Evangelium
©CSV Hückeswagen
Betrachtung über das Evangelium nach Lukas - J.G.Bellett
Einleitung
Jedes der vier Evangelien hat seinen eigenen Zweck. So gibt auch der Evangelist Lukas, obgleich er nur ein anderer Zeuge derselben göttlichen Wahrheiten ist, seinem Evangelium einen besonderen Charakter. Wenn er auch mit den Berichten der anderen Evangelisten im allgemeinen übereinstimmt, verfolgt der Geist der Offenbarung bei ihm doch eine besondere Absicht.
Aber dieser verschiedenartige Dienst des einen Geistes durch verschiedene Evangelisten ist nicht Ungereimtheit, sondern Fülle und Mannigfaltigkeit. Das Öl, mit dem Aaron gesalbt wurde, welches sinnbildlich von der Fülle und Kraft redet, die auf unserem anbetungswürdigen Herrn ruhten, wurde aus verschiedenen wohlriechenden Gewürzen zubereitet: Myrrhe, Würzrohr, Kassia und Zimt (2. Mose 30). Wir können sagen, daß es die Aufgabe eines jeden Evangelisten war, die verschiedenen Bestandteile dieser ausgezeichneten, wohlriechenden Mischung des Heiligtums hervorzubringen, um die verschiedenen Vorzüglichkeiten und Vollkommenheiten in dem Herrn Jesus auszudrücken. Denn wer könnte alle zusammen berichten? Es war genug Freude und Ehre für jeden Diener, so bevorzugt er auch durch solche vertraulichen Offenbarungen war, eine einzige von ihnen aufzuzeichnen. Der Gläubige hat den köstlichen Genuß von allen zusammen, und in der für ihn passenden Sprache kann er sich zu dem Geliebten wenden und sagen: "Lieblich an Geruch sind deine Salben, ein ausgegossenes Salböl ist dein Name" (Hohel. 1, 2).
Inmitten dieser unter die Evangelisten verteilten Dienste nimmt Lukas seinen besonderen Platz ein. In Matthäus begegnet der Herr den Juden als der Messias, in Markus einer notleidenden Welt als der Diener ihrer Bedürfnisse, in Johannes der Kirche oder himmlischen Familie als der Sohn des Vaters, um sie für ihre himmlische Heimat zuzubereiten. Aber hier in Lukas beschäftigt Er sich mit der menschlichen Familie, um mit ihr als der einzige wahre Sohn des Menschen zu sprechen.
"Sohn des Menschen" ist ein Titel von sehr weitgehender Bedeutung. Er bezeichnet den Menschen in seiner Vollkommenheit, den Menschen nach den Gedanken Gottes. Er sagt uns gewissermaßen, daß der Mensch in dem Herrn Jesus als etwas ganz Neues dasteht und daß wir in Ihm alle nur denkbare menschliche und sittliche Schönheit sehen. Aber nicht nur ist alle moralische Vollkommenheit in dem Titel "Sohn des Menschen", wenn er auf den Herrn Jesus angewandt wird, ausgedrückt, sondern auch alle Seine Leiden und alle Seine Würden sind mit Ihm als solchem verbunden. Als Sohn des Menschen war Er erniedrigt (Psalm 8), abe als solcher ist Erauch erhöht zur Rechten der Majestät in der Höhe (Psalm 80). Als Sohn des Menschen hatte Er nicht, wo Er Sein Haupt hinlege (Luk. 9, 58); aber in der gleichen Eigenschaft kommt Er auch zu dem"Alten an Tagen", um das Reich zu empfangen (Dan. 7, 13. 14). Als Sohn des Menschen ist Ihm das Gericht übertragen (Joh. 5,27), ist Ersowohl Prophet alsauch Priester und König, Erbe und Herr aller Dinge, Haupt und Bräutigam der Versammlung. Als Sohn des Menschen hat Er Gewalt, auf der Erde Sünden zu vergeben (Matth. 9, 6), und ist Er Herr des Sabbaths (Mark. 2, 28), aber Er war als solcher auch drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde (Matth. 12, 40). Er war der unermüdliche Säernann des Samens, und Er wird als Sohn des Menschen auch der glorreiche Schnitter der Ernte sein. Als solcher wurde Er gekreuzigt und stand Er wieder auf (Matth. 17, 9. 22. 23), aber währenddessen hatte Er als solcher Seinen eigentlichen Platz im Himmel (Joh. 3, 13.14). Und als der Sohn des Menschen ist er auch der Mittelpunkt aller Dinge, sowohl der himmlischen als auch der irdischen (Joh. 1, 51). Denn in Seinem Bilde hatte Gott vor alters den Menschen geschaffen, aber nachdem der erste Mensch, der von der Erde war, dieses Bild zerstört hatte, stellte der Sohn Gottes es wieder her und erfüllte als Mensch den göttlichen Ratschluß, indem Er ihn in Seiner Person auf jenen Platz der Ehre und des Vertrauens setzte, den Gott ihm ehemals zugedacht hatte.
So ist dieser Titel oder Name des Herrn "Sohn des Menschen" sehr umfassend. Er ist mit Seiner Person, mit allen Seinen Leiden, aber auch mit allen Seinen Würden verbunden, ausgenommen natürlich jenen, die Er in Sich selbst als "Gott über alles, gepriesen in Ewigkeit" besitzt. Er ist der gesalbte Mensch, der von dem Heiligen Geist errichtete und von Ihm erfüllte unbefleckte menschliche Tempel (Luk. 1, 35; 4, 1). Er ist der erniedrigte Mensch, der Mann der Schmerzen, der hinabstieg bis zum Tode am Kreuze (Phil. 2), aber Er ist auch der erhöhte, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönte Mensch, der später alle Herrschaft ausüben wird (Hebr. 2). Als Sohn des Menschen beschäftigt Er sich mit dem Menschen; und in dieser Tätigkeit stellt uns der Evangelist Lukas Ihn besonders vor. In diesem Evangelium verkehrt Er mit der menschlichen Familie. Er kam als der gesalbte Mensch, um den Menschen nach den Gedanken des Himmels darzustellen und Gott inmitten der menschlichen Familie zu vertreten, die sich so weit von Ihm abgewandt hatte. Er war der einzige gänzlich Unbefleckte; und so stellte Er, während Er in ihrer Mitte aufwuchs, alles um Sich her bloß. Das war Sein Zweck. Um dies in vollkommener Weise zu tun und durch Sich selbst den Menschen nach den Gedanken Gottes darzustellen, aber daneben auch den in Sünde gefallenen Menschen zu offenbaren, wird Er in diesem Evangelium ganz besonders als der Umgängliche gesehen, der sich mit den Menschen beschäftigt, ihre Aufenthaltsorte aufsucht, sich überall hinbegibt und von allen zu finden und für alle zugänglich ist. So haben wir Ihn hier im Lukasevangelium.
Wir möchten auch noch auf die ganz besondere Eignung des Schreibers für diese spezielle, ihm übertragene Aufgabe aufmerksam machen. Denn wir hören im biblischen Bericht von Lukas, daß er der Begleiter des Apostels der Nationen war (Apg. 16, 11 14; 2. Tim. 4, 11; Philem. 24). Er wurde in der Arbeit jemand zugesellt, dessen Dienst, wie wir sagen keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen machte, sondern dem Menschen allgemein galt. Und wir glauben auch, daß er selbst ein Heide gewesen ist. Sein Name ist heidnischen Charakters, und er scheint in Kolosser 4, 14 von den Brüdern aus der Beschneidung unterschieden zu werden.
Nachdem wir so den allgemeinen Zweck unseres Evangeliums aufgezeigt und die Person des Schreibers beschrieben haben, möchten wir es der Reihe nach betrachten. Aber nichts anderes als die Freude des Herrn in uns selbst und Sein Lob in den Gedanken Seiner Heiligen soll uns gerade auf so heiligen Pfaden leiten, wie sie uns hier vorgestellt werden. Es sollte die gemeinsame Freude aller Seiner Geliebten sein, Ihm in allen Seinen Wegen nachzuspüren. Denn wo anders könnten wir unsere ewigen Freuden haben, wenn nicht in Ihm und bei Ihm, und was ist unserer Freude wohl zuträglicher als der Herr Jesus und Seine Wege? Gibt es irgendwelche Freude in irgendeinem Gegenstand, die wir nicht in Ihm fänden? Welche Gefühle oder Zuneigungen, außer denen, die in Ihm zu finden sind, können unsere Herzen ersehnen und befriedigen? Bedürfen wir der Liebe, um glücklich zu sein?
Nun, wo gab es je eine Liebe wie die Seine? Wenn Schönheit unser Herz anziehen kann, ist sie nicht in Vollkommenheit in dem Herrn Jesus? Wenn Schätze des Gemüts in anderen uns erfreuen, wenn Fülle und Mannigfaltigkeit uns befriedigen und erfrischen, haben wir dies alles nicht in der ganzen Fülle der uns geoffenbarten Gesinnung Christi? In der Tat, Geliebte, wir sollten unsere Herzen auffordern, ihre Freude in Ihm zu finden. Denn so sollen wir Ihn in alle Ewigkeit kennen. Die Vollkommenheiten und Schönheiten Seines teuren Wortes kennenzulernen, ist eines der vielen uns gegebenen Hilfsmittel, wodurch diese Freude im Herrn in unseren Seelen erhöht wird.
Wie wenig kennen wir davon! Möge daher diese Betrachtung durch die Wirksamkeit des Geistes diesem Zweck in uns allen dienen, zur Verherrlichung des Herrn!
Allgemeine Gliederung des Evangeliums nach Lukas
Man wird, wie wir mit Sicherheit glauben, bei unserem Evangelisten eine wie man es nennen kann sittliche Anordnung seines Stoffes feststellen. Jedoch liegt in der Reihenfolge der Geschehnisse eine schöne geschichtliche Klarheit. Die nachfolgende Einteilung der einzelnen Abschnitte dieses Evangeliums, die man als eine Art Inhaltsverzeichnis betrachten kann, wird dies zeigen.
I Die Geburt und Jugend Christi Kap. 1 und 2
II Seine Taufe, Abstammung und Versuchung Kap. 3 und 4
III Sein Dienst in Galiläa Kap. 5 bis Kap. 9, 50
IV. Seine Reise nach Jerusalem Kap. 9, 51 bis Kap. 19, 27
V. Sein Einzug dort und alles, was darauf folgte, bis zu Seiner Kreuzigung Kap. 19, 28 bis Kap. 23
Vl. Seine Auferstehung und ihre Ergebnisse Kap. 24
Dies ist die allgemeine Reihenfolge der Ereignisse, und ihre Gliederung ist einfach und schön. Da aber unser Herr besonders in diesem Evangelium der Lehrer ist und sich mit den Menschen beschäftigt, werden wir doch große Wahrheiten und Grundsätze in einzelnen Teilen finden. Die reine Zeitfolge ordnet sich diesem sittlichen Zweck unter, und unsere Absicht in diesem Buch ist (verbunden mit allgemeinen Betrachtungen), das zu behandeln, was charakteristisch ist.
Kapitel 1 und 2- Diese beiden Kapitel wollen wir zusammen betrachten.
Gleich zu Beginn entdecken wir etwas auffallend Charakteristisches. Lukas schreibt seinem Freund Theophilus. Zweifellos war er sein Freund in göttlichem Sinne, sein Geliebter im Herrn, sein Genosse in der Liebe Gottes, und er redet ihn an in der Hoffnung, daß sein christlicher Freund und Bruder durch dieses Evangelium, das er zu veröffentlichen im Begriff stand, in allem, was ihn und Lukas miteinander verbunden hatte, fester gegründet werden und Fortschritte machen mochte. Aber das geschieht alles in einer für Lukas bezeichnenden Art, nämlich mit der Güte menschlicher Zuneigungen, die ihn mit Theophilus verbanden. Ferner berichtet er ihm von seiner eigenen persönlichen Kenntnis der Dinge, über die er zu schreiben im Begriff war, was kein anderer Evangelist tut, und auf diese Weise bringt er etwas von einem menschlichen Stil in diese heilige Aufgabe. Er stellt sich uns gewissermaßen vor als jemand, dessen menschliche Fähigkeiten und Zuneigungen in den ihn beschäftigenden Dingen geübt worden sind und der einen anderen über diese Dinge in derselben Weise anspricht.
Aber obgleich seine Worte diesen menschlichvertraulichen Ton annehmen und in einem Kanal von Mitteilungen eines Freundes an den anderen zu fließen scheinen, ist der Heilige Geist in jedem Gedanken und Wort unseres Evangelisten doch gerade so klar und vollständig, als teile er etwas mit, wovon er keine persönliche Kenntnis hatte. David kannte Gottes Verheißung, daß Er den Christus erhöhen und auf seinen Thron setzen würde, und doch sprach er durch Inspiration als ein Prophet von der Auferstehung (Apg. 2,30. 31). Der Herr selbst gab Seinen Aposteln Befehle, und doch wird uns gesagt, daß Er es durch den Heiligen Geist tat (Apg. 1, 2). Das alles dient dazu, uns die gleiche, volle Inspiration des göttlichen Wortes sicher zu machen. Sei es der Herr, der Seinen Aposteln befiehlt, oder sei es Lukas, der sich seinem Freunde mitteilt, das eine wird weder bloß aus der persönlichen Kenntnis des Herrn, noch das andere aus der persönlichen Kenntnis des Lukas heraus getan, sondern beides gelangt zu uns unter dem Siegel des Heiligen Geistes.
Nach dieser einführenden Anrede an seinen Freund kommt Lukas auf seinen Gegenstand in aller nur denkbaren Schlichtheit zu sprechen, so groß und gesegnet dieser auch ist. Nichts kann zu seiner Zeit vollkommener sein. Die erhabene Sprache, in der Johannes seine heilige Aufgabe beginnt, den Sohn Gottes zu schildern, entspricht ganz dem Charakter eines so hohen Vorhabens. Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott." Das macht sofort klar, welche Art Offenbarung kommen werde. Aber hier haben wir etwas davon ganz und gar Verschiedenes, jedoch an seinem Platz ebenso Vollkommenes Es war in den Tagen Herodes', des Königs von Judäa, ein gewisser Priester." Es klingt wie eine einfache Erzählung, wie eine Geschichte früherer Tage, als die Wahrheit noch klar und ungeschminkt zu sein pflegte. Die Aufmerksamkeit ist im Augenblick gefesselt, entzückt von diesem ungekünstelten Bericht von Gottes geschickter Hand. Sie leitet die Gedanken, obwohl in die tiefsten und wunderbarsten Szenen, dennoch so sanft, daß das Herz wie mit starken Seilen angezogen wird. Wir mögen noch nicht wissen, wohin wir geführt werden, aber der Geist der Offenbarung hat uns fest bei der Hand, um uns zu leiten, wohin es Seiner Gnade und Weisheit gefällt.
Auch die augenblickliche Szene ist hierdurch gekennzeichnet. Sie stellt uns mitten in häusliche Verhältnisse mit ihren menschlichen Gefühlen und Zuneigungen. Wir hören von den die Geburt des Täufers begleitenden Umständen und von seinem Elternhaus. Aber so einfach dies alles ist, liegen darin doch Geheimnisse verborgen.
Zacharias und Elisabeth erscheinen vor uns wie Abraham und Sara, Isaak und Rebekka, Elkana und Hanna in früheren Tagen. Sie waren gerecht, aber kinderlos. Sie befanden sich gerade an dem Platz, an den der letzte Prophet Israels den treuen Überrest gestellt hatte: sie gedachten des Gesetzes Moses (Mal. 4) und wandelten untadelig in den Satzungen des Herrn. Dennoch waren sie kinderlos und somit Zeugen an sich selbst, daß alle ihre Kraft in Gott gefunden werden mußte, der durch denselben Propheten einen Wiederhersteller verheißen hatte. Ihr gerechter Wandel in den Satzungen war ebensosehr eine Vorbereitung auf den verheißenen "Boten", wie die Annahme des Boten danach eine Vorbereitung auf den "Herrn des Tempels" hätte sein sollen. Solchen wird also jetzt Elia, der verheißene Bote, gegeben, und seine Geburt leitet, wie wir hier sehen, über zur Geburt des verheißenen Herrn des Tempels (Mal. 3), vor dessen Angesicht er hergehen sollte, so wie die Dämmerung das volle Tageslicht ankündigt.
In der Art dieser beiden Geburten bemerken wir demzufolge einen Unterschied. Johannes, ein Kind der Verheißung, wird durch eine besondere Gnade Gottes geboren, indem Er bei der Mutter eine natürliche Fähigkeit wiederherstellt. Der Herr Jesus jedoch, der Sohn Gottes, wird nicht durch irgendeine Begabung der Natur, sondern weit über alle Natur hinaus durch den Heiligen Geist geboren. Der eine ist das Kind eines unfruchtbaren Weibes, der Andere das Kind einer Jungfrau. Und das ist ein wunderbarer Unterschied. Elisabeth war die Mutter des Geretteten, Maria die des Retters. Elisabeths Kind war geheiligt, Marias Kind jedoch der Heiligende. Welch ein gewaltiger Abstand! Das Kind eines unfruchtbaren Weibes ist immer das Symbol des Geretteten oder der Familie Gottes gewesen; denn es redet zu uns von der Gnade und der Gabe Gottes für die Unvermögenden und Bedürftigen (Jes. 54, 1; Joh. 1, 13; Röm. 9, 8). Aber der Herr Jesus war das erste und einzige Kind einer Jungfrau; und das zeigt uns, daß Er, obgleich Er der Kinder wegen an Fleisch und Blut teilgenommen hat, in der Fülle Seiner Person erhaben ist über alle Natur.
So ist hier die Dämmerung, und so der helle Tag. Es sind dies der Prophet des Höchsten und der Höchste selbst, der Bote und der Gott Israels. Bis jetzt war alles nur Finsternis gewesen. Die Haushaltung des Gesetzes (als ein Bund der Werke) hatte nur erwiesen, daß der Mensch Finsternis war, und hatte ihn auch dort gelassen. Sie hatte als ein Zeugnis besserer Dinge, die kommen sollten, nur deren Schatten gespendet. Sie leuchteten gleichsam wie Sterne in der Nacht und bezeugten, daß es immer noch Nacht auf der Erde war. Aber jetzt nahte ein anderer Zeitabschnitt – die Zeit, in der Gott erscheinen sollte, und "Gott ist Licht".
Eine solche Zeit wird hier eingeleitet, und zwar mit allem ihr gebührenden feierlichen Ernst, aber auch voller Freude und Freiheit, deren sich der erhabene Gott immer bedient, wenn Er hervortritt. Die Grundlagen der ersten Schöpfung wurden mit Jubel und Jauchzen gelegt (Hiob 38, 7). Und das war das Unterpfand des Himmels, daß Gott Seine Geschöpfe glücklich zu machen beabsichtigte. Diese Absicht war in der Tat notwendig, denn "Gott ist Liebe". So ist es in diesen Kapiteln. Die Grundlagen einer anderen Schöpfung werden hier in dem Kind von Bethlehem gelegt, und wieder ist alles Freude, sowohl im Himmel als auch auf der Erde.
Gott erscheint aufs neue, und da muß Freude sein, denn Kummer kann nicht weilen, wo Er ist. "Majestät und Pracht sind vor seinem Angesicht, Stärke und Freude in seiner Wohnstätte" (1 Chron. 16, 27). Das Brot der Trauer darf nicht in Seinem Heiligtum gegessen werden; denn sowohl Freude als auch Heiligkeit wohnen dort. So ist auch hier alles Freude. Heerscharen von Engeln bringen Lob dar, die Hirten wiederholen die gute Botschaft dieser wunderbaren Ereignisse, die Lippen Marias, Zacharias' und Elisabeths werden aufgetan, um die Wunder der Gnade zu erzählen; die Erwartung des alten Simeon hat sich erfüllt, die Witwenschaft der Prophetin Anna ist vorüber und das Kind selbst hüpft im Mutterleib vor Freude. Alte Männer und junge Mädchen, junge Männer und Kinder alle haben in diesem Augenblick ihren Anteil an einer reicheren Freude als damals, da die Morgensterne mit einander jubelten. Die Freude der Schöpfung hörte leider bald auf, und Seufzen wurde stattdessen gehört; denn der Mensch befleckte sehr bald Gottes Werk. Und doch wurden ihre Grundlagen unter Jubel gelegt. So ist es auch hier. Wie bald mag die Freude in dieser bösen Welt zum Schweigen gebracht werden und die Tochter Zion sich als dafür nicht zubereitet erweisen! Wir können daraus lernen, daß Gesänge des Himmels, fallen sie auf ein träges Herz, keine Antwort auf der Erde erhalten; aber dennoch werden die Grundlagen dazu, wie bei dem früheren Werk Gottes, in heiliger Freude gelegt.
Wie eindrucksvoll entfalten sich diese Kapitel vor unseren Augen! Eine lange und traurige Zeit seit den Tagen der Rückkehr aus Babylon war vorüber, und der Morgen bricht nun an. Die Himmel sind geöffnet, und die Wüsten Israels werden wieder heimgesucht.
Wer hatte vorher mit einem solchen Tag gerechnet? Der Priester war an dem gewohnten Altar, die Jungfrau von Nazareth zu Hause in den üblichen Umständen des menschlichen Lebens, und die Hirten bewachten wie immer die Herde, als die Herrlichkeit des Herrn leuchtete und aufs neue aus der Gegenwart Gottes schien. Und Gabriel kann ohne Zurückhaltung am heiligen Ort bei dem Priester stehen und ohne Hemmung in der armen Behausung der Jungfrau weilen. Ungezwungenheit und Gnade sind die Merkmale dieser himmlischen Besuche glückliche Pfänder kommender, noch glänzenderer Tage! Aber der Bote Gabriel, obwohl er am Altar steht, steigt nicht, wie der Engel Jehovas vor alters (Richter 13, 20), in der Flamme des Altars empor, noch spricht er, obwohl er im Tempel steht, von sich selbst, daß er größer sei als der Tempel, wie später JesusJehova. Denn er hat nur seinen Platz als Diener auszufüllen und nimmt daher keinen höheren ein.
Das ist sehr gesegnet, wie alles andere auch. Aber diese Tage werden ein noch helleres Original in den Tagen des kommenden Reiches haben: die Ungezwungenheit und Gnade, der Glanz und die Freude werden größer sein als bisher gekannt. Die Unterpfänder werden mehr als nur eingelöst werden, denn das ist die Weise unseres Gottes. Er wird das Tun Seiner Hände deutlich und klar machen und die Verheißungen Seiner Gnade durch Seine Segnungen weit übertreffen.
Beschäftigen wir uns auch noch mit den herrlichen Aussprüchen des Geistes durch Seine Gefäße und Kanäle in diesen Kapiteln! Weiche Fülle von Gedanken und Gefühlen quillt von den Lippen Marias, Zacharias' und Simeons!*) Und wie beglückend ist es, wenn unsere Herzen in Übereinstimmung mit ihnen etwas von diesen Empfindungen ausfließen lassen und ein wenig von diesen geistlichen Zuneigungen erfüllt sind! Aber wir kennen die Trägheit unserer Herzen nur zu gut.
*)Die Juden schrieben oft, wie wir wissen, über ihren Messias unter dem Namen "Menachem', d. h."Tröster", wie von Simeon hier gesagt wird, daß er auf den "Trost Israels" wartete, d. h. auf den Messias. Und es liegt der Gedanke nahe, daß dies den Herrn selbst veranlaßte, von dem Heiligen Geist als von dem "anderen Sachwalter" oder "Tröster" zu sprechen.
Das war also die Geburt dieser beiden Kinder und die sie begleitende Freude des Himmels und der Erde, wie sie in diesen ausnehmend schönen Kapiteln beschrieben wird. In ihrem weiteren Verlauf erhalten wir noch andere Mitteilungen über diese heiligen Kinder. Ihr Wachstum an Gestalt und Weisheit, während sie noch jung waren, wird nur hier erwähnt, und das ist, wie schon bemerkt, ganz in Übereinstimmung mit der Absicht des Geistes Gottes in diesem Evangelium. Denn hier wird uns der Mensch vorgestellt. Diese Blicke in die Kindheit und Jugend des Herrn Jesus sind an sich schon lieblich und rührend, aber auch in Anbetracht des Charakters unseres Evangeliums. Jetzt ist Er das Kind, wie Er später der Mann sein wird. In jedem Alter ist Er gleichmäßig und vollkommen Gott wohlgefällig, dem Er jeden Abschnitt Seines irdischen Lebens weiht. Hier sehen wir Ihn in Unterwürfigkeit gegenüber Seinen Eltern in Nazareth, aber auch in Gunst sowohl bei Menschen als bei Gott. Das alles war Frucht "zu seiner Zeit". Noch war Er nicht berufen, für Gott gegen diese Welt zu zeugen. Wenn die Zeit dafür gekommen sein wird, werden wir Ihn auch dann in Vollkommenheit sehen, und Er wird den entsprechenden Haß erfahren, wie Er jetzt die geziemende Gunst des Menschen genießt (Joh. 7, 7). Aber bis jetzt ist Er nur das vollkommene Kind, Seinen Eltern zu Hause unterwürfig, geziert mit jedem göttlichen Schmuck, der einer solchen Person gebührt, und so empfiehlt Er sich den Herzen und Gewissen aller.
Auch heiliger Eifer in der Erlangung aller göttlichen Weisheit kennzeichnet dieses teure und heilige Kind. Jedes Jahr brachte ordnungsgemäß das Ihm eigene Wachstum mit sich. Aber Gott selbst war der Gegenstand Seines Herzens, Seine einzige Beschäftigung. Denn der Tempel war, wie wir hier sehen, der Schauplatz zur Entfaltung dessen, was Er mit Eifer in Seiner Jugendzeit aufgenommen hatte. Viele laufen hin und her und vermehren Kenntnisse aller Art, wie sie sie in den rührigen Schulen der Menschen erlangen können. Aber alle Kenntnis, die dieses Kind suchte und erwarb, war dem Heiligtum angemessen. Nicht in den Schulen, sondern im Tempel Gottes brachte Er die Frucht Seines eifrigen Fleißes hervor.
Indessen ist der Mensch darauf nur wenig vorbereitet, was wir hier sehen. Seine Verwandten im Fleische verstehen dieses Kind nicht. Sie freuen sich vielleicht, daß Er als ein frommes Kind die Aufmerksamkeit auf sich zieht, und meinen, Er sei auf Wunsch anderer, die Ihn sehen und beobachten wollten, von der Reisegesellschaft festgehalten worden. Die Eitelkeit einer Mutter mag das vermuten.*) Und als sie Ihn vermissen, suchen sie Ihn, wo das Fleisch Ihn suchen würde. Aber dort war Er nicht. In all diesem offenbart sich die arme menschliche Natur. In der Eitelkeit, der irregeleiteten Suche, dem Erstaunen und dem verständnislosen Verweis Marias zeigt sich, was der Mensch ist. Jesus, das Kind, beginnt so, die verderbte Natur bloßzustellen. "Wußtet ihr nicht?" kann Er zu ihnen sagen. Ohne Frage hätte dieses Kind sagen können: "Verständiger bin ich als alle meine Lehrer, denn deine Zeugnisse sind mein Sinnen. Mehr Einsicht habe ich als die Alten, denn deine Vorschriften habe ich bewahrt" (Ps. 119, 99. 100). Welch ein Trost ist das alles für uns! Es ist köstlich zu wissen, daß unser Gott auf dieser unserer Erde einen Gegenstand gehabt hat, auch einen Sohn des Menschen, an dem sich Sein ganzes Herz erfreute. Aber nur von dem Herrn Jesus kann das gesagt werden.
*)Ein anderes treffendes Beispiel derselben Gesinnung Marias finden wir in Joh. 2, 3.
Kapitel 3
Eine lange Zeit ist inzwischen verstrichen, wenn wir zu den Berichten dieses Kapitels kommen. Wie der Weg Moses in seiner Jugend (so möchten wir diese Jahre nennen), ist auch der Weg des Herrn durch die Überlegungen und die Finsternis der Natur unterbrochen worden. Mose meinte, "seine Brüder würden verstehen, daß Gott durch seine Hand ihnen Rettung gebe; sie aber verstanden es nicht". Ihr Unglaube trennte ihn vierzig Jahre von seinen Brüdern.
So tat der Herr Jesus, der größer ist als Mose, Seines Vaters Werk in der Mitte Israels, aber Seine Brüder verstanden Ihn nicht. Er mußte nach Nazareth hinabgehen und wurde Israel eine Zeitlang entfremdet. Er kann sie nur in derselben Vollkommenheit vor Gott verbringen. Der Unglaube des Menschen mag die Situation verändern, aber nichts kann das Herz dieses heiligen Menschen beeinflussen. Er ging hinab nach Nazareth, um dort untertan zu sein, noch immer als ein gottesfürchtiges Kind, das zunahm an Weisheit und Größe und Gunst bei Gott und Menschen.
Aber hier in diesem Kapitel kommen wir in völlig andere Umstände und Zeiten. Die Kinder sind herangewachsen und reif, sich Israel zu zeigen. Gerade diesen feierlichen Augenblick benutzt unser Evangelist, eine ausführliche Übersicht über die Welt zu geben. Das war eine Aufgabe, die ihm durch den Heiligen Geist eigentlich gegeben war, denn der Geist hat bei Lukas, wie schon gesagt, den Menschen im Auge und beschäftigt sich mit dem Menschen. Er zeigt uns hier, wie still und ruhig die ganze Erde saß (Sach. 1, 11), denn das heidnische Tier hatte alles nach seiner Vorstellung geordnet. Der Römer Tiberius war Kaiser, seine Prokonsuln waren in ihren verschiedenen Regierungsbezirken, und Judäa war ein Teil seiner Stärke und Ehre. Auch die Priester waren in ihrem Tempel. Alles in der politischen und religiösen Welt war so, wie der Mensch es haben wollte. Doch in den Augen Gottes war dies alles eine Wildnis, denn statt daß Er darin einen Ruheplatz für sich besaß, wird die Stimme Seines Dieners ausgesandt, wie einst Elia in den bösen Tagen Ahabs, um alle aufzuwecken und den Schlaf der fleischlichen Zufriedenheit, worin der Mensch und die Weit eingehüllt waren, zu stören.
Gottes Gedanken sind in der Tat nicht die Gedanken des Menschen. Des Menschen Sabbath war jetzt für Gott eine Wüste, und Er wird an ihm tätig sein wie in der Wüste. Die Haushaltung des Gesetzes hatte inzwischen den Menschen erprobt, und es hatte sich gezeigt, daß er hoffnungslos von der Gerechtigkeit abgewichen war. Deshalb wird Johannes gesandt, den Menschen aufzufordern, den Platz eines überführten Sünders einzunehmen. Er weist auf das Heilmittel hin, das in Gott für den Sünder da war, aber er zeigt es nicht als bereits erreichbar und eingeführt. Er verkündigt die Vergänglichkeit alles Fleisches und legt die wirklichen Wurzeln bloß. Doch hatte er nicht den Samen einer besseren Ernte in seiner Hand. Er sprach das Todesurteil über den Menschen aus, aber Leben brachte er ihm nicht. Er warf ihn in den Staub, gab ihm aber keine Kraft, sich wieder zu erheben. Das Leben und die Kraft sollten hernach durch den Sohn kommen. Johannes tat keine Wunderwerke." Er forderte den Gewalttätigen auf, das Reich mit Gewalt an sich zu reißen, aber er zeigte ihm keine offene Tür. "Er war nicht das Licht, sondern auf daß er zeugte von dem Lichte." Er stand zwischen Israel und seinem Gott. Einerseits sagte er Israel, daß sie alle Fleisch waren und daß das Fleisch wie Gras war, zum anderen wies er auf JehovaJesus, den Gott Israels, hin, der Seinen Lohn mit sich bringe und vor dem er Sein Werk tat.
In seinem Dienst war eine Mischung von Gnade und Gerechtigkeit. Er kam "auf dem Wege der Gerechtigkeit", stand abseits von der Welt und lehnte die Berührung mit ihr ab. So strafte er durch sein Licht die Finsternis. Er sang seiner Generation Klagelieder, aß nicht und trank nicht, weil er die Menschen aufforderte, sich als Sünder zu erkennen und ihren Platz als solche einzunehmen. Aber dann kam er auch wieder im Wege der Gnade, weil er der Vorläufer des Herrn war und vor dem Angesicht des Herrn herging, um den Weg des Heils und das Reich vorzubereiten. So gab es eine Vermischung von Gnade und Gerechtigkeit in seinem Dienst. Das war ohne Frage ein Fortschritt gegenüber dem Gesetz und den Propheten. Das Gesetz hatte den Menschen im Fleisch, der Gerechtigkeit entsprechend, in Ordnung zu bringen versucht, während die Propheten in gewissem Sinne zur Unterstützung des Gesetzes gesandt waren, um das Volk zum Gehorsam zurückzurufen, damit ihm jede Hilfe und jeder Nutzen zuteil würde. Gottes überreiche Geduld prüfte damit, ob der Mensch imstande wäre, sich selbst wiederherzustellen und in Gerechtigkeit zu leben oder nicht. Der Dienst Johannes' setzte jedoch die Hoffnungslosigkeit aller dieser Erwartungen voraus und beschäftigte sich mit dem Menschen als einem überführten Sünder. Aber und das ist die Ordnung nach göttlicher Weisheit sein Dienst war doch nicht so groß wie der Dienst, der jetzt eingeführt worden ist. Nach der Auferstehung forderten die Apostel den Menschen auf, im Glauben den Platz eines begnadigten Sünders einzunehmen. So hat jetzt für uns das Licht der Gnade und des Heils seinen Mittagsglanz erreicht, und wir erwarten nur noch das Licht der Herrlichkeit und das Reich.
Bei unserem Gott dürfen wir wohl sagen gab es von Anfang an ein viel tieferes und ausgezeichneteres Werk als das der alten Schöpfung. Die alte Schöpfung war in gewissem Sinne dem Menschen zu seiner Verfügung überlassen. Seine Treue oder sein Ungehorsam als Geschöpf sollten die Geschichte dieser Schöpfung bestimmen. Aber der göttliche Ratschluß vor der Schöpfung hatte im Sohne ein Werk geplant und niedergelegt, das nie mißlingen konnte, weil es von keiner geringeren Kraft als Seiner eigenen abhängig war. Dieses Geheimnis hat der Herr vor sich, wenn Er sagt: "Der Himmel und die Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen." Die Schöpfung ist vergänglich, die Erlösung (das Werk des Wortes) dagegen unerschütterlich, weil der lebendige Gott sich selbst damit verbunden hat. So sagt der Prophet, indem er Jesus, den Sohn, anredet: "Du hast vormals die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk" (Ps. 102, 25). Alle Dinge, die gemacht sind, werden erschüttert werden (Hebr. 12, 27), denn Gott ist nicht selbst mit ihnen verbunden; Er ist nicht ihre Grundlage. Aber das Wort war bei Gott, war Gott und wurde Fleisch, wesentlicher Bestandteil wenn man so von diesem wunderbaren Geheimnis ewiger Gnade sprechen darf des Werkes selbst. Er ist der Weinstock, das Haupt der Ecke, der Eckstein des Hauses. Das gibt der Erlösung eine unsagbar vorzüglichere Herrlichkeit, als sie die Schöpfung je hatte. Deshalb sagt der Täufer in seinem Dienst, den wir in diesem Kapitel unseres Evangeliums finden: "Das Gras ist verdorrt, die Blume ist abgefallen (verwelkt); aber das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit" (Jes. 40,8). An diesem Werk ist alles unverweslich. Der Same des Lebens, den es bringt, ist unverweslich, der Leib, mit dem es dieses Leben bekleiden wird, ist unverweslich, und das Erbe, mit welchem es bekannt macht, ist unverweslich (l. Kor. 15; 1. Petr. 1). Gott ist durch den Riß, den die Sünde des Menschen verursacht hat, in die alte Schöpfung eingetreten und hat Sich selbst mit dem gewaltigen Ruin auf eine Weise und mit einem Ziel verbunden, daß es zum ewigen Ruhm Seines eigenen heiligen Namens, aber auch zur unangreifbaren Ruhe und Unvergänglichkeit Seiner neuen Schöpfung ausschlägt.
Psalm 90 scheint die Äußerung einer Seele zu sein, die etwas von diesem Geheimnis erfahren hat. Der Prophet blickt zu einem Gott auf, der über jeder geschaffenen Macht steht. Dann stellt er die der alten Schöpfung anhaftende Nichtigkeit fest. Schließlich aber findet er aus einer solchen Sicht heraus Trost in Gottes Werk der Barmherzigkeit oder in dem Werk der Erlösung durch das Wort. So ist es auch mit uns, Geliebte. Das Werk des Wortes oder Gottes, geoffenbart im Fleisch, ist in dem schmerzlichen Bewußtsein der allgemeinen Nichtigkeit um uns her der Trost für unsere Herzen. Der Dienst Johannes' des Täufers mochte die Seele zu diesem Bewußtsein der Vergänglichkeit führen, doch blieb es einem Anderen vorbehalten, uns diesen kostbaren und zuverlässigen Trost in Ihm selbst und Seinem Werk zu geben, das ewigen Bestand hat.
Doch dies sei nur so nebenbei im Zusammenhang mit dem Dienst des Täufers erwähnt. Danach haben wir den Stammbaum des Herrn, der bis zum Ursprung der menschlichen Familie zurückführt, nicht nur bis zu David und Abraham wie in Matthäus, sondern bis zu Adam. Das ist ebenfalls, wie nicht betont zu werden braucht, ganz in Übereinstimmung mit den Absichten des Geistes Gottes bei Lukas. Daß eine solche Ahnentafel im JohannesEvangelium fehlt, ist genauso in völliger Übereinstimmung mit dem Charakter dieses Evangeliums. Denn Abstammungsverzeichnisse bestätigen nur menschliche oder völkische Beziehungen. Das Aufbewahren von Geschlechtsverzeichnissen, wie es in den jüdischen Schriften geschah (l. Chron. usw.), zeigt die Vorsorge für die Erhaltung der menschlichen Ordnung. Diese Ordnung wird auch im Reiche aufrechterhalten, wenn die Herzen der Kinder zu den Vätern und die Herzen der Väter zu den Kindern gewendet werden (Sach. 12,1014). Wir jedoch werden ermahnt, uns nicht mit Geschlechtsregistern abzugeben (l. Tim. 1, 4; Tit. 3, 9), denn die Versammlung soll kein Diener für die Ordnung und Aufrechterhaltung menschlicher Systeme sein, sondern sie hat himmlische Beziehungen.
Bevor wir zum folgenden Kapitel kommen, möchte ich bemerken, daß die Gottessohnschaft unseres Herrn hier bei Seiner Taufe anerkannt wird, wie schon vorher bei der Ankündigung Seiner Geburt und später noch bei der Verklärung (Kap. 1, 35; 9,35). Aber dies hat jedesmal eine unterschiedliche Bedeutung. Das Kind der Jungfrau, die von dem Heiligen Geist überschattet wurde, sollte "Sohn Gottes" genannt werden, wodurch Seine Person anerkannt wurde. Jetzt, bei Seiner Taufe, wird dasselbe Zeugnis ein zweites Mal abgegeben mit dem Zusatz: "An dir habe ich Wohlgefallen gefunden." Damit wird Sein Dienst anerkannt, denn die Taufe führte Ihn in Seinen Dienst ein, der das vollkommene, göttliche Wohlgefallen hervorrufen sollte. Das ist gesegnet und tröstlich für uns Sünder. Das Gesetz wurde niemals so bestätigt, denn es forderte Gerechtigkeit. Auch Johannes der Täufer wurde nie auf diese Weise bestätigt, denn er überführte den Menschen, ohne ihm zu helfen. Aber nun, da der Sohn in Gnade und mit Heilung für Sünder kam, konnte Gottes Herz ruhen, denn das war die Erfüllung des Vorsatzes Seiner Liebe. So konnte jetzt von dem Sohn und Seinem Dienst bei der Taufe bzw. bei Seiner Salbung, die unmittelbar Seiner Taufe folgte, bezeugt werden: "Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden." Bald wird Er zum dritten Mal dieses Zeugnis bekommen, wenn die Herrlichkeit oder das Reich für einen Augenblick auf dem Berge sichtbar wird. Dann wird dieselbe Bestätigung mit dem Zusatz gehört werden: "Ihn höret!" Und das ist zu seiner Zeit ebenso vollkommen, denn es bestätigt Ihn in Seinem Königtum. Jedes Knie muß sich vor Ihm beugen, und die Seele, die Ihn nicht hören will, wird aus Seinem Volke ausgerottet werden (Apg. 3, 22. 23).*)
*) Diese Worte "ihn höret" waren ein Verweis für Petrus, der Mose und Elia auf dieselbe Ebene mit dem Herrn Jesus stellte.
So wird bei drei Gelegenheiten bei der Ankündigung Seiner Geburt, bei Seiner Taufe und bei Seiner Umgestaltung Seine Gottessohnschaft bezeugt. Mit anderen Worten: Seine Person, Sein Dienst und Seine Herrschaft werden von dem Vater anerkannt. Das ganze Wohlgefallen Gottes ruhte auf Ihm, und die völlige Unterwerfung der Erde wurde für Ihn gefordert. Gott hat Sein völliges Wohlgefallen an Ihm, und die Erde soll Ihn hören. Auf diese Zeugnisse durch die Stimme vom Himmel folgt zu gegebener Zeit die Auferstehung, um sie in Tat und Wahrheit abschließend zu beglaubigen und den Herrn Jesus "als Sohn Gottes in Kraft" zu erweisen (Röm. 1, 4).
Kapitel 4
Aber Satan konnte das alles nicht zulassen. Er konnte nicht dulden, daß der Herr Jesus als Sohn Gottes anerkannt wurde, und das auch noch in Verbindung mit der menschlichen Familie, wie sie durch Adam bestand (Kap. 3, 22.38). Diesen Anspruch konnte er nicht wiederaufleben lassen, ohne ihn anzufechten. Denn durch Satans List hatte der erste Mensch seine Würde verloren. Gott hatte den Menschen geschaffen und nach Seinem Gleichnis gemacht. Aber der Mensch hatte Kinder gezeugt in "seinem Gleichnis" (l. Mose 5, 3), befleckt wie er selbst, und nicht als ein Geschlecht, das wert war, "Söhne Gottes" genannt zu werden. Aber Jesus war jetzt erschienen, um diese verloren gegangene Würde des Menschen wieder geltend zu machen. Deshalb muß der Teufel Sein Recht dazu prüfen, und mit dieser Absicht kommt er jetzt, Ihn zu versuchen, indem er sagt: "Wenn du Gottes Sohn bist . . ." Das war der Entscheidungspunkt zwischen dem gesalbten Menschen und dem großen Feind des Menschen. Und der Herr Jesus bestand, wie wir wissen, in der erhabenen Haltung eines Siegers.
Alles was Adam, den ersten Menschen, umgab, hatte zweifellos für Gott gezeugt, gegen den Feind. Die Lieblichkeit des ganzen Schauplatzes, die Schönheit des Gartens "der Wonne" mit seinen Flüssen, die sich hierhin und dorthin ergossen, die Früchte und Wohlgerüche mit dem bereitwilligen Dienst Zehntausender unterworfener Geschöpfe alles das sprach für Gott, gegen den Ankläger. Aber der Herr Jesus war in einer Wüste, die nichts bot, sondern Ihn hungern ließ, wo wilde Tiere Ihn umgaben alles hätte von dem Ankläger als Argument gegen Gott angeführt werden können. Alles war gegen den Herrn, wie alles für Adam gewesen war, aber Er blieb standhaft, während Adam fiel. Der Mensch vom Staube versagte, obwohl alles um ihn herum ihn begünstigte, während der Mensch Gottes die Probe bestand, obgleich alles gegen Ihn war. Weich ein Sieg war das! Weich ein Wohlgefallen an dem Menschen muß das im Herzen Gottes wieder hervorgebracht haben! Diesen Sieg zu erringen war der Herr Jesus vom Heiligen Geist an diesen Ort des Kampfes geführt worden, denn Sein Auftrag war es, die Werke des Teufels zu vernichten (l. Joh. 3, 8). Er stand als der Verfechter der Herrlichkeit Gottes und des Segens des Menschen in dieser abtrünnigen Welt, um Seine Kraft gegenüber beider Feind unter Beweis zu stellen und die Rechtmäßigkeit Seines Dienstes darzutun. Als der große Überwinder ist Er alles Lobes wert.
Aber für uns war Er der Überwinder, und deshalb kommt Er sofort mit der Beute jener Tage und legt sie uns zu Füßen. Im Kampf war Er allein, aber Er wollte nicht allein bleiben im Sieg. Der da sät und der da erntet, sollen sich zusammen freuen (Joh. 4, 36). Es war ein alter Brauch bei David, daß der, weicher in den Kampf zog, die Beute teilen sollte mit dem, der bei dem Gerät zurückblieb. Es war eine Satzung, die der Gnade des "Geliebten" würdig war. Aber hier war ein Besserer als David, der nicht nur königliche, sondern göttliche Würde besaß. So kommt Jesus, der Sohn Gottes, aus der Wüste zurück, um Frieden zu verkündigen, Krankheiten zu heilen, den Nöten all derer zu begegnen, die Gefangene dieses Feindes waren, und sie wissen zu lassen, daß Er ihn für sie überwunden hat.
Hierdurch erfahren wir etwas über den Charakter der Segnungen, die wir Sünder aus der Hand des Sohnes Gottes empfangen. Wir erhalten sie als Siegesbeute. Durch die Sünde haben wir alle mit der Schöpfung verbundenen Segnungen verwirkt, die einst im Garten Eden unser Teil waren, und wir haben sie dort verloren. Aber jetzt sind alle Segnungen die Frucht des Sieges des Herrn Jesus. Und das gibt dem Herzen Sicherheit, wenn wir uns ihrer erfreuen, denn auf Seinen Sieg gründen wir unser Anrecht an dem Segen, den wir in Anspruch nehmen. Der Segnende hat sich selbst das Recht erworben zu segnen, denn Er hat den Segen erbeutet, bevor Er ihn verteilt. Deshalb kennen wir unser Vorrecht, von dem Herrn Jesus gesegnet zu sein, so wie Adam das seine kannte, in Eden glücklich zu sein. Können wir da noch irgendwelche Zweifel haben? Wir trinken weder "gestohlenes Wasser", noch ist es "heimliches Brot" (Spr. 9,17), wovon wir uns nähren. Aus dem Fresser kam Fraß, und aus dem Starken kam Süßigkeit" (Richt. 14, 14). Das ist der Charakter der Segnungen, die der Herr uns Sündern gibt, es ist Seine eigene wohlverdiente Beute. Und das finden wir hier. Soll heiligen Geistes" trat Er dem Teufel entgegen (Vers 1), widerstand ihm und besiegte ihn, und noch immer "in der Kraft des Geistes" (Vers 14) begegnet Er den Sündern mit Segen, um sie zu heilen und zu erretten. Nach diesem Tag in der Wüste traf Er später auf Golgatha mit ihm zusammen, der die Macht des Todes hat, und dort hat Er ihn durch den Tod zunichte gemacht. In Auferstehungsmacht aus dem Tode hervorgekommen, teilt Er wiederum Seine Beute mit Sündern in der ganzen Welt, und wir dürfen mit Herzensgewißheit die herrlichen Segnungen überschauen und genießen.
Wo aber ist der Sünder, der die Segnungen würdigen und sich mit der Beute des siegreichen Sohnes Gottes schmücken könnte? Das ist jetzt die Frage, und zwar die einzige Frage. Der Mensch von Natur hat keinen Sinn für diese Segnungen und kümmert sich weder um einen Sieg, durch den der Gott dieser Welt gerichtet worden ist, noch um dessen Früchte. Die Synagoge zu Nazareth zeigt uns nun, was der Mensch ist, so wie uns die Wüste soeben offenbart hat, wer Satan ist. Alles, womit der Mensch behaftet ist, ist seiner Meinung nach besser als die Frucht des Sieges, die unser David mit Sich bringt. Das sehen wir hier in Nazareth. Menschliches Verlangen ist für einen Augenblick geweckt. Die Menge ist über die gnadenreichen Worte des Herrn verwundert, und aller Augen sind auf Ihn gerichtet. Doch dieser Zug menschlichen Begehrens trifft auf eine sofort einsetzende Strömung menschlichen Hochmuts, und die ganze Freude an der Gnade des Herrn Jesus verschwindet. Sie hängen einen Augenblick an Seinen Lippen, aber der Stolz, der da einwendet: Ast dieser nicht der Sohn des Zimmermanns?" (Matth. 13, 55), unterdrückt nach kurzem inneren Kampf die Anziehungskraft Seiner Worte, und ihre Frömmigkeit erweist sich "wie die Morgenwolke" und "wie der Tau, der früh verschwindet" (Hos. 6, 4).
Und so ist es auch heute noch. Feindschaft gegen Gott und Seinen Gesalbten wird immer den Sieg davontragen, wann immer ein solcher Konflikt im Herzen des Menschen entsteht. Geht es nur um einen Zwiespalt zwischen bloßer menschlicher Freude oder Bewunderung für den Herrn Jesus und der Stärke der Natur, dann lehrt uns diese Szene in der Synagoge zu Nazareth, wie dieser Kampf ausgehen wird. Was im Herzen oder im Hause ist, wird mehr geschätzt als der Segen Gottes. Bis heute hat der Mensch diesen Segen für dreißig Silberlinge, ja, für ein Linsengericht verkauft. Und das ist ein ernster Gedanke: Wer auf sein Herz vertraut, der ist ein Tor" (Spr. 28, 26), denn Gott kann ihm nicht trauen. Es gibt nichts im Menschen, dem Gott trauen könnte. Einige glaubten, als sie die Wunder des Herrn sahen, aber "Jesus selbst vertraute sich ihnen nicht an". Nichts vom natürlichen Menschen ist zu gebrauchen. "Ihr müsset von neuem geboren werden." "Dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: euer Glaube." Entschlüsse müssen den Versuchungen vorausgehen, denn alle menschlichen Beziehungen werden durch Satan zerrissen. Die Gemeinschaft mit Gott in der Wahrheit, durch den Heiligen Geist, kann allein die Seele standhaft machen, aber die natürliche Kraft des Stärksten wird zerbrechen.
Dieses Kapitel zeigt uns aber auch, daß die Liebe des Sohnes Gottes nicht ermüdet oder erschöpft werden konnte; denn nachdem Er Nazareth verlassen hatte, ging Er mit derselben Kriegsbeute hinab nach Kapernaum. Seine Liebe war stärker als jede Zurückweisung, wie sie sich später stärker als der Tod erwies. "Die Liebe vergeht nimmer." Und der Sohn Gottes geht noch immer durch diese Welt der Sünder mit derselben Beute, die so frisch ist, als sei sie gestern eingesammelt worden, um solche zu suchen und zu finden, die sich mit Ihm daran erfreuen möchten.
Soviel über dieses Kapitel, das bei Lukas den Dienst des Sohnes Gottes eröffnet, und da Er sich in diesem Evangelium besonders mit dem Menschen beschäftigt, wird uns hier sofort überzeugend gezeigt, wie und was der Mensch ist. Er ist so, wie der Prediger ihn beschreibt: "Es war eine kleine Stadt, und wenig Männer waren darin; und wider sie kam ein großer König, und er umzingelte sie und baute große Belagerungswerke wider sie. Und es fand sich darin ein armer, weiser Mann, der die Stadt durch seine Weisheit rettete; aber kein Mensch gedachte dieses armen Mannes." Die Synagoge zu Nazareth beweist die Wahrheit dieser Worte.
Kapitel 5
Wir kommen jetzt zum 5. Kapitel, dessen Inhalt wir im allgemeinen auch in anderen Evangelien finden. Ich möchte daher nur auf das eingehen, was für Lukas charakteristisch ist.
Unser Evangelist befaßt sich, wie schon bemerkt, weniger mit den äußeren Umständen, wie z. B. mit der chronologischen Reihenfolge oder dergleichen, sondern er stellt die Ereignisse nach sittlichen Gesichtspunkten zusammen, beschäftigt sich mit Menschen und Grundsätzen. So tun wir es ja mitunter auch. Wenn jemand einem anderen bestimmte Ereignisse erzählt, um ihn damit bekannt zu machen, so wird er alle Einzelheiten, auch die über Zeit und Ort, gewissenhaft berichten. Will er die Geschehnisse jedoch nur dazu benutzen, bestimmte Grundsätze und Wahrheiten zu illustrieren, so wird er auf diese Dinge weniger Sorgfalt verwenden. So haben wir in diesem Kapitel eine Szene, die zeitlich weit vor den im vorigen Kapitel geschilderten Ereignissen liegt. Die Berufung Simons zum Menschenfischer erfolgte tatsächlich vor der Heilung seiner Schwiegermutter (siehe Matth. 4,18; 8,14 und Mark. 1, 16.30), aber hier bei Lukas wird sie hinterher berichtet (vgl. Luk. 4,38 mit 5, 1). Die zeitliche Reihenfolge ist nichts für Lukas, denn seine Absicht ist nicht festzustellen, was zuerst geschah, sondern uns Grundsätze in den Beziehungen zwischen Gott und den Menschen vorzustellen. Dementsprechend enthüllt er uns in der Berufung Simons große moralische Grundsätze, welche die anderen Evangelisten nicht erwähnen, während die Umstände für ihn unwesentlich sind.
Betrachtung über das Evangelium nach Lukas - J.G.Bellett
Einleitung
Jedes der vier Evangelien hat seinen eigenen Zweck. So gibt auch der Evangelist Lukas, obgleich er nur ein anderer Zeuge derselben göttlichen Wahrheiten ist, seinem Evangelium einen besonderen Charakter. Wenn er auch mit den Berichten der anderen Evangelisten im allgemeinen übereinstimmt, verfolgt der Geist der Offenbarung bei ihm doch eine besondere Absicht.
Aber dieser verschiedenartige Dienst des einen Geistes durch verschiedene Evangelisten ist nicht Ungereimtheit, sondern Fülle und Mannigfaltigkeit. Das Öl, mit dem Aaron gesalbt wurde, welches sinnbildlich von der Fülle und Kraft redet, die auf unserem anbetungswürdigen Herrn ruhten, wurde aus verschiedenen wohlriechenden Gewürzen zubereitet: Myrrhe, Würzrohr, Kassia und Zimt (2. Mose 30). Wir können sagen, daß es die Aufgabe eines jeden Evangelisten war, die verschiedenen Bestandteile dieser ausgezeichneten, wohlriechenden Mischung des Heiligtums hervorzubringen, um die verschiedenen Vorzüglichkeiten und Vollkommenheiten in dem Herrn Jesus auszudrücken. Denn wer könnte alle zusammen berichten? Es war genug Freude und Ehre für jeden Diener, so bevorzugt er auch durch solche vertraulichen Offenbarungen war, eine einzige von ihnen aufzuzeichnen. Der Gläubige hat den köstlichen Genuß von allen zusammen, und in der für ihn passenden Sprache kann er sich zu dem Geliebten wenden und sagen: "Lieblich an Geruch sind deine Salben, ein ausgegossenes Salböl ist dein Name" (Hohel. 1, 2).
Inmitten dieser unter die Evangelisten verteilten Dienste nimmt Lukas seinen besonderen Platz ein. In Matthäus begegnet der Herr den Juden als der Messias, in Markus einer notleidenden Welt als der Diener ihrer Bedürfnisse, in Johannes der Kirche oder himmlischen Familie als der Sohn des Vaters, um sie für ihre himmlische Heimat zuzubereiten. Aber hier in Lukas beschäftigt Er sich mit der menschlichen Familie, um mit ihr als der einzige wahre Sohn des Menschen zu sprechen.
"Sohn des Menschen" ist ein Titel von sehr weitgehender Bedeutung. Er bezeichnet den Menschen in seiner Vollkommenheit, den Menschen nach den Gedanken Gottes. Er sagt uns gewissermaßen, daß der Mensch in dem Herrn Jesus als etwas ganz Neues dasteht und daß wir in Ihm alle nur denkbare menschliche und sittliche Schönheit sehen. Aber nicht nur ist alle moralische Vollkommenheit in dem Titel "Sohn des Menschen", wenn er auf den Herrn Jesus angewandt wird, ausgedrückt, sondern auch alle Seine Leiden und alle Seine Würden sind mit Ihm als solchem verbunden. Als Sohn des Menschen war Er erniedrigt (Psalm 8), abe als solcher ist Erauch erhöht zur Rechten der Majestät in der Höhe (Psalm 80). Als Sohn des Menschen hatte Er nicht, wo Er Sein Haupt hinlege (Luk. 9, 58); aber in der gleichen Eigenschaft kommt Er auch zu dem"Alten an Tagen", um das Reich zu empfangen (Dan. 7, 13. 14). Als Sohn des Menschen ist Ihm das Gericht übertragen (Joh. 5,27), ist Ersowohl Prophet alsauch Priester und König, Erbe und Herr aller Dinge, Haupt und Bräutigam der Versammlung. Als Sohn des Menschen hat Er Gewalt, auf der Erde Sünden zu vergeben (Matth. 9, 6), und ist Er Herr des Sabbaths (Mark. 2, 28), aber Er war als solcher auch drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde (Matth. 12, 40). Er war der unermüdliche Säernann des Samens, und Er wird als Sohn des Menschen auch der glorreiche Schnitter der Ernte sein. Als solcher wurde Er gekreuzigt und stand Er wieder auf (Matth. 17, 9. 22. 23), aber währenddessen hatte Er als solcher Seinen eigentlichen Platz im Himmel (Joh. 3, 13.14). Und als der Sohn des Menschen ist er auch der Mittelpunkt aller Dinge, sowohl der himmlischen als auch der irdischen (Joh. 1, 51). Denn in Seinem Bilde hatte Gott vor alters den Menschen geschaffen, aber nachdem der erste Mensch, der von der Erde war, dieses Bild zerstört hatte, stellte der Sohn Gottes es wieder her und erfüllte als Mensch den göttlichen Ratschluß, indem Er ihn in Seiner Person auf jenen Platz der Ehre und des Vertrauens setzte, den Gott ihm ehemals zugedacht hatte.
So ist dieser Titel oder Name des Herrn "Sohn des Menschen" sehr umfassend. Er ist mit Seiner Person, mit allen Seinen Leiden, aber auch mit allen Seinen Würden verbunden, ausgenommen natürlich jenen, die Er in Sich selbst als "Gott über alles, gepriesen in Ewigkeit" besitzt. Er ist der gesalbte Mensch, der von dem Heiligen Geist errichtete und von Ihm erfüllte unbefleckte menschliche Tempel (Luk. 1, 35; 4, 1). Er ist der erniedrigte Mensch, der Mann der Schmerzen, der hinabstieg bis zum Tode am Kreuze (Phil. 2), aber Er ist auch der erhöhte, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönte Mensch, der später alle Herrschaft ausüben wird (Hebr. 2). Als Sohn des Menschen beschäftigt Er sich mit dem Menschen; und in dieser Tätigkeit stellt uns der Evangelist Lukas Ihn besonders vor. In diesem Evangelium verkehrt Er mit der menschlichen Familie. Er kam als der gesalbte Mensch, um den Menschen nach den Gedanken des Himmels darzustellen und Gott inmitten der menschlichen Familie zu vertreten, die sich so weit von Ihm abgewandt hatte. Er war der einzige gänzlich Unbefleckte; und so stellte Er, während Er in ihrer Mitte aufwuchs, alles um Sich her bloß. Das war Sein Zweck. Um dies in vollkommener Weise zu tun und durch Sich selbst den Menschen nach den Gedanken Gottes darzustellen, aber daneben auch den in Sünde gefallenen Menschen zu offenbaren, wird Er in diesem Evangelium ganz besonders als der Umgängliche gesehen, der sich mit den Menschen beschäftigt, ihre Aufenthaltsorte aufsucht, sich überall hinbegibt und von allen zu finden und für alle zugänglich ist. So haben wir Ihn hier im Lukasevangelium.
Wir möchten auch noch auf die ganz besondere Eignung des Schreibers für diese spezielle, ihm übertragene Aufgabe aufmerksam machen. Denn wir hören im biblischen Bericht von Lukas, daß er der Begleiter des Apostels der Nationen war (Apg. 16, 11 14; 2. Tim. 4, 11; Philem. 24). Er wurde in der Arbeit jemand zugesellt, dessen Dienst, wie wir sagen keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen machte, sondern dem Menschen allgemein galt. Und wir glauben auch, daß er selbst ein Heide gewesen ist. Sein Name ist heidnischen Charakters, und er scheint in Kolosser 4, 14 von den Brüdern aus der Beschneidung unterschieden zu werden.
Nachdem wir so den allgemeinen Zweck unseres Evangeliums aufgezeigt und die Person des Schreibers beschrieben haben, möchten wir es der Reihe nach betrachten. Aber nichts anderes als die Freude des Herrn in uns selbst und Sein Lob in den Gedanken Seiner Heiligen soll uns gerade auf so heiligen Pfaden leiten, wie sie uns hier vorgestellt werden. Es sollte die gemeinsame Freude aller Seiner Geliebten sein, Ihm in allen Seinen Wegen nachzuspüren. Denn wo anders könnten wir unsere ewigen Freuden haben, wenn nicht in Ihm und bei Ihm, und was ist unserer Freude wohl zuträglicher als der Herr Jesus und Seine Wege? Gibt es irgendwelche Freude in irgendeinem Gegenstand, die wir nicht in Ihm fänden? Welche Gefühle oder Zuneigungen, außer denen, die in Ihm zu finden sind, können unsere Herzen ersehnen und befriedigen? Bedürfen wir der Liebe, um glücklich zu sein?
Nun, wo gab es je eine Liebe wie die Seine? Wenn Schönheit unser Herz anziehen kann, ist sie nicht in Vollkommenheit in dem Herrn Jesus? Wenn Schätze des Gemüts in anderen uns erfreuen, wenn Fülle und Mannigfaltigkeit uns befriedigen und erfrischen, haben wir dies alles nicht in der ganzen Fülle der uns geoffenbarten Gesinnung Christi? In der Tat, Geliebte, wir sollten unsere Herzen auffordern, ihre Freude in Ihm zu finden. Denn so sollen wir Ihn in alle Ewigkeit kennen. Die Vollkommenheiten und Schönheiten Seines teuren Wortes kennenzulernen, ist eines der vielen uns gegebenen Hilfsmittel, wodurch diese Freude im Herrn in unseren Seelen erhöht wird.
Wie wenig kennen wir davon! Möge daher diese Betrachtung durch die Wirksamkeit des Geistes diesem Zweck in uns allen dienen, zur Verherrlichung des Herrn!
Allgemeine Gliederung des Evangeliums nach Lukas
Man wird, wie wir mit Sicherheit glauben, bei unserem Evangelisten eine wie man es nennen kann sittliche Anordnung seines Stoffes feststellen. Jedoch liegt in der Reihenfolge der Geschehnisse eine schöne geschichtliche Klarheit. Die nachfolgende Einteilung der einzelnen Abschnitte dieses Evangeliums, die man als eine Art Inhaltsverzeichnis betrachten kann, wird dies zeigen.
I Die Geburt und Jugend Christi Kap. 1 und 2
II Seine Taufe, Abstammung und Versuchung Kap. 3 und 4
III Sein Dienst in Galiläa Kap. 5 bis Kap. 9, 50
IV. Seine Reise nach Jerusalem Kap. 9, 51 bis Kap. 19, 27
V. Sein Einzug dort und alles, was darauf folgte, bis zu Seiner Kreuzigung Kap. 19, 28 bis Kap. 23
Vl. Seine Auferstehung und ihre Ergebnisse Kap. 24
Dies ist die allgemeine Reihenfolge der Ereignisse, und ihre Gliederung ist einfach und schön. Da aber unser Herr besonders in diesem Evangelium der Lehrer ist und sich mit den Menschen beschäftigt, werden wir doch große Wahrheiten und Grundsätze in einzelnen Teilen finden. Die reine Zeitfolge ordnet sich diesem sittlichen Zweck unter, und unsere Absicht in diesem Buch ist (verbunden mit allgemeinen Betrachtungen), das zu behandeln, was charakteristisch ist.
Kapitel 1 und 2- Diese beiden Kapitel wollen wir zusammen betrachten.
Gleich zu Beginn entdecken wir etwas auffallend Charakteristisches. Lukas schreibt seinem Freund Theophilus. Zweifellos war er sein Freund in göttlichem Sinne, sein Geliebter im Herrn, sein Genosse in der Liebe Gottes, und er redet ihn an in der Hoffnung, daß sein christlicher Freund und Bruder durch dieses Evangelium, das er zu veröffentlichen im Begriff stand, in allem, was ihn und Lukas miteinander verbunden hatte, fester gegründet werden und Fortschritte machen mochte. Aber das geschieht alles in einer für Lukas bezeichnenden Art, nämlich mit der Güte menschlicher Zuneigungen, die ihn mit Theophilus verbanden. Ferner berichtet er ihm von seiner eigenen persönlichen Kenntnis der Dinge, über die er zu schreiben im Begriff war, was kein anderer Evangelist tut, und auf diese Weise bringt er etwas von einem menschlichen Stil in diese heilige Aufgabe. Er stellt sich uns gewissermaßen vor als jemand, dessen menschliche Fähigkeiten und Zuneigungen in den ihn beschäftigenden Dingen geübt worden sind und der einen anderen über diese Dinge in derselben Weise anspricht.
Aber obgleich seine Worte diesen menschlichvertraulichen Ton annehmen und in einem Kanal von Mitteilungen eines Freundes an den anderen zu fließen scheinen, ist der Heilige Geist in jedem Gedanken und Wort unseres Evangelisten doch gerade so klar und vollständig, als teile er etwas mit, wovon er keine persönliche Kenntnis hatte. David kannte Gottes Verheißung, daß Er den Christus erhöhen und auf seinen Thron setzen würde, und doch sprach er durch Inspiration als ein Prophet von der Auferstehung (Apg. 2,30. 31). Der Herr selbst gab Seinen Aposteln Befehle, und doch wird uns gesagt, daß Er es durch den Heiligen Geist tat (Apg. 1, 2). Das alles dient dazu, uns die gleiche, volle Inspiration des göttlichen Wortes sicher zu machen. Sei es der Herr, der Seinen Aposteln befiehlt, oder sei es Lukas, der sich seinem Freunde mitteilt, das eine wird weder bloß aus der persönlichen Kenntnis des Herrn, noch das andere aus der persönlichen Kenntnis des Lukas heraus getan, sondern beides gelangt zu uns unter dem Siegel des Heiligen Geistes.
Nach dieser einführenden Anrede an seinen Freund kommt Lukas auf seinen Gegenstand in aller nur denkbaren Schlichtheit zu sprechen, so groß und gesegnet dieser auch ist. Nichts kann zu seiner Zeit vollkommener sein. Die erhabene Sprache, in der Johannes seine heilige Aufgabe beginnt, den Sohn Gottes zu schildern, entspricht ganz dem Charakter eines so hohen Vorhabens. Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott." Das macht sofort klar, welche Art Offenbarung kommen werde. Aber hier haben wir etwas davon ganz und gar Verschiedenes, jedoch an seinem Platz ebenso Vollkommenes Es war in den Tagen Herodes', des Königs von Judäa, ein gewisser Priester." Es klingt wie eine einfache Erzählung, wie eine Geschichte früherer Tage, als die Wahrheit noch klar und ungeschminkt zu sein pflegte. Die Aufmerksamkeit ist im Augenblick gefesselt, entzückt von diesem ungekünstelten Bericht von Gottes geschickter Hand. Sie leitet die Gedanken, obwohl in die tiefsten und wunderbarsten Szenen, dennoch so sanft, daß das Herz wie mit starken Seilen angezogen wird. Wir mögen noch nicht wissen, wohin wir geführt werden, aber der Geist der Offenbarung hat uns fest bei der Hand, um uns zu leiten, wohin es Seiner Gnade und Weisheit gefällt.
Auch die augenblickliche Szene ist hierdurch gekennzeichnet. Sie stellt uns mitten in häusliche Verhältnisse mit ihren menschlichen Gefühlen und Zuneigungen. Wir hören von den die Geburt des Täufers begleitenden Umständen und von seinem Elternhaus. Aber so einfach dies alles ist, liegen darin doch Geheimnisse verborgen.
Zacharias und Elisabeth erscheinen vor uns wie Abraham und Sara, Isaak und Rebekka, Elkana und Hanna in früheren Tagen. Sie waren gerecht, aber kinderlos. Sie befanden sich gerade an dem Platz, an den der letzte Prophet Israels den treuen Überrest gestellt hatte: sie gedachten des Gesetzes Moses (Mal. 4) und wandelten untadelig in den Satzungen des Herrn. Dennoch waren sie kinderlos und somit Zeugen an sich selbst, daß alle ihre Kraft in Gott gefunden werden mußte, der durch denselben Propheten einen Wiederhersteller verheißen hatte. Ihr gerechter Wandel in den Satzungen war ebensosehr eine Vorbereitung auf den verheißenen "Boten", wie die Annahme des Boten danach eine Vorbereitung auf den "Herrn des Tempels" hätte sein sollen. Solchen wird also jetzt Elia, der verheißene Bote, gegeben, und seine Geburt leitet, wie wir hier sehen, über zur Geburt des verheißenen Herrn des Tempels (Mal. 3), vor dessen Angesicht er hergehen sollte, so wie die Dämmerung das volle Tageslicht ankündigt.
In der Art dieser beiden Geburten bemerken wir demzufolge einen Unterschied. Johannes, ein Kind der Verheißung, wird durch eine besondere Gnade Gottes geboren, indem Er bei der Mutter eine natürliche Fähigkeit wiederherstellt. Der Herr Jesus jedoch, der Sohn Gottes, wird nicht durch irgendeine Begabung der Natur, sondern weit über alle Natur hinaus durch den Heiligen Geist geboren. Der eine ist das Kind eines unfruchtbaren Weibes, der Andere das Kind einer Jungfrau. Und das ist ein wunderbarer Unterschied. Elisabeth war die Mutter des Geretteten, Maria die des Retters. Elisabeths Kind war geheiligt, Marias Kind jedoch der Heiligende. Welch ein gewaltiger Abstand! Das Kind eines unfruchtbaren Weibes ist immer das Symbol des Geretteten oder der Familie Gottes gewesen; denn es redet zu uns von der Gnade und der Gabe Gottes für die Unvermögenden und Bedürftigen (Jes. 54, 1; Joh. 1, 13; Röm. 9, 8). Aber der Herr Jesus war das erste und einzige Kind einer Jungfrau; und das zeigt uns, daß Er, obgleich Er der Kinder wegen an Fleisch und Blut teilgenommen hat, in der Fülle Seiner Person erhaben ist über alle Natur.
So ist hier die Dämmerung, und so der helle Tag. Es sind dies der Prophet des Höchsten und der Höchste selbst, der Bote und der Gott Israels. Bis jetzt war alles nur Finsternis gewesen. Die Haushaltung des Gesetzes (als ein Bund der Werke) hatte nur erwiesen, daß der Mensch Finsternis war, und hatte ihn auch dort gelassen. Sie hatte als ein Zeugnis besserer Dinge, die kommen sollten, nur deren Schatten gespendet. Sie leuchteten gleichsam wie Sterne in der Nacht und bezeugten, daß es immer noch Nacht auf der Erde war. Aber jetzt nahte ein anderer Zeitabschnitt – die Zeit, in der Gott erscheinen sollte, und "Gott ist Licht".
Eine solche Zeit wird hier eingeleitet, und zwar mit allem ihr gebührenden feierlichen Ernst, aber auch voller Freude und Freiheit, deren sich der erhabene Gott immer bedient, wenn Er hervortritt. Die Grundlagen der ersten Schöpfung wurden mit Jubel und Jauchzen gelegt (Hiob 38, 7). Und das war das Unterpfand des Himmels, daß Gott Seine Geschöpfe glücklich zu machen beabsichtigte. Diese Absicht war in der Tat notwendig, denn "Gott ist Liebe". So ist es in diesen Kapiteln. Die Grundlagen einer anderen Schöpfung werden hier in dem Kind von Bethlehem gelegt, und wieder ist alles Freude, sowohl im Himmel als auch auf der Erde.
Gott erscheint aufs neue, und da muß Freude sein, denn Kummer kann nicht weilen, wo Er ist. "Majestät und Pracht sind vor seinem Angesicht, Stärke und Freude in seiner Wohnstätte" (1 Chron. 16, 27). Das Brot der Trauer darf nicht in Seinem Heiligtum gegessen werden; denn sowohl Freude als auch Heiligkeit wohnen dort. So ist auch hier alles Freude. Heerscharen von Engeln bringen Lob dar, die Hirten wiederholen die gute Botschaft dieser wunderbaren Ereignisse, die Lippen Marias, Zacharias' und Elisabeths werden aufgetan, um die Wunder der Gnade zu erzählen; die Erwartung des alten Simeon hat sich erfüllt, die Witwenschaft der Prophetin Anna ist vorüber und das Kind selbst hüpft im Mutterleib vor Freude. Alte Männer und junge Mädchen, junge Männer und Kinder alle haben in diesem Augenblick ihren Anteil an einer reicheren Freude als damals, da die Morgensterne mit einander jubelten. Die Freude der Schöpfung hörte leider bald auf, und Seufzen wurde stattdessen gehört; denn der Mensch befleckte sehr bald Gottes Werk. Und doch wurden ihre Grundlagen unter Jubel gelegt. So ist es auch hier. Wie bald mag die Freude in dieser bösen Welt zum Schweigen gebracht werden und die Tochter Zion sich als dafür nicht zubereitet erweisen! Wir können daraus lernen, daß Gesänge des Himmels, fallen sie auf ein träges Herz, keine Antwort auf der Erde erhalten; aber dennoch werden die Grundlagen dazu, wie bei dem früheren Werk Gottes, in heiliger Freude gelegt.
Wie eindrucksvoll entfalten sich diese Kapitel vor unseren Augen! Eine lange und traurige Zeit seit den Tagen der Rückkehr aus Babylon war vorüber, und der Morgen bricht nun an. Die Himmel sind geöffnet, und die Wüsten Israels werden wieder heimgesucht.
Wer hatte vorher mit einem solchen Tag gerechnet? Der Priester war an dem gewohnten Altar, die Jungfrau von Nazareth zu Hause in den üblichen Umständen des menschlichen Lebens, und die Hirten bewachten wie immer die Herde, als die Herrlichkeit des Herrn leuchtete und aufs neue aus der Gegenwart Gottes schien. Und Gabriel kann ohne Zurückhaltung am heiligen Ort bei dem Priester stehen und ohne Hemmung in der armen Behausung der Jungfrau weilen. Ungezwungenheit und Gnade sind die Merkmale dieser himmlischen Besuche glückliche Pfänder kommender, noch glänzenderer Tage! Aber der Bote Gabriel, obwohl er am Altar steht, steigt nicht, wie der Engel Jehovas vor alters (Richter 13, 20), in der Flamme des Altars empor, noch spricht er, obwohl er im Tempel steht, von sich selbst, daß er größer sei als der Tempel, wie später JesusJehova. Denn er hat nur seinen Platz als Diener auszufüllen und nimmt daher keinen höheren ein.
Das ist sehr gesegnet, wie alles andere auch. Aber diese Tage werden ein noch helleres Original in den Tagen des kommenden Reiches haben: die Ungezwungenheit und Gnade, der Glanz und die Freude werden größer sein als bisher gekannt. Die Unterpfänder werden mehr als nur eingelöst werden, denn das ist die Weise unseres Gottes. Er wird das Tun Seiner Hände deutlich und klar machen und die Verheißungen Seiner Gnade durch Seine Segnungen weit übertreffen.
Beschäftigen wir uns auch noch mit den herrlichen Aussprüchen des Geistes durch Seine Gefäße und Kanäle in diesen Kapiteln! Weiche Fülle von Gedanken und Gefühlen quillt von den Lippen Marias, Zacharias' und Simeons!*) Und wie beglückend ist es, wenn unsere Herzen in Übereinstimmung mit ihnen etwas von diesen Empfindungen ausfließen lassen und ein wenig von diesen geistlichen Zuneigungen erfüllt sind! Aber wir kennen die Trägheit unserer Herzen nur zu gut.
*)Die Juden schrieben oft, wie wir wissen, über ihren Messias unter dem Namen "Menachem', d. h."Tröster", wie von Simeon hier gesagt wird, daß er auf den "Trost Israels" wartete, d. h. auf den Messias. Und es liegt der Gedanke nahe, daß dies den Herrn selbst veranlaßte, von dem Heiligen Geist als von dem "anderen Sachwalter" oder "Tröster" zu sprechen.
Das war also die Geburt dieser beiden Kinder und die sie begleitende Freude des Himmels und der Erde, wie sie in diesen ausnehmend schönen Kapiteln beschrieben wird. In ihrem weiteren Verlauf erhalten wir noch andere Mitteilungen über diese heiligen Kinder. Ihr Wachstum an Gestalt und Weisheit, während sie noch jung waren, wird nur hier erwähnt, und das ist, wie schon bemerkt, ganz in Übereinstimmung mit der Absicht des Geistes Gottes in diesem Evangelium. Denn hier wird uns der Mensch vorgestellt. Diese Blicke in die Kindheit und Jugend des Herrn Jesus sind an sich schon lieblich und rührend, aber auch in Anbetracht des Charakters unseres Evangeliums. Jetzt ist Er das Kind, wie Er später der Mann sein wird. In jedem Alter ist Er gleichmäßig und vollkommen Gott wohlgefällig, dem Er jeden Abschnitt Seines irdischen Lebens weiht. Hier sehen wir Ihn in Unterwürfigkeit gegenüber Seinen Eltern in Nazareth, aber auch in Gunst sowohl bei Menschen als bei Gott. Das alles war Frucht "zu seiner Zeit". Noch war Er nicht berufen, für Gott gegen diese Welt zu zeugen. Wenn die Zeit dafür gekommen sein wird, werden wir Ihn auch dann in Vollkommenheit sehen, und Er wird den entsprechenden Haß erfahren, wie Er jetzt die geziemende Gunst des Menschen genießt (Joh. 7, 7). Aber bis jetzt ist Er nur das vollkommene Kind, Seinen Eltern zu Hause unterwürfig, geziert mit jedem göttlichen Schmuck, der einer solchen Person gebührt, und so empfiehlt Er sich den Herzen und Gewissen aller.
Auch heiliger Eifer in der Erlangung aller göttlichen Weisheit kennzeichnet dieses teure und heilige Kind. Jedes Jahr brachte ordnungsgemäß das Ihm eigene Wachstum mit sich. Aber Gott selbst war der Gegenstand Seines Herzens, Seine einzige Beschäftigung. Denn der Tempel war, wie wir hier sehen, der Schauplatz zur Entfaltung dessen, was Er mit Eifer in Seiner Jugendzeit aufgenommen hatte. Viele laufen hin und her und vermehren Kenntnisse aller Art, wie sie sie in den rührigen Schulen der Menschen erlangen können. Aber alle Kenntnis, die dieses Kind suchte und erwarb, war dem Heiligtum angemessen. Nicht in den Schulen, sondern im Tempel Gottes brachte Er die Frucht Seines eifrigen Fleißes hervor.
Indessen ist der Mensch darauf nur wenig vorbereitet, was wir hier sehen. Seine Verwandten im Fleische verstehen dieses Kind nicht. Sie freuen sich vielleicht, daß Er als ein frommes Kind die Aufmerksamkeit auf sich zieht, und meinen, Er sei auf Wunsch anderer, die Ihn sehen und beobachten wollten, von der Reisegesellschaft festgehalten worden. Die Eitelkeit einer Mutter mag das vermuten.*) Und als sie Ihn vermissen, suchen sie Ihn, wo das Fleisch Ihn suchen würde. Aber dort war Er nicht. In all diesem offenbart sich die arme menschliche Natur. In der Eitelkeit, der irregeleiteten Suche, dem Erstaunen und dem verständnislosen Verweis Marias zeigt sich, was der Mensch ist. Jesus, das Kind, beginnt so, die verderbte Natur bloßzustellen. "Wußtet ihr nicht?" kann Er zu ihnen sagen. Ohne Frage hätte dieses Kind sagen können: "Verständiger bin ich als alle meine Lehrer, denn deine Zeugnisse sind mein Sinnen. Mehr Einsicht habe ich als die Alten, denn deine Vorschriften habe ich bewahrt" (Ps. 119, 99. 100). Welch ein Trost ist das alles für uns! Es ist köstlich zu wissen, daß unser Gott auf dieser unserer Erde einen Gegenstand gehabt hat, auch einen Sohn des Menschen, an dem sich Sein ganzes Herz erfreute. Aber nur von dem Herrn Jesus kann das gesagt werden.
*)Ein anderes treffendes Beispiel derselben Gesinnung Marias finden wir in Joh. 2, 3.
Kapitel 3
Eine lange Zeit ist inzwischen verstrichen, wenn wir zu den Berichten dieses Kapitels kommen. Wie der Weg Moses in seiner Jugend (so möchten wir diese Jahre nennen), ist auch der Weg des Herrn durch die Überlegungen und die Finsternis der Natur unterbrochen worden. Mose meinte, "seine Brüder würden verstehen, daß Gott durch seine Hand ihnen Rettung gebe; sie aber verstanden es nicht". Ihr Unglaube trennte ihn vierzig Jahre von seinen Brüdern.
So tat der Herr Jesus, der größer ist als Mose, Seines Vaters Werk in der Mitte Israels, aber Seine Brüder verstanden Ihn nicht. Er mußte nach Nazareth hinabgehen und wurde Israel eine Zeitlang entfremdet. Er kann sie nur in derselben Vollkommenheit vor Gott verbringen. Der Unglaube des Menschen mag die Situation verändern, aber nichts kann das Herz dieses heiligen Menschen beeinflussen. Er ging hinab nach Nazareth, um dort untertan zu sein, noch immer als ein gottesfürchtiges Kind, das zunahm an Weisheit und Größe und Gunst bei Gott und Menschen.
Aber hier in diesem Kapitel kommen wir in völlig andere Umstände und Zeiten. Die Kinder sind herangewachsen und reif, sich Israel zu zeigen. Gerade diesen feierlichen Augenblick benutzt unser Evangelist, eine ausführliche Übersicht über die Welt zu geben. Das war eine Aufgabe, die ihm durch den Heiligen Geist eigentlich gegeben war, denn der Geist hat bei Lukas, wie schon gesagt, den Menschen im Auge und beschäftigt sich mit dem Menschen. Er zeigt uns hier, wie still und ruhig die ganze Erde saß (Sach. 1, 11), denn das heidnische Tier hatte alles nach seiner Vorstellung geordnet. Der Römer Tiberius war Kaiser, seine Prokonsuln waren in ihren verschiedenen Regierungsbezirken, und Judäa war ein Teil seiner Stärke und Ehre. Auch die Priester waren in ihrem Tempel. Alles in der politischen und religiösen Welt war so, wie der Mensch es haben wollte. Doch in den Augen Gottes war dies alles eine Wildnis, denn statt daß Er darin einen Ruheplatz für sich besaß, wird die Stimme Seines Dieners ausgesandt, wie einst Elia in den bösen Tagen Ahabs, um alle aufzuwecken und den Schlaf der fleischlichen Zufriedenheit, worin der Mensch und die Weit eingehüllt waren, zu stören.
Gottes Gedanken sind in der Tat nicht die Gedanken des Menschen. Des Menschen Sabbath war jetzt für Gott eine Wüste, und Er wird an ihm tätig sein wie in der Wüste. Die Haushaltung des Gesetzes hatte inzwischen den Menschen erprobt, und es hatte sich gezeigt, daß er hoffnungslos von der Gerechtigkeit abgewichen war. Deshalb wird Johannes gesandt, den Menschen aufzufordern, den Platz eines überführten Sünders einzunehmen. Er weist auf das Heilmittel hin, das in Gott für den Sünder da war, aber er zeigt es nicht als bereits erreichbar und eingeführt. Er verkündigt die Vergänglichkeit alles Fleisches und legt die wirklichen Wurzeln bloß. Doch hatte er nicht den Samen einer besseren Ernte in seiner Hand. Er sprach das Todesurteil über den Menschen aus, aber Leben brachte er ihm nicht. Er warf ihn in den Staub, gab ihm aber keine Kraft, sich wieder zu erheben. Das Leben und die Kraft sollten hernach durch den Sohn kommen. Johannes tat keine Wunderwerke." Er forderte den Gewalttätigen auf, das Reich mit Gewalt an sich zu reißen, aber er zeigte ihm keine offene Tür. "Er war nicht das Licht, sondern auf daß er zeugte von dem Lichte." Er stand zwischen Israel und seinem Gott. Einerseits sagte er Israel, daß sie alle Fleisch waren und daß das Fleisch wie Gras war, zum anderen wies er auf JehovaJesus, den Gott Israels, hin, der Seinen Lohn mit sich bringe und vor dem er Sein Werk tat.
In seinem Dienst war eine Mischung von Gnade und Gerechtigkeit. Er kam "auf dem Wege der Gerechtigkeit", stand abseits von der Welt und lehnte die Berührung mit ihr ab. So strafte er durch sein Licht die Finsternis. Er sang seiner Generation Klagelieder, aß nicht und trank nicht, weil er die Menschen aufforderte, sich als Sünder zu erkennen und ihren Platz als solche einzunehmen. Aber dann kam er auch wieder im Wege der Gnade, weil er der Vorläufer des Herrn war und vor dem Angesicht des Herrn herging, um den Weg des Heils und das Reich vorzubereiten. So gab es eine Vermischung von Gnade und Gerechtigkeit in seinem Dienst. Das war ohne Frage ein Fortschritt gegenüber dem Gesetz und den Propheten. Das Gesetz hatte den Menschen im Fleisch, der Gerechtigkeit entsprechend, in Ordnung zu bringen versucht, während die Propheten in gewissem Sinne zur Unterstützung des Gesetzes gesandt waren, um das Volk zum Gehorsam zurückzurufen, damit ihm jede Hilfe und jeder Nutzen zuteil würde. Gottes überreiche Geduld prüfte damit, ob der Mensch imstande wäre, sich selbst wiederherzustellen und in Gerechtigkeit zu leben oder nicht. Der Dienst Johannes' setzte jedoch die Hoffnungslosigkeit aller dieser Erwartungen voraus und beschäftigte sich mit dem Menschen als einem überführten Sünder. Aber und das ist die Ordnung nach göttlicher Weisheit sein Dienst war doch nicht so groß wie der Dienst, der jetzt eingeführt worden ist. Nach der Auferstehung forderten die Apostel den Menschen auf, im Glauben den Platz eines begnadigten Sünders einzunehmen. So hat jetzt für uns das Licht der Gnade und des Heils seinen Mittagsglanz erreicht, und wir erwarten nur noch das Licht der Herrlichkeit und das Reich.
Bei unserem Gott dürfen wir wohl sagen gab es von Anfang an ein viel tieferes und ausgezeichneteres Werk als das der alten Schöpfung. Die alte Schöpfung war in gewissem Sinne dem Menschen zu seiner Verfügung überlassen. Seine Treue oder sein Ungehorsam als Geschöpf sollten die Geschichte dieser Schöpfung bestimmen. Aber der göttliche Ratschluß vor der Schöpfung hatte im Sohne ein Werk geplant und niedergelegt, das nie mißlingen konnte, weil es von keiner geringeren Kraft als Seiner eigenen abhängig war. Dieses Geheimnis hat der Herr vor sich, wenn Er sagt: "Der Himmel und die Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen." Die Schöpfung ist vergänglich, die Erlösung (das Werk des Wortes) dagegen unerschütterlich, weil der lebendige Gott sich selbst damit verbunden hat. So sagt der Prophet, indem er Jesus, den Sohn, anredet: "Du hast vormals die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk" (Ps. 102, 25). Alle Dinge, die gemacht sind, werden erschüttert werden (Hebr. 12, 27), denn Gott ist nicht selbst mit ihnen verbunden; Er ist nicht ihre Grundlage. Aber das Wort war bei Gott, war Gott und wurde Fleisch, wesentlicher Bestandteil wenn man so von diesem wunderbaren Geheimnis ewiger Gnade sprechen darf des Werkes selbst. Er ist der Weinstock, das Haupt der Ecke, der Eckstein des Hauses. Das gibt der Erlösung eine unsagbar vorzüglichere Herrlichkeit, als sie die Schöpfung je hatte. Deshalb sagt der Täufer in seinem Dienst, den wir in diesem Kapitel unseres Evangeliums finden: "Das Gras ist verdorrt, die Blume ist abgefallen (verwelkt); aber das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit" (Jes. 40,8). An diesem Werk ist alles unverweslich. Der Same des Lebens, den es bringt, ist unverweslich, der Leib, mit dem es dieses Leben bekleiden wird, ist unverweslich, und das Erbe, mit welchem es bekannt macht, ist unverweslich (l. Kor. 15; 1. Petr. 1). Gott ist durch den Riß, den die Sünde des Menschen verursacht hat, in die alte Schöpfung eingetreten und hat Sich selbst mit dem gewaltigen Ruin auf eine Weise und mit einem Ziel verbunden, daß es zum ewigen Ruhm Seines eigenen heiligen Namens, aber auch zur unangreifbaren Ruhe und Unvergänglichkeit Seiner neuen Schöpfung ausschlägt.
Psalm 90 scheint die Äußerung einer Seele zu sein, die etwas von diesem Geheimnis erfahren hat. Der Prophet blickt zu einem Gott auf, der über jeder geschaffenen Macht steht. Dann stellt er die der alten Schöpfung anhaftende Nichtigkeit fest. Schließlich aber findet er aus einer solchen Sicht heraus Trost in Gottes Werk der Barmherzigkeit oder in dem Werk der Erlösung durch das Wort. So ist es auch mit uns, Geliebte. Das Werk des Wortes oder Gottes, geoffenbart im Fleisch, ist in dem schmerzlichen Bewußtsein der allgemeinen Nichtigkeit um uns her der Trost für unsere Herzen. Der Dienst Johannes' des Täufers mochte die Seele zu diesem Bewußtsein der Vergänglichkeit führen, doch blieb es einem Anderen vorbehalten, uns diesen kostbaren und zuverlässigen Trost in Ihm selbst und Seinem Werk zu geben, das ewigen Bestand hat.
Doch dies sei nur so nebenbei im Zusammenhang mit dem Dienst des Täufers erwähnt. Danach haben wir den Stammbaum des Herrn, der bis zum Ursprung der menschlichen Familie zurückführt, nicht nur bis zu David und Abraham wie in Matthäus, sondern bis zu Adam. Das ist ebenfalls, wie nicht betont zu werden braucht, ganz in Übereinstimmung mit den Absichten des Geistes Gottes bei Lukas. Daß eine solche Ahnentafel im JohannesEvangelium fehlt, ist genauso in völliger Übereinstimmung mit dem Charakter dieses Evangeliums. Denn Abstammungsverzeichnisse bestätigen nur menschliche oder völkische Beziehungen. Das Aufbewahren von Geschlechtsverzeichnissen, wie es in den jüdischen Schriften geschah (l. Chron. usw.), zeigt die Vorsorge für die Erhaltung der menschlichen Ordnung. Diese Ordnung wird auch im Reiche aufrechterhalten, wenn die Herzen der Kinder zu den Vätern und die Herzen der Väter zu den Kindern gewendet werden (Sach. 12,1014). Wir jedoch werden ermahnt, uns nicht mit Geschlechtsregistern abzugeben (l. Tim. 1, 4; Tit. 3, 9), denn die Versammlung soll kein Diener für die Ordnung und Aufrechterhaltung menschlicher Systeme sein, sondern sie hat himmlische Beziehungen.
Bevor wir zum folgenden Kapitel kommen, möchte ich bemerken, daß die Gottessohnschaft unseres Herrn hier bei Seiner Taufe anerkannt wird, wie schon vorher bei der Ankündigung Seiner Geburt und später noch bei der Verklärung (Kap. 1, 35; 9,35). Aber dies hat jedesmal eine unterschiedliche Bedeutung. Das Kind der Jungfrau, die von dem Heiligen Geist überschattet wurde, sollte "Sohn Gottes" genannt werden, wodurch Seine Person anerkannt wurde. Jetzt, bei Seiner Taufe, wird dasselbe Zeugnis ein zweites Mal abgegeben mit dem Zusatz: "An dir habe ich Wohlgefallen gefunden." Damit wird Sein Dienst anerkannt, denn die Taufe führte Ihn in Seinen Dienst ein, der das vollkommene, göttliche Wohlgefallen hervorrufen sollte. Das ist gesegnet und tröstlich für uns Sünder. Das Gesetz wurde niemals so bestätigt, denn es forderte Gerechtigkeit. Auch Johannes der Täufer wurde nie auf diese Weise bestätigt, denn er überführte den Menschen, ohne ihm zu helfen. Aber nun, da der Sohn in Gnade und mit Heilung für Sünder kam, konnte Gottes Herz ruhen, denn das war die Erfüllung des Vorsatzes Seiner Liebe. So konnte jetzt von dem Sohn und Seinem Dienst bei der Taufe bzw. bei Seiner Salbung, die unmittelbar Seiner Taufe folgte, bezeugt werden: "Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden." Bald wird Er zum dritten Mal dieses Zeugnis bekommen, wenn die Herrlichkeit oder das Reich für einen Augenblick auf dem Berge sichtbar wird. Dann wird dieselbe Bestätigung mit dem Zusatz gehört werden: "Ihn höret!" Und das ist zu seiner Zeit ebenso vollkommen, denn es bestätigt Ihn in Seinem Königtum. Jedes Knie muß sich vor Ihm beugen, und die Seele, die Ihn nicht hören will, wird aus Seinem Volke ausgerottet werden (Apg. 3, 22. 23).*)
*) Diese Worte "ihn höret" waren ein Verweis für Petrus, der Mose und Elia auf dieselbe Ebene mit dem Herrn Jesus stellte.
So wird bei drei Gelegenheiten bei der Ankündigung Seiner Geburt, bei Seiner Taufe und bei Seiner Umgestaltung Seine Gottessohnschaft bezeugt. Mit anderen Worten: Seine Person, Sein Dienst und Seine Herrschaft werden von dem Vater anerkannt. Das ganze Wohlgefallen Gottes ruhte auf Ihm, und die völlige Unterwerfung der Erde wurde für Ihn gefordert. Gott hat Sein völliges Wohlgefallen an Ihm, und die Erde soll Ihn hören. Auf diese Zeugnisse durch die Stimme vom Himmel folgt zu gegebener Zeit die Auferstehung, um sie in Tat und Wahrheit abschließend zu beglaubigen und den Herrn Jesus "als Sohn Gottes in Kraft" zu erweisen (Röm. 1, 4).
Kapitel 4
Aber Satan konnte das alles nicht zulassen. Er konnte nicht dulden, daß der Herr Jesus als Sohn Gottes anerkannt wurde, und das auch noch in Verbindung mit der menschlichen Familie, wie sie durch Adam bestand (Kap. 3, 22.38). Diesen Anspruch konnte er nicht wiederaufleben lassen, ohne ihn anzufechten. Denn durch Satans List hatte der erste Mensch seine Würde verloren. Gott hatte den Menschen geschaffen und nach Seinem Gleichnis gemacht. Aber der Mensch hatte Kinder gezeugt in "seinem Gleichnis" (l. Mose 5, 3), befleckt wie er selbst, und nicht als ein Geschlecht, das wert war, "Söhne Gottes" genannt zu werden. Aber Jesus war jetzt erschienen, um diese verloren gegangene Würde des Menschen wieder geltend zu machen. Deshalb muß der Teufel Sein Recht dazu prüfen, und mit dieser Absicht kommt er jetzt, Ihn zu versuchen, indem er sagt: "Wenn du Gottes Sohn bist . . ." Das war der Entscheidungspunkt zwischen dem gesalbten Menschen und dem großen Feind des Menschen. Und der Herr Jesus bestand, wie wir wissen, in der erhabenen Haltung eines Siegers.
Alles was Adam, den ersten Menschen, umgab, hatte zweifellos für Gott gezeugt, gegen den Feind. Die Lieblichkeit des ganzen Schauplatzes, die Schönheit des Gartens "der Wonne" mit seinen Flüssen, die sich hierhin und dorthin ergossen, die Früchte und Wohlgerüche mit dem bereitwilligen Dienst Zehntausender unterworfener Geschöpfe alles das sprach für Gott, gegen den Ankläger. Aber der Herr Jesus war in einer Wüste, die nichts bot, sondern Ihn hungern ließ, wo wilde Tiere Ihn umgaben alles hätte von dem Ankläger als Argument gegen Gott angeführt werden können. Alles war gegen den Herrn, wie alles für Adam gewesen war, aber Er blieb standhaft, während Adam fiel. Der Mensch vom Staube versagte, obwohl alles um ihn herum ihn begünstigte, während der Mensch Gottes die Probe bestand, obgleich alles gegen Ihn war. Weich ein Sieg war das! Weich ein Wohlgefallen an dem Menschen muß das im Herzen Gottes wieder hervorgebracht haben! Diesen Sieg zu erringen war der Herr Jesus vom Heiligen Geist an diesen Ort des Kampfes geführt worden, denn Sein Auftrag war es, die Werke des Teufels zu vernichten (l. Joh. 3, 8). Er stand als der Verfechter der Herrlichkeit Gottes und des Segens des Menschen in dieser abtrünnigen Welt, um Seine Kraft gegenüber beider Feind unter Beweis zu stellen und die Rechtmäßigkeit Seines Dienstes darzutun. Als der große Überwinder ist Er alles Lobes wert.
Aber für uns war Er der Überwinder, und deshalb kommt Er sofort mit der Beute jener Tage und legt sie uns zu Füßen. Im Kampf war Er allein, aber Er wollte nicht allein bleiben im Sieg. Der da sät und der da erntet, sollen sich zusammen freuen (Joh. 4, 36). Es war ein alter Brauch bei David, daß der, weicher in den Kampf zog, die Beute teilen sollte mit dem, der bei dem Gerät zurückblieb. Es war eine Satzung, die der Gnade des "Geliebten" würdig war. Aber hier war ein Besserer als David, der nicht nur königliche, sondern göttliche Würde besaß. So kommt Jesus, der Sohn Gottes, aus der Wüste zurück, um Frieden zu verkündigen, Krankheiten zu heilen, den Nöten all derer zu begegnen, die Gefangene dieses Feindes waren, und sie wissen zu lassen, daß Er ihn für sie überwunden hat.
Hierdurch erfahren wir etwas über den Charakter der Segnungen, die wir Sünder aus der Hand des Sohnes Gottes empfangen. Wir erhalten sie als Siegesbeute. Durch die Sünde haben wir alle mit der Schöpfung verbundenen Segnungen verwirkt, die einst im Garten Eden unser Teil waren, und wir haben sie dort verloren. Aber jetzt sind alle Segnungen die Frucht des Sieges des Herrn Jesus. Und das gibt dem Herzen Sicherheit, wenn wir uns ihrer erfreuen, denn auf Seinen Sieg gründen wir unser Anrecht an dem Segen, den wir in Anspruch nehmen. Der Segnende hat sich selbst das Recht erworben zu segnen, denn Er hat den Segen erbeutet, bevor Er ihn verteilt. Deshalb kennen wir unser Vorrecht, von dem Herrn Jesus gesegnet zu sein, so wie Adam das seine kannte, in Eden glücklich zu sein. Können wir da noch irgendwelche Zweifel haben? Wir trinken weder "gestohlenes Wasser", noch ist es "heimliches Brot" (Spr. 9,17), wovon wir uns nähren. Aus dem Fresser kam Fraß, und aus dem Starken kam Süßigkeit" (Richt. 14, 14). Das ist der Charakter der Segnungen, die der Herr uns Sündern gibt, es ist Seine eigene wohlverdiente Beute. Und das finden wir hier. Soll heiligen Geistes" trat Er dem Teufel entgegen (Vers 1), widerstand ihm und besiegte ihn, und noch immer "in der Kraft des Geistes" (Vers 14) begegnet Er den Sündern mit Segen, um sie zu heilen und zu erretten. Nach diesem Tag in der Wüste traf Er später auf Golgatha mit ihm zusammen, der die Macht des Todes hat, und dort hat Er ihn durch den Tod zunichte gemacht. In Auferstehungsmacht aus dem Tode hervorgekommen, teilt Er wiederum Seine Beute mit Sündern in der ganzen Welt, und wir dürfen mit Herzensgewißheit die herrlichen Segnungen überschauen und genießen.
Wo aber ist der Sünder, der die Segnungen würdigen und sich mit der Beute des siegreichen Sohnes Gottes schmücken könnte? Das ist jetzt die Frage, und zwar die einzige Frage. Der Mensch von Natur hat keinen Sinn für diese Segnungen und kümmert sich weder um einen Sieg, durch den der Gott dieser Welt gerichtet worden ist, noch um dessen Früchte. Die Synagoge zu Nazareth zeigt uns nun, was der Mensch ist, so wie uns die Wüste soeben offenbart hat, wer Satan ist. Alles, womit der Mensch behaftet ist, ist seiner Meinung nach besser als die Frucht des Sieges, die unser David mit Sich bringt. Das sehen wir hier in Nazareth. Menschliches Verlangen ist für einen Augenblick geweckt. Die Menge ist über die gnadenreichen Worte des Herrn verwundert, und aller Augen sind auf Ihn gerichtet. Doch dieser Zug menschlichen Begehrens trifft auf eine sofort einsetzende Strömung menschlichen Hochmuts, und die ganze Freude an der Gnade des Herrn Jesus verschwindet. Sie hängen einen Augenblick an Seinen Lippen, aber der Stolz, der da einwendet: Ast dieser nicht der Sohn des Zimmermanns?" (Matth. 13, 55), unterdrückt nach kurzem inneren Kampf die Anziehungskraft Seiner Worte, und ihre Frömmigkeit erweist sich "wie die Morgenwolke" und "wie der Tau, der früh verschwindet" (Hos. 6, 4).
Und so ist es auch heute noch. Feindschaft gegen Gott und Seinen Gesalbten wird immer den Sieg davontragen, wann immer ein solcher Konflikt im Herzen des Menschen entsteht. Geht es nur um einen Zwiespalt zwischen bloßer menschlicher Freude oder Bewunderung für den Herrn Jesus und der Stärke der Natur, dann lehrt uns diese Szene in der Synagoge zu Nazareth, wie dieser Kampf ausgehen wird. Was im Herzen oder im Hause ist, wird mehr geschätzt als der Segen Gottes. Bis heute hat der Mensch diesen Segen für dreißig Silberlinge, ja, für ein Linsengericht verkauft. Und das ist ein ernster Gedanke: Wer auf sein Herz vertraut, der ist ein Tor" (Spr. 28, 26), denn Gott kann ihm nicht trauen. Es gibt nichts im Menschen, dem Gott trauen könnte. Einige glaubten, als sie die Wunder des Herrn sahen, aber "Jesus selbst vertraute sich ihnen nicht an". Nichts vom natürlichen Menschen ist zu gebrauchen. "Ihr müsset von neuem geboren werden." "Dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: euer Glaube." Entschlüsse müssen den Versuchungen vorausgehen, denn alle menschlichen Beziehungen werden durch Satan zerrissen. Die Gemeinschaft mit Gott in der Wahrheit, durch den Heiligen Geist, kann allein die Seele standhaft machen, aber die natürliche Kraft des Stärksten wird zerbrechen.
Dieses Kapitel zeigt uns aber auch, daß die Liebe des Sohnes Gottes nicht ermüdet oder erschöpft werden konnte; denn nachdem Er Nazareth verlassen hatte, ging Er mit derselben Kriegsbeute hinab nach Kapernaum. Seine Liebe war stärker als jede Zurückweisung, wie sie sich später stärker als der Tod erwies. "Die Liebe vergeht nimmer." Und der Sohn Gottes geht noch immer durch diese Welt der Sünder mit derselben Beute, die so frisch ist, als sei sie gestern eingesammelt worden, um solche zu suchen und zu finden, die sich mit Ihm daran erfreuen möchten.
Soviel über dieses Kapitel, das bei Lukas den Dienst des Sohnes Gottes eröffnet, und da Er sich in diesem Evangelium besonders mit dem Menschen beschäftigt, wird uns hier sofort überzeugend gezeigt, wie und was der Mensch ist. Er ist so, wie der Prediger ihn beschreibt: "Es war eine kleine Stadt, und wenig Männer waren darin; und wider sie kam ein großer König, und er umzingelte sie und baute große Belagerungswerke wider sie. Und es fand sich darin ein armer, weiser Mann, der die Stadt durch seine Weisheit rettete; aber kein Mensch gedachte dieses armen Mannes." Die Synagoge zu Nazareth beweist die Wahrheit dieser Worte.
Kapitel 5
Wir kommen jetzt zum 5. Kapitel, dessen Inhalt wir im allgemeinen auch in anderen Evangelien finden. Ich möchte daher nur auf das eingehen, was für Lukas charakteristisch ist.
Unser Evangelist befaßt sich, wie schon bemerkt, weniger mit den äußeren Umständen, wie z. B. mit der chronologischen Reihenfolge oder dergleichen, sondern er stellt die Ereignisse nach sittlichen Gesichtspunkten zusammen, beschäftigt sich mit Menschen und Grundsätzen. So tun wir es ja mitunter auch. Wenn jemand einem anderen bestimmte Ereignisse erzählt, um ihn damit bekannt zu machen, so wird er alle Einzelheiten, auch die über Zeit und Ort, gewissenhaft berichten. Will er die Geschehnisse jedoch nur dazu benutzen, bestimmte Grundsätze und Wahrheiten zu illustrieren, so wird er auf diese Dinge weniger Sorgfalt verwenden. So haben wir in diesem Kapitel eine Szene, die zeitlich weit vor den im vorigen Kapitel geschilderten Ereignissen liegt. Die Berufung Simons zum Menschenfischer erfolgte tatsächlich vor der Heilung seiner Schwiegermutter (siehe Matth. 4,18; 8,14 und Mark. 1, 16.30), aber hier bei Lukas wird sie hinterher berichtet (vgl. Luk. 4,38 mit 5, 1). Die zeitliche Reihenfolge ist nichts für Lukas, denn seine Absicht ist nicht festzustellen, was zuerst geschah, sondern uns Grundsätze in den Beziehungen zwischen Gott und den Menschen vorzustellen. Dementsprechend enthüllt er uns in der Berufung Simons große moralische Grundsätze, welche die anderen Evangelisten nicht erwähnen, während die Umstände für ihn unwesentlich sind.