit in Christus, sondern
w i r sind (zwar nicht diese Fülle, aber) zur Fülle gebracht
in Ihm. Auch ist von uns die Rede als von der Fülle
Christi (Eph. l); selbstverständlich aber heißen wir nie die
Fülle der Gottheit.
207
Wir sind also „vollendet in Ihm, welcher daS Haupt
jedes Fürstentums und jeder Gewalt ist; in welchem ihr
auch beschnitten worden seid mit einer nicht mit Händen
geschehenen Beschneidung, in dem Ausziehen des Leibes
lder Sünders des Fleisches *), in der Beschneidung des
Christus". Hier haben wir ausdrücklich den Gegensatz zur
Satzung der äußerlichen Beschneidung. Der richtige Text
lautet: „in dem Ausziehen des Leibes des Fleisches" oder
des „Fleischesleibes", nicht deS Leibes „d erS ü nde u"
des Fleisches. Die richtige Lesart ergibt den wahren Sinn:
es handelt sich hier nicht um dieSünden, sondern vielmehr
um dieSünde in unserer Natur. „Sünden" würde
schwerlich mit dem Zweck der Stelle oder des Satzes in
Einklang stehen. Und wenn von der „Beschneidung des
Christus" die Rede ist, so bezieht sich das nicht auf die
buchstäbliche Tatsache der Beschneidung, sondern auf den
Lod Christs. Wenn wir an Christus glauben, so kommt
uns der ganze Wert Seines Todes zugute. Das wird hier
eine „nicht mit Händen geschehene Beschneidung" genannt
im Gegensatz zu der alten Verordnung. Die Bedeutung
und der geistliche Sinn der Beschneidung ist die Tötung
der menschlichen Natur, indem der Mensch, wie er ist,
als etwas Totes behandelt wird. Der Tod Christi verschafft
uns dieses Vorrecht. Wir sind in die Verbundenheit
mit Seinem Tode gebracht und besitzen dessen ganzen
Wert für unö, indem wir, wenn wir Christus im Glauben
s) Luther: „Durch Ablegung des sündlichen Leibes im
Fleisch". Er und die Übersetzer in anderen Ländern hatten nur die
böandschriften zur Verfügung, dis diese in eckigen Klammern stehenden,
im Kolosserbrief nicht hergehörigen Worte im Tert haben.
s)n Rüm. 6, 6 dagegen steht zu Recht: „Auf daß der Leib
der Sünde abgetan sei". Luther: „auf daß der sündlichc Leib aufhöre".
(Anm. d. Übers.)
208
ergreifen, mit unserem ganzen ruinierten Zustand, mit
dem Leibe des Fleisches, an Seinem Tode teilhaben. Seine
Beschneidung setzt jede andere beiseite, da es keine andere
gibt, die auf irgend eine Weise unseren üblen Zustand als
Menschen im Fleische weggetan hätte.
„Mit Ihm begraben in der Taufe, in welcher ihr
auch mitauferweckt worden seid durch den Glauben an die
wirksame Kraft Gottes, der Ihn aus den Toten auferweckt
hat." Hier haben wir nicht so sehr Christi persönliche Herrlichkeit
als vielmehr Sein Werk. Das erste, Kapitel brachte
uns hauptsächlich Seine persönliche Herrlichkeit; und
selbst wenn es von Seinem Werke redete, handelte es sich
um die Versöhnung aller Dinge und der Heiligen daneben
(in der Zwischenzeit, ehe die Herrlichkeit geoffenbart wird).
Kapitel 2 dagegen richtet nachdrücklich das Augenmerk de^
Gläubigen auf Sein Werk. Ich zweifle nicht daran, daß
sich die Weisheit des Heiligen Geistes darin kundtut, daß
Er uns zuerst Ihn und Sein Werk im allgemeinen und sodann
den speziellen Wert und die Wirkung Seines Werkes
für und an uns vorstellt. Im ersten Kapitel wird Seine
Stellung als Haupt in doppelter Hinsicht entfaltet (Haupt
des Leibes und Erstgeborener aus den Toten). Hier im 2,
Kapitel wird auf die Tatsache, daß Er -aS Haupt jedes
Fürstentums und jeder Gewalt ist, nur eben hingewiesen,
während der Nachdruck darauf liegt, daß wir in Ihm
vollendet sind. Die Beschneidung wird deutlich mit dem
Tode Christi in Verbindung gebracht; es handelt sich nicht,
wie bemerkt, um die gesetzliche Handlung der Beschneidung,
die an Ihm vollzogen wurde (Luk. 2, 2l), noch um
eine Frage, die Seine Person beträfe, sondern um die Anwendung
Seines Werkes auf uns. Dies wird völlig durch
209
die Feststellung bestätigt, daß wir mit Ihm begraben sind
in der Taufe, „in welcher", wie es heißt, „ihr auch mit
Ihm auferweckt worden seid" usw. Der Hauptpunkt ist,
uns mit Christus zu verbinden. Durch Ihn allein wurde
das Werk getan. Aber wenn wir an Ihn glauben, so werden
wir auch unter die Wirkung Seines Werkes gebracht
und erlangen durch die Gnade eine gemeinsame Stellung
mit Ihm. Dieses große Werk wurde nicht allein kraft Seiner
Person ausgeführt, sondern in Ihm, wobei wir einen
Platz in und mit Ihm haben. Die Einrichtung, die mit der
Einsetzung des Christentums in Verbindung steht, stellt
von vornherein diese unermeßliche, besondere Segnung des
Christen in den Vordergrund; in der Taufe haben wir bekannt,
daß wir in dem Tode Christi der Stellung, in der
wir von Natur lebten, gestorben sind; und jetzt sind wir
auferweckt mit Ihm durch den Glauben an die Kraft Gottes,
der Ihn aus den Toten auferweckt hat. Wir sind auf
diese Weise in einen neuen Zustand versetzt (natürlich nicht
unsere Leiber, wohl aber unsere Seelen). Wie der Apostel
beides, Tod und Auferweckung mit Christus, auf das
praktische Leben anzuwenden weiß, werden wir bald sehen.
Ser Sohn des Menschen
i.
Sich mit dem Herrn Jesus zu beschäftigen, über Den
zu sinnen, von dem Petrus sagt: „welchen ihr, obgleich
ihr Ihn nicht gesehen habt, liebet", ist zu allen Zeiten eine
der lieblichsten Betätigungen und zugleich eine reiche Quelle
der Belehrung und des Segens für die Gläubigen gewesen.
Wohl ist und bleibt Seine Person für uns unerforsch-
210
lich. Sein Werk ist so unendlich groß, daß wir es nie erfassen
werden, und Seine Ämter, Titel und Würden sind
so erhaben und vielseitig, daß wir mit unserem begrenzten
Verständnis nur wenig in sie eindringen können. Aber dennoch
hat Gott uns in Seinem Wort Mitteilungen darüber
gemacht, damit wir in Gemeinschaft mit Ihm Den anschauen
und bewundern, in dem eine solche Fülle vorhanden
ist, und mit dem so reiche Herrlichkeiten verbunden sind.
Diese Tatsache gibt Freudigkeit, uns heute etwas näher
mit Ihm zu befassen, von dem wir sagen dürfen, daß unsere
Seele Ihn liebt, wiewohl wir unser Unvermögen tief
fühlen, dies in einigermaßen passender Weise zu tun.
Der Gegenstand unserer Betrachtung soll eine besondere
Seite Seiner Person sein, die auch Sein wunderbares
Werk und unsere Verbindung mit Ihm in sich schließt. Es
ist, wie die Überschrift andeutet, Seine Stellung als Sohn
des Menschen, und zwar wie Er einst auf Erden in Niedrigkeit
war und verworfen wurde, oder wie Er jetzt zur
Rechten Gottes thront, oder wie Er einmal in Herrlichkeit
und Macht zurückkehren wird, um über die Erde, ja, über
das ganze Weltall zu herrschen. Daß der Heilige Geist,
der uns in alle Wahrheit leiten will, uns bei diesem großen
Vornehmen helfen und uns das Bewußtsein erhalten
möge, daß es heiliger Boden ist, den wir hier betreten, ist
unsere Bitte.
Der Ausdruck „Sohn des Menschen" kommt sowohl
im Alten als auch im Neuen Testament häufiger vor. Der
Herr Jesus selbst legt sich ja in den Evangelien diesen Namen
immer wieder bei, während der Heilige Geist ihn
durch den Schreiber des Hebräerbriefes ausdrücklich mit
- 211 —
Jesus, als mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt, in Verbindung
bringt. Auch der in Offbg. 1. geschaute „Sohn des
Menschen" ist ohne Zweifel der Herr Jesus selbst. (Vergl.
Offbg. 1, 1,3 mit V. 18 und Kap. 2, 8 mit V. 18.) Die
aus Hebräer 2 angeführte Stelle gibt uns das Recht, auch
in dem in Ps. 8 erwähnten Menschensohn (hier kommt
diese Bezeichnung im Alten Testament zum ersten Mal
vor) den Herrn Jesus selbst zu erkennen. Nicht anders ist
es mit zwei weiteren Stellen des Alten Testamentes (Ps.
80, 17 und Dan. 7, 13). Freilich werden auch die beiden
Propheten Hesekiel und Daniel mit dem Namen „Menschensohn"
angeredet — ersterer ungefähr neunzigmal — ;
diese Tatsache schwächt aber das vorhin Gesagte in keiner
Weise ab und ist insoweit bedeutungsvoll, als die damalige
Stellung und das Zeugnis dieser beiden Propheten an das
Volk Israel der Stellung und dem Zeugnis des Herrn
hinsichtlich dieses Volkes in den Tagen Seiner Verwerfung
sehr ähnlich war.
Es kann wohl gesagt werden, daß der Ausdruck
„Sohn des Menschen" ein Name ist, der mit Autorität in
Verbindung steht. Er ist ein Titel, der dem Erben alles
dessen gehört, was Gott nach Seinen Ratschlüssen dem
Menschen zugedacht hatte, und der in vollstem Sinne seine
Anwendung findet, wenn der verherrlichte Christus Sei­
nen Platz über alles Erschaffene entnehmen wird. Da aber
sündige Menschen an dieser Seiner Herrlichkeit teilnehmen
sollen, und da die Schöpfung, die Er als Besitztum
empfängt, durch die Sünde verunreinigt worden ist, und
beide erlöst werden müssen, so stehen mit diesem Titel auch
die Leiden und das Sterben des Herrn, sowie Sein Auferstehen
und Seine Himmelfahrt in Verbindung.
212
Weil der uns beschäftigende Gegenstand vielseitig und
die darauf hinweisenden Schriftstellen sehr zahlreich sind,
wollen wir zur besseren Übersicht unsere Betrachtung in
sechs Hauptstücke teilen und diese unter folgende Überschriften
stellen:
r. Der Sohn Gottes wird Mensch.
2. Verbindung und Unterschied zwischen den Titeln
„Messias" und „Sohn des Menschen".
Z. Der Sohu des Menschen als Erlöser.
4. Der Sohn des Menschen, dahin aufgefahren, wo
Er zuvor war.
5. Das Kommen des Sohnes des Menschen zur Inbesitznahme
Seines Erbes bzw. zur Übernahme
Seines Reiches.
6. Der Zweck der Herrschaft des Sohnes des Menschen
und die Übergabe Seines Reiches.
r. DerSohn Gottes wird Mensch.
In dem erwähnten 8. Psalm erhebt der Heilige Geist
durch den Mund Davids die bedeutungsvolle Frage: „Was
ist der Mensch, daß Du sein gedenkst, und des Menschen
Sohn, daß Du auf ihn achthast?" Zweifellos stand der
Mensch in seinem Kleinsein gegenüber der gewaltigen, erhabenen
Schöpfung hier zunächst vor dem geistlichen Auge
deö Psalmdichters, dennoch aber als eine Person, mit der
Gott nach Seiner Weisheit die wunderbarsten Absichten
hatte, obwohl Er hinsichtlich seiner Schöpfung geringer
war als die Engel. Schon als Gott den ersten Menschen
„in Seinem Bilde" schuf, setzte Er ihn zum Haupt und
Mittelpunkt eines großen Systems ein, indem Er ihn zum
Herrscher „über die Fische des Meeres und über das Gevö
213
gel des Himmels und über alles Getier, das sich,aus der
Erde regt", setzte. Adam ist ein Vorbild des Zukünftigen,
(d. h. des Christus), jetzt aber das gefallene Haupt einer
Familie und einer Schöpfung, die mit Ihm in Verbindung
steht. Keinem Engel gab Gott einen solchen Platz, obwohl
die Engel einer höheren Schöpfung angehören. Daß der
Mensch diese erhabene Stellung in Abhängigkeit von und
im Gehorsam gegen Gott — den er in dem ihm zugewiesenen
Bereich darstellen sollte — einzunehmen und zu be-
ivahren hatte, versteht sich. Daß er es nicht getan hat, erübrigt
sich zu sagen. Wie er auf die Einflüsterungen Satans
gehört hat, ungehorsam wurde, seinen ihm zugewiesenen
Platz verwirkte und nicht nur über sich selbst Elend
und Tod brachte, sondern auch auf die ihm unterstellte
Schöpfung Verderbnis und Fluch, teilen deutlich die ersten
Blätter der Bibel mit. Ganz von selbst erhebt sich da die
Frage: Ist durch Satans List und den Ungehorsam des ersten
Menschen nun Gottes Vorsatz hinsichtlich des Menschen
hinfällig geworden? Wäre es der Fall, dann wäre
Satan mächtiger als Gott. Freilich bessert Gott das, was
Satan verdorben hat, nicht wieder aus — das ist niemals
Seine Weise gewesen, ist auch Seiner nicht würdig —, aber
Er errichtet alles in dem „Sohne des Menschen" in einer
neuen, weit herrlicheren Weise. Er setzt Ihn, den verherrlichten
Menschen im Himmel, als Haupt über alle Werke
Seiner Hände. Zn Ihm wird der Mensch der Mittelpunkt
eines weit größeren, unendlich erhabeneren Systems, als
dasjenige war, in dessen Mittelpunkt Adam stand. Seine
Herrschaft wird die ganze Schöpfung umfassen.
Ist es nötig, zu fragen, wem eine solch erhabene Stellung
zukam? Kann es ein anderer sein als Der, „durch den
244
Gott die Welten gemacht hat"? Wer wäre außer Ihm würdig,
„gesetzt zu werden zum Erben aller Dinge"? Ihm gebührte
schon in der Schöpfung der Platz des „Erstgeborenen",
d. h. der Platz des Vorrechts, der erste Platz, denn
„alle Dinge sind durch Ihn erschaffen worden, die in den
Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren,
es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer
oder Gewalten". Aber alle diese Dinge sind nicht
nur „durch Ihn", sondern auch „für Ihn" geschaffen.
(Vergl. Hebr. 4, 2 u. Kol. 4, 45. 4b.) Darum sollten
auch, wenn Gott tatsächlich den Erstgeborenen in den
Erdkreis einführt, „alle Engel Gottes Ihn anbeten". (Vergl.
Hebr. 4, b; Ps. Y7, 7.)
Wenn nun aber nach Gottes allweisem, durch nichts
aufzuhaltenden Plan derSohn desMenschen „über
alle Werke Seiner Hände gesetzt werden" sollte, wie konnte
dieser Plan in Erfüllung gehen, wenn zugleich Der,
„durch den Gott die Welten gemacht hatte",
„der Erbe aller Dinge" sein sollte? Es war nur da­
durch möglich, daß der Sohn Gottes, „ohne Den nicht eines
ward, das geworden ist", Mensch wurde. Und dieses
Unfaßbare ist geschehen. „Das Wort ward Fleisch und
wohnte unter uns." In der Fülle der Zeit hat Gott Seinen
Sohn gesandt, geboren von einem Weibe. Er wurde ein
wirklicher Mensch, denn Er waro „Blutes und Fleisches
teilhaftig". Der Sohn Gottes, der nicht nur „das Wort
Gottes", sondern auch „die Weisheit Goties" ist, setzte in
die Tat um, was Er empfand, ehe die Grundfesten der
Erde fcstgestellt wurden, nämlich, daß Seine Wonne bei
den Menschenkindern war. Es war das wunderbarste Ereignis,
das die Schöpfung je gesehen hatte. 

Es war so erhebend, daß die ganze Menge der himmlischen Heerscharen,
die doch stets Jeugen Seiner Herrlichkeit und Größe gewesen
waren und Ihm Verehrung und Lob dargebracht
hatten, angesichts dieses Ereignisses in den Lobpreis Gottes
ausbrachen und sprachen: „Herrlichkeit Gott in der
Höhe und Friede auf Erden, an den Menschen ein Wohlgefallen".
Sie durften bewundernd schauen, daß „Er, da Er
in Gestalt Gottes war, es nicht für einen Raub achtete,
Gott gleich zu sein, sondern sich selbst zu nichts machte" —
der Mensch ist so klein, so gering, er ist nichts — „und in
Seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden" wurde. Doch
nicht nur die Engel, sondern auch schwache Menschenkinder,
arme Hirten — und wir im Geiste mit ihnen — durften
und dürfen nach Bethlehem eilen und dort das Geheimnis
aller Geheimnisse schauen: den Sohn Gottes als ein
Kindlein in der Krippe liegen.
Doch Er kam nicht nur zu den Menschen, sondern
das Fleisch gewordene Wort wohnte (zeltete) auch unter
ihnen, nicht in Herrlichkeit und Macht, sondern in Armut
und Niedrigkeit. Ergreifend ist der Hinweis des Apostels
Paulus auf diese Tatsache: „Denn ihr kennet die
Gnade unseres Herrn Jesus Christus, daß Er, da Er reich
war, um euretwillen arm wurde, auf daß ihr durch Seine
Armut reich würdet". (2. Kor. 8, d.) Der Tausende mit
Brot sättigen konnte, war als Mensch so arm geworden,
daß Er zeitweise von dem Dienste frommer Frauen, die
Ihm mit ihrer Habe dienten, abhängig war. Um die Tempelsteuer
zahlen zu können, wozu Petrus sich voreilig verpflichtet
hatte, mußte Er den Jünger erst an den See senden,
um das Geld dafür aus dem Munde eines Fisches zu
empfangen, den Er ihm zu diesem Iweck an die Angel
— 21b —
schickte. Herzbewegend sagt Er selbst im Blick auf Seinen
Pfad und Platz in dieser Welt: „Die Füchse haben Höhlen
und die Vögel des Himmels Nester, aber der Sohn des
Menschen hat nicht, wo Er das Harrpt hinlege". (Matth.
8, 20.) Daß Er dabei „Gott war über alles, gepriesen in
Ewigkeit", zeigt schon in gewaltiger Weife die erwähnte
Begebenheit. Der Sohn des Menschen, der nicht hatte, wo
Er daS Haupt hinlegte, konnte von sich reden als dem
„Sohn des Menschen, der im Himmel ist". (Joh. 3, 13.)
Prüfsteine für die Lehre
(Fortsetzung)

Der zweite der drei Prüfsteine in l. Joh. 2.
„Ihr,was ihr von Anfang gehörthabt,
bleibe in euch. Wenn in euch bleibt, was ihr von Anfang
gehört habt, so werdet auch ihrin dem Sohne und in
dem Vater bleiben." (V. 24.)
Hier, wie überhaupt in seinem ganzen Brief, weist
Johannes auf den Anfang hin als das, worin man notwendigerweise
verharren muß. Dieser Anfang ist die Offenbarung
Jesu Christi auf Erden, sowie das, was Er selbst
Seinen Jüngern verkündigt, was Er später vom Himmel
her Seinen Aposteln mittelst Inspiration durch den Heiligen
Geist niitgeteilt hat, und was seitdem in der Heiligen
Schrift niedergelegt ist. (Vergl. Joh. 16,12—15; 1. Kor.
11,23; Gal. 1,11.12.) Diese Mitteilungen umfassen alles
bis zum Ausgang der Zeit in die Ewigkeit und bis zum herrlichen
Ziel im Himmel, also alles, was wir wissen müssen
und überhaupt wissen und erfassen können. Weitere Offenbarungen
von feiten Gottes gibt es nicht, auch keine 

Abänderungen von solchen, denn Gott ist nicht Ja und Nein,
„sondern es ist Ja in Ihm". (Vergl. 2. Kor. 1,19. 20.)
Alles, was außer den Aussprüchen des Alten und Neuen
Testaments als Gottes Wort ausgegeben wird (auch sogen.
Überlieferungen), stammt nicht von Gott und ist deshalb
abzulehnen. Auch die Apokryphen des Alten wie des Neuen
Testaments sind, obwohl letztere sogar von Schülern der
Apostel selbst stammen, nicht als Gottes Wort zu werten,
denn sie enthalten nicht, wie die Bibel, Aussprüche Gottes,
sondern neben manchem Schönen Ausdrücke, die dem Inhalt
der Schrift nicht entsprechen, was erweist, daß diese
Bücher keinen Anspruch auf göttliche Inspiration machen
können.

Daß der Heilige Geist uns immer wieder neues Licht
über Seine Offenbarungen schenkt und immer wieder neue
Seiten hervorhebt — denn unser Wissen hienieden ist und
bleibt Stückwerk —, ist etwas anderes. Das sind Äußerungen
der Gabe der Weissagung, die sich durch Gottes Güte
seit dem Weggang der Apostel bis zur heutigen Zeit erhalten
hat. Inspiriert dagegen ist lediglich, was die Gläubigen
„von An fa n g g eh ört" hatten, jene alte und doch immer
neue Wahrheit, die von Anfang an verkündigt wurde,
die in einer Fülle von Stellen und Bildern im ganzen Wort
Gottes verankert ist und in völliger Harmonie mit der gesamten
Lehre der Heiligen Schrift steht. Zwar pflegen Jrr-
lehrer auch Schriftstellen zur Stützung ihrer Lehren anzuführen,
aber sie sind meist willkürlich aus dem Zusammenhang
herausgerissen und werden so sinn- und geistwidrig
ausgelegt und verdreht, daß für einen geistlich gerichteten
Gläubigen die Nichtübereinstimmung mit der Schrift
als Ganzes nicht schwer zu entdecken ist.
218
Willkürliche Auslegung der Bibel, besonders der
Symbole und Wortbilder, ist stets verdächtig. Bestätigt die
Schrift nicht selbst die Auslegung, so ist sie abzulehnen.
Was von Lehren zu halten ist, die das Wort Gottes
überhaupt beiseite schieben, indem sie statt dessen die sogenannte
„innere Stimme des Geistes" hervorheben, erübrigt
sich, zu sagen. Es kommt immer wieder auf dasselbe
heraus: Gottes Wort, durch Gottes Geist verständlich gemacht,
ist und bleibt die einzig sichere Grundlage. Satan ist
listig. Nur wer in betender Gemeinschaft mit dem Herrn,
indem Sinn und Herz auf Ihn selbst gerichtet sind, das
Wort zum Ausgangspunkt nimmt, ist imstande, seinen Anläufen
siegreich zu begegnen. Da wir die ganze Offenbarung
Gottes in Händen haben, kann es niemals Gepflogenheit
des Heiligen Geistes sein, anders als im unmittelbaren
Hinweis auf das geschriebene
WortGotteszu reden. Immer weist Er auf den Sohn
Gottes und auf das Wort selbst hin, und Geister und Propheten,
die anders reden, kennzeichnen sich dadurch ohne
weiteres als nicht von Gott, sondern als aus dem Abgrund
kommend.
Aus diesem Grunde auch sucht Johannes die Kinder-
Gottes immer wieder zum Anfang hin, d. h. zum Herrn
Jesus selbst zurückzuführen. Er legt Nachdruck darauf, daß
man auf das höre, was Er und die Apostel gesagt haben.
(Vergl. z. B. neben unserer Stelle das ganze 1. Kapitel,
dann Kap. 4, 6 sowie 2. Joh. 6—y.) Der Apostel Paulus
macht es nicht anders. Besonders in seinen Briefen an Timotheus
und Titus ermahnt er immer wieder, „das Bild
gesunder Worte festzuhalten, die du von mir gehört
hast" (2. Tim. 1,13), und darin zu bleiben. Immer wie
2ry
der weist er auf die „gesundeLehr e" hin, die unseres
Heiland-Gottes ist, auf die gesunden Worte, die unseres
Herrn Jesus Christus sind, und die Lehre, die nach der
Gottseligkeit ist. (Tit. 2, 1. 40; 4, 9; 1. Tim. 6, Z; 4,
46; 4, 40. 44 usw.) Hier scheiden sich die Geister, denn nur
die der Leitung des Geistes Gottes Gehorsamen vermögen
dies zu hören und zu befolgen. Für die anderen ist
es unerträglich, denn da sie ihrem eigenen Willen folgen
wollen, werden sie durch das Wort der Apostel verurteilt.
Damit das, was wir gehört haben, in uns bleibe, ist
es nötig, auch darüber zu wachen, daß die Wahrheit gerade
inder Form festgehalten wird, wie sie aus Gottes Mund
hervorgegangen ist. Die „christliche Religion" hat im Lauf
der Zeit dafür gesorgt, daß das „Bild gesunder Worte"
eine gründliche Zerstörung erfahren hat. Gerade dadurch,
daß die Gläubigen nicht genau bei dem Wort geblieben sind,
ist es dem Feinde gelungen, viele Irrtümer einzuführen,
großen Schaden zu stiften und den so beklagenswerten Verfall
der Christenheit zu bewerkstelligen. I. N. D. zeigt in
seiner Schrift „Christentum und nicht Christenheit" *), wie
schon die neutestamentlichen apokryphischen Schriften durch
ihre Art, das Wort anders zu formen, die Keime zu späteren
groben Irrtümern gelegt haben.
*) beute vergriffen.
Eine andere Gefahr, vor der Offbg. 22, 48. 49 aufs
ernstlichste warnt, ist die, über die Schrift hinauszugehen,
ihr etwas hinzuzufügen und Dinge zu bringen, von denen
die Schrift nichts weiß, oder umgekehrt der Schrift das
eine und andere zu nehmen, das eine und andere Wort zu
entkräften und ungültig zu machen. Auch scheinbar kleine
Dinge sind imstande, die Wahrheit zu verdunkeln, zu
220
schwächen und uns zu schädigen. Ebenso sollte man sich
davor hüten, aus Wahrheiten, die die Schrift verkündet,
auf Dinge zu schließen, von denen sie nichts verlauten läßt.
Was das Wort Gottes sagen will, das spricht es auch aus,
und zwar in aller wünschenswerten Deutlichkeit, und was
eö nicht zum Ausdruck bringt, das sollte auch nicht hineingelegt
werden. Will man sicher sein vor Schädigung und
Beunruhigung, wenn nicht gar vor ernsten Irrtümern, so
muß man sich vor der geringsten Abweichung vom Wortlaut
der Schrift hüten. Entschieden abzuweisen ist der gefährliche
Ausdruck: „Die Bibel enthält Gottes Wort".
Macht man in dieser Hinsicht Zugeständnisse, so gerät alles
ins Wanken. Wie kann man dann noch sicher wissen,
was Gottes ist, und was nicht? Nein, die Heilige Schrift
i st Gottes Wort, durch den Geist nach bestimmten Absich­
ten und in von Ihm gewählten, genau bestimmten Ausdrücken
zusammengestellt, auch dann, wenn Er Worte und
Werke der Menschen hineinflicht, die nicht Seine Zustimmung
haben, sondern einfach die wahrheitsgetreue Wiedergabe
der Tatsachen darstellen.
Wohin man gelangt, wenn man über das, was Gottes
Wort sagt, hinausgeht, über Nichtgeoffenbartes grübelt
und ungezügelt seinen auf menschliche Vernunft- und
Gefühlsschlüsse gegründeten Gedanken Raum gibt, möchten
wir an Hand der Wiederbringungslehre dartun. Wie
bereits früher gesagt, beabsichtigen wir indessen nicht, diese
Lehre zu widerlegen, sondern nur an einigen Beispielen zu
zeigen, wie sie über die Schrift hinausgeht, hinzutut und
auch davon wegnimmt.
Daß die Wiederbringungs- oder Allversöhnungslehre
durch eine Reihe von Schlußfolgerungen menschlicher Ge
221
fühls- und Verstandeslogik zu der Behauptung gelangt,
daß schließlich alle Verdammten, sogar der Teufel und
seine Engel, noch selig werden, ist bekannt. Aus der großen
Tatsache, daß Gott Liebe ist, zieht diese Lehre ihre falschen
Schlüsse, indem sie sagt, ein Gott der Liebe werde sich unter
allen Umständen Seiner Geschöpfe erbarmen und könne
sie nicht ewiglich quälen; eine ewige Verdammnis vertrage
sich weder mit der Liebe noch mit der Gerechtigkeit Gottes.
Sie beeinträchtige aber auch das Erlösungswerk Christi, in
welchem einst alle selig werden würden. Deshalb könne niemand
verloren gehen, auch die gefallenen Engel nicht. Alle
Gerichte, der Feuersee eingeschlossen, seien nur Besserungö-
mittel, keine endgültigen Gerichte. Ferner, da am Ende
„Gott alles in allem (oder: in allen) sei" (1. Kor. 15, 28),
könne es keine ewig Verdammten geben, da sonst Gott eben
nicht alles in allen sei. Die zahlreichen, diesen Folgerungen
entgegenstehenden Stellen werden kurzerhand im Sinne
der Lehre umgebogen und verdreht.
Zu unserer Behauptung, die Allversöhnungslehre gehe
über die Schrift hinaus usw., folgendes:
Die Allversöhnungslehre nimmt dem Worte Gottes
etwas, indem sie dem Wort „ewig" für die Verdammten
eine zeitlich begrenzte Bedeutung gibt, während sie zugleich
auf der ewigen Glückseligkeit der Glaubenden besteht.
Sie geht über die Schrift hinaus, wenn sie den Feuersee
als eine bloße Besserungsmethode Gottes erklärt. Sie
fügt der Schrift etwas hinzu, wenn sie behauptet, die Verdammten
kämen wieder aus dem Feuersee heraus, oder eS
gebe auch aus dem zweiten Tode eine Auferstehung. Eine
andere Richtung, die den Widersinn der völligen Allversöhnung
fühlt, macht es auch nicht viel besser, wenn sie die
222
schließliche Vernichtung der widerstrebenden Teufel und
Verdammten lehrt. Denn auch für diese Auslegung bietet
Gottes Wort keinerlei Stütze.
Wo steht irgendwo geschrieben, daß Christus auch für
Engel gestorben sei? — sagt nicht Hebr. 2, tb das Gegenteil?
— geschweige denn für Teufel und Dämonen? Freilich
sagt Kol. t von allen Dingen auf Erden und im
Himmel, daß es das Wohlgefallen der ganzen Fülle sei,
diese „durch Ihn mit Sich zu versöhnen", aber das sind
doch keine Seelen, sondern da handelt es sich um die
Schöpfung, die ebenfalls gereinigt und wiederhergestellt
werden muß. In bezug auf Menschen bezeugt die
Schrift mit aller Deutlichkeit, daß nur diejenigen, welche
glauben, errettet werden, und in bezug auf gefallene
Engel weiß sie nur, daß sie für das Gericht aufbewahrt
werden. Alles übrige ist Kombination. Und stimmt es nicht,
wenn wir sagten, daß die Allversöhnungölehre dem so großen
Opfer Christi einen Teil seines Wertes nehme? Denn
jene Verdammten würden doch ihr schließliches Heil zum
Teil der Höllenstrafe zu verdanken haben. Die Tätigkeit
des Heiligen Geistes wird ausgeschaltet; dagegen wäre die
Fegefeuer-Theorie der römischen Kirche glänzend gerechtfertigt.
Wie übrigens die Menschen, die in der Offenbarung
geschildert werden, auf die göttlichen Gerichte reagieren, zei­
gen deutlich die Verse 8—tt u. 2t des t6. Kapitels.
Handelt es sich um göttliche Offenbarungen, so treten
Dinge vor uns, die ihre Wurzel in Gott haben und von
Ihm ausgehen, die demgemäß auch dem Wesen und Maßstab
Gottes entsprechen und nicht dem unseres so beschränkten
Begriffsvermögens. Alle diese Offenbarungen und ihre
Gegenstände reichen in ihrem Wesen notwendigerweise weit
22Z
über das Vermögen unserer Fassungskraft hinaus. Mit anderen
Worten: Es gibt Fragen, auf die der menschliche
Geist keine Antwort findet.
Die Heilige Schrift teilt uns von den überirdischen
Dingen mit, was uns zu erfassen möglich, und was uns
dienlich ist. Begnügen wir uns daher damit, über das zu
sinnen, was sie uns mitteilt. Es genügt fürwahr vollauf.
In unserer ganzen Erdenzeit werden wir nicht damit fertig
werden. Und im übrigen laßt uns die Mahnung des großen
Apostels beachten, die in seinen Worten an die Korinther
liegt: „Denn die Waffen unseres Kampfes sind nicht
fleischlich, sondern göttlich mächtig ..., indem wir Vernunftschlüsse
zerstören und jede Höhe, die sich erhebt wider
die Erkenntnis Gottes, und j e d e n G e d a n k e n g e fa n-
gen nehmen unter denGehorsamdesChri-
st u s". (2. Kor. 70, 4. 5.) Wir sind stets in Gefahr, in unseren
Gedanken über die Grenzen des uns Mitgeteilten hinauszuschweifen.
Aber alles, was in dieser Hinsicht Menschen
aus eigenem Vermögen anstellen können, sind menschliche
Grübeleien, zu denen der große Verführer uns reizt,
um unsere Aufmerksamkeit abzulenken und unsere Ohren
taub zu machen für das, was Gottzu uns spricht. Damit
sind wir undurchsichtlicher Wirrnis und Irrtümern aller
Art ausgeliefert. Denn alle unsere Gedanken und Vorstellungen
sind durchaus an das Fassungsvermögen unseres
menschlich begrenzten Geistes gebunden, über das wir niemals
hinausgehen können. Aus diesem Grunde enthält das
Wort Gottes eine Menge von Symbolen und Gleichnissen,
um, wie ein anderer Schreiber sagt, „unbegrenzte Gedanken
in umgrenzte Formen zu bringen", die uns eine Ahnung
von den überirdischen Dingen geben.
224
Ich sage: eine Ahn un g, denn alle uns geoffenbarten
Dinge sind und bleiben voller Geheimnisse, so daß der nachdenkende
Bibelleser unwillkürlich zu mancherlei Fragen
kommt: Warum dies? wieso das? wie und was dann weiter
usw.? Das Neue Testament selbst redet z. B. sowohl
in den Briefen des Paulus als auch in der Offenbarung
von allerlei Geheimnissen, die uns wohl als Tatsachen geoffenbart
sind, in ihrem ganzen Wesen und Inhalt aber
doch geheimnisvoll bleiben. Warum? Weil wir nicht in
diese Dinge hineinzuschauen vermögen! Es kann ja gar
nicht anders sein, als daß alle göttlichen Dinge in dem
ganzen Umfang ihrer Bedeutung über unser Fassungsvermögen
hinausreichen. Deshalb müssen viele Fragen, die
sich unS aufdrängen, hienieden unbeantwortet bleiben. Indem
man t. Kor. 2 so auslegt, als ob uns heute alles
geoffenbart sei, vergißt man diese Tatsache und meint, nun
alles verstehen zu müssen. Das ist aber ein Irrtum. Vor
vielem muß der Glaube stehen bleiben. „Viele Wahrheiten
im Worte Gottes", schreibt ein anderer, „bleiben uns auch
deshalb dunkel, weil wir sie unseren Gedanken anpassen
wollen, anstatt umgekehrt unsere Gedanken von ihnen
gestalten zu lassen". Das ist auch ein wahres Wort. Lassen
wir unsere Gedanken von den Wahrheiten des Wortes gestalten,
so wird uns der Heilige Geist die Augen öffnen,
so daß wir in dem Unerforschten die wunderbare Herrlichkeit
Gottes ahnen, ohne selbst hineinzuschauen, und dann
werden uns diese Dinge viel wunderbarer und gleichwohl
vernünftiger erscheinen, als wenn wir sie zu ergründen
trachteten, und anbetend werden wir uns vor der Größe
Gottes beugen. (Fortsetzung folgt.)
Ser Sohn des Menschen
ii.
2. Verbindung und Unterschied
zwischen den Titeln
„Messias" und „Sohn des Menschen"
Die Offenbarung des Sohnes Gottes als Mensch in
dieser Welt fand nach der unumschränkten Weisheit Gottes
unter dem Volke Israel statt, denn aus diesem Volke sollte
dem Fleische nach der Christus kommen. So wurde Er, der
Voraussage gemäß, in Bethlehem, derStadtDavids,
geboren, da Er der Herrscher über Israel sein sollte, wiewohl
„Seine Ausgänge", d. h. Seine Ursprünge, „von der
Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her waren" — Er war
göttlich ewig. (Vergl. Micha 5, t mit Matth. 2, 2. 5. b.)
Nach der Ankündigung des Engels an Maria sollte Er „den
Thron Seines Vaters David" empfangen und „über das
Haus Jakobs ewiglich herrschen". (Vergl. Luk. 1, 32. 33.)
Von Johannes dem Täufer, Seinem Wegbereiter, angekündigt
— der zur Buße aufforderte und, damit der Messias
Israel offenbar werden möchte, als äußeres Zeichen
der Buße mit Wasser taufte (vergl. Joh. I, 3t) —, trat
Er, nachdem Er ungefähr dreißig Jahre alt geworden war,
unter das jüdische Volk und stellte sich diesem vor. Er kam
nicht, wie man erwartet hatte, in königlicher Macht und
äußerem Glanz, sondern, äußerlich gesehen, in Schwachheit
und Niedrigkeit und verkündigte ihm in der Bergpredigt
die Grundsätze Seines Reiches, das Er errichten wollte.
Zeichen und Wunder begleiteten Seine göttliche Sen-
UXXXMI d
22b
düng als Sohn Davids und König Israels. Alles war in
Übereinstimmung mit dem, was die Schriften gesagt hatten.
Es blieb nur übrig — soweit Gottes ewige Ratschlüsse
nicht in Frage kamen —, daß das ganze Volk Buße
getan und jauchzend seinen König nach Zion geführt hätte.
Doch was war das wirkliche Ergebnis Seines Auftretens,
was das jüdische Volk angeht? Der Evangelist
Johannes sagt es mit den kurzen Worten: „Er kam in das
Seinige, und die Seinigen nahmen Ihn nicht an". Der
Ruf Seines Vorläufers verhallte bis auf einzelne Ausnahmen
ergebnislos. Namentlich „machten" die Leiter des
Volkes „in bezug auf sich selbst den Ratschluß Gottes wirkungslos,
indem sie nicht mit der Taufe Johannes' getauft
wurden". Von dem enthaltsamen, sich selbst verleugnenden
Bußprediger sqgte man: „Er hat einen Dämon", und
der kühne Zeuge endete im Gefängnis unter dem Schwert
des Schergen. Dieses Ende des Gesandten deutete schon die
Nichtannahme des Königs selbst an. Da Er, obwohl Er sich
vornehmlich in Gnade und Güte kundgab, selbstverständlich
die Rechte Gottes vertrat, fand Er bald überall offenbaren
Widerstand, besonders von den sich in ihrem Einfluß
bedroht fühlenden Führern des Volkes. Dieser Widerstand
steigerte sich immer mehr bis zu offenbarem Haß. Wurde
Jesus auch am Ende bei Seinem Einzuge in Jerusalem von
den Volksmengen jubelnd als der Sohn Davids begrüßt,
so war dies nur eine vorübergehende Aufwallung, denn
wenige Tage später forderten dieselben Menschen, von ihren
Obersten und Führern aufgestachelt. Seinen Tod am
Kreuz.
So endete das Kommen Jesu als Messias zu Seinem
Volke mit Seiner völligen Verwerfung. Anstatt den
227
Ihm zukommenden Thron Seines Vaters David in Jerusalem
einzunehmen und Herrscher über Israel zu sein,
starb Er am Kreuze eines schmachvollen Todes. Nichtsdestoweniger
gehört Ihm jener Thron, und Gott wird Ihm
denselben zu seiner Zeit geben. Das hat Er in Seiner Auferweckung,
worin die „Gnaden Davids" gewiß geworden
sind, verbürgt. Er, der einst verworfene, aber auferstandene
Messias wird wiederkommen und dann kein widerspenstiges
Volk, sondern einen willigen, bußfertigen Überrest dieses
Volkes vorfinden, der Ihm jauchzend entgegeneilt mit
den Worten: „Gepriesen sei, der da kommt in dem Namen
des Herrn!" (Vergl. Matth. 2t, y; Ps. tt8, 26.)
Der Herr, der alles im voraus wußte und auch das
Verhalten der Leiter und des von ihnen geführten Volkes
beobachtete, hat schon frühzeitig Seine Verwerfung angedeutet.
Ganz offen aber redet Er davon auf Seiner letzten
Reise nach Jerusalem, und zwar spricht Er dabei sofort von
sich als dem Sohne des Menschen, was jedem aufmerksamen
Bibelleser beim Lesen der entsprechenden Stellen auffallen
muß. Er geht gleichsam von Seiner Stellung als
der Gesalbte Gottes (Messias oder Christus) zu der erweiterten
Stellung als Sohn des Menschen über. Während Er
unter erstgenanntem Titel nur mit dem Volke Israel in
Verbindung stand, trat Er unter dem zweiten zu allen
Menschen in Beziehung.
Nehmen wir zum Beweis unserer Behauptung die
Begebenheit in Luk. 9, 78—27. Bei dieser Gelegenheit
richtet der Herr die Frage an Seine Jünger: „Wer saget
ihr, daß ich sei?" worauf Petrus antwortet: „Der Christus
(oder Gesalbte) Gottes". Das war gemäß dem 2.
Psalm Sein Titel als der von Gott auf Zion gesalbte Kö
228
nig — der Messias (der Gesalbte). So hatte Er sich dem
Volk in Wort und Tat dargestellt, hatte sich ihm gleichsam
zur Annahme angeboten, war aber nicht ausgenommen
worden, und Seine endgültige Verwerfung stand bevor.
Aus diesem Grunde verbietet dann der Herr Seinen Jüngern,
irgend jemand zu sagen, daß Er der Christus Gottes
sei. (Die Zeit, Ihn als solchen zu verkündigen, war vorüber.
Es war geschehen, aber ohne Erfolg.) Und darauf
nun sagt Er ihnen, daß der „S o h n de 6 Mensche n"
vieles leiden und verworfen werden und von den Ältesten
und Hohenpriestern und Schriftgelehrten getötet und am
dritten Tage auferweckt werden müsse. Nachdem Seine
Ankündigung als Messias sich als vergeblich erwiesen hat,
läßt Er gleichsam für den Augenblick diesen Titel fahren
und spricht von Seinem ausgedehnteren, dem „Sohn des
Menschen". Die, welche Ihm nachfolgen, werden Seine
Stellung als der in der Welt Verworfene teilen müssen.
Tun sie es, wird es zu ihrem ewigen Heil ausschlagen.
Und einmal wird Er als „Sohn des Menschen" kommen
„in Seiner Herrlichkeit". Schließlich geben dann die Verse
28—36 des Kapitels als Abschluß des Ganzen in der
Szene der Verklärung auf dem Berge einen Vorgeschmack
von diesem Seinen Erscheinen in der Herrlichkeit Seines
Reiches.
Es ist überaus interessant, zu verfolgen, wie dieselbe
Verbindung zwischen der Stellung des Herrn als Messias
und als Sohn des Menschen sowie der Übergang von der
einen zur anderen sich schon prophetisch in der Psalmreihe
2—8 findet. In Psalm 2 ist Er der auf Zion gesalbte König,
der Sohn Gottes, der nach göttlichem Beschluß in
diese Welt hineingeboren, aber als König verworfen wird.
229
Die folgenden Psalmen zeigen uns dann den aus dieser
Verwerfung hervorgehenden Zustand der Dinge unter den
Juden — sie erheben sich wider den Gerechten, lieben Eitles
und suchen die Lüge. „Nichts Zuverlässiges ist in ihrem
Munde." „Ihr Inneres ist Verderben." „Ein offenes
Grab ist ihr Schlund." „Ihre Zunge glätten sie." Anderseits
werden in diesen Psalmen auch die Leiden und Gefühle
des göttlichen Überrestes, der in seinem Herzen an den
Messias denkt, beschrieben, bis dann Psalm 8 den bekannten
Hinweis auf diesen als „des Menschen Sohn" bringt,
der über die Werke der Hände Gottes gesetzt ist.
Wir erwähnten bereits die häufige Anwendung des
Ausdrucks „Menschensohn" auf den Propheten Hesekiel.
Der Grund dazu scheint ähnlicher Art zu sein wie bei dem
Herrn selbst. Wie schon angedeutet, ähnelte die Lage dieses
Propheten hinsichtlich seines Zeugnisses auffallend derjenigen
des Herrn nach Seiner Verwerfung von feiten Seines
Volkes. Zu jener Zeit hatte Jehova wegen der Sünden
des Volkes Israel und wegen seines einer völligen Verwerfung
Seiner selbst gleichkommenden Götzendienstes den
Thron Seiner unmittelbaren Herrschaft in Jerusalem auf­
gegeben und die Herrschaft den Nationen übertragen. Er
wohnte nicht länger inmitten Seines Volkes, wo Er zwischen
den Cherubim gethront hatte, sondern Hesekiel erblickt
Seinen Thron in Chaldäa — Jehova bediente sich damals
in Seinen Vorsehungswegen der Chaldäer, um die
Nationen und vor allem Sein untreues Volk und das schuldige
Jerusalem zu richten — am Flusse Kebar, wo er als
Gefangener weilte. Dort wird der Prophet, dessen Gott
sich als Knecht zu einem Zeugnis bedient, in Verbindung
mit Ihm selbst gesehen sowie mit dem Throne Seiner Ober
230
Herrlichkeit, von wo aus Gott in Unumschränktheit richtet.
Ist die Übereinstimmung zwischen der Lage des Propheten
und derjenigen, in welcher sich später Christus als von Seinem
Volke verworfen (und Gott mit Ihm verworfen) befand,
nicht auffallend? und ist der Gedanke nicht naheliegend,
daß der Prophet aus diesem Grund mit „Menschensohn"
angeredet wird? Ebenso Daniel. Auch er, dessen Lage
der des Hesekiel ähnelt, und dessen Zeugnis wie das seim'ge
außerhalb des Heiligen Landes abgelegt wird, wird mit
demselben Namen genannt.
Ein anderes deutliches Beispiel von dem Unterschied
zwischen der Stellung des Herrn als König Israels und
derjenigen als Sohn des Menschen, wie er sich immer wieder
in der Schrift findet, — wiewohl hinwiederum auch
eine Verbindung zwischen beiden besteht — bietet die
Antwort des Herrn in Joh. t an Nathanael, der ein Vorbild
des zukünftigen Überrestes der Juden ist. Dem Nathanael,
der zunächst wie jener ungläubig ist, dann aber den
Herrn als Sohn Gottes und König Israels anerkennt, wie
auch jener es tun wird, wird von Ihm gesagt: „Du wirst
Größeres .. sehen": „Ihr werdet den Himmel geöffnet sehen
und die Engel Gottes auf- und niedersteigen auf den
Sohn des Menschen". Dies letztere war das Größere. Es
ist ein Fortschreiten von dem Erkennen der Herrlichkeit des
Herrn als Sohn Gottes und König Israels, gemäß dem
2. Psalm, zu der Erkenntnis Seiner größeren Herrlichkeit
als Sohn des Menschen, entsprechend dem 8. Psalm. Diese
fortschreitende Erkenntnis, die damals schon teilweise stattfand,
wird ihre endgültige Erfüllung finden in der Offenbarung
der Herrlichkeit Jesu Christi. Nachdem der Überrest
Ihn zuerst in Seiner Herrlichkeit als König Israels
— 2Z1 —
— seines Messias — erkannt hat, wird er dahin geführt
werden, auch Seine Herrlichkeit als Sohn des Menschen
zu schauen und zu würdigen, dem die Engel ihren Dienst
und ihre Huldigung darbringen.
Gewichtige Gründe
(Einige Gedanken über 1. Petr, 1, 14—19.)
Wer dem an jedermann ergehenden Rus Gottes:
„Tue Buße", und: „Glaube an den Herrn Jesus", folgt,
seinen bisherigen Weg verläßt, umkehrt und sich zu Gott
bekehrt, der empfängt, an Jesus glaubend, „Vergebung der
Sünden in Seinem Namen".
Damit hat er als einer, der Gottes Mahnung beachtet
hat, ausgehört, zu den „Söhnen des Ungehorsams"
(vergl. Eph. 2, 2 usw.) zu zählen; er gehört jetzt zu den
„Kindern des Gehorsams"; er ist, nach dem Wort unseres
Herrn, „aus dem Tode in das Leben übergegangen". (Joh.
5, 24.)
Groß ist der Wechsel, der hier stattgefunden hat,
grundlegend und gewaltig die Änderung, die im Leben dieses
Menschen eingetreten ist. Glaubend hat er sich Gott unterworfen,
indem er Sein Zeugnis über den Menschen und
Sein Zeugnis über Jesus angenommen hat. Er ist ein völlig
anderer geworden.
An Menschen dieser Art nun richtet sich das Wort:
„Als Kinder des Gehorsams bildet euch
nicht nach den vorigen Lüsten in eurer Unwissenheit,
sondern wie Der, welcher euch
berufen hat, heilig ist, seid auch ihr heilig
in allem Wände l". (V. 14. 15.)
232
In diesen Worten liegt zunächst, daß Gott selbst es
ist, der den Glaubensgehorsam eines Menschen zur Kenntnis
nimmt. E r rechnet diesen Menschen zu den „Kindern
des Gehorsams". Der sterbende Räuber von Golgatha, der
sich nie mehr durch der Buße würdige Früchte als ein zu
Gott Umgekehrter ausweisen konnte, wird von dem Herrn
offensichtlich als „Kind des Gehorsams" angesehen und
anerkannt, weil er, sich schuldig bekennend, Gnade erflehte.
Das beweist Seine Antwort auf die Frage des Gehenkten.
Jur gleichen Klasse zählt Gott einen jeden, der im Glaubensgehorsam
sich Ihm unterwirft. Sein gerechtes Urteil
anerkennt und die in Jesus geoffenbarte Gnade ergreift.
Kind des Gehorsams, von Gott als solches anerkannt,
ist ein Unterschied erkennbar zwischen dir und den Söhnen
des Ungehorsams, d. h. denen, die nur fürdiese Jeit
leben und den Mahnungen Gottes nicht gehorsam sind?
Ermuß erkennbar sein, denn der Unterschied zwischen den
beiden Klassen ist so groß wie Licht und Finsternis, nennt
doch Gott an anderer Stelle die hier mit „Kinder des Gehorsams"
Bezeichneten: „AuSerwählte Gottes, Heilige
und Geliebt e". (Kol. 3, 42.) Gibt es höhere Titel?
Es sind Bezeichnungen, die auch auf den vollkommenen
Menschen Gottes, unseren erhabenen Herrn, angewendet
werden. (Lies Jes. 42, 4; Apstgsch. 3, 44; Luk. 9,35.)
Ist der Platz nicht erhaben, auf den Gott diejenigen stellt,
die sich Ihm unterwerfen? Der Herr Jesus sagt in Seinem
Gebet zum Vater von ihnen: „Sie sind nicht von der
Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin". Damit
stellt Er sie auf einen Boden mit Sich selbst. „Gleichwie
i ch nicht von der Welt bin." Das trennt sie von allem, was
Welt ist. Solche gesellt Er Sich zu. Wie weitgehend und
2Z3
völlig diese Trennung von der Welt ist, beweisen die Worte
des Apostels Paulus, wenn er den Korinthern schreibt, daß
der Herr, der einst als des Menschen Sohn die Welt richten
wird, das Gericht inmitten der Seinen heute ausübe,
,/luf daß wir nicht mit der Welt verurteilt werden".
(r. Kor. rr, 32.) Ist das alles nicht Grund genug
für alle Kinder des Gehorsams, jede Verbindung mit einer
Welt zu lösen, die das Urteil des Herrn zu erwarten hat?
Ich wiederhole: Ist der Unterschied zwischen der Welt
und uns, die wir uns zu den Kindern des Gehorsams zählen,
erkennbar?
Zudem: „Der, welcher uns berufen hat,
ist heilig". Wozu berufen? Nun, zu Seinen Kindern,
denn wir „rufen Ihn als Vater an". Oder auch: „in die
Gemeinschaft Seines Sohnes Jesus Christus, unseres
Herrn". (1.. Kor. r, 9.) Oder auch: „zum Gehorsam ..
Jesu Christi", (r. Petr, 2.) Gibt es erhabenere Berufungen?
Und könnte der Berufende erhabener sein? Es ist
der heilige Gott. Gibt es eine Stelle, die höhere
Rechte zur Berufung hätte? Wem es ernst ist mit seinem
Christentum, der erinnere sich seiner hohen Berufung und
Dessen, der ihn berufen hat, erinnere sich daran, daß der
Berufende heilig ist, und daß den Berufenen gesagt wird:
„seid auch ihr heilig in allem Wandel"!
„Und wenn ihr Den als Vater anrufet,
der ohne Ansehen der Person richtet
nach eines jedenWerk, so wandeltdieIeit
eurerFremdling schäft inFurch t." (V. 17.)
Wer den Vater anruft, muß Ihn kennen. Der Herr
sagt in Seinem Gebet: „Ich habe Deinen Namen (den Vaternamen)
geoffenbart den Menschen, die Du mir aus der
2Z4
Welt gegeben hast". (Joh. 17, b.) „Der eingeborene Sohn,
der in des Vaters Schoß ist, der hat Ihn (Gott, den Vater)
kundgemacht." Wer also den Vater kennen lernen will,
möge den Sohn betrachten, denn: „Niemand kommt zum
Vater, als nur durch mich". „G o tt hat im Sohne geredet."
(Hebr. 1, 1.) „Gott war in Christo." (2. Kor. 5,
19.) „Eö war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in
Ihm zu wohne n." (Kol. 1,19.) Könnten Worte deutlicher
anzeigen, daß Er es ist, den die Schrift „den Abglanz
der Herrlichkeit Gottes und den Abdruck Seines Wesens"
nennt, der uns den Vater erkennen läßt? Er ist eigens
zu dem Zweck gekommen, den Namen des Vaters
zu offenbaren. Näher auf das Wesen des Vaters einzugehen,
würde hier zu weit führen, aber ein Wort über den
Vater aus des Herrn eigenem Munde möchte ich doch anführen.
Es lautet: „Der Vater selbst hat euch lieb". Diese
Tatsache versichert der Herr Seinen Jüngern (Joh. 16,
27), indem Er sie zum Beten ermuntert inSeinemNa-
men. Und Er spricht diese Worte, nachdem Er zuvor gesagt
hat: „Ich sage euch nicht, daß i ch den Vater für euch
bitten werde". Mit anderen Worten: Ich verspreche euch
nicht, dies für euch zu tun. Es ist ja garnicht nötig, „d e n n
— der Vater selbst hat euch lieb". Nun, das Herz dieses
Vaters kennen, das den Kindern gehört, führt das Kind
dazu, den Vater anzurufen in allem, was die eigenen geringen
Kräfte übersteigt. Und dessen gibt es viel. Und der
Vater ist zum Hören bereit, wenn das Kind ruft. Indessen
ist an unserer Stelle nicht von Liebe in Verbindung mit dem
Anrufen des Vaters die Rede. Vielmehr erinnert Petrus
die „Kinder des Gehorsams" daran, daß Er, den sie als
Vater anrufen, „ohne Ansehen der Person richtet nach ei
235
nes jeden Werk". „Der Vater" richtet? fragt vielleicht je­
mand. Ja, du vom Vater geliebtes Kind, so steht es da. Er
richtet Seine Kinder, Sein Haus, denn Seinem Hause geziemt
Heiligkeit. Ein armseliger Mensch, der sein Haus in
Unehre verkommen läßt, anstatt es zu richten! Sollte
Gott nicht auf die Ehre Seines Hauses bedacht fein?
Und sollten wir nicht volles Verständnis hierfür haben?
Es kann zwar sein, daß der Gedanke an diese ernste Tatsache
im Blick auf den eigenen Zustand Unbehagen erweckt.
Ist das aber der Fall, dann laßt uns ernstlich die Ursache
davon zu erforschen suchen, denn an der Tatsache selbst
kommt kein Kind vorbei, daß Der, den es als Vater anruft,
richtet, und zwar „ohne Ansehen der Person nach eines
jeden Werk". Der Gedanke daran, daß Gott richtet,
ist immer ernst, auch wenn es sich um das Gericht handelt,
das Gott heute auf Erden an Seinen Kindern, an
Seinem Hause übt, gemäß der schon angezogenen Stelle
aus r. Kor. 1t, 32. Und ein Kind, das den Vater kennt
und anruft, kann nicht anders, als mit Furcht an die Möglichkeit
denken, daß sein Zustand ein Anlaß zum Gericht
werden könnte. O daß wir es zu Herzen nehmen möchten:
„Wandelt die Zeit eurer Fremdlingschaft in Furcht" — in
Furcht vor dem Bösen in jeder Form, in Furcht vor allem,
das geeignet ist, die wunderbaren Beziehungen zu dem Vater
zu stören, dem Seine ewige Liebe in Christus Jesus uns
so nahe gebracht hat.
Bilden schon die Anerkennung des Gläubigen als
„Kind des Gehorsams" von feiten Gottes und anderseits
die Tatsache, daß Der, den es als Vater anruft, „ohne Ansehen
der Person richtet nach eines jeden Werk," wahrlich
Gründe von hinreichendem Gewicht zur Bestimmung des
236
einzuschlagenden Weges, so wird allem die Krone aufgesetzt
durch die Hinzufügung: „Ihr wisset, daß ihr nicht mit
verweslichen Dingen, mit Silber oder Gold, erlöst worden
seid von eurem eitlen, von den Vätern überlieferten Wandel,
sondern mit dem kostbaren Blute Christi, als eines
Lammes ohne Fehl und ohne Flecken". (V. t8. btz.) Die Höhe
des Kaufpreises bestimmt den Wert des Gegenstandes,
für den er gezahlt ist. Silber und Gold gehören der Erde an
und werden mit ihr vergehen; sie kommen nicht in Betracht
als Lösegeld, wenn ein Sünder für Gott erkauft wird. Für
Silber und Gold ist auf Erden alles zu haben, aber diese
für die Erde sehr wertvollen Dinge sind wertlos, wenn
es sich um den Kaufpreis einer Menschenseele handelt. Hier
gibt es nur ein Lösegeld: das kostbare Blut Christi, des
Lammes ohne Fehl und ohne Flecken. Das ist der Kaufpreis,
der für dich und mich gezahlt ist, teures Kind Gottes.
Prägen wir es uns tief ein: „Ihr seid um einen
Preis erkauft worden!" (r. Kor. 6, 20.) Welch einen
Wert hat der Glaubende für Gott! Du und ich, wir sind
teuer in Gottes Augen. Er hat uns erkauft „durch das
Blut Seines Eigenen". Was bedeuten Silber und Gold dagegen,
die als „verweslich" einst der Auflösung anheimfallen?
Aber das Lamm, von Gott ersehen, ohne Fehl und
ohne Flecken, Dessen kostbares Blut der Kaufpreis Seiner
Erlösten ist, es wird der Gegenstand der Anbetung und
Huldigung sein und bleiben, dann, wenn alles Vergängliche,
auch das Wertvollste, längst zunichte geworden ist.
„Du hast fürGott erkauft durch Dein Blut," und: „Du
bist würdig, Du allein!" So werden einst alle anbetend
Ihn preisen, die der Schar Seiner Erlösten angehören. Die
Höhe des Lösegeldes, wie Gott es bewertet, wird
237
vor der Seele jedes einzelnen stehen. In dem „f ürGott
erkauft" wird der einzelne erkennen, welchen Wert
Gott jedem der Erlösten beimißt, auch dir und mir. Welch
ein Erkennen wird das sein?! Ist es zuviel, wenn ich behaupte,
daß von allen wichtigen, die Wegrichtung des
Gläubigen bestimmenden Gründen der letztgenannte der
gewichtigste ist? Der Grund, der in dem Wissen liegt, daß
das kostbare Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und
ohne Flecken, das Lösegeld ist für dich und mich?
Bemerkungen über den Brief
an die Lolosser
von W. Kelly
VI.
(Kap. 2, 13—19)
Wie sehr auch der Geist Gottes in diesem Brief die lebendigmachende
Kraft Christi hervorheben mag, so geht
es Ihm doch hier nie um die letzten oder höchsten Folgen
des Werkes Christi. Lebendig gemacht oder auferweckt mit
Ihm, oder vielmehr: zusammen mit Ihm auferweckt, ist
das äußerste, was wir finden. Da macht Er halt. So auch
in Kap. 3. Heißt es dort: „Suchet, was droben ist",
so doch nicht: W i r sind dort. Im Gegenteil, die Gläubigen
werden als solche gesehen, die auf der Erde sind,
während siesuchen, was droben ist. So geht dieser Brief
an keiner Stelle so weit wie der Epheserbrief. Er sagt nie,
daß wir in Christus Jesus in die himmlischen Orter mit-
versetzt worden seien. Wie wir gesehen haben, wurde der
Strom der Mitteilungen der Gnade gehemmt, weil ein
Hindernis vorlag. Der Heilige Geist kann den Gläubigen
2Z8
da nicht frei die Dinge Christi zeigen, wo Er ihnen ihre
eigenen Dinge zeigen muß. Er wendet sich gleichsam von
diesem erhabenen Gegenstand ab, um sich der praktischen
Seite der Wahrheit zuzuwenden und diese auf die Seelen
anzuwenden, was gewiß kein Zeichen dafür ist, daß die Betreffenden
dem vollen Licht erschlossen sind; denn ein
Grund, durch den der Fluß der Gnade und Wahrheit aufgehalten
wird, sollte eben nicht vorhanden sein. Im Epheserbrief
hingegen wird das Werk Christi in der ganzen
Fülle seiner Ergebnisse behandelt. Da kommt der gesunde
Zustand der Gläubigen zur Entfaltung, und entsprechend
hoch sind dann die Ermahnungen, die folgen.
Von der Art und Weise, in der der Apostel, nachdem
er einen allgemeinen Grundsatz aufgestellt hat, sich an die
Kolosser wendet, kündet der Satz: „Und euch, als ihr tot
wäret in den Vergehungen und in der Vorhaut eures Fleisches,
hat Er mitlebendig gemacht mit Ihm, indem Er uns
alle Vergehungen vergeben hat". Dann sehen wir ihn in
Vers 14 einen Nebengedanken äußern, der zeigt, wie bestimmt
und vollständig das Werk Gottes sie von den Dingen
des Fleisches und des Gesetzes zu entfernen begehrte:
„Als Er ausgetilgt die uns entgegenstehende Handschrift
in Satzungen, die wider uns war" usw. Und dann muß er
sie darauf Hinweisen, daß sie trotzdem wieder ein Bedürfnis
nach Satzungen hatten! Wie könnt ihr wieder nach
Satzungen rufen!? sagt er gleichsam. Die einzige Wirkung
dieser Handschrift ist doch die, daß sie wider euch
sein muß. Der Apostel bedient sich sehr starker Worte,
und er tut's in doppelter Form: „entgegenstehend" und
„wider uns". Gewiß, diese kolossäischen Gläubigen waren
im gesetzlichen Wesen nicht so weit gegangen, daß sie die
239
Christen unter die zehn Gebote als unter eine Lebensregel
gestellt hätten. Brachten sie selbst Satzungen herein, so war
dies doch nicht s o verderblich, weil dies« wenigstens ihren
Wert von der Wahrheit herleiteten, die Christus betrifft,
und die in ihnen gleichsam eingebettet lag und vorgeschattet
war. Dagegen dient nichts so sehr dazu, den Geist der
Selbstgerechtigkeit in Menschen zu wecken, die zu Selbstvertrauen
neigen, oder Mßtrauen und Verzweiflung in
mehr furchtsamen Seelen, als das Bestreben, aus dem
Gesetz eine Lebensregel zu machen, denn dadurch wird für
beide Klassen der Weg der Gnade ins Gegenteil verkehrt.
Immerhin handelte es sich um sehr ernste Dinge, und der
Apostel besteht darauf, daß das Hereinlassen des Grundsatzes
der Satzungen gegenwärtig nichts anderes bedeute,
als auf die grundlegende Wahrheit des Todes und der Auferstehung,
mit anderen Worten, des Christentums zu verzichten,
denn die Satzungen haben zur Voraussetzung, daß
die Menschen in der Welt am Leben sind, nicht aber, daß sie
in Christus gestorben und auferweckt sind. Die Irregelei­
teten mögen wohl meinen, daß sie nichts dergleichen tun;
aber der Feind, der sie irreleitet, tut es. Es ist ein Zurück-
kehren zu Anordnungen vorbereitender Art, zum Fleisch
und zur Welt, und es ist in Wirklichkeit ein Fahrenlassen
der herrlichen Vorrechte, die in Christus der Gläubigen
Teil sind. Der Apostel sagt hier nicht wie im Galaterbrief,
daß man das ganze Gesetz zu halten schuldig sei, wenn man
sich nur irgendwie ihm unterstelle; sondern er zeigt, daß es
eine Verleugnung Christi, so wie wir Ihn kennen,
ist, wenn wir uns erlauben, zum Gesetz in irgend
einer Form zurückzukehren, zu Satzungen, oder was es
sein mag. Es ist gerade so töricht, als wenn man etwa Er
240
wachsenen Vorschlägen wollte, zur Erziehung durch die
Rute oder zum Wert der Fibel oder der Belohnung durch
Spielzeug zurückzukehren.
Zweifellos könnte von Menschen mit philosophischer
Einstellung aus dem Ritus der Beschneidung eine viel geistlichere
Sache gemacht werden, als ein anderer Mensch aus
dem Gesetz zu machen weiß, wenn er es zur Lebensregel
nimmt. Denn jene könnten sagen (wie es tatsächlich geschehen
ist), daß sie auf die Beschneidung nur dringen, weil sie
das Sinnbild von dem sei, was wir in Christus haben: ein
altes und göttliches, wenn auch natürlich äußeres Zeichen
geistlicher Gnade. Aber der Schritt war verhängnisvoll;
denn wenn die Kolosser dieses Zeichen zuließen, so war es
ein Zurückkehren zu Schatten, nachdem der Körper, die
Wirklichkeit, gekommen war, dazu ein Eintauschen der
Gnade für den Grundsatz des Gesetzes. Gewiß hatten die
Väter die Beschneidung lange vor Moses gehabt — damals
eine Einrichtung, die besonders mit der Verheißung
in Verbindung stand. Doch obgleich vorhanden, ehe das
Volk Israel dem Gesetz am Sinai verantwortlich geworden
war, war sie hernach doch so mit dem Gesetz verwoben,
daß die beiden nicht voneinander zu trennen sind.
Nimmt man jetzt die Beschneidung an, so wird, wenn man
sich auch nicht selbst unter das ganze System des Gesetzes
stellt, das Gesetz es tun und einen, dem Grundsatz nach,
von Christus trennen als dem erhöhten himmlischen Haupte,
das die Erlösung vollbracht hat. Wenn eseine Satzung
gab, die mehr als eine andere Sinnbild für Verheißung
und Gnade sein könnte, so war es sicherlich die Beschneidung.
Aber trotzdem nahm der Apostel die Sache so ernst,
daß er den Galatern schreibt, sie wären, wenn sie diese eine
24r
Sache zuließen, schuldig, das ganze Gesetz zu halten. Bei
den Kolossern geht er noch weiter, indem er ihnen zeigt, wie
die Beschneidung dem Werke Christi entgegensteht und dieses,
sowie die Stellung der Gemeinschaft mit Ihm beiseitesetzt,
in die wir durch Sein Werk vor Gott gebracht sind.
Deshalb gibt er hier zu verstehen, welche Art Beschneidung
wir als Christen schon haben. Sie ist göttlich, nicht menschlich
ausgeführt: „In welchem ihr auch beschnitten worden
seid mit einer nicht mit Händen geschehenen Beschneidung,
in dem Ausziehen des Leibes des Fleisches" usw. „Mit
Ihm begraben in der Taufe, in welcher ihr auch mitauferweckt
worden seid usw."
Im Galaterbrief steht das Gesetz in Verbindung mit
der Rechtfertigung, im Kolosserbrief mit Christus, auferstanden
aus den Toten und im Himmel. Christus ist auf
jeden Fall dort, und obwohl wir hier nicht als solche gesehen
werden, die dort i n Ihm sind, so entscheidet doch Seine
Erhöhung zur Rechten Gottes über unsere Stellung als
mit Ihm gestorben und auferstanden; nicht nur als gerechtfertigt
durch Sein Blut, sondern als mit Ihm gestorben
und auferweckt. Wer sich nun Satzungen unterwirft, der
leugnet die überaus reichen Segnungen insgesamt, denn
was hat Christus heute mit dem Gesetz zu tun? Und wir
sind mit Christus verbunden, wie Er ist, nicht wie Er
war unter dem Gesetz. Im Hebräerbrief haben wir etwas
anderes. Dort handelt es sich nicht um unseren Tod und
unsere Auferstehung mit Christus, sondern dort sehen wir
Christus als jetzt in der Gegenwart Gottes für uns in
Herrlichkeit erscheinend, was auf die Vollkommenheit Seines
Werkes für uns gegründet ist, auf das eine Opfer,
das für immer die Sünde hinweggetan hat. Er ist dort zur
242
Rechten Gottes, weil Er durch Sich selbst die Reinigung
unserer Sünden bewirkt hat. Das Gesetz als ein Paragraphenbuch
oder System für uns ist unverträglich mit
dem Platz, den Christus in der Herrlichkeit einnimmt, denn
dieser Platz ist die strahlende Darstellung unseres Triumphes
durch die Gnade Gottes; und das ist die Weise,
wie Christen auf Christus blicken. Freilich finden wir im
Hebräerbrief nicht unsere Verbindung mit dem gestorbenen
oder auferweckten Christus. Noch weniger ist der Brief die
Entfaltung unserer Vereinigung mit Ihm droben, ebensowenig
wie der Rechtfertigung, wie im Römer- und Galaterbrief.
Aber der Wert Seines Werkes, gemessen an dem
Platz, den Er im Himmel einnimmt, erstrahlt dort in ganz
besonderem Glanze. Jede Anerkennung von Satzungen erweist
sich jetzt als ein Widerspruch gegen Sein Werk und
gegen die Herrlichkeit, die Er im Himmel hat, abgesehen
von der mit ihr verbundenen Gefahr, die zum Abfall führt.
Vom 43. Verse an gibt sich dann der Apostel viele
Mühe, den Gläubigen in Kolossä ihre Stellung ohne und
mit Christus vor Augen zu führen: „Und euch, als ihr tot
wäret in den Vergehungen ..., hat Er mitlebendig gemacht
mit Ihm, indem Er uns alle Vergehungen vergeben hat".
Eben das Leben, das wir empfangen haben, ist das Zeichen,
daß unsere Vergehungen weggetan sind. Wenn Gott uns
mit dem Leben Christi lebendig gemacht hat, so hat Er uns
auch alle Vergehungen vergeben. Unmöglich könnte das Leben,
das in Christus, dem Gestorbenen und Auferstandenen,
ist, etwas gegen dieses Vergeben haben. Einst war alles
gegen den, der jetzt gläubig ist, aber der Besitz des Lebens
in einem auferstandenen Heiland beweist, daß dem,
der glaubt, alles gerechterweise vergeben ist. Es ist eine be
243
merkenswerte Art, den Fall zu erledigen, und es dürfte
kaum gelingen, einen genau gleichgelagerten in einem anderen
Teil der Schrift zu finden, der diesem an die Seite
gestellt werden könnte.
(Schluß dieses Abschnittes folgt.)
Vom Nahen zu Gott
Wenn wir dem Hebräerbrief eine Überschrift geben
wollten, so könnten wir setzen: Vom Nahen zu Gott. Der
Brief redet von dem großen Vorrecht der Kinder Gottes,
daß sie, „einmal gereinigt", nun Gottesdienst üben dürfen.
Wohl hatte Gott schon im Alten Bunde ein Volk, das
Ihm nahen durfte, denn wir lesen in 2. Mose 49, 4: „Ihr
habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe, wie ich
euch getragen auf Adlers Flügeln und euch zu mir gebracht
hab e". Um Gott nahen zu können, muß man,
bildlich gesprochen, aus der Knechtschaft Ägyptens erlöst
sein. Niemand kann Gott nahen, es sei denn, daß er errettet
ist. Doch Gott will nicht nur den Menschen erlösen. Er will
mehr. Er will den Erlösten bei Sich haben. „Auf Adlers
Flügeln" Sein Volk tragend, brachte Gott es zu Sich. Er
hat Sein Volk erwählt, damit es bei Ihm sei. Wir, die
Gläubigen, find „für Got t" erkauft. In uns will Er
etwas haben für Sich selbst.
Drei Tagereisen weit sollte das Volk in die Wüste
ziehen, um seinem Gott zu opfern und Ihm ein Fest zu
halten. So lesen wir wiederholt im 2. Buche Mose. (Vergl.
2. Mose 3, 48; 5, 4—3; 8, 27.) In genügend weiter
Entfernung von Ägypten, dem Land der Knechtschaft, in
welchem Satan seine Macht ausübte (vergl. 2. Mose '7,
244
u. r2. 22; 8, 7), sollten die Israeliten Ihm dienen, und
siehaben Ihm auch gedient, aber nicht lange. Israel blieb
nicht in der Nähe Gottes. Sowohl seine Herrschaft als
auch sein Gottesdienst zerfiel, und schließlich mußte Gott
ihm sagen lassen: „Mein Volk wird vertilgt aus Mangel
an Erkenntnis; weil du die Erkenntnis verworfen hast, so
verwerfe ich dich, daß du mir nicht mehr Priester-
dienst ausübest; und du hast das Gesetz deines Gottes
vergessen: so werde auch ich deine Kinder vergessen". (Hosea
4, b.)
Im Anfang hatte Gott dem Volk durch Moses sagen
lassen, daß sie „ein Königreich von Priestern und eine heilige
Nation" sein sollten; aber sehr bald hatte das Volk
versagt, so daß Gott sich veranlaßt sah, nur einigeaus
seiner Mitte zu erwählen, damit sie dem Altar nahen
möchten. Die Söhne Aarons sollten Priester sein. Aber nur
einer von ihnen hatte das Vorrecht, Gott näher zu kommen
als Hohepriester, und auch dieses „Nahen" war nicht
das, was Gott sich in Seinem Ratschluß vorgesetzt hatte.
Als zudem durch die Sünde Nadabs und Abihus auch das
Priestertum verunreinigt ward, wurde dieses „Nahen"
noch mehr eingeschränkt. Seitdem durfte der Hohepriester
nur noch einmal im Jahre ins Heiligtum treten, während
er vorher „zu aller Zeit" (Z. Mose l6, l. 2) Zugang gehabt
hatte. Alles dies beweist klar, daß das „Nahen" im
Alten Bunde eingeschränkt und unvollkommen war.
Dennoch ist das „Nahen" der Priester aus Israel
wertvoll zum Vergleich mit dem „Nahen" der Kinder Gottes
in unseren Tagen. Wir finden da lauter Gegensätze.
War der Dienst der Priester damals beschränkt, so ist er
heute unumschränkt. Nahten jene in knechtischer Furcht, so
24S
nahen wir mit vollem Freimut. Waren unter Israel e i -
nige Priester, so sind heute alle Erlösten Priester. War
der Aufenthalt des Hohenpriesters im Allerheiligsten auf
Augenblicke einmal im Jahr beschränkt, so dürfen wir allezeit
im Heiligtum weilen. Mußte der Hohepriester immer
wieder mit Blut kommen, so ist das Blut Christi ein für
allemal geflossen und sein Wert ewig gültig. An die Stelle
der vielen Opfer ist das elne, wahre, vollgültige getreten.
So dient das Vergleichen unseres zu Gott Nahens
mit dem, was in Israel geschah, dazu, uns die ganze Kostbarkeit
unserer Stellung erkennen zu lassen. Jene mußten
mit „Schuldbewußtsein" oder mit einem „Gewissen von
Sünden" Gott begegnen; wir dagegen dürfen nahen ohne
Schuldbewußtsein. *) Israel wäre berufen gewesen, Jehova
zu loben; aber wie ist ein Lobgesang seitens dieses Volkes
überhaupt noch möglich? Die Blutschuld an seinem von
ihm verworfenen König und Messias muß ihm ja die Lippen
schließen. Mit Schuld auf dem Gewissen ist keine Anbetung
denkbar. Wer kann glücklichen Herzens Gott nahen
als nur der, der im Blute des Lammes Frieden gefunden
hat!? Auch wir waren schuldig gleich Israel, denn unsere
Sünde hat den Reinen und Heiligen ans Kreuz gebracht.
Aber die Schuld ist gesühnt, die Missetat vergeben, und als
ein geheiligtes und gereinigtes Volk dürfen wir nun Gott
nahen und vor Seinem Angesicht in Lob und Anbetung
weilen.
*) vorausgesetzt natürlich, daß unserer Stellung der
Wandel entspricht. Lin Gott nahen wollen mit verunreinigtem
Gewissen, ist in jedem Fall ein Unding und muß Gericht in irgendwelcher
Form nach sich ziehen.
Das ist der Ort, wohin Gottes freundliche Hand den
Gläubigen heute führen will. Seine Gnade hat ihm einen
246
Platz angewiesen, wo er ohne Furcht und ohne Scheu f ü r
Ihn und für Ihn allem sein kann. Herrliches Vorrecht —
Seine Nähe und Seine Gemeinschaft ewiglich genießen zu
dürfen.
Prüfsteine für die Lehre
(Fortsetzung)
Der dritte der drei Prüfsteine in 4.
Ioh. 2 wird in Vers 25 u. 28, sowie auch in Kap. Z, t. 2
eingehend erläutert. Er betrifft die
herrliche Hoffnung
der Erlösten, die so unaussprechlich selig, so weittragend,
so hoch über den Horizont menschlicher Gedanken hinausgehend
ist, wie sie eben nur der Herr Jesus selbst verheißen
konnte. Diese Hoffnung hat es nicht so sehr mit dem
Kommen Seines Reiches zu tun, als vielmehr mit der Aussicht,
Ihn selbst zu schauen. Seiner Liebe entsprechend auf
ewig bei Ihm im Vaterhaus zu weilen, sowie Seine Herrlichkeit
und dann auch Seine Herrschaft zu teilen, wozu es
notwendig ist. Ihm wesensgleich zu sein; denn ohne dies
wäre. Seiner Heiligkeit wegen, das Ihn Schauen und bei
Ihm Wohnen nicht möglich. Ein wichtiger Teil dieser
Hoffnung ist die Erwartung Seines persönlichen Kommens.
Erselbstwirdkommen. „Mit gebietendem Zuruf,
mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune
Gottes wird Er herniederkommen vom Himmel, und die
Toten in Christo werden zuerst auferstehen; danach werden
wir, die Lebenden, die übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt
werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft;
und also werden wir allezeit bei dem Herrn sein."
247
(l.Thess. 4,16.17.) WannEr kommen wird, ist uns nicht
gesagt. Gewiß dürfen wir die Zeichen der Zeit beurteilen und
daraus gewisse Schlüsse ziehen. Aber jedes Ausrechnen des
Zeitpunkts Seines Kommens ist schriftwidrig. Kein Wunder
daher, daß alle, die sich bisher ans Rechnen gegeben haben,
mit ihren Ergebnissen kläglich zuschanden geworden
sind. Es kann nicht anders sein. Die letzte Frage der Jünger
nach der Zeit, wann „Er dem Israel das Reich wiederherstellen"
werde, beantwortete der Herr mit den Worten:
„Es ist nicht eure Sache, Zeiten oder Zeitpunkte zu
wissen, die der Vater in Seine eigene Gewalt gesetzt hat".
(Apstgsch. 1, 7.) Und ebensowenig ist den Gläubigen der
Jetztzeit eine Offenbarung über die Zeit des Kommens ihres
Herrn gegeben. Und das ist gut so. Denn wäre es der
Fall, so wäre für viele Geschlechter die Aufforderung, zu
wachen und zu warten, zwecklos. Wenn ich z. B. weiß:
Jesus kommt erst in tausend Jahren, so könnte von einem
Warten meinerseits auf Ihn keine Rede sein. Zu wachen
und zu warten ist aber eine ebenso wichtige Aufforderung
des Geistes Gottes wie diejenige, mit der der Apostel seine
Belehrung an die Thessalonicher schließt: „Ermuntert
nun einander mit diesen Worten".
Die „Ermunterung" spielt im Neuen Testament eine
bedeutende Rolle. Es ist eine der Tätigkeiten der Liebe.
Auch im Blick auf die so herrliche Hoffnung der Gläubigen
haben wir allen Grund, zu sagen: Wir sehen nichts als
Liebe hier. Liebe war es, die den Sohn Gottes trieb, auf
diese Erde herabzusteigen. Liebe ließ Ihn für Sünder in den
Tod gehen. Liebe erfahren Seine Erlösten auf dem Wege
durch diese Welt. Und die Liebe wird triumphieren, wenn
Sein Sieg am Kreuze im Blick auf Seine Braut völlig in
248
Erscheinung treten wird bei Seinem Kommen zu ihrer Aufnahme.
In bezug auf dieses Kommen wäre noch zu sagen,
daß es für die Seinen ganz und gar nichts mehr mit der
Sünde zu tun hat (vergl. die ausdrückliche Feststellung
hierüber in Hebr. y, 28), da ja diese Frage ein- für allemal
am Kreuz erledigt worden ist. (Hebr. 9, 24—40, 48.)
Deshalb widerspricht die vielfach verbreitete Meinung, daß
nur eine gewisse Klasse von Gläubigen entrückt würde, den
Gedanken des Herrn, schmälert Seinen Triumph der Liebe
und raubt auch, richtig besehen, uns mangelhaften Menschenkindern
die frohe Hoffnung. Denn wer von uns wäre
treu genug nach Seinem (nicht unserem!) Maßstab? Nein,
es hieße die Wahrheit und Vollkommenheit der Schrift antasten,
einer solchen Meinung Raum zu geben, denn die
Schrift hätte uns dann Hoffnungen gemacht, auf deren
Erfüllung wir bei unserer Unvollkommenheit gar nicht
rechnen könnten.
Die Gläubigen haben also Ursache genug, sich der Mahnung
der Schrift entsprechend mit der Hoffnung des Kommens
ihres Herrn gegenseitig zu ermuntern. Weshalb
aber mahnt der Apostel so ausdrücklich zu dieser Ermunterung?
Ist etwa die Ermunterung im Christenleben
so bedeutsam? Ganz gewiß. Warum? Weil die Freude im
Herrn nach den Worten des Apostels an die Philipper
(Kap. Z, 4) der beste Schutz gegenVerführungje-
der Art ist. Deswegen ist es das große Bemühen des
Feindes der Seelen, die Gläubigen dieses Schutzes zu berauben.
Er tut es, indem er ihnen einerseits die Freude der
innigen Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne
(vergl. 4. Joh. 4, 3. 4 und Joh. 45, 44) und anderseits
die herrliche Hoffnung Seines Kommens zu nehmen.
24S
oder, was das letztere angeht, diese so viel als möglich zu
vernebeln und zu verdunkeln sucht, und eben daran kann
wiederum seine Verführerstimme mit Sicherheit erkannt
werden. Bereitwillig geht der Feind auf die Wünsche der
Menschenherzen ein, auf das, was diese selbst für ihre
höchste Hoffnung halten. Nehmen möchte er ihnen aber,
was Gott für sie bestimmt. Möchten wir daher geöffnete
Augen haben, um seine List zu erkennen! Was gibt er uns
anstelle dessen, womit der Herr die Seinen erfreut und erquickt?
Vermag es sich irgendwie zu der Höhe dessen zu erheben,
was der Herr selbst verheißt? Vermöchte irgend eine
menschlich ersonnene Lehre zu geben, was t. Joh. Z, t in
Aussicht stellt? Der Schreiber selbst muß ja sagen: Was
wir sein werden, ist noch nicht geoffenbart worden.
Kein Mensch ist im sterblichen Leibe imstande, solches
zu erkennen, seine Gedanken so hoch hinaufschwingen
zu lassen. Selbst an Hand des göttlichen Wortes ist es
heute noch nicht möglich, zu wissen, d. h. zu ergründen,
„was wir sein werden"; wir können uns nur anbetend
darüber freuen. Grübeleien darüber sind zwecklos. Wovon
wir uns vielleicht eine gewisse Vorstellung machen können,
ist ein glückseliges Reich mit irdischen Segnungen, aber in
die Geheimnisse der überirdischen Dinge vermögen wir nicht
einzudringen. Es ist eben noch nicht geoffenbart
worden, was wir sein werden. Deshalb: Weisen wir zurück,
was schön klingt, aber den Stempel menschlicher Erfindung
trägt! Ermuntern wir uns dagegen mit jener Erwartung,
die das Wort als sicher verheißt, von deren Wunderbarkeit
es redet, deren Herrlichkeit aber zu groß und zu
erhaben ist, um mit der menschlichen Junge ausgedrückt
werden zu können! Eö gibt nichts Höheres als Sein Kom
250
men, das Menschenkinder an die Stätte versetzen wird, wo
sie Ihn, Jesus, sehen werden, wie Er ist, und Ihm gleich
sein werden.
Die andere wichtige Mahnung, die mit dem Kommen
des Herrn in Verbindung steht, lautet:
Wachet und wartet!
Den Thessalonichern, denen die Gnade widerfuhr,
über die Art dieses Kommens eine besondere Offenbarung
durch Paulus zu erhalten, schreibt derselbe Apostel: „Denn
sie selbst (d. h. die Bewohner von Makedonien und Acha-
ja) verkündigen von uns, welchen Eingang wir bei euch hatten,
und wie ihr euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt
habt, dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und
Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten".
(1. Thess. 1, y. io.) Diese Worte sind überaus beherzigenswert,
denn nach ihnen ist es geradezu einer der
Zwecke der Bekehrung sowie die ernste Aufgabe der Gläubigen,
Jesus zu erwarten. Das gleiche geht übrigens aus
den Worten hervor, die unser Herr Jesus selbst bei einer
Gelegenheit an Seine Jünger richtete. In Luk. 12 fordert
Er sie nämlich auf, Menschen gleich zu sein, die mit gegürteten
Lenden auf ihren Herrn warten. „Glückselig" nennt
Er Knechte, die Er, wenn Er kommt, wachend finden wird.
„Wahrlich", sagt Er im Blick auf sie, „Er wird sich um­
gürten und sie sich zu Tische legen lassen und wird hinzutreten
und sie bedienen." Macht dieser Umstand den Genuß
aller Segnungen nicht geradezu erhaben? „Die das tun
(d. h. die da wachend auf ihren Herrn warten)," schreibt
I. N. D. in seiner Betrachtung über das Lukas-Evange-
lkum, „will der Herr als Gäste sich zu Tische legen lassen
(und zwar für immer) in Seines Vaters Hause, wohin Er
251.
sie gebracht haben wird, und Er selbst will in dienender
Liebe den Segen vermitteln. Diese Liebe wird die Segnungen
zehntausendmal kostbarer machen; alle werden aus
Seiner Hand entgegengenommen werden ... Von dieser
Liebe wird Er nie lassen. Es gibt nichts Köstlicheres als
die in den Versen 36 und 37 ausgedrückte Gnade." Und
wenn er dann weiter über den Knecht schreibt, der in seinem
Herzen spricht: „Mein Herr verzieht zu kom -
m e n", sich dementsprechend benimmt und dann die Strafe
für sein Verhalten empfängt, so fährt er fort: „Wer
wird so strafbar sein wie jene, die sich selbst Diener des
Herrn nennen. Ihm aber nicht in der Erwartung Seiner
Wiederkunft dienen! Ein ernsteres Zeugnis hinsichtlich dessen,
was die Untreue in die Kirche eingeführt hat, und was
zu ihrem Verderben und dem herannahenden Gericht führt,
d. h. des Aufgebens der gegenwärtigen Erwartung
der Ankunft des Herrn, könnte es
nicht geben."
Es ist gewiß nicht zu viel gesagt, wenn wir das Außerachtlassen
dieser Erwartung als ein Werk des Feindes
werten, mag dies selbst auch nur durch bloßes Verschweigen
der Tatsache geschehen. Es gibt Lehren und Bewegungen,
die überhaupt nicht vom Kommen des Herrn reden,
sondern geflissentlich dieses wichtige Stück der christlichen
Lehre übergehen. Da ist Vorsicht und Mißtrauen, sowie
ein Forschen nach dem Sachverhalt geboten, damit die Karten
aufgedeckt werden.
(Schluß folgt.)
252
Sanklied
Wie hast Du doch, mein Gott und Vater,
So gnädig allzeit mein gedacht,
Als Geber, Führer und Berater
Geholfen mir bei Tag und Nacht.
Wohl hab' ich Anlaß, Dir zu danken,
Schau' ich auf meinen Lebenspfad,
Denn Deine Lieb' ist ohne Schranken
Und unergründlich Deine Gnad'.
Wie hast Du mir auf allen Wegen
Nur lauter Güt' und Huld erzeigt,
Schier unerschöpflich Deinen Segen
Im vollen Becher mir gereicht.
Du lehrtest mich, Dein Wort erkennen,
Dein Heil in Christus ward mein Teil;
Durch Deinen Geist darf selbst ich nennen
Dich „Abba", lieber Vater mein!
Und wenn ich, folgend meinem Herzen,
Mich auf verkehrtem Wege fand,
Bracht'st Du mich, wenn auch unter Schmerzen,
Zurecht mit Deiner treuen Hand.
Ja, Du willst selber mich belehren,
Den Weg mich weisen, der mir frommt.
Zum Heil soll alles sich mir kehren,
Weil alles mir von oben kommt.
Drum preise ich in allen Dingen,
G Vater, Deine Gnad' und Macht.
Bald werd' ein neues Lied ich singen
Der Liebe, die mich heimgebracht.
w. R.
Ser Sohn des Menschen
in.
Z. Der Sohn des Menschen als Erlöser
Es ist bedeutungsvoll und deshalb sehr zu beachten,
daß, wenn der Herr von Sich als dem Sohn des Menschen
spricht, oder wenn Er uns sonst im Neuen Testament unter
diesem Namen begegnet, in Verbindung damit auch häufig
Sein Leiden und Sterben erwähnt wird. Besaß Er als der
Sohn Gottes ein Anrecht auf alles, was Er erschaffen hatte,
und war Er als solcher „zum Erben aller Dinge gesetzt",
so sollte Er diese doch nach Gottes Ratschluß als
verherrlichter Mensch in Besitz nehmen; und in dieser Stellung
sollte und wollte Er Miterben haben. Da nun aber
diese Miterben durch die Verführung Satans dessen Sklaven,
verderbte Sünder und sogar Feinde Gottes geworden
waren, da ferner die Schöpfung verunreinigt war, und
Satan in ihr seine Herrschaft ausübte, so mußte Er ein Erlöser
werden und ein Erlösungswerk ausführen. Sein Tod
war notwendig, damit Er in der Auferstehung alles auf einer
neuen Grundlage besitze.
Hiermit sind wir an einem überaus wichtigen Gegenstand
angelangt. Betrachten wir ihn unter den drei eben
angedeuteten Gesichtspunkten, d. h. also hinsichtlich
l. der Erlösung der Miterben,
2. der Erlösung des Erbes oder der Versöhnung
aller Dinge,
Z. der Junichtemachung Satans, des unrechtmäßigen
Besitzers, und seiner Macht.
I^XXXIIII 10
254
4. Handelt es sich um die Erlösung der Miterben, so
ist es des Sohnes und des Vaters Liebe, die zunächst vor
unsere Blicke tritt. Diese findet schönen Ausdruck in den
Worten: „Er nimmt fürwahr sich nicht der Engel an, sondern
des Samens Abrahams nimmt Er sich an". (Hebr.
2, 4 b.) Wollte Gottes Sohn sich aber der Menschen annehmen,
so war es nicht genug damit, daß Er, der ewige
Sohn, Mensch wurde. Er mußte weiter gehen. Als Mensch
nahm Er Knechtsgestalt an, was Er selbst mit den kurzen,
aber so treffenden Worten ausdrückt: „Der Sohn des
Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern
um zu dienen und Sein Leben zu geben als Lösegeld
für viele". (Matth. 20, 28.) Er hätte ja auch kommen können,
um die Schuld, die die Menschen Gott gegenüber hatten,
einzufordern, und niemand hätte Grund gehabt, sich
darüber zu beschweren. Aber Er wollte sich ihrer annehmen.
Statt zu fordern, kommt Er, um zu bezahlen, koste
es Ihn, was es wolle. Der Preis war hoch, sehr hoch —
das Leben, das Er als Mensch angenommen hatte, mußte
Er als Lösegeld hingeben —, denn die Schuld derer, die der
Vater Ihm gegeben hatte, die alles miterben sollten, war
unendlich groß in den Augen Gottes. Zudem befanden sie
sich unter der Macht Satans, der Sünde und des Todes,
und aus alledem mußten sie erlöst werden. Sie waren hoffnungslos
verloren. Aber nun kommt „der Sohn des Menschen,
um zu suchen und zu erretten, was verloren ist".
(Luk. 44, 40.) Er wußte wohl, daß Er, wenn Er diese Errettung
möglich machen wollte, in Sünderhände „überliefert
und gekreuzigt werden" mußte. (Luk. 24, 7.) Des­
sen ungeachtet machte Er sie möglich. Er ging den dazu
nötigen schweren Wtzg. Er starb für die, die nicht allein ver
255
loren, sondern Feinde Gottes und Seine Feinde waren.
Er nahm ihr Gen'cht auf Sich, damit sie von ihren Sünden
reingewaschen werden möchten. Nur so konnten sie passend
werden, um dereinst Seine Miterben zu sein. Und Gott,
der Liebe ist, gab „Seinen eingeborenen Sohn, auf daß
jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges
Leben habe".
Wie nun aber der Tod des Herrn der Ausfluß der
ewigen göttlichen Liebe war, so war er auch, da es sich um
die Errettung von Sündern handelte, zugleich eine unabwendbare
Notwendigkeit, ein „Muß". Von diesem
„Muß" spricht der Herr in Evangelium Joh. 3, und zwar
gibt es da ein zwiefaches „Muß". Er sagt zu dem ehrbaren
Obersten der Juden, der Ihn bei Nacht aufsuchte, nicht
nur: „Ihr müsset von neuem geboren werden", sondern
auch mit derselben Bestimmtheit: „Und gleichwie Moses
in der Wüste die Schlange erhöhte, also muß der Sohn
des Menschen erhöht werden, auf daß jeder, der an Ihn
glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe".
Um in das Reich Gottes eingehen zu können, muß jemand
aus Wasser und Geist, d. h. durch das Wort und den Geist
Gottes geboren werden. Um ewiges Leben — göttliches
Leben in seinem vollen Charakter — haben zu können,
mußte der Sohn des Menschen erhöht werden. Und der
Sohn des Menschen i st erhöht worden. Er hat den Kreuzestod
erlitten, jenen schimpflichen Tod, bei dem Er als
ein „Fluch für uns" zwischen Himmel und Erde hing
(s. Joh. 12, 33), denn „verflucht ist jeder, der am Holze
hängt" (Gal. 3,13). Freilich war es der Mensch, der Ihm
diesen Platz der Schande gab, der Ihn erhöhte (Joh. 8,
28), aber Er nahm ihn auch freiwillig ein, weil es keine
256

270
Prüfsteine für die Lehre
(Schluß)
Nachdem die wichtige Dreiergruppe von „Prüfsteinen",
die wir im ersten Brief des Johannes fanden, behandelt
worden ist, möchte ich noch kurz auf einige Punkte Hinweisen,
die mir für unseren Gegenstand ebenfalls wertvoll
scheinen.
An die Gläubigen in Korinth schreibt der Apostel in
feinem ersten Brief:
„Deshalb tue ich euch kund, daß ... niemand sagen
kann: Herr Jesus! als nur im Heiligen Geiste." (Kap.
l2, z.)
Wahre Kinder Gottes lieben diesen Titel unseres
Herrn, sei es einfach „Herr Jesus", oder „Herr Jesus
Christus", oder, inniger und deshalb noch schöner, „mein
Herr Jesus Christus". Damit bezeugen sie einerseits ihrem
Heiland, der auch ihr Herr und Gott ist, die Ihm
gebührende Ehrerbietung als Herr und Gebieter (Jud. 4)
und geben anderseits der innigen Herzensstellung Ausdruck,
in der sie zu Ihm stehen als zu Dem, der sie liebt
und sie von ihren Sünden gewaschen hat in Seinem Blut.
Schon öfter ist darauf hingewiesen worden, daß es im
Grunde genommen nicht mehr als geziemend ist, wenn
Gläubige sich der Regel nach der Ausdrucksweise „Herr
Jesus" bedienen. In den Evangelien wird freilich meist der
Name Jesus ohne Zusatz gebraucht. Der Grund ist sicherlich
der, daß wir in diesem Teil des göttlichen Wortes, abgesehen
von der geschichtlich-sachlichen Mitteilung, die Beschreibung
des niedrigen, demütigen Jesus von Nazareth
277
haben. Dieser Jesus konnte verhöhnt und gelästert werden.
Er ließ es sich gefallen, daß Diener Ihn ins Angesicht
schlugen und andere Ihn anspieen. Was die Menschen nur
an Schändlichkeiten ersinnen konnten, hat Er über Sich ergehen
lassen. „Er wurde mißhandelt, aber Er beugte sich
und tat Seinen Mund nicht auf, gleich dem Lamme, welches
zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf, das
stumm ist vor seinen Scherern." Das war so; aber es ist
heute nicht mehr so. Zwar lästern Menschen auch heute noch
Seinen Namen, ohne daß die Strafe ihren Worten
auf dem Fuße folgte — noch trägt die göttliche Langmut
sie in erbarmungsvoller Geduld —, aber das
ändert nichts an der Tatsache, daß Gott, wie Paulus
den gläubigen Philippern schreibt, weil Er Sich selbst
erniedrigt hat, und weil Er „gehorsam ward bis
zum Tode, ja, zum Tode am Kreuze", „Ihn hoch erhoben
und Ihm einen Namen gegeben hat, der über jeden Namen
ist, auf daß in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge,
der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und
jede Junge bekenne, daß Jesus Christus Herr ist, zur
Verherrlichung Gottes, des Vaters". (Kap. 2, 9—'N.)
In diesen Worten liegt wohl auch die Erklärung von 7.
Kor. 72, 3. Er ist „H e r r", und diese Tatsache wird anerkannt.
Uber „Jesus" reden und schreiben viele Menschen,
ohne daß ihre Herzen irgendwie von Seiner Persönlichkeit
berührt oder gar erfüllt sind. Wer aber von Ihm redet als
dem „Herrn Jesus", der erkennt damit freiwillig den einst
tief erniedrigten, am Fluchholze gestorbenen Jesus von
Nazareth als Herrn an, dem er sich zu beugen hat und
beugt, und das kann nur geschehen durch die Wirksamkeit
des Heiligen Geistes.
272
So ist die Benutzung des Ausdrucks „Herr Jesus"
ein wichtiges Kennzeichen zur Unterscheidung der Geister.
Falsche Lehrer und Sekten werden sich dieses Ausdrucks
nicht bedienen, denn einerseits wollen sie den Herrn Jesus
nicht als ihren Gebieter anerkennen, und anderseits wissen
sie nichts von dem Verhältnis der Liebe zwischen Ihm und
den Seinigen. Wir werden daher in Lehren, die nicht aus
Gott, sondern von unten sind, immer nur die Namen „Jesus"
oder „Christus", oder auch beide zusammen finden,
aber nicht in Verbindung mit dem Titel „Herr". Der Ausdruck
„Herr" allein, nicht in Verbindung mit dem Namen
„Jesus", mag vorkommen, aber einfach als Bezeichnung
eines allgemeinen Gottesbegriffs.
Daß es Leute gibt — in manchen Gegenden gibt es
deren sogar sehr viele —, die in völlig leichtfertiger, gedankenloser
Weise den Ausdruck „Herr Jesus" im Munde
führen, und daß diese böse Gewohnheit in einem ganz anderen
als im Heiligen Geiste geübt wird, bedarf kaum besonderer
Erwähnung. Dies hat aber nichts mit unserer
Frage zu tun. Es gehört zum Mißbrauch des Namens Gottes,
der verwerflich ist und schon im dritten Gebot vom
Sinai mit Strafe bedroht wurde. Was wir im Auge haben,
betrifft die Grundsätze der Lehre, und da bedeutet der Titel
„Herr Jesus", wie ich nochmals betonen möchte, einen
Scheidepunkt der Geister. Nur wer vom Heiligen Geiste
geleitet ist, wird dem Herrn Seinen Ihm gebührenden Titel
geben. Fremde Geister, die nicht von Gott, sondern vom
Feind ausgegangen sind, sind dazu nicht imstande.
Zum Schluß möchte ich noch zwei Worte aus dem
Munde des Lehrers der Lehrer selbst anführen. Das erste
steht in Joh. 7, 76. 77, das zweite in Joh. 70, 3—5.
273
„Meine Lehre ist nicht mein, sondern Dessen, der mich
gesandt hat", sagt der Herr in der ersten Stelle zu Juden,
die Seine Gelehrsamkeit anzweifelten, weil Er doch kein
„Gelehrter" war. „Wenn jemand Seinen Willen tun will,
so wird Er von der Lehre wissen, ob sie aus Gott ist, oder
ob ich aus mir selbst rede."
Diese Worte richten sich an das Gewissen. Sie geben
ein sehr einfaches Mittel an, um zwischen göttlicher und
anderer Lehre zu unterscheiden, denn wenn der Herr sagt:
„oder ob ich aus mir selbst rede", so stellt Er sich mit diesen
Worten in Gegensatz zu Gott, gerade als ob Er irgend
ein Mensch wäre, der die Worte Gottes reden kann oder
auch nicht. Das Mittel ist die Entschiedenheit, Gottes Willen
zu tun. Wem diese Entschiedenheit fehlt, dem fehlt die
wichtigste Vorbedingung, um überhaupt wissen oder erkennen
zu können. Bei einer ungöttlichen Willensrichtung gibt
es nichts, was die Erkenntnis der göttlichen Lehre vermitteln
könnte. Hat dagegen jemand den Wunsch, den Willen
Gottes zu tun, sich ihm zu unterwerfen, so wird Gott einem
solchen Willen antworten und wird ihm mit Seinem
Wort und Geist zuhilfe kommen, so daß er in diesem Lichte
klar zu sehen vermag. Das Wort in Joh. 7 ist ursprünglich
an ungläubige Menschen gerichtet; trotzdem gilt es mit
gleicher Kraft auch uns Gläubigen. Denn sind wir nicht
alle stets in Gefahr, unserem eigenen Willen zu folgen?
Tun wir das aber, so werden wir uns des Wortes Gottes
nicht bedienen können. Es kann uns dann nicht Führer und
Berater sein, weil es dem Eigenwillen des Menschen entgegen
sein muß. Paulus konnte mit Dank gegen Gott den berufenen
Heiligen in Rom bezeugen, daß sie „von Herzen
gehorsam geworden waren dem Bilde der Lehre, welchem
274
sie übergeben" waren. (Kap. 6, 47.) Daß es nötig ist, zunächst
gehorsam zu sein, um überhaupt den Willen
Gottes kennen zu lernen und in Verbindung mit Ihm zu
kommen, wird niemand von uns leugnen. Aber ebenso nötig
ist es, auf dem Wege des Gehorsams zu verharren,
damit wir im Erkennen der Gedanken Gottes
Fortschritte machen und so, im Gehorsam stehend, durch
Seine Kraft davor bewahrt werden, der List Satans zum
Opfer zu fallen und verkehrter Lehre zur Beute zu werden.
Und diese Gefahr ist heutzutage wahrlich groß.
Das zweite Wort des Herrn lautet:
„Die Schafe hören seine (des Hirten) Stimme, und
er ruft seine eigenen Schafe mit Namen und führt sie heraus.
Wenn er seine eigenen Schafe alle herausgebracht hat,
geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm, weil sie
seine Stimme kennen. Einem Fremden aber werden sie
nicht folgen, sondern werden vor ihm fliehen, weil sie die
Stimme der Fremden nicht kennen." (Joh. 40, 3—s.)
Auch dieses Wort richtete der Herr an ungläubige Juden.
Mit Recht aber nehmen wir Gläubigen seinen schönen
und erquickenden Inhalt auch für uns in Anspruch, indem
wir uns zu Seinen eigenen Schafen rechnen dürfen, vor
denen Er hergeht, und die Ihm folgen, weil sie Seine
Stimme kennen. Die für unsere Betrachtung wichtigen
Sätze aus dem Gleichnis sind die Worte: „Weil sie seine
Stimme kennen", und: „weil sie die Stimme der Fremden
n ich t kennen". Das Gleichnis gibt dem einfältigsten Kinde
Gottes, das nur wenig Erkenntnis besitzen mag und mit
der Lehre nicht umzugehen weiß, ein gutes Prüfungsmittel
in die Hand. Schafe sind bekanntlich alles andere als kluge
Tiere. Blindlings folgen sie ihrem Führer, dem Leitham
275
mel, auch wenn er sie ins Verderben stürzt. Aber in einer
Hinsicht haben sie ein überaus scharfes Unterscheidungsvermögen:
Sie vermögen die Stimme ihres Hirten genau
von jeder anderen zu unterscheiden. Die Stimme mag täuschend
nachgeahmt werden. Der Fremde, der die Tiere hinter
sich herzuziehen sucht, mag zudem sein Außeres in jeder
Hinsicht dem des richtigen Hirten angepaßt haben. Umsonst.
Sie folgen ihm nicht, „weil sie die Stimme der Fremden
nicht kennen". Anstatt dem Fremden zu folgen, fliehen sie
vor ihm.
Ein Mensch, der der Stimme des Guten Hirten gefolgt
ist, hat diese Stimme kennen gelernt. Und je länger
er diesem Hirten folgt, der vor Seinen Schafen hergeht
und dafür sorgt, daß sie auf grüne Auen und zu stillen
Wassern geführt werden, desto besser lernt er Seine Stimme
kennen. Er kennt ihren Klang, in welchem sich Liebe
mit Heiligkeit paart. Sie ist ihm wohlvertraut. Wenn er
sie vernimmt, fühlt er sich geborgen. In dieser Stimme
gibt es keinen Mißklang. Ihr warmer, vertrauter Ton
fehlt selbst dann nicht, wenn der Herr ermahnen, warnen
und zurechtweisen oder gar züchtigen muß. Merkwürdig
ist, daß oft ein einfältiges Kind Gottes diese Stimme besser
kennt als ein in hoher Erkenntnis unterwiesenes. Merkwürdig
und auch wieder nicht merkwürdig. Der Einfältige
lauscht eben in kindlichem Vertrauen dieser Stimme — andere
versteht er überhaupt nicht —, während der Kluge
und Hochgelehrte durch die vielen anderen Stimmen, die
er vernimmt und zu beurteilen sucht, in Gefahr kommt,
abgelenkt zu werden.
O daß wir alle diese eine Stimme besser kennten! Um
sie zu kennen, ist mehr nötig, als ihr einmal gefolgt zu
276
sein. Dazu bedarf es einer ständigen Nachfolge, inniger,
persönlicher Gemeinschaft, des Sitzens zu Jesu Füßen.
So sammelte einst Maria von Bethanien Güter zu der Tat,
die ihr für alle Zeiten einen besonderen Platz in der Heiligen
Schrift verschafft hat, der Tat, die keiner verstand,
außer dem Herrn selbst. In dieser Nachfolge lernte Maria
Magdalene, die Erkenntnisarme, ihren Herrn so lieben,
daß selbst Sein toter Leib ihr wertvoller war als alles
andere. Und als dann die vertraute, geliebte Stimme des
Auferstandenen an ihr Ohr schlug, da wußte sie, mit wem
sie zu tun hatte, und in die Kniee sinkend, stammelten ihre
Lippen: „Rabbunil".
Wer Seme Stimme kennt, hat keine Schwierigkeit,
die der Fremden zu unterscheiden. Diese Kenntnis verbürgt
die Sicherheit gegenüber aller Verführung.
Indem ich hiermit schließe, möchte ich das Wort
des Apostels: „Prüfet aber alles, das Gute haltet fest"
(7. Thess. 5,27), uns allen als letzte Mahnung mit auf den
Weg geben, aber nicht in dem Sinne, daß wir uns um
alles kümmern, alles eingehend prüfen sollten, was
man uns irgendwie vorsetzt — solches ist gewiß nicht die
Meinung des Schreibers —, sondern indem wir betonen:
„Prüfet aber alles!" d. h. nehmet nichts an, ohne euch
vorher darüber vergewissert zu haben, daß es aus dem
Geiste Gottes ist. Ist etwas als ungesund und gefährlich
bekannt, so ist es weit besser, solches ohne weiteres abzuweisen,
als sich durch persönliches Prüfen in die Gefahr
zu bringen, selbst vergiftet zu werden. Wer einen giftigen
Pilz ißt, um seine Giftigkeit am eigenen Leibe festzustellen,
ist ein Tor und darf sich nicht wundern, wenn er die Fol-
277
geir am eigenen Leibe spürt. Und wer sich mit Lehren abgibt,
vor denen er als gefährlich gewarnt wurde, ist nicht
klüger.
Beschäftigen wir uns statt dessen lieber mit den „gesunden
Worten, die unseres Herrn Jesus Christus sind,
und der Lehre, die nach der Gottseligkeit ist" (l. Tim. 6,
3); beschäftigen wir uns mit der erschienenen Gnade Gottes,
denn sie „unterweist uns, auf daß wir, die Gottlosigkeit
und die weltlichen Lüste verleugnend, besonnen und
gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Jeitlauf, indem
wir erwarten die glückselige Hoffnung und Erscheinung der
Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus
Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, auf daß Er
uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit und reinigte Sich
selbst em Eigentumsvolk, eifrig in guten Werken". (Tit.
2, 77—74.) Die Beschäftigung mit diesen Dingen gehört
ganz gewiß auch zum Festmachen unserer Berufung und
Erwählung, wovon Petrus schreibt; und er fügt hinzu:
„Wenn ihr diese Dinge tut, so werdet ihr niemals straucheln".
Esra 7, io
„Esra hatte sein Herz darauf gerichtet, das Gesetz Jehovas
zu erforschen und zu tun, und in Israel Satzung und
Recht zu lehren."
Wenn jemand vom Tode zum Leben übergegangen ist,
gilt es für ihn, zu lernen und das Empfangene im praktischen
Leben zu betätigen. Es ist wie bei Esra. Das Herz,
in diesem Fall also das erneuerte Herz, sollte darauf
gerichtet sein, Gottes Wort zu erforschen. Geschieht ander
278
seits das Erforschen nicht als ein Herzensanliegen, so
kann das Ergebnis nicht gottgemäß sein. Ebenso muß, um
gesegnet und zum Segen sein zu können, wiederum das
Herz darauf gerichtet sein, Gottes Wort zu t u n. Unheilvoll
und enttäuschend ist der Besitz einer geförderten Erkenntnis
bei gleichzeitig offensichtlichem Versagen in der
praktischen Verwirklichung des Wortes, vor allem in den
einfachsten Dingen praktischen Christentums, wie Offenbarung
von Liebe, Demut, Bescheidenheit, Aufrichtigkeit,
Treue, Gerechtigkeit, Mildtätigkeit, zartem Gewissen usw.
Streben nach und Besitz von Erkenntnis verpflichten umsomehr
zur entsprechenden Verwirklichung. Was sind wir
und unser Leben, wenn wir dem ersten nicht das zweite hinzufügen?
In Verbindung hiermit sei an das herzerforschende
Wort des Apostels erinnert: „Und wenn ich Prophezeiung
habe und alle Geheimnisse und alle Erkenntnis weiß,
und wenn ich allen Glauben habe, so daß ich Berge versetze,
aber nicht Liebe habe, so bin ich nichts", (1. Kor. 13, 2.)
Nachdem die beiden oben kurz behandelten Dinge von
Esra bezeugt werden konnten, hören wir, daß dieser Mann
als drittes sein Herz darauf richtete, das Wort Gottes auch
zu lehren. Diese Reihenfolge möge sich jeder merken,
der es als seine Aufgabe und sein Vorrecht betrachtet, Gottes
Wort zu verkündigen. Grundlage und Erfordernis
eines gesegneten Dienstes sind: Kenntnis und
Verwirklichung des Wortes (ganz abgesehen von der ersten
Bedingung: Besitz des göttlichen Lebens). Daß es in diesen
Dingen bei uns allzeit ein Zukurzkommen gibt, wird uns
allen zu unserer Betrübnis und Beschämung klar sein. Immerhin
— was wir in dieser Hinsicht von Esra geschrieben
finden, muß bei jedem wahrgenommen werden, der glaubt.
279
auch das dritte tun zu können und zu sollen. Wichtig in
Verbindung mit den beiden ersten Dingen ist auch die Zeit
des Dienstbeginns. Ich glaube, zunächst muß das Schweigen
gelernt werden, ehe Gottes Stunde kommt zum Reden
und Dienen, wenn anders ich oder du überhaupt zu den
„etlichen" gehören, die von G o tt „gesetzt" und „gegeben"
sind und von Ihm bestätigt werden. (Vergl. 4. Kor. t2,
28 ff.; Eph. 4, 74.)
Jeder zu früh ausgeübte Dienst ist wie eine unreife
Frucht. Nur eine reife Frucht vermag jenes Leben zu nähren,
das unsere Brüder und Schwestern in Christus in sich
tragen. Jeder unreifen Frucht mangelt der Wohlgeschmack,
und ihr Nährwert ist gering, wenn nicht gar ganz in Frage
gestellt. Sie kann selbst schädlich wirken. So ist es auch mit
dem zu früh ausgeübten Dienst. Er mag, gleich einer zu
früh geernteten Frucht, ein gewisses Aufsehen erregen und
Hoffnungen wecken, doch wird alles bald in das Gegenteil,
in Enttäuschung und Ablehnung umschlagen. Auf diese
Weise ist das Opfer eines vorzeitigen Dienstes umsonst gebracht.
Geduldig auf Gottes Wink zu warten, ist ebenfalls
Sache des Herzens. Unserer Natur fällt das Warten
schwer. Aber es ist eine gesegnete Kunst. Können w i r warten,
so kann Er uns im Heiligtum unterweisen, bilden,
pflegen und mit Seiner Gnade sättigen. Was im Heiligtum
ausreift, wird auch vom Heiligtum zeugen. Werte,
die im Umgang mit Gott gewonnen wurden, werden andere
in den Umgang mit Gott bringen. Das Geheimnis eines
fruchtbringenden Lebens bleibt daher ein in der Gegenwart
Gottes ausgereiftes und bewährtes Glaubensleben.
280
Gebet
vor Deinem Angesicht
laß mich, o Herr, als Knecht Dir stehn!
Gib, daß mein Herz gericht',
mein Fuß bereit,
auf Deinen Weg zu gehn.
Zu zeugen sei mein Mund
geweiht zu jeder Stund'
von Deiner Wahrheit.
Mein Sinn sei Klarheit,
und ohne Heuchelei mein Wort,
von Trug und Lüge frei.
Du selber sei,
Herr, meines Lebens Hort.
Sei, der Du Wahrheit, Weg und Leben bist —
mein Heiland Zesus Thrist —
mir Hirt und Licht!
Dann irr' ich nicht. — W. K.
Berichtigung
Zm August-Heft des „Botschafter", s. 208, Zeile ff von
unten, hat sich leider ein sinnentstellender Fehler eingeschlichen. Der
eingeklammerte Satz muß lauten: „Der Erstgeborene aller Schöpfung"
und „der Erstgeborene aus den Toten". Der Gedanke ist:
Als „Erstgeborener aller Schöpfung" ist der Herr das Haupt
der Schöpfung, als „Erstgeborener aus den Toten" ist Er
das Haupt des Leibes, der Versammlung. So ist Er
Haupt in doppelter Hinsicht. Der Leser des „Botschafter", der
dankenswerter Weise auf diesen Fehler aufmerksam gemacht hat,
fügt hinzu: Wir haben in diesem Kapitel zwei Würden des
Herrn als Dberhaupt, eine in Verbindung mit der Schöpfung, und
eine in Verbindung mit der Versammlung; zwei Versöhnungen,
eins in Verbindung mit der Schöpfung („alle Dings"), und eins
in Verbindung mit der Versammlung („euch . . hat Er . . versöhnt");
zwei Dienste, einen in Verbindung mit der Schöpfung
(„Diener des Evangeliums .. in der ganzen Schöpfung"), und einen
in Verbindung mit der Versammlung („Diener Seines Leibes,
das ist die Versammlung").
Ser Sohn des Menschen
IV.
4. Der Sohn des Menschen
dahin aufgefahren, wo Er zuvor war.
Zn dem Erlösungswerke Christi, auf dessen Notwendigkeit
im vorhergehenden Abschnitt hingewiesen worden
ist, bildet die Verherrlichung Gottes die erhabenste Seite.
Im Blick darauf, sowie auf die Größe des Werkes überhaupt,
hat der Herr gesagt:
„Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und
Gott ist verherrlicht in Ihm. Wenn Gott verherrlicht ist in
Ihm, so wird auch Gott Ihn verherrlichen in sich selbst,
und alsbald wird Er Ihn verherrlichen." (Joh. 43,34.32.)
Keine größere Herrlichkeit konnte es für den Sohn
des Menschen geben, als ein solch erhabenes Werk auszuführen
— das, was jemand schafft, trägt mehr zu seinem
Ruhm bei als äußere Glanz- und Machtentfaltung —, und
zwar so auszuführen, daß Gottes Herrlichkeit und Majestät,
und zwar im Blick auf die Sünde, die Jesus trug,
völlig behauptet wurden. In keiner Hinsicht geschah ihnen
irgendwie Abbruch. Jedoch noch mehr. Am Kreuz hat Jesus
auch Satan durch Seinen Tod besiegt, indem Er zugleich
die Grundlage zu einer ewigen Erlösung legte; und
alle Segnungen, von Anfang an bis zu dem neuen Himmel
und der neuen Erde, hängen von Seinem Tode ab. Ein
solches Werk zu vollbringen, trotz aller unüberwindlich
scheinenden Widerstände, war doch fürwahr die größte Ehre
l-XXXIIII 11
282
des Sohnes des Menschen. Niemand außer Ihm, weder
im Himmel noch auf Erden, war dazu imstande.
Wenn der Sohn des Menschen nun in Seinem Tode
Gott in jeder Beziehung verherrlicht hat — Seine Rechte
wurden anerkannt, Seine Wahrheit beglaubigt, Seiner
Majestät völlige Genugtuung gegeben. Seine Liebe aufs
vollkommenste ans Licht gebracht und ihr der Weg zur vollen
Entfaltung geebnet, sowie die Grundlage zur Ausführung
all Seiner Ratschlüsse gelegt —, hätte da die Anerkennung
von feiten Gottes fehlen können? Gewiß nicht!
Gott hat Ihn in sich selbst verherrlicht, und „alsbald" hat
Er das getan — ehe es öffentlich bei Seiner Erscheinung
geschieht. Er hat Ihn zunächst auferweckt aus den Toten.
Und nachdem der Auferstandene sich dann vierzig Tage lang
Seinen Jüngern in vielen sicheren Kennzeichen dargestellt
hatte, sahen diese Ihn gen Himmel auffahren. Was dort
geschehen ist, entzieht sich menschlicher Beobachtung. Aber
auf Grund der Schrift wissen wir, daß Gott Ihm den
Platz zu Seiner Rechten angewiesen hat. Er hat den höchsten
Ehrenplatz erhalten, den es gibt, denn Er hat „sich mit
Seinem Vater auf Seinen Thron gesetzt". (Offbg. 3, 2b.)
Er, der Sohn, wurde, weil Er den Vater auf der Erde verherrlicht
und das aufgetragene Werk vollbracht hatte, als
Mensch mit der Herrlichkeit verherrlicht, die Er bei Ihm
hatte, ehe die Welt war. Das ist die Antwort Gottes auf
das Kreuz Christi, Seine Anerkennung für die Verherrlichung,
die Ihm von feiten Christi zuteil geworden ist. Er
hat Ihn „in sich selbst" verherrlicht.
Es ist eine große und erstaunliche, im allgemeinen
aber wenig verstandene und noch weniger geschätzte Tatsache,
daß ein wirklicher Mensch es ist, der heute in Herr
28Z
lichkeit auf dem Thron zur Rechten Gottes sitzt. In Seiner
Person ist der Mensch in den Himmel hineingeführt worden,
was die sichere Bürgschaft dafür ist, daß auch die
Menschen, die der Vater Ihm aus der Welt gegeben hat,
dort sein und alles das mit Ihm teilen werden, was Er
selbst als der verherrlichte Mensch empfängt. Alles dies
aber ist der Fall auf Grund Seines Kreuzestodes. Gott
hat Den, „der gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode
am Kreuze", „hoch erhoben und Ihm einen Namen gegeben,
der über jeden Namen ist". (Phil. 2.) Ebenso ist derjenige,
der hinaufgestiegen ist über alle Himmel, derselbe,
der auch hinabgestiegen ist in die untersten Orter der Erde,
bis in den Tod, so daß alles, von den untersten Ortern der
Erde bis zum höchsten Throne Gottes, von Seiner Erlösermacht
erfüllt ist. So in den Himmel zur Rechten Gottes
gegangen, sind Engel, Gewalten und Mächte Ihm unterworfen.
(Vergl. Eph. 4, 1.0; 1. Petr. Z, 22.)
Auf diese Weise hat Gott auf die freiwillige Erniedrigung
Seines Geliebten geantwortet. Fürwahr, eine würdige
Antwort! Mit Genugtuung weist auch der Schreiber
des Hebräerbriefes auf diese Tatsache hin mit den Worten:
„Wir sehen aber Jesum, der ein wenig unter die Engel wegen
des Leidens des Todes erniedrigt war, mit Herrlichkeit
und Ehre gekrönt". (Hebr. 2, y.) Diese der Größe des
vollbrachten Werkes entsprechende Belohnung von feiten
Gottes ist zugleich die sichere Gewähr dafür, daß auch der
andere Teil der im achten Psalm dem Menschensohn gemachten
Zusage in Erfüllung gehen wird, nämlich daß einmal
alles Seinen Füßen unterworfen sein wird. Das wird
geschehen, wenn die Söhne, die Er als der Urheber ihrer
Errettung zur Herrlichkeit geführt hat, und die mit Ihm
284
in Herrlichkeit erscheinen sollen, ebenfalls gekrönt sein
werden.
Die Erhöhung des Sohnes des Menschen „zur Rechten
der Macht" ist indessen nicht nur die Antwort Gottes
auf Seinen Opfertod und die Ihm darin zuteil gewordene
Verherrlichung, sondern auch auf den Schimpf, die Verachtung
und Verwerfung seitens Seiner Feinde. In den Tagen
Seiner Erniedrigung „achteten sie Ihn für nichts",
wagten Ihn zu verhöhnen, ins Angesicht zu speien, mit
Dornen zu krönen und schließlich an den Schandpfahl zu
nageln und zu töten. Gott aber weckte Ihn auf aus den Toten
— der Beweis dafür, daß Er den Erdkreis richten wird
in Gerechtigkeit (Apstgsch. 47, 34) — und forderte Ihn
auf, sich zu Seiner Rechten zu setzen, bis Er Seine Feinde
zum Schemel Seiner Füße lege. Von dort wird Er wieder
auf diese Erde herabsteigen, und dann wird jedes Auge
Ihn sehen, auch die Ihn durchstochen haben. (Vergl.
Matth. 24, 30; Ps. 440, 4; Hebr. 4, 43; Offbg. 4, 7.)
Dann wird Er Gericht halten über Seine Feinde, und gerade
in Seiner Stellung als Menschensohn wird Er es auS-
üben, weil Er als solcher so unendlich viel von Sünderhänden
erduldet hat.
Bei diesem Seinem Kommen auf die Erde, um Gericht
zu halten, sollen Ihn jedoch nach der Absicht Gottes
die Heiligen, Seine Erlösten, Seine Miterben begleiten.
(Vergl. Judas 44; Offbg. 49, 44—46 u. a. St.) Deshalb
muß Er sie zuvor zu sich in den Himmel nehmen, über
diese letzte Wahrheit, daß und wie dies geschieht, belehrt
uns das Neue Testament ebenso unzweideutig wie über die
erste. Schon bei Seinem Weggang hatte der Herr ja zu Seinen
Jüngern gesagt: „Und wenn ich hingehe und euch eine
285
Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir
nehmen, auf daß, wo i ch bin, auch i h r seiet". (Joh. 44, 3.)
Ins einzelne gehende Belehrungen hierüber gibt uns der
Apostel Paulus. Den Philippern schreibt er: „Von woher
(den Himmeln) wir den Herrn Jesus Christus als Heiland
erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird
zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der Herrlichkeit".
(Kap. 3, 20. 24.) Und den Thessalonichern erklärt er, wie
es möglich sei, daß Gott die in Jesus Entschlafenen (wenn
Er in Herrlichkeit erscheint) mit Ihm bringen werde. Dazu
würde der Herr selbst vom Himmel herniederkommen mit
gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und
mit der Posaune Gottes, und die Toten in Christo würden
zuerst auferstehen. Danach würden die Lebenden, die übrigbleiben
(nachdem sie zuvor verwandelt worden sind, 4. Kor.
45,52), zugleich mit ihnen entrückt werden, dem Herrn entgegen
in die Luft, um also allezeit bei dem Herrn zu sein.
Auf diese Weise werden alle Erlösten an die Stätte gebracht,
wohin Er selbst nach vollbrachtem Werk aufgefahren
ist, und dort, wo Er bereits lange auf diesen Augenblick gewartet
hat, werden sie verherrlicht Ihm gleich sein, die
Frucht Seines großen Erlösungöwerkes.
Ist nun der Zeitpunkt gekommen, daß „der alleinige
Machthaber" (Gott) „die Erscheinung unseres Herrn Jesus
Christus zeigen wird" (4. Tim. 6, 44. 45), so steht nichts
mehr im Wege, daß Er die Deinigen mit Ihm bringe —
d. h. aus dem Vaterhaus, wo sie bereits weilen, auf diese
Erde. Über die dann folgende Zeit, d. h. den Tag des Herrn,
kann der Apostel, nachdem er durch seine Erklärung (Kap.
4, 45—48) die Ursache der Besorgnis der Thessalonicher
zerstreut hat, in Ruhe mit ihnen reden. Mit diesem Tage,
286
an dem der Herr Seine Herrschaft errichten und ausüben
wird, stehen natürlich Zeiten und Zeitpunkte in Verbindung.
Doch hierüber waren die jungen Gläubigen schon hinreichend
belehrt worden.
Beide Seiten des Kommens des Herrn, sowohl Sein
Kommen zur Heimholung der Seinen, als auch Sein Erscheinen
mit den Seinen, hängen von Seinem Sitzen zur
Rechten Gottes nach vollendetem Werke ab.
5. Das Kommen des Sohnes des Menschen
zur Inbesitznahme Seines Erbes bzw. zur
Übernahme Seines Reiches.
Dem aufmerksamen Leser der Heiligen Schrift muß
auffallen, daß der Unterschied zwischen dem Kommen des
Herrn zur Aufnahme der Seinigen und Seinem Kommen
als Sohn des Menschen — auch „Seine Erscheinung" oder
„Sein Offenbarwerden" oder „Sein Kommen in Seinem
Reiche" genannt — überall deutlich hervortritt. Während
das erstere im verborgenen geschieht und nur für die ist, die
Ihm angehören, wird das letztere ein öffentliches Ereignis
sein, das in erster Linie für die Welt bestimmt ist. Die Ankunft
des Sohnes des Menschen wird sein wie der Blitz,
der blitzend leuchtet von Osten bis gen Westen — plötzlich
und deutlich sichtbar —; „das Zeichen des Sohnes des
Menschen wird in dem Himmel erscheinen" ... „und sie
werden den Sohn des Menschen kommen sehen auf den
Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit".
Hier handelt es sich also um ein Ereignis, das für jedermann
sichtbar ist. (Vergl. Matth. 24, 27. 30.) Was dagegen
das Kommen für die Seinen angeht, so wird der Herr
ihnen „in die Luft" entgegenkommen, und sie werden Ihm
287
„in Wolken" dahin entgegengerückt werden. Diese Begegnung
findet also nicht auf der Erde statt. Die Welt sieht
Ihn bei dieser Gelegenheit nicht — sie sah Ihn zum letztenmal
am Kreuz. Aber hinsichtlich Seines Kommens für die
Welt steht geschrieben: „Siehe, Er kommt mit den
Wolken, und jedes Auge wird Ihn sehen". (Vergl.
7. Thess. 4, 76. 77 mit Offbg. 7, 7.)
Dieses Kommen des Sohnes des Menschen wird zunächst
ein Erscheinen zum Gericht sein. Die Gleichgültigkeit,
Ungerechtigkeit und Bosheit der Menschen werden zu
jener Zeit ihren Höhepunkt erreicht haben, und die Welt
wird sich in offener Auflehnung gegen Gott und Christus
befinden. Da der Herr solche Zustände in Seinem Reiche
nicht dulden kann, muß Er richtend eingreifen. Alles Gericht
ist Ihm jä vom Vater übergeben worden. Auch die in
Matth. 25, 37—46 beschriebene Gerichtssitzung wird dann
stattfinden und der Ihm übertragenen Machtbefugnis entsprechend
ausgeführt werden: „Der Sohn des Menschen
wird auf Seinem Throne der Herrlichkeit sitzen". Zwei
furchtbaren Katastrophen des Altertums wird Sein Offenbarwerden
verglichen, dem Hereinbrechen der Sündflut und
dem Untergang Sodoms durch Feuer und Schwefel — beides
Handlungen des Gerichts Gottes (siehe Lukas 77,
26—30). In flammendem Feuer erscheinend, wird Er Vergeltung
geben denen, die Gott nicht kennen, und denen, die
dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen.
Bei dieser Offenbarung wird Seine Gefolgschaft
gewaltig sein. Er, der einst ein wenig unter die Engel erniedrigt
war, wird jetzt kommen „mit den Engeln Seiner
Macht", „in der Herrlichkeit der heiligen Engel". Und auch
die Erlösten, die die Welt mit Ihm verworfen, die Er aber,
288
ehe Er zum Gericht kam, zu sich ins Vaterhaus genommen
hat, werden Ihn, wie bereits angedeutet, begleiten:
„Er wird an jenem Tage verherrlicht werden in Seinen
Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben".
Schon Henoch, der siebente von Adam, hat von die­
sem Kommen des Herrn mit den Worten geweissagt:
„Siehe, der Herr ist gekommen inmitten Seiner heiligen
Tausende, Gericht auszuführen wider alle und völlig zu
überführen alle ihre Gottlosen von allen ihren Werken der
Gottlosigkeit, die sie gottlos verübt haben, und von all den
harten Worten, welche gottlose Sünder wider Ihn geredet
haben". (Vergl. 2. Thess. 1, 8—10; Luk. 9, 26; Iud. 14.
15.) In dieser Weise wird der Herr zum Gericht erscheinen.
Es muß vor Eröffnung des Reiches stattfinden, da es ja
ein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens sein soll.
Wie es um dieses Reich beschaffen ist, wird uns treffend
in der Begebenheit auf dem Berge der Verklärung
vor Augen geführt, die uns den Sohn des Menschen als in
Seinem Reiche gekommen (Matth. 16, 28) darstellt. Auch
bei Markus und Lukas finden wir die Verklärung mit dem
Reiche in Verbindung gebracht, nur, entsprechend dem Charakter
jener Evangelien, in etwas anderen Ausdrücken. Das
gleiche tut Petrus in seinem 2. Briefe. Da die Verklärung
das kommende Reich unseres Herrn Jesus Christus in allen
seinen Teilen darstellt, und da sie alle Elemente enthüllt,
die später bei seiner Errichtung zur vollen Entfaltung
kommen werden, so ist sie zum Verständnis des uns beschäftigenden
Gegenstandes überaus bedeutungsvoll. In
ihr sehen wir den Sohn des Menschen, der von den Menschen
verworfen und gekreuzigt, von Gott aber auferweckt
worden ist (Luk. 9, 22), in himmlischer Herrlichkeit ge
289
kommen. Er ist nicht allein. Moses und Elias — der eine
die gestorbenen und auferweckten, der andere die verwandelten
Heiligen darstellend — erscheinen in gleicher Herrlichkeit
und unterreden sich mit Ihm. Sie bilden, wenn wir
die Szene in ihrer prophetischen Bedeutung betrachten, zusammen
mit Ihm den himmlischen Teil des Reiches, während
dessen irdischer Teil durch Petrus, Jakobus und Johannes
dargestellt wird. Auch der Gegenstand der Unterredung
wird mitgeteilt. Es ist der Ausgang, den Er in Jerusalem
erfüllen soll. Dieser Ausgang bildet, unter Einschluß
des Erlösungswerkes, die Grundlage der Herrlichkeit des
Reiches, wie es einmal auf der Erde bestehen wird. Himmel
und Erde werden in diesem Reiche miteinander verbunden
sein. (Vergl. den Traum Jakobs (Himmelsleiter) in
1. Mose 28,12.)
Wenn in dem großen Gegenstück des Vorgangs auf
dem „heiligen Berge" die Erlösten mit ihrem Herrn in
himmlischer Herrlichkeit offenbar werden, so werden sie, o
wunderbare Gnade! „das Bild des Himmlischen tragen"
und gemäß der Vorherbestimmung Gottes „dem Bilde
Seines Sohnes gleichförmig sein, damit Er der Erstgeborene
sei unter vielen Brüdern". In jener Zeit wird die
Welt erkennen, daß der Vater sie (die Seinigen) so geliebt,
wie Er Jesus geliebt hat, dann, wenn sie sehen wird, daß
sie mit derselben Herrlichkeit bekleidet sind, die Er Ihm als
Mensch — der doch der Sohn ist — gegeben hat. Er läßt
sie in Seiner Gnade auf Grund Seines Erlösungswerkes
daran teilnehmen.
Mit der Erwähnung des Erlösungswerkes kommen
wir noch einmal auf Seinen Todzu sprechen, auf den das
Geoffenbartwerden des Herrn in der Herrlichkeit Seines
290
Reiches, sowie der Besitz des Reiches selbst gegründet
ist, mag dies alles auch seinen Ursprung in dem Ratschluß
Gottes haben, sowie in der Liebe des Vaters zu dem Sohne
und Dessen Ansprüchen als Sohn Gottes und als Schöpfer.
Bemerkenswerterweise fügt der Herr- wenn Er in Luk. 17
von „dem Tage des Sohnes des Menschen" spricht, hinzu,
daß „Er zuvor vieles leiden und verworfen werden müsse
von diesem Geschlecht". Und noch bemerkenswerter ist es,
die Gestalt zu betrachten, in der Er in Offenbarung 5 vor
unsere Blicke tritt.
In diesem Kapitel wird bekanntlich die Frage gestellt,
wer würdig sei, das mit sieben Siegeln versiegelte Buch zu
öffnen, das in der Rechten Dessen ist, der auf dem Throne
sitzt, jenes Buch, das die Ratschlüsse Gottes hinsichtlich der
Erde enthüllt. Das Ergebnis ist, daß niemand diese
Würdigkeit besitzt außer Einem. Und dieser Eine ist Der,
der dem Seher Johannes gezeigt wird als ein „Lamm wie
geschlachtet". Ihn erblickt er inmitten des Thrones, was
wohl so auszulegen ist, daß Er den Mittelpunkt jener Regierung
bildet, die Gott aufzurichten im Begriff steht. Daß
Er dieser Mittelpunkt wirklich ist, zeigt nach den Vorbereitungen,
die in den Kapiteln 6—18 getroffen werden,
um den Erstgeborenen in den Erdkreis einzuführen, das 19.
Kapitel, wo Er in einer erschreckenden Herrlichkeit erscheint,
um, wie bereits dargelegt, zunächst das Gericht zu vollziehen.
Er ist der rechtmäßige Erbe aller Dinge. Aber Seine
Würdigkeit, das Buch zu öffnen, wird damit begründet,
daß Er geschlachtet worden ist. Alle Himmelsbewohner,
sowohl die Erlösten, als auch die Jehntausende mal
Zehntausende und Tausende mal Tausende der Engel rühmen
Seine Würdigkeit als das geschlachteteLamm.
291
Die Ihm zuteil werdende Ehrung ist allgemein. Sogar alle
Geschöpfe, bis herab zu jenen, die unter der Erde und in
dem Meere sind, stimmen ein in das Lob Gottes und des
Lammes. Durch Seinen Tod am Kreuz hat Er sich das unbestrittene
Recht erworben, alle Dinge zu besitzen —
durch die Sünde waren sie verunreinigt worden und unter
Satans Herrschaft gekommen —, sowie alle Macht, Ehre
und Herrlichkeit zu empfangen, obgleich Er als Sohn Gottes
von jeher ein völliges Anrecht darauf hatte.
Doch wie weit erstreckt sich der Herrschaftsbereich des
Herrn als verherrlichter Mensch?
„Du hast ihn zum Herrscher gemacht über die Werke
deiner Hände; alles hast du unter seine Füße gestellt", wird
im 8. Psalm hinsichtlich des Menschensohneö gesagt. Daß
die Absicht des Geistes Gottes, der sich des Psalmisten bedient,
in dem Psalm nicht weiter geht, als die Herrschaft
des Sohnes des Menschen über alle Geschöpfe der ganzen
Erde einschließlich des Meeres und des Lufthimmels —
worüber auch Adam herrschte — zu zeigen, ist offenbar,
denn es ist von Schafen, Rindern, Fischen, Vögeln usw.
die Rede. Wenn aber der Heilige Geist diese Stelle im Neuen
Testament anführt, zu einer Zeit also, wo die Grundlage
für ihre Erfüllung gelegt ist, so erweitert Er die Ausdehnung
Seiner Herrschaft ungemein. (Vergl. Hebr. 2, 8;
1. Kor. 15, 27; Eph. 1, 22.) In der ersten, schon früher
ausführlicher behandelten Hebräer-Stelle wird der Anführung
aus dem 8. Psalm hinzugefügt: „Denn indem Er
Ihm alles unterworfen, hat Er nichts gelassen, das Ihm
nicht unterworfen wäre". Daß alle Geschöpfe und alle Dinge
in dieses Unterworfensein miteingeschlossen sind, besagt
1. Kor. 15, 27, wo hervorgehoben wird, daß nur Der aus
292
genommen sei, der Ihm alles unterworfen hat, d. h. Gott.
Jedes Knie wird sich dem einst erniedrigten, aber jetzt hoch
erhobenen Menschen Christus Jesus beugen, nicht nur das
der himmlischen und irdischen Wesen, sondern auch der unterirdischen,
d. h. höllischen. Zwar „sehen wir", wie der
Heilige Geist durch den Schreiber des Hebräerbriefes sagt,
„Ihm jetzt noch nicht alles unterworfen", da Er Seine
öffentliche Herrschaft über das ganze Weltall mit allem,
was es birgt, noch nicht angetreten hat; jedoch liegt die sichere
Bürgschaft dafür, daß dies geschehen wird, darin, daß
wir — jetzt schon — Jesus mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt
sehen. (Hebr. 2, 8. 9.) „Alles unter ein Haupt
zusammenzubringen in dem Christus", ist der Vorsatz Gottes
nach dem Wohlgefallen Seines Willens. (Eph. 1, 9.
b0.) Dieses Alles umfaßt das ganze Weltall, „das, was in
den Himmeln und das, was auf der Erde ist". Die Unterirdischen
werden hier nicht genannt. Sie gehören nicht zu
denen, die unter Ihm als Haupt zusammengebracht werden;
aber sie müssen ihre Kniee vor Ihm beugen. Als verherrlichter
Mensch wird Er das Erbteil in Besitz nehmen,
das Sein Gott und Vater Ihm geschenkt hat, und zwar
nicht allein, sondern, wie schon verschiedentlich bemerkt, in
Gemeinschaft mit den Seinen, die erlöst und durch Gottes
Gnade Seine Miterben geworden sind. Bis dahin nun, daß
das Erbe angetreten, „der erworbene Besitz erlöst" wird,
hat Gott ihnen als Unterpfand den Heiligen Geist gegeben,
so daß die volle Gewähr für uns da ist, daß schließlich alles
zum Preise Seiner Herrlichkeit gereichen wird. (Vergl.
Kap. b, 9—44.)
Daß Gott unseren Herrn Jesus Christus schon heute
„über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und
2Y3
Herrschaft und jeden Namen, der genannt wird, gesetzt...
und alles Seinen Füßen unterworfen hat", sagt uns das
gleiche Kapitel; aber Er übt heute Seine Rechte als Der,
dem alles unterworfen ist, noch nicht öffentlich aus. Tut Er
dies, so wird Er Seine Versammlung (Gemeinde) mit sich
in dieser Stellung vereinigen, denn Er ist ihr „als Haupt
über alles gegeben", und sie ist als Sein Leib Seine
„Fülle" — ein Haupt ohne Leib ist nichts Vollständiges —,
Er, „der alles in allen erfüllt". Wie Adam alles, was Gott
ihm als Haupt der ihm unterworfenen Schöpfung gegeben
hatte, mit Eva teilte, und wie sie dies, als mit ihm vereinigt,
genießen konnte, so auch die Versammlung (Gemeinde)
mit Christus, dem verherrlichten, himmlischen Menschen.
Heute erfreuen wir uns dieser wunderbaren Dinge
durch den Glauben; bald aber wird es im seligen Schauen
geschehen.
Krön' und Zepter wirst Du teilen
Dort mit Deiner sel'gen Braut;
Lwig wird sie bei Dir weilen,
Die hier glaubend Dir vertraut.
Schauend ihre Füll' und Habe,
preist sie Dich ohn' Unterlaß;
Doch daß Du bist ihre Gabe,
Bleibt der Freude höchstes Maß.
„Vstas von Anfang war"
In dem Evangelium nach Johannes werden wir in
die Ewigkeit zurückgeführt. Es beginnt mit den Worten:
„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott,
und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott.
Alles ward durch dasselbe, und ohne dasselbe ward auch
nicht eines, das geworden ist." (Joh. r, "l—Z.) Hier wird
uns der Sohn Gottes, Dessen Name das Wort Got-
294
teö ist (Offbg. 49, 4Z), vorgestellt, die zweite Person der
Gottheit, und zwar, e h e etwas geschaffen war, denn wir
lesen, daß alle geschaffenen Dinge, die sichtbaren und die
unsichtbaren, Ihm ihr Dasein und ihre Herrlichkeit verdanken.
Wie dann Gottes Sohn auf diese Erde kam, hören wir
in Vers 44: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte
unter uns, und wir haben Seine Herrlichkeit angeschaut,
eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller
Gnade und Wahrheit". Alles, was man an Ihm sah und
von Ihm hörte, war der Ausdruck Gottes, des ewigen Lebens.
Als Jesus später von den Juden gefragt wurde, wer
Er sei, antwortete Er: „Durchaus das, was ich auch zu
euch rede". (Joh. 8, 25.) Er hat den Vater kundgemacht,
und wer Ihn sah, sah „den Vater". (Kap. 44, 9.)
In den Briefen des Johannes nun wird uns mitgeteilt,
daß dieses Leben, das bei dem Vater war und hienie-
den geoffenbart wurde, uns, den Gläubigen, mitgeteilt
worden ist. Wir besitzen es in dem Sohne. Es wird erkannt
an seinen Früchten: der Liebe zu den Brüdern, dem Gehorsam
gegen Gott und der praktischen Gerechtigkeit.
Das Evangelium des Johannes führt uns, wie gesagt,
in die Ewigkeit zurück. Es beginnt mit dem, was „i m
Anfang" war. In seinen Briefen dagegen redet der Apostel
von dem, was „von Anfang" war. Und da er hinzufügt:
„Was wir gehört, was wir mit unseren Augen gesehen
usw. haben", so ist es von vornherein klar, daß dieses „von
Anfang" irgendwie mit dem Kommen des „Wortes"
(Christus) auf diese Erde zu tun haben muß. Er will sagen,
was „von Anfang" des Christentums war. Es gab in den
Tagen des Apostels schon solche, die da sagten: „Das Alte
ist veraltet". Sie gaben vor, neues Licht über das Christen
2Y5
tum empfangen zu haben und klarere Ansichten darüber zu
besitzen. Daher besteht der Apostel auf der Wahrheit:
„Was vonAnfang war". Das Erscheinen des Sohnes
Gottes auf der Erde, die Offenbarung des ewigen Lebens
— diese Dinge waren göttliche Wahrheit. Und die Wahrheit
zerstreut alle Meinungen und Spekulationen des menschlichen
Geistes. Es gibt keine Entwicklung im Blick auf die
christlichen Grundwahrheiten. Es gibt eine Entwicklung des
Unglaubens, da er der Lüge entspringt. Aber die Wahrheit
ist ein unerschütterlicher Fels. Das Christentum besteht auch
nicht in Zusammenstellungen von religiösen Satzungen und
Meinungen, worüber der eine so und der andere wieder anders
denken kann, sondern es handelt sich um eine Per -
son, die Offenbarung des Sohnes Gottes! Diese wunderbare
Person haben die Apostel gesehen, Ihn haben sie auf
Seinem Wege begleitet, Seine Worte haben sie gehört, und
so kann der Apostel schreiben: „Was wir gesehen und gehört
haben, verkündigen wir euch". Daher sagt er auch den
Vätern: „Ich habe euch, Väter, geschrieben, weil ihr Den
erkannt habt, dervonAnfang ist". (Kap. 2,14.) Und
die Kindlein ermahnt er mit den Worten: „Wenn in euch
bleibt, was ihr vonAnfang gehört habt, so werdet auch
ih r in dem Sohne und in dem Vater bleiben". (Kap. 2,
24.) An die auserwählte Frau aber schreibt er in seinem
zweiten Briefe: „Nicht als ob ich ein neues Gebot dir
schriebe, sondern das, welches wir von Anfang gehabt
haben". (V. 5.)
Die Schriften des Johannes, sowohl sein Evangelium
als auch die Briefe und die Offenbarung, sind am letzten
von all den inspirierten Schriften geschrieben worden. Angesichts
des zunehmenden Verfalls der Kirche verkündigte
296
er das, was ewig und unwandelbar ist, nämlich den Sohn
Gottes, das ewige Leben, der sich in Seiner göttlichen Liebe
geoffenbart hat und ewig Derselbe bleibt. Das ist der einzige
Stützpunkt für den Glauben inmitten des Verfalls.
Der Psalmist redete in seinen Tagen ähnlich. „Wenn
die Grundpfeiler umgerissen werden, was tut dann der Gerechte?"
lautet seine Frage, und die Antwort, die er selbst
gibt: „Jehova ist in Seinem heiligen Palast. Jehova — in
den Himmeln ist Sein Thron." (Ps. 44, Z. 4.) Auf Ihn
dürfen auch wir inmitten des uns umringenden Verfalls
des Christentums blicken, auf den Sohn des lebendigen
Gottes. Er ist der Fels. Auf das bekannte Zeugnis des Petrus
hin, und nachdem der Herr ihm seinen Namen Petrus
bestätigt hat, sagt Er: „Auf diesem Felsen werde ich meine
Versammlung bauen, und des Hades Pforten werden sie
nicht überwältigen". (Matth. 46, 48.) Diese Gewißheit
tröstete auch den über den Verfall trauernden Apostel Paulus
und gab ihm den Mut, zu schreiben: „Der feste
Grund Gottes steht". (2. Tim. 2, 49.) Wollen wir be­
wahrt bleiben vor menschlichen Spekulationen, so müssen
wir an dem festhalten, „was von Anfang war".
Unsere Herzen müssen einfältig sein, denn „Jehova bewahrt
die Einfältigen". (Ps. 446, 6.) Dann haben wir Gemeinschaft
mit dem Vater und mit Seinem Sohne Jesus
Christus, den Worten unseres Apostels entsprechend: „Was
wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch, auf
daß auch ihr mit uns Gemeinschaft habet; und zwar ist
unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit Seinem
Sohne Jesus Christus. Und dies schreiben wir euch, auf daß
eure Freude völlig sei." (4. Joh. 4, 3. 4.)
2Y7

Kragen aus dem Leserkreise
Kann aus einem Gläubigen, dem der Herr ewiges Leben
verheißen hat (Joh. 3, (6 u. a. St.), ein Ungläubiger werden,
der verloren geht?")
Die Frage, ob ein Gläubiger verloren gehen könne, hat von
jeher glaubende Seelen beschäftigt. Ls ist auch im „Botschafter"
schon wiederholt darauf geantwortet worden. Da die Frage aber
gerade in letzter Zeit immer und immer wieder auftaucht, manche
Herzen beunruhigend, manche durch den Widerstreit der Meinungen
fast mit Bitterkeit gegen andere erfüllend, scheint es ratsam,
auch an dieser Stelle nochmals darauf einzugehen. Unser Wunsch
und unsere Bitte zum Herrn sind dabei, daß durch die Antwort
dem vorhandenen nicht neuer Stoff zum Streiten hinzugefügt werde,
sondern daß sie beruhigend und klärend wirke.
Die Antwort, die hier gegeben werden soll, ist nicht neu. Sie
besteht in der Wiedergabe von zwei Briefen, die bereits in einem
früheren Jahrgang des „Botschafter" veröffentlicht worden, und
die besonders, wie uns scheint, aus dem Grunde wertvoll sind, weil
sie die Frage in verschiedenem Sinn beantworten, aber so, daß der
zweite Brief auf den ersten eingeht.
Der Schreiber des ersten Briefes, der die Frage in bejahendem
Sinne beantwortet, sagt unter anderem:
In der Schrift gibt es zwei Linien, die parallel nebeneinander
hergehen. Die eine Reihe von Schriftstellen sagt uns klar uno
*1 Mele Frage Ist, «le schon andere vor ihr, ohne Namennennung ein»
gegangen. Sa der Gegenstand so wichtig Ist, wird st« zur Beantwortung
ausgenommen. Jedoch sei nochmals bemerkt, daß anonyme Briefe und Fragen
grundsätzlich nicht beantwortet werden. Ver etwas zu schreiben oder zu
fragen hat, soll auch den Mut besitzen, sich dazu zu bekennen.
Z04
deutlich, daß Rinder Gottes nicht verloren gehen können: die andere
Reihe sagt ebenso klar und bestimmt das Gegenteil. In den
Stellen, aus denen hervorgeht, daß Rinder Gottes nicht verloren
gehen können, gehört z. B. Joh. sO, 2?—29, wo es heißt: „Sie
gehen nicht verloren ewiglich, und niemand wird sie aus meiner
Hand rauben". Auf der anderen Seite stehen Stellen wie Hes. 3,
20, wo es heißt, daß auch ein Gerechter sich von seiner Gerechtigkeit
wendet und Böses tut, oder Stellen wie Gffbg. 2, 3: „Gedenke
nun, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten
Werke; wenn aber nicht, so komme ich dir und werde deinen
Leuchter aus seiner Stelle wegrücken, wenn du nicht Buße tust",
Ebenso Gffbg. 3, 3: „Gedenke nun, wie du empfangen und gehört
hast, und bewahre es und tue Buße. Wenn du nun nicht wachen
wirst, so werde ich über dich kommen wie ein Dieb, und du
wirst nicht wissen, um welche Stunde ich über dich kommen werde."
Dann der ganze Brief an die Gemeinde zu Laodicäa, Gffbg.
3, k^-22...
Der zweite Brief lautet:
Ls ist wahr, daß in Verbindung mit der vorliegenden Frage
im Worte Gottes zwei Linien nebeneinander herlaufen, aber nicht
so, wie der Schreiber es darstellt. Ich möchte die beiden Linien die
göttliche und die menschliche Seite der Bekehrung oder
Errettung nennen. Jede muß für sich betrachtet werden. Bei der
ersten gibt es kein „Wenn" und kein „Aber". Alles ist sicher und
zuverlässig. Wie könnte es anders sein? Wie könnte Gottes
A u S e r w ä h l u n g je umgestoßen, oder Sein Werk zerstört werden?
Wer oder was könnte die neue Geburt, das Werk des Heiligen
Geistes, wieder ungeschehen machen? Wer oder was
die durch das Blut des Sohnes Gottes geschehene Reinigung,
eine Reinigung von allen Sünden, so wie Gottsie kannte,
in Frage stellen? Wer könnte die durch den Willen Gottes mittelst
des ein für allemal geschehenen Gpfersdes Leibes
Jesu Lhristi Geheiligten je wieder für unheilig
erklären? Wer die mit einem Vpfer auf immerdar vollkommen
Gemachten wieder unvollkommen machen? Wer einen
„Menschen inLhristo" zu seinem früheren natürlichen Zustand
zurückführen? I st einmal ein Mensch durch den Glauben an Thri-
stirs errettet, so ist er ein Rind Gottes, dessen „Same in ihm
bleibt", ff. Joh. 3, 9-) Wäre cs nicht so, hinge unser ewiges Heil
auch nur zu dem denkbar geringsten Teile von uns oder unserem
Tun ab, so wären wir alle hoffnungslos verloren, und — bedenken
wir es wohl! — das Werk Lhristi wäre unvollkommen!
So weit die göttliche Seite der Frage, Bezüglich der
menschlichen lesen wir in Jer. 3s, s8. s9^ „Bekehre
m i ch , daß i ch m i ch bekehre, denn du bist Jehova, mein Gott.
305
Denn nach meiner Bekehrung empfinde ich Reue, und nachdem
ich zur Erkenntnis gebracht worden bin, schlage ich mich auf die
LeNden." Der Mensch von Natur ist geistlich tot. Da ist ni e -
yränd , in dem nur ein Funke göttlichen Lebens wäre. Gott muß
die Toten zunächst aufwecken, und Er tut das, Er läßt sich an keinem
Menschen unbezeu'gt. Er benutzt allerlei Nittel und Wege,
zumeist Sein Wort, um Herz und Gewissen des Menschen zu erreichen.
Damit kommt dann dis menschliche Seite zu ihrem Recht.
Jetzt heißt es zu dem Aufwachenden: Bekehre dich! Tue Buße
und glaube an den Herrn Jesus usw. Wenn er der Aufforderung
folgt, so ist die Errettung sein Teil.
' Ähnlich ist es nachher mit dem Erretteten. So wie ein Mensch
sich selbst nicht erretten kann, so kann auch nur die Gnade ihn ans
Ziel bringen. Aber ein Gläubiger kann nach seiner Errettung treu
sein oder gleichgültig werden; er kanN den Weg der Wahrheit einhalten
oder verlassen, Jesus nachfolgen oder sich wieder zur Welt
wenden usw. Was nun? Jetzt läßt Gottes Wort ihm sagen: Wenn
du den Weg der Sünde wieder wählst, erreist du das Ziel nicht.
Der Weg der Sünde endet im Tode. Da gibt es kein Entrinnen,
keine Ausnahme. (Röm. 8, sö.) Nur wer ausharrt, wird
errettet werden. Wie könnte es anders sein? Gott kann dem Untreuen
unmöglich sagen: Du bist nun errettet, darum kannst du
ganz unbesorgt sein; wenn du auch nicht als ein „Geheiligter"
wändelst, du kommst doch sicher ans Ziel. Daß das Fleisch, das
arMe natürliche Herz, solche und ähnliche böse Schlüsse ziehen
kaün, beweisen Stellen wie Röm. 6, s. s5; Gal. 5, (3; s. Petr.
2,'1(6. Aber Gottes Wort redet anders. Ls sagt dem Menschen,
des auf dem Wege der Sünde wandelt, ob er nun gläubig zu sein
bekennt oder nicht, daß das Ende seines Weges unfehlbar der
Tod ist. ' s
- Die Sache liegt doch einfach so: Wenn jemand von Berlin
nach Magdeburg gehen will und kehrt unterwegs um, so kommt
er nicht nach Magdeburg, es sei denn daß er wieder umwende. So
jeder, der errettet zu sein bekennt. Rehrt er auf dem guten Wege
um, so gelangt er, soweit es an ihm liegt, nicht ans
Ziel. Mehr Noch: Seine Leichtfertigkeit kann sogar für andere zum
Fallstrick werden. Er bringt, wiederum soweit es a n ihm liegt,
seinen Bruder in Gefahr, auch das Ziel zu verfehlen, (vergl. Römer
lH, 13; l. Ror. 8, l l .) (Das Umgekehrte finden wir in
Jak. 5, 20.) vergessen wir aber nicht, daß Gott über allem
steht, und was Er in Seiner Gnade tut, um die Seinigen trotz
aller Gefahren und Versuchungen ans Ziel zu bringen, ist eine
zweite Sache. Hier berühren sich die beiden Linien.
Ich führe ein bekanntes Beispiel an. Es hinkt ein wenig, wie
fast alle Beispiele, ist aber doch gut. Lin geübter Bergsteiger muß
mit seinem Sohn einen gefahrvollen Weg durch die Berge machen,
306
der an Schluchten und Abgründen vorbeiführt. Er sagt ihm:
„Halte dich stets nahe zu mir, sieh, wohin ich trete, mach es genau
wie ich usw., sonst kommst du in Gefahr, abzustürzen". Der Sohn
folgt der Anweisung, und eine weile geht alles gut. Allmählich
aber wird er sicherer und sorgloser, und siehe da, plötzlich gleitet
er an einer gefährlichen Stelle aus und würde unfehlbar abstür-
zen, wenn nicht das Auge des Vaters über ihn gewacht hätte und
seine starke Hand ihn im letzten Augenblick von dem Abgrund zn-
rückrisse.
Die Anwendung des Bildes ist einfach. Uns wird gesagt:
Seid wachsam, blicket hin auf Jesus, wandelt dis Zeit eurer
Fremdlingschaft in Furcht, bewirket eure eigene Seligkeit, d. i.
die Errettung, die am Ende des Weges liegt, mit Furchtund
Zittern usw. Wenn ihr das tut, werdet ihr niemals straucheln,
denn der Gott, der das wollen bewirkt, gibt auch das
vollbringen. Was meinen Sie? wird im Himmel wohl e i n Gläubiger
sagen: Za, wenn ich nicht so wachsam und treu gewesen
wäre, dann hätte des Vaters Hand mich nicht durchbringen können,
das Werk Ehristi hätte mir nichts genützt, ich wäre schließlich
doch noch ins Gericht gekommen? Der Schreiber des obigen Briefes
wird sagen: Za, s o meine ich es nicht, vielleicht nicht. Aber
dahin führt unfehlbar seine Behauptung. Sie entspringt der schier
unausrottbaren gesetzlichen Neigung des Menschen, der doch e t -
was zu seiner schließlichen Errettung mit beitragen will. Darum
noch einmal: Wenn nicht Gnade, bedingungslose Gnade
uns hindurchbringt, so sind wir alle verloren. Das berührt
aber in keiner weise die Frage unserer Verantwortlichkeit. Zm Gegenteil:
Ze größer und reicher die Gnade, desto höher und ernster
die Verantwortlichkeit! Zemehr mir vergeben ist, desto größer ist
meine Schuld dem vergebenden gegenüber.
Nun ist die Frage: Könnte durch diese Betonung der Gnade
doch nicht bei manchen Seelen das Bewußtsein der Verantwortlichkeit
geschwächt werden und sie in Gefahr bringen, es mit der
Sünde leicht zu nehmen? Za, die Gefahr besteht, und darum
warnt Gottes Wort so ernst vor einem Mißbrauch der Gnade
und zeigt leichtfertigen Seelen, wohin ein solcher Mißbrauch
führt. Aber wenn — — ganz allgemein schreibt: „Die
Folge davon ist, daß solche Brüder, welche die Überzeugung haben,
daß Kinder Gottes nicht verloren gehen können, einen
weltförmigen Wandel führen, indem sie es
mitder Sünde nicht ernst und genau nehme n"j
so ist das eine unfaßliche Behauptung. Grundsätzlich ist, wie schon
gesagt, genau das Gegenteil der Fall. Ein wahres Verständnis
von der Gnade, wie sie uns in Ehristus Zesus zuteil geworden ist,
bewirkt in icdem aufrichtigen Gläubigen ein unendlich tieferes
Gefühl darüber, was die Sünde in Gottes Augen ist, und
307
weckt einen weit ernsteren Abscheu vor ihr, als ein Gebot es je zu
tun vermöchte.
Zum Schluß noch einige kurze Bemerkungen über die (siehe
den ersten Brief) angeführten Stellen. Zn Hes. 3 handelt es sich
nicht um zugerechnete göttliche, sondern um menschliche
Gerechtigkeit, und nicht um Errettung oder verderben für die
Ewigkeit, sondern um Gottes Regierungswege inSer
Zeit.
Dis Anführung der Sendschreiben aus der (Offenbarung ist
schwer verständlich. Dort haben wir ein korporatives Zeugnis;
es handelt sich um die Frage, wie die „beuchter" ihrer Verantwortlichkeit,
Licht zu verbreiten, entspreck^n. von den persönlichen
Beziehungen der Seele zu Gott ist gar keine Rede.
Das Wort in Röm. 8, (?: „wenn wir anders mitleiden,
auf daß wir auch mitverherrlicht werden", will im Grunde
nichts anderes sagen als: „wenn wir anders Christen sind".
Die Stelle kann weder mit Phil, s, 2s) noch mit Phil. 3 in Verbindung
gebracht werden. Rkan übersieht leicht, daß an dieser
Stelle steht: „mitleiden". Nicht jeder Christ hat das Vorrecht,
„für Christus" zu leiden, oder „der Gemeinschaft Seiner Leideri
teilhaftig zu werden", aber jeder leidet mit Christus. Das liegt
in der Natur der Sache. Sobald ein Mensch bekehrt wird, die
neue Natur empfängt, fühlt er sich in seiner sündigen und feindseligen
Umgebung nicht mehr wohl. Alles ist verändert. Was ersieht
und hört, verursacht ihm jetzt Leiden. Zch brauche nicht zu
sagen, daß dieses Leiden, das bei Christus vollkommen war, bei
uns der Stärke und Tiefe des geistlichen Lebens in uns entspricht;
aber grundsätzlich ist es dasselbe Leiden. Selbst der Räuber ani
Kreuz hat noch mit Christus gelitten; die Worte seines Genossen,
der Saß der Juden gegen Christus usw. verursachten ihm, nachdem
er bekehrt worden war, tiefen Schmerz.
Soweit die beiden Briefe. Wir finden den zweiten so trefflich,
daß wir ihm nichts weiter hinzuzufügen wüßten. Freilich
könnten wir uns denken, daß der eins und andere Leser nicht ganz
durch ihn befriedigt ist. Man hat nicht gern mit „Wenn" und
„Aber" zu tun. Aber wenn nun die Heilige Schrift das „Wenn"
selbst ausspricht? Müssen wir es dann nicht stehen lassen? Es gibt
Dinge, die auch für den durch Gottes Geist erleuchteten verstand
nicht völlig zu ergründen sind. Manches müssen wir auf sich beruhen
lassen. Bei vielem sind wir bei unserer menschlichen Unzulänglichkeit
außerstande, in die Tiefen einzudringen. Möge diese
Erkenntnis dazu dienen, daß wir bescheidener werden! Und möge
aus der Sache selbst, die, wie bemerkt, schon so viel Unruhe gebracht
hat, das Gute hervorgehen, daß wir, im Blick auf die göttliche
Seite der Frage, stiller in Seiner Liebe und zuversichtlicher
308
auf dem ewig gültigen Werke unseres großen Herrn und Heilandes
ruhen, sowie auf dem unerschütterlichen Felsen der göttlichen
Verheißungen! Möchten wir aber, im Blick auf unsere Seite, die
Seite der persönlichen Verantwortlichkeit, mit Ausharren lausen
den vor uns liegenden Wettlauf, den guten Kampf kämpfen
und den Glauben bewahren: möchten wir, mit einein
Wort, so treu und hingebend sein in unserem
kebenund Zeugnis, als ob davon das Erreichen
des Zieles abhinge!
„Ihr bedürfet des Ausharrens"
Herr, schenke Du uns Kraft noch für die letzten Schritte!
Bang strebet längst der Geist aus seiner irdschen Hütte
Der ewgen Heimstatt, der Vollendung zu;
So manches Herz ward müde auf dem Pilgerwege —
Nimm Du in Deine treue, Deine gute pflege
Dein schwaches Volk und bring' es bald zur Ruh!
was wird das Schauen sein nach diesen Hoffnungstagen?
Gelöst ist jedes Rätsel und verstummt das Fragen,
wenn Deiner Weisheit Tun wir ganz verstehn,
wenn Gnad um Gnade ohne Ende, Maß und Schranken
Uns göttlich segnet, und mit jubelfrohem Danken
wir Deiner Herrlichkeiten Fülle sehn.
Laß denn mit Macht der Ewigkeiten lichte Strahlen
Zn all das trübe Dunkel unsrer Tage fallen,
Und richte auf Dich selbst die Bljcke hin;
verschließe unser Herz vor dieser Welt Getriebe,
Mach weit und offen es für Deine große Liebe —
Uns, Herr, zum ewig bleibenden Gewinn!
p. B., tt.
Ser Sohn des Menschen
v.
6. Der Zweck der Herrschaft des Sohnes
des Menschen und die Übergabe Seines
Reiches.
Es könnte gefragt werden: Wie lange wird die Herrschaft
Christi als erhöhter Menschensohn währen? Auf diese
Frage gibt, was die Heiligen Gottes angeht, die Schrift in
Offbg. 20 die Antwort: „Sie werden .. mit Ihm herrschen
tausend Jahre". Eine andere Antwort, weniger in einer
runden Zahl, aber fast noch bestimmter, lautet: „Denn Er
muß herrschen, bis Er alle Feinde unter Seine Füße gelegt
hat. Der letzte Feind, der weggetan wird, ist der Tod."
(1. Kor. 15, 25. 26.) Gehen wir etwas näher auf diese
Feinde ein.
Satan ist der Erzfeind Gottes. Sein Fall blieb nicht
ohne Wirkung auf die Schöpfung, die Gott durch und für
den Sohn geschaffen hat. (Vergl. Hebr. 1, 2; Kol. 1, 16.)
Wannder Fall Satans stattfand, darüber sagt die Schrift
nichts; auch darüber, wie er geschah, drückt sie sich nur dunkel
und meist bloß andeutungsweise in Bildern aus. Das
deutlichste Bild ist wohl die Weissagung über den König
von Tyrus in Hes. 28,1.1.—1.9. Die Aussprüche dieses Kapitels
sind derart weitgehend, daß sie kaum ganz auf einen
Menschen bezogen werden können. Man geht deshalb wohl
in der Annahme nicht fehl, daß in dieser Beschreibung Satan
vor den Blicken Gottes stand, dem jener König hinsicht-
I-XXXIIII 12
310
lich seiner bevorzugten Stellung sowohl als auch hinsichtlich
seines Verhaltens und seines jähen Sturzes sehr ähnlich
gewesen sein muß. Hochmut und Selbstüberhebung, diese
für ein Geschöpf Gottes so ungeziemenden Eigenschaften,
werden dort als die Ursache seines Falles genannt, und im
Neuen Testament bestätigt 1. Tim. 3, 6, daß Aufblähung
tatsächlich die Ursache gewesen ist, die Gottes Strafurteil
über Satan gebracht hat.
Satan ist nicht allein gefallen. Viele sind durch diesen
Mächtigen, den „Fürst der Gewalt der Luft", wie er genannt
wird, mitfortgezogen worden. Im Neuen Testament
ist von „Fürstentümern und Gewalten, geistlichen Mächten
der Bosheit in den himmlischen Ortern" und von „Engeln
Satans" die Rede, die sich unter seiner Führung als Widersacher
Christi und der Seinigen offenbaren. Warum
Gott ihm und seinem Anhang noch Bewegungsfreiheit gelassen
— Satan hat sogar noch Zutritt zu Gott selbst —
und diese Dämonenwelt nicht, wie andere Engel, „mit ewigen
Ketten unter der Finsternis verwahrt hat", teilt uns die
Schrift nicht mit. Wir brauchen es nicht zu wissen — Gott
ist weise in all Seinem Tun und Lassen.
Satan ist bei der erwähnten Verführung nicht stehen
geblieben. Sobald Gott die Erde, die als eine Wüstenei und
Ode dalag, für den Menschen bewohnbar gemacht und ihn
selbst erschaffen hatte, streckte Satan seine Hand auch nach
diesem Werke Gottes aus. Seine verderbliche Absicht gelang.
Der Mensch, das Haupt der Schöpfung, hörte auf die
Stimme des Verführers, ward ungehorsam gegen seinen
Schöpfer und brachte Sünde, Elend und Tod über sich und
seine Nachkommen. Letztere bewiesen im Laufe der Zeit durch
ihr Verhalten unzweideutig, daß sie nicht nur Sünder und
— 371 —
Übertreter, sondern, unter Satans Führung, auch Feinde
Gottes waren. Ihre Feindschaft fand in der Verwerfung
und Kreuzigung des Sohnes, den Gott sandte, und der in
Gnade und Liebe unter den Menschen weilte, ihren stärksten
Ausdruck. Sie ist seitdem nicht geringer geworden. Wieder
und wieder ist sie hervorgetreten, besonders gegen die Nachfolger
Christi, und sie wird sich am Ende dieses Zeitalters
aufs neue zur Siedehitze steigern. Dann werden die Völker
der Erde samt ihren Königen und Fürsten in offener Auflehnung
wider Gott und Seinen Gesalbten stehen und miteinander
ratschlagen: „Lasset uns zerreißen ihre Bande und
von uns werfen ihre Seile". (Ps. 2.) Das Tier und die
mit ihm vereinten zehn Könige werden, wie Offbg. 17 uns
mitteilt, es sogar wagen, mit dem Lamme, dem „Herrn der
Herren und König der Könige", Krieg zu führen.
Diesem jetzt schon Jahrtausende währenden Zustand
der Unordnung, des Verderbens, der Feindschaft und Auflehnung
wider Gott wird während der Herrschaft Christi
und, wie die oben angeführte Stelle aus 7. Kor. 75, 25.
26 zeigt, durch diese ein Ende gemacht werden. Gott gibt
Ihm, dem verherrlichten Menschensohn, das Reich und
stellt alles unter Seine Füße, und dann schafft Christus
selbst während Seiner Herrschaft Ordnung in Seinem
Reiche. Diese Herrschaft wird solange währen, bis „alle
Herrschaft und alle Gewalt und Macht" hinweggetan sein
werden. „An jenem Tage", dem Tage Seiner tausendjährigen
Herrschaft, wird Er sowohl „die Herrscher der Höhe
in der Höhe" (die geistlichen Mächte der Bosheit in den
himmlischen Ortern) als auch „die Könige der Erde auf der
Erde" (die Hauptwerkzeuge des Bösen und des organisier­
ten Widerstandes hier unten) heimsuchen. (Vergl. Jes. 24,
— 312 —
21.) Daß Er die Macht dazu besitzt, hat Er schon in der
Auferstehung bewiesen, indem Er Satan in seiner stärksten
Festung — er besitzt die Macht des Todes — besiegt und
seine Gefangenschaft oder seine Gefangenen gefangen weggeführt
hat. Aber schon bevor Er diese Seine Macht zur
Vernichtung aller Seiner Feinde in Anwendung bringen
wird, zeigt Er sie in der Verwandlung der Seinigen, denn
die Umgestaltung ihrer Leiber der Niedrigkeit zur Gleichförmigkeit
mit Seinem Leibe der Herrlichkeit geschieht
„nach der wirksamen Kraft, mit der Er
vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen".
(Vergl. Phil. 3, 21.)
Die Unterwerfung der Feinde wird nach der Schrift
folgendermaßen vor sich gehen:
Nachdem Satan mit seinen Engeln zuvor auf die Erde
geworfen ist, werden die Heere des „Tieres" (vergl. Offbg.
13) und der Könige der Erde vernichtet; das Tier selbst sowie
der falsche Prophet werden in den Feuersee geworfen.
Hand in Hand mit dieser Machtbetätigung geht das Binden
Satans für den Zeitraum von tausend Jahren und sein
Hinabwerfen in den Abgrund. Wahrscheinlich wird sein
Anhang (nicht die verlorenen Menschen) dann mit ihm
hinabgeworfen werden. (Vergl. Luk. 8, 31.) Hiermit haben
die Gerichte aber noch nicht ihr Ende erreicht. Es müssen
noch weitere folgen, ehe das Reich des Sohnes des
Menschen im vollsten Sinn des Wortes ein Reich des Friedens
genannt werden kann. Wie aus dem 110. Psalm hervorgeht,
wird Er zuerst „inmitten Seiner Feinde herrschen"
(V. 2); nur nach und nach werden die Feinde beseitigt
werden. So müssen der König des Nordens und die mit
ihm vereinten Völkerschaften noch gerichtet werden (was
— 313 —
von Zion aus, nicht vom Himmel her geschieht), ebenso der
Herrscher vom äußersten Norden, der Fürst von Nosch,
Mesech und Tubal, und die vielen Völker, die mit ihm sind.
Darum wird der Herr uns einmal gezeigt in blutbeflecktem
Gewände, wie ein Keltertreter, wie einer, der „einherzieht
in der Größe Seiner Kraft", und der „die Völker zertritt
in Seinem Zorn und sie zerstampft in Seinem Grimm",
und ein anderes Mal als einer, der da „richtet unter den
Nationen", der „das Haupt über ein großes Land zerschmettert",
und der auch der Vollstrecker des Gerichts an
Gog *) ist, von dem Er sagt: „Und ich werde Gericht an
ihm üben durch die Pest und durch Blut..". (Vergl. Jes.
63, 1—6; Ps. 110, 6; Hes. 38,18—23.) Wie viele Seiner
Feinde auch sein mögen, die in Auflehnung gegen Ihn stehen
— Er wird sie dahin bringen, den Staub zu lecken. Alle
Nationen werden Ihm dienen, viele von ihnen aus Überzeugung
und mit Freuden. Andere werden sich Ihm „wegen
der Größe Seiner Stärke" mit Schmeichelei unterwerfen.
Und die, die sich Seiner Macht nicht unterwerfen wollen,
wird Er „wie Staub vor dem Winde zermalmen".
(Vergl. Ps. 66, 3; Ps. 18, 36—45.)
*) hier ist ein Unterschied zu machen zwischen dem in Hesekiel
genannten Gog und dem von «Dffbg. 20, 8. Der letztgenannte
wird erst am Ende des Tausendjährigen Reiches gerichtet.
Auf diese Weise werden alle Widerstände gegen die geordnete,
durch einen Menschen, den verherrlichten Menschensohn,
ausgeübte Regierung Gottes, die durch Gerechtigkeit,
Ruhe, Sicherheit und Frieden gekennzeichnet ist, aus
dem Wege geräumt werden. Durch nichts mehr aufgehalten,
können die Segnungen, die von dem Throne Gottes
und des Lammes ausgehen und durch die himmlische
— 314 —
Hauptstadt des unermeßlichen Reiches, das Himmel und
Erde umfaßt, gleichsam weitergeleitet werden, ungehindert
zur Erde Herabfließen und sich dort entfalten. Die Nationen
werden wandeln durch das Licht, das von dem neuen Jerusalem
ausströmt, und die Blätter des Baumes des Lebens
werden zu ihrer Heilung dienen. Herrliches Ergebnis der
Regierung Christi! Sie wird zur Verherrlichung und zum
Lobe Gottes sowie zur Freude und zur Segnung der Schöpfung
gereichen. Das Lob Gottes und des Lammes, das im
Himmel ertönt, pflanzt sich von dort aus fort, bis es kein
Geschöpf mehr auf Erden und unter der Erde, sowie auf
und in dem Meere gibt, das nicht in dieses Lob einstimmt.
So gehen die tausend Jahre dieser wunderbaren Herrschaft
dahin. Nach dieser Herrlichkeit und Herrschaft Christi
muß die Menschheit noch einer neuen und letzten Probe unterzogen
werden. Es gilt, unzweideutig festzustellen, ob die
Negierung der Gerechtigkeit, des Friedens und der Wohlfahrt
eine Veränderung in dem Zustand der nicht wiedergeborenen
Menschen hervorgebracht hat. Satan wird losgelassen,
und was zeigt sich? Nicht nur, daß er selbst nach tausendjähriger
Einkerkerung derselbe Widersacher Gottes und
Verführer der Menschen geblieben ist, sondern auch, daß
jene sich in nichts geändert haben. Unmittelbar offenbart
sich durch den Einfluß Satans wieder die gleiche Feindschaft
gegen Gott und Sein Volk wie nur je. Zn kriegerischer Absicht
umzingeln die verführten Nationen „das Heerlager
der Heiligen und die geliebte Stadt" (Jerusalem). Aber
Feuer aus dem Himmel, das sie verschlingt, macht ihrem
frevelhaften Beginnen ein Ende. Satan, ihren Verführer,
erreicht sein endgültiges Schicksal. Er wird in den Feuersee
geworfen, wo er samt dem Tiere und dem falschen Prophe
— 31S —
ten, die schon tausend Jahre vorher dort ihren Platz gefunden
haben. Tag und Nacht gepeinigt wird von Ewigkeit
zu Ewigkeit.
Jetzt sind alle Feinde, außer einem, endgültig beseitigt.
Dieser letzte Feind ist der Tod. Auch er wird noch hinweggetan.
Durch Seinen Tod hat Christus schon den Tod
überwunden, und in Seiner Auferstehung hat Er den völligen
Sieg über ihn bewiesen. Für den Gläubigen ist deshalb
schon heute nicht nur Satan, der die Macht des Todes hat,
zunichte gemacht, sondern auch der Tod selbst. (Lies Hebr.
2,1.4 u. 2. Tim. 4, 40.) Infolgedessen muß dieser, wenn
die Stunde gekommen ist, daß der gebietende Zuruf des
Herrn in die Gräber der in Ihm Entschlafenen dringt, ihre
Leiber, die er bis dahin als Beute festgehalten hat, freigeben.
Aber in Offbg. 20 wird uns das völlige Hinwegtun
des Todes, der dort als eine Person dargestellt wird, mitgeteilt.
Er muß, wie der Schluß dieses Kapitels berichtet, auch
noch seine letzte Beute hergeben. Alle Toten, die nicht zur
ersten Auferstehung gehört haben, werden jetzt lebendig und
vor den großen weißen Thron gestellt, um hier nach ihren
Werken gerichtet zu werden. Christus ist der Richter. Ihm
ist, als dem Sohn des Menschen, alles Gericht übergeben
worden. Eine regelrechte Gerichtsverhandlung findet statt.
Bücher sind vorhanden, und nach dem, was in diesen Büchern
geschrieben steht, wird das Urteil gefällt. Alle, deren
Namen nicht in dem Buche des Lebens zu finden sind, werden
in den Feuersee geworfen. Und zum Schluß, wenn der
Tod alle seine Opfer, die er gefangen hielt, hergegeben hat,
— sie alle erscheinen vor dem Richterstuhl — kommt der
Augenblick, daß er selbst als feindliche Macht für immer
hinweggetan wird. Sowohl der Tod als auch der Hades,
— zrs —
letzterer der Aufenthaltsort der abgeschiedenen Seelen, werden,
weil sie einerseits selbst Folgen der in die Welt gekommenen
Sünde und anderseits auch durch ihre mit Sünden
befleckten Gefangenen verunreinigt sind, wie diese in den
Feuersee geworfen.
Nachdem so alle feindliche „Herrschaft, Gewalt und
Macht" hinweggetan ist, sind die Aufgaben der Herrschaft
Christi als Sohn des Menschen erfüllt. Diese Herrschaft
kann somit abgeschlossen werden. Er hat die Ihm anvertraute
Autorität zur Verherrlichung Seines Gotteö und
Vaters ausgeübt und das Ihm übergebene Reich in Treue
verwaltet. Dieses Reich wird deshalb nicht von Ihm weggenommen,
wie das bei anderen Herrschern der Fall war,
sondern „Er gibt", wie ein sehr geschätzter Schriftausleger
sich treffend ausdrückt, „die Gewalt über alles, die Ihm
anvertraut war, Gott, dem Vater, zurück, und das vermittelnde
Königtum, das Er als Mensch hatte, hört auf". Der
Ihm für einen bestimmten Zeitabschnitt und für einen bestimmten
Zweck erteilte besondere Auftrag ist ausgeführt,
und Er legt die Ihm als Sohn des Menschen übertragene
Autorität nieder. Er, der in Herrlichkeit und Macht regiert
hat, nimmt, da Er nicht aufhört, Mensch zu sein, von neuem
den Platz der Unterwürfigkeit Dem gegenüber ein, der
Ihm alles unterworfen hat. Als Er einst als Mensch auf
Erden war, tat Er nichts aus sich selbst, sondern nur, wie
Ihm der Vater geboten hatte. Diese Stellung des Unter-
worfenseinö wird Er, o wunderbare Gnade und unfaßbares
Geheimnis! selbst in Ewigkeit nicht aufgeben, sondern sie
mit den Erlösten teilen. (Vergessen wir aber anderseits
nicht, daß Er, der als Sohn eins mit dem Vater ist, so auch
in Ewigkeit herrschen wird!) Der Tag des Herrn, der Tag
317
Seiner Herrschaft, ist dann vorüber, und der Tag Gottes
beginnt. (Vergl. 2. Petr. 3, 12.) Gott wird Seine Herrschaft
nicht mehr durch einen Menschen (Christus, den Sohn
des Menschen) ausüben, sondern in Seiner eigenen Oberherrlichkeit
als Gott (Vater, Sohn und Heiliger Geist).
Im Tausendjährigen Reiche herrschte die Gerechtigkeit
in Macht, um alle Feinde, die sich wider Gott erhoben,
sowie alles Böse aus dem Wege zu räumen und jede
von Gott kommende Segnung sowie Frieden, Ruhe und
Ordnung sicherzustellen. In dem ewigen Zustand, wenn
Gott alles in allem sein wird, kann die Gerechtigkeit, nachdem
alle Hindernisse beseitigt worden sind, in Frieden
„wohne n" (2. Petr. 3,13), und die Segnung kann von
Gott ausfließen, ohne durch irgend etwas aufgehalten zu
werden. Das, was Er ist, kann sich ohne Vermittlung in der
herrlichsten Weise entfalten und das ganze All durchdrin­
gen.
*
Wir sind am Ende unserer Betrachtungen. Eine Herrlichkeit
unseres hochgelobten Herrn als Sohn des Menschen
nach der anderen ist an uns vorübergezogen. Indem sie alle
ihren Ausgangspunkt in der Liebe des Vaters zu Seinem
Sohne vor Beginn der Zeit hatten, reichen sie bis zum Abschluß
der Zeit, ja, hinein in die vor uns liegende Ewigkeit,
wo Gott alles in allem sein wird. Gottes Vorsatz betreffs
der Stellung Seines Sohnes als Sohn des Menschen fand,
wie wir sahen, in Dessen Tode eine unerschütterliche Grundlage.
Sie ist verbürgt in Seiner Auferstehung, Himmelfahrt
und Seinem Sitzen zur Rechten Gottes. Jeder neue
Gesichtspunkt, den wir ins Auge faßten, zeigte uns auch
— zrs —
wieder eine neue Herrlichkeit unseres Herrn, Dessen Fülle
unermeßlich ist. Möchten die schlichten Bemerkungen dazu
dienen, daß Seine Person uns größer, und unsere Liebe zu
Ihm vermehrt werde!
„Seid nun besonnen
und seid nüchtern zum Gebet."
Das ist die durch den Heiligen Geist gegebene Mahnung
des bejahrten, erfahrungsreichen Apostels angesichts
der Tatsache: „Es ist nahe gekommen das Ende aller Dinge".
Seine persönlichen Erlebnisse hatten ihn gelehrt, daß
Mangel an Besonnenheit und Nüchternheit schlimme Folgen
für den Gläubigen hat. Sein langes Leben hatte ihn
ferner sehen lassen, daß die Fehler des Lebens in vielen,
vielleicht in fast allen Fällen ihre Ursache in diesem Mangel
haben. Sein gereiftes Urteil, gereift in der Übung der Unterwürfigkeit
gegen seinen Herrn, im Blick auf den Ernst
der Zeit und die für solche Zeit so dringend notwendigen Erfordernisse
konnte er, wenn nötig, mit eigenen Erfahrungen
begründen, die ihm zeitlebens vor der Seele gestanden,
und deren einige ihm noch im Alter Weh und Schmerz verursacht
haben mögen, wenngleich sie anderseits zur rechten
Ausübung des ihm von seinem Herrn selbst übertragenen
Hirtendienstes nützlich gewesen sein werden.
„Seid nun besonnen!" Wäre es nicht mehr am
Platze, angesichts des nahen Endes von mehr Eifer und
Fleiß zu sprechen, von mehr Treue, Entschiedenheit, Hingebung
und Energie? Von diesen Dingen sagt Petrus hier
kein Wort. Wir aber fühlen mit Beschämung, daß es hieran
bei uns mangelt. Sollte der Apostel das übersehen haben?
3ry
Ich glaube nicht. Aber Petrus wußte aus Erfahrung, daß
ihn Eifer und Entschiedenheit nicht daran gehindert hatten,
in fleischlicher Energie mit dem Schwerte dreinzuschlagen,
als sein Herr sich willig binden und absühren ließ. Und
ebenso wußte er, daß, wäre er besonnen gewesen, er an
die Warnungsworte seines Herrn gedacht und sich nicht unter
die Feinde gemischt und mit ihnen am Feuer gewärmt
hätte. Er hätte den Gefahrenbereich gemieden.
In der Erkenntnis dieser Notwendigkeit sagt er:
„Seid nun besonnen!" Das Ende aller Dinge ist nahe
gekommen. Aller Dinge, auch solcher, die vielleicht Jahre
oder Jahrzehnte den Gegenstand des Strebens bildeten.
Wahrlich Grund genug, besonnen zu sein und zu bedenken,
daß es für den Jünger Jesu Besseres gibt, als Dingen nachzujagen,
deren Ende nahe bevorsteht! Oder klingt es zu
„weltfremd", dies zu sagen? Es ist schon richtig, die Worte
sind weltfremd. Aber der besonnene Jünger Jesu wird sie
anerkennen, selbst wenn er eingestehen muß, daß sein Leben
das Gepräge dieser Weltfremdheit nicht immer getragen
hat.
Die Mahnung zur Besonnenheit hat noch weitere
Gründe. Je näher das Ende kommt, umso näher rücken die
Entscheidungen. Vor Jahrzehnten kostete der Weg eines
dem Wort Gottes gehorsamen Christen mehr Entschiedenheit
und Selbstverleugnung, als es in der Folgezeit der Fall
war. Damals galt es, eine Bresche zu schlagen in durch
Tradition geheiligte Irrtümer. Nachdem die stärksten Widerstände
überwunden waren, wurde der Weg leichter. Aber
gerade diesen Umstand nutzte der Feind, um das Zeugnis
zu schwächen. So erfordert die gegenwärtige Lage wieder
viel Besonnenheit für den einzelnen, umsomehr als das nä
320
her kommende Ende ein weiteres Absinken des Zeugnisses
befürchten läßt. Satan ist mehr und mehr am Werke. Er
sieht das Ende seiner Gewalt kommen. Die Herabsetzung
des Zeugnisses der Kinder Gottes ist darum sein Ziel. Der
Weg zu diesem Ziel ist, jede gottgewollte Scheidung zu beseitigen
zwischen Licht und Finsternis, Leben und Tod,
Gnade und Verantwortlichkeit. Die gottgegebene
Grenze zwischen diesen Dingen außer acht lassen, führt notwendig
zur Schwächung des Zeugnisses. Diese sehr ernste
und jeden einzelnen Christen angehende Tatsache möge vor
der Seele stehen, wenn Satan seinen für uns gefährlichsten
Bundesgenossen, unser fleischliches Herz, für
sein Ziel einspannt. Dann ist es fürwahr Zeit, besonnen zu
sein.
Der Herr sagt von Seinen Jüngern: „Sie sind nicht
von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin". Satan
ist bemüht, diese vom Herrn gewollte und ausgesprochene
Trennung zu beseitigen. Der Herr wird Seine Absichten
durchführen und die Seinigen vor dem Gericht dieser Welt
bewahren. An ihnen aber ist es, angesichts der mit dem nahen
Ende sich mehrenden Gefahren „besonnen" zu leben.
Durch die Gnade sind wir dazu imstande. Daß einem solchen
Leben der Besonnenheit die Verleugnung der Gottlosigkeit
in jeder Form und der weltlichen Lüste vorausgehen
muß, sagt klar und deutlich Tit. 2,1.2. Denn die erste
Unterweisung der Gnade gilt dem Weichen vom Bösen. Wie
wichtig ist daher die Beachtung des Wortes: „Laßt uns nun
mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade,
auf daß wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden
zur rechtzeitigen Hilfe". (Hebr. 4, 16.)
Damit kommen wir zu der weiteren Mahnung: „Seid
— 321 —
nüchtern zum Gebet!" Die aus dem Hebräerbrief ange­
führte Stelle besagt neben anderen, daß das Gebet freimütig
und rückhaltlos, mit freudiger Zuversicht geschehen
sollte. Petrus mahnt: „Seid nüchtern zum Gebet".
„Freimütigkeit" ist ohne Zweifel ein Gnadengeschenk Gottes,
das Er dem Glauben verleiht. Ob wir sie haben,
steht aber bei uns, denn Johannes schreibt: „Geliebte,
wenn unser Herz uns nicht verurteilt, so
haben wir Freimütigkeit zu Gott", (1. Joh. 3, 21.) Unsere
Herzen sind aber nur bei vorhandener Nüchternheit, d. h.
wenn wir leer sind von uns selbst, zu einem richtigen Urteil
imstande. Wann aber sind wir nüchtern? Ich glaube, daß
wir mit Beschämung feststellen müssen, daß der Zustand der
Nüchternheit ein im allgemeinen wenig gekannter Begriff
ist bei uns. Wie und womit beginnen wir am Morgen den
Tag? Wie und womit beschließen wir ihn am Abend? Was
liegt alles zwischen Anfang und Ende des Tages? Entdeckt
da nicht jeder einzelne von uns, wenn er ein wenig aufmerkt,
immer wieder die Gefahr bei sich, unnüchtern zu
sein? O ja, es ist schon verständlich, wenn der alte Apostel
mit der Sorge eines treuen Hirten mahnt: „Seid nüchtern
zum Gebet!" Er wußte offenbar, daß der Zustand der Unnüchternheit
so zur Gewohnheit werden kann, daß er selbst
im Gebet bestehen bleibt, weil er nicht mehr empfunden
wird. Er wußte auch, daß es Energie kostet, nüchtern zu sein
zum Gebet, wenn dieser Zustand abhanden gekommen ist.
Wie weit reicht mein Verständnis über den eigenen
Zustand? Reicht er bis zu dem Geständnis, daß die Mahnung:
„Seid nüchtern zum Gebet", m i r gilt? Erlebst d u
es auch, lieber Leser, daß es der Energie bedarf, um im Gebet
erst des Zustandes der Unnüchternheit innezuwer
Z22
den, und daß es Kampf kostet, um zum Zustand der
Nüchternheit zurückzukehren? Scheuen wir uns nur ja
nicht, die gegebenen Ermahnungen anzusehen als unserem
Wesen angemessen. Andernfalls betrügen wir uns
selbst und begeben uns dabei von vornherein des Bodens,
auf dem Nüchternheit gewonnen werden kann, wenn sie
verloren ging.--------
„Er kennt unser Gebilde, ist eingedenk, daß wir Staub
sind." Er weiß, daß wir der Mahnung zur Nüchternheit sogar
bedürfen, um zu beten, und es heißt von Ihm, daß,
„wenn unser Herz uns verurteilt, Gott größer ist
als unser Herz und alles kennt". (1.. Joh.
Z, 20.)
Ist unserem Gott darum zu tun, unS mit diesen letzten
Worten furchtsam zu machen? Hebt Er Seine Größe und
Seine Kenntnis hervor, um zu zerknicken? Will Er nicht
vielmehr Verständnis wecken dafür, daß Er auch dann noch
für uns da ist, wenn unser Herz unS ob unserer U n treue
verurteilt und die zum Gebet notwendige Freimütigkeit
nicht aufkommen läßt? Gott ist größer als unser Herz und
kennt alles. Was uns entgeht bei der Beurteilung, Er
kennt es. Wenn unser Herz uns schon verurteilt, so wird
die Erkenntnis, daß Gott weit mehr kennt, als unser Herz
zu erkennen vermag, uns an den Platz bringen, auf dem
uns Klarheit wird über unseren armseligen Zustand, aber
auch darüber, daß unser Gott injeder Hinsicht größer ist
als unser Herz. Dieser Platz nötigt im besten Falle zu gottgemäßem
Selbstgericht, bei dem kein Mantel und kein
Schleier mehr Verwendung findet. Es ist der einzige
Platz, der dem Menschen vor Gott zukommt, aber auch der
einzige Platz, auf dem der Mensch Segnungen empfangen
323
kann, auf dem er verwirklicht, daß sein Platz vor Gott auf
Gnade gegründet ist, daß er in Gnaden steht vor seinem
Gott. Auf diesem Boden und nur auf ihm kommt selbst
das verurteilende Herz zur Ruhe — weil „Gott größer
ist", — um in Demut, Nüchternheit und mit Freimütigkeit
anzubeten.
Auf diesem Boden endlich gedeiht auch die bei dem
nahenden Ende immer seltener zu findende „inbrünstige
Liebe" zueinander, als deren Kennzeichen im gleichen Abschnitt
gesagt wird: „Die Liebe bedeckt eine Menge von
Sünden", (z. Petr. 4, 8.) Die Anleitung zu dieser
Liebe erfolgt im Heiligtum, in Gottes Gegenwart; ihre

Fragen aus dem Leserkreise
Meint Johannes in seinem ersten Briefe, Kap. 5, 6, mit
Wasser und Blut das Blut und Wasser, das aus der Seite des
durchbohrten Körpers Christi am Kreuze floß?
Die Briefe des Johannes zielen auf dieses ab: Jesus Christus
ist in dem Charakter: „im Fleische kommend" (2. Zoh. ?) zn
bekennen, womit gemeint ist, daß Er bei Seinem Eintritt in die
Welt, bei Seiner Menschwerdung, ein wirklicher, wahrhaftiger
Mensch von Fleisch und Blut' wurde, daß Er nicht etwa einen
Scheinleib hatte, wie gewisse gnostische Lehrer sagten. Denn dann
wäre Er nicht die Sühnung für die ganze Welt. (s. Joh. 2, 2.)
Sein Sterben ain Kreuze wäre nur ein Schein-Sterben gewesen und
hätte den Forderungen Gottes, die Er in Seiner Gerechtigkeit an
sündige Menschen von Fleisch und Blut stellen mußte, nicht Genüge
getan. Ein wirklicher Mensch mußte stellvertretend sterben, sowohl
für die israelitische Nation als auch für die ganze Welt.
Außer diesem Seinem ursprünglichen Kommen spricht die
Schrift auch von einem Kommen in übertragenem Sinne. Nachdem
das Werk am Kreuze vollbracht, der Herr Jesus auferstanden und
gen Himmel gefahren und der Heilige Geist herniedergefahren
war, kam Er und kommt Er seit dem Pfingsttage in denen, die
Seine Zeugen sind. Paulus sagt das unmißverständlich in Lph. 2,
l?: „Und Er kam und verkündigte Frieden, euch, den Fernen, und
Frieden den Nahen". Dieses „euch, den Fernen" bezeugt deutlich
genug, daß nicht Sein Kommen zu den Züngern am Abend jenes
ersten Tages der Woche in Joh. 20 gemeint sein kann. Meint Johannes
in den drei Versen, die uns beschäftigen, nicht auch dieses
Kommen im übertragenen Sinne?
Als diese Art Kommen am Pfingsttage ihren Anfang nahm,
lag und liegt ihr ein dreifaches Zeugnis Gottes zugrunde für die
Tatsache, daß die verkündigte Person, der Mensch Jesus Christus,
der Sohn Gottes, wirklich und wahrhaftig Sühnung für die
Sünde der Welt getan hatte. Gott hatte das Wunder gewirkt, das
Johannes in seinem Evangelium berichtet: Blut und Wasser waren
aus der durchbohrten Seite Seines gestorbenen Sohnes geflossen,
in Übereinstimmung mit der in der Schrift entwickelten Lehre,
daß der durch seine Sünde dem Tode verfallene Mensch, wenn er
leben soll, nur durch den Tod von seiner Sünde gereinigt oder frei
werden kann, und daß die der Sünde wegen auf ihm lastende
Schuld nur durch das hingegebene Leben, durch das Blut eines
Stellvertreters gesühnt wird.
Die Befriedigung der Gerechtigkeit steht als Forderung Gottes
voran. Die Anwendung des Ergebnisses dieser Befriedigung
auf den Sünder kommt an zweiter Stelle. Darum mußte Zo-
330
Hannes in seinem geschichtlichen Bericht setzen: . und alsbald kam
Blut und Wasser heraus". Die Gerechtigkeit Gottes fordert den
Tod des Sünders. Die Forderung wird durch Gott selbst als befriedigt
anerkannt: das Blut aus dem toten Körper ist als Symbol
der Beweis, das Zeugnis. Denn es ist gegen die Natur, so bekunden
ärztliche Autoritäten, daß der Wunde eines toten Körpers Blut
entfließe. Die Liebe und die Heiligkeit Gottes verlangen, daß der
Sünder, dem zugut das Blut floß, in den Tod Dessen, der, um zu
sühnen, starb, einbezogen wird, damit er gereinigt, befreit von
Sünde und Schuld, Gott leben könne, so wie der für ihn stellvertretend
gestorbene und auferstandene Sohn Gottes jetzt Gott lebt.
(Röm. 6, so.) Darum als Symbol das Wasser, der Beweis der
Reinigung durch den Tod. Die symbolische Bedeutung des Wassers
tritt in der Taufe klar zutage. Die Linsmachung des Symbols
„Wasser" mit dem „Wart" bezeugt der Herr selbst: „... Wer
gebadet ist .. ist ganz rein .." „I h r seid schon rein um des
Wortes willen, das ich zu euch geredet habe." (Joh. sZ, so u.
s5, 3.) Ls ist aller Beachtung wert, daß es heißt: Blut und
Wasser. Ls war nicht etwa ein Gemisch von Blut und Wasser,
sondern jedes deutlich unterschieden von dem anderen, obwohl ungetrennt
davon. Ls ist ein Verlust, wenn man dieses Doppel-Zeugnis
Gottes, dieses Wunder nicht gebührend einschätzt.
Der geschichtliche Bericht im Lvangelium geht vom göttlichen
Standpunkt aus,' darum die Reihenfolge „Wut und Wasser". In
dem Abschnitt, der uns beschäftigt, steht der menschliche Standpunkt
im Vordergrund. Ls ist die Rede vom Sieg über die Welt und von
dem, der sie wirklich überwindet. Das ist der, welcher glaubt, daß
Jesus der Sohn Gottes ist, eben Der, an Dessen totem Leibe am
Kreuz Gott dieses Wunder bewirkte, das den Sünder überzeugen
soll: Du. fühlst dich unrein meiner Heiligkeit gegenüber; du fürchtest
dich vor mir. Sieh aber, durch den Tod meines Sohnes, wenn
du an Ihn glaubst, wirst du rein. Ich habe es bezeugt, indem ich
reinigendes Wasser aus Seiner durchbohrten Seite fließen ließ.
Sieh ferner, daß auch deine Sündenschuld getilgt ist, daß Lr für
sie Sühnung getan hat, indem Lr der Forderung meiner Gerechtigkeit,
daß du sterben müßtest, entsprach und an deiner Stelle
starb. Und um den Beweis zu liefern, daß die Dahingqbe Seines
Lebens in den Tod mir Genüge getan hat, ließ ich das andere
Wunder geschehen, daß neben dem Wasser auch Blut aus Seiner
Seite floß. So sind beide, das Wasser und das Blut, sprechende
Zeugen von mir aus. —
verstehen wir nun, warum Johannes hier die Reihenfolge
anders setzen und noch ausdrücklich betonen mußte: Nicht in der
reinigenden Kraft des Wassers allein kommt der in der predigt
verkündigte Christus, der Sohn Gottes, zu dem Sünder, kam
Lr im Anfang der Predigt, am und nach dem Pfingsttage, sondern  auch in der sühnenden Kraft des Blutes? So kann das Herz
und das Gewissen des Sünders zur Ruhe kommen.
Doch sind Wasser und Blut an sich tote Zeugen. Ls gehört
ein belebendes Element dazu, das sie dem Menschen zu lebendigen
Zeugen werden läßt. Das ist der Geist, von Dem Zesus den Jüngern
im voraus sagte, daß Lr von Zhm zeugen würde. (Joh. 15,
26.) Darum steht zunächst von dem Geiste allein da, daß Lr Der
ist, der da zeugt. Die Begründung, wieso Lr der Bezeugende ist,
muß beachtet werden: Lr ist die Wahrheit, so wie Jesus von sich
sagt: Zch bin die Wahrheit, und wie Lr von dem Worte des Vaters
sagt in Zoh. s?, daß es die Wahrheit sei. Zesus ist das Wort
in Person. Das Wort des Vaters ist das gesprochene uzid schriftlich
festgehaltene Wort: der Line wie das andere die vollständige
Kundgebung der Gedanken des jetzt in Christus als Vater geoffenbarten
Gottes in bezug auf uns Menschen, ohne daß Lr noch etwas
Nichtkundgegebenes zurückgehalten hätte. Das ist die „Wahrheit".
An die Stelle des im Himmel weilenden Herrn Zesus ist der
herabgekommene Geist getreten, der alles, was Jesus hienieden
war, aufnimmt, der ferner dazunimmt, was Lr jetzt droben ist
und das, was Lr sein wird, wenn Lr geoffenbart wird, sowie das
noch weiterhinaus — in der Ewigkeit — Seiende. Alles dies
nimmt Lr, offenbart es denen, die an Jesus glauben, und ist zugleich
in ihnen die Kraft, die sie befähigt, ihrerseits Zeugen des
verherrlichten Herrn zu sein. Auf diese weise ist Sein Dasein,
Sein Wirken, ja, Seine Person an und für sich dieselbe vollständige
Kundgebung der Gedanken Gottes, wie es der Herr Jesus ist,
und wie das Wort es ist.
Durch die Wirksamkeit des Geistes werden nun das Wasser
und das Blut ebenfalls lebendige Zeugen, so daß es eine Dreiheit
gibt, entsprechend der Dreiheit der Gottheit. Der Geist, sagen
wir. Der aufmerksame Leser des Neuen Testaments wird aber aus
verschiedenen Stellen schon gemerkt haben, daß „Geist" in der
Sprache der Schreiber etwas Sächliches und gleichbedeutend mit
Hauch, Wehen, Wind ist. *) Z. B. Apstgsch. 2, 33: „Lr hat dieses
ausgegossen, was ihr sehet und höret". An dieser Stelle wird unmittelbar
auf den vorher genannten Heiligen Geist und Dessen
Wirkungen Bezug genommen, und doch sagt Petrus nicht „die-
s e n". Lr weist augenscheinlich auf das zurück, was im Anfang des
Kapitels steht. War der „Wind" oder „das Wehen" (Fußnote)
nicht der Heilige Geist? Die Fußnote zu Vers 3 sagt: „e s setzte
sich..". Der Heilige Geist ist „das Heilige Wehen oder Gewehe".
So könnte Zoh. 3, 5—8 auch so gelesen werden: „Ls sei denn, daß
jemand aus Wasser und Wehen (Wind) geboren werde..; was aus
dem Wehen geboren ist, ist Wehen.. .; das Wehen weht, wo es
will..". Dies nur, um auf einen bemerkenswerten Unterschied
So bedeutet auch das Hebräische Vort für Geist: Mnd, Hauch.
3Z2
hinzuweisen: das Wasser, das Blut, das Wehen in unserem Abschnitt
des Briefes sind alle drei sächliche Dinge. Das Heilige Wehen,
der Heilige Geist, ist aber eine göttliche Person. So trägt
denn Johannes dieser Tatsache Rechnung im ?. und 8. Verse und
stellt das Heilige Wehen sowohl wie die beiden Dinge Wasser und
Blut als Personen männlichen Geschlechts hin,
die die Tätigkeit des Bezeugens ausüben, indem er sagt: „Denn
drei sind die Bezeu ger: das Wehen und das Wasser und das
Blut, und die drei (Bezeu g e r) sind auf das eine (Zeugnis) hin
(eingestellt)". Ist das nicht feierlich eindrucksvoll? Ls ist der entsprechende
Auftakt zu der ebenso feierlichen Darlegung in den Versen
9—l 2- Diese Verse bezeugen, was folgt, wenn man diesem
Zeugnis Gottes nicht glaubt, wie anderseits das Annehmen des
Zeugnisses als Lrgebnis sich dahin auswirkt, daß man in dein
Sohne Gottes das ewige Leben hat.
wenn, wie es der Fall ist, der Geist in Vers 6 zunächst allein
das ist, was zeugt, und erst dadurch, daß Lr eingeführt wird, Wasser
und Blut zu zeugenden Persönlichkeiten werden, so ist es selbstverständlich,
daß Lr — die wirkende, belebende Person — in der
Aufzählung aller drei Zeugen im 7. und 8. Verse zuerst genannt
wird. Denn ohne Sein Linwirken würde das Menschenhsrz
das Zeuanis des Wassers und des Blutes nicht erfassen.
5. App.
Bis hierher
Bis hierher hat der Herr geholfen,
hat Seine Güte uns gebracht,
und sorglich hat Sein treues Auge
bis h i e r h e r über uns gewacht.
Za, wie es war, so ist's geblieben! —
wenn manches uns auch nicht gefiel,
zum Heile mußte alles dienen;
es lenkte unsern Blick zum Ziel.
Dahin, wo bald in höh'rem Thore
der Heil'gen Lobgesang erklingt,
wo die verklärte Brautgemeinde
ihr „neues Lied" dem Lamme singt. N. B.
ls in Christo
„Ser Herr ist nahe." sphtl. Z-I
Vierundachtzigster
Jahrgang