Die aufrichtige, tiefe Liebe zwischen zwei jungen Menschen, von denen der eine Jesus ablehnt, führt den Glaubenden schließlich in die Entscheidungsstunde, wo der andere von ihm verlangt: "Jetzt musst du wählen! Entweder Jesus - oder mich!"
Kindheitstage in Ostpreußen
Nun habe ich viel Zeit. Im Krankenzimmer liege ich. In dem großen Saal liegen noch 10 Patienten außer mir. Mein Trost ist, daß mein Bett am Fenster steht. Wenn ich mich auf die rechte Seite drehe, was noch etwas mühsam ist, habe ich einen wunderbaren Blick auf die Stadt, die jetzt im Glanz der untergehenden Sonne vor mir liegt. Die schöne Aussicht versöhnt mich etwas mit dem Kranksein.
Der Krankensaal liegt im fünften Stock, sehr wenig Häuser sind so hoch, wie dieses Krankenhaus. Nur der Turm der ganz nahen Kirche kann mit der Höhe konkurieren. Irgendwie ist der Anblick der Kirche tröstlich. Ich versuche mir vorzustellen, wie schön es sein wird, wenn ich wieder zu einem Gottesdienst gehen darf. Aber das wird wohl noch lange dauern. Der Doktor sagte mir heute, als wichtigste Medizin verschreibt er mir das Kräutlein Geduld. Geb es das doch, daß man so ein Kraut essen könnte, ich nähme gleich die doppelte, wenn nicht gar die dreifache Portion. Nie war Geduld meine Stärke, und das Herz rebelliert, wenn ich daran denke, daß es viele Wochen werden, die ich hier zubringen muß.
Wie soll es nur zu Hause weitergehen ohne mich? Mein unbeholfener Mann, der junge? Kein Essen wird da sein, wenn sie müde vom Dienst kommen. Aber das darf nun vielleicht Mary, unser schwarzes Mädchen, ihnen kochen. Doch wie wird ihnen das schmecken? Und
unsere beiden Dackel, ich sehe sie überall ihr Frauchen suchen, und dann mit traurigen Augen in ihrem Korb liegen, wenn sie es nicht finden. Wäre doch nur unsere Tochter zu Hause! Aber Godula ist so weit weg, auf keinen Fall soll sie ihr Studium unterbrechen. Das erst,- Semester , t schwer genug. Wie war das Kranksein leicht, wenn mein Mädchen daheim war. Wie ein kleiner Sonnenstrahl huschte sie dann durch das Haus und alles lief wie am Schnürchen. Dann zeigte sich immer, daß Godula viel mehr leisten konnte als die Mutter ihr zugetraut hatte. Die Schularbeiten freilich wurden des Nachts gamicht, aber so selbstverständlich und leise, daß ich kaum etwas davon merkte. Ach, mein kleines, großes Mädchen, wie fehlst du mir!
Am schwersten fällt es mir, hier mit so viel fremden Menschen das Zimmer zu teilen. Oft kann ich nicht schlafen oder nur sehr wenig. Und auch das Beten fällt schwer, das Herz ist zu unruhig. Die anderen Patientinnen scheinen sich besser mit ihrem Kranksein abzufinden. Fast a'le sind sehr redseli ;, ihre Krankheitsgeschichten erzählen sie sich gegenseitig in rührender Ausführlichkeit. Und nicht nur die eigenen, manchmal reichen sie zurück, bis zur Großmutter, wenn nicht gar zur Urgroßmutter. Jetzt freue ich mich fast, daß mein Englisch und Afrikaans so schlecht ist, dann brauche ich nicht alles mit anhören und kann dabei lesen. Aber immer lesen kann man auch nicht.
Heute vormittag, als ich ganz verzweifelt war, der Arzt hatte nach der Visite gesagt, daß meine
Wunde sehr langsam heilen werde, gab es zwei Lichtblicke. Der erste war der, daß ich ein Radio mit Kopfhörern bekam. Eine ganz vorzügliche Einrichtung. Ich nehme die Kopfhörer, drehe ein wenig an dem kleinen Apparat und bin allein mit schöner Musik, die mich ganz leise und zart erreicht. Gesegnet sei der Mensch, der diesen Wunderapparat erfand.
Der zweite Lichtblick ist ein Brief von Godula. Sie weiß nun von meiner Operation, Vater hat es ihr doch geschrieben. Sie ist sehr erschrocken, besorgt und voll liebevoller Teilnahme. Aber dann steht da noch etwas Sonderbares in dem Brief. Ich mußte zuerst fast darüber lachen: „Liebe Mutti, nun hast Du soooooo viel Zeit, willst Du jetzt nicht meinen, Dir schon so oft gesagten, Herzenswunsch erfüllen? Bitte, bitte tue es doch! Weißt Du noch, als ich ihn Dir das allererste Mal sagte? Und später dann immer wieder. Wir beide sahen Photographien miteinander an. Das tat ich doch so gern. Und am allerliebsten das Hochzeitsbild von Dir und Vater, meinem richtigen Vater, den ich nicht kenne und doch soviel von ihm weiß, weil Du so oft von ihm erzählt hast. 0 wie schön warst Du als Braut mit Deinem ~veißcn langen Kleid." Bis dahin konnte ich lesen, da mußte ich erst ein paar dumme Tränen wegwischen. Weiter: „Und weißt Du noch, wie ich dann das große Hochzeitsbild immer wieder anschaute, wo Du und Vater mit all Euren Gästen photographiert seid? Dabei interessierten mich am allermeisten die Kinder. Wie stolz war ich, als ich sie schon allein zählen konnte. Waren es nicht elf, die mit Euch feiern durften? Und dann sagte ich: Mutter, so viel Kinder hattest Du eingeladen, und warum hattest Du mich nicht mitgenommen?' Gar nicht konnte ich verstehen, daß Du dann ganz leise lachtest und sagtest: Da war ja mein Spatz noch beim lieben Gott.' Wann fing ich denn an, Mutter, wann fingst Du an? Wie oft hast Du mir erzählt, daß ich so gefragt habe, und jedes Mal danach bettelte: Mutter, erzähl' mir doch von Dir als Du noch klein warst, und was Du alles erlebt hast.'
Manchmal nahmst Du mich dann auf Deinen Schoß und erzähltest aus Deinem Leben. Aber immer war das zu wenig für mich. Ich weiß, Du hattest nicht immer die Zeit dazu. Und ais ich größer war, sagtest Du auch manchmal: Ach Kind, Erinnerungen tun so weh, vielleicht später.' Ich aber war hartnäckig und quälte Dich oft mit der Bitte: Erzähle mir doch alles, alles von Dir.' Und dann gab es oft Tränen, und Du mußtest böse werden, weil Du nicht aufhören solltest mit dem Erzählen. Mutter, Du bist doch der liebste Mensch für mich auf Erden! Ich möchte so gern alles, alles von Dir wissen, aus Deinem Leben. Was Du jetzt sagst, weiß ich. Dein Leben wäre so gering, so wenig bemerkenswert, so klein und nichtig. Ich weiß, nicht jeden wird es interessieren wie gerade mich, aber für mich ist alles groß, wichtig, und die kleinste Kleinigkeit mußt Du mir mitteilen. Zum Erzählen haben wir nun beide keine Gelegenheit, aber aufschreiben kannst Du es doch, Du schreibst doch so gern.
Und nie las ich etwas lieberes als Deine Briefe. Mache es doch gerade so, als schriebst Du mir jeden Tag einen Brief. Tust Du es, liebe Mutter? Dann geht für Dich die Zeit besser herum und mich machst Du sehr glücklich." - Ein ganzer Tag und eine ganze Nacht ist vergangen. Godulas Brief liegt in meiner Bibel. Ab und zu am Tage lese ich darin. Dann knistert der Brief, und es ist mir, als höre ich Godula daraus sprechen: „Nun, Mutter, wann beginnst Du?" Ich weiß jetzt, daß ich es tun werde. Vielleicht hat es doch einen Zweck, daß ich hier so lange stille liegen muß. Und nicht nur den, den der Doktor manchmal scherzweise äußert, wenn er an mein Bett kommt: Abwarten - - - und Tee trinken.
Aber wo soll ich nun beginnen? Vielleicht so, meine liebe, kleine Godula (dabei bist Du einen Kopf größer als Deine doch etwas zu klein geratene Mutti). Ich nehme Dich jetzt einfach an die Hand und wandere mit Dir zurück in mein Kinderland. Der Weg dorthin ist weit, sehr weit, ich bin doch schon recht alt mit meinen 46 Jahren. Nicht wahr, das meint man doch, wenn man so um 20 ist? - Und dann soll es Schritt für Schritt weiter gehen. Eigentlich allerhand, findest Du nicht auch, Godula? Das kann doch nicht jedes Kind, mit der Mutter zusammen alles erleben, auch Kindheit, Jugendleben. Und wenn ich jetzt einmal ausrechnen könnte, wieviel Kilometer es sind, bis wir dahin kommen, wo mein Kinderland liegt. Ich weiß, es würden viele 1000 Kilometer sein.
Format: 12 x 19 cm
Seiten: 165
Verlag: Born Verlag
Erschienen: 1962
Einband: Hardcover mit Schutzumschlag