Matthäus Kap. 1-5

csv ©
Grundzüge des neuen Testaments F.B. Hole 
Matthäus 1 - 5
Kapitel 1
Der Wortlaut des ersten Verses im Neuen Testament lenkt unsere Gedanken zurück zum ersten Buch des Alten Testaments, dem 1. Buch Mose oder Genesis, insofern als "Geschlecht" die griechische Übersetzung des Wortes Genesis ist. Matthäus im besonderen und das ganze Neue Testament im allgemeinen ist das "Buch des Geschlechts Jesu Christi". Wenn wir im 1. Buch Mose nachschlagen, finden wir dort eine Aufgliederung in sieben Abschnitte, und jeder von ihnen beginnt mit einer Aussage über "Geschlechter". Der dritte Abschnitt beginnt: "Dies ist das Buch von Adams Geschlechtern" (5,1); und das ganze Alte Testament entfaltet uns die traurige Geschichte Adams und seines Geschlechts, um dann mit dem "Bann" (Mal 4,6) schrecklich und doch völlig angemessen zu enden. Wie tröstlich, daß wir uns von den Geschlechtern Adams zu dem "Geschlecht Jesu Christi" wenden dürfen, denn hier wird die Gnade eingeführt, und in ihrem Zeichen endet das Neue Testament (Offb 22,21).

Jesus wird sogleich in einer zweifachen Weise vorgestellt. Er ist der Sohn Davids, und deshalb gehört Ihm die königliche Krone, die Gott zuerst dem David verlieh. Er ist auch der Sohn Abrahams, von daher hat Er das Anrecht auf das Land, und aller verheißene Segen ist Ihm übertragen. Nachdem dies festgestellt ist, wird Sein Geschlechtsregister aufgeführt, von Abraham bis Joseph, dem Mann der Maria. Dies ist wohl das "offizielle" Geschlechtsregister, entsprechend der jüdischen Darstellungsweise. Auffällig an dieser Liste sind ihre Auslassungen, da drei Könige, deren Namen in engem Zusammenhang mit der schändlichen Athalja stehen, in Vers 8 weggelassen sind; und die Zusammenfassung von dreimal "vierzehn Geschlechtern", wie sie Vers 17 gibt, zeigt, daß sie nicht zufällig weggelassen sind, sondern daß Gott sie verleugnet und sich weigert, die Könige zu zählen, die unmittelbar von dieser Baals Anbeterin abstammten.

Weiterhin ist bemerkenswert, daß die Namen von nur vier Frauen aufgeführt sind, und es sind durchaus nicht solche, die wir erwartet hätten. Zwei von den vieren waren Heidinnen, jüdischem Stolz wenig zuträglich; doch bewiesen beide einen auffallenden Glauben, obwohl eine von ihnen einen unmoralischen Lebenswandel geführt hatte, wie er für die heidnische Welt bezeichnend war. Die beiden anderen waren israelitischer Abstammung, doch von ungutem Ruf, und von keiner ist uns etwas Ehrenvolles bekannt. Der Name Bathsebas wird nicht einmal erwähnt; sie ist lediglich die "Frau des Urias", womit mindere Anerkennung ausgedrückt wird. Und wiederum mußte all das den jüdischen Stolz verletzen. Das Geschlechtsregister unseres Herrn fügt Ihm wahrlich nichts hinzu. Doch verbürgte es Seine echte Menschheit und die Tatsache, daß die Rechte, die David und Abraham gegeben waren, legalerweise auf Ihn übergingen.

Wenn nun die ersten 17 Verse sicherstellen, daß Jesus wirklich ein Mensch war, so geben uns die folgenden Verse des Kapitels die Gewißheit, daß Er noch weit mehr als ein Mensch war, nämlich Gott selbst, unter uns gegenwärtig. Durch einen Engel wird dem Joseph als dem Verlobten der Maria mitgeteilt, daß das von ihr erwartete Kind vom Heiligen Geist gezeugt war und daß es nach Seiner Geburt den Namen Jesus tragen sollte. Er wird Sein Volk erretten von ihren Sünden, und darum wird Sein Name Jesus (d.i. Jehova ist Rettung) sein. Nur Gott kann im Blick auf Dinge, die sich in der Zukunft erfüllen, den rechten Namen bestimmen. Wie völlig ist dieser große Name bestätigt worden! Was für eine Ernte an erretteten Menschen wird in künftigen Tagen eingebracht werden, und sie alle werden von ihren Sünden errettet sein, und nicht nur von dem Gericht, das ihre Sünden verdiente! Nur "sein Volk" wird in dieser Weise an dieser Errettung teilhaben. Um diese Errettung zu kennen, muß man durch den Glauben an Ihn unter ihnen eingeschrieben sein.

So wurde die Weissagung in Jesaja 7,14 erfüllt, wo die Größe und Macht des kommenden Erretters so klar angezeigt worden war. Sein prophetischer Name, Emmanuel, kündigte an, daß Er Gott sein würde, offenbart im Fleisch ﷓ Gott mitten unter uns in einer weit wunderbareren Weise, als Erje in der Mitte Israels in den Tagen Moses offenbart war, auch weit wunderbarer im Vergleich zu Seiner Gegenwart, wie Adam sie erlebte in der Zeit, bevor die Sünde in die Welt kam. Die beiden Namen sind innig miteinander verbunden. Daß Gott bei uns ist, ohne daß wir von unseren Sünden errettet sind, wäre unmöglich: Seine Gegenwart würde uns im Gericht verzehren. Daß wir von unseren Sünden gerettet sind, ohne daß Gott uns nahegebracht ist, wäre möglich gewesen, aber dann hätte das Werk der Gnade seine höchste Herrlichkeit eingebüßt. Durch das Kommen Jesu fällt uns beides zu. Gott ist uns nahegebracht, unsere Sünden sind entfernt, und wir sind zu Ihm gebracht worden.

Kapitel 2
Die Verse, die dieses Kapitel einleiten, werfen ein helles und durchdringendes Licht auf die Verhältnisse, die in jenen Tagen unter den Juden in Jerusalem vorherrschten. S le waren die Nachkommen der Juden, die unter Serubbabel, Esra und Nehemia zurückgekehrt waren. Der König der Juden war in Bethlehem geboren, und doch wußten sie über Wochen hin nichts von Ihm. Daß der König Herodes in Unwissenheit sein würde, überrascht eigentlich nicht, denn er war kein Israelit, sondern ein Idumäer. Aber von allem Volk hätten doch die Hohenpriester von diesem großen Ereignis unterrichtet sein müssen, denn sie hatten angeblich darauf gewartet ﷓ auf die Geburt des Messias. In Lukas 2 finden wir, daß das Ereignis innerhalb weniger Stunden vom Himmel her einfachen, demütigen Menschen, die Gott fürchteten, mitgeteilt wurde. Der Psalmist hat uns gesagt, daß "das Geheimnis Jehovas" für die ist, die "ihn fürchten" (25,14), und Beispiele dafür sind die Hirten und andere; aber die religiösen Führer in Jerusalem gehörten nicht zu diesen, statt dessen aber zu den "Übermütigen", die die Menschen "glücklich preisen" (siehe Mal 3,15.16). Sie waren folglich ebenso in der Finsternis wie der böse Herodes.

Aber es gibt Schlimmeres als das. Es übcrrascht, wie gesagt, nicht, daß Herodes beunruhigt wurde, als er die Nachricht hörte, denn für ihn handelte es sich offensichtlich uni einen Rivalen, der Ansprüche an seinen Thron stellte. Doch wir lesen, daß nicht nur er bestürzt war, sondern "gan﷓ ferusalem mit ihni". So bedeutet die Ankunft des Erretters nicht Jubel, sondern Bestürzung inmitten eben dieses Volkes, das Ihn zu erwarten bekannte! Offensichtlich lag hier etwas gänzlich verkehrt, denn bis jetzt war all ihre instinktive Reaktion nichts als Abwehr. Sie hatten Ihn nicht gesehen. Er hatte bis jetzt nichts getan, und doch fühlten sie, daß Sein Kommen ihnen wohl eher ihr Vergnügen stören statt ihre Hoffnungen erfüllen würde.

Doch diese Leute waren in ihren Schriften durchaus bewandert. Sie waren in der Lage, die Anfrage des Herodes unverzüglich und richtig Zu beantworten, indem sie Micha 5,1 anführten. Sie hatten das Wissen, das aufbläht, und so hatten sie nicht erkannt, wie sie erkennen sollten (siehe 1. Kor 8,1.2), und was sie wußten, stellten sie in den Dienst des Widersachers. Der "große, feuerrote Drache" (Offb 12,3﷓5) des Römischen Weltreichs, dessen Macht im örtlichen Bereich dem Herodes verliehen war, bereitete sich vor, das "männliche Kind" zu verschlingen, und sie waren bereit, ihm dabei zu helfen. Sie verfügten über die falsche Art von Schriftkenntnis und dienen als Zeichen der Warnung für uns.

Die von ihnen zitierte Schriftstelle stellt uns den Herrn als "Herrscher" vor, der regieren sollte. Der Prophet Micha hat dabei allein Israel vor Augen, aber wir wissen, daß Seine Herrschaft weltweit sein wird; und das ist die dritte Weise, in der Er uns vorgestellt wird. In JESUS sehen wir Gott kommen, um zu retten. In EMMANUEL sehen wir Gott kommen, um zu wohnen. Als HERRSCHER sehen wir Gott kommen, um zu regieren. Es war immer Sein Gedanke, bei den Menschen zu wohnen, alles nach Seinem Wohlgefallen zu lenken und zu erfüllen, daß Er kommen mußte, um zu erretten.

Wenn das Kindlein in Bethlehem gefunden wurde, so lag darin ein Beweis dafür, daß alle drei Dinge geschehen würden, und wenn Jerusalem auch unwissend war und sich feindlich zeigte, so waren da doch Helden aus dem Osten, die es zu Seinem "Aufgang aus der Höhe" zog und die in Ihm den König der Juden erkannten. Erfassen wir, wie sehr sie die religiösen Führer in Jerusalem verurteilten'? Die Hirten in Lukas 2 wußten von Seiner Geburt innerhalb weniger Stunden, diese östlichen Sternkundigen innerhalb weniger Tage oder höchstens einiger Wochen. Es müssen jedoch mehrere Monate vergangen sein, bevor den Priestern und Schriftgelehrten eine schwache Ahnung davon aufging, was geschehen war. Zuerst durch einen Stern und dann durch einen Traum sprach Gott zu den weisen Männern, aber zu den Religiösen in Jerusalem sprach Er überhaupt nicht, und doch hatte es Tage gegeben, wo die Hohenpriester in ihrer Mitte durch die Urim und Thummim mit Gott in Verbindung gestanden hatten. Jetzt schwieg Gott ihnen gegenüber. Ihr Zustand war, wie wir ihn in Maleachi beschrieben finden, Lind wahrscheinlich noch schlimmer.

In Herodes sehen wir skrupellose Macht und Verschlagenheit. Nachdem seine Absichten von dem Verhalten der Weisen durchkreuzt waren, meinte er durch den Befehl zur Ermordung der bethlehemitischen Knaben jede ihm drohende Gefahr abwenden zu können. Die Tatsache, daß er ein Lebensalter von bis zu zwei Jahren festsetzte, läßt erkennen, daß die Zeit zwischen der Erscheinung des Sterns und der Ankunft der Weisen in Jerusalem jedenfalls Monate umfaßte. Sein erbarmungsloses, boshaftes Handeln erfüllte Jeremia 31,15. Wenn wir diesen Vers in seinem Zusammenhang lesen, sehen wir, daß seine endgültige und vollständige Erfüllung in den letzten Tagen geschehen wird, wenn Gott die Tränen der Rahel für immer trocknen wird, indem Er ihre Kinder aus dem Land des Feindes zurückführt. Was damals in Bethlehem geschah, war die gleiche Sache, nur in kleinerem Ausmaß.

Herodes kämpfte jedoch gegen Gott, der seine Absicht vereitelte, indem Er Seinen Engel zum zweitenmal in einem Traum zu Joseph sandte. Das Kindlein wurde nach Ägypten gebracht, und so fand Hosea 11, 1 eine denkwürdige Erfüllung, und Jesus begann, den Weg Israels in der Geschichte noch einmal zu gehen. Gott war es ein Leichtes, den von Herodes verfolgten Plan zu zerschlagen, und ebenso leicht handelte Er wenig später mit Herodes selbst. Matthäus verschwendet keine Worte, um sein Ende zu beschreiben. Er berichtet uns einfach, daß, ,als Herodes gestorben war", der Engel zum drittenmal dem Joseph im Traum erschien, um ihn zur Rückkehr in das Land zu veranlassen, denn der Tod hatte die weggenommen, die dem Kindlein nach dem Leben trachteten.

Joseph dachte zuerst offensichtlich daran, nach Judäa zurückzukehren; aber als ihn Nachrichten von Archelaus, dem Nachfolger seines Vaters Herodes, erreichten, fürchtete er sich und zögerte. Zum vierten mal gab ihm Gott Anweisung durch einen Traum. So wurden er, Maria und das Kindlein nach Nazareth zurückgeführt, woher er ursprünglich gekommen war, wie uns Lukas berichtet. Es ist lehrreich zu sehen, wie Gott bei all diesen frühen Wanderungen die Führung übernahm, teils durch Umstände wie die Verordnung des Augustus und die Nachrichten über Archelaus, teils durch Träume. So wurden die Pläne des Widersachers durchkreuzt. Der "Türhüter" hielt die Tür zum "Schafhof" offen, damit der wahre Hirte eintreten könnte, trotz allem, was der Feind zu tun vermochte. So wurden die Schriften erfüllt: Jesus wurde nicht nur aus Ägypten zurückgeführt, sondern Er wurde auch als der Nazarener bekannt.

Kein Prophet des Alten Testaments sagte voraus, daß Er "ein Nazarener" sein würde, trotz vieler Schriftstellen, die Ihn betrafen, aber mehr als einer sprach davon, daß Er verachtet und geschmäht werden würde. Deshalb heißt es in Vers 23 "die Propheten", und nicht ein besonderer Prophet. Sie hatten mitgeteilt, daß Er verachtet sein würde, was zur Zeit des Herrn in dem Beinamen "Nazarener" ausgedrückt wurde.

"Nazarener" ist der vierte Name, der unserem Herrn zu Beginn dieses Evangeliums gegeben wird. Er ist, wie wir gesehen haben, Jesus, Emmanuel, Herrscher; aber Er ist auch der Nazarener. Gott kann zu den Menschen kommen, um zu retten, zu wohnen, zu herrschen; doch ach! Er wird "verachtet und verlassen von den Menschen" sein.

Kapitel 3
Das dritte Kapitel stellt Johannes den Täufer vor, und zwar ohne irgendwelche Vorbemerkungen hinsichtlich seiner Geburt und Herkunft. Er erfüllte die Weissagung Jesajas. Er predigte in der Wüste, abseits der Wohngebiete der Menschen. Ungewöhnlich waren auch seine Kleidung und Nahrung. Sein Thema war die Buße angesichts der Nähe des Reiches der Himmel. Es war ein ganz einzigartiger Dienst. Welcher andere Prediger hat sich die Wüste als den geographischen Bereich seines Dienstes ausgesucht? Der Evangelist Philippus suchte in der Tat eine Gegend der südlichen Wüste auf, um dort einem einzelnen besonderen Menschen zu begegnen. Doch die Kraft Gottes war mit Johannes in einer Weise, daß die Volksmengen ihm zuströmten und zu seiner Taufe geführt wurden, indem sie ihre Sünden bekannten.

In diesem Evangelium wird häufig der Ausdruck "Reich der Himmel" erwähnt, und hier ist das erste Beispiel. Matthäus bietet dazu keine Erklärung, noch berichtet er eine Erläuterung, die Johannes gegeben hätte. Der Grund liegt zweifellos darin, daß die Ankunft eines Tages, an dem "der Gott des Himmels" ein Reich aufrichten würde und alle sehen würden, daß "die Himmel herrschen", im Buch Daniel vorausgesagt worden war. Daher konnte der Begriff seinen Hörern oder einem jüdischen Leser nicht fremd sein. Derselbe Prophet hatte ein Gesicht von dem Sohn des Menschen, wie Er mit den Wolken des Himmels kommt und das Reich übernimmt, das auch die Heiligen mit Ihm besitzen werden. Nun war das Reich nahe gekommen, da Jesus Christus, der Sohn Davids, sich unter den Menschen aufhielt.

Wenn wirklich ein echtes und machtvolles Werk Gottes geschieht, möchten die Menschen nicht abseits stehen, insbesondere wenn sie religiöse Führer sind. Deshalb kommen auch Pharisäer und Sadduzäer zu der Taufe des Johannes. Er durchschaute sie allerdings mit prophetischem Scharfblick. Er riß ihnen die Maske ab als solchen, die die Kennzeichen der Schlange aufwiesen, und warnte sie vor dem über sie kommenden Zorn. Er wußte, daß sie sich rühmten, echte Nachkommen Abrahams zu sein, und so zog er ihnen diese Stütze weg und zeigte ihnen, daß sie vor Gott wertlos war. Nichts außer wahrer Buße könne etwas ausrichten, und seine Taufe war eine Taufe zur Buße. Sie mußte echt sein und angemessene Früchte hervorbringen. Jakobus beharrt in seinem Brief darauf, daß der Glaube, wenn er wirklich und lebendig ist, sich in entsprechenden Werken zeigen muß. Dasselbe fordert hier Johannes im Blick auf die Buße.

Diese Verse in der Mitte von Kapitel 3 vermitteln uns einen flüchtigen Eindruck von dem, was bei ihnen so verkehrt lag. Nachdem der wahre Sohn Davids und Abrahams gekommen war, war auch das Reich der Himmel nahe herbeigekommen, aber eine Verbindung mit Abraham durch bloße Abstammung würde nichts mehr nützen. Moses hatte ihnen das Gesetz gegeben. Elia hatte sie zu dem Gesetz zurückgerufen, nachdem sie es verlassen hatten. Johannes rief schlicht zur Buße auf und sagte gleichsam: "Auf dem Boden des Gesetzes seid ihr verloren, und euch bleibt nichts anderes übrig, als das ehrlich und mit Trauer des Herzens anzuerkennen." Die große Masse des Volkes aber war dazu nicht bereit, und das zu ihrem Verderben.

Johannes kündigte auch das Kommen des Starken an, dessen Vorläufer er war. Zwischen ihnen beiden gab es keinen Vergleich. Johannes fühlte das und bekannte, daß er nicht würdig sei, die Sandalen Seiner Füße zu tragen. Auch hob er den Gegensatz seiner eigenen Taufe mit Wasser zu der Taufe mit Heiligem Geist und Feuer hervor. Der nach ihm Kommende würde in Seiner Größe mit vollkommenem Urtellsvermögen den Weizen von der Spreu scheiden. Diese wird Er mit Heiligem Geist taufen und jene mit der Feuertaufe des Gerichts, und das mit ewigen Folgen, denn das Feuer wird unauslöschlich sein.

Diese Worte des Johannes müssen eine ungeheuer erforschende Wirkung gehabt haben, und sie werden erfüllt werden zu Beginn des TausendJährigen Reiches. Dann wird der Geist auf alles Fleisch ausgegossen werden, nicht auf die Juden allein, sondern auf alle, die erlöst worden sind. Andererseits werden die Bösen in das ewige Feuer verbannt werden, wie es der Schluß von Kapitel 25 dieses Evangeliums zeigen wird. In der Zwischenzeit hat eine vorwegnehmende Erfüllung der Taufe mit dem Geist stattgefunden, und zwar in der Gründung der Versammlung, wie Apostelgeschichte 2 zeigt. Der Zusammenhang hier enthüllt sehr klar, daß "Feuer" auf Gericht anspielt, nicht auf Zungen wie von Feuer am Pfingsttag oder irgendeinen ähnlichen Vorgang mit gesegneter Auswirkung.

Als Jesus hervortrat, um Seinen Dienst zu beginnen, war es Seine erste Tat, sich von Johannes taufen zu lassen, und das trotz der Einwendung des Täufers. Der Einwand stellte den Grundsatz, nach dem der Herr handelte, ans Licht. Er erfüllte alle Gerechtigkeit. Er hatte keine Sünden zu bekennen, doch da Er den Platz des Menschen eingenommen hatte, war es recht, daß Er selbst sich einsmachte mit den Frommen, die in dieser Weise ihren Platz vor Gott einnahmen. Dem Grundsatz nach hatten das auch Gottesmänner früherer Zeiten getan ﷓ Esra und Daniel zum Beispiel, die die Sünde des Volkes als ihre eigene bekannten, an der sie selbst nur geringen Anteil hatten, obwohl sie in sich selbst auch Sünder waren. Hier war der Sündlose, und Er tat es in vollkommener Weise. Damit aber nicht ein Mißverständnis aufkäme, öffneten sich im gleichen Augenblick, als Er es tat, die Himmel über Ihm ﷓ die erste große Offenbarung der Dreieinheit ﷓, und die Stimme aus dem Himmel verkündete, daß Er der geliebte Sohn ist, an dem der Vater all Sein Wohlgefallen gefunden hat, und in Gestalt einer Taube kam der Geist auf den hernieder, der später andere mit demselben Geist taufen sollte. 

Kapitel 4
Jesus nahm nicht nur den Platz des Menschen ein, sondern Er trat in besonderer Weise an die Stelle Israels. Israel wurde einst aus Ägypten gerufen, dann wurden sie in der Wolke und in dem Meer auf Moses getauft, und danach begann die Wüstenreise. Wir haben vorher gesehen, daß Jesus als der Sohn Gottes aus Ägypten gerufen wurde, und jetzt wird Er getauft; dann finden wir zu Beginn von Kapitel 4 den Geist, der auf Ihn gekommen war und der Ihn jetzt geradewegs in die Wüste führt, damit Er vom Teufel versucht würde. Hier tut sich ein Gegensatz auf: Israel versuchte Gott in der Wüste und versagte in allem. Jesus wurde selbst versucht und triumphierte in allem.

Doch die Versuchungen, die der Teufel über Ihn brachte, ähneln den Erprobungen Israels in der Wüste, denn in der Taktik des Feindes gibt es nichts Neues. Israel wurde durch Hunger erprobt und durch ihre bevorrechtigte Stellung in bezug auf göttliche Dinge ﷓ wir sehen das am deutlichsten im Zusammenhang mit Korah, Dathan und Abiram ﷓ und schließlich durch Verlockungen, andere Götter anzubeten und ihnen zu dienen außer Jehova, und sie fielen, indem sie das goldene Kalb anbeteten. Der Herr Jesus begegnete jeder Versuchung mit dem Wort Gottes. Bei jeder Gelegenheit zitierte Er aus einem kurzen Abschnitt des 5. Buches Mose, das Israel an seine Verantwortung erinnert. Darin versagten sie, während Jesus dieser Verantwortung in jeder Einzelheit vollkommen entsprach.

Der Teufel sät immer Zweifel an Gottes Wort. Vergleiche Kapitel 3,17 mit 4,3 und 4,6, und beachte, wie deutlich diese Tatsache sich hier zeigt. Kaum hat Gott gesagt: "Dieser ist mein geliebter Sohn", so sagt der Teufel zweimal hintereinander: ,Nenn du Gottes Sohn bist." Das kleine Wort"wenn" wird von dem Teufel besonders bevorzugt! Der Herr antwortet ihm in treffender Weise mit Gottes Wort. Dieses Wort ist im geistlichen Leben des Menschen unverzichtbar, ebenso wie Brot in seinem natürlichen Leben. Und der Mensch hat jedes Wort nötig, das Gott gesprochen hat, und nicht etwa nur ein paar besondere Stellen der Schrift.

Finden wir wohl alle unser geistliches Leben in "jedem Wort, das aus dem Mund Gottes hervorgeht"?

Die Versuchung Jesu macht es unstreitig klar, daß ein personhafter Teufel existiert. Von den Tagen des Sündenfalls an (l. Mo 3) ist er gewohnt, Menschen zu verführen, indem er ihre Lüste und ihren Stolz anspricht. In Jesus trat er jemand gegenüber, in dem sich weder Lust noch Stolz fand und der jeden Anlauf mit dem Wort Gottes zurückwies. Aus dem Versucher wurde ein Geschlagener, der weichen mußte. Sein Besieger war ein wahrhaftiger Mensch, der vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte und dem die Engel dienten. Nie hatten sie ihrem Gott einen Dienst so erstaunlicher Art geleistet.

Die Einkerkerung des Johannes, wie Vers 12 uns zeigt, war das Ereignis, das den Herrn veranlaßte, in vollem Umfang Seinen öffentlichen Dienst aufzunehmen. Er verließ Nazareth und wohnte in Kapernaum. Damit fand die Weissagung Jesajas ihre Erfüllung, soweit sie sich auf die Begebenheiten Seines ersten Kommens bezog. Wenn wir Jesaja 9,1﷓7 lesen, wird uns auffallen, daß die beiden Kommen Christi im Blickfeld stehen, wie es oft der Fall ist. Seine Ankunft erstrahlte gleich einem Stern in den Gesichten der Propheten, aber bis dahin wußten sie noch nicht, daß es ein Doppelstern war. Galiläa wird noch das große Licht Seiner Herrlichkeit sehen, wie es damals das große Licht Seiner Gnade sah. Da die Stimme des Vorläufers durch seine Gefangennahme verstummt war, nahm der Herr verstärkt Seine Predigt zur Buße auf im Blick auf das nahegekommene Reich. Durch das Evangelium des Johannes erfahren wir, daß der Herr schon vor dieser Zeit mit Eifer Seinen Dienst erfüllte. Er hatte Jünger, und Er besuchte Judäa, als Johannes "noch nicht ins Gefängnis geworfen" war (3,24).

Die Berufung des Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes war nicht der Anfang ihrer Bekanntschaft mit Ihm, wie wir aus Johannes 1 erfahren. Offensichtlich gab es auch eine Zeit, wo sie oder andere Jünger mit Ihm umherzogen, bevor sie endgültig berufen wurden, ihre irdischen Beschäftigungen zu verlassen und all ihre Zeit Ihm zu widmen. In Seiner Nachfolge würde Er diese Fischer zu Menschenfischern machen. Durch Fleiß und Studium mögen Menschen sich zu guten Predigern ausbilden, aber Menschenfischer werden von Ihm zubereitet. Er selbst nahm auch in dieser Hinsicht den höchsten Platz ein, und indem sie in Seiner Gesellschaft mit Ihm gingen, lernten sie von Ihm und nahmen Seinen Geist in sich auf.

In den drei letzten Versen von Kapitel 4 faßt Matthäus die vorangegangenen Tage Seines Dienstes zusammen. Seine Botschaft war "das Evangelium des Reiches". Es ist zu unterscheiden von "dem Evangelium der Gnade Gottes", das heute gepredigt wird; darin sind Tod und Auferstehung Christi das große Thema. Es verkündet Vergebung als d le Frucht der durch Ihn vollbrachten Sühnung. Im Evangelium des Reiches bestand die frohe Botschaft darin, daß das von den Propheten vorhergesagte Reich ihnen nun in Ihm gebracht war. Wenn sie sich der göttlichen Autorität, die Ihn bekleidete, unterwarfen, dann konnte die Macht des Reiches zu ihren Gunsten wirksam werden. Als Beweis dafür zeigte Er die Macht des Reiches Gottes in der Heilung von Menschen. Alle Arten körperlicher Krankheiten und Leiden verschwanden, der Beweis dafür, daß Er auch alte geistlichen Übel zu hellen vermochte. Diese Entfaltung der Macht des Reiches, gepaart mit der Predigt des Reiches, bewies eine starke Anziehungskraft, und große Volksmengen folgten Ihm.

Kapitel 5
Der Herr begann nun, zu Seinen Jüngern zu sprechen, wenn auch in Gegenwart der Volksmenge, um sie über die Grundsätze des Reiches zu belehren. Zunächst einmal zeigt Er auf, welche Art von Menschen in dieses Reich eingehen, um es zu besitzen und seine Vorteile zu genießen. In Reichen der Menschen braucht jemand heutzutage sehr viel Selbstvertrauen und Durchsetzungsvermögen, wenn er erfolgreich sein soll; Im Reich der Himmel dagegen trifft das Gegenteil zu. Schon im Alten Testament war darauf hingewiesen worden: Psalm 37,11 bringt das beispielsweise sehr deutlich zum Ausdruck. Hier jedoch stellt der Herr diese Tatsache noch weit umfassender vor unsere Augen. Er skizziert uns ein moralisches Bild des gottesfürchtigen Überrests, der schließlich in das Reich eingehen wird. Acht Dinge erwähnt Er, indem Er mit der Armut im Geist beginnt und mit Verfolgungen endet. In dieser Anordnung läßt sich eine bestimmte Reihenfolge erkennen. Buße erzeugt Armut im Geist, und da muß alles seinen Anfang haben. Es folgen Trauer und Sanftmut, die aus wahrer Einsicht in das eigene Selbst hervorkommen, dann ein Durst nach Gerechtigkeit, wie sie nur in Gott gefunden wird. Dann, wenn diese Tugenden den Gläubigen erfüllen, offenbart sich in ihm Gottes eigener Charakter ﷓ Barmherzigkeit, Reinheit, Friede. Doch die Welt verlangt nicht nach Gott und Seinen Wesenszügen. So kommt es zu Verfolgungen, mit denen diese Aufzählung endet.

Der Segen, der in den Versen 3﷓ 10 betrachtet wird, geht seiner völligen Verwirklichung entgegen, wenn das Reich der Himmel auf der Erde errichtet wird. In jeder Glückseligpreisung außer der letzten werden die Gottesfürchtigen in unpersönlicher Weise beschrieben, aber In den Versen 11 und 12 spricht der Herr Seine Jünger persönlich an. Das "die" von Vers 10 wechselt zum "ihr" in Vers 11, und nun, indem Er das Wort an Seine Jünger richtet, wird ihnen Lohn in den Himmeln verheißen. Er wußte, daß Seine Jünger in eine neue und himmlische Ordnung der Dinge übergehen sollten, und während Er die alten Dinge in klarerem Licht bestätigt, beginnt Er schon, einige der neuen Dinge mitzuteilen, die bald kommen würden. Der Wechsel in diesen beiden Versen ist auffallend und hilfreich, um den Charakter der "Bergpredigt" Zu verstehen, in der der Herr Seine Unterweisung zusammenfaßt und sie zu den alten Dingen, wie Moses sie gab, in Beziehung setzt. In Johannes 13 ﷓ 16 (wir könnten hier von der "Obersaalpredigt" sprechen) erweitert Er Seine Unterweisung und setzt sie in Beziehung zu dem vollen Licht, das Er geben würde, wenn der Heitige Geist gekommen wäre.

In Verfolgungen um Seines Namens willen würde Sein Segen auf Seinen Jüngern ruhen, und das sollten sie erkennen und sich darüber freuen. Natürlicherweise schrecken wir vor Verfolgungen zurück, doch die Geschichte beweist die Wahrheit dieser Worte. Solche Gläubige, die dem Herrn sehr ähnlich und in ihrem Zeugnis mutig sind, haben zu leiden, aber sie werden gestärkt und belohnt werden. Dagegen werden solche, die durch Kompromisse einer Verfolgung aus dem Weg gehen, ins Elend kommen und all ihrer Belohnung verlustig gehen. Darüber hinaus ist ein Jünger, der von der Welt verfolgt wird, ganz sicherlich "das Salz der Erde" und "das Licht der Welt". Salz erhält, und Licht erleuchtet. Wir können nicht wie gesunderhaltendes Salz in der Erde sein, wenn wir von der Erde sind. Und wir können nicht als ein Licht von erhöhter Stelle in der Welt scheinen, wenn wir i,on der Welt sind. Und damit wir uns von der Erde und der Welt unterschieden und abgesondert halten, hilft uns nichts mehr als Verfolgung seitens der Welt, wobei die Art der Verfolgung unwichtig ist. Wenn ein Jünger um Christi willen verfolgt wird, dann ist er wirklich salziges Salz, und auch strahlt er ein Höchstmaß an Licht aus. Enthüllt uns dieses Wort nicht das Geheimnis von so vieler Schwachheit unsererseits?

Beachten wir, daß das Licht nicht bloß in lehrmäßigen Fragen, sondern vor allem im praktischen Verhalten leuchten sollte. Es ,geht nicht darum, daß die Menschen es in unseren klaren, vielleicht originellen Belehrungen mit Worten erkennen, sondern in unseren Handlungen und Werken. Sicher sollten sie auch unsere guten Worte hören, doch müssen sie unsere guten Werke sehen, wenn wir ihnen ein Licht sein sollen. Das Wort für "gut" bedeutet hier nicht genau wohltätig, sondern mehr a«frichtig oder ehrbar. Solche Handlungen haben ihre Quelle in dem Vater im Himmel; sie verbreiten Sein Licht und verherrlichen Ihn. 

Von Vers 17 an bis zum Ende von Kapitel 5 spricht der Herr von dem Verhältnis zwischen dem, was Er lehrte, und dem, was durch Mose gegeben war. Er war nicht gekommen, um aufzulösen oder ungültig zu machen, was früher gegeben worden war, sondern gerade. um dessen Erfüllung oder Fülle zu bringen, denn das ist hier der Sinn des Wortes "erfüllen". Er bestätigte und verstärkte alles, was früher gesagt worden war, wie die Verse 18 und 19 zeigen, und auch nicht ein Wort von dem, was Gott gesprochen hatte, sollte gebrochen werden. Außerdem macht Vers 20 deutlich, daß Er fest darauf bestand, daß die Gerechtigkeit, die vom Gesetz gefordert wurde, eine Fülle umfaßte, die weit über die oberflächliche Auslegung der Schriftgelehrten und Pharisäer Seiner Tage hinausging. Sie beobachteten wohl einen formellen Gehorsam in den zeremoniellen Vorschriften, kannten aber den wahren Geist des Gesetzes und die darin von Gott verfolgte Absicht nicht. Ihre Gerechtigkeit führte nicht in das Reich.

Deshalb fuhr Er fort, ihnen die tiefere, eigentliche Bedeutung der Forderungen des Gesetzes aufzuzeigen, die sie darin nicht vermutet hatten, und stellte ihnen nicht weniger als sechs Punkte vor, um Seinen Gedankengang zu veranschaulichen. Er sprach über das sechste und siebte Gebot; dann über die Anweisung des Gesetzes im Fall einer Scheidung in 5. Mose 24,1, weiter im Fall von Schwören nach 3. Mose 19,12 und weiter über das Gesetz der Vergeltung nach 2. Mose 21,24 und anderen Stellen, schließlich über die Zulässigkeit von Feindeshaß, vgl. 5. Mose 23,6.

In bezug auf die beiden zitierten Gebote geht die Unterweisung des Herrn dahin, daß es Gott nicht nur um die offenkundige Tat geht, sondern ebenso um den Herzenszustand. Nicht nur Mord und Ehebruch werden verboten, sondern auch der Haß und die böse Lust, die solchen schweren Sünden zugrunde liegen. Wenn nach diesem Maßstab gerichtet wird, wer kann dann vor den heiligen Forderungen des Sinai bestehen? Die "Gerechtigkeit" des Pharlsäers und des Schriftgelehrten bricht vollständig zusammen. Nachdem Er in beiden Fällen diesen Sachverhalt klargestellt hat, läßt Er weitere Belehrungen folgen.

Auf zwei bedeutungsvolle Punkte macht der Herr in den Versen 23﷓26 aufmerksam: Erstens ist vor Gott kein Opfer angenehm, das auf seiten des Darbringenden mit Ungerechtigkeit gegenüber Menschen verbunden ist. Wir können nicht ein Unrecht gegenüber einem Mitmenschen stillschweigend gutheißen, indem wir gegenüber Gott öffentlich Frömmigkeit demonstrieren. Erst nach der Aussöhnung kann man Gott nahen.

Zweitens muß das Gesetz ohne Barmherzigkeit zur Anwendung kommen, wenn die Ursache der Entfremdung einmal vor das Gericht gebracht ist. Die Worte des Herrn haben hier zweifellos eine prophetische Bedeutung. Die jüdische Nation war im Begriff, Ihn zu ihrer "Gegenpartei﷓ zu erklären und in ihrer Streitsache gegen Ihn Anklage zu erheben, doch ihre eigene Verdammung wird die Folge sein. Noch haben sie den letzten Pfennig nicht bezahlt.

Hiermit verwandt ist das nächste Beispiel: Der Herr zeigt darin, daß jedes Opfer sich lohnt, wenn es zur Befreiung von der Hölle verhilft, die am Ende eines bösen Weges steht.

In dem dritten und vierten Punkt (31﷓37) zeigt uns der Herr wiederum, daß die Anordnungen, die durch Moses gegeben waren, noch nicht den ganzen Willen Gottes ausdrücken. Sowohl eine Scheidung als auch das Schwören waren erlaubt, so daß die Norm, zu der die Menschen verpflichtet wurden, nicht zu streng war. Beide Punkte werden nun hier in ein klareres Licht gerückt, und wir sehen, daß lediglich eine Sache erlaubtermaßen das eheliche Band zu lösen vermag. Weiterhin sollte das von Menschen gesprochene Wort so unwiderruflich und bindend sein, daß kraftvolle Schwüre in dieser oder jener Form sich erübrigten. Ein Mensch, der fast jede Behauptung durch einen Schwur bekräftigt, dessen einfache Rede ist nicht vertrauenswürdig.

Wiederum setzte das Gesetz gerechte Vergeltung für zugefügtes Unrecht fest. Es folgte der Richtschnur des Ausspruchs "Wie du mir, so ich dir." Und während es einerseits zur Nächstenliebe aufrief, erlaubte es aber auch, einen Feind zu hassen. Das letztere drehte der Herr um. Er lehrte Geduld und die Gnade, die gibt, statt auf seinen eigenen Rechten zu bestehen. Und Er lehrte die Liebe, die den Feind segnet und ihn mit Gutem bedenkt. Und das alles, damit Seine Jünger sich deutlich von den Sündern der Welt unterscheiden und den Charakter Gottes selbst darstellen möchten.

Gott wird Ihnen vorgestellt, nicht als Jehova, der Gesetzgeber, sondern als ..euer Vater, der in den Himmeln ist". Gott wird so in neuem Licht gesehen. Das beherrscht hier die Unterweisungen des Herrn. Denn wenn wir Gott in dieser neuen Weise kennenlernen, entdecken wir, daß Ihn Wohlwollen auch gegen Ungerechte und Böse auszeichnet, und das sollte auch uns in unserem Maße kennzeichnen. Im Dienst Jesu brach eine neue Offenbarung Gottes an, und sie setzte einen neuen Maßstab für Vollkommenheit. Wir sollten uns praktischerweise als Söhne unseres Vaters in den Himmeln erweisen, denn ein Sohn ist dann vollkommen, wenn er so ist wie der Vater.

Achtmal sagt der Herr in diesem Kapitel: "Ich ... sage euch", und sechsmal, wenn Er diese Worte spricht, leitet Er sie mit ﷓.. aber" ein, um Seine Aussage in Gegensatz zu dem zu stellen, was das Gesetz früher gesagt hatte. Da mögen wir wohl fragen: "Wer ist dieser, der das heilige Gesetz Gottes anführt und dann ruhig spricht: Ich aber sage euch ... !'?" Tatsächlich verändert und erweitert Er das Gesetz. Das zu tun, hatte kein Prophet jemals gewagt! Läuft das nicht auf schreckliche Anmaßung hl naus, die gar an Gotteslästerung grenzt? Ja, gewiß, und es gibt nur eine Erklärung, die diese Beschuldigung von Ihm wegnehmen kann: Wir haben hier den ursprünglichen Gesetzgeber, der einst vom Sinai aus sprach. Gott ist als Mensch, als Emmanuel, hervorgetreten. Emmanuel ist auf einen anderen Berg gestiegen, und jetzt spricht Er nicht zu einer Nation sondern zu Seinen Jüngern. Er verfügt über alle Rechte, Sein eigenes Gesetz zu erweitern oder abzuändern.

Kapitel 6
Nachdem Er am Ende von Kapitel 5 Seine Jünger in diesem neuen Licht mit Gott bekanntgemacht hat, fällt uns auf, daß sich all die Belehrungen in Kapitel 6 darauf beziehen. Der Ausdruck "euer Vater" wird, bei geringfügigen Veränderungen, nicht weniger als zwölfmal gebraucht. Es lassen sich vier Abschnitte unterscheiden: das Geben von Almosen (1﷓4), das Gebet (5﷓15), das Fasten (16﷓18), irdischer Besitz und notwendige Dinge des Lebens (19﷓34). Alle vier Dinge berührten das praktische Leben des Juden in vieler Hinsicht; ihre Neigung und Gewohnheit gingen dahin, sich mit den ersten dreien auf eine mechanische und oberflächliche Weise zu befassen, dann aber den Nachdruck und die ganze Aufmerksamkeit auf den vierten Punkt zu richten. Der Herr Jesus rückt sie alle in das Licht, das Seine vorangegangenen Worte verbreitet haben. In Kapitel 5 hatte Er ihnen einen Gott gezeigt, der sich mit den inneren Beweggründen des Herzens ebenso beschäftigt wie mit den äußeren Handlungen, und dennoch soll dieser Gott als himmlischer Vater erkannt werden. Immer noch fällt auf, wie Er die Worte "Ich sage euch" wiederholt. Er lehrte nicht wie die Schriftgelehrten, die sich bei ihren Behauptungen auf die Überlieferung der Ältesten stützten, doch wir haben anzunehmen, was Er sagt, eben weil Er es sagt.

Wenn die Überlieferung uns beherrscht, kommen wir leicht zu der gleichen Haltung, die wir bei den Juden im Blick auf ihr Geben von Almosen, ihre Gebete und ihr Fasten finden. Alles war für sie eine Sache der äußerlichen Beobachtung geworden, um dadurch die Aufmerksamkeit der Augen und Ohren der Menschen auf sich zu lenken. Wenn wir andererseits unsere Gedanken zu dem Vater im Himmel erheben, der innigen Anteil an unserem Ergehen nimmt, muß alles lebendige Wirklichkeit werden und vor Seinen Ohren und Augen getan sein. Dreimal sagt der Herr von den bloßen Formalisten: "Sie haben ihren Lohn dahin." Ihr Lohn besteht in dem Beifall und Lob ihrer Mitmenschen. Das haben sie, und zwar sofort und gegenwärtig﷓, ein künftiger Lohn ist da nicht mehr zu erwarten. Wer aber vor Gott seine Spende gibt, betet oder fastet, ohne daß die Menschen darum wissen, wird an dem künftigen Tag öffentlich belohnt werden. 

In bezug auf das Gebet lehrt Er, daß es nicht nur in Zurückgezogenheit geschehen, sondern auch kurz sein soll, dadurch erweist sich die Echtheit. Ein Mensch, der wirklich und ernst um etwas bittet, kommt unweigerlich mit den wenigsten Worten und geradewegs auf den Kein der Sache. Er kann sich unmöglich in einer Wirrnis von Weitschweifigkeit ergehen. Die Verse 9﷓13 geben uns ein Mustergebet, wie es den Umständen, in denen sich die Jünger derzeit befanden, genau angemessen war. Es enthält sechs Bitten. Die ersten drei haben mit Gott zu tun, mit Seinem Namen, Seinem Reich und Seinem Willen. Die zweiten drei beziehen sich auf uns, unser Brot, unsere Schulden und unsere Errettung. Der himmlische Vater Lind Seine Ansprüche stehen an erster Stelle, unsere Bedürfnisse an der zweiten. Die Segnung der Menschen auf der Erde hängt davon ab, daß Sein Wille auf der Erde geschieht, und dieser Wille wird sich erst dann durchsetzen, wenn Sein Reich aufgerichtet ist.

Die Vergebung, von der die Verse 14 und 15 sprechen, ist mit den Schulden in Vers 12 verknüpft. In der heiligen Regierung, die unser himmlischer Vater über Seine Kinder ausübt, kommt ein unversöhnlicher Geist unter Seine Züchtigung. Wenn jemand uns beleidigt, und wir verweigern ihm Verzeihung, können auch wir in den Regierungswegen Gottes nicht auf Vergebung rechnen. Das ist dann nicht eine Frage der ewigen Vergebung, denn es waren Jünger, zu denen der Herr sprach, und bei ihnen war die Frage der ewigen Vergebung längst geordnet.

Dann folgen gewissenserforschende Worte über irdischen Besitz. Keine Neigung ist tiefer in allen Menschen verwurzelt als die, den Schätzen der Erde nachzujagen, sie zu erhaschen und aufzuhäufen, obwohl sie unter der Einwirkung der Naturkräfte ebenso vergehen, wie sie durch gewalttätige Menschen geraubt werden. Wenn wir den Vater im Himmel wirklich erkennen, dann haben wir unseren Schatz im Himmel gefunden, und dann ist unser Herz auch da. Was wir brauchen, ist ein einfältiges Auge, um das zu sehen und damit auch alles andere klar zu sehen. Unsere Leiber werden licht sein, das heißt, wir werden selbst strahlend. Entweder regiert uns Gott oder der Mammon, denn wir können nicht zwei Herren dienen. In dieser Hinsicht sind Gott und der Mammon einander vollständig entgegengesetzt.

Indem wir Gott dienen, der uns ein himmlischer Vater ist, unterstehen wir Seiner wachsamen und freundlichen Fürsorge. Er kennt alle unsere Bedürfnisse und nimmt sich ihrer an. Wir sind kraftlos und unvermögend., unserer Größe eine Elle hinzuzufügen oder uns gleich dem Gras des Feldes zu schmücken. Unser Vater hat unendliche Weisheit und Macht und ist besorgt um die geringsten Geschöpfe Seiner Hand; deshalb sollten wir in Seine liebende Fürsorge um uns ein unbedingtes Vertrauen setzen. Von ängstlichen Sorgen sollten wir uns gänzlich frei fühlen. Die Menschen dieser Weit greifen nach deren Schätzen, die so rasch ihren Wert verlieren, und sie sind voller Sorge, diese Schätze zu bewahren und zu nutzen. Wir sollten in unseres Vaters Fürsorge und Liebe ruhen und uns nicht fürchten. 
Das ist die negative Seite. Wir brauchen keine ängstliche Vorsorge zu betreiben, wovon die Herzen vieler erfüllt sind. Das aber soll dem Zweck dienen, daß wir frei sind, um das Reich Gottes zu suchen, und das zuerst. Statt besorgt immer schon an morgen zu denken, sollten wir heute von den Dingen des Reiches Gottes erfüllt sein, des Reiches, das uns auf den Wegen der Gerechtigkeit leitet.

Diese Freude gewährt Gott den Jüngern, die dem Herrn in Seinen Erdentagen folgten﷓, nicht weniger ist es Seine Freude für uns, die wir dem Herrn jetzt folgen, um all Sein Werk zu tun, während Er im Himmel weilt. Der Geist, den der Herr Seinen Jüngern einschärfte, war der Religion der Pharisäer Seiner Tage fremd, ebenso wie der äußerlichen und weltlichen Religion unserer Tage.
Es gibt keine Produkte in dieser Sektion