Rienecker Fritz
Fritz Rienecker - eine kurze Biographie
Fritz Rienecker (1897-1965) war gerade 21, als er seine erste Lehrerstelle in Athenstedt bei Halberstadt antrat. Das Ab-schlußzeugnis des Präparanden- und Lehrerseminars in Quedlinburg hatte ihn empfohlen. Während der zwei Jahre, die er in Athenstedt unterrichtete, holte er das Abitur nach, um an der Universität in Berlin zu studieren. Die Mittel dafür hatte er sich in Athenstedt zusammengespart. Doch dann kam die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg, das Geld war entwertet, die Entbehrungen jener Jahre führten zu einer Lungentuberkulose und damit zum Abbruch des Studiums. Rienecker suchte Hilfe bei seinen Eltern, die als Ruheständler nach Thüringen gezogen waren.
Fritz war der älteste von fünf Geschwistern. Schon der Vater war Lehrer gewesen - an der Neinstedter Brüder-Anstalt bei Quedlinburg. Wie später der Sohn Fritz war auch er als Autor bekannt geworden: Er hatte ein Buch über Kinderpsychologie geschrieben, eine Einführung in die Bibel und die »Handreichungen für Sonntagsschule und Kindergottesdienst - Betrachtungen über Geschichten des Neuen Testaments«. Wegen einer Herzerkrankung war er mit 50 Jahren pensioniert worden und lebte in äußerst bescheidenen Verhältnissen in dem Dörfchen Farnroda bei Ruhla im Thüringer Wald, wo nun der kranke Student Hilfe und Ruhe suchte.
Es war ein schweres, von Hunger und Krankheit geprägtes Jahr, in dem Fritz Rienecker den Tod seines jüngeren Bruders erleben mußte, der an Lungentuberkulose starb, während er selbst von der gleichen schweren Krankheit genas und bald auch sein Studium wieder aufnehmen konnte. Die Mittel dafür mußte er sich verdienen, und so kam ihm gerade rechtzeitig eine Anzeige des Ihloff-Verlags in Neumünster in die Hand: Gustav Ihloff suchte einen »akademisch gebildeten Schriftleiter« für das Gemeinschaftsblatt »Auf der Warte«
und für das ebenfalls bei Ihloff erscheinende Verteilbiatt »Nimm und lies«.
Rienecker bewarb sich und bekam die Stelle.
Ob er von hier aus noch in Hamburg und Kiel Theologie und Pädagogik studierte und mit welchen Ergebnissen - darüber gibt es keine Nachweise. Kurzbiographien und Nachrufe, deren Verfasser Rienecker gut kannten, lassen dies jedoch annehmen.
Am 1. Mai 1924 trat Fritz Rienecker in Neumünster seinen Dienst an. 17 Jahre lang hat er bei Ihloff gearbeitet, und zwar mit wachsendem Erfolg. Die Auflagen der »Warte« und des Verteilbiattes stiegen - hier war ein Mann am Werk, der selbst hinter seiner Botschaft stand und dazu noch wußte, wie sie an den Mann zu bringen war.
Hier begann auch die überaus produktive Arbeit Rien-eckers an einem Typ biblischer Kommentare, der in den angelsächsischen Ländern auch für die Universitätstheologie weit verbreitet war, in deutschen Landen aber herablassend als »allgemeinverständlich« mit dem Tadel unangemessener Vereinfachung den Laien zugerechnet wurde.
Als Schriftleiter der Ihloffschen Blätter hatte Rienecker eine nicht unerhebliche Korrespondenz zu führen. Er reiste nicht ungern und ließ sich als Referent einladen. So spürte er ein wachsendes Interesse an biblischem Wissen, dem er mit dem Aufbau einer anspruchsvollen Kommentarreihe begegnen wollte. 1930 lag er dann in den Buchhandlungen, der »Praktische Kommentar zum Lukas-Evangelium unter Zugrundelegung des Godet-Werkes Commentaire sur l''vangile de Saint-Luc«. Das Werk hatte 648 Seiten. Schon vier Jahre später erschien der nächste Band: »Praktischer Handkommentar zum Epheserbrief: Der Epheserbrief, die Lehre von der Gemeinde für die Gemeinde«, 464 Seiten; hierzu erschien im gleichen Jahr ein 48seitiger Bildanhang: »Ephesus. Die Geschichte einer Gemeinde«.
Rienecker war ein fleißiger Leser und ein unermüdlicher Sammler: Bücher und Zeitschriften mit neuen Erkenntnissen biblischer Archäologie, theologische Literatur nahe- und fernstehender Verfasser, Biographien, Kirchengeschichte
Dies alles nahm er als Anregung für die eigene Arbeit und zur Auseinandersetzung mit der die Gemeinden bedrängenden Entwicklung der deutschen Universitätstheologie auf.
Der Gemeinde galt seine Arbeit. Und Rienecker war, durch und durch Lehrer. Er war Schriftleiter eines Gemeinschaftsblattes. »Gemeinschaften« pflegten neben den lan-deskirchlichen Gottesdiensten eigene Bibelstunden anzubieten, die in den meisten Fällen von Laien geleitet wurden. Doch auch für die Pfarrer lagen Graecum und Latinum schon viele Jahre zurück. Was brauchten also die bibelstun-denhaltenden Laien, die Jugendleiter, die Laienprediger und auch der eine oder andere Pfarrer, wenn er sich für die Predigt vorbereitete?
In zunächst zehn Heften schuf Fritz Rienecker eine Ergänzungsreihe zum »Praktischen Handkommentar« unter dem Titel »Urtextstudium«, woraus der »Sprachliche Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament nach der Ausgabe von D. Eberhard Nestle« wurde, der 1938 in 1. Auflage erschien und von dem inzwischen an die 150.000 Exemplare verkauft wurden - ein ungeahnter Erfolg, der dem Brunnen-Verlag zugute kam, nachdem Ihloff das Risiko dieses neuartigen Hilfsmittels zu groß erschienen war; eine überaus praktische Hilfe für Bibelleser und Verkündiger.
Aber wie in der Reihe der »Praktischen Handkommentare«, so überstiegen auch hier die aus solchen geglückten Anfängen angezeigten weiteren Vorhaben die Kraft des Autors und Herausgebers; auch die politischen Verhältnisse legen ihm Fesseln an: Die Kommentarreihe kann nicht weitergeführt werden, und die im Vorwort des Sprachschlüssels avisierten Folgebände »Begrifflicher Schlüssel« und »Sachlicher Schlüssel« sind nie erschienen.
Seit November 1934 wird Rienecker nicht mehr als Schriftleiter der »Warte« erwähnt, Karl Möbius nicht mehr als Herausgeber. Rienecker wird bespitzelt, 1941 erhält er
Berufsverbot, wird von der Gestapo wegen Mißbrauchs des Wortes »Heil« vorgeladen - Heil sei allein von Hitler zu erwarten. Doch jetzt beruft die Schleswig-Holsteinische Landeskirche Rienecker zum Pfarrverweser der Kirchengemeinde Hohenhorn; die Ordination findet am 11. Januar 1942 in Ratzeburg statt, drei Monate später wird er Pastor der zweiten Hohenhorner Pfarrstelle.
Hier zeigt der Mann des Buches, daß er auch Hirte ist. Die Hohenhorner sind keine Gottesdienstbesucher - es kommen mal vier, mal fünf Leute in die Kirche. In den umliegenden Dörfern fällt der Gottesdienst ganz aus. Doch für Resignation bleibt keine Zeit: Frau Rienecker sieht die Kinder, und unter dem Eindruck einer Weisung Gottes beginnt das Ehepaar in den Dörfern mit Kinderarbeit. Nun wird der freiwillige Religionsunterricht »ein Renner« - zehn Jahre lang hat es keinen gegeben. Die Verhöre bei der Gestapo, die auch hier allgegenwärtig ist, können die Freude und auch die Intensität, mit der sich die Rieneckers dieser Arbeit unterziehen, nun nicht mehr beeinträchtigen. Erst die schwere Herzerkrankung 1945 verlangt eine Unterbrechung - da liegen die Ihloffschen Verlagsgebäude schon ein halbes Jahr in Schutt und Asche.
Rieneckers Arbeit konzentriert sich mehr und mehr direkt auf den Gemeindeaufbau, bis er zum 1. 7. 1947 von seiner Landeskirche beurlaubt wird, damit et einer Berufung der Landeskirche Braunschweig zum Dozenten an deren Evangelischer Akademie folgen konnte. Dazu kommt die zweite Pfarrstelle an St. Ulrici, von der er sogleich beurlaubt wird, damit er sich ganz der Arbeit an der Akademie widmen kann. Da der religionspädagogische Zweig der Akademie nach Wol-fenbüttel verlegt worden ist, ziehen die Rieneckers dorthin, wo er 200 Katecheten, Religionslehrer, Jugendleiter und Gemeindehelfer beiderlei Geschlechts in systematischer Theologie und Religionspädagogik unterrichtet.
Doch 1950 schließt die Akademie ihre Pforten, und auf Fritz Rienecker warten andere Institutionen, die diesen unermüdlichen Arbeiter in neue Aufgaben rufen: In St. Chrischo- na braucht man einen Lehrer dieser Kapazität zur Ausbildung von Pastoren, Evangelisten, Stadtmissionaren, Gemeindehelferinnen, Katechetinnen..., einen Lehrer, der auch selbst zu predigen bereit ist, der Vorträge halten und Seminare leiten kann und auch wieder als Schriftleiter, Herausgeber und Autor tätig sein soll.
In jenen Jahren macht sich der Verleger Rolf Brockhaus auf die Suche nach Autoren. Fritz Rienecker ist ihm kein Fremder - dieser ist schon in den Jahren 1939/40 an Rolfs Vater, Wilhelm Brockhaus, mit dem Vorschlag herangetreten, die Elberfelder Bibel einer Revision zu unterziehen, was damals aber nicht möglich war. Zehn Jahre später klopft Brockhaus an Rieneckers Tür, um ihn als Herausgeber und Autor einer neuen Kommentarreihe zu gewinnen. Es entsteht die »Wuppertaler Studienbibel«. Rienecker wird Autor der Synoptiker und des Epheserbriefes, ab 1956 teilt er die Herausgeberschaft mit Werner de Boor, neben den nach Rieneckers Tod Adolf Pohl tritt, die beide auch als Autoren mitarbeiten. Im Jahre 1976 ist die Wuppertaler Studienbibel Neues Testament komplett.
Es folgen ab 1959 die ersten Lieferungen des »Lexikons zur Bibel«, an denen Fritz Rienecker engagiert mitarbeitet. Schon 1960 erscheint der Gesamtband des Lexikons, der Herausgebern, Redakteuren und Mitarbeitern viel abverlangt, aber in seinem Konzept genau das verwirklicht, was Fritz Rienecker sein Leben lang wollte: Sachliche Information auf dem neuesten Stand, reiche Illustration in Form von Fotos, Skizzen, Zeittafeln, Karten, Stammbäumen, Tabellen. »Unser Ziel war, die Gesamtaussagen der Schrift in den einzelnen Artikeln möglichst unvoreingenommen hinzustellen und damit den Anspruch des lebendigen Gottes an den Menschen unserer Tage deutlich zu machen ... Grundlegend war das Bewußtsein, daß die Heilige Schrift der Maßstab ist, von dem unser Denken und Handeln auf allen Gebieten des täglichen Lebens immer wieder gerichtet, korrigiert und neu ausgerichtet wird ...
1958 ist Rieneckers Schrift »Wenn dies geschieht . . .« erschienen; doch hier griff er zu kurz. Die endzeitlichen Aussagen der Bibel ließen sich so nur in die damalige politische Situation einfangen.
Dagegen soll sein letztes Buch »Das Schönste kommt noch - Vom Leben nach dem Sterben« mit seinen vielen Zitaten aus der biographischen Literatur und der im zweiten Band angebotenen biblischen Besinnung vielen Menschen eine Hilfe werden, während er selbst über der Arbeit gerade an diesem Buch sich aufmacht und diesem »Schönsten« entgegengeht: Er erlebt das Erscheinen des zweiten Bandes nicht mehr: Am 15. August 1965 stirbt Fritz Rienecker an Herzversagen.
Elisabeth Wetter
Fritz Rienecker - Bibliographie
Bücher (Erstausgaben)
Praktischer Handkommentar zum Lukas-Evangelium unter Zugrundelegung des Godet-Werkes: »Commentaire sur l'vangile de Saint-Luc«. Gießen: Brunnen, 1930, 2. Aufl. 1935, 648 S.
Praktischer Handkommentar zum Epheserbrief Der Epheserbrief, die Lehre von der Gemeinde für die Gemeinde. Neumünster: Ihloff, 1934. 8 + 464 S. (Beigebunden: Ephesus, die Geschichte einer Gemeinde)
Ephesus, die Geschichte einer Gemeinde: Bildanhang des Praktischen Handkommentars zum Epheserbrief. Neumünster: Ihloff, 1934, 48 S.
Sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament nach der Ausgabe von D. Eberhard Nestle. Neumünster: Ihloff, 1938, 1. Aufl. auch in zehn Heften mit dem Obertitel Urtextstudium (Ergänzungsreihe zum Praktischen Handkommentar). Ab 3. Aufl. Gießen: Brunnen, 19. Aufl. (133.000) 1992, 672 S.
Wenn's einen Gott gäbe, dann ...‚ Wuppertal: R. Brockhaus, 1947, 63S.
Die Herrlichkeit der Gemeinde Jesu nach dem Epheserbrief Biblische Studien und Zeitfragen, H. 1. Wuppertal: R. Brockhaus, 1951, 56 S.
Stellungnahme zu Bultmanns »Entmythologisierung«: Eine Antwort für die bibelgläubige Gemeinde. Biblische Studien und Zeitfragen, H. 3. Wuppertal: R. Brockhaus, 1951, 86 S.
Biblische Kritik am Pietismus alter und neuer Zeit. Offenbach/Main: Gnadauer Verl., 1952, 80 S.
Das Evangelium des Matthäus. Wuppertaler Studienbibel. Wuppertal: R. Brockhaus, 1953, 8 + 381 S.
Das Evangelium des Markus. Wuppertaler Studienbibel. Wuppertal: R. Brockhaus, 1955, 288 S.
Wenn dies geschieht ....Vom endzeitlichen Charakter der Gegenwart. Biblische Studien und Zeitfragen, H. 4. Wuppertal: R. Brockhaus, 1-3. Aufl. 1958, 144 S. Bearb.
Das Schönste kommt noch: Vom Leben nach dem Sterben. Bd. 1: Zeugnisse aus Vergangenheit und Gegenwart. Wuppertal: Sonne und Schild, 1964, 135 S.
Bd. 2: Das Leben nach dem Sterben auf Grund biblischer Forschungen. Wuppertal: Sonne und Schild, 1965, 140 S.