​Hedwig von Redern 1866-1935

01/07/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Hedwig von Redern

Geb. 23.4. 1866 in Berlin als Tochter eines preußischen Offiziers. Wechselnde, durch den BerufBN0176.jpg?1673088940913Bücher Francke Verlag des Vaters bedingte Wohnorte. Nach dem • Abschied des Vaters vom militärischen Dienst 1873-1887 auf dem landwirtschaftlichen Familiengut in Wans-dorf/Mark. Nach dem Toddes Vaters wieder in Berlin. Dort das Leben prägende Begegnung mit der werdenden Gemeinschaftsbewegung und ihren führenden Vertretern (vor allem Bernstorff und Pückler). Zunehmende Mitarbeit in mancherlei Aufgaben, besonders literarischer Art.
Entscheidende Dienstberufuiig auf der Blankenburger Allianzkonferenz 1897. Um die Jahrhundertwende Mitbegründerin des Deutschen Frauen-Missions- Gebetsbundes. Viel Reisedienst. Dichterin vieler Lieder. Jahre der Wanderschaft 1920-1935 in Wiesbaden, Gumbinnen (Ostpreußen) und Potsdam. Dort gest. 22. 5.1935.

»Der Meister ist da und ruft dich!«
Die schönsten und sorglosesten Jahre ihrer Kindheit und Jugend hat Hedwig von Redern auf dem väterlichen Stammsitz Wansdorf in der Mark Brandenburg verbracht. Dieser war seit fünfhundert Jahren im Besitz der Familie. Hedwigs erstes nachhaltiges religiöses Erlebnis war ihre Konfirmation, beider sie den Denkspruch erhielt: »Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt; darum fürchte dich nicht!« Bei aller inneren Offenheit war sie aber von dem Glauben als der persönlichen Bindung des Vertrauens zu Jesus noch weit entfernt.
Unter den Konfirmationsgeschenken war eins, das sie ganz besonders entzückte: ihr erster Schreibtisch. Dort entfaltete ihre dichterische Gabe zum ersten Mal die Schwingen. Aber es war noch ein weiter Weg von den ersten gefühlvollen Jungmädchenversen bis zu der Klarheit der Lieder, die dem Ruhm des himmlischen Königs geweiht waren.
Mit dem plötzlichen Tod des heißgeliebten Vaters brach der erste große Schmerz in Hedwigs Leben ein. Wenig später zerstörte ein Brand den größten Teil des väterlichen Gutes. Die wirtschaftliche Lage erlaubte keinen Wiederaufbau. Die Familie mußte eine Mietwohnung in Berlin beziehen. Aus dem äußeren Verlust wurde aber reicher innerer Gewinn. In der damaligen Reichshauptstadt regte sich ein geistlicher Frühling. Bei einer Evangelisation durch den vollmächtigen Elias Schrenk blieb auch Hedwigs Herz nicht unberührt. Sie wurde mit jenen Hausversammlungen in adligen Kreisen bekannt, in denen Grafen, Generäle und andere samt ihren Frauen die Bibel miteinander lasen und sich praktisch - erfahrungsmäßig über das Wort Gottes austauschten Wiedergeburt, Bekehrung, Heiligung waren beliebte Themen. Vor allem machten ihr das lebendige, tätige Christentum der beiden Grafen Andreas von Bernstorff und Eduard von Pückler einen starken Eindruck. Der erstere wurde ihr väterlicher Freund. über ihre eigene Hinwendung zu Jesus hat sie folgendermaßen geurteilt: »Langsam öffnet sich das Herz und läßt den selbstsüchtig gehegten Schmerz fahren. Es ist nicht die plötzliche Bekehrung mit der Uhr in der Hand, es ist das langsame Erschließen einer Pflanze, die der Sonne zugewandt ist.«
Bernstorff, Pückler und ihre Freunde - wie der Forstmeister Eduard von Rothkirch, einer der Väter des Christlichen Vereins junger Männer, und Curt von Knobelsdorff, der Pionier des Blauen Kreuzes in Deutschland - bekannten sich zur innerkirchlichen Gemeinschaftsbewegung, die sich damals in fröhlichem Aufschwung befand, als ihrer geistlichen Heimat. Auch Hedwig von Redern fand dort ganz ihr Zuhause. »Bekehrt, zu dienen dem lebendigen Gott« - dieses biblische Losungswort wurde von Adligen wie von vielen schlichten Leuten glaubensfroh praktiziert. Hedwig von Re-dern begann ihre Mitarbeit als Helferin in der Sonntagschule des Grafen Bernstorff. Köstlich waren ihr schondie Stunden der Vorbereitung, wenn der Graf die biblischen Geschichten erzählte und kindertumlich auslegte Toni von Blücher, eine von den eifrigen neuen »Stadtmissionarinnen«, nahm sie mit in Versammlungen von Postboten, Straßenbahnern, Droschkenkutschern und Polizisten und bei Besuchen in deren Familien.
In diese Anfänge ihrer Reichgottesarbeit fiel für Hedwig von Re-dern die gesegnete Blankenburger Allianzkonferenz des Jahres 1897. Dort griff ein Vers an ihr Herz, den sie zum erstenmal singen hörte und der fortan ihrem Leben für immer die Richtung wies:

»Nur Gefäße, heil'ger Meister; 
doch gefüllt mit deiner Kraft,
laß von dir und durch uns strömen
Liebesmacht und Lebenssaft«

Was sich schon mannigfach bei ihr anbahnte, nun stand es für Hedwig von Redern unverlierbar fest: »Der Meister ist da und ruft dich!« Mit bereitem Herzen ging sie auf den Gebetswunsch eines der Konferenzredner ein: »Der Herr wolle uns alle zu Kanälen machen, durch die lebendige Ströme fließen, damit wir nicht mehr versuchen, für Gott zu arbeiten, sondern ihn durch uns wirken lassen!« Sie schreibt von jenem Erleben (in der dritten Person): »Blankenburg hat ihr im Jahre 1897 die große Gewißheit gebracht, daß Gott sie für seinen Dienst gebrauchen will, so untüchtig sie von sich aus sei, daß er ihr aber für diesen Dienst die Gabe des Heiligen Geistes schenkt und sie dadurch tüchtig macht.«
Was folgte auf die Erfahrung von Blankenburg? Hören wir Alfred Roth, Hedwig von Rederns Biographen: »Nun wird ihr Leben auf die Höhe eines selten vielseitigen und ungewöhnlich fruchtbaren Dienstes gehoben. Sie dient als Dichterin, als Schriftstellerin, als Schriftleiterin (von Blättern), als soziale Helferin, als Stadtmissionarin, als Organisatorin christlicher und humanitärer Werke. Die Fülle dieser Arbeiten könnte den Zuschauer fast verwirren, aber sie selbst geht fest und unbeirrt in dem allen durch Jahrzehnte ihren Weg. Sie weiß gar nicht, was sie alles schafft; ihr gesamtes Arbeiten geht in einer ergreifenden Schlichtheit des Sinnes dahin. «
Am Schreibtisch und im Strom des Lebens
Hedwig von Redern hat den Berufswunsch für ihr Leben einmal in die Worte gefaßt: »Ich möchte eine Feder sein in meines Gottes Hand.« Und das ist sie wirklich geworden nach der Platzanweisung ihres Herrn! Im Jahre 1894 gab sie eine erste kleine Sammlung von Gedichten heraus unter dem Titel: »Schlichte Lieder für schlichte Leute«. Weitere Bändchen folgten in rascher Aufeinanderfolge, es wurden insgesamt ein Dutzend. - Die erste kleine Erzählung stand in dem Blatt »Die Friedenshalle« des Grafen Bernstorff. Sie hieß »Fäden in Gottes Hand« und gab eigenes Erleben aus Hedwig von Rederns Dienst in Krankenhäusern wieder. Sie geriet so gut, daß sie um weitere Beiträge gebeten wurde. Für die Sonntagschularbeit gab sie 36 Jahre hindurch das Kinderblatt »Wehr und Waffe« heraus. 

Es war erstaunlich, wie kindertiimlich sie schreiben konnte. Und noch bei weiteren Blättern war sie Schriftleiterin oder Mitarbeiterin. Die
Polizeibeamten lasen die Erzeugnisse ihrer Feder in ihrem Standes-blatt »Allzeit bereit«.
Doch nicht nur auf Blätter und Blättlein beschränkte sich ihre eifrige literarische Tätigkeit. Sie schrieb auch viele Bücher, am liebsten Biographien. Dabei wandte sich ihre Liebe auch Mystikern und katholischen Gläubigen der vorreformatorischen Zeit und anderer Jahrhunderte zu. Genannt seien ihre Darstellungen von Bernhard von Clairvaux, Franz von Assisi, dem schweizer Nationalheiligen Nikolaus von der Flüe und dem französischen Erzbischof Franois F&neion. Zu diesen und anderen Büchern waren umfangreiche Studien nötig. Hedwig von Redern wagte sich an die Lektüre der vielbändigen Kirchengeschichte von Johann August Wilhelm Neander, vor der sogar Fachgelehrte ein gelindes Grausen verspürten. 

Wir müssen heute urteilen, daß sie in ihrer Vorliebe für die Mystiker - wie sie ähnlich Gerhard Tersteegen geteilt hat— Gefahren übersah, in welche die Mystik fallen und denen sie erliegen kann. Mystik kann sich in den seelischen Erlebnistiefen des Menschen verlieren und den Abstand aufheben wollen, der zwischen dem ewigen, heiligen Gott und dem sündigen Menschen klafft. Nur die im Glauben erfaßte Versöhnung durch Christus stiftet zwischen Gott und Mensch echte Gemeinschaft. 

Hedwig von Redern hat sich mit einer verhältnismäßig einfachen Wesensbestimmung der Mystik begnügt und diese einfach »Erfahrungstheologie« genannt.
Bei den vorbereitenden Studien für ihre Bücher und beim Schreiben derselben »wurde ihr das gemeinsame Band so köstlich, welches die Glaubenszeugen aller Zeiten, aller Länder und aller Stände verbindet, ja welches die streitende und die triumphierende Gemeinde einander so naherückt, als könnte man sich fast die Hände reichen mit denen, die vor uns und gleich uns am Reiche Gottes bauten, Seelen retten halfen und den Namen Jesu zu verherrlichen trachteten.

 Unsere Gegenwart wurzelt ja in der Vergangenheit, wir bauen auf dem Grunde, den andere vor uns mit vielen Kämpfen und großem Glaubensmut, mit Drangabe ihres Lebens und Seins legten.«
Aus der evangelischen Glaubenswelt seien Hedwig von Rederns Bücher über Gerhard Tersteegen und die beiden Väter der deutschen Gemeinschaftsbewegung Bernstorff und Pückler genannt.

 Durch die beiden letzteren - wir hörten es schon - ist ihr eigener Glaubens- und Dienstweg entscheidend mitgeprägt und beeinflußt worden. - Alfred Roth urteilt hinsichtlich der erstaunlichen Personen - und Themenvielfalt im literarischen Schaffen von Hedwig von Redern: »Sie gehörte in ihrer geistlichen Einfalt zu den beneidenswerten Naturen, die wie eine Biene aus allen Blumen Honig saugen können.«

So sehr sich für Hedwig von Redern die Aufgaben am Schreibtisch häuften, so wenig zog sie sich dadurch vom Strom des um sie her flutenden Lebens zurück. Sie wollte immer nahe an den Menschen bleiben und ja nicht deren gegenwärtige Fragen und Nöte übersehen. Dabei lag es ihrem Wesen sehr fern, sich vorzudrängen und sich selber die Aufgaben zu suchen. 

Es war ihr am liebsten, wenn sie von Älteren und Erfahreneren an Lese herangeführt wurde. Mitarbeiterin wollte sie sein, und dabei machte es ihr nichts aus, wenn ihr die schwierige, verborgene, wichtige, aber nicht sonderlich begehrte Partie der »zweiten Geige« zufiel. Sie war eine »personifizierte Nothilfe« und ließ sich überall Dienste zuweisen.
Eine bedeutungsvolle Auswirkung hatte Hedwig von Redens Freundschaft mit Margarete von Oertzen. 1888 lernten die beiden geistesverwandten Frauen einander kennen. Im März 1893 begannen sie ihre erste gemeinsame Arbeit an den Kranken im Moabiter Krankenhaus. Was sie aber vor allem verband - wobei Fräulein Jeanne Wasserzug aus der Bibelschule Malche die Dritte im Bunde wurde -‚ war die Liebe zum weltweiten Missionsdienst. 

Der Deutsche Frauen-Missions-Gebetsbund wurde um die Jahrhundertwende gegründet. Margarete von Oertzen wurde nach einiger Zeit die erste und Hedwig von Reden die zweite Vorsitzende. (Für beide bürgerten sich die Namensabkürzungen M. v. 0. und H. v. R. ein). Die letztere überwand bei Konferenzen des Bundes immer mehr ihre Scheu und Befangenheit im öffentlichen Sprechen und kehrte auch in vielen der einzelnen Kreise ein, die hin und her im Lande entstanden.
In aller nach außen hin sichtbar werdenden Arbeit blieb Hedwig von Rederns wichtigste innere Erkenntnis und Erfahrung: Sie wußte, welche Arbeit sie mit ihren Sünden ihrem Gott machte, und wie die Erlösung vom Ich schwerer ist als die Erlösung von der Welt. 

Die Liebe Christi konnte nur ganz allmählich durchbrechen, und es gab manche innere Kämpfe durchzukämpfen. Gott aber hat sein Kind sehr geduldig und freundlich geführt.« Loskommen vom Ich, von der eigenen Große und Ehre - dieses Thema hat Hedwig von Reden oft in ihren Liedern anklingen lassen. Dafür ein Beispiel:

»Er muß wachsen, ich muß sterben, 
er muß groß sein und ich klein, 
soll zu seinem Kind und Erben 
ich erwählt, bereitet sein.

Und ich küsse seine Hände,
wenn sie es an mir vollbracht, 
hat mein Ich doch bis zum Ende
mir nur Herzeleid gebracht.«

» Wir dürfen nicht ankern hienieden«
So lautet ein Satz aus einem der Verse Hedwig von Rederns. Das hat sich wahrlich in ihrem eigenen Leben erfüllt. Seitdem ihr das Jugendparadies Wansdorf genommen worden war, ist ihr Leben eine stete Fahrt, ein immerwährendes Wandern gewesen. Zwar hat sie in Berlin viele Jahre hindurch mit der geliebten Mutter eine Wohnung geteilt. Aber ihre vielen Reichgottesaufgaben erforderten es immer wieder, daß sie »getrost ihr Wandergerät nahm« und in ganz Deutschland - vor allem im Dienst des Frauen-Missions-Gebetsbundes - umherreiste. Von 1919 an, dem Todesjahr der Mutter, wurde dieser Wandercharakter ihres Lebens noch verstärkt. Auch zwei ihrer Brüder wurden innerhalb kurzer Zeit in die Ewigkeit abberufen. 

Hedwig von Redern folgte nun der Bitte ihres ältesten Bruders, eines hohen Staatsbeamten, ihn an seine wechselnden Dienstorte Wiesbaden und Gumbinnen in Ostpreußen zu begleiten.
Der letztere Ort führte sie weit weg von ihren vielen Freunden im weiten deutschen Reich an dessen östliche Grenze. Sie widmete sich vor allem den Frauen-Missions-Gebetskreisen in Ostpreußen. Diese wuchsen unter ihrer Leitung nach außen und innen. 

Aber auch zur »Bundesmutter« in Rostock, Margarete von Oertzen, zu den Freunden in Berlin und anderswo hörten die Kontakte nicht auf. Als der Bruder in den Ruhestand trat, begann in Potsdam Hedwig von Rederns letzte irdische Lebensstation. Sie reiste mehr als je in ihrem ganzen, vielbewegten Leben.
Schon 1920 war sie nicht ungefährlich operiert worden. Im Oktober 1933 mußte sie zum zweitenmal unter das Messer der Ärzte. Bis dahin hatte sie immer wieder - trotz vieler körperlicher Schwäche und Müdigkeit— zu ihrem »Wandergerät« gegriffen. 

Heilung wurde ihr nicht mehr zuteil. Fortan sorgte auch eine lange, mit viel Schmerzen und leiblichen Demütigungen verbundene Krankheit dafür, daß sie »hienieden« immer weniger vor Anker lag. 

Die Nähe ihres Gottes blieb ihr dabei in allem gewiß. An die 14000 Empfänger des Rundbriefes des Frauen-Missions-Gebetsbundes schrieb sie: »Stunde um Stunde vergeht; ich kann an kein Fach des Schreibtisches allein heran, nichts selbst erreichen; das ist nicht so einfach. Manche Stunde taucht mich auch tief in körperliche Schmerzen; aber keine ist ohne Gegenwart Gottes, ohne Bewußtsein seiner Nähe, ohne die lebendige Freude auf sein Kommen.«

»Eine Harfe, vom König selbst gestimmt«
Eine der inhaltlich und auch der Form nach wertvollsten Dichtungen Hedwig von Rederns ist das Lied: »Wir haben eine Speise, der Welt hier unbekannt« Darin heißt es
» Wir haben einen Tröster voll heiliger Geduld. Wir haben einen Helfer von liebevolle,- Huld. Wir haben eine Freude, die niemand von uns nimmt. Wir haben eine Harfe, vom König selbst gestimmt. «
Diese Harfe tont durch die Lieder unserer Dichterin Diese Harfe hat viele Gläubige zum Lob des Königs, der starb und auferstand und der wiederkommen wird in Herrlichkeit, geführt und sie darin ermuntert. Wir nennen die Anfänge einiger Lieder: »Ich habe nur ein Leben, und das gehört dem Herrn -Hier hast du meine beiden Hände - Näher, noch näher, fest an dein Herz - Du brauchst nichts mehr zu tragen als nur die Last von heut'- Du stehst am Platz, den Gott dir gab - Den Schlüssel zum Herzen, dem kranken, hat Jesus der Hirte, allein - Ach nein, das ist kein Sterben, wenn Christen heimwärts gehn«.
Zu drei Liedern seien noch einige Anmerkungen gemacht. Das erste ist das bekannte:
» Weiß ich den .Weg auch nicht, du weißt ihn wohl; das macht die Seele still und friedevoll.
ist's doch umsonst, daß ich mich sorgend müh',
daß ängstlich schlägt mein. Herz, sei's spät, sei's früh.«
Das Lied hat seine wohl größten Stunden gehabt, als es die deutschen Menschen tröstete, die im Frühjahr 1919 von den Bolschewisten in der Stadt Riga im Baltenland eingekerkert worden waren. Eine Mitgefangene, die zweiundzwanzigjährige Baronesse Marion von Klot, stimmte es jeden Tag ihren Leidensgefährten zum Trost an. 

Die Unglücklichen lebten sechs Wochen der Qual aus den überirdischen Quellen des Wortes Gottes und des Liedes Hedwig von Rederns. Als die deutschen Befreier die Stadt stürmten, erschossen die Bolschewisten noch sechsunddreißig Männer und Frauen, darunter die junge Sängerin, die glaubend und hoffend daran festhielt:
»Du weißt, woher der Wind so stürmisch weht, und du gebietest ihm, kommst nie zu spät. Drum wart ich still, dein Wort ist ohne Trug, du weißt den Weg für mich, - das ist genug. «
Als 1930 »Mutter Eva« von Tiele-Wmckler von den Diakonissen des Mutterhauses »Friedenshort« in Miechowitz (Oberschlesien) zu Grabe getragen wurde, sangen diese auf dem stillen Schwesternfriedhof zum Abschied das Lied Hedwig von Rederns, das mit den Worten beginnt
»An dem Fuß des Kreuz esstammes,
wo du, Herr, gestorben bist,
lege ich zum Preis des Lammes
hin mein Leben, wie es ist.
Das ist Seligkeit,
wenn ein armes, armes Leben
ist ihm ganz geweiht!«
Wie oft ist schon bei Gedächtnis- und Trauerfeiern, aber auch am Ende von Abendmahlsfeiern und bei andern Gelegenheiten, das Lied angestimmt worden:
»Wenn nach der Erde Leid, Arbeit und Pein ich in die goldenen Gassen zieh ein, wird nur das Schaun meines Heilands allein Grund meiner Freude und Anbetung sein!«
Bei einer großen Gemeinschaftskonferenz fand das abschließende Abendmahl statt. Es war den Versammelten, als ob der Himmel sich über ihnen öffnete. Sie spürten die Kräfte der zukünftigen Welt. Die feiernde Gemeinde ging in großer Stille aus der Kirche! Draußen aber stimmte irgend jemand das Lied an: »Wenn nach der Erde Leid, Arbeit und Pein.. .« 

Bald waren der ganze Kirchplatz und die einmündenden Straßen voller Gesang. Die Menschen der Großstadt lauschten auf. Ein alter hinfälliger Mann faßte nach der Hand seiner Gattin, während in seinen Augen der Blick des Friedens und der Hoffnung lag: »Nun habe ich noch einmal dieses Lied im Kreis der Gemeinde singen dürfen.«
Arno Pagel ISBN 3-88224-056-3