Prediger
©R. Mohncke
Betrachtung über den Prediger - Henri Rossier
Einleitung
Niemand wird bestreiten wollen, daß Salomo dieser Prediger ist (siehe Kapitel 1, 1 und 12). Gelehrte indessen, die, außer ihrem eigenen Wissen, alles in Frage zu stellen gewöhnt sind, leugnen es. Das darf uns jedoch nicht verwundern, denn kein Mensch, und sei es der gelehrteste, kann den einfachsten Gedanken Gottes verstehen, es sei denn durch den Geist Gottes. Der Gläubige, der diesen alles erforschenden Geist besitzt, ist fähig, die Geheimnisse der Weisheit zu verstehen und sowohl den Zweck, zu dem Gott uns diese Unterweisungen gibt, als auch den Nutzen, den wir daraus ziehen können, zu erkennen. Der Prediger will Menschen um sich sammeln, die Ohren haben zu hören, um sie zu unterweisen und ihnen seine Erfahrungen mitzuteilen.
Die Belehrungen des Predigers haben einen ganz besonderen Charakter, wie wir ihm in keinem anderen Buch der Bibel begegnen. Der Leser möge zur Erläuterung nachstehenden Betrachtungen folgen.
Im ersten Buch Mose finden wir auf der Erde einen Menschen, den ersten Adam, unschuldig, ohne Erkenntnis des Guten und Bösen, inmitten einer wunderbar aus der Hand Gottes hervorgegangenen Schöpfung. Er steht in Verbindung mit seinem Schöpfer, von dem er weiß, daß Er jeden Ungehorsam richtet, und er besitzt einen Geist, der fähig ist, die ihn umgebenden Dinge zu verstehen und zu genießen. Er ist auch imstande, eine wirksame Herrschaft über die ganze Erde auszuüben, und
besitzt ein Herz, das zu lieben vermag und von Gott einen seiner Liebe würdigen Gegenstand erhält. Dieser Mensch brauchte also, um glücklich zu sein, nur in der Abhängigkeit von Gott zu bleiben, der die Schöpfung seinen Füßen unterworfen hatte. Was geschieht aber? Anstatt die Furcht Gottes zu bewahren, wird er bei der ersten Versuchung, die an ihn herantritt, stolz und hochmütig. Er erachtet es für einen Gewinn, seinem Schöpfer gleich zu sein, handelt in Unabhängigkeit und fällt in Sünde; sein ganzes Glück ist zerstört. Von nun an erkennt er das Gute und das Böse, ist jedoch unfähig, das Gute zu tun; er ist ein Sklave der Sünde geworden. Die Erde ist verdorben, der Tod hat auf ihr seinen Einzug gehalten, und der Himmel ist dem Menschen verschlossen. Das Gericht Gottes ist seine Zukunft, wenn nicht die Gnade dazwischentritt, um ihn zu retten. Das ist in der Tat auch die einzige Verheißung, die Gott dem Menschen unmittelbar nach dem Sündenfall gibt (1. Mose 3, 15).
Die Erfüllung dieser Verheißung führt den zweiten Adam ein. Er tritt nicht in eine reine und schöne Schöpfung ein, sondern Er kommt auf den verdorbenen Schauplatz der Sünde und des Todes, aber in voller Kenntnis des Zustandes der Welt und mit einem bestimmten Ziel. Er ist mit einer Weisheit ausgestattet, die nicht diesen Verfall und die absolute Unmöglichkeit, daran etwas zu ändern, feststellen will, sondern ein Heilmittel zu bringen beabsichtigt. Die göttliche Weisheit in Ihm bringt dem Menschen keine Erleichterung, die ihm auch die Weisheit Salomos nicht hatte verschaffen können, sondern vollständige Heilung und Befreiung von diesem Elend. Die Weisheit Gottes in Christo, dem vollkommenen Menschen, war nicht nur aus göttlicher Quelle, sondern sie war die Quelle selbst,
die Quelle des Lebens zur Besiegung des Todes, die Quelle des Lichts zur Zerstreuung der Finsternis und die Quelle der Reinheit, um die Sünde hinwegzunehmen und den Menschen mit Gott zu versöhnen. Sie war das Licht, das das Böse aufdeckt, und zugleich die Liebe, die es heilt. Von Ewigkeit her, vor aller Schöpfung, vor dem Dasein des Bösen und dem Fall des Menschen hatte diese Weisheit ihre Wonne bei den Menschenkindern (Sprüche 8, 31), an denen sie ihr Wohlgefallen finden wollte. Sie war in vollkommener Übereinstimmung mit Dem, der sie gezeugt hatte. „Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun", spricht sie beim Eintritt in diese Welt. Und diese Weisheit war Liebe. Welcher Empfang wird ihr zuteil? Der Prediger, so weise er auch war, hatte persönlich weder bösen Willen noch Haß gefunden, sondern zweifellos nur Eitelkeit, Kummer und ein Haschen nach Wind festgestellt, aber seine eigenen Erfahrungen unterwarfen ihn selbst der Eitelkeit aller Dinge. So war es jedoch nicht mit der in dem Menschen Jesus Christus geoffenbarten Weisheit. Die ganze Welt erhob sich gegen Ihn, überhäufte Ihn mit Schimpf und Schande und nagelte Ihn an ein Kreuz, weil der Mensch die Wahrheit nicht ertragen konnte. Er wollte die Gnade nicht, weil er die Knechtschaft Satans der Versöhnung mit Gott vorzog. Aber die Tat selbst, durch die der Mensch Christum verwarf, wurde das Heilmittel für den Sünder. „O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unausforschlich sind seine Gerichte und unausspürbar seine Wege!" Ihm sei ewiger Ruhm!
Der Prediger zeigt uns einen dritten Zustand. Wir sehen dort einen Menschen, Salomo, nicht mehr unschuldig wie Adam vor seinem Fall, sondern mit der Erkenntnis des Guten und Bösen. Dieser Mensch steht,
wie Adam, in Verbindung mit Gott, und wie dieser besitzt auch er den „Anfang der Aussprüche Gottes" (Hebräer 5, 12), den „Glauben an Gott" und die Kenntnis des „ewigen Gerichts" (Hebräer 6, 1 —2). Aber er wird uns hier im Prediger ohne den Besitz jeder Offenbarung vorgestellt, die ihn in Verbindung mit Jehova, dem Gott des Bundes, bringt. In diesem Zustand ist notwendigerweise die Erkenntnis Gottes von der Furcht Gottes und der Gewißheit begleitet, daß Er ein Richter aller Menschen sein muß. Solcher Art ist das moralische Gemälde des Predigers. In der Tat ähnelt sein Zustand, abgesehen von der Erkenntnis des Guten und Bösen, demjenigen Adams vor dem Fall.
Nun stelle diesen Menschen in eine durch die Sünde beschmutzte und verdorbene Schöpfung, gib ihm die unbeschränkte Möglichkeit, das Leben und alle schönen, angenehmen Dinge dieser Welt zu genießen. Schenke ihm schließlich die Fähigkeit, alle Dinge unter der Sonne zu verstehen, und eine Weisheit aus göttlicher Quelle, die Adam nicht besaß, die dieses schwache Wesen jedoch nicht vor den demütigendesten persönlichen Erfahrungen zu bewahren vermag. Stelle ihm die Aufgabe, durch die Weisheit ein Mittel zum Leben zu finden, und inmitten all dieser Verderbnis glücklich zu sein und sich zu freuen. Laß ihn alle irdischen Genüsse kosten und alle Dinge hienieden erforschen: Erkenntnis, Macht, Reichtum, die Werke der Schöpfung, die Erfüllung aller seiner Wünsche. Gib ihm auch alles, was man durch die Arbeit erwerben kann, ja, laß ihn selbst die Torheit kosten — ohne jedoch die Weisheit abzulegen —, um auch zu erfahren, was in ihr ist und ob sie seiner Seele irgendwelche Freude gewähren kann. Was wird aus diesem in alle diese Dinge hineinversetzten Menschen werden? Unermeßliche Lehre! Das Ergebnis ist einerseits das vollständige Unglück, die Entzauberung aller und der Ekel gegen alle Dinge, selbst gegen die Erkenntnis, denn sie hinterläßt, auf alle irdischen Dinge angewandt, in seinem Munde einen bitteren Geschmack, von dem er sich nicht befreien kann! Anderseits vermittelt sie ihm die Gewißheit, daß es ohne eine Offenbarung für den Menschen keine andere Hilfe gibt als die Furcht Gottes, eines Gottes aber, vor dessen Gericht er am Ende erscheinen muß!
Hierüber geht das Buch nicht hinaus, obgleich das in ihm enthaltene Ergebnis von ungeheurer Wichtigkeit ist (Kapitel 12, 13). Ihm fehlt aber, zu diesem Schluß gekommen, eine Offenbarung, die die Seele in Gott, dem Richter, einen Gott-Heiland finden und ein Glück erwerben läßt, das weder die größte Weisheit noch die Erkenntnis Gottes als Schöpfer und Richter ihr zu geben vermögen. Aber der erste Schritt ist wenigstens getan, denn Salomo selbst sagt uns, daß die Furcht Jehovas zum Leben sei (Sprüche 19, 23).
Was wir soeben betrachtet haben, erklärt, warum wir hier den Namen „Jehova", der sich als der Bundesgott Israels, und zwar nicht nur im Gesetz in Gerechtigkeit, sondern auch in Güte und Barmherzigkeit geoffenbart hat — bevor Er sich im Evangelium als der Gott der Liebe und Gnade kundtat —, nicht finden. Salomo erkannte Ihn als solchen in den Sprüchen, denn wenn dort von der Furcht die Rede ist, ist es die Furcht „Jehovas". Hier aber, im Prediger, ignoriert er sozusagen die Erkenntnis des Bundes-Gottes, um untersuchen zu können, was die Welt in sich selbst für den weisesten, mächtigsten und glücklichsten, jedoch jeglicher Offenbarung beraubten Menschen ist.
Ein anderer, bedeutsamer Zug unterscheidet den Prediger noch von dem ersten Adam vor seinem Fall.
Adam hatte, solange er ohne die Erkenntnis des Guten und Bösen war, nichts zu leiden. Sein Leben — und wie lange währte dieses! — eilte dahin in der Frische der Unschuld und in dem Glück, alles, was ihm von den sichtbaren Dingen begehrenswert erschien, mit Ausnahme eines einzigen Dinges, zu besitzen. Hier im Prediger gewährt die Weisheit Salomo inmitten der Umstände, die dem Fall des Menschen folgten, keinerlei Befriedigung, obwohl er die Möglichkeit besitzt, alles, was die Erde dem Menschen bietet, zu genießen. Alles zernagt den Geist, alles ist verdorben, und eine Made ist selbst im Herzen der schönsten Frucht, Der Prediger muß es am Ende eines langen Lebens bestätigen. In dieser Beziehung heißt erkennen leiden (Kapitel 1, 18), was wir das ganze Buch hindurch finden werden. Schließlich läßt die Weisheit diesen Menschen in sein eigenes Herz blicken, wo hinein Gott die Welt gelegt hat (siehe die Anmerkung zu Kapitel 3, 11), und er entdeckt auch dort nur Torheit und Eitelkeit.
Der Prediger, der Gott kennt und fürchtet, ermahnt die Menschen, Ihn auch zu fürchten, und benutzt diese Weisheit zum Erwerb des eigenen Glücks in dieser Welt, aber er begegnet statt Glück nur Kummer und Schmerz. Man sollte meinen, daß seine Weisheit ihm einen Ersatz biete, aber er findet keinen. Nicht nur kann sie sich nicht über das erheben, in dessen Mitte sie sich übt, sondern sie ist auch auf die Gegenwart beschränkt und viel von der Vergangenheit zu vergessen verurteilt. Was die Zukunft anbelangt, so steht sie vor einer verschlossenen Tür, die ihr allein eine Offenbarung zu öffnen vermag; das Jenseits bleibt ohne eine solche für die Weisheit ein Geheimnis. Diese verschlossene Tür gibt den Erfahrungen des Predigers zuweilen einen Anflug von Rationalismus.
Wir besitzen drei Bücher von Salomo, die Sprüche, den Prediger und das Lied der Lieder.
In den Sprüchen nimmt die Weisheit, in der wir bisweilen Christum, die ewige Weisheit in Person, erkennen, den Jüngling am Anfang seines Lebenspfades in die Schule. Sie ist sein Lehrer, um ihn im Lichte Jehovas, der sich ihm geoffenbart hat, solche Wege zu führen, auf denen er Ihn ehren kann, indem er sich abwendet von den „Wegen zum Scheol, die hinabführen zu den Kammern des Todes" (Sprüche 7, 27). So wird der Jüngling unter der Leitung der Weisheit seinen Weg in Reinheit gehen, wenn er auf das Wort Gottes, auf die direkten Offenbarungen Gottes, achthat.
Im Prediger finden wir, wie wir sehen werden, nichts dem Ähnliches. Die Weisheit der Sprüche führt den Menschen zum Licht, die des Predigers in die menschliche Finsternis, mitten in das hinein, was „unter der Sonne" geschieht.
überdies besteht zwischen diesen beiden Büchern noch ein anderer Unterschied, der wert ist hervorgehoben zu werden, wenn man den Prediger verstehen will. Die Sprüche enden mit einem Lob auf die tugendhafte, tüchtige und weise Frau. Sie wird gepriesen — das ist fast das letzte Wort dieses Buches —, weil sie Jehova fürchtet und weder Anmut noch Schönheit sucht, die nur Eitelkeit sind (Sprüche 31, 30). Die Furcht Jehovas, die wie ein goldener Faden das ganze Buch durchzieht*), charakterisiert die tugendhafte Frau. Der Prediger dagegen schließt mit der Furcht Gottes (Kapitel 12, 13), aber erst nach den bitteren Erfahrungen in bezug auf alles, was das Glück und die Freude verfolgt. Hier
*) Sprüche 1. 7; 2, 5; 8, 13; 10, 27; 14, 26—27; 15, 16. 33; 16, 6; 19, 23; 22, 4; 23, 17; 31, 30.
ist es kein goldener, sondern ein schwarzer Faden, der sich durch das ganze Buch hindurchzieht, und das ist die Eitelkeit.
Das Lied der Lieder ist von den beiden vorhergehenden Büchern ganz verschieden. Von Anfang bis zu Ende ist es der Wechselgesang der Liebe. Es redet von den Beziehungen zwischen Christo und Israel, die wiederhergestellt sind auf Grund eines gegenseitigen Wunsches, nachdem von seiten Israels alles gefehlt und dieses Volk „seinen Weinberg nicht gehütet" hatte. Die Braut weiß, daß sie ihres Geliebten ist und Er ihr gehört. Hier besteht die Weisheit in der Erkenntnis der Liebe.
Das eben Gesagte wird in der Betrachtung, die wir nun beginnen wollen, seine Bestätigung finden.
Kapitel 1
Wie wir zu Beginn sagten, nimmt Salomo in diesem Buche den Charakter eines Predigers an. Er will seine Zuhörer aus den Erfahrungen, die er durch die ihm von Gott gegebene Weisheit machte, Nutzen ziehen lassen. Er begnügt sich nicht damit, seine Weisheit auf die Regierung des Volkes zu beschränken, wozu er sie ja von Gott erbeten hatte (2. Chronika 1,9— 12), sondern „Gott gab Salomo Weisheit und sehr große Einsicht und Weite des Herzens wie der Sand, der am Ufer des Meeres ist. Und die Weisheit Salomos war größer als die Weisheit aller Söhne des Ostens und als alle Weisheit Ägyptens. Und er war weiser als alle Menschen, als Ethan, der Esrachiter, und Heman und Kalkol und Darda, die Söhne Machols. Und sein Name war unter allen Nationen ringsum. Und er redete dreitausend Sprüche, und seiner Lieder waren tausend und fünf. Und er redete über die Bäume, von der Zeder, die auf dem Libanon ist, bis zum Ysop, der an der Mauer herauswächst; und er redete über das Vieh und über die Vögel und über das Gewürm und über die Fische. Und man kam aus allen Völkern, um die Weisheit Salomos zu hören, von allen Königen der Erde her, die von seiner Weisheit gehört hatten" (1. Könige 4, 29—34). Das hatte aus ihm den Prediger gemacht. Außerdem standen ihm alle Dinge zur Verfügung, die man sich durch Reichtum, Macht und Weisheit erwerben und aneignen konnte. Er hatte alle Genüsse gekostet, alle Werke Gottes untersucht und die Gesetze erforscht, durch die das Leben der Menschen und die Ordnung im Weltall geregelt ist. Er hatte also gar keinen Grund, sich über die Welt zu beklagen (2. Chronika 9, 22—24).
Gleich zu Beginn gibt der Prediger, wie es bei solchen üblich ist, den Gegenstand an, den er behandeln will:
„Eitelkeit der Eitelkeiten! spricht der Prediger; Eitelkeit der Eitelkeiten! alles ist Eitelkeit." Im Verlauf des Buches behandelt er diesen Gegenstand dann im einzelnen, um zu dem Schluß, der Summe aller seiner gemachten Erfahrungen, zu kommen: „Eitelkeit der Eitelkeiten! spricht der Prediger; alles ist Eitelkeit" (Kapitel 12, 8). Eitelkeit! Ein Hauch, ein Schatten, der vergeht, ein Dasein ohne ein Morgen, das Leben eines geflügelten Insektes, das kaum einen Tag währt!
Vers 3
„Welchen Gewinn hat der Mensch bei all seiner Mühe, womit er sich abmüht unter der Sonne?" Das ist die Frage, die im Verlauf des Buches von allen Seiten behandelt wird, und die sich dem mit den Dingen dieses Lebens oftmals in geradezu verzehrender Weise beschäftigten Menschen aufdrängt.
Verse 4—11
Die Antwort auf diese Frage lautet: „Ein Geschlecht geht, und ein Geschlecht kommt; aber die Erde besteht ewiglich." Der Mensch, das einzige verständige Wesen, hat keinen Bestand, während die Erde von Dauer und der Lauf der Natur auf Grund der unwandelbaren und sich unaufhörlich erneuernden festen Gesetze unveränderlich ist. Der Geist ermüdet, ständig diesem unausgesetzten Vorgang zu folgen, zu sehen, zu hören und zu erkennen; er kommt immer wieder auf den einen
Punkt zurück: „Es ist nichts Neues unter der Sonne", und selbst die Erinnerung an die vergangenen Dinge verwischt sich unabänderlich.
Verse 12—15
Der Prediger hat sich bemüht, diese Dinge zu ergründen und zu verstehen. Zwei Mittel standen ihm zur Verfügung, alles Geschehen unter dem Himmel zu erforschen: eine königliche Macht, die vor ihm ohnegleichen war, und eine alles überragende Weisheit göttlichen Ursprungs. Alle Ereignisse unter der Sonne sind an seinen Augen vorübergezogen, und sein Verstand hat sich Rechenschaft darüber gegeben mit dem Ergebnis, daß alles Eitelkeit ist und ein Haschen, das niemals erlangt, was es zu ergreifen sucht. Finde ein Mittel, den Wind zu greifen! „Das Krumme kann nicht gerade werden, und das Fehlende kann nicht gezählt werden." Das Hindernis einer fruchtbaren Erkenntnis ist das Vorhandensein des Bösen, das alle Dinge entstellt hat. Die Sünde hat die Glieder der Kette aller Dinge zerstreut, überall sind Lücken ohne jede Möglichkeit, sie zu schließen.
So wird schon von vornherein die Tatsache, daß die Welt trotz der Regelmäßigkeit ihrer Gesetze ein Trümmerhaufen ist, das Hindernis jeder Erkenntnis und jeden wahren Genusses.
Verse 16—18
Da nun einerseits die in der Schöpfung festgelegte Ordnung und anderseits die durch die Sünde verursachte Unordnung vorhanden ist, bemühte sich der Prediger, sowohl das, was mit der Weisheit in Übereinstimmung ist, als auch den Unsinn und die Torheit zu erforschen, die diese Ordnung zerstört haben, jedoch
mußte er erkennen, daß auch das „ein Haschen nach Wind" ist. Auch das Glück, das er durch diese Erkenntnis zu erlangen hoffte, fand er in Verdruß und Kummer verwandelt. „Denn bei viel Weisheit ist viel Verdruß; und wer Erkenntnis mehrt, mehrt Kummer." Wie könnte der Weise sich auch freuen, wenn er, trotz des von der wunderbaren Schöpfung Gottes noch Bestehenden, alle materiellen und moralischen Dinge von der Sünde verdorben sieht? Inmitten des Schiffsbruchs, den die Sünde verschuldet hat, existiert der Mensch nur noch als ein trauriges Strandgut seiner einstigen Segnungen.
So ist in der Natur alles, trotz der Regelmäßigkeit ihrer Gesetze, in fortwährender Bewegung. Es gibt für den Menschen keine Ruhe, und, um das Bild seines Zustandes zu vervollständigen, die Eitelkeit aller Dinge und die Vergeßlichkeit in bezug auf alles Vergangene charakterisieren ihn. Er ist überdies unfähig, es zu ändern, denn er kann das Krumme nicht gerade machen.
Kapitel 2
Bevor wir die Betrachtung fortsetzen, sei daran erinnert, daß das Jenseits und das Unsichtbare dem Prediger ganz fremd sind und hier als ihm unbekannt dargestellt werden. Sie können nur durch eine göttliche Offenbarung erkannt werden, und der Zweck des Geistes Gottes in diesem Buche ist es gerade, uns das, „was unter der Sonne" ist, außerhalb einer solchen Offenbarung betrachten zu lassen. Abgesehen also von der Erkenntnis Gottes, des Höchsten, die jeder Mensch besitzt, der sich nicht der Abgötterei hingegeben hat, kann der Weise hier nur die sichtbaren Dinge betrachten.
Verse 1 -3.
Um Erkenntnis zu erwerben, wovon der Prediger im ersten Kapitel gesprochen hat, gab er sich der Freude und Behaglichkeit des Lebens hin. Aber das Leben erwies sich für den Weisen als unsinnig, und zur Freude sagte er, „was sie denn schaffe!" Sie war ohne Zweck und Ziel. Vielleicht müßte er das Gute in der Torheit suchen? Wird nicht in den Sprüchen gesagt: „Gebet starkes Getränk dem Umkommenden, und Wein denen, die betrübter Seele sind: er trinke, und vergesse seine Armut und gedenke seiner Mühsal nicht mehr" (Sprüche 31, 6—7)? Er versuchte auch das zu tun, soweit seine ihm von Gott gegebene Weisheit unbefleckt blieb, aber auch das erwies sich als Eitelkeit, Nichtigkeit, ohne Dauer und Nutzen für die Menschen.
Verse 4—11.
Dann untersucht der Prediger alles, was königliche Macht und Glück ihm geben konnten. Er hatte große Dinge unternommen. Was seine Augen begehrten, Besitzungen, Paläste und Gärten, Verschönerungen der Natur, Pflanzungen, große Herden, Ackerbau und seine Erzeugnisse, ein Heer von Dienern und Mägden, Silber und Gold in Überfluß, alle Reichtümer der Provinzen, die in seine Schatzkästen flössen, Musik und Gesang, die die Seele erheben, Befriedigung der Sinne in der irdischen Liebe, Vergrößerung seiner Macht, kurz, alles, was Salomo wünschen konnte, hatte seine königliche Macht ihm verschafft. „Auch meine Weisheit verblieb mir", sagt er, aber er muß hinzufügen: „Und ich wandte mich hin zu allen meinen Werken, die meine Hände gemacht, und zu der Mühe, womit ich wirkend mich abgemüht hatte: und siehe, das alles war Eitelkeit und
ein Haschen nach Wind; und es gibt keinen Gewinn unter der Sonne."
Verse 12—19.
Die Weisheit hat zweifellos, wer wollte das bestrei-ten, einen Vorzug vor der Torheit. Der Weise ist im Licht und sieht, während der Tor sich in der Finsternis befindet und darin wandelt. Trotzdem ist beider Los gleich; wo ist der Gewinn? Der Tod trifft den Weisen wie den Toren, und der zerstörende Wurm ist in der Wurzel jeden Genusses (Kap. 2, 16; 3, 19. 20; 5, 15; 6, 6; 9, 3). Bemerkt sei hier nochmals, daß im Prediger, dem Charakter dieses Buches entsprechend, der Tod nicht in das Jenseits führt, sondern die Gegenwart in dem Augenblick abschneidet, wo der Mensch die Früchte seiner Arbeit zu ernten im Begriff steht. Welches ist dann der Gewinn? Daher ruft der Weise aus: „Da haßte ich das Leben; denn das Tun, welches unter der Sonne geschieht, mißfiel mir; denn alles ist Eitelkeit und ein Haschen nach Wind." Er haßte sogar „alle seine Mühe", womit er sich „abmühte unter der Sonne". Wenn wenigstens sein Erbe einen guten Gebrauch von seiner Hinterlassenschaft machte! Aber nein, die Arbeit des Weisen wird das Erbe des Toren!
Verse 20—23.
Diese Betrachtungen führen den Prediger dahin, an allem zu verzweifeln. Selbst die angestrengteste und einträglichste Arbeit des Menschen bringt ihm zeitlebens nur Kummer, Verdruß und ruhelose Nächte für sein Herz. So wiederholt sich von Kapitel zu Kapitel diese trostlose Klage, die immer erneute Feststellung der Eitelkeit aller Dinge, bis endlich der Weise die Lösung aller Wege findet, die Gott ihn gehen läßt.
Verse 24—26.
Es gibt indessen noch einen Grundsatz in den Regierungswegen Gottes: Er gibt Weisheit, Erkenntnis und Freude dem, der Ihm angenehm ist, und fügt noch, wie bei Salomo, die materiellen Genüsse dieser Welt, wie essen, trinken und Gewinn von seiner Arbeit, hinzu, während der Sünder gezwungen ist, zu sammeln und aufzuhäufen für den, der Gott angenehm ist. Aber hat diese Ordnung in den Regierungswegen Gottes dauerhafte Folgen für den Menschen? Auch das ist Eitelkeit und ein Haschen nach Wind.
Kapitel 3
Nach dem in den beiden ersten Kapiteln dieses Buches behandelten Gegenstand scheint der Prediger sich nunmehr einem neuen zuzuwenden.
Verse 1 —8.
Er beginnt darzulegen, daß die menschliche Tätigkeit aus einer Folge von Kontrasten, von entgegengesetzten Dingen, besteht, die, von einem verborgenen Willen geleitet, stets zu ihrer Zeit kommen. Überall zeigen sich die Folgen der Sünde: Tod, Zerstörung, Mord, Trümmer, Tränen, Klagen, Steinigungen, Haß, Krieg, aber anderseits auch dem entgegengesetzte Dinge, wie ausgebesserte Schäden, gestillte Schmerzen, geheilte Wunden. Alle diese Dinge folgen einander in zeitlich geregelten Abständen, um das Gleichgewicht in dieser armen Welt aufrechtzuerhalten. Die Welt ist nicht, wie man oft lehrt, ein Gemisch von Bösem und Gutem, denn sie liegt „in dem Bösen" und ist der Schauplatz des Bösen. Das hindert Gott jedoch nicht an dem Gebrauch Seines Rechts, die Ordnung der Dinge zu ändern und Sich des Menschen zu bedienen, um das von ihm selbst Zerstörte wieder aufzubauen oder auch zu zerstören, was wieder aufgebaut war. So kommt jedes Ding zu seiner Zeit.
Es ist auch wichtig festzustellen, daß Gott sich, auch wenn menschlicherseits alles Eitelkeit ist (Kap. 2, 26), doch zu Seiner Zeit des Menschen selbst bedienen kann, um Balsam auf die Wunden zu legen oder Gutes mittels des Bösen hervorzubringen.
Kurz, wir gewinnen hier einen anderen Anblick von der Welt als in den ersten Versen des ersten Kapitels. Dort wird von der regelmäßigen Wiederkehr der Naturerscheinungen gesprochen, die einander in gleichmäßigem Kreislauf folgen, der niemals einer neuen Erscheinung Platz macht. Hier läßt uns Gott einem regelmäßigen Werk der Zerstörung und des Wiederaufbaus beiwohnen in einer Welt, in der von Anfang an die Sünde alles verdorben hat, die göttliche Vorsehung aber den Menschen als Werkzeug benutzt, um das gegenwärtige Gleichgewicht zu erhalten, solange die Stunde der endgültigen Zerstörung noch nicht geschlagen hat.
Verse 9—11.
Jetzt wird die Frage aufgeworfen: Warum hat die redlichste Tätigkeit des Menschen keinen Erfolg? Die Antwort ist folgende: Gott hat am Anfang alles sehr schön gemacht und dann den Menschen in den Mittelpunkt Seiner Schöpfung gestellt mit der Fähigkeit, sie zu verstehen und über sie zu herrschen. „Auch hat er die Welt in ihr Herz gelegt." Das Herz des Menschen wurde so ein Mikrokosmos inmitten dieser Unendlichkeiten, eine kleine Welt, in der sich die ganze Schöpfung widerspiegelt. Was ist aus dieser anfänglichen Schönheit, aus der von Gott gegebenen Ordnung geworden? Die Sünde ist eingezogen und hat die Schöpfung verdorben. Die Welt bleibt noch in dem Herzen des Menschen, aber er kann die göttliche Ordnung in der durch die Sünde verursachten Unordnung nicht mehr erfassen: „ohne daß der Mensch das Werk, welches Gott gewirkt hat, von Anfang bis zu Ende zu erfassen vermag." *)
Verse 12—17.
Angesichts dieser Unfähigkeit, einer Folge der Sünde, kommt der Prediger auf das im Anfang Gesagte zurück:
1. „Es gibt nichts Besseres unter ihnen, als sich zu freuen und sich in seinem Leben gütlich zu tun; und auch, daß er esse und trinke und Gutes sehe bei all seiner Mühe, ist für jeden Menschen eine Gabe Gottes." Zum gleichen Schluß ist er auch in Kapitel 2, 24 gekommen. Dieser Genuß war dem Menschen bei der Schöpfung verordnet worden; Gott gab ihm alle Dinge, um sie zu genießen.
2. Alles was Gott tut, ist unwandelbar und bleibend; das hatte der Prediger bereits anfangs erkannt (Kap. 1. 4—7). „Es ist ihm nichts hinzuzufügen, und nichts davon wegzunehmen." Diese vollkommene und prächtige Ordnung bezweckte, die Furcht Gottes, des Schöpfers, in das Herz des Menschen zu legen. „Gott hat es also gemacht, damit man sich vor ihm fürchte."
Aber hier (V. 16—17) ist alles von der Sünde verdorben. Statt des Guten wird die Bosheit unter der Sonne gefunden. Die Furcht Gottes ist nicht mehr im Herzen des Menschen, und die Gerechtigkeit regiert nicht mehr. Was wird daher geschehen? Gott wird den Gerechten
*) „ Die Welt in ihr Herz gelegt" mit „die Ewigkeit in ihr Herz gelegt" zu übersetzen, scheint uns, obgleich diese Übersetzung Anhänger hat, im Widerspruch zu dem Charakter des Predigers zu stehen, der sich ganz abseits vom Geistlichen hält und nur das Bestehen der gegenwärtigen Dinge mit seinen traurigen Schlußfolgerungen vor Augen hat. Niemals wird die Ewigkeit im Herzen des Menschen ihn zu der Erkenntnis bringen, daß alles Eitelkeit ist.
und den Ungerechten richten. Anders kann der Weise ohne bestimmte Offenbarung, vor das Welträtsel gestellt, nicht urteilen. Er kennt Gott, und daher fürchtet er Ihn, und weil er Ihn fürchtet, weiß er, daß Gott das Böse nicht ertragen kann und es eines Tages richten muß, wo Er es findet, sei es bei dem Gerechten oder dem Ungerechten. Um dies zu wissen, bedarf er keiner Offenbarung. Sagt ihm das nicht das natürliche Gewissen des gefallenen Menschen? Adam verbirgt sich vor seinem Richter, und ein armer götzendienerischer Heide sucht sein Gewissen zu beruhigen.
Verse 18—22.
Jetzt kommt eine verwirrende Feststellung: Woher kommt es, daß der Mensch denselben Weg geht wie das Tier? Diese Tatsache schließt jedoch nicht das Gericht Gottes aus. War der Mensch ursprünglich dem Tode unterworfen, und hat er einen Vorzug vor dem Tier? Nein, er kehrt wie jenes zum Staube zurück. Das ist die Folge der Sünde, wie überhaupt alles, was in diesem Kapitel aufgeführt wird (siehe 1. Mose 3, 19). Die Weisheit ohne eine Offenbarung geht über diesen Gedanken nicht hinaus. Sie würde nicht zu sagen wissen, ob der Geist des Menschen nach oben und der des Tieres nach unten geht. Sie ist unfähig, diese einfache Frage, die ihr aber Schwierigkeiten macht, zu beantworten. Der Mensch kann selbst die nächste Zukunft nicht ergründen. Gott hat es so angeordnet, um ihn zu prüfen und seinen Finger die Ursache von soviel Elend und Unwissenheit berühren zu lassen. Es bleibt also dem Menschen nichts anderes übrig, als daß er „sich freue an seinen Werken; denn das ist sein Teil" angesichts einer Zukunft, die ihm, abgesehen von der Gewißheit des Gerichts, vollständig verborgen ist.
Kapitel 4
Verse 1—3.
Die Frage des Bösen in. der Welt und im Herzen des Menschen wird auch noch in den ersten Versen des 4. Kapitels behandelt.
Der Prediger „wendet sich", um alle Greueltaten, die unter der Sonne begangen werden, zu betrachten, wie er es bereits in Kapitel 2, 12 getan hatte, um die Weisheit und die Torheit zu erkennen. Haben wir nicht auch in unseren Tagen solchen Szenen beigewohnt, wie sie hier beschrieben werden? Haben wir nicht alle diese Dinge gesehen: Bedrückungen, Tränen, Verzweiflung der Bedrückten, an ihren Opfern ausgeübte rohe Gewalt, und kein Tröster ist da? Glücklich die Toten, noch glücklicher die, die noch nicht gewesen sind! Diese haben wenigstens noch nicht die Wirksamkeit des sich bis zu dem großen Tag anhäufenden Bösen gesehen. Der Christ wird selbstverständlich nicht so sprechen, nicht etwa, weil er nicht mit heiligem Abscheu gegen das Böse erfüllt wäre. Aber er geht durch alle diese Dinge hindurch mit Geduld, indem er vom Herrn auf dieser Erde keine Verwirklichung der Dinge erwartet, die seine Hoffnung bilden. Er sieht in eine himmlische Welt, die dem Prediger ganz verschlossen ist, denn seine Aufgabe war es, durch die Weisheit die gegenwärtigen Dinge in einer von der Sünde beschmutzten Welt zu untersuchen, um festzustellen, ob man daraus irgendwelchen Nutzen ziehen könne.
Vers 4.
Der Weise prüft dann nicht nur die Arbeit des Menschen, sondern auch die Geschicklichkeit, die er dabei entfaltet, und er findet in diesen Anstrengungen nur
„Eifersucht des einen gegen den anderen", die Sucht, einander einzuholen und zu überflügeln, damit der andere nicht die gleichen Vorteile genieße. Auch das ist nur die Frucht der Sünde, Eitelkeit und ein Haschen nach Wind.
Verse 5—12.
Dieser Gedanke führt den Prediger zur Prüfung der verschiedenen Arten menschlicher Tätigkeit in dieser Welt. Zweifellos gibt es darin nützliche Dinge, Grundsätze, die entsprechend den Regierungswegen Gottes glückliche Folgen haben. Was wird der Weise hier entdecken? Zuerst begegnet er dem Faulen (Vers 5), dessen beide Hände leer sind, und der sich selbst zerstört (vgl. Jes. 49, 26). Dann sieht er in Vers 6 die Möglichkeit, eine mittelmäßige Frucht seiner Tätigkeit, aber auch noch die Ruhe zu genießen, und schließlich den, der beide Hände voller Arbeit hat, ohne aber das Erstrebte jemals erlangen zu können.
Verse 7—8.
Jetzt „wendet" sich der Prediger wiederum und entdeckt die Eitelkeit des Menschen, der unaufhörlich arbeitet, reich wird und „allein bleibt". Sein Leben ist zwecklos, er besitzt keinerlei Glück. Welch undankbare und vergebliche Beschäftigung!
Verse 9—12.
Im Gegensatz zu dieser Einsamkeit und dem einzelnen Arbeiter prüft der Prediger, der jede nützliche und gute Einrichtung in der Tätigkeit des Menschen zu würdigen versteht, die Arbeitsgemeinschaft auf ihren Wert. „Zwei sind besser daran als einer, weil sie eine gute Belohnung für ihre Mühe haben." Sie richten einander auf, erwärmen sich gegenseitig in der Stunde der Ruhe und reichen sich im Kampf und in der Verteidigung die starken Hände. Aber weit mehr noch, der Mensch hat eine dreifache Kraft nötig, denn drei ist die göttliche Zahl. „Eine dreifache Schnur zerreißt nicht so bald." Diese Zahl haben wir Gläubige sowohl für den Kampf als auch für den Dienst: „Angetan mit dem Brustharnisch des Glaubens und der Liebe und als Helm mit der Hoffnung der Seligkeit" (1. Thess. 5, 8).
Verse 13—16.
Handelt es sich um die Regierung der Menschen, so ist Jugend und Armut in Verbindung mit Weisheit der Macht und dem der Einsicht beraubten Alter vorzuziehen, das sich nicht mehr belehren läßt. Ein solcher Mensch ähnelt dem Sklaven und Armen, der unrechtmäßigerweise mit königlicher Würde bekleidet ist. Wie viele Beispiele bietet uns für diese Wahrheit die Geschichte der Königreiche! Selbst der Erfolg des Jünglings, der nach dem alten König kommt, dauert nicht an, denn die Gunst des Volkes ist unbeständig.
Der Schluß des Kapitels, schon von Vers 5 an, zeigt somit das bei der menschlichen Tätigkeit in moralischer Hinsicht Nützliche auf, aber trotzdem schließt der Prediger, daß auch das Eitelkeit und ein Haschen nach Wind ist.
Kapitel 5
Der jetzt beginnende sprichwörtliche Teil des Predigers fängt, genau genommen, im 5. Vers des 4. Kapitels an und findet seine volle Entfaltung im 10. und 11. Kapitel. Er scheint auf den ersten Blick einen Mangel an Zusammenhang in dem Aufbau dieses Buches zu verraten, aber, um sich von dem Gegenteil zu überzeugen, genügt es zu bemerken, daß auch dieser Teil, wie anfangs die zusammenhängende Rede, von dem Wort „Eitelkeit" beherrscht wird. Alle Sprüche des Predigers laufen in der Tat auf dieses eine Wort hinaus.
Verse 1—7.
Diese Verse setzen den Gedankengang der Verse 5 bis 16 des vorigen Kapitels fort, das heißt sie reden von dem, was unter der Sonne in Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes sein kann, und zeigen uns, was inmitten der Eitelkeit der Erde zur Furcht Gottes nötig ist (Vers 7). Die Furcht Gottes gehört, wie bereits gesagt, zu den Absichten des Predigers. Sie ist sogar die einzige Grundlage für das Verhalten des Weisen in einer Welt, in der alles Eitelkeit und ein Haschen nach Wind ist. Die Notwendigkeit dieser Furcht wurde bereits früher betont (Kap. 3, 14), und die letzten Worte des Buches werden uns zeigen, daß sie „der ganze Mensch" ist. In der Tat sollte dies auch das einzige Kennzeichen des durch den Glauben mit Gott in Verbindung stehenden Menschen sein, der aber ohne eine bestimmte Offenbarung von Ihm ist.
So finden wir in den ersten Versen, welcher Art das Verhältnis des Menschen zu Gott sein sollte, wenn er sich Ihm in Seinem Hause naht. Was er zuallererst zu tun hat, ist zu hören, was Gott ihm zu sagen hat, während die Toren in ihrer Unwissenheit über den Charakter Gottes nahen, um Ihm dort Opfer zu bringen, die in Seinen Augen wertlos sind.
Dann sehen wir (Verse 2—3), daß die Furcht Gottes uns nur wenig Worte machen lassen sollte vor Dem, der in den Himmeln ist, während der Tor gerade das Gegenteil tut. Endlich (Verse 4 — 7) ist es nötig, ein Gelübde zu erfüllen, das heißt einen freiwillig gefaßten Entschluß, sich Gott zu ergeben und Ihm zu dienen, zur Ausführung zu bringen. Man sündigt, wenn man ein Gelübde tut und es vor dem Boten Gottes, der Zeuge davon war, widerruft, indem man vorgibt, es sei ein unbeabsichtigtes Versehen gewesen. Der Tor handelt so, aber der Gottesfürchtige widerruft sein Wort nicht, das er Gott gegeben hat. Alle Beziehungen zu Gott vereinigen sich also in dem einen Wort „Furcht". Vergessen wir aber auch nicht, daß Eitelkeit selbst in der Behauptung liegen kann, man habe in Träumen direkte Mitteilungen von Gott erhalten. Denn der Traum ist oft, anstatt eine göttliche Offenbarung zu sein, nur eine Folge der Beschäftigungen des Tages (Verse 3 und 7).
Verse 8—9.
Diese beziehen sich auf die drei ersten Verse des 4. Kapitels. Der Weise braucht sich nicht zu wundern, wenn er den Armen bedrückt und das Recht mit Füßen getreten sieht, denn Gott achtet auf alle Ungerechtigkeiten, die in der Welt geschehen. Er ist der höchste Richter (PS. 11,5).
Verse 9—17
betonen von neuem die Eitelkeit des Reichtums und der Geldliebe im Gegensatz zum Ackerbau. Die Vermehrung der Güter vergrößert auch die Zahl der sich davon Nährenden, und der Mensch, der sie besitzt, genießt niemals die Ruhe, die dagegen dem süß ist, der in irgendeiner Art körperlich arbeitet.
Dieser ganze Abschnitt, bereits vom 4. Vers des 4. Kapitels ab, zeigt uns also neben dem Bösen und der Bedrückung in dieser Welt gewisse gute Folgen eines Verhaltens nach den Grundsätzen der Regierungswege Gottes.
Vom 13. Vers ab bis zum Ende des 6. Kapitels nimmt der Prediger wieder den Gegenstand der „schlimmen übel" auf, die er unter der Sonne gesehen hatte (Kap. 4, 1—3).
Der Reichtum ist denen zum Schaden, die ihn besitzen — wobei nicht zu vergessen ist, daß für den Juden der Reichtum ein Zeichen der Gunst Gottes war —, oder er geht auch verloren, und der Sohn, der ihn erben sollte, hat „gar nichts in seiner Hand". Schließlich verläßt der Reiche selbst durch den Tod seine Güter und geht nackt wieder von der Erde, so, wie er aus dem Leibe seiner Mutter hervorgekommen ist. Er wird geboren, um zu sterben, und zwischen Geburt und Tod liegen nur Finsternis, Kummer, Krankheit und Zernagen des Geistes.
Verse 18—20.
Endlich begegnen wir zum dritten Male (siehe Kap. 2, 24. 25; 3, 12. 13) dem Ergebnis all dieser bitteren und schmerzlichen Erfahrungen: „Siehe, was ich als gut, was ich als schön ersehen habe: daß einer esse und trinke und Gutes sehe bei all seiner Mühe, womit er sich abmüht unter der Sonne, die Zahl seiner Lebenstage, die Gott ihm gegeben hat; denn das ist sein Teil." Für den Menschen gibt es nur diesen kurzen, gegenwärtigen Genuß, denn in seiner Erinnerung bleiben nur Mühe und Arbeit haften, und die Zukunft ist ihm unbekannt. Erst am Ende dieses Buches sehen wir, worauf dieser Genuß hinausläuft.
Kapitel 6
Dieses Kapitel bildet die Fortsetzung des vorhergehenden, und es fährt fort, die „schlimmen übel" zu schildern, die man unter der Sonne sieht.
Verse 1 — 6.
Man sieht manchen mit Gütern überhäuften Menschen, der nichts von seinen Wünschen entbehrt. Aber Gott gibt ihm nicht die Möglichkeit, sie zu genießen; ein Fremder sättigt sich daran. Mancher andere hat eine zahlreiche Nachkommenschaft und erreicht ein hohes Alter, ist aber nicht mit Gütern gesättigt wie jener und stirbt, ohne daß ihm ein Begräbnis zuteil wird; selbst sein Leib findet keine Ruhe. Er könnte zwei Jahrtausende gelebt haben, ohne je das Glück gesehen zu haben. Alle enden durch den Tod. In der Tat, eine Fehlgeburt, die niemals den Tag gesehen hat, ist besser daran, als jene es sind (vgl. Kap. 4, 3).
Verse 7—12.
Der Prediger kommt wiederum zu dem Schluß, daß alle Mühe des Menschen auf einen materiellen Genuß hinausläuft, ohne daß Seine Begierde jedoch befriedigt wird. Der Weise hat vor dem Toren keinen Vorzug; selbst wenn er sein Leben einzurichten versteht, hat er nichts vor den anderen Menschen voraus. Wohin führt das alles? Das Anschauen ist besser als das Begehren. „Auch das ist Eitelkeit und ein Haschen nach Wind." Die Eitelkeit mehrt sich mit den Dingen. Der Mensch geht dahin wie ein Schatten, und wer kann ihm „kundtun, was nach ihm sein wird unter der Sonne"? Denn das unsichtbare Jenseits ist, bemerken wir es nochmals, im Prediger dem Menschen vollständig verschlossen. Absolute Ungewißheit umgibt ihn von allen Seiten alles ist Eitelkeit.
Kapitel 7
Der zunehmend sprichwörtliche Charakter der folgenden Kapitel macht es notwendig, sie mehr im einzelnen zu betrachten.
Dieses 7. Kapitel führt einen neuen Gegenstand ein, den man betiteln könnte: Das Verhalten der Weisheit in einer von der Sünde verdorbenen Welt, also inmitten von Eitelkeit, Kummer und Torheit.
Verse 1 —9.
Es gibt in dieser Welt gewisse Dinge, die besser sind als andere. Trotz Unordnung und Ruin will der Weise sich bemühen, sie zu ergründen, und er wird dabei seinen Gewinn haben. Einen ähnlichen Gedanken fanden wir bereits in Kapitel 4, 9 — 14. Hier stehen die vorzüglicheren Dinge in direktem Gegensatz zu dem, was die Welt schätzt und bevorzugt. Der Weise ist notwendigerweise abgesondert in einer Welt, wo der Tod, der Lohn der Sünde, herrscht. Aber selbst dieser Schauplatz bietet ihm „bessere Dinge"; es sind sieben, eine vollkommene Zahl.
1. „Besser ein guter Name als gutes Salböl." In Sprüche 22, 1 ist ein guter Name unter den Menschen vorzüglicher als großer Reichtum. Hier wird er mit den Augen Gottes betrachtet, und er ist vor Ihm besser als das Salböl, mit dem die Priester gesalbt wurden, um ihren Dienst zu verrichten (2. Mose 30, 23—33). Hiermit beginnt die Tätigkeit des Weisen.
2. „Und der Tag des Todes als der Tag, da einer geboren wird." Dieser Gedanke bildet die Fortsetzung des vorhergehenden. Der Tag des Todes ist, nachdem man ein Gott geweihtes Leben geführt hat, besser als der Tag des Eintritts in diese Welt. Dies hat in dem Weisen zweimal in seinem Leben den Wunsch aufkommen lassen, niemals geboren worden zu sein (Kap. 4, 3; 6, 4—5).
3. „Besser, in das Haus der Trauer zu gehen, als in das Haus des Gelages zu gehen, indem jenes das Ende aller Menschen ist; und der Lebende nimmt es zu Herzen." In dieser Welt, wo der Tod regiert, ist das Haus, in dem die Trauer eingezogen ist, besser als eines, in dem die Freude herrscht. Es geziemt sich für den Weisen, im ersten ein- und auszugehen, weil er sich dort in der Gegenwart der Wirklichkeit, des Endes aller Menschen, befindet als Folge der in dieser Welt herrschenden Sünde. Der Lebende nimmt es zu Herzen, indem er das Ende und das Ziel aller Arbeit des Menschen unter der Sonne sieht. Er nährt nicht Pläne und Hoffnungen, die der Tod zerstören kann.
4. „Besser Bekümmernis als Lachen; denn bei traurigem Angesicht ist es dem Herzen wohl. — Das Herz des Weisen ist im Hause der Trauer, und das Herz der Toren im Hause der Freude." Bei Bekümmernissen anderer zugegen zu sein und Tränen fließen zu sehen, ist für das Herz des Menschen besser, stimmt es zu Mitgefühl und veranlaßt es, Worte des Trostes zu spenden. Dies gilt nicht nur dem, der leiden sieht, sondern auch für den, der selbst leidet. Durch die Traurigkeit des Angesichts wirkt Gott an dem Herzen des Menschen, um ihn bessere Dinge finden zu lassen. So zubereitet, ist das Herz des Weisen im Hause der Trauer, an dem Ort, wo Mitleiden geübt werden kann. Das Herz der Toren kennt nichts von diesen Segnungen; die Freude
eines Augenblicks genügt ihnen. Und was bleibt ihm dann noch? Bildet das nicht gerade den Inhalt des Predigers? Der Trauernde wird von dem Herrn glückselig gepriesen, denn er wird getröstet werden (Matth. 5, 4). Für den Christen kommt ein Segen herab von dem Gott alles Trostes, und dieser Trost ist ewig (2. Thessalonicher 2, 16).
5. „Besser das Schelten der Weisen zu hören, als daß einer den Gesang der Toren hört. Denn wie das Geknister der Dornen unter dem Topfe, so das Lachen des Toren. Auch das ist Eitelkeit." Die Weisen benutzen die gemachten Erfahrungen dazu, ihre Mitmenschen auf den richtigen Weg zu bringen. Sie haben sich das Recht erworben, zu tadeln und zurechtzuweisen. Es ist besser, sie zu hören und aus dem Tadel Gewinn zu ziehen, als den Gesang der Toren, dem Ohr wohlklingende Laute, zu hören, in welchem aber nicht mehr Verstand ist als in jenen, die ihn ertönen lassen. Das Lachen des Toren ist nicht von Dauer, es erlischt schnell wie ein Dornenfeuer unter dem Topfe; es knistert und flackert nur einen Augenblick, und dann ist es wieder totenstill. Auch das ist Eitelkeit.
6. „Denn die Erpressung macht den Weisen toll, und das Bestechungsgeschenk richtet das Herz zu Grunde. Besser das Ende einer Sache als der Anfang." Für den Weisen bestehen zwei Gefahren in dieser Welt. Zunächst ist es die Erpressung, die ihn toll macht und zum Aufruhr reizt, wenn er alle die Ungerechtigkeiten sieht, die unter der Sonne ausgeübt werden (vgl. Kap. 4, 1 bis 3), und dann eine noch größere Gefahr, das Geschenk, durch welches er sich bestechen und zu den ärgsten Taten verleiten läßt. Dies sind übrigens stets die beiden von Satan benutzten Mittel, um die Menschen zugrunde zu richten: die Gewalttätigkeit und die
Korruption oder die List. Deshalb ist auch das Ende besser als der Anfang. Ein Herz, das ohne Zorn und Empörung mit dem Bösen zu tun gehabt hat, Geschenke verweigerte und sich nicht bestechen ließ, geht schließlich aus der Prüfung siegreich hervor. Das ist der Ausgang, den Gott im Auge hatte.*)
7. „Besser der Langmütige als der Hochmütige. Sei nicht vorschnell in deinem Geiste zum Unwillen, denn der Unwille ruht im Busen der Toren." In allen diesen Prüfungen hat der Weise Geduld gelernt und sich nicht gegen das Böse erhoben. Die Geduld ist immer demütig, friedfertig und sanftmütig, sie weiß zu leiden und erlangt so die Verheißungen (Hebr. 6, 15). Die Geduld ist der Charakter Christi. Wer geduldig ist, ist nicht vorschnell und gereizt.
Welch ein wunderbares Bild vom Leben des Weisen in Umständen, die als Folge der Sünde dazu angetan sind, seinen Zorn zu erregen, ihn zu reizen oder zu verführen! Er durchschreitet eine Welt, deren Charakter er wohl kennt, und in der er nur Leiden erwartet, aber auch siegreich ist, weil er Grundsätzen folgt, die allem entgegengesetzt sind, was die Menschen leitet.
Verse 10—12.
Es ist nicht weise zu sagen, daß die vergangene Zeit besser gewesen sei als die gegenwärtige, was alle Menschen zu denken geneigt sind, nicht aber die Weisen. Die Weisheit spricht nicht so, denn sie hat ein klares Urteil über den Zustand der Welt. Es stände auch in Widerspruch zu dem, was der Prediger uns lehrte, als
*) Dies ist wenigstens die Erklärung dieser schwierigen Stelle, die wir dem christlichen Leser unterbreiten.
er das furchtbare Wort „Eitelkeit" über alles aussprach, was seit dem Fall Adams unter der Sonne ist. Wenn auch alles verloren und verdorben ist, so bleibt doch noch etwas, was ebenso gut ist wie ein Erbbesitz: der Besitz der Weisheit Gottes. Sie ist vorteilhaft und gibt Schatten, wie auch im menschlichen Leben Reichtum Schutz gewährt. Sie ist in der Tat der einzige bleibende Reichtum, ja, noch mehr, eine Quelle des Lebens für den, der sie besitzt. Wieviel mehr können wir Christen sagen, „daß die Weisheit ihren Besitzern Leben gibt", die wir Christus, Gottes Weisheit, besitzen (1. Kor. 1. 24)!
Verse 13—14.
„Schaue das Werk Gottes an; denn wer kann gerade machen, was er gekrümmt hat? Am Tage der Wohlfahrt sei guter Dinge; aber am Tage des Unglücks bedenke:
auch diesen wie jenen hat Gott gemacht, damit der Mensch nicht irgend etwas nach sich finde."
Der Weise fährt fort, sich in einer von der Sünde beschmutzten Welt zu bewegen. Er begegnet in ihr sowohl den Werken Gottes als auch den Folgen des Bösen, das nicht gerade gemacht werden kann, nachdem die Dinge von der Sünde „gekrümmt" worden sind (Kap. 1, 15). Aber Gott läßt diese gekrümmten Dinge fortbestehen und macht von ihnen Gebrauch. Er hat das eine wie das andere gemacht, den Tag der Wohlfahrt, den der Mensch zu genießen aufgefordert wird, wie auch den Tag des Unglücks, der den Menschen zum Nachdenken bringt. Auf diese Weise wird der Mensch in Unwissenheit gelassen über das, was nach ihm sein wird. Eine solche Schlußfolgerung steht in völliger Übereinstimmung mit dem Buch des Predigers, das dem Menschen jeden Zugang zu den unsichtbaren Dingen versperrt, damit er die Eitelkeit der ihn umgebenden
Dinge erkennen möchte, deren Harmonie durch den Fall des Menschen vollständig zerstört worden ist.
Vers 15
bestätigt, was wir eben sagten: „Allerlei habe ich gesehen in den Tagen meiner Eitelkeit: da ist ein Gerechter, der bei seiner Gerechtigkeit umkommt, und da ist ein Gesetzloser, der bei seiner Bosheit seine Tage verlängert." Diese Tage der Eitelkeit, die das Leben des Weisen ausfüllten, haben ihn dahin geführt, den Gegensatz zwischen dem, was gekrümmt ist, und dem, was nach Gottes Gedanken sein sollte, zu erkennen. Die Gerechtigkeit des Gerechten bringt ihn zum Tode! Klingt das nicht wie eine prophetische Andeutung dessen, was Jesus selbst begegnen sollte? Andererseits gibt es einen Gesetzlosen, dessen Ungerechtigkeit seine Tage verlängert. Der Blick des Predigers ist immer auf das Geschehen „unter der Sonne" beschränkt. Wie sehr weichen z. B. die Psalmen von diesem Gedanken ab, wenn sie uns beschreiben, was der Gesetzlosen wartet!
Verse 16—18.
Diese Verse verfolgen den eben behandelten Gedanken weiter. Der Prediger hat von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit gesprochen und zeigt jetzt, daß es in beiden Dingen ein Übermaß geben kann, und welches die Folgen davon sind. Das Maß kann überschritten werden, auch wenn es sich um Gerechtigkeit und Weisheit handelt. In diesem Falle ist es nichts anderes als Hochmut, der uns diese Tugenden übertreiben läßt, um uns durch sie zu überheben. Nun, der Hochmut geht dem Falle voraus. „Warum", so fragt der Prediger, „willst du dich verderben?" Aber man kann auch übermäßig böse sein. Auch dieser Gedanke stimmt mit diesem
Buche überein, das uns die Welt so schildert, wie die Sünde sie gemacht hat, und für diese Unordnung keine neuen Grundsätze bringt, weil es keine Offenbarung gibt, die sie einführen könnte. Hier führt also das Übermaß an Ungerechtigkeit über den Menschen den Tod herbei, „ehe seine Zeit da ist". Welches auch immer der traurige Zustand der Welt sein mag, sie bleibt der Schauplatz der Regierung Gottes, der jedes Übermaß beim Menschen verurteilt und ihn die Folgen tragen läßt, besonders dann, wenn er seiner Ungerechtigkeit freien Lauf läßt. Wie treffend zeigt sich dies in dem gegenwärtigen Zustand der Welt, in der die Ungerechtigkeit des Menschen keine Grenzen mehr kennt. Dieser Zustand ist die Folge des völligen Mangels an Gottesfurcht. „Es ist gut, daß du an diesem festhältst und auch von jenem deine Hand nicht abziehst, denn der Gottesfürchtige entgeht dem allen." Hier wird zum dritten Male in diesem Buch die Gottesfurcht erwähnt (siehe Kap. 3, 14; 5, 7) als das einzige Mittel für den Menschen, vor dem Gericht in Sicherheit gebracht zu werden.
Vers 19.
Nachdem der Prediger sich vor dem Übermaß der Weisheit verwahrt hat, verkündet er laut deren Vorzüge: „Die Weisheit macht den Weisen stärker als zehn Machthaber, die in der Stadt sind." Sie ist nicht nur eine Quelle des Lebens für den, der sie besitzt, sondern der Weise findet in ihr auch die Kraft, deren er bedarf. Er ist durch sie gegen die Angriffe des Feindes weit mehr geschützt als eine Stadt durch zehn Mächtige.
Verse 20—24.
Hier lerne ich mich selbst durch die Weisheit kennen. Sie ist göttlichen Ursprungs und läßt mich wissen, wie
Gott selbst über mich urteilt: „Denn unter den Menschen ist kein Gerechter auf Erden, der Gutes tue und nicht sündige." Das gilt sowohl für den Weisen als auch für alle anderen Menschen. Hat der Weise allein Gutes getan? Hat er falsche Berichte angehört? Hat er sich von seinem Knecht fluchen lassen? Und wie viele Male hat er selbst nicht anderen geflucht! Wie oft, wenn er sagte: „Ich will weise werden", ist die Weisheit von ihm geflohen! Wie will er das durch Mangel an Wachsamkeit verursachte Böse wiedergutmachen?
Verse 25—29.
Der Prediger erzählt in diesen Versen seine eigene Geschichte, eine in der Tat bittere Geschichte. Er hatte sich befleißigt, wie er schon am Anfang seines Buches (Kap. 1, 17) sagte, Weisheit zu erkennen, und zu verstehen, daß Gesetzlosigkeit und Narrheit Torheit und Tollheit sind. Versuchung und Verführung traten durch das Weib an ihn heran (1. Könige 11, 4), aber anstatt ihnen zu entschlüpfen, sündigte er, den Gott so begnadigt hatte, und wurde die Beute der Verführerin. Er ist zu der erschütternden Feststellung gekommen, die „bitterer ist als der Tod", daß es nicht „ein Weib unter diesen allen" gibt, das nicht die Begierden gleich Netzen und Fangarmen auf sich zöge, und dessen Hände nicht Fesseln wären, um den Gefangenen festzuhalten, den es ergriffen hat. Und selbst einen Mann auf der Erde zu finden, der durch seine Weisheit oder Einsicht zu helfen vermöchte, welche kostbare Seltenheit! „Einen Mann aus Tausenden habe ich gefunden, aber ein Weib unter diesen allen habe ich nicht gefunden." Aber wenn auch das Forschen des Weisen ihn zu diesen traurigen Schlußfolgerungen führte, so hat er doch Nutzen davon:
„Allein, siehe, dieses habe ich gefunden, daß Gott den Menschen aufrichtig geschaffen hat; sie aber haben viele Ränke gesucht" (Vers 29). Der aus der Hand seines Schöpfers hervorgegangene Mensch war im Anfang aufrichtig. Der Prediger hat weiter oben gezeigt, daß die Schöpfung schön war (Kap. 3, 11), jetzt aber alles gekrümmt ist (Kap. 1, 15; 7, 13). Der Verfall ist hinzugekommen, nicht von Seiten Gottes, sondern durch die Schuld des Menschen. „Sie aber haben viele Ränke gesucht." So war es im Garten Eden, als „das Weib sah, daß der Baum gut zur Speise, und daß er eine Lust für die Augen, und daß der Baum begehrenswert wäre, um Einsicht zu geben". Welche „Ränke"! Und seit damals ist es so geblieben.
Kapitel 8
Vers 1
Die für den Prediger so demütigende Erfahrung, von der er soeben sprach, vermindert durchaus nicht den Wert der Weisheit. „Wer ist wie der Weise? und wer versteht die Deutung der Dinge? Die Weisheit des Menschen erleuchtet sein Angesicht, und der Trotz seines Angesichts wird verwandelt." Sie ist für den Menschen von unermeßlichem Vorteil, weil er durch sie die Deutung der Dinge besitzt, die unter der Sonne geschehen. Sie gibt ihm einen äußeren Schein, der Vertrauen erweckt und auch einflößt, denn die Weisheit macht demütig, und die Demut spiegelt sich in den Gesichtszügen wieder.
Vers 2—4.
So war es auch mit Salomo. Seine Autorität wurde durch seine Weisheit liebenswert, aber um so notwendiger war es, sich ihr zu unterwerfen und ihr zu gehorchen. Der König ist der Träger der Autorität Gottes, um das Böse zu bestrafen und das Gute zu belohnen. Es ist gut, mit ihm in ständiger Verbindung zu bleiben, um im Guten zu verharren und am Bösestun verhindert zu werden, denn Gott hat ihm die Macht anvertraut, damit er nach seinem Wohlgefallen handele, ohne jemand Rechenschaft schuldig zu sein.
Verse 5—7.
Diese Unterwerfung unter die Befehle der Obrigkeit schützt den Menschen vor allem Bösen. Hier ist von der
der Obrigkeit anvertrauten Regierung Gottes die Rede, die in ihren Grundsätzen wie in Römer 13, 1 —5 betrachtet wird. Der Weise selbst geht jedoch noch weiter. Er „kennt Zeit und richterliche Entscheidung, Denn für jede Sache gibt es eine Zeit und eine richterliche Entscheidung". Er weiß, daß er ihr gehorchen muß und es für die Ausübung der Autorität eine Zeit gibt, und daß der, der sie ausübt, Gott verantwortlich ist, und daß alle ins Gericht kommen werden (Kap. 3, 16. 17).
Bis dahin wird der Mensch jedoch infolge seines sündigen Zustandes in Unwissenheit gehalten über das, was kommen und wie es geschehen wird, denn das Jenseits ist ihm verborgen, wie wir schon so oft sagten.
Verse 8—11.
Indessen hat die dem König anvertraute Macht eine Grenze; sie hat keine Gewalt über den Geist, weder über den Geist des Menschen noch über den Geist Gottes. Der Geist ist frei. Ebensowenig hat der Mensch Gewalt über das Leben des Leibes. Gott ist es, der den Tag des Todes bestimmt, wenn dem auch manches entgegenzustehen scheint. Wer glaubt, sich durch seine Gesetzlosigkeit darüber hinwegsetzen zu können, wird sein Schicksal erleiden, dem er nicht entrinnen kann. Es gibt Zeiten, in denen die Autorität über die Menschen zu ihrem Schlechten ausgeübt wird, im Gegensatz zu dem im Anfang dieses Kapitels Gesagten. Denn dieses Buch hebt immer den Kontrast hervor zwischen dem, was Gott einst eingesetzt, und dem, was der Mensch daraus gemacht hat. Ebenso sieht man Gesetzlose, die mit allen Ehren begraben werden, während solche, die das Gute getan und vor Gott an „heiliger Stätte" gelebt haben, plötzlich diese Erde verlassen und aus dem Gedächtnis ihrer Mitmenschen verschwinden. Beachten
wir, daß hier, wie überall in diesem Buche, die Gegenwart Gottes sich auf die Erde beschränkt und zwischen dem Tode und dem, was nach ihm sein wird, ein Vorhang gezogen ist. Vergessenheit schwebt über den Toten, und der Prediger kann ausrufen: „Auch das ist Eitelkeit." Er verbindet hier seine Gedanken sozusagen mit seinem anfangs aufgestellten Leitsatz: „Alles ist Eitelkeit."
Verse 11—14.
Das Gericht über die Bösen kommt nicht sofort — die Wahrheit vom Gericht wird im Prediger stets aufrechterhalten —, weshalb die Menschen diese Straflosigkeit benutzen, um dem Bösen nachzusinnen und es auszuüben, und indem sie sich darauf verlassen, verlängern sie ihre Tage (vgl. Kap. 7,15). Aber wenn später Rechenschaft abgelegt werden muß, wird es denen wohlgehen, die Gott fürchten (vgl. Kap. 7, 18), während das Unglück des Bösen und sein schließliches Verderben dem Fehlen dieser Furcht zuzuschreiben ist. „Er wird, dem Schatten gleich, seine Tage nicht verlängern." Das scheint dem 12. Vers zu widersprechen, aber Gott widerspricht sich niemals. Im ersten Fall handelt es sich um den Anschein, als werde das Gericht an dem Bösen nicht unverzüglich vollzogen, im zweiten Fall ist es Gott, der dem Leben des Gesetzlosen ein Ende macht, sobald die Stunde des Gerichts für ihn gekommen ist. Er hat sich nicht vor Gott gefürchtet.
Je mehr man in dem Studium dieses Buches fortschreitet, desto deutlicher sieht man, daß die Furcht Gottes der einzige lichte Punkt in all den rätselvollen Fragen dieser Welt ist, die die Weisheit vergeblich zu ergründen sucht. Die Eitelkeit besteht hier darin, „daß es Gerechte gibt, welchen nach dem Tun der Gesetz
losen widerfährt, und daß es Gesetzlose gibt, welchen nach dem Tun der Gerechten widerfährt". Sich selbst überlassen, vermag die Weisheit den Grund dieser Tatsache nicht zu entdecken, weil sie auf den Kreis der sichtbaren Dinge beschränkt ist. Auch das ist Eitelkeit.
Verse 15—17.
Es bleibt also „für den Menschen nichts Besseres unter der Sonne, als zu essen und zu trinken und sich zu freuen" (vgl. Kap. 2, 24; 3, 12—13; 5, 18; 6,7). Ein trauriger Schluß, denn wo soll das enden? Das ist alles, was dem Menschen von seiner Arbeit bleibt. Der Mensch ist, trotz all seiner Mühe, unfähig, das Werk zu erfassen, welches unter der Sonne geschieht ; er muß es also Gott überlassen. Der Mensch kann es nicht verstehen, und selbst der Weise ist gezwungen, seine Unwissenheit einzugestehen.
Kapitel 9
Die Verse 1 — 12 dieses Kapitels bilden das entmutigende Ergebnis des im vorhergehenden Gesagten.
Verse 1 —10.
Die Seele ermüdet, den Forschungen der Weisheit in den Dingen dieser Welt zu folgen, und sie wird des Lebens überdrüssig. Der Gerechte und der Ungerechte, der Reine und der Unreine haben dasselbe Schicksal, sie müssen sterben. „Auch ist das Herz der Menschenkinder voll Bosheit, und Narrheit ist in ihren Herzen während ihres Lebens, und danach geht's zu den Toten. . . . Weder Liebe noch Haß kennt der Mensch im voraus. . . Sowohl ihre Liebe als auch ihr Haß und ihr Eifern sind längst verschwunden; und sie haben ewiglich kein Teil mehr an allem, was unter der Sonne geschieht" (Verse l und 6). Das Schweigen der Nacht umgibt sie. In dieses dem menschlichen Geist völlig verschlossene Gebiet kann die Weisheit nicht eindringen. Daher auch die Folgerung, daß es besser sei, in diesem Elend noch zu leben, als zu sterben. Ein lebendiger Hund, das verächtlichste Geschöpf, gilt mehr als ein toter Löwe, das im höchsten Grade edle und starke Tier. Der Lebende weiß wenigstens, daß er sterben muß; das ist wenigstens eine Gewißheit, wenn auch eine bittere, denn „die Toten aber wissen gar nichts". Zu solchen Schlußfolgerungen führt die größte menschliche Erkenntnis. Die Wissenschaft ohne die Offenbarung wird immer unglaubwürdig bleiben, weil sie nicht über den Tod hin aussehen kann. Was nützen also Tätigkeit, Arbeit, Liebe, Haß, Erkenntnis und Weisheit? Indessen bleiben für den Weisen, der in Verbindung mit Gott, dem Schöpfer, steht, noch zwei Dinge bestehen: die Furcht Gottes und die Gewißheit des Gerichts. Das Ende des Buches wird dies noch mehr bestätigen als der Anfang.
Augenblicklich (Verse 7 — 10) bleibt aber nichts. Was sage ich? Das Leben eines Tages mit seinen Genüssen, die es bietet, dieser vergängliche Schatten, ist von Wert: „Geh, iß dein Brot mit Freuden und trinke deinen Wein mit frohem Herzen; denn längst hat Gott Wohlgefallen an deinem Tun. Deine Kleider seien weiß zu aller Zeit, und das 01 mangle nicht auf deinem Haupte! Genieße das Leben mit dem Weibe, das du liebst, alle Tage deines eitlen Lebens, welches er dir unter der Sonne gegeben hat, alle deine eitlen Tage hindurch; denn das ist dein Teil am Leben und an deiner Mühe, womit du dich abmühst unter der Sonne." Diese Aufforderung, sich zu freuen, ist sie nicht noch bitterer als die Verzweiflung, wenn sie aus dem Munde eines Menschen kommt, dessen Weisheit, obwohl sie stets Gott zu gefallen suchte, die Eitelkeit aller Dinge bis in die verborgensten Winkel hinein untersucht hat?
Verse 11—12.
Der Weise wendet sich von neuem (siehe Kap. 4, 1 und 7) und sieht, daß alle, selbst die hervorragendsten Eigenschaften der Weisheit zu keinem Ergebnis führen. Alles endet schließlich mit einer plötzlichen Katastrophe.
Verse 13—18.
Endlich hat der Prediger unter der Sonne eine Weisheit gefunden, die ihm groß erscheint: Dank einem einzigen armen, aber weisen Manne ist es der ganzen Macht und allen Hilfsmitteln eines großen Königs nicht gelungen, eine kleine, hilflose Stadt zu zerstören. Dieser Arme wurde der Retter und Befreier dieser schutzlosen Wesen. „Da sprach ich: Weisheit ist besser als Kraft." Aber die Welt verachtete die Weisheit des Armen und hörte nicht auf seine Worte. „Kein Mensch gedachte dieses armen Mannes." — Welch unerwartetes Licht strahlt diese Stelle aus! Es gibt nur eine Weisheit, die den hilflosen, den Anschlägen Satans, seines Verderbers, preisgegebenen Menschen befreien kann. Diese Weisheit findet sich in Dem, den die Psalmen so oft den „Armen" nennen. Die Befreiung ist eine vollendete, durch Ihn vollbrachte Tatsache. Wird dieser Ruf gehört werden? Man muß ihn in der „Ruhe" hören, um das Heil zu finden.
Betrachtung über den Prediger - Henri Rossier
Einleitung
Niemand wird bestreiten wollen, daß Salomo dieser Prediger ist (siehe Kapitel 1, 1 und 12). Gelehrte indessen, die, außer ihrem eigenen Wissen, alles in Frage zu stellen gewöhnt sind, leugnen es. Das darf uns jedoch nicht verwundern, denn kein Mensch, und sei es der gelehrteste, kann den einfachsten Gedanken Gottes verstehen, es sei denn durch den Geist Gottes. Der Gläubige, der diesen alles erforschenden Geist besitzt, ist fähig, die Geheimnisse der Weisheit zu verstehen und sowohl den Zweck, zu dem Gott uns diese Unterweisungen gibt, als auch den Nutzen, den wir daraus ziehen können, zu erkennen. Der Prediger will Menschen um sich sammeln, die Ohren haben zu hören, um sie zu unterweisen und ihnen seine Erfahrungen mitzuteilen.
Die Belehrungen des Predigers haben einen ganz besonderen Charakter, wie wir ihm in keinem anderen Buch der Bibel begegnen. Der Leser möge zur Erläuterung nachstehenden Betrachtungen folgen.
Im ersten Buch Mose finden wir auf der Erde einen Menschen, den ersten Adam, unschuldig, ohne Erkenntnis des Guten und Bösen, inmitten einer wunderbar aus der Hand Gottes hervorgegangenen Schöpfung. Er steht in Verbindung mit seinem Schöpfer, von dem er weiß, daß Er jeden Ungehorsam richtet, und er besitzt einen Geist, der fähig ist, die ihn umgebenden Dinge zu verstehen und zu genießen. Er ist auch imstande, eine wirksame Herrschaft über die ganze Erde auszuüben, und
besitzt ein Herz, das zu lieben vermag und von Gott einen seiner Liebe würdigen Gegenstand erhält. Dieser Mensch brauchte also, um glücklich zu sein, nur in der Abhängigkeit von Gott zu bleiben, der die Schöpfung seinen Füßen unterworfen hatte. Was geschieht aber? Anstatt die Furcht Gottes zu bewahren, wird er bei der ersten Versuchung, die an ihn herantritt, stolz und hochmütig. Er erachtet es für einen Gewinn, seinem Schöpfer gleich zu sein, handelt in Unabhängigkeit und fällt in Sünde; sein ganzes Glück ist zerstört. Von nun an erkennt er das Gute und das Böse, ist jedoch unfähig, das Gute zu tun; er ist ein Sklave der Sünde geworden. Die Erde ist verdorben, der Tod hat auf ihr seinen Einzug gehalten, und der Himmel ist dem Menschen verschlossen. Das Gericht Gottes ist seine Zukunft, wenn nicht die Gnade dazwischentritt, um ihn zu retten. Das ist in der Tat auch die einzige Verheißung, die Gott dem Menschen unmittelbar nach dem Sündenfall gibt (1. Mose 3, 15).
Die Erfüllung dieser Verheißung führt den zweiten Adam ein. Er tritt nicht in eine reine und schöne Schöpfung ein, sondern Er kommt auf den verdorbenen Schauplatz der Sünde und des Todes, aber in voller Kenntnis des Zustandes der Welt und mit einem bestimmten Ziel. Er ist mit einer Weisheit ausgestattet, die nicht diesen Verfall und die absolute Unmöglichkeit, daran etwas zu ändern, feststellen will, sondern ein Heilmittel zu bringen beabsichtigt. Die göttliche Weisheit in Ihm bringt dem Menschen keine Erleichterung, die ihm auch die Weisheit Salomos nicht hatte verschaffen können, sondern vollständige Heilung und Befreiung von diesem Elend. Die Weisheit Gottes in Christo, dem vollkommenen Menschen, war nicht nur aus göttlicher Quelle, sondern sie war die Quelle selbst,
die Quelle des Lebens zur Besiegung des Todes, die Quelle des Lichts zur Zerstreuung der Finsternis und die Quelle der Reinheit, um die Sünde hinwegzunehmen und den Menschen mit Gott zu versöhnen. Sie war das Licht, das das Böse aufdeckt, und zugleich die Liebe, die es heilt. Von Ewigkeit her, vor aller Schöpfung, vor dem Dasein des Bösen und dem Fall des Menschen hatte diese Weisheit ihre Wonne bei den Menschenkindern (Sprüche 8, 31), an denen sie ihr Wohlgefallen finden wollte. Sie war in vollkommener Übereinstimmung mit Dem, der sie gezeugt hatte. „Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun", spricht sie beim Eintritt in diese Welt. Und diese Weisheit war Liebe. Welcher Empfang wird ihr zuteil? Der Prediger, so weise er auch war, hatte persönlich weder bösen Willen noch Haß gefunden, sondern zweifellos nur Eitelkeit, Kummer und ein Haschen nach Wind festgestellt, aber seine eigenen Erfahrungen unterwarfen ihn selbst der Eitelkeit aller Dinge. So war es jedoch nicht mit der in dem Menschen Jesus Christus geoffenbarten Weisheit. Die ganze Welt erhob sich gegen Ihn, überhäufte Ihn mit Schimpf und Schande und nagelte Ihn an ein Kreuz, weil der Mensch die Wahrheit nicht ertragen konnte. Er wollte die Gnade nicht, weil er die Knechtschaft Satans der Versöhnung mit Gott vorzog. Aber die Tat selbst, durch die der Mensch Christum verwarf, wurde das Heilmittel für den Sünder. „O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unausforschlich sind seine Gerichte und unausspürbar seine Wege!" Ihm sei ewiger Ruhm!
Der Prediger zeigt uns einen dritten Zustand. Wir sehen dort einen Menschen, Salomo, nicht mehr unschuldig wie Adam vor seinem Fall, sondern mit der Erkenntnis des Guten und Bösen. Dieser Mensch steht,
wie Adam, in Verbindung mit Gott, und wie dieser besitzt auch er den „Anfang der Aussprüche Gottes" (Hebräer 5, 12), den „Glauben an Gott" und die Kenntnis des „ewigen Gerichts" (Hebräer 6, 1 —2). Aber er wird uns hier im Prediger ohne den Besitz jeder Offenbarung vorgestellt, die ihn in Verbindung mit Jehova, dem Gott des Bundes, bringt. In diesem Zustand ist notwendigerweise die Erkenntnis Gottes von der Furcht Gottes und der Gewißheit begleitet, daß Er ein Richter aller Menschen sein muß. Solcher Art ist das moralische Gemälde des Predigers. In der Tat ähnelt sein Zustand, abgesehen von der Erkenntnis des Guten und Bösen, demjenigen Adams vor dem Fall.
Nun stelle diesen Menschen in eine durch die Sünde beschmutzte und verdorbene Schöpfung, gib ihm die unbeschränkte Möglichkeit, das Leben und alle schönen, angenehmen Dinge dieser Welt zu genießen. Schenke ihm schließlich die Fähigkeit, alle Dinge unter der Sonne zu verstehen, und eine Weisheit aus göttlicher Quelle, die Adam nicht besaß, die dieses schwache Wesen jedoch nicht vor den demütigendesten persönlichen Erfahrungen zu bewahren vermag. Stelle ihm die Aufgabe, durch die Weisheit ein Mittel zum Leben zu finden, und inmitten all dieser Verderbnis glücklich zu sein und sich zu freuen. Laß ihn alle irdischen Genüsse kosten und alle Dinge hienieden erforschen: Erkenntnis, Macht, Reichtum, die Werke der Schöpfung, die Erfüllung aller seiner Wünsche. Gib ihm auch alles, was man durch die Arbeit erwerben kann, ja, laß ihn selbst die Torheit kosten — ohne jedoch die Weisheit abzulegen —, um auch zu erfahren, was in ihr ist und ob sie seiner Seele irgendwelche Freude gewähren kann. Was wird aus diesem in alle diese Dinge hineinversetzten Menschen werden? Unermeßliche Lehre! Das Ergebnis ist einerseits das vollständige Unglück, die Entzauberung aller und der Ekel gegen alle Dinge, selbst gegen die Erkenntnis, denn sie hinterläßt, auf alle irdischen Dinge angewandt, in seinem Munde einen bitteren Geschmack, von dem er sich nicht befreien kann! Anderseits vermittelt sie ihm die Gewißheit, daß es ohne eine Offenbarung für den Menschen keine andere Hilfe gibt als die Furcht Gottes, eines Gottes aber, vor dessen Gericht er am Ende erscheinen muß!
Hierüber geht das Buch nicht hinaus, obgleich das in ihm enthaltene Ergebnis von ungeheurer Wichtigkeit ist (Kapitel 12, 13). Ihm fehlt aber, zu diesem Schluß gekommen, eine Offenbarung, die die Seele in Gott, dem Richter, einen Gott-Heiland finden und ein Glück erwerben läßt, das weder die größte Weisheit noch die Erkenntnis Gottes als Schöpfer und Richter ihr zu geben vermögen. Aber der erste Schritt ist wenigstens getan, denn Salomo selbst sagt uns, daß die Furcht Jehovas zum Leben sei (Sprüche 19, 23).
Was wir soeben betrachtet haben, erklärt, warum wir hier den Namen „Jehova", der sich als der Bundesgott Israels, und zwar nicht nur im Gesetz in Gerechtigkeit, sondern auch in Güte und Barmherzigkeit geoffenbart hat — bevor Er sich im Evangelium als der Gott der Liebe und Gnade kundtat —, nicht finden. Salomo erkannte Ihn als solchen in den Sprüchen, denn wenn dort von der Furcht die Rede ist, ist es die Furcht „Jehovas". Hier aber, im Prediger, ignoriert er sozusagen die Erkenntnis des Bundes-Gottes, um untersuchen zu können, was die Welt in sich selbst für den weisesten, mächtigsten und glücklichsten, jedoch jeglicher Offenbarung beraubten Menschen ist.
Ein anderer, bedeutsamer Zug unterscheidet den Prediger noch von dem ersten Adam vor seinem Fall.
Adam hatte, solange er ohne die Erkenntnis des Guten und Bösen war, nichts zu leiden. Sein Leben — und wie lange währte dieses! — eilte dahin in der Frische der Unschuld und in dem Glück, alles, was ihm von den sichtbaren Dingen begehrenswert erschien, mit Ausnahme eines einzigen Dinges, zu besitzen. Hier im Prediger gewährt die Weisheit Salomo inmitten der Umstände, die dem Fall des Menschen folgten, keinerlei Befriedigung, obwohl er die Möglichkeit besitzt, alles, was die Erde dem Menschen bietet, zu genießen. Alles zernagt den Geist, alles ist verdorben, und eine Made ist selbst im Herzen der schönsten Frucht, Der Prediger muß es am Ende eines langen Lebens bestätigen. In dieser Beziehung heißt erkennen leiden (Kapitel 1, 18), was wir das ganze Buch hindurch finden werden. Schließlich läßt die Weisheit diesen Menschen in sein eigenes Herz blicken, wo hinein Gott die Welt gelegt hat (siehe die Anmerkung zu Kapitel 3, 11), und er entdeckt auch dort nur Torheit und Eitelkeit.
Der Prediger, der Gott kennt und fürchtet, ermahnt die Menschen, Ihn auch zu fürchten, und benutzt diese Weisheit zum Erwerb des eigenen Glücks in dieser Welt, aber er begegnet statt Glück nur Kummer und Schmerz. Man sollte meinen, daß seine Weisheit ihm einen Ersatz biete, aber er findet keinen. Nicht nur kann sie sich nicht über das erheben, in dessen Mitte sie sich übt, sondern sie ist auch auf die Gegenwart beschränkt und viel von der Vergangenheit zu vergessen verurteilt. Was die Zukunft anbelangt, so steht sie vor einer verschlossenen Tür, die ihr allein eine Offenbarung zu öffnen vermag; das Jenseits bleibt ohne eine solche für die Weisheit ein Geheimnis. Diese verschlossene Tür gibt den Erfahrungen des Predigers zuweilen einen Anflug von Rationalismus.
Wir besitzen drei Bücher von Salomo, die Sprüche, den Prediger und das Lied der Lieder.
In den Sprüchen nimmt die Weisheit, in der wir bisweilen Christum, die ewige Weisheit in Person, erkennen, den Jüngling am Anfang seines Lebenspfades in die Schule. Sie ist sein Lehrer, um ihn im Lichte Jehovas, der sich ihm geoffenbart hat, solche Wege zu führen, auf denen er Ihn ehren kann, indem er sich abwendet von den „Wegen zum Scheol, die hinabführen zu den Kammern des Todes" (Sprüche 7, 27). So wird der Jüngling unter der Leitung der Weisheit seinen Weg in Reinheit gehen, wenn er auf das Wort Gottes, auf die direkten Offenbarungen Gottes, achthat.
Im Prediger finden wir, wie wir sehen werden, nichts dem Ähnliches. Die Weisheit der Sprüche führt den Menschen zum Licht, die des Predigers in die menschliche Finsternis, mitten in das hinein, was „unter der Sonne" geschieht.
überdies besteht zwischen diesen beiden Büchern noch ein anderer Unterschied, der wert ist hervorgehoben zu werden, wenn man den Prediger verstehen will. Die Sprüche enden mit einem Lob auf die tugendhafte, tüchtige und weise Frau. Sie wird gepriesen — das ist fast das letzte Wort dieses Buches —, weil sie Jehova fürchtet und weder Anmut noch Schönheit sucht, die nur Eitelkeit sind (Sprüche 31, 30). Die Furcht Jehovas, die wie ein goldener Faden das ganze Buch durchzieht*), charakterisiert die tugendhafte Frau. Der Prediger dagegen schließt mit der Furcht Gottes (Kapitel 12, 13), aber erst nach den bitteren Erfahrungen in bezug auf alles, was das Glück und die Freude verfolgt. Hier
*) Sprüche 1. 7; 2, 5; 8, 13; 10, 27; 14, 26—27; 15, 16. 33; 16, 6; 19, 23; 22, 4; 23, 17; 31, 30.
ist es kein goldener, sondern ein schwarzer Faden, der sich durch das ganze Buch hindurchzieht, und das ist die Eitelkeit.
Das Lied der Lieder ist von den beiden vorhergehenden Büchern ganz verschieden. Von Anfang bis zu Ende ist es der Wechselgesang der Liebe. Es redet von den Beziehungen zwischen Christo und Israel, die wiederhergestellt sind auf Grund eines gegenseitigen Wunsches, nachdem von seiten Israels alles gefehlt und dieses Volk „seinen Weinberg nicht gehütet" hatte. Die Braut weiß, daß sie ihres Geliebten ist und Er ihr gehört. Hier besteht die Weisheit in der Erkenntnis der Liebe.
Das eben Gesagte wird in der Betrachtung, die wir nun beginnen wollen, seine Bestätigung finden.
Kapitel 1
Wie wir zu Beginn sagten, nimmt Salomo in diesem Buche den Charakter eines Predigers an. Er will seine Zuhörer aus den Erfahrungen, die er durch die ihm von Gott gegebene Weisheit machte, Nutzen ziehen lassen. Er begnügt sich nicht damit, seine Weisheit auf die Regierung des Volkes zu beschränken, wozu er sie ja von Gott erbeten hatte (2. Chronika 1,9— 12), sondern „Gott gab Salomo Weisheit und sehr große Einsicht und Weite des Herzens wie der Sand, der am Ufer des Meeres ist. Und die Weisheit Salomos war größer als die Weisheit aller Söhne des Ostens und als alle Weisheit Ägyptens. Und er war weiser als alle Menschen, als Ethan, der Esrachiter, und Heman und Kalkol und Darda, die Söhne Machols. Und sein Name war unter allen Nationen ringsum. Und er redete dreitausend Sprüche, und seiner Lieder waren tausend und fünf. Und er redete über die Bäume, von der Zeder, die auf dem Libanon ist, bis zum Ysop, der an der Mauer herauswächst; und er redete über das Vieh und über die Vögel und über das Gewürm und über die Fische. Und man kam aus allen Völkern, um die Weisheit Salomos zu hören, von allen Königen der Erde her, die von seiner Weisheit gehört hatten" (1. Könige 4, 29—34). Das hatte aus ihm den Prediger gemacht. Außerdem standen ihm alle Dinge zur Verfügung, die man sich durch Reichtum, Macht und Weisheit erwerben und aneignen konnte. Er hatte alle Genüsse gekostet, alle Werke Gottes untersucht und die Gesetze erforscht, durch die das Leben der Menschen und die Ordnung im Weltall geregelt ist. Er hatte also gar keinen Grund, sich über die Welt zu beklagen (2. Chronika 9, 22—24).
Gleich zu Beginn gibt der Prediger, wie es bei solchen üblich ist, den Gegenstand an, den er behandeln will:
„Eitelkeit der Eitelkeiten! spricht der Prediger; Eitelkeit der Eitelkeiten! alles ist Eitelkeit." Im Verlauf des Buches behandelt er diesen Gegenstand dann im einzelnen, um zu dem Schluß, der Summe aller seiner gemachten Erfahrungen, zu kommen: „Eitelkeit der Eitelkeiten! spricht der Prediger; alles ist Eitelkeit" (Kapitel 12, 8). Eitelkeit! Ein Hauch, ein Schatten, der vergeht, ein Dasein ohne ein Morgen, das Leben eines geflügelten Insektes, das kaum einen Tag währt!
Vers 3
„Welchen Gewinn hat der Mensch bei all seiner Mühe, womit er sich abmüht unter der Sonne?" Das ist die Frage, die im Verlauf des Buches von allen Seiten behandelt wird, und die sich dem mit den Dingen dieses Lebens oftmals in geradezu verzehrender Weise beschäftigten Menschen aufdrängt.
Verse 4—11
Die Antwort auf diese Frage lautet: „Ein Geschlecht geht, und ein Geschlecht kommt; aber die Erde besteht ewiglich." Der Mensch, das einzige verständige Wesen, hat keinen Bestand, während die Erde von Dauer und der Lauf der Natur auf Grund der unwandelbaren und sich unaufhörlich erneuernden festen Gesetze unveränderlich ist. Der Geist ermüdet, ständig diesem unausgesetzten Vorgang zu folgen, zu sehen, zu hören und zu erkennen; er kommt immer wieder auf den einen
Punkt zurück: „Es ist nichts Neues unter der Sonne", und selbst die Erinnerung an die vergangenen Dinge verwischt sich unabänderlich.
Verse 12—15
Der Prediger hat sich bemüht, diese Dinge zu ergründen und zu verstehen. Zwei Mittel standen ihm zur Verfügung, alles Geschehen unter dem Himmel zu erforschen: eine königliche Macht, die vor ihm ohnegleichen war, und eine alles überragende Weisheit göttlichen Ursprungs. Alle Ereignisse unter der Sonne sind an seinen Augen vorübergezogen, und sein Verstand hat sich Rechenschaft darüber gegeben mit dem Ergebnis, daß alles Eitelkeit ist und ein Haschen, das niemals erlangt, was es zu ergreifen sucht. Finde ein Mittel, den Wind zu greifen! „Das Krumme kann nicht gerade werden, und das Fehlende kann nicht gezählt werden." Das Hindernis einer fruchtbaren Erkenntnis ist das Vorhandensein des Bösen, das alle Dinge entstellt hat. Die Sünde hat die Glieder der Kette aller Dinge zerstreut, überall sind Lücken ohne jede Möglichkeit, sie zu schließen.
So wird schon von vornherein die Tatsache, daß die Welt trotz der Regelmäßigkeit ihrer Gesetze ein Trümmerhaufen ist, das Hindernis jeder Erkenntnis und jeden wahren Genusses.
Verse 16—18
Da nun einerseits die in der Schöpfung festgelegte Ordnung und anderseits die durch die Sünde verursachte Unordnung vorhanden ist, bemühte sich der Prediger, sowohl das, was mit der Weisheit in Übereinstimmung ist, als auch den Unsinn und die Torheit zu erforschen, die diese Ordnung zerstört haben, jedoch
mußte er erkennen, daß auch das „ein Haschen nach Wind" ist. Auch das Glück, das er durch diese Erkenntnis zu erlangen hoffte, fand er in Verdruß und Kummer verwandelt. „Denn bei viel Weisheit ist viel Verdruß; und wer Erkenntnis mehrt, mehrt Kummer." Wie könnte der Weise sich auch freuen, wenn er, trotz des von der wunderbaren Schöpfung Gottes noch Bestehenden, alle materiellen und moralischen Dinge von der Sünde verdorben sieht? Inmitten des Schiffsbruchs, den die Sünde verschuldet hat, existiert der Mensch nur noch als ein trauriges Strandgut seiner einstigen Segnungen.
So ist in der Natur alles, trotz der Regelmäßigkeit ihrer Gesetze, in fortwährender Bewegung. Es gibt für den Menschen keine Ruhe, und, um das Bild seines Zustandes zu vervollständigen, die Eitelkeit aller Dinge und die Vergeßlichkeit in bezug auf alles Vergangene charakterisieren ihn. Er ist überdies unfähig, es zu ändern, denn er kann das Krumme nicht gerade machen.
Kapitel 2
Bevor wir die Betrachtung fortsetzen, sei daran erinnert, daß das Jenseits und das Unsichtbare dem Prediger ganz fremd sind und hier als ihm unbekannt dargestellt werden. Sie können nur durch eine göttliche Offenbarung erkannt werden, und der Zweck des Geistes Gottes in diesem Buche ist es gerade, uns das, „was unter der Sonne" ist, außerhalb einer solchen Offenbarung betrachten zu lassen. Abgesehen also von der Erkenntnis Gottes, des Höchsten, die jeder Mensch besitzt, der sich nicht der Abgötterei hingegeben hat, kann der Weise hier nur die sichtbaren Dinge betrachten.
Verse 1 -3.
Um Erkenntnis zu erwerben, wovon der Prediger im ersten Kapitel gesprochen hat, gab er sich der Freude und Behaglichkeit des Lebens hin. Aber das Leben erwies sich für den Weisen als unsinnig, und zur Freude sagte er, „was sie denn schaffe!" Sie war ohne Zweck und Ziel. Vielleicht müßte er das Gute in der Torheit suchen? Wird nicht in den Sprüchen gesagt: „Gebet starkes Getränk dem Umkommenden, und Wein denen, die betrübter Seele sind: er trinke, und vergesse seine Armut und gedenke seiner Mühsal nicht mehr" (Sprüche 31, 6—7)? Er versuchte auch das zu tun, soweit seine ihm von Gott gegebene Weisheit unbefleckt blieb, aber auch das erwies sich als Eitelkeit, Nichtigkeit, ohne Dauer und Nutzen für die Menschen.
Verse 4—11.
Dann untersucht der Prediger alles, was königliche Macht und Glück ihm geben konnten. Er hatte große Dinge unternommen. Was seine Augen begehrten, Besitzungen, Paläste und Gärten, Verschönerungen der Natur, Pflanzungen, große Herden, Ackerbau und seine Erzeugnisse, ein Heer von Dienern und Mägden, Silber und Gold in Überfluß, alle Reichtümer der Provinzen, die in seine Schatzkästen flössen, Musik und Gesang, die die Seele erheben, Befriedigung der Sinne in der irdischen Liebe, Vergrößerung seiner Macht, kurz, alles, was Salomo wünschen konnte, hatte seine königliche Macht ihm verschafft. „Auch meine Weisheit verblieb mir", sagt er, aber er muß hinzufügen: „Und ich wandte mich hin zu allen meinen Werken, die meine Hände gemacht, und zu der Mühe, womit ich wirkend mich abgemüht hatte: und siehe, das alles war Eitelkeit und
ein Haschen nach Wind; und es gibt keinen Gewinn unter der Sonne."
Verse 12—19.
Die Weisheit hat zweifellos, wer wollte das bestrei-ten, einen Vorzug vor der Torheit. Der Weise ist im Licht und sieht, während der Tor sich in der Finsternis befindet und darin wandelt. Trotzdem ist beider Los gleich; wo ist der Gewinn? Der Tod trifft den Weisen wie den Toren, und der zerstörende Wurm ist in der Wurzel jeden Genusses (Kap. 2, 16; 3, 19. 20; 5, 15; 6, 6; 9, 3). Bemerkt sei hier nochmals, daß im Prediger, dem Charakter dieses Buches entsprechend, der Tod nicht in das Jenseits führt, sondern die Gegenwart in dem Augenblick abschneidet, wo der Mensch die Früchte seiner Arbeit zu ernten im Begriff steht. Welches ist dann der Gewinn? Daher ruft der Weise aus: „Da haßte ich das Leben; denn das Tun, welches unter der Sonne geschieht, mißfiel mir; denn alles ist Eitelkeit und ein Haschen nach Wind." Er haßte sogar „alle seine Mühe", womit er sich „abmühte unter der Sonne". Wenn wenigstens sein Erbe einen guten Gebrauch von seiner Hinterlassenschaft machte! Aber nein, die Arbeit des Weisen wird das Erbe des Toren!
Verse 20—23.
Diese Betrachtungen führen den Prediger dahin, an allem zu verzweifeln. Selbst die angestrengteste und einträglichste Arbeit des Menschen bringt ihm zeitlebens nur Kummer, Verdruß und ruhelose Nächte für sein Herz. So wiederholt sich von Kapitel zu Kapitel diese trostlose Klage, die immer erneute Feststellung der Eitelkeit aller Dinge, bis endlich der Weise die Lösung aller Wege findet, die Gott ihn gehen läßt.
Verse 24—26.
Es gibt indessen noch einen Grundsatz in den Regierungswegen Gottes: Er gibt Weisheit, Erkenntnis und Freude dem, der Ihm angenehm ist, und fügt noch, wie bei Salomo, die materiellen Genüsse dieser Welt, wie essen, trinken und Gewinn von seiner Arbeit, hinzu, während der Sünder gezwungen ist, zu sammeln und aufzuhäufen für den, der Gott angenehm ist. Aber hat diese Ordnung in den Regierungswegen Gottes dauerhafte Folgen für den Menschen? Auch das ist Eitelkeit und ein Haschen nach Wind.
Kapitel 3
Nach dem in den beiden ersten Kapiteln dieses Buches behandelten Gegenstand scheint der Prediger sich nunmehr einem neuen zuzuwenden.
Verse 1 —8.
Er beginnt darzulegen, daß die menschliche Tätigkeit aus einer Folge von Kontrasten, von entgegengesetzten Dingen, besteht, die, von einem verborgenen Willen geleitet, stets zu ihrer Zeit kommen. Überall zeigen sich die Folgen der Sünde: Tod, Zerstörung, Mord, Trümmer, Tränen, Klagen, Steinigungen, Haß, Krieg, aber anderseits auch dem entgegengesetzte Dinge, wie ausgebesserte Schäden, gestillte Schmerzen, geheilte Wunden. Alle diese Dinge folgen einander in zeitlich geregelten Abständen, um das Gleichgewicht in dieser armen Welt aufrechtzuerhalten. Die Welt ist nicht, wie man oft lehrt, ein Gemisch von Bösem und Gutem, denn sie liegt „in dem Bösen" und ist der Schauplatz des Bösen. Das hindert Gott jedoch nicht an dem Gebrauch Seines Rechts, die Ordnung der Dinge zu ändern und Sich des Menschen zu bedienen, um das von ihm selbst Zerstörte wieder aufzubauen oder auch zu zerstören, was wieder aufgebaut war. So kommt jedes Ding zu seiner Zeit.
Es ist auch wichtig festzustellen, daß Gott sich, auch wenn menschlicherseits alles Eitelkeit ist (Kap. 2, 26), doch zu Seiner Zeit des Menschen selbst bedienen kann, um Balsam auf die Wunden zu legen oder Gutes mittels des Bösen hervorzubringen.
Kurz, wir gewinnen hier einen anderen Anblick von der Welt als in den ersten Versen des ersten Kapitels. Dort wird von der regelmäßigen Wiederkehr der Naturerscheinungen gesprochen, die einander in gleichmäßigem Kreislauf folgen, der niemals einer neuen Erscheinung Platz macht. Hier läßt uns Gott einem regelmäßigen Werk der Zerstörung und des Wiederaufbaus beiwohnen in einer Welt, in der von Anfang an die Sünde alles verdorben hat, die göttliche Vorsehung aber den Menschen als Werkzeug benutzt, um das gegenwärtige Gleichgewicht zu erhalten, solange die Stunde der endgültigen Zerstörung noch nicht geschlagen hat.
Verse 9—11.
Jetzt wird die Frage aufgeworfen: Warum hat die redlichste Tätigkeit des Menschen keinen Erfolg? Die Antwort ist folgende: Gott hat am Anfang alles sehr schön gemacht und dann den Menschen in den Mittelpunkt Seiner Schöpfung gestellt mit der Fähigkeit, sie zu verstehen und über sie zu herrschen. „Auch hat er die Welt in ihr Herz gelegt." Das Herz des Menschen wurde so ein Mikrokosmos inmitten dieser Unendlichkeiten, eine kleine Welt, in der sich die ganze Schöpfung widerspiegelt. Was ist aus dieser anfänglichen Schönheit, aus der von Gott gegebenen Ordnung geworden? Die Sünde ist eingezogen und hat die Schöpfung verdorben. Die Welt bleibt noch in dem Herzen des Menschen, aber er kann die göttliche Ordnung in der durch die Sünde verursachten Unordnung nicht mehr erfassen: „ohne daß der Mensch das Werk, welches Gott gewirkt hat, von Anfang bis zu Ende zu erfassen vermag." *)
Verse 12—17.
Angesichts dieser Unfähigkeit, einer Folge der Sünde, kommt der Prediger auf das im Anfang Gesagte zurück:
1. „Es gibt nichts Besseres unter ihnen, als sich zu freuen und sich in seinem Leben gütlich zu tun; und auch, daß er esse und trinke und Gutes sehe bei all seiner Mühe, ist für jeden Menschen eine Gabe Gottes." Zum gleichen Schluß ist er auch in Kapitel 2, 24 gekommen. Dieser Genuß war dem Menschen bei der Schöpfung verordnet worden; Gott gab ihm alle Dinge, um sie zu genießen.
2. Alles was Gott tut, ist unwandelbar und bleibend; das hatte der Prediger bereits anfangs erkannt (Kap. 1. 4—7). „Es ist ihm nichts hinzuzufügen, und nichts davon wegzunehmen." Diese vollkommene und prächtige Ordnung bezweckte, die Furcht Gottes, des Schöpfers, in das Herz des Menschen zu legen. „Gott hat es also gemacht, damit man sich vor ihm fürchte."
Aber hier (V. 16—17) ist alles von der Sünde verdorben. Statt des Guten wird die Bosheit unter der Sonne gefunden. Die Furcht Gottes ist nicht mehr im Herzen des Menschen, und die Gerechtigkeit regiert nicht mehr. Was wird daher geschehen? Gott wird den Gerechten
*) „ Die Welt in ihr Herz gelegt" mit „die Ewigkeit in ihr Herz gelegt" zu übersetzen, scheint uns, obgleich diese Übersetzung Anhänger hat, im Widerspruch zu dem Charakter des Predigers zu stehen, der sich ganz abseits vom Geistlichen hält und nur das Bestehen der gegenwärtigen Dinge mit seinen traurigen Schlußfolgerungen vor Augen hat. Niemals wird die Ewigkeit im Herzen des Menschen ihn zu der Erkenntnis bringen, daß alles Eitelkeit ist.
und den Ungerechten richten. Anders kann der Weise ohne bestimmte Offenbarung, vor das Welträtsel gestellt, nicht urteilen. Er kennt Gott, und daher fürchtet er Ihn, und weil er Ihn fürchtet, weiß er, daß Gott das Böse nicht ertragen kann und es eines Tages richten muß, wo Er es findet, sei es bei dem Gerechten oder dem Ungerechten. Um dies zu wissen, bedarf er keiner Offenbarung. Sagt ihm das nicht das natürliche Gewissen des gefallenen Menschen? Adam verbirgt sich vor seinem Richter, und ein armer götzendienerischer Heide sucht sein Gewissen zu beruhigen.
Verse 18—22.
Jetzt kommt eine verwirrende Feststellung: Woher kommt es, daß der Mensch denselben Weg geht wie das Tier? Diese Tatsache schließt jedoch nicht das Gericht Gottes aus. War der Mensch ursprünglich dem Tode unterworfen, und hat er einen Vorzug vor dem Tier? Nein, er kehrt wie jenes zum Staube zurück. Das ist die Folge der Sünde, wie überhaupt alles, was in diesem Kapitel aufgeführt wird (siehe 1. Mose 3, 19). Die Weisheit ohne eine Offenbarung geht über diesen Gedanken nicht hinaus. Sie würde nicht zu sagen wissen, ob der Geist des Menschen nach oben und der des Tieres nach unten geht. Sie ist unfähig, diese einfache Frage, die ihr aber Schwierigkeiten macht, zu beantworten. Der Mensch kann selbst die nächste Zukunft nicht ergründen. Gott hat es so angeordnet, um ihn zu prüfen und seinen Finger die Ursache von soviel Elend und Unwissenheit berühren zu lassen. Es bleibt also dem Menschen nichts anderes übrig, als daß er „sich freue an seinen Werken; denn das ist sein Teil" angesichts einer Zukunft, die ihm, abgesehen von der Gewißheit des Gerichts, vollständig verborgen ist.
Kapitel 4
Verse 1—3.
Die Frage des Bösen in. der Welt und im Herzen des Menschen wird auch noch in den ersten Versen des 4. Kapitels behandelt.
Der Prediger „wendet sich", um alle Greueltaten, die unter der Sonne begangen werden, zu betrachten, wie er es bereits in Kapitel 2, 12 getan hatte, um die Weisheit und die Torheit zu erkennen. Haben wir nicht auch in unseren Tagen solchen Szenen beigewohnt, wie sie hier beschrieben werden? Haben wir nicht alle diese Dinge gesehen: Bedrückungen, Tränen, Verzweiflung der Bedrückten, an ihren Opfern ausgeübte rohe Gewalt, und kein Tröster ist da? Glücklich die Toten, noch glücklicher die, die noch nicht gewesen sind! Diese haben wenigstens noch nicht die Wirksamkeit des sich bis zu dem großen Tag anhäufenden Bösen gesehen. Der Christ wird selbstverständlich nicht so sprechen, nicht etwa, weil er nicht mit heiligem Abscheu gegen das Böse erfüllt wäre. Aber er geht durch alle diese Dinge hindurch mit Geduld, indem er vom Herrn auf dieser Erde keine Verwirklichung der Dinge erwartet, die seine Hoffnung bilden. Er sieht in eine himmlische Welt, die dem Prediger ganz verschlossen ist, denn seine Aufgabe war es, durch die Weisheit die gegenwärtigen Dinge in einer von der Sünde beschmutzten Welt zu untersuchen, um festzustellen, ob man daraus irgendwelchen Nutzen ziehen könne.
Vers 4.
Der Weise prüft dann nicht nur die Arbeit des Menschen, sondern auch die Geschicklichkeit, die er dabei entfaltet, und er findet in diesen Anstrengungen nur
„Eifersucht des einen gegen den anderen", die Sucht, einander einzuholen und zu überflügeln, damit der andere nicht die gleichen Vorteile genieße. Auch das ist nur die Frucht der Sünde, Eitelkeit und ein Haschen nach Wind.
Verse 5—12.
Dieser Gedanke führt den Prediger zur Prüfung der verschiedenen Arten menschlicher Tätigkeit in dieser Welt. Zweifellos gibt es darin nützliche Dinge, Grundsätze, die entsprechend den Regierungswegen Gottes glückliche Folgen haben. Was wird der Weise hier entdecken? Zuerst begegnet er dem Faulen (Vers 5), dessen beide Hände leer sind, und der sich selbst zerstört (vgl. Jes. 49, 26). Dann sieht er in Vers 6 die Möglichkeit, eine mittelmäßige Frucht seiner Tätigkeit, aber auch noch die Ruhe zu genießen, und schließlich den, der beide Hände voller Arbeit hat, ohne aber das Erstrebte jemals erlangen zu können.
Verse 7—8.
Jetzt „wendet" sich der Prediger wiederum und entdeckt die Eitelkeit des Menschen, der unaufhörlich arbeitet, reich wird und „allein bleibt". Sein Leben ist zwecklos, er besitzt keinerlei Glück. Welch undankbare und vergebliche Beschäftigung!
Verse 9—12.
Im Gegensatz zu dieser Einsamkeit und dem einzelnen Arbeiter prüft der Prediger, der jede nützliche und gute Einrichtung in der Tätigkeit des Menschen zu würdigen versteht, die Arbeitsgemeinschaft auf ihren Wert. „Zwei sind besser daran als einer, weil sie eine gute Belohnung für ihre Mühe haben." Sie richten einander auf, erwärmen sich gegenseitig in der Stunde der Ruhe und reichen sich im Kampf und in der Verteidigung die starken Hände. Aber weit mehr noch, der Mensch hat eine dreifache Kraft nötig, denn drei ist die göttliche Zahl. „Eine dreifache Schnur zerreißt nicht so bald." Diese Zahl haben wir Gläubige sowohl für den Kampf als auch für den Dienst: „Angetan mit dem Brustharnisch des Glaubens und der Liebe und als Helm mit der Hoffnung der Seligkeit" (1. Thess. 5, 8).
Verse 13—16.
Handelt es sich um die Regierung der Menschen, so ist Jugend und Armut in Verbindung mit Weisheit der Macht und dem der Einsicht beraubten Alter vorzuziehen, das sich nicht mehr belehren läßt. Ein solcher Mensch ähnelt dem Sklaven und Armen, der unrechtmäßigerweise mit königlicher Würde bekleidet ist. Wie viele Beispiele bietet uns für diese Wahrheit die Geschichte der Königreiche! Selbst der Erfolg des Jünglings, der nach dem alten König kommt, dauert nicht an, denn die Gunst des Volkes ist unbeständig.
Der Schluß des Kapitels, schon von Vers 5 an, zeigt somit das bei der menschlichen Tätigkeit in moralischer Hinsicht Nützliche auf, aber trotzdem schließt der Prediger, daß auch das Eitelkeit und ein Haschen nach Wind ist.
Kapitel 5
Der jetzt beginnende sprichwörtliche Teil des Predigers fängt, genau genommen, im 5. Vers des 4. Kapitels an und findet seine volle Entfaltung im 10. und 11. Kapitel. Er scheint auf den ersten Blick einen Mangel an Zusammenhang in dem Aufbau dieses Buches zu verraten, aber, um sich von dem Gegenteil zu überzeugen, genügt es zu bemerken, daß auch dieser Teil, wie anfangs die zusammenhängende Rede, von dem Wort „Eitelkeit" beherrscht wird. Alle Sprüche des Predigers laufen in der Tat auf dieses eine Wort hinaus.
Verse 1—7.
Diese Verse setzen den Gedankengang der Verse 5 bis 16 des vorigen Kapitels fort, das heißt sie reden von dem, was unter der Sonne in Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes sein kann, und zeigen uns, was inmitten der Eitelkeit der Erde zur Furcht Gottes nötig ist (Vers 7). Die Furcht Gottes gehört, wie bereits gesagt, zu den Absichten des Predigers. Sie ist sogar die einzige Grundlage für das Verhalten des Weisen in einer Welt, in der alles Eitelkeit und ein Haschen nach Wind ist. Die Notwendigkeit dieser Furcht wurde bereits früher betont (Kap. 3, 14), und die letzten Worte des Buches werden uns zeigen, daß sie „der ganze Mensch" ist. In der Tat sollte dies auch das einzige Kennzeichen des durch den Glauben mit Gott in Verbindung stehenden Menschen sein, der aber ohne eine bestimmte Offenbarung von Ihm ist.
So finden wir in den ersten Versen, welcher Art das Verhältnis des Menschen zu Gott sein sollte, wenn er sich Ihm in Seinem Hause naht. Was er zuallererst zu tun hat, ist zu hören, was Gott ihm zu sagen hat, während die Toren in ihrer Unwissenheit über den Charakter Gottes nahen, um Ihm dort Opfer zu bringen, die in Seinen Augen wertlos sind.
Dann sehen wir (Verse 2—3), daß die Furcht Gottes uns nur wenig Worte machen lassen sollte vor Dem, der in den Himmeln ist, während der Tor gerade das Gegenteil tut. Endlich (Verse 4 — 7) ist es nötig, ein Gelübde zu erfüllen, das heißt einen freiwillig gefaßten Entschluß, sich Gott zu ergeben und Ihm zu dienen, zur Ausführung zu bringen. Man sündigt, wenn man ein Gelübde tut und es vor dem Boten Gottes, der Zeuge davon war, widerruft, indem man vorgibt, es sei ein unbeabsichtigtes Versehen gewesen. Der Tor handelt so, aber der Gottesfürchtige widerruft sein Wort nicht, das er Gott gegeben hat. Alle Beziehungen zu Gott vereinigen sich also in dem einen Wort „Furcht". Vergessen wir aber auch nicht, daß Eitelkeit selbst in der Behauptung liegen kann, man habe in Träumen direkte Mitteilungen von Gott erhalten. Denn der Traum ist oft, anstatt eine göttliche Offenbarung zu sein, nur eine Folge der Beschäftigungen des Tages (Verse 3 und 7).
Verse 8—9.
Diese beziehen sich auf die drei ersten Verse des 4. Kapitels. Der Weise braucht sich nicht zu wundern, wenn er den Armen bedrückt und das Recht mit Füßen getreten sieht, denn Gott achtet auf alle Ungerechtigkeiten, die in der Welt geschehen. Er ist der höchste Richter (PS. 11,5).
Verse 9—17
betonen von neuem die Eitelkeit des Reichtums und der Geldliebe im Gegensatz zum Ackerbau. Die Vermehrung der Güter vergrößert auch die Zahl der sich davon Nährenden, und der Mensch, der sie besitzt, genießt niemals die Ruhe, die dagegen dem süß ist, der in irgendeiner Art körperlich arbeitet.
Dieser ganze Abschnitt, bereits vom 4. Vers des 4. Kapitels ab, zeigt uns also neben dem Bösen und der Bedrückung in dieser Welt gewisse gute Folgen eines Verhaltens nach den Grundsätzen der Regierungswege Gottes.
Vom 13. Vers ab bis zum Ende des 6. Kapitels nimmt der Prediger wieder den Gegenstand der „schlimmen übel" auf, die er unter der Sonne gesehen hatte (Kap. 4, 1—3).
Der Reichtum ist denen zum Schaden, die ihn besitzen — wobei nicht zu vergessen ist, daß für den Juden der Reichtum ein Zeichen der Gunst Gottes war —, oder er geht auch verloren, und der Sohn, der ihn erben sollte, hat „gar nichts in seiner Hand". Schließlich verläßt der Reiche selbst durch den Tod seine Güter und geht nackt wieder von der Erde, so, wie er aus dem Leibe seiner Mutter hervorgekommen ist. Er wird geboren, um zu sterben, und zwischen Geburt und Tod liegen nur Finsternis, Kummer, Krankheit und Zernagen des Geistes.
Verse 18—20.
Endlich begegnen wir zum dritten Male (siehe Kap. 2, 24. 25; 3, 12. 13) dem Ergebnis all dieser bitteren und schmerzlichen Erfahrungen: „Siehe, was ich als gut, was ich als schön ersehen habe: daß einer esse und trinke und Gutes sehe bei all seiner Mühe, womit er sich abmüht unter der Sonne, die Zahl seiner Lebenstage, die Gott ihm gegeben hat; denn das ist sein Teil." Für den Menschen gibt es nur diesen kurzen, gegenwärtigen Genuß, denn in seiner Erinnerung bleiben nur Mühe und Arbeit haften, und die Zukunft ist ihm unbekannt. Erst am Ende dieses Buches sehen wir, worauf dieser Genuß hinausläuft.
Kapitel 6
Dieses Kapitel bildet die Fortsetzung des vorhergehenden, und es fährt fort, die „schlimmen übel" zu schildern, die man unter der Sonne sieht.
Verse 1 — 6.
Man sieht manchen mit Gütern überhäuften Menschen, der nichts von seinen Wünschen entbehrt. Aber Gott gibt ihm nicht die Möglichkeit, sie zu genießen; ein Fremder sättigt sich daran. Mancher andere hat eine zahlreiche Nachkommenschaft und erreicht ein hohes Alter, ist aber nicht mit Gütern gesättigt wie jener und stirbt, ohne daß ihm ein Begräbnis zuteil wird; selbst sein Leib findet keine Ruhe. Er könnte zwei Jahrtausende gelebt haben, ohne je das Glück gesehen zu haben. Alle enden durch den Tod. In der Tat, eine Fehlgeburt, die niemals den Tag gesehen hat, ist besser daran, als jene es sind (vgl. Kap. 4, 3).
Verse 7—12.
Der Prediger kommt wiederum zu dem Schluß, daß alle Mühe des Menschen auf einen materiellen Genuß hinausläuft, ohne daß Seine Begierde jedoch befriedigt wird. Der Weise hat vor dem Toren keinen Vorzug; selbst wenn er sein Leben einzurichten versteht, hat er nichts vor den anderen Menschen voraus. Wohin führt das alles? Das Anschauen ist besser als das Begehren. „Auch das ist Eitelkeit und ein Haschen nach Wind." Die Eitelkeit mehrt sich mit den Dingen. Der Mensch geht dahin wie ein Schatten, und wer kann ihm „kundtun, was nach ihm sein wird unter der Sonne"? Denn das unsichtbare Jenseits ist, bemerken wir es nochmals, im Prediger dem Menschen vollständig verschlossen. Absolute Ungewißheit umgibt ihn von allen Seiten alles ist Eitelkeit.
Kapitel 7
Der zunehmend sprichwörtliche Charakter der folgenden Kapitel macht es notwendig, sie mehr im einzelnen zu betrachten.
Dieses 7. Kapitel führt einen neuen Gegenstand ein, den man betiteln könnte: Das Verhalten der Weisheit in einer von der Sünde verdorbenen Welt, also inmitten von Eitelkeit, Kummer und Torheit.
Verse 1 —9.
Es gibt in dieser Welt gewisse Dinge, die besser sind als andere. Trotz Unordnung und Ruin will der Weise sich bemühen, sie zu ergründen, und er wird dabei seinen Gewinn haben. Einen ähnlichen Gedanken fanden wir bereits in Kapitel 4, 9 — 14. Hier stehen die vorzüglicheren Dinge in direktem Gegensatz zu dem, was die Welt schätzt und bevorzugt. Der Weise ist notwendigerweise abgesondert in einer Welt, wo der Tod, der Lohn der Sünde, herrscht. Aber selbst dieser Schauplatz bietet ihm „bessere Dinge"; es sind sieben, eine vollkommene Zahl.
1. „Besser ein guter Name als gutes Salböl." In Sprüche 22, 1 ist ein guter Name unter den Menschen vorzüglicher als großer Reichtum. Hier wird er mit den Augen Gottes betrachtet, und er ist vor Ihm besser als das Salböl, mit dem die Priester gesalbt wurden, um ihren Dienst zu verrichten (2. Mose 30, 23—33). Hiermit beginnt die Tätigkeit des Weisen.
2. „Und der Tag des Todes als der Tag, da einer geboren wird." Dieser Gedanke bildet die Fortsetzung des vorhergehenden. Der Tag des Todes ist, nachdem man ein Gott geweihtes Leben geführt hat, besser als der Tag des Eintritts in diese Welt. Dies hat in dem Weisen zweimal in seinem Leben den Wunsch aufkommen lassen, niemals geboren worden zu sein (Kap. 4, 3; 6, 4—5).
3. „Besser, in das Haus der Trauer zu gehen, als in das Haus des Gelages zu gehen, indem jenes das Ende aller Menschen ist; und der Lebende nimmt es zu Herzen." In dieser Welt, wo der Tod regiert, ist das Haus, in dem die Trauer eingezogen ist, besser als eines, in dem die Freude herrscht. Es geziemt sich für den Weisen, im ersten ein- und auszugehen, weil er sich dort in der Gegenwart der Wirklichkeit, des Endes aller Menschen, befindet als Folge der in dieser Welt herrschenden Sünde. Der Lebende nimmt es zu Herzen, indem er das Ende und das Ziel aller Arbeit des Menschen unter der Sonne sieht. Er nährt nicht Pläne und Hoffnungen, die der Tod zerstören kann.
4. „Besser Bekümmernis als Lachen; denn bei traurigem Angesicht ist es dem Herzen wohl. — Das Herz des Weisen ist im Hause der Trauer, und das Herz der Toren im Hause der Freude." Bei Bekümmernissen anderer zugegen zu sein und Tränen fließen zu sehen, ist für das Herz des Menschen besser, stimmt es zu Mitgefühl und veranlaßt es, Worte des Trostes zu spenden. Dies gilt nicht nur dem, der leiden sieht, sondern auch für den, der selbst leidet. Durch die Traurigkeit des Angesichts wirkt Gott an dem Herzen des Menschen, um ihn bessere Dinge finden zu lassen. So zubereitet, ist das Herz des Weisen im Hause der Trauer, an dem Ort, wo Mitleiden geübt werden kann. Das Herz der Toren kennt nichts von diesen Segnungen; die Freude
eines Augenblicks genügt ihnen. Und was bleibt ihm dann noch? Bildet das nicht gerade den Inhalt des Predigers? Der Trauernde wird von dem Herrn glückselig gepriesen, denn er wird getröstet werden (Matth. 5, 4). Für den Christen kommt ein Segen herab von dem Gott alles Trostes, und dieser Trost ist ewig (2. Thessalonicher 2, 16).
5. „Besser das Schelten der Weisen zu hören, als daß einer den Gesang der Toren hört. Denn wie das Geknister der Dornen unter dem Topfe, so das Lachen des Toren. Auch das ist Eitelkeit." Die Weisen benutzen die gemachten Erfahrungen dazu, ihre Mitmenschen auf den richtigen Weg zu bringen. Sie haben sich das Recht erworben, zu tadeln und zurechtzuweisen. Es ist besser, sie zu hören und aus dem Tadel Gewinn zu ziehen, als den Gesang der Toren, dem Ohr wohlklingende Laute, zu hören, in welchem aber nicht mehr Verstand ist als in jenen, die ihn ertönen lassen. Das Lachen des Toren ist nicht von Dauer, es erlischt schnell wie ein Dornenfeuer unter dem Topfe; es knistert und flackert nur einen Augenblick, und dann ist es wieder totenstill. Auch das ist Eitelkeit.
6. „Denn die Erpressung macht den Weisen toll, und das Bestechungsgeschenk richtet das Herz zu Grunde. Besser das Ende einer Sache als der Anfang." Für den Weisen bestehen zwei Gefahren in dieser Welt. Zunächst ist es die Erpressung, die ihn toll macht und zum Aufruhr reizt, wenn er alle die Ungerechtigkeiten sieht, die unter der Sonne ausgeübt werden (vgl. Kap. 4, 1 bis 3), und dann eine noch größere Gefahr, das Geschenk, durch welches er sich bestechen und zu den ärgsten Taten verleiten läßt. Dies sind übrigens stets die beiden von Satan benutzten Mittel, um die Menschen zugrunde zu richten: die Gewalttätigkeit und die
Korruption oder die List. Deshalb ist auch das Ende besser als der Anfang. Ein Herz, das ohne Zorn und Empörung mit dem Bösen zu tun gehabt hat, Geschenke verweigerte und sich nicht bestechen ließ, geht schließlich aus der Prüfung siegreich hervor. Das ist der Ausgang, den Gott im Auge hatte.*)
7. „Besser der Langmütige als der Hochmütige. Sei nicht vorschnell in deinem Geiste zum Unwillen, denn der Unwille ruht im Busen der Toren." In allen diesen Prüfungen hat der Weise Geduld gelernt und sich nicht gegen das Böse erhoben. Die Geduld ist immer demütig, friedfertig und sanftmütig, sie weiß zu leiden und erlangt so die Verheißungen (Hebr. 6, 15). Die Geduld ist der Charakter Christi. Wer geduldig ist, ist nicht vorschnell und gereizt.
Welch ein wunderbares Bild vom Leben des Weisen in Umständen, die als Folge der Sünde dazu angetan sind, seinen Zorn zu erregen, ihn zu reizen oder zu verführen! Er durchschreitet eine Welt, deren Charakter er wohl kennt, und in der er nur Leiden erwartet, aber auch siegreich ist, weil er Grundsätzen folgt, die allem entgegengesetzt sind, was die Menschen leitet.
Verse 10—12.
Es ist nicht weise zu sagen, daß die vergangene Zeit besser gewesen sei als die gegenwärtige, was alle Menschen zu denken geneigt sind, nicht aber die Weisen. Die Weisheit spricht nicht so, denn sie hat ein klares Urteil über den Zustand der Welt. Es stände auch in Widerspruch zu dem, was der Prediger uns lehrte, als
*) Dies ist wenigstens die Erklärung dieser schwierigen Stelle, die wir dem christlichen Leser unterbreiten.
er das furchtbare Wort „Eitelkeit" über alles aussprach, was seit dem Fall Adams unter der Sonne ist. Wenn auch alles verloren und verdorben ist, so bleibt doch noch etwas, was ebenso gut ist wie ein Erbbesitz: der Besitz der Weisheit Gottes. Sie ist vorteilhaft und gibt Schatten, wie auch im menschlichen Leben Reichtum Schutz gewährt. Sie ist in der Tat der einzige bleibende Reichtum, ja, noch mehr, eine Quelle des Lebens für den, der sie besitzt. Wieviel mehr können wir Christen sagen, „daß die Weisheit ihren Besitzern Leben gibt", die wir Christus, Gottes Weisheit, besitzen (1. Kor. 1. 24)!
Verse 13—14.
„Schaue das Werk Gottes an; denn wer kann gerade machen, was er gekrümmt hat? Am Tage der Wohlfahrt sei guter Dinge; aber am Tage des Unglücks bedenke:
auch diesen wie jenen hat Gott gemacht, damit der Mensch nicht irgend etwas nach sich finde."
Der Weise fährt fort, sich in einer von der Sünde beschmutzten Welt zu bewegen. Er begegnet in ihr sowohl den Werken Gottes als auch den Folgen des Bösen, das nicht gerade gemacht werden kann, nachdem die Dinge von der Sünde „gekrümmt" worden sind (Kap. 1, 15). Aber Gott läßt diese gekrümmten Dinge fortbestehen und macht von ihnen Gebrauch. Er hat das eine wie das andere gemacht, den Tag der Wohlfahrt, den der Mensch zu genießen aufgefordert wird, wie auch den Tag des Unglücks, der den Menschen zum Nachdenken bringt. Auf diese Weise wird der Mensch in Unwissenheit gelassen über das, was nach ihm sein wird. Eine solche Schlußfolgerung steht in völliger Übereinstimmung mit dem Buch des Predigers, das dem Menschen jeden Zugang zu den unsichtbaren Dingen versperrt, damit er die Eitelkeit der ihn umgebenden
Dinge erkennen möchte, deren Harmonie durch den Fall des Menschen vollständig zerstört worden ist.
Vers 15
bestätigt, was wir eben sagten: „Allerlei habe ich gesehen in den Tagen meiner Eitelkeit: da ist ein Gerechter, der bei seiner Gerechtigkeit umkommt, und da ist ein Gesetzloser, der bei seiner Bosheit seine Tage verlängert." Diese Tage der Eitelkeit, die das Leben des Weisen ausfüllten, haben ihn dahin geführt, den Gegensatz zwischen dem, was gekrümmt ist, und dem, was nach Gottes Gedanken sein sollte, zu erkennen. Die Gerechtigkeit des Gerechten bringt ihn zum Tode! Klingt das nicht wie eine prophetische Andeutung dessen, was Jesus selbst begegnen sollte? Andererseits gibt es einen Gesetzlosen, dessen Ungerechtigkeit seine Tage verlängert. Der Blick des Predigers ist immer auf das Geschehen „unter der Sonne" beschränkt. Wie sehr weichen z. B. die Psalmen von diesem Gedanken ab, wenn sie uns beschreiben, was der Gesetzlosen wartet!
Verse 16—18.
Diese Verse verfolgen den eben behandelten Gedanken weiter. Der Prediger hat von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit gesprochen und zeigt jetzt, daß es in beiden Dingen ein Übermaß geben kann, und welches die Folgen davon sind. Das Maß kann überschritten werden, auch wenn es sich um Gerechtigkeit und Weisheit handelt. In diesem Falle ist es nichts anderes als Hochmut, der uns diese Tugenden übertreiben läßt, um uns durch sie zu überheben. Nun, der Hochmut geht dem Falle voraus. „Warum", so fragt der Prediger, „willst du dich verderben?" Aber man kann auch übermäßig böse sein. Auch dieser Gedanke stimmt mit diesem
Buche überein, das uns die Welt so schildert, wie die Sünde sie gemacht hat, und für diese Unordnung keine neuen Grundsätze bringt, weil es keine Offenbarung gibt, die sie einführen könnte. Hier führt also das Übermaß an Ungerechtigkeit über den Menschen den Tod herbei, „ehe seine Zeit da ist". Welches auch immer der traurige Zustand der Welt sein mag, sie bleibt der Schauplatz der Regierung Gottes, der jedes Übermaß beim Menschen verurteilt und ihn die Folgen tragen läßt, besonders dann, wenn er seiner Ungerechtigkeit freien Lauf läßt. Wie treffend zeigt sich dies in dem gegenwärtigen Zustand der Welt, in der die Ungerechtigkeit des Menschen keine Grenzen mehr kennt. Dieser Zustand ist die Folge des völligen Mangels an Gottesfurcht. „Es ist gut, daß du an diesem festhältst und auch von jenem deine Hand nicht abziehst, denn der Gottesfürchtige entgeht dem allen." Hier wird zum dritten Male in diesem Buch die Gottesfurcht erwähnt (siehe Kap. 3, 14; 5, 7) als das einzige Mittel für den Menschen, vor dem Gericht in Sicherheit gebracht zu werden.
Vers 19.
Nachdem der Prediger sich vor dem Übermaß der Weisheit verwahrt hat, verkündet er laut deren Vorzüge: „Die Weisheit macht den Weisen stärker als zehn Machthaber, die in der Stadt sind." Sie ist nicht nur eine Quelle des Lebens für den, der sie besitzt, sondern der Weise findet in ihr auch die Kraft, deren er bedarf. Er ist durch sie gegen die Angriffe des Feindes weit mehr geschützt als eine Stadt durch zehn Mächtige.
Verse 20—24.
Hier lerne ich mich selbst durch die Weisheit kennen. Sie ist göttlichen Ursprungs und läßt mich wissen, wie
Gott selbst über mich urteilt: „Denn unter den Menschen ist kein Gerechter auf Erden, der Gutes tue und nicht sündige." Das gilt sowohl für den Weisen als auch für alle anderen Menschen. Hat der Weise allein Gutes getan? Hat er falsche Berichte angehört? Hat er sich von seinem Knecht fluchen lassen? Und wie viele Male hat er selbst nicht anderen geflucht! Wie oft, wenn er sagte: „Ich will weise werden", ist die Weisheit von ihm geflohen! Wie will er das durch Mangel an Wachsamkeit verursachte Böse wiedergutmachen?
Verse 25—29.
Der Prediger erzählt in diesen Versen seine eigene Geschichte, eine in der Tat bittere Geschichte. Er hatte sich befleißigt, wie er schon am Anfang seines Buches (Kap. 1, 17) sagte, Weisheit zu erkennen, und zu verstehen, daß Gesetzlosigkeit und Narrheit Torheit und Tollheit sind. Versuchung und Verführung traten durch das Weib an ihn heran (1. Könige 11, 4), aber anstatt ihnen zu entschlüpfen, sündigte er, den Gott so begnadigt hatte, und wurde die Beute der Verführerin. Er ist zu der erschütternden Feststellung gekommen, die „bitterer ist als der Tod", daß es nicht „ein Weib unter diesen allen" gibt, das nicht die Begierden gleich Netzen und Fangarmen auf sich zöge, und dessen Hände nicht Fesseln wären, um den Gefangenen festzuhalten, den es ergriffen hat. Und selbst einen Mann auf der Erde zu finden, der durch seine Weisheit oder Einsicht zu helfen vermöchte, welche kostbare Seltenheit! „Einen Mann aus Tausenden habe ich gefunden, aber ein Weib unter diesen allen habe ich nicht gefunden." Aber wenn auch das Forschen des Weisen ihn zu diesen traurigen Schlußfolgerungen führte, so hat er doch Nutzen davon:
„Allein, siehe, dieses habe ich gefunden, daß Gott den Menschen aufrichtig geschaffen hat; sie aber haben viele Ränke gesucht" (Vers 29). Der aus der Hand seines Schöpfers hervorgegangene Mensch war im Anfang aufrichtig. Der Prediger hat weiter oben gezeigt, daß die Schöpfung schön war (Kap. 3, 11), jetzt aber alles gekrümmt ist (Kap. 1, 15; 7, 13). Der Verfall ist hinzugekommen, nicht von Seiten Gottes, sondern durch die Schuld des Menschen. „Sie aber haben viele Ränke gesucht." So war es im Garten Eden, als „das Weib sah, daß der Baum gut zur Speise, und daß er eine Lust für die Augen, und daß der Baum begehrenswert wäre, um Einsicht zu geben". Welche „Ränke"! Und seit damals ist es so geblieben.
Kapitel 8
Vers 1
Die für den Prediger so demütigende Erfahrung, von der er soeben sprach, vermindert durchaus nicht den Wert der Weisheit. „Wer ist wie der Weise? und wer versteht die Deutung der Dinge? Die Weisheit des Menschen erleuchtet sein Angesicht, und der Trotz seines Angesichts wird verwandelt." Sie ist für den Menschen von unermeßlichem Vorteil, weil er durch sie die Deutung der Dinge besitzt, die unter der Sonne geschehen. Sie gibt ihm einen äußeren Schein, der Vertrauen erweckt und auch einflößt, denn die Weisheit macht demütig, und die Demut spiegelt sich in den Gesichtszügen wieder.
Vers 2—4.
So war es auch mit Salomo. Seine Autorität wurde durch seine Weisheit liebenswert, aber um so notwendiger war es, sich ihr zu unterwerfen und ihr zu gehorchen. Der König ist der Träger der Autorität Gottes, um das Böse zu bestrafen und das Gute zu belohnen. Es ist gut, mit ihm in ständiger Verbindung zu bleiben, um im Guten zu verharren und am Bösestun verhindert zu werden, denn Gott hat ihm die Macht anvertraut, damit er nach seinem Wohlgefallen handele, ohne jemand Rechenschaft schuldig zu sein.
Verse 5—7.
Diese Unterwerfung unter die Befehle der Obrigkeit schützt den Menschen vor allem Bösen. Hier ist von der
der Obrigkeit anvertrauten Regierung Gottes die Rede, die in ihren Grundsätzen wie in Römer 13, 1 —5 betrachtet wird. Der Weise selbst geht jedoch noch weiter. Er „kennt Zeit und richterliche Entscheidung, Denn für jede Sache gibt es eine Zeit und eine richterliche Entscheidung". Er weiß, daß er ihr gehorchen muß und es für die Ausübung der Autorität eine Zeit gibt, und daß der, der sie ausübt, Gott verantwortlich ist, und daß alle ins Gericht kommen werden (Kap. 3, 16. 17).
Bis dahin wird der Mensch jedoch infolge seines sündigen Zustandes in Unwissenheit gehalten über das, was kommen und wie es geschehen wird, denn das Jenseits ist ihm verborgen, wie wir schon so oft sagten.
Verse 8—11.
Indessen hat die dem König anvertraute Macht eine Grenze; sie hat keine Gewalt über den Geist, weder über den Geist des Menschen noch über den Geist Gottes. Der Geist ist frei. Ebensowenig hat der Mensch Gewalt über das Leben des Leibes. Gott ist es, der den Tag des Todes bestimmt, wenn dem auch manches entgegenzustehen scheint. Wer glaubt, sich durch seine Gesetzlosigkeit darüber hinwegsetzen zu können, wird sein Schicksal erleiden, dem er nicht entrinnen kann. Es gibt Zeiten, in denen die Autorität über die Menschen zu ihrem Schlechten ausgeübt wird, im Gegensatz zu dem im Anfang dieses Kapitels Gesagten. Denn dieses Buch hebt immer den Kontrast hervor zwischen dem, was Gott einst eingesetzt, und dem, was der Mensch daraus gemacht hat. Ebenso sieht man Gesetzlose, die mit allen Ehren begraben werden, während solche, die das Gute getan und vor Gott an „heiliger Stätte" gelebt haben, plötzlich diese Erde verlassen und aus dem Gedächtnis ihrer Mitmenschen verschwinden. Beachten
wir, daß hier, wie überall in diesem Buche, die Gegenwart Gottes sich auf die Erde beschränkt und zwischen dem Tode und dem, was nach ihm sein wird, ein Vorhang gezogen ist. Vergessenheit schwebt über den Toten, und der Prediger kann ausrufen: „Auch das ist Eitelkeit." Er verbindet hier seine Gedanken sozusagen mit seinem anfangs aufgestellten Leitsatz: „Alles ist Eitelkeit."
Verse 11—14.
Das Gericht über die Bösen kommt nicht sofort — die Wahrheit vom Gericht wird im Prediger stets aufrechterhalten —, weshalb die Menschen diese Straflosigkeit benutzen, um dem Bösen nachzusinnen und es auszuüben, und indem sie sich darauf verlassen, verlängern sie ihre Tage (vgl. Kap. 7,15). Aber wenn später Rechenschaft abgelegt werden muß, wird es denen wohlgehen, die Gott fürchten (vgl. Kap. 7, 18), während das Unglück des Bösen und sein schließliches Verderben dem Fehlen dieser Furcht zuzuschreiben ist. „Er wird, dem Schatten gleich, seine Tage nicht verlängern." Das scheint dem 12. Vers zu widersprechen, aber Gott widerspricht sich niemals. Im ersten Fall handelt es sich um den Anschein, als werde das Gericht an dem Bösen nicht unverzüglich vollzogen, im zweiten Fall ist es Gott, der dem Leben des Gesetzlosen ein Ende macht, sobald die Stunde des Gerichts für ihn gekommen ist. Er hat sich nicht vor Gott gefürchtet.
Je mehr man in dem Studium dieses Buches fortschreitet, desto deutlicher sieht man, daß die Furcht Gottes der einzige lichte Punkt in all den rätselvollen Fragen dieser Welt ist, die die Weisheit vergeblich zu ergründen sucht. Die Eitelkeit besteht hier darin, „daß es Gerechte gibt, welchen nach dem Tun der Gesetz
losen widerfährt, und daß es Gesetzlose gibt, welchen nach dem Tun der Gerechten widerfährt". Sich selbst überlassen, vermag die Weisheit den Grund dieser Tatsache nicht zu entdecken, weil sie auf den Kreis der sichtbaren Dinge beschränkt ist. Auch das ist Eitelkeit.
Verse 15—17.
Es bleibt also „für den Menschen nichts Besseres unter der Sonne, als zu essen und zu trinken und sich zu freuen" (vgl. Kap. 2, 24; 3, 12—13; 5, 18; 6,7). Ein trauriger Schluß, denn wo soll das enden? Das ist alles, was dem Menschen von seiner Arbeit bleibt. Der Mensch ist, trotz all seiner Mühe, unfähig, das Werk zu erfassen, welches unter der Sonne geschieht ; er muß es also Gott überlassen. Der Mensch kann es nicht verstehen, und selbst der Weise ist gezwungen, seine Unwissenheit einzugestehen.
Kapitel 9
Die Verse 1 — 12 dieses Kapitels bilden das entmutigende Ergebnis des im vorhergehenden Gesagten.
Verse 1 —10.
Die Seele ermüdet, den Forschungen der Weisheit in den Dingen dieser Welt zu folgen, und sie wird des Lebens überdrüssig. Der Gerechte und der Ungerechte, der Reine und der Unreine haben dasselbe Schicksal, sie müssen sterben. „Auch ist das Herz der Menschenkinder voll Bosheit, und Narrheit ist in ihren Herzen während ihres Lebens, und danach geht's zu den Toten. . . . Weder Liebe noch Haß kennt der Mensch im voraus. . . Sowohl ihre Liebe als auch ihr Haß und ihr Eifern sind längst verschwunden; und sie haben ewiglich kein Teil mehr an allem, was unter der Sonne geschieht" (Verse l und 6). Das Schweigen der Nacht umgibt sie. In dieses dem menschlichen Geist völlig verschlossene Gebiet kann die Weisheit nicht eindringen. Daher auch die Folgerung, daß es besser sei, in diesem Elend noch zu leben, als zu sterben. Ein lebendiger Hund, das verächtlichste Geschöpf, gilt mehr als ein toter Löwe, das im höchsten Grade edle und starke Tier. Der Lebende weiß wenigstens, daß er sterben muß; das ist wenigstens eine Gewißheit, wenn auch eine bittere, denn „die Toten aber wissen gar nichts". Zu solchen Schlußfolgerungen führt die größte menschliche Erkenntnis. Die Wissenschaft ohne die Offenbarung wird immer unglaubwürdig bleiben, weil sie nicht über den Tod hin aussehen kann. Was nützen also Tätigkeit, Arbeit, Liebe, Haß, Erkenntnis und Weisheit? Indessen bleiben für den Weisen, der in Verbindung mit Gott, dem Schöpfer, steht, noch zwei Dinge bestehen: die Furcht Gottes und die Gewißheit des Gerichts. Das Ende des Buches wird dies noch mehr bestätigen als der Anfang.
Augenblicklich (Verse 7 — 10) bleibt aber nichts. Was sage ich? Das Leben eines Tages mit seinen Genüssen, die es bietet, dieser vergängliche Schatten, ist von Wert: „Geh, iß dein Brot mit Freuden und trinke deinen Wein mit frohem Herzen; denn längst hat Gott Wohlgefallen an deinem Tun. Deine Kleider seien weiß zu aller Zeit, und das 01 mangle nicht auf deinem Haupte! Genieße das Leben mit dem Weibe, das du liebst, alle Tage deines eitlen Lebens, welches er dir unter der Sonne gegeben hat, alle deine eitlen Tage hindurch; denn das ist dein Teil am Leben und an deiner Mühe, womit du dich abmühst unter der Sonne." Diese Aufforderung, sich zu freuen, ist sie nicht noch bitterer als die Verzweiflung, wenn sie aus dem Munde eines Menschen kommt, dessen Weisheit, obwohl sie stets Gott zu gefallen suchte, die Eitelkeit aller Dinge bis in die verborgensten Winkel hinein untersucht hat?
Verse 11—12.
Der Weise wendet sich von neuem (siehe Kap. 4, 1 und 7) und sieht, daß alle, selbst die hervorragendsten Eigenschaften der Weisheit zu keinem Ergebnis führen. Alles endet schließlich mit einer plötzlichen Katastrophe.
Verse 13—18.
Endlich hat der Prediger unter der Sonne eine Weisheit gefunden, die ihm groß erscheint: Dank einem einzigen armen, aber weisen Manne ist es der ganzen Macht und allen Hilfsmitteln eines großen Königs nicht gelungen, eine kleine, hilflose Stadt zu zerstören. Dieser Arme wurde der Retter und Befreier dieser schutzlosen Wesen. „Da sprach ich: Weisheit ist besser als Kraft." Aber die Welt verachtete die Weisheit des Armen und hörte nicht auf seine Worte. „Kein Mensch gedachte dieses armen Mannes." — Welch unerwartetes Licht strahlt diese Stelle aus! Es gibt nur eine Weisheit, die den hilflosen, den Anschlägen Satans, seines Verderbers, preisgegebenen Menschen befreien kann. Diese Weisheit findet sich in Dem, den die Psalmen so oft den „Armen" nennen. Die Befreiung ist eine vollendete, durch Ihn vollbrachte Tatsache. Wird dieser Ruf gehört werden? Man muß ihn in der „Ruhe" hören, um das Heil zu finden.
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