Jakob vom Überlister zum Anbeter
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Diese Schrift erschien unter dem Titel «Jakob» (oder «Die Zucht») erstmalig im «Messager Evangélique» 1898/99, eine deutsche Übersetzung im «Botschafter des Heils in Christo» 1910. Wir haben diesen wertvollen Aufsatz anhand des Originals überarbeitet und dem heutigen Sprachgebrauch angepaßt.
Esau und Jakob waren Zwillinge und wuchsen in derselben Umgebung auf. Der eine verachtete die Gnade Gottes und wandte sich der Welt zu, der andere kannte Gott und ging trotzdem den Weg des Fleisches; durch eine Lüge will er sich die Segnungen des Glaubens aneignen. Er empfängt diese Segnungen, aber erst nach einem langen Leben voller Prüfungen und Züchtigungen Gottes. Zwanzig Jahre muß er in der Fremde dienen, aber das Vertrauen auf seine Fähigkeiten und seine Winkelzüge hat er immer noch nicht verloren. Gott muß ihn zerbrechen. In Pniel ist seine Seele «gerettet» worden, doch seine Erziehung geht weiter. In Bethel lernt er etwas von Anbetung. Dann kommt eine Zeit der Verluste: Rahel stirbt, Joseph kehrt nicht zurück, Jakob muß sogar Benjamin hergeben. Doch nun vertraut er Gott und verläßt sich nur noch auf Seine Gnade. Thema seines letzten Zeugnisses ist Christus selbst.
Wieviel können wir aus Jakobs Leben lernen! Nehmen wir uns Zeit für das inspirierte Wort Gottes' und laßt uns von dein schriftlichen Dienst begabter treuer Männer profitieren? Das ist keine verlorene Zeit!
Möchten wir alle den Jakob in uns sehen und Gott, der uns in Heiligkeit und Liebe begegnet, preisen lernen hoffentlich nicht erst am Ende unseres Weges.
«Kehre um, Israel, bis zu Jehova, deinem Gott, denn du bist gefallen durch deine Ungerechtigkeit. Nehmet Worte mit euch und kehret um zu Jehova; sprechet zu ihm: Vergib alle Ungerechtigkeit, und nimm an, was gut ist: daß wir die Frucht unserer Lippen als Schlachtopfer darbringen ... Ich will ihre Abtrünnigkeit heilen, will sie willig lieben ... Was habe ich fortan mit den Götzen zu schaffen? Ich, ich habe ihn erhört und auf ihn geblickt ... Aus mir wird deine Frucht gefunden. Wer weise ist, wird dieses verstehen; wer verständig ist, der wird es erkennen. Denn die Wege Jehovas sind gerade, und die Gerechten werden darauf wandeln; die Abtrünnigen aber werden darauf fallen.» (Hosea 14,1-9)
September 1994 Der Herausgeber
Einleitung - Einige Bemerkungen über die Geschichte Isaaks
Da die Geschichte Isaaks manche Berührungspunkte mit der seines Sohnes Jakob bietet, mag es angebracht sein, einige Worte darüber zu sagen, bevor wir mit der Betrachtung des Lebens Jakobs beginnen.
Isaak ist im Anfang seines Weges ein schönes Vorbild von dem Sohn Gottes, während das erste Auftreten Jakobs leider nur eine Darstellung der Machenschaften und des Versagens des Menschen ist. Isaak, der wahre Same Abrahams und als solcher der Erbe der Verheißungen, wird «wider Hoffnung» von einem «schon erstorbenen» Vater gezeugt und von einer Mutter, deren Mutterleib bereits «im Absterben» war, geboren (Röm 4,18.19). Er stellt so schon bei seinem Eintritt in diese Welt ein übernatürliches und über den Tod siegreiches Leben dar. Er ist der dem Glauben gewährte Sohn, und diese außergewöhnliche Stellung zieht ihm die Feindschaft Ismaels, seines Bruders nach dem Fleisch, zu. Bei seinen ersten Schritten, wie auch in dem ganzen ersten Teil seiner Geschichte (1.Mo 2124), ist Isaak daher das Vorbild von Christus.
Eine bedeutungsvolle Tatsache beherrscht sein Leben. Er, «der einzige Sohn, den der Vater liebhatte» (1.Mo 22,2), der auf dem Berg Morija als Brandopfer dargebracht wurde, ist gleichsam aus den Toten auferweckt worden, denn so hat Abraham ihn «im Gleichnis» empfangen (Hebr 11,19). Als auferstandener Mensch empfing er dann eine Braut (Rebekka ist das einzige vollständige Vorbild der Kirche und ihrer Berufung im Alten Testament.) nach dem Vorsatz seines Vaters (1.Mo 24,18). Elieser, ein eindrucksvolles Bild des Heiligen Geistes, geht, um sie zu holen, und führt sie durch die Wüste hindurch ihm zu.
Dem Befehl Abrahams gemäß durfte die Frau Isaaks nicht «aus den Töchtern der Kanaaniter» genommen werden; sie mußte der Familie des Glaubens, «dem Land und der Verwandtschaft» Abrahams, angehören. Doch diese Verwandtschaft selbst bot ein recht trauriges Schauspiel. Nahor, mit großem Abstand den Spuren seines Bruders Abram folgend, war nach ihm in das Land Haran gekommen und hatte sich dort niedergelassen (1.Mo 24,10), ohne daran zu denken, wie jener dem Ruf Gottes bis ans Ende zu folgen. Obwohl er sich von dem öffentlichen Götzendienst, den man «jenseits des Stromes» trieb (Jos 24,15), fernhielt, hatten doch seine Söhne (wenn nicht auch er) keineswegs ihre Teraphim oder Hausgötter aufgegeben; zugleich erkannten sie Jehova als ihren Gott an (vgl. 1.Mo 31,19.29.53).
Deshalb sollte Isaak, obwohl er seine Frau aus dem Land Haran nehmen konnte, sich hüten, dorthin zurückzukehren (1.Mo 24,6). Rebekka sollte ihrerseits, um ihrem Mann ganz anzugehören, «ihr Volk und das Haus ihres Vaters» vergessen (Ps 45,10) und im Land der Verheißung zusammen mit ihrem gleichsam auferstandenen Mann leben; es durfte bei ihr weder eine Vermengung noch Kompromisse geben. Das hatte sie verstanden, denn gegenüber den Vorstellungen ihrer Brüder kommt nur ein einziges Wort aus ihrem Mund: «Ich will gehen.» Ein schönes Wort, würdig des Mannes, den sie liebt, ohne ihn gesehen zu haben, an den sie glaubt, ohne ihn schon zu sehen; ein Wort des Vertrauens zu dem, den sie wertschätzte; ein Wort der Entscheidung, denn er war es, der sie wie ein Magnet mächtig anzog; ein Wort der Unterwerfung, denn auf das Wort Eliesers: «Haltet mich nicht auf», folgt sie ihm durch die Wüste, bis sie endlich, als sie ihrem Herrn begegnet, zum Zeichen der Unterwürfigkeit von ihrem Kamel herabspringt und sich vor ihm mit ihrem Schleier verhüllt.
Welche Freude war es für sie, zu sehen, wie Isaak ihr entgegenkam von LachaiRoi, dem Brunnen «des Lebendigen, der sich schauen läßt» (24,62)! Dort hatte er vor dieser Begegnung gewohnt, und dort wohnte er auch nach seiner Vereinigung mit Rebekka (25,11). Einst hatte Jehova Hagar bei diesem Brunnen gefunden, der «auf dem Wege nach Sur» liegt (16,7), und Hagar hatte gesagt: «Habe ich nicht auch hier geschaut, nachdem er sich hat schauen lassen?» Weder Ismael, der nach dem Fleisch Geborene, noch seine Söhne nach ihm hatten Nutzen davon gehabt, denn «sie wohnten ... bis Sur» (25,18), ohne den Brunnen des Schauens zu kennen und ohne dieses Wasser zu trinken, das die Augen der Elenden auftut. Nur der geistliche Mensch stillt seinen Durst an der Offenbarung Gottes.
0 Brunnen Lachai-Roi, göttliches Wort, Offenbarung des Vaters und des Sohnes, tiefe Quelle, Ort der höchsten Freuden für den auferstandenen Menschen, frisches Wasser, wo die ihren Durst stillt, die Er zu Seiner Frau gemacht hat! Quelle, wo man den Unsichtbaren schaut, wo man Seine Gnade kennt, wo man Ihn in der Innigkeit Seiner Gemeinschaft genießen lernt, wo man Rat und Leitung findet, welche die dürren Örter zu einer frischen Oase ergrünen läßt! Herauf, Brunnen der Wüste (4.Mo 21,17), für mich, für das ganze Volk des Herrn! Möchte Deine Familie, teurer Herr, stets rings um Dein Wort wohnen, bei dem Brunnen des lebendigen Gottes!
Im 26. Kapitel, mit dem der zweite Teil der Geschichte Isaaks beginnt, ist der Patriarch nicht mehr ein Vorbild von Christus, sondern von dem Gläubigen, der berufen ist, hienieden in seinem Charakter als himmlischer und auferstandener Mensch zu wandeln. Ach! hier wie überall sehen wir, wie der Mensch unfähig ist, sich auf der Höhe seiner Berufung zu erhalten. Einst hatte die Hungersnot Abraham nach Ägypten geführt; und wieder ist es eine Hungersnot, die Isaak nach Gerar treibt. Gott sagt zu ihm: «Ziehe nicht hinab nach Ägypten», denn er sollte in Kanaan bleiben. Er erlaubt ihm jedoch, sich in Gerar aufzuhalten, da er dort schon seinen Wohnsitz genommen hatte. Die Folgen lassen nicht auf sich warten: Isaak verleugnet seine Verbindung mit seiner Frau, ein Bild von der Verbindung Christi mit der Kirche. Was Abraham in Ägypten getan hatte, tut Isaak im Land der Philister. Ägypten stellt die Welt dar; Philistäa die Welt, die sich auf dem Gebiet des Landes der Verheißung niedergelassen hat, die den Gläubigen feindliche Welt, obwohl sie innerhalb ihrer Grenzen ein Teil mit ihnen hat.
Diese Tatsache lehrt uns, daß es ebenso unmöglich ist, seine Beziehungen zur Kirche (Versammlung) zu bekennen und öffentlich aufrechtzuerhalten inmitten einer Welt, die mit dem Volk Gottes verbunden ist, wie in einer Welt, die durch Ägypten dargestellt wird. Weder die eine noch die andere duldet dieses Zeugnis. Ein Christ, der in Gerar wohnt, läßt sich dort seinen besten Schatz rauben: die Gemeinschaft zwischen dem Ehemann und seiner Frau. Seine Beziehungen, sein Zeugnis sind zerbrochen. Die Welt bemächtigt sich der Gattin und nimmt sie gefangen. Wie Abraham, so macht auch Isaak diese demütigende Erfahrung. Eine solch falsche Stellung des Mannes Gottes scheint ihm zunächst große Vorteile zu bringen. Er sät im Land Gerar und erntet das Hundertfältige, er empfängt viele zeitliche Segnungen, vielleicht wird er immer «größer, bis er sehr groß geworden ist», vielleicht findet er, wie einst Abraham, eine Menge Herden und Knechte. Aber die Freude der Gemeinschaft ist erloschen, die innigsten Bande der Seele sind zerrissen. Zudem bringt uns die Verbindung mit der Welt und ihren religiösen Formen, die uns dieser Schätze beraubt hat, Streitigkeiten, Widerstand und Haß; denn das Kind Gottes, so schwach es sein mag, wird, so lange es seinen himmlischen Charakter nicht gänzlich verleugnet, immer unter der Feindseligkeit der Welt gegen Christus zu leiden haben. Das ist es, was Isaak erfährt, weil er sich in Gerar niedergelassen hat.
Isaak, ein Bild des himmlischen Menschen, ist ein «Brunnengräber». Der Christ ist ihm ähnlich. Sein Glück besteht darin, die erfrischenden Wasser zu suchen, zunächst für sich selbst, sodann aber auch, um andere daran teilnehmen zu lassen. «Isaak grub die Wasserbrunnen wieder auf, welche sie in den Tagen seines Vaters Abraham gegraben, und welche die Philister nach dem Tode Abrahams verstopft hatten» (26,18). So bringen die Zeugen des Herrn alte Wahrheiten wieder ans Licht; wenn aber diese Zeugen nicht von der Welt getrennt sind, bemächtigt sich die Welt der Wahrheiten ihres Zeugnisses, als ob sie von ihr herrührten und ihr gehörten. So war es mit den großen Wahrheiten, die in der Zeit der Reformation wiedergefunden wurden, der Rechtfertigung aus Glauben und der Errettung aus Gnade. Wenn ein Zeuge des Herrn in der Mitte der Philister bleibt, so verliert er dort die Frucht seiner geistlichen Arbeit.
Isaak gräbt dann neue Brunnen, ein Bild von neuen Wahrheiten. Aber Esek und Sitna sind Gegenstände des Streites und Hasses; der Patriarch muß sie den Händen des Feindes überlassen, ohne sie benutzen zu können. Er gewinnt erst Raum, wenn er sich von Philistäa entfernt; da gräbt er den Brunnen Rechobot (Räume), «denn», sagt er, «nun hat Jehova uns Raum gemacht». Wenn wir von jeder Verbindung mit der Welt freigemacht sind, ist sie kraftlos gegen unser Zeugnis. Die Anbetung und der wahre Charakter des Christen finden
sich nur in einer völligen Absonderung von der religiösen Welt. Isaak macht diese Erfahrung in Beerseba, im Land seines Vaters; denn wie Abraham, als er aus Ägypten zurückkehrte, so baut auch er erst dort einen Altar, indem er den Namen Jehovas anruft, und schlägt dort sein Zelt auf. In Beerseba ist Isaak wieder auf sein eigenes Gebiet zurückgekehrt, und das muß die Welt anerkennen, ohne daß sie jedoch sich selbst verurteilt. ) Der Brunnen Rechobot ist der letzte Abschnitt auf dem Weg dieses Glaubensmannes: ein einfaches und stilles Zeugnis, das für die ewigen Wahrheiten abgelegt wird, angesichts einer Welt, die sie nicht kennt, aber deutlich sieht, daß Gott mit ihm ist (26,28). Alles das zeigt uns einen Fortschritt bei Isaak als Mensch Gottes, sagt uns aber auch, wie er in der Praxis weit entfernt ist von Dem, dessen Vorbild er im ersten Teil seiner Geschichte war. Ach! im Lauf der Geschichte Jakobs werden wir Zeugen eines wirklichen Niedergangs bei unserem Patriarchen sein. Wir werden diesen dritten Teil seines Weges, der mit dem Weg Jakobs eng verbunden ist, im Lauf der weiteren Ereignisse kennen lernen.
a) «Ihr hasset mich und habt mich von euch weggetrieben», sagt Isaak zu ihnen. Sie antworten: «Wir haben dir nur Gutes erwiesen!» (Kap. 26,27.29)
I. Jakob im Elternhaus Zwei Grundsätze und zwei Geschlechter (1.Mose 25,1926)
Wie Sara, so war auch Rebekka unfruchtbar. Diese Frauen sind hierin Bilder von Israel, von dem Menschen nach dem Fleisch unter dem alten Bund. Rahel, auch das Weib Manoahs und Hanna, noch später Elisabeth, wurden in derselben Weise heimgesucht. Ihre Unfruchtbarkeit, ein Zeichen der Kraftlosigkeit, bedeutete, daß das Fleisch weder das Recht noch die Fähigkeit hat, in die Familie des Glaubens einzuführen. Nur die Gnade und Kraft Gottes eröffnen den Zugang dahin, denn Gott behält sich vor, der einzige zu sein, durch den wir Segen empfangen können. In dieser Prüfung hatte es Abraham und Sara an Einsicht und an Glauben gefehlt. Durch den Kunstgriff eines menschlichen Übereinkommens (16,13) suchte Sara sich das zu verschaffen, was Gott ihr noch nicht gewährt, was Er aber dem Abraham in feierlicher Weise verheißen hatte mit den Worten: «Der aus deinem Leibe hervorgehen wird, der wird dich beerben» (15,4). Isaak hatte mehr Glauben als Sara. Er rechnete auf Gott, und, von Ihm allein abhängig, «bat er Jehova für sein Weib, denn sie war unfruchtbar» (25,21). Später ahmte Jakob seinen Großvater Abraham nach, als Rahel ihm ihre Magd Bilha gab; anstatt wie Isaak zu beten, «entbrannte sein Zorn wider Rahel» (30,2). Ganz anders verhielt sich Hanna, als sie in der Betrübnis und Bitterkeit ihrer Seele unter Tränen Jehova bat, und «die Sehnsucht der Frauen» (Dan 11,37) durch die Geburt Samuels erhört wurde (1.Sam 1). Zacharias hatte nur einen mäßigen Glauben. Er hatte für Elisabeth gefleht (Luk 1,13), aber er zweifelte, als der Engel kam, um ihm zu sagen, daß sein Gebet erhört sei; deshalb wurde er stumm bis zum Tag der Geburt des Vorläufers Christi.
Abraham hatte zwei Söhne, einen von der Magd und einen von der Freien: Ismael, den Sohn nach dem Fleisch, und Isaak, den Sohn nach dem Geist. Isaak war kaum entwöhnt, als «der nach dem Fleisch Geborene den nach dem Geist Geborenen verfolgte» (Gal 4,29). Das Fleisch, ein in der Person Ismaels von außen kommender Grundsatz, erhob sich gegen den, der aus Gott geboren war. Ebenso haben der Herr Jesus und alle die Seinen nach Ihm den Hohn und die Feindschaft des Fleisches, dieses Feindes von außen, erfahren.
Rebekka «war schwanger von Einem, von Isaak» (Röm 9, 10), und bekam von ihm zwei «Kinder, die sich in ihr stießen». Hier fanden sich die beiden Grundsätze in ihr und bekämpften sich in ihr, wie geschrieben steht: «Das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch; diese aber sind einander entgegengesetzt». In dem Gläubigen muß indes das eine dem anderen unterworfen sein, «auf daß wir nicht das tun, was wir wollen» (Gal 5,17). So ist es gleichsam auch hier: Jakob kam heraus, indem seine Hand die Ferse Esaus festhielt. Doch die Gegnerschaft der beiden Naturen beschränkt sich nicht auf den Mutterleib Rebekkas; sie besteht fort, nachdem die Kinder geboren sind, wie Gott sagte: «Zwei Völkerschaften werden sich scheiden aus deinem Innern» (25,23). Wieviele Christen, die die Welt nicht aufgeben wollen, stellen der Verpflichtung, sich von ihr zu trennen, die Tatsache gegenüber, daß wir ja die Welt in unserem Herzen tragen. Das ist aber nicht das, was das Wort lehrt. Die Schrift zeigt allerdings, daß es in dem Gläubigen eine notwendige Gegnerschaft zwischen dem Fleisch und dem Geist gibt, und daß die Weltlichkeit seines Herzens nicht gerechtfertigt ist; aber das Vorhandensein und die Gegnerschaft der beiden Naturen in ihm schwächt keineswegs die andere Wahrheit ab, daß eine Scheidung zwischen dem aus dem Geist Geborenem und dem aus dem Fleisch Geborenen notwendig ist. Es gibt da zwei verschiedene Familien, die nichts miteinander gemein haben können, weder Titel noch Vorrechte noch Segnungen (vgl. Röm 9,8).
Man fragt vielleicht: Warum werden die einen gesegnet und die anderen nicht? Gott antwortet: «Auf daß der Vorsatz Gottes nach Auswahl bestände» (Röm 9,11). Die Auswahl Gottes ist unumschränkt; Er ist niemand Rechenschaft darüber schuldig. Er stellt sie den Werken gegenüber, das heißt der Anmaßung des Menschen, seinerseits die Gnade der Auserwählung erwerben zu können. Aber, wird man sagen, dann erwählt Gott ja die einen zum Segen, die anderen zum Fluch, und was vermögen wir gegen Gottes Willen? Eine törichte Frage, denn niemals erwählt Gott zum Verderben. Er zeigt Seine freie Gnadenwahl in den Worten: «Der Ältere wird dem Jüngeren dienen», aber Er zeigt auch die Folgen der Verantwortlichkeit des Menschen, wenn Er den Worten: «Ich habe Jakob geliebt», hinzufügt: «Esau aber habe ich gehaßt» (Mal 1,2.3). Wann hat Er Jakob geliebt? Im ersten Buch der Bibel und schon im Mutterleib. Wann hat Er Esau gehaßt? Im letzten Buch des Alten Testamentes, als trotz der Langmut Gottes Edom (Esau) sich bis ans Ende als der unversöhnliche Feind Jehovas und Seines Volkes erwiesen hatte. Auf diese Weise offenbaren sich einerseits die Früchte der Gnade Gottes und andererseits die der Verantwortlichkeit des Menschen. Niemals gibt Gott den einen dieser Grundsätze zugunsten des anderen auf, noch schwächt Er den einen durch den anderen ab, wozu die falschen Überlegungen des Menschen nur zu oft neigen.
Der Ungöttliche und der Überlister
Die Kinder wachsen heran, ihr Charakter offenbart sich. «Esau wurde ein jagdkundiger Mann, ein Mann des Feldes.» Er stellt den Menschen der äußeren Tätigkeit, der körperlichen Kraft dar, der in dieser Welt den seiner Entwicklung eigenen Wirkungskreis findet, und der seine natürlichen Fähigkeiten in den Dienst seiner Lüste stellt. Als ein neuer Nimrod liebt er die Jagd, und seine Tatkraft verhilft ihm zur Befriedigung dieser Leidenschaft. «Jakob aber war ein sanfter (a) Mann, der in den Zelten blieb.» Man erkennt hier einen Zweig der Familie des Glaubens. Die Einfachheit bei ihm ist nicht das Gegenteil von Listigkeit; wir werden leider nur zu oft
a) ruhiger, häuslicher
sehen, welch eine große Rolle die Listigkeit in der Geschichte Jakobs spielt, und welch ernster Zucht Gott ihn unterwerfen muß, um ihn von diesem Übel zu reinigen. Die Einfachheit Jakobs war die eines Mannes, der keine Bedürfnisse hat, der sich zufrieden gibt mit dem, was Gott darreicht, ohne nach Wohlstand und Ansehen zu streben Charakterzüge, die denjenigen Esaus entgegengesetzt sind. Darum wohnte er auch in Zelten, ein echter Sohn jener Glaubensmänner Abraham und Isaak. «Abraham», lesen wir, «wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung» (Hebr 11,9). Zu Beginn seines Weges ist Jakob also ein Zeuge Gottes, der als Fremdling in einer Welt lebt, in der er keine bleibende Stadt sucht; denn er hält an der Verheißung Gottes und seines Erbteils fest, und das genügt seinem Glauben.
An diesem Punkt der Erzählung beginnt der dritte Teil der Geschichte Isaaks, die ab hier in enger Verbindung mit der seiner beiden Söhne steht. Isaak ist hier nicht mehr der Mann Gottes, der wenigstens teilweise seinen himmlischen Charakter verwirklicht; er läßt sich im Gegenteil in seinem Verhalten durch rein irdische Beweggründe leiten. «Isaak hatte Esau lieb, denn Wildbret war nach seinem Munde». Die Vorliebe für ein gutes Essen, eine Neigung für das, was die Welt Tafelfreuden nennt, das war es, was die Zuneigungen Isaaks, ohne daß er es ahnte, auf eine falsche Bahn brachte. Das Fleisch zieht immer das Fleisch an. Ist es nicht schmerzlich, daran zu denken, daß der gottesfürchtige Isaak, wenn er gekonnt hätte, den Sohn des Fleisches zum Erben der Verheißungen gemacht hätte, weil er Wildbret liebte?
«Rebekka aber hatte Jakob lieb». War es vielleicht die Zuneigung einer Mutter zu demjenigen ihrer Söhne, der der schwächere war, und den sein Vater weniger schätzte? Der Grund wird uns nicht mitgeteilt, aber doch möchten wir glauben, daß Rebekka, die trotz allem eine Frau des Glaubens war, die Antwort Jehovas in ihrem Herzen bewahrt hatte, als sie hingegangen war, um Ihn zu befragen (1.Mo 25,22.23).
In den Versen 29 bis 34 zeigt sich der Charakter der beiden Brüder ganz deutlich. Esau ist «ein Ungöttlicher» und verkauft für «eine Speise sein Erstgeburtsrecht» (Hebr 12,16). Von Müdigkeit übermannt, ruft er aus: «Siehe, ich gehe hin zu sterben, und wozu mir da das Erstgeburtsrecht?» Der Unselige begreift nicht, daß er damit sein Recht nicht nur auf gewisse irdische Vorteile verkauft, sondern auch auf höhere Segnungen, die dem Abraham und seinem «Samen, welcher Christus ist~
Dieses schreckliche Beispiel soll uns zur Warnung dienen. Die Welt ist voll von Esaus, die eine Zukunft von Segnungen, die ihnen angeboten wird, opfern, um die Begierde eines Augenblicks zu befriedigen; sie verkaufen ihre Seele für ein Linsengericht und, nachdem sie gegessen und getrunken haben, «stehen sie auf und gehen davon», ohne irgendein Gefühl für das Schreckliche ihres Tuns. Denken sie wohl daran, daß ein Tag kommen wird, wo sie «mit einem großen und bitterlichen Geschrei» weinend sagen werden: «Segne mich, auch mich, mein Vater», und wo sie «keinen Raum für die Buße» finden werden?
Gewiß, das Verhalten Esaus entschuldigt durchaus nicht dasjenige Jakobs. Bei diesem finden wir nichts, was uns anziehen könnte. Wenn es einen Zug von Edelmut und natürlicher Offenheit in dieser Geschichte gibt, so müßte man ihn bei Esau suchen. Jakob erspäht die Gelegenheiten und benutzt sie sehr geschickt, um seine Ziele zu erreichen. Er ist von Anfang an darauf aus, menschliche Mittel nicht zu vernachlässigen, um die verheißenen Segnungen zu erlangen. Ein sehr verbreiteter Irrtum! Man gebraucht das Fleisch, um die Dinge Gottes zu erlangen, wenn man dabei auch der Tätigkeit des Glaubens einen Teil überläßt. Jakob mußte mehr als zwanzig Jahre der Leiden und der Zucht durchleben, um zu lernen, daß die Tätigkeit des Fleisches nur dazu dient, dem Gläubigen Schwierigkeiten zu bereiten und ihn unter das Gericht Gottes zu bringen, ja, daß sie ihm nur Niederlagen beschert, und daß der Glaube allein den Sieg sichert. Esau handelte rein fleischlich, Jakob stellte sein Fleisch, oder, wenn man will, seine Fähigkeiten und seinen natürlichen Verstand, auf eine Linie mit seinem Glauben, ohne zu verstehen, daß das eine des anderen Feind ist.
Wir haben gesagt, die Welt ist voller Esaus; wir können mit demselben Recht sagen: die Christenheit ist voller Jakobs. Ist es nötig, dieses durch Beispiele zu beweisen? Bedient man sich nicht in der Christenheit des natürlichen Verstandes, des Studiums, des menschlichen Willens, der sich Gott weihen zu können meint, um das zu erlangen, was die Gnade Gottes uns schenken will? Wenn Gott den Seinigen Werke des Glaubens zuvor bereitet, damit sie darin wandeln (Eph 2,10), setzt man nicht an deren Stelle Werke des eigenen Willens, die den Werken Gottes nur hinderlich sind? Maßt man sich nicht an, durch menschliche Anordnungen sich die Segnungen zu sichern, die der Herr Seiner Kirche verleiht? Die Verkündigung des Evangeliums, die Gaben des Geistes, die Auferbauung der Heiligen, selbst das Gebet, alles ist von diesem Übel angesteckt. Der aufrichtige Christ entdeckt überall, wohin er sich wenden mag, den Geist und die Grundsätze Jakobs, selbst in der Familie des Glaubens und unter denen, die das Vorrecht haben, den Namen des Herrn in Wahrheit anzurufen.
Es ist ein Trost, daß bei manchen, die so handeln, trotzdem Glauben vorhanden ist. Jakob legte trotz seines fleischlichen Betragens Wert auf die Verheißungen. Das seiner Mutter anvertraute Wort Gottes war seinem Herzen eingeprägt geblieben. Er hatte ein Bewußtsein von der Vorrangstellung, zu der er berufen war, und dieser häusliche Mann, der in Zelten wohnte, sah zukünftige Herrlichkeit vor sich, die ihn die gegenwärtigen Dinge verachten ließen, während sein Bruder Esau die zukünftigen Dinge verachtete!
(1.Mose 26,34.35) Die Töchter Heths
«Und Esau war vierzig Jahre alt, da nahm er zum Weibe Judith, die Tochter Beeris, des Hethiters, und Basmath, die Tochter Elons, des Hethiters.»
Die Heirat ist ein Prüfstein dafür, wie es mit unserer Religion steht. Abraham, der Mann des Glaubens, belehrt durch die bitteren Erfahrungen einer Entzweiung zwischen Sara und Hagar, der Ägypterin, verlangte für seinen Sohn Isaak eine Tochter aus dem Geschlecht des Glaubens; er wollte keine Kanaaniterin, wollte auch nicht, daß sein Sohn zurückkehrt, um sich im Land Nahors niederzulassen, denn Abraham war von dort ausgegangen. Abrahams Knecht erfüllt treu seinen Auftrag. So ist es immer, wenn Gottes Geist uns leitet. Isaak ist von der väterlichen Vorschrift nicht abgewichen (28, 1). Auch Jakob wandelte darin, obschon mit weniger Einfalt und Freimütigkeit als sein Vater. Für sie schloß der Glaube jede Verbindung mit den Töchtern der Welt absolut aus.
Dieselbe Verhaltensregel wird dem Volk Gottes in 5.Mose 7,3.4 und Josua 23,12.13 ans Herz gelegt. Inmitten einer großen Betrübnis wirkt Esra (10,3.11) auf das Gewissen des Volkes, damit es sich von seinen unheiligen Verbindungen reinigt. Nehemia (Kap. 10,30) bestätigt ebenfalls diesen Grundsatz. Im Neuen Testament es ist gut, dessen eingedenk zu sein wird die einzige Bedingung bei der christlichen Heirat in die Worte gekleidet: «nur im Herrn» (1.Kor 7,39).
Esau zeigt bei dieser Gelegenheit offen seine unheilige Gesinnung. Er nimmt Töchter der Hethiter zu Weibern, und «sie waren ein Herzeleid für Isaak und Rebekka». Wie hätte es für dieses gläubige Ehepaar auch anders sein können? Kam es doch durch seinen Sohn wider Willen mit einem Volk in Verbindung, auf dem der göttliche Fluch ruhte, und obwohl sie für sich selbst rein blieben, konnten sie sich doch nicht von dieser götzendienerischen Nachbarschaft befreien. Sie litten darunter, und das war recht. Sie konnten die Lage nicht ändern, denn göttliche Grundsätze hatten auf Esau keinen Einfluß. Es war eine Prüfung für diese gläubige Familie, und sie fühlten sie sehr schwer; Rebekka am meisten, denn ihre Liebe zu Esau war weniger blind, als die ihres Mannes: Ach bin des Lebens überdrüssig wegen der Töchter Heths», sagt sie (27,46). Deshalb veranlaßt das böse Beispiel, das Esau gab, seine Eltern umso mehr, nach den Gedanken Gottes zu handeln bezüglich des Sohnes, der ihre Autorität anerkannte, und dessen Glaube mit dem ihrigen übereinstimmte. «Isaak», heißt es, «rief Jakob und segnete ihn; und er gebot ihm und sprach zu ihm: Du sollst nicht ein Weib nehmen von den Töchtern Kanaans. Mache dich auf, gehe nach PaddanAram, zum Hause Bethuels, des Vaters deiner Mutter; und nimm dir von dort ein Weib von den Töchtern Labans, des Bruders deiner Mutter» (28,1.2).
(1.Mose 27) Der geraubte Segen
Das 27. Kapitel zeigt uns ein demütigendes Bild von dem, was in der Familie Gottes vorkommen kann. Isaak, das Haupt dieser Familie, «der himmlische Mensch» der vorhergehenden Kapitel, gibt einem irdischen Gelüst nach: «Wildbret war nach seinem Munde». Er sagt zu Esau: «Siehe doch, ich bin alt geworden, ich weiß nicht den Tag meines Todes. Und nun nimm doch dein Jagdgerät, deinen Köcher und deinen Bogen, und gehe hinaus aufs Feld und erjage mir ein Wildbret, und bereite mir ein schmackhaftes Gericht, wie ich es gern habe, und bringe es mir her, daß ich esse, damit meine Seele dich segne, ehe ich sterbe» (V.24). Durch dieses Gelüst getrieben, steht er im Begriff, den Sohn des Fleisches dem Erben nach Gottes Willen, dem Esau unterworfen sein sollte, vorzuziehen. Wir sehen auch, wie er in der Speise, die er gern hatte, die Kraft für den Dienst Gottes sucht, als ob diese künstliche Kraft der prophetischen Gabe eines Patriarchen aufhelfen könnte! Steht es in unseren Tagen damit anders? Wie oft drängt sich Christen eine Erregung des Fleisches auf, als ob es die Macht des Geistes wäre! Wildbret und Wein sind nicht die einzigen Reizmittel des natürlichen Menschen; alles was die Welt ihm darbietet, die Beschäftigung mit dem eigenen Ich, der Wunsch, sich zu erheben, der Hochmut des Lebens, die Einbildungskraft und tausend andere Dinge tragen dazu bei, daß er die Nüchternheit im Dienst des Herrn, durch die allein Frucht erlangt werden kann, verliert.
Noch weit ernster ist es, daß dieses eine Gelüst Isaaks ihn das Wort Gottes vergessen läßt und ihn in Gegensatz zu Gottes Gedanken bringt. Wir haben weiter oben gesagt: Wenn Isaak gekonnt hätte, hätte er den Sohn des Fleisches zum Erben der Verheißung gemacht! Vielleicht denkt jemand, er sei hinsichtlich dieses Punktes unwissend gewesen; doch er hätte sich des Wortes erinnern müssen: «Der Ältere wird dem Jüngeren dienen». Laßt uns daran denken, daß der Zutritt, den wir der Welt in unseren Herzen gestatten, gleichen Schritt hält mit dem Vergessen des Wortes Gottes! Welch ein schreckliches Erwachen für Isaak, als seine Augen aufgingen und er auf einmal entdeckte, daß er aus Vorliebe für seinen Esau beinahe den Vorsätzen Gottes entgegen gehandelt hätte! Seht, wie er «mit großem Schrecken über die Maßen erschrak» (V.33)! Das war nicht Zorn oder Bestürzung darüber, daß sein jüngerer Sohn ihn getäuscht hatte, denn er hätte den Segen, der ihm gestohlen worden war, wieder zurücknehmen können. Nein, es ist der Schrecken über die Gefahr, der er durch die Gnade entgangen war. Wohl verurteilt er die Art und Weise, wie Jakob sich den Segen angeeignet hatte: «Dein Bruder ist mit Betrug gekommen und hat deinen Segen weggenommen» (V.35) aber doch hält er den erteilten Segen, als den Gedanken Gottes entsprechend, aufrecht: «Ich ... habe ihn gesegnet; er wird auch gesegnet sein» (V.33).
Infolge dieser Demütigung wird Isaak in seiner Seele wiederhergestellt, nichstdestoweniger wird er als Zeuge Gottes in dieser Welt beiseitegesetzt. Seine Zeugenlaufbahn ist beendet, zerbrochen bis zu seinem Tod. Fast ein halbes Jahrhundert lang muß er fortan in seiner Umgebung die Früchte des alten Menschen sehen, die so bitter sind für seinen Geist, die Früchte des Fleisches Esaus, dessen er sich einen Augenblick hatte bedienen wollen, um sein eigenes Fleisch zu befriedigen.
Während Isaak seinen Glauben mit seinem Gelüst zu verbinden sucht, vermischt sich Rebekkas Glaube mit ihrem Familiencharakter. Ihr Großvater Nahor, ihr Vater Bethuel, ihr Bruder Laban entstammen alle demselben Geschlecht: eine gemischte Religion, Ichsucht, Falschheit und Betrug hatten bei Rebekkas Erziehung im Vordergrund gestanden. Und doch hatte dieselbe Rebekka eines Tages durch den Glauben gesagt: «Ich will gehen»; und gleichfalls durch den Glauben hatte sie den Wert der dem Jakob gegebenen Verheißung verstanden. Unter dem Einfluß ihres Familiencharakters aber verläßt sie den Weg des Glaubens und will dem Sohn, den sie liebt, durch Betrug den verheißenen Segen verschaffen. Indem sie zu den Grundsätzen zurückkehrt, von denen Jehova sie freigemacht hatte, sucht sie durch betrügerische Kunstgriffe des Fleisches den Schlag abzuwehren, mit dem die fleischliche Neigung Isaaks sie bedroht. Und weiter gibt sie ihr Verhalten ihrem eigenen Sohn zum Vorbild und wagt es, den Fluch, der ihn treffen könnte, auf sich zu nehmen (V.13), um ihn so zu bewegen, seinen Vater zu betrügen. Doch Gott ist ein heiliger Gott und zeigt sich als solcher den Seinen gegenüber. Rebekka verfällt der Zucht Jehovas. Sie verliert Jakob, auf den sich alle Zuneigungen ihres Mutterherzens konzentrierten. Fortan verbringt sie ihre Jahre vereinsamt in «Herzeleid» und stirbt, ohne den wiedergesehen zu haben, mit dem sie eines Tages wiedervereinigt zu werden gehofft hatte (V.45). Ihre Zucht endet, wie bei Isaak, erst mit ihrem Leben.
Jakob gehorcht seiner Mutter, indem er die Stimme seines Gewissens erstickt, die ihm zuruft: «Du wirst in den Augen deines Vaters sein wie einer, der Spott mit ihm treibt» (V. 12). Er belügt Isaak, um sich auf seine Art das zu verschaffen, was Gott ihm verheißen hatte. Er empfängt den Segen, würde er ihn aber nicht ohne diesen Betrug empfangen haben, selbst im Beisein Esaus, wie später Ephraim ihn im Beisein Manasses empfing? Er empfängt ihn, aber er wird gezwungen, auf den Besitz dieses Segens lange zu warten, und zwar als Flüchtling, in einer harten Sklaverei und als Gegenstand der Zucht Jehovas, bis er endlich, gerichtet und gebrochen, erkannt hat, daß sein Fleisch ohne Kraft zum Guten ist, und daß seine Kraft einzig und allein im Glauben beruht.
Esau endlich, der fleischliche Mensch, wird zunächst mit weniger Schlägen geschlagen, denn für das Fleisch gibt es keine Zucht, aber den verlorenen Segen kann er nicht wiederfinden, obgleich er ihn mit Tränen gesucht hat. Er findet keinen Raum für die Buße, und seine Geschichte schließt mit dem furchtbar ernsten Wort: «Esau habe ich gehaßt!» (Mal 1,3; Röm 9,13)
II. Jakob als Flüchtling
(1.Mose 28) Der Traum zu Bethel
Jakob vom Überlister zum Anbeter - Henry Rossier
VorwortDiese Schrift erschien unter dem Titel «Jakob» (oder «Die Zucht») erstmalig im «Messager Evangélique» 1898/99, eine deutsche Übersetzung im «Botschafter des Heils in Christo» 1910. Wir haben diesen wertvollen Aufsatz anhand des Originals überarbeitet und dem heutigen Sprachgebrauch angepaßt.
Esau und Jakob waren Zwillinge und wuchsen in derselben Umgebung auf. Der eine verachtete die Gnade Gottes und wandte sich der Welt zu, der andere kannte Gott und ging trotzdem den Weg des Fleisches; durch eine Lüge will er sich die Segnungen des Glaubens aneignen. Er empfängt diese Segnungen, aber erst nach einem langen Leben voller Prüfungen und Züchtigungen Gottes. Zwanzig Jahre muß er in der Fremde dienen, aber das Vertrauen auf seine Fähigkeiten und seine Winkelzüge hat er immer noch nicht verloren. Gott muß ihn zerbrechen. In Pniel ist seine Seele «gerettet» worden, doch seine Erziehung geht weiter. In Bethel lernt er etwas von Anbetung. Dann kommt eine Zeit der Verluste: Rahel stirbt, Joseph kehrt nicht zurück, Jakob muß sogar Benjamin hergeben. Doch nun vertraut er Gott und verläßt sich nur noch auf Seine Gnade. Thema seines letzten Zeugnisses ist Christus selbst.
Wieviel können wir aus Jakobs Leben lernen! Nehmen wir uns Zeit für das inspirierte Wort Gottes' und laßt uns von dein schriftlichen Dienst begabter treuer Männer profitieren? Das ist keine verlorene Zeit!
Möchten wir alle den Jakob in uns sehen und Gott, der uns in Heiligkeit und Liebe begegnet, preisen lernen hoffentlich nicht erst am Ende unseres Weges.
«Kehre um, Israel, bis zu Jehova, deinem Gott, denn du bist gefallen durch deine Ungerechtigkeit. Nehmet Worte mit euch und kehret um zu Jehova; sprechet zu ihm: Vergib alle Ungerechtigkeit, und nimm an, was gut ist: daß wir die Frucht unserer Lippen als Schlachtopfer darbringen ... Ich will ihre Abtrünnigkeit heilen, will sie willig lieben ... Was habe ich fortan mit den Götzen zu schaffen? Ich, ich habe ihn erhört und auf ihn geblickt ... Aus mir wird deine Frucht gefunden. Wer weise ist, wird dieses verstehen; wer verständig ist, der wird es erkennen. Denn die Wege Jehovas sind gerade, und die Gerechten werden darauf wandeln; die Abtrünnigen aber werden darauf fallen.» (Hosea 14,1-9)
September 1994 Der Herausgeber
Einleitung - Einige Bemerkungen über die Geschichte Isaaks
Da die Geschichte Isaaks manche Berührungspunkte mit der seines Sohnes Jakob bietet, mag es angebracht sein, einige Worte darüber zu sagen, bevor wir mit der Betrachtung des Lebens Jakobs beginnen.
Isaak ist im Anfang seines Weges ein schönes Vorbild von dem Sohn Gottes, während das erste Auftreten Jakobs leider nur eine Darstellung der Machenschaften und des Versagens des Menschen ist. Isaak, der wahre Same Abrahams und als solcher der Erbe der Verheißungen, wird «wider Hoffnung» von einem «schon erstorbenen» Vater gezeugt und von einer Mutter, deren Mutterleib bereits «im Absterben» war, geboren (Röm 4,18.19). Er stellt so schon bei seinem Eintritt in diese Welt ein übernatürliches und über den Tod siegreiches Leben dar. Er ist der dem Glauben gewährte Sohn, und diese außergewöhnliche Stellung zieht ihm die Feindschaft Ismaels, seines Bruders nach dem Fleisch, zu. Bei seinen ersten Schritten, wie auch in dem ganzen ersten Teil seiner Geschichte (1.Mo 2124), ist Isaak daher das Vorbild von Christus.
Eine bedeutungsvolle Tatsache beherrscht sein Leben. Er, «der einzige Sohn, den der Vater liebhatte» (1.Mo 22,2), der auf dem Berg Morija als Brandopfer dargebracht wurde, ist gleichsam aus den Toten auferweckt worden, denn so hat Abraham ihn «im Gleichnis» empfangen (Hebr 11,19). Als auferstandener Mensch empfing er dann eine Braut (Rebekka ist das einzige vollständige Vorbild der Kirche und ihrer Berufung im Alten Testament.) nach dem Vorsatz seines Vaters (1.Mo 24,18). Elieser, ein eindrucksvolles Bild des Heiligen Geistes, geht, um sie zu holen, und führt sie durch die Wüste hindurch ihm zu.
Dem Befehl Abrahams gemäß durfte die Frau Isaaks nicht «aus den Töchtern der Kanaaniter» genommen werden; sie mußte der Familie des Glaubens, «dem Land und der Verwandtschaft» Abrahams, angehören. Doch diese Verwandtschaft selbst bot ein recht trauriges Schauspiel. Nahor, mit großem Abstand den Spuren seines Bruders Abram folgend, war nach ihm in das Land Haran gekommen und hatte sich dort niedergelassen (1.Mo 24,10), ohne daran zu denken, wie jener dem Ruf Gottes bis ans Ende zu folgen. Obwohl er sich von dem öffentlichen Götzendienst, den man «jenseits des Stromes» trieb (Jos 24,15), fernhielt, hatten doch seine Söhne (wenn nicht auch er) keineswegs ihre Teraphim oder Hausgötter aufgegeben; zugleich erkannten sie Jehova als ihren Gott an (vgl. 1.Mo 31,19.29.53).
Deshalb sollte Isaak, obwohl er seine Frau aus dem Land Haran nehmen konnte, sich hüten, dorthin zurückzukehren (1.Mo 24,6). Rebekka sollte ihrerseits, um ihrem Mann ganz anzugehören, «ihr Volk und das Haus ihres Vaters» vergessen (Ps 45,10) und im Land der Verheißung zusammen mit ihrem gleichsam auferstandenen Mann leben; es durfte bei ihr weder eine Vermengung noch Kompromisse geben. Das hatte sie verstanden, denn gegenüber den Vorstellungen ihrer Brüder kommt nur ein einziges Wort aus ihrem Mund: «Ich will gehen.» Ein schönes Wort, würdig des Mannes, den sie liebt, ohne ihn gesehen zu haben, an den sie glaubt, ohne ihn schon zu sehen; ein Wort des Vertrauens zu dem, den sie wertschätzte; ein Wort der Entscheidung, denn er war es, der sie wie ein Magnet mächtig anzog; ein Wort der Unterwerfung, denn auf das Wort Eliesers: «Haltet mich nicht auf», folgt sie ihm durch die Wüste, bis sie endlich, als sie ihrem Herrn begegnet, zum Zeichen der Unterwürfigkeit von ihrem Kamel herabspringt und sich vor ihm mit ihrem Schleier verhüllt.
Welche Freude war es für sie, zu sehen, wie Isaak ihr entgegenkam von LachaiRoi, dem Brunnen «des Lebendigen, der sich schauen läßt» (24,62)! Dort hatte er vor dieser Begegnung gewohnt, und dort wohnte er auch nach seiner Vereinigung mit Rebekka (25,11). Einst hatte Jehova Hagar bei diesem Brunnen gefunden, der «auf dem Wege nach Sur» liegt (16,7), und Hagar hatte gesagt: «Habe ich nicht auch hier geschaut, nachdem er sich hat schauen lassen?» Weder Ismael, der nach dem Fleisch Geborene, noch seine Söhne nach ihm hatten Nutzen davon gehabt, denn «sie wohnten ... bis Sur» (25,18), ohne den Brunnen des Schauens zu kennen und ohne dieses Wasser zu trinken, das die Augen der Elenden auftut. Nur der geistliche Mensch stillt seinen Durst an der Offenbarung Gottes.
0 Brunnen Lachai-Roi, göttliches Wort, Offenbarung des Vaters und des Sohnes, tiefe Quelle, Ort der höchsten Freuden für den auferstandenen Menschen, frisches Wasser, wo die ihren Durst stillt, die Er zu Seiner Frau gemacht hat! Quelle, wo man den Unsichtbaren schaut, wo man Seine Gnade kennt, wo man Ihn in der Innigkeit Seiner Gemeinschaft genießen lernt, wo man Rat und Leitung findet, welche die dürren Örter zu einer frischen Oase ergrünen läßt! Herauf, Brunnen der Wüste (4.Mo 21,17), für mich, für das ganze Volk des Herrn! Möchte Deine Familie, teurer Herr, stets rings um Dein Wort wohnen, bei dem Brunnen des lebendigen Gottes!
Im 26. Kapitel, mit dem der zweite Teil der Geschichte Isaaks beginnt, ist der Patriarch nicht mehr ein Vorbild von Christus, sondern von dem Gläubigen, der berufen ist, hienieden in seinem Charakter als himmlischer und auferstandener Mensch zu wandeln. Ach! hier wie überall sehen wir, wie der Mensch unfähig ist, sich auf der Höhe seiner Berufung zu erhalten. Einst hatte die Hungersnot Abraham nach Ägypten geführt; und wieder ist es eine Hungersnot, die Isaak nach Gerar treibt. Gott sagt zu ihm: «Ziehe nicht hinab nach Ägypten», denn er sollte in Kanaan bleiben. Er erlaubt ihm jedoch, sich in Gerar aufzuhalten, da er dort schon seinen Wohnsitz genommen hatte. Die Folgen lassen nicht auf sich warten: Isaak verleugnet seine Verbindung mit seiner Frau, ein Bild von der Verbindung Christi mit der Kirche. Was Abraham in Ägypten getan hatte, tut Isaak im Land der Philister. Ägypten stellt die Welt dar; Philistäa die Welt, die sich auf dem Gebiet des Landes der Verheißung niedergelassen hat, die den Gläubigen feindliche Welt, obwohl sie innerhalb ihrer Grenzen ein Teil mit ihnen hat.
Diese Tatsache lehrt uns, daß es ebenso unmöglich ist, seine Beziehungen zur Kirche (Versammlung) zu bekennen und öffentlich aufrechtzuerhalten inmitten einer Welt, die mit dem Volk Gottes verbunden ist, wie in einer Welt, die durch Ägypten dargestellt wird. Weder die eine noch die andere duldet dieses Zeugnis. Ein Christ, der in Gerar wohnt, läßt sich dort seinen besten Schatz rauben: die Gemeinschaft zwischen dem Ehemann und seiner Frau. Seine Beziehungen, sein Zeugnis sind zerbrochen. Die Welt bemächtigt sich der Gattin und nimmt sie gefangen. Wie Abraham, so macht auch Isaak diese demütigende Erfahrung. Eine solch falsche Stellung des Mannes Gottes scheint ihm zunächst große Vorteile zu bringen. Er sät im Land Gerar und erntet das Hundertfältige, er empfängt viele zeitliche Segnungen, vielleicht wird er immer «größer, bis er sehr groß geworden ist», vielleicht findet er, wie einst Abraham, eine Menge Herden und Knechte. Aber die Freude der Gemeinschaft ist erloschen, die innigsten Bande der Seele sind zerrissen. Zudem bringt uns die Verbindung mit der Welt und ihren religiösen Formen, die uns dieser Schätze beraubt hat, Streitigkeiten, Widerstand und Haß; denn das Kind Gottes, so schwach es sein mag, wird, so lange es seinen himmlischen Charakter nicht gänzlich verleugnet, immer unter der Feindseligkeit der Welt gegen Christus zu leiden haben. Das ist es, was Isaak erfährt, weil er sich in Gerar niedergelassen hat.
Isaak, ein Bild des himmlischen Menschen, ist ein «Brunnengräber». Der Christ ist ihm ähnlich. Sein Glück besteht darin, die erfrischenden Wasser zu suchen, zunächst für sich selbst, sodann aber auch, um andere daran teilnehmen zu lassen. «Isaak grub die Wasserbrunnen wieder auf, welche sie in den Tagen seines Vaters Abraham gegraben, und welche die Philister nach dem Tode Abrahams verstopft hatten» (26,18). So bringen die Zeugen des Herrn alte Wahrheiten wieder ans Licht; wenn aber diese Zeugen nicht von der Welt getrennt sind, bemächtigt sich die Welt der Wahrheiten ihres Zeugnisses, als ob sie von ihr herrührten und ihr gehörten. So war es mit den großen Wahrheiten, die in der Zeit der Reformation wiedergefunden wurden, der Rechtfertigung aus Glauben und der Errettung aus Gnade. Wenn ein Zeuge des Herrn in der Mitte der Philister bleibt, so verliert er dort die Frucht seiner geistlichen Arbeit.
Isaak gräbt dann neue Brunnen, ein Bild von neuen Wahrheiten. Aber Esek und Sitna sind Gegenstände des Streites und Hasses; der Patriarch muß sie den Händen des Feindes überlassen, ohne sie benutzen zu können. Er gewinnt erst Raum, wenn er sich von Philistäa entfernt; da gräbt er den Brunnen Rechobot (Räume), «denn», sagt er, «nun hat Jehova uns Raum gemacht». Wenn wir von jeder Verbindung mit der Welt freigemacht sind, ist sie kraftlos gegen unser Zeugnis. Die Anbetung und der wahre Charakter des Christen finden
sich nur in einer völligen Absonderung von der religiösen Welt. Isaak macht diese Erfahrung in Beerseba, im Land seines Vaters; denn wie Abraham, als er aus Ägypten zurückkehrte, so baut auch er erst dort einen Altar, indem er den Namen Jehovas anruft, und schlägt dort sein Zelt auf. In Beerseba ist Isaak wieder auf sein eigenes Gebiet zurückgekehrt, und das muß die Welt anerkennen, ohne daß sie jedoch sich selbst verurteilt. ) Der Brunnen Rechobot ist der letzte Abschnitt auf dem Weg dieses Glaubensmannes: ein einfaches und stilles Zeugnis, das für die ewigen Wahrheiten abgelegt wird, angesichts einer Welt, die sie nicht kennt, aber deutlich sieht, daß Gott mit ihm ist (26,28). Alles das zeigt uns einen Fortschritt bei Isaak als Mensch Gottes, sagt uns aber auch, wie er in der Praxis weit entfernt ist von Dem, dessen Vorbild er im ersten Teil seiner Geschichte war. Ach! im Lauf der Geschichte Jakobs werden wir Zeugen eines wirklichen Niedergangs bei unserem Patriarchen sein. Wir werden diesen dritten Teil seines Weges, der mit dem Weg Jakobs eng verbunden ist, im Lauf der weiteren Ereignisse kennen lernen.
a) «Ihr hasset mich und habt mich von euch weggetrieben», sagt Isaak zu ihnen. Sie antworten: «Wir haben dir nur Gutes erwiesen!» (Kap. 26,27.29)
I. Jakob im Elternhaus Zwei Grundsätze und zwei Geschlechter (1.Mose 25,1926)
Wie Sara, so war auch Rebekka unfruchtbar. Diese Frauen sind hierin Bilder von Israel, von dem Menschen nach dem Fleisch unter dem alten Bund. Rahel, auch das Weib Manoahs und Hanna, noch später Elisabeth, wurden in derselben Weise heimgesucht. Ihre Unfruchtbarkeit, ein Zeichen der Kraftlosigkeit, bedeutete, daß das Fleisch weder das Recht noch die Fähigkeit hat, in die Familie des Glaubens einzuführen. Nur die Gnade und Kraft Gottes eröffnen den Zugang dahin, denn Gott behält sich vor, der einzige zu sein, durch den wir Segen empfangen können. In dieser Prüfung hatte es Abraham und Sara an Einsicht und an Glauben gefehlt. Durch den Kunstgriff eines menschlichen Übereinkommens (16,13) suchte Sara sich das zu verschaffen, was Gott ihr noch nicht gewährt, was Er aber dem Abraham in feierlicher Weise verheißen hatte mit den Worten: «Der aus deinem Leibe hervorgehen wird, der wird dich beerben» (15,4). Isaak hatte mehr Glauben als Sara. Er rechnete auf Gott, und, von Ihm allein abhängig, «bat er Jehova für sein Weib, denn sie war unfruchtbar» (25,21). Später ahmte Jakob seinen Großvater Abraham nach, als Rahel ihm ihre Magd Bilha gab; anstatt wie Isaak zu beten, «entbrannte sein Zorn wider Rahel» (30,2). Ganz anders verhielt sich Hanna, als sie in der Betrübnis und Bitterkeit ihrer Seele unter Tränen Jehova bat, und «die Sehnsucht der Frauen» (Dan 11,37) durch die Geburt Samuels erhört wurde (1.Sam 1). Zacharias hatte nur einen mäßigen Glauben. Er hatte für Elisabeth gefleht (Luk 1,13), aber er zweifelte, als der Engel kam, um ihm zu sagen, daß sein Gebet erhört sei; deshalb wurde er stumm bis zum Tag der Geburt des Vorläufers Christi.
Abraham hatte zwei Söhne, einen von der Magd und einen von der Freien: Ismael, den Sohn nach dem Fleisch, und Isaak, den Sohn nach dem Geist. Isaak war kaum entwöhnt, als «der nach dem Fleisch Geborene den nach dem Geist Geborenen verfolgte» (Gal 4,29). Das Fleisch, ein in der Person Ismaels von außen kommender Grundsatz, erhob sich gegen den, der aus Gott geboren war. Ebenso haben der Herr Jesus und alle die Seinen nach Ihm den Hohn und die Feindschaft des Fleisches, dieses Feindes von außen, erfahren.
Rebekka «war schwanger von Einem, von Isaak» (Röm 9, 10), und bekam von ihm zwei «Kinder, die sich in ihr stießen». Hier fanden sich die beiden Grundsätze in ihr und bekämpften sich in ihr, wie geschrieben steht: «Das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch; diese aber sind einander entgegengesetzt». In dem Gläubigen muß indes das eine dem anderen unterworfen sein, «auf daß wir nicht das tun, was wir wollen» (Gal 5,17). So ist es gleichsam auch hier: Jakob kam heraus, indem seine Hand die Ferse Esaus festhielt. Doch die Gegnerschaft der beiden Naturen beschränkt sich nicht auf den Mutterleib Rebekkas; sie besteht fort, nachdem die Kinder geboren sind, wie Gott sagte: «Zwei Völkerschaften werden sich scheiden aus deinem Innern» (25,23). Wieviele Christen, die die Welt nicht aufgeben wollen, stellen der Verpflichtung, sich von ihr zu trennen, die Tatsache gegenüber, daß wir ja die Welt in unserem Herzen tragen. Das ist aber nicht das, was das Wort lehrt. Die Schrift zeigt allerdings, daß es in dem Gläubigen eine notwendige Gegnerschaft zwischen dem Fleisch und dem Geist gibt, und daß die Weltlichkeit seines Herzens nicht gerechtfertigt ist; aber das Vorhandensein und die Gegnerschaft der beiden Naturen in ihm schwächt keineswegs die andere Wahrheit ab, daß eine Scheidung zwischen dem aus dem Geist Geborenem und dem aus dem Fleisch Geborenen notwendig ist. Es gibt da zwei verschiedene Familien, die nichts miteinander gemein haben können, weder Titel noch Vorrechte noch Segnungen (vgl. Röm 9,8).
Man fragt vielleicht: Warum werden die einen gesegnet und die anderen nicht? Gott antwortet: «Auf daß der Vorsatz Gottes nach Auswahl bestände» (Röm 9,11). Die Auswahl Gottes ist unumschränkt; Er ist niemand Rechenschaft darüber schuldig. Er stellt sie den Werken gegenüber, das heißt der Anmaßung des Menschen, seinerseits die Gnade der Auserwählung erwerben zu können. Aber, wird man sagen, dann erwählt Gott ja die einen zum Segen, die anderen zum Fluch, und was vermögen wir gegen Gottes Willen? Eine törichte Frage, denn niemals erwählt Gott zum Verderben. Er zeigt Seine freie Gnadenwahl in den Worten: «Der Ältere wird dem Jüngeren dienen», aber Er zeigt auch die Folgen der Verantwortlichkeit des Menschen, wenn Er den Worten: «Ich habe Jakob geliebt», hinzufügt: «Esau aber habe ich gehaßt» (Mal 1,2.3). Wann hat Er Jakob geliebt? Im ersten Buch der Bibel und schon im Mutterleib. Wann hat Er Esau gehaßt? Im letzten Buch des Alten Testamentes, als trotz der Langmut Gottes Edom (Esau) sich bis ans Ende als der unversöhnliche Feind Jehovas und Seines Volkes erwiesen hatte. Auf diese Weise offenbaren sich einerseits die Früchte der Gnade Gottes und andererseits die der Verantwortlichkeit des Menschen. Niemals gibt Gott den einen dieser Grundsätze zugunsten des anderen auf, noch schwächt Er den einen durch den anderen ab, wozu die falschen Überlegungen des Menschen nur zu oft neigen.
Der Ungöttliche und der Überlister
Die Kinder wachsen heran, ihr Charakter offenbart sich. «Esau wurde ein jagdkundiger Mann, ein Mann des Feldes.» Er stellt den Menschen der äußeren Tätigkeit, der körperlichen Kraft dar, der in dieser Welt den seiner Entwicklung eigenen Wirkungskreis findet, und der seine natürlichen Fähigkeiten in den Dienst seiner Lüste stellt. Als ein neuer Nimrod liebt er die Jagd, und seine Tatkraft verhilft ihm zur Befriedigung dieser Leidenschaft. «Jakob aber war ein sanfter (a) Mann, der in den Zelten blieb.» Man erkennt hier einen Zweig der Familie des Glaubens. Die Einfachheit bei ihm ist nicht das Gegenteil von Listigkeit; wir werden leider nur zu oft
a) ruhiger, häuslicher
sehen, welch eine große Rolle die Listigkeit in der Geschichte Jakobs spielt, und welch ernster Zucht Gott ihn unterwerfen muß, um ihn von diesem Übel zu reinigen. Die Einfachheit Jakobs war die eines Mannes, der keine Bedürfnisse hat, der sich zufrieden gibt mit dem, was Gott darreicht, ohne nach Wohlstand und Ansehen zu streben Charakterzüge, die denjenigen Esaus entgegengesetzt sind. Darum wohnte er auch in Zelten, ein echter Sohn jener Glaubensmänner Abraham und Isaak. «Abraham», lesen wir, «wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung» (Hebr 11,9). Zu Beginn seines Weges ist Jakob also ein Zeuge Gottes, der als Fremdling in einer Welt lebt, in der er keine bleibende Stadt sucht; denn er hält an der Verheißung Gottes und seines Erbteils fest, und das genügt seinem Glauben.
An diesem Punkt der Erzählung beginnt der dritte Teil der Geschichte Isaaks, die ab hier in enger Verbindung mit der seiner beiden Söhne steht. Isaak ist hier nicht mehr der Mann Gottes, der wenigstens teilweise seinen himmlischen Charakter verwirklicht; er läßt sich im Gegenteil in seinem Verhalten durch rein irdische Beweggründe leiten. «Isaak hatte Esau lieb, denn Wildbret war nach seinem Munde». Die Vorliebe für ein gutes Essen, eine Neigung für das, was die Welt Tafelfreuden nennt, das war es, was die Zuneigungen Isaaks, ohne daß er es ahnte, auf eine falsche Bahn brachte. Das Fleisch zieht immer das Fleisch an. Ist es nicht schmerzlich, daran zu denken, daß der gottesfürchtige Isaak, wenn er gekonnt hätte, den Sohn des Fleisches zum Erben der Verheißungen gemacht hätte, weil er Wildbret liebte?
«Rebekka aber hatte Jakob lieb». War es vielleicht die Zuneigung einer Mutter zu demjenigen ihrer Söhne, der der schwächere war, und den sein Vater weniger schätzte? Der Grund wird uns nicht mitgeteilt, aber doch möchten wir glauben, daß Rebekka, die trotz allem eine Frau des Glaubens war, die Antwort Jehovas in ihrem Herzen bewahrt hatte, als sie hingegangen war, um Ihn zu befragen (1.Mo 25,22.23).
In den Versen 29 bis 34 zeigt sich der Charakter der beiden Brüder ganz deutlich. Esau ist «ein Ungöttlicher» und verkauft für «eine Speise sein Erstgeburtsrecht» (Hebr 12,16). Von Müdigkeit übermannt, ruft er aus: «Siehe, ich gehe hin zu sterben, und wozu mir da das Erstgeburtsrecht?» Der Unselige begreift nicht, daß er damit sein Recht nicht nur auf gewisse irdische Vorteile verkauft, sondern auch auf höhere Segnungen, die dem Abraham und seinem «Samen, welcher Christus ist~
Dieses schreckliche Beispiel soll uns zur Warnung dienen. Die Welt ist voll von Esaus, die eine Zukunft von Segnungen, die ihnen angeboten wird, opfern, um die Begierde eines Augenblicks zu befriedigen; sie verkaufen ihre Seele für ein Linsengericht und, nachdem sie gegessen und getrunken haben, «stehen sie auf und gehen davon», ohne irgendein Gefühl für das Schreckliche ihres Tuns. Denken sie wohl daran, daß ein Tag kommen wird, wo sie «mit einem großen und bitterlichen Geschrei» weinend sagen werden: «Segne mich, auch mich, mein Vater», und wo sie «keinen Raum für die Buße» finden werden?
Gewiß, das Verhalten Esaus entschuldigt durchaus nicht dasjenige Jakobs. Bei diesem finden wir nichts, was uns anziehen könnte. Wenn es einen Zug von Edelmut und natürlicher Offenheit in dieser Geschichte gibt, so müßte man ihn bei Esau suchen. Jakob erspäht die Gelegenheiten und benutzt sie sehr geschickt, um seine Ziele zu erreichen. Er ist von Anfang an darauf aus, menschliche Mittel nicht zu vernachlässigen, um die verheißenen Segnungen zu erlangen. Ein sehr verbreiteter Irrtum! Man gebraucht das Fleisch, um die Dinge Gottes zu erlangen, wenn man dabei auch der Tätigkeit des Glaubens einen Teil überläßt. Jakob mußte mehr als zwanzig Jahre der Leiden und der Zucht durchleben, um zu lernen, daß die Tätigkeit des Fleisches nur dazu dient, dem Gläubigen Schwierigkeiten zu bereiten und ihn unter das Gericht Gottes zu bringen, ja, daß sie ihm nur Niederlagen beschert, und daß der Glaube allein den Sieg sichert. Esau handelte rein fleischlich, Jakob stellte sein Fleisch, oder, wenn man will, seine Fähigkeiten und seinen natürlichen Verstand, auf eine Linie mit seinem Glauben, ohne zu verstehen, daß das eine des anderen Feind ist.
Wir haben gesagt, die Welt ist voller Esaus; wir können mit demselben Recht sagen: die Christenheit ist voller Jakobs. Ist es nötig, dieses durch Beispiele zu beweisen? Bedient man sich nicht in der Christenheit des natürlichen Verstandes, des Studiums, des menschlichen Willens, der sich Gott weihen zu können meint, um das zu erlangen, was die Gnade Gottes uns schenken will? Wenn Gott den Seinigen Werke des Glaubens zuvor bereitet, damit sie darin wandeln (Eph 2,10), setzt man nicht an deren Stelle Werke des eigenen Willens, die den Werken Gottes nur hinderlich sind? Maßt man sich nicht an, durch menschliche Anordnungen sich die Segnungen zu sichern, die der Herr Seiner Kirche verleiht? Die Verkündigung des Evangeliums, die Gaben des Geistes, die Auferbauung der Heiligen, selbst das Gebet, alles ist von diesem Übel angesteckt. Der aufrichtige Christ entdeckt überall, wohin er sich wenden mag, den Geist und die Grundsätze Jakobs, selbst in der Familie des Glaubens und unter denen, die das Vorrecht haben, den Namen des Herrn in Wahrheit anzurufen.
Es ist ein Trost, daß bei manchen, die so handeln, trotzdem Glauben vorhanden ist. Jakob legte trotz seines fleischlichen Betragens Wert auf die Verheißungen. Das seiner Mutter anvertraute Wort Gottes war seinem Herzen eingeprägt geblieben. Er hatte ein Bewußtsein von der Vorrangstellung, zu der er berufen war, und dieser häusliche Mann, der in Zelten wohnte, sah zukünftige Herrlichkeit vor sich, die ihn die gegenwärtigen Dinge verachten ließen, während sein Bruder Esau die zukünftigen Dinge verachtete!
(1.Mose 26,34.35) Die Töchter Heths
«Und Esau war vierzig Jahre alt, da nahm er zum Weibe Judith, die Tochter Beeris, des Hethiters, und Basmath, die Tochter Elons, des Hethiters.»
Die Heirat ist ein Prüfstein dafür, wie es mit unserer Religion steht. Abraham, der Mann des Glaubens, belehrt durch die bitteren Erfahrungen einer Entzweiung zwischen Sara und Hagar, der Ägypterin, verlangte für seinen Sohn Isaak eine Tochter aus dem Geschlecht des Glaubens; er wollte keine Kanaaniterin, wollte auch nicht, daß sein Sohn zurückkehrt, um sich im Land Nahors niederzulassen, denn Abraham war von dort ausgegangen. Abrahams Knecht erfüllt treu seinen Auftrag. So ist es immer, wenn Gottes Geist uns leitet. Isaak ist von der väterlichen Vorschrift nicht abgewichen (28, 1). Auch Jakob wandelte darin, obschon mit weniger Einfalt und Freimütigkeit als sein Vater. Für sie schloß der Glaube jede Verbindung mit den Töchtern der Welt absolut aus.
Dieselbe Verhaltensregel wird dem Volk Gottes in 5.Mose 7,3.4 und Josua 23,12.13 ans Herz gelegt. Inmitten einer großen Betrübnis wirkt Esra (10,3.11) auf das Gewissen des Volkes, damit es sich von seinen unheiligen Verbindungen reinigt. Nehemia (Kap. 10,30) bestätigt ebenfalls diesen Grundsatz. Im Neuen Testament es ist gut, dessen eingedenk zu sein wird die einzige Bedingung bei der christlichen Heirat in die Worte gekleidet: «nur im Herrn» (1.Kor 7,39).
Esau zeigt bei dieser Gelegenheit offen seine unheilige Gesinnung. Er nimmt Töchter der Hethiter zu Weibern, und «sie waren ein Herzeleid für Isaak und Rebekka». Wie hätte es für dieses gläubige Ehepaar auch anders sein können? Kam es doch durch seinen Sohn wider Willen mit einem Volk in Verbindung, auf dem der göttliche Fluch ruhte, und obwohl sie für sich selbst rein blieben, konnten sie sich doch nicht von dieser götzendienerischen Nachbarschaft befreien. Sie litten darunter, und das war recht. Sie konnten die Lage nicht ändern, denn göttliche Grundsätze hatten auf Esau keinen Einfluß. Es war eine Prüfung für diese gläubige Familie, und sie fühlten sie sehr schwer; Rebekka am meisten, denn ihre Liebe zu Esau war weniger blind, als die ihres Mannes: Ach bin des Lebens überdrüssig wegen der Töchter Heths», sagt sie (27,46). Deshalb veranlaßt das böse Beispiel, das Esau gab, seine Eltern umso mehr, nach den Gedanken Gottes zu handeln bezüglich des Sohnes, der ihre Autorität anerkannte, und dessen Glaube mit dem ihrigen übereinstimmte. «Isaak», heißt es, «rief Jakob und segnete ihn; und er gebot ihm und sprach zu ihm: Du sollst nicht ein Weib nehmen von den Töchtern Kanaans. Mache dich auf, gehe nach PaddanAram, zum Hause Bethuels, des Vaters deiner Mutter; und nimm dir von dort ein Weib von den Töchtern Labans, des Bruders deiner Mutter» (28,1.2).
(1.Mose 27) Der geraubte Segen
Das 27. Kapitel zeigt uns ein demütigendes Bild von dem, was in der Familie Gottes vorkommen kann. Isaak, das Haupt dieser Familie, «der himmlische Mensch» der vorhergehenden Kapitel, gibt einem irdischen Gelüst nach: «Wildbret war nach seinem Munde». Er sagt zu Esau: «Siehe doch, ich bin alt geworden, ich weiß nicht den Tag meines Todes. Und nun nimm doch dein Jagdgerät, deinen Köcher und deinen Bogen, und gehe hinaus aufs Feld und erjage mir ein Wildbret, und bereite mir ein schmackhaftes Gericht, wie ich es gern habe, und bringe es mir her, daß ich esse, damit meine Seele dich segne, ehe ich sterbe» (V.24). Durch dieses Gelüst getrieben, steht er im Begriff, den Sohn des Fleisches dem Erben nach Gottes Willen, dem Esau unterworfen sein sollte, vorzuziehen. Wir sehen auch, wie er in der Speise, die er gern hatte, die Kraft für den Dienst Gottes sucht, als ob diese künstliche Kraft der prophetischen Gabe eines Patriarchen aufhelfen könnte! Steht es in unseren Tagen damit anders? Wie oft drängt sich Christen eine Erregung des Fleisches auf, als ob es die Macht des Geistes wäre! Wildbret und Wein sind nicht die einzigen Reizmittel des natürlichen Menschen; alles was die Welt ihm darbietet, die Beschäftigung mit dem eigenen Ich, der Wunsch, sich zu erheben, der Hochmut des Lebens, die Einbildungskraft und tausend andere Dinge tragen dazu bei, daß er die Nüchternheit im Dienst des Herrn, durch die allein Frucht erlangt werden kann, verliert.
Noch weit ernster ist es, daß dieses eine Gelüst Isaaks ihn das Wort Gottes vergessen läßt und ihn in Gegensatz zu Gottes Gedanken bringt. Wir haben weiter oben gesagt: Wenn Isaak gekonnt hätte, hätte er den Sohn des Fleisches zum Erben der Verheißung gemacht! Vielleicht denkt jemand, er sei hinsichtlich dieses Punktes unwissend gewesen; doch er hätte sich des Wortes erinnern müssen: «Der Ältere wird dem Jüngeren dienen». Laßt uns daran denken, daß der Zutritt, den wir der Welt in unseren Herzen gestatten, gleichen Schritt hält mit dem Vergessen des Wortes Gottes! Welch ein schreckliches Erwachen für Isaak, als seine Augen aufgingen und er auf einmal entdeckte, daß er aus Vorliebe für seinen Esau beinahe den Vorsätzen Gottes entgegen gehandelt hätte! Seht, wie er «mit großem Schrecken über die Maßen erschrak» (V.33)! Das war nicht Zorn oder Bestürzung darüber, daß sein jüngerer Sohn ihn getäuscht hatte, denn er hätte den Segen, der ihm gestohlen worden war, wieder zurücknehmen können. Nein, es ist der Schrecken über die Gefahr, der er durch die Gnade entgangen war. Wohl verurteilt er die Art und Weise, wie Jakob sich den Segen angeeignet hatte: «Dein Bruder ist mit Betrug gekommen und hat deinen Segen weggenommen» (V.35) aber doch hält er den erteilten Segen, als den Gedanken Gottes entsprechend, aufrecht: «Ich ... habe ihn gesegnet; er wird auch gesegnet sein» (V.33).
Infolge dieser Demütigung wird Isaak in seiner Seele wiederhergestellt, nichstdestoweniger wird er als Zeuge Gottes in dieser Welt beiseitegesetzt. Seine Zeugenlaufbahn ist beendet, zerbrochen bis zu seinem Tod. Fast ein halbes Jahrhundert lang muß er fortan in seiner Umgebung die Früchte des alten Menschen sehen, die so bitter sind für seinen Geist, die Früchte des Fleisches Esaus, dessen er sich einen Augenblick hatte bedienen wollen, um sein eigenes Fleisch zu befriedigen.
Während Isaak seinen Glauben mit seinem Gelüst zu verbinden sucht, vermischt sich Rebekkas Glaube mit ihrem Familiencharakter. Ihr Großvater Nahor, ihr Vater Bethuel, ihr Bruder Laban entstammen alle demselben Geschlecht: eine gemischte Religion, Ichsucht, Falschheit und Betrug hatten bei Rebekkas Erziehung im Vordergrund gestanden. Und doch hatte dieselbe Rebekka eines Tages durch den Glauben gesagt: «Ich will gehen»; und gleichfalls durch den Glauben hatte sie den Wert der dem Jakob gegebenen Verheißung verstanden. Unter dem Einfluß ihres Familiencharakters aber verläßt sie den Weg des Glaubens und will dem Sohn, den sie liebt, durch Betrug den verheißenen Segen verschaffen. Indem sie zu den Grundsätzen zurückkehrt, von denen Jehova sie freigemacht hatte, sucht sie durch betrügerische Kunstgriffe des Fleisches den Schlag abzuwehren, mit dem die fleischliche Neigung Isaaks sie bedroht. Und weiter gibt sie ihr Verhalten ihrem eigenen Sohn zum Vorbild und wagt es, den Fluch, der ihn treffen könnte, auf sich zu nehmen (V.13), um ihn so zu bewegen, seinen Vater zu betrügen. Doch Gott ist ein heiliger Gott und zeigt sich als solcher den Seinen gegenüber. Rebekka verfällt der Zucht Jehovas. Sie verliert Jakob, auf den sich alle Zuneigungen ihres Mutterherzens konzentrierten. Fortan verbringt sie ihre Jahre vereinsamt in «Herzeleid» und stirbt, ohne den wiedergesehen zu haben, mit dem sie eines Tages wiedervereinigt zu werden gehofft hatte (V.45). Ihre Zucht endet, wie bei Isaak, erst mit ihrem Leben.
Jakob gehorcht seiner Mutter, indem er die Stimme seines Gewissens erstickt, die ihm zuruft: «Du wirst in den Augen deines Vaters sein wie einer, der Spott mit ihm treibt» (V. 12). Er belügt Isaak, um sich auf seine Art das zu verschaffen, was Gott ihm verheißen hatte. Er empfängt den Segen, würde er ihn aber nicht ohne diesen Betrug empfangen haben, selbst im Beisein Esaus, wie später Ephraim ihn im Beisein Manasses empfing? Er empfängt ihn, aber er wird gezwungen, auf den Besitz dieses Segens lange zu warten, und zwar als Flüchtling, in einer harten Sklaverei und als Gegenstand der Zucht Jehovas, bis er endlich, gerichtet und gebrochen, erkannt hat, daß sein Fleisch ohne Kraft zum Guten ist, und daß seine Kraft einzig und allein im Glauben beruht.
Esau endlich, der fleischliche Mensch, wird zunächst mit weniger Schlägen geschlagen, denn für das Fleisch gibt es keine Zucht, aber den verlorenen Segen kann er nicht wiederfinden, obgleich er ihn mit Tränen gesucht hat. Er findet keinen Raum für die Buße, und seine Geschichte schließt mit dem furchtbar ernsten Wort: «Esau habe ich gehaßt!» (Mal 1,3; Röm 9,13)
II. Jakob als Flüchtling
(1.Mose 28) Der Traum zu Bethel
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