Drei Kameraden

Francke ISBN 3 88224 404 6
Drei Kameraden Kristina Roy
Bei Ohm Filina
Konnte es irgendwo auf der Welt Kameraden geben, die sich inniger geliebt hätten als die drei, die dem alten Sennen Fiina zur Erziehung und Pflege anvertraut waren? Sie hießen Peter, Ondrejko und Fidel. - Filina, sie durften ihn 'Ohm» nennen, war zwar ein kluger, guter und zuverlässiger Mann, aber er war hit die jugendlichen Kameraden doch etwas zu düster. So hielten die drei desto fester zusammen.
Peters Eltern waren fast gleichzeitig an einem Fieber gestorben; darnach hatte die Gemeinde ihn irgendwo in Kost gegeben, und endlich war er zu Ohm Filina, einem entfernten Vetter seines Großvaters, auf die Alm von Gemersky gekommen. Dort, in der Sennhütte, war der Knabe zufrieden und wohlaufgehoben.
Ondrejko, den man dort, wo er früher war, Ondrasch von Gemersky genannt hatte, war auf Anordnung des Arztes zu dem alten Filina gekommen, damit das zarte Kind in der guten Gebirgsluft bei Molke und Schafkäse sich zu einem strammen Buben herausmachen möchte. Als der Kleine zwei Jahre alt war, hatten sich seine Eltern voneinander getrennt. Kurze Zeit hatte seine Mutter für ihn gesorgt, dann hatte sie Ihn zu fremden Leuten in Pflege gegeben und war selbst in
die Welt gezogen. Man sagte, sie sei eine berühmte Sängerin geworden. Der kleine Junge erinnerte sich aber ihrer kaum. Wohl war sie einmal auf Besuch gekommen, hatte wunderschön ausgesehen und ihm eine große Schachtel Süßigkeiten mitgebracht. Dazu hatte sie ihm ein Schaukelpferd, eine Trompete und wer weiß was alles geschenkt, aber darnach hatte er sie nie wiedergesehen. Wenn Ondrejko nach Vater oder Mutter gefragt hatte, war ihm immer wieder zur Antwort gegeben worden, daß er niemand mehr habe. Man hatte ihn dann in das Schloß von Gemersky gebracht, aber er war dort immer elender geworden. Zuletzt war er wie ein Flämmchen ohne Öl, das demnächst erlöschen würde. Gut, daß derDoktor eingriff und den Klei nen auf die Alm brachte. Man baute für das Kind eine Stube an die Sennhütte an, darin stand ein schönes Bett, weich und warm, das man vom Schloß herübergeschafft hatte, und vor dem hölzernen Anbau hatte man noch eine Bank für den Kleinen angebracht.
Der dritte Kamerad war Fidel, und der war vierbeinig. Er hatte auch einmal eine Mutter gehabt, eine brave Hündin, aber sie lebte nicht mehr; ein Wildschwein hatte sie zerrissen. Nunmehr begleitete Fidel, als dritter im Bunde, Peter und Ondrejko, wo diese beiden immer herumstrichen. Nur nachts, wenn Ondrejko in sein schönes Bett schlüpfte und Peter die Leiter zum Heuboden hinaufkletterte, die Fidel nicht erstei-:, gen konnte, legte sich dieser unter ihr zur Wache und schlief auch dort.
Ohm Filina, der alte Senn, war außergewöhnlich groß. Sein Gesicht war früh gealtert und streng, seine Zähne waren tadellos und weiß wie Milch, und sein Haupt zeigte noch kein graues Haar. Nur die dichten Augenbrauen waren leicht ergraut. Aber wenn er sie über den schwarzen Adleraugen zusammenzog, die so weit in die Ferne blicken konnten, dai war es, als sähe man eine Gewitterwolke über dem Berg stehen. Und diese Gewitter fürchtete ein jeder, nicht nur die beiden Knaben, sondern auch die Sennen, ja auch die Herde und die zottigen, vierbeinigen Hüter der Almen. Ohm Filina wurde nicht leicht böse, wenn aber - dann wehe! Obwohl Ondrejko der Sohn seines Herrn war, ließ er auch ihm nichts durchgehen. Der Knabe war nicht an Gehorsam gewöhnt; l7ilina lehrte ihn diese schwierige Kunst, obwohl er ihn weder anschrie noch ihn mit einem Finger berührte. Als der 1-lerr Doktor ihn herbrachte, hatte er zu dem Alten gesagt: «Der Knabe muß Schwarzbrot essen und Milch trinken; aber er ist an Leckereien gewöhnt; es wird ihm schwerfallen. Er muß sich mit kaltem Wasser waschen; aber er steht mit dem Wasser auf Kriegsfuß. Sie dürfen keine Rücksicht darauf nehmen, daß er ein Gemersky ist; es handelt sich um seine Gesundheit.»
«Ach was», hatte der Ohm stirnrunzelnd entgegnet, «mit solch einem Knirps werde ich doch noch fertig werden.» Und er wurde fertig. In den ersten Tagen wagte es Ondrejko nicht, sich dem großen Mann irgendwie zu widersetzen; und jetzt? - Ach, wo wäre ihm das auch nur eingefallen! Die Knaben hatten ja keinen lieberen Menschen auf der Welt als Ohm Filina. Tagsüber kümmerte er sich nicht viel um (las, was sie trieben; aber wenn der Abend hereinbrach und sie die Herden eintrieben, dann saß er mit ihnen in Gottes schöner Natur vor der Sennhütte, und da durften, ja mußten sie ihm alles sagen. Sie saßen beide neben ihm, der eine zu seiner rechten, der andere zu seiner linken Seite, und Fidel legte seinen zottigen Kopf auf das Knie seines Herrn und blickte so klug drein, als wollte er auch beichten, was er alles tagsüber getrieben hatte; denn auch er war noch jung und ein sehr lustiger Geselle. An Nase und Ohren sah man

es ihm an, daß er noch dumm war. Oft war sein Fell gan zerrissen, nur darum, weil er mit den alten Hunden, Belkc, und Zahraj, Händel gesucht hatte.
Als der Ohm die Knaben alle beide zum erstenmal zum Schlafen auf dem Heuboden fand, zog er die Augenbrauen hoch, und sie erschraken nicht wenig vor dem, was da kommen würde; aber es kam nichts. Er befahl nur, daß Ondrejko sich ein Leintuch über das Heu breiten und sich warm zudecken solle. So schliefen die zwei Buben gar gut in dem duftenden Heu.

Des Teufels Rat
Es war an einem Sonntagnachmittag. Feiertägliche Stille lag auf den Wäldern, durch die die kleinen Kameraden Hand in Hand dahinschritten. Sie waren sauber gewaschen und festtäglich gekleidet, denn Ohm Filina duldete nicht, daß jemand denSonntag entheiligte. Jeder, der nur irgend konnte, mußte zur Kirche gehen, obwohl es fast zwei Stunden Wegs dahin war. Et selbst konnte nur selten mit, denn er war zu weiten Wanderungen nicht fähig. Einst war ihm im Wald ein Baumstamm auf den Fuß gefallen, der ihn seitdem oft schmerzte. Heute aber war er in der Kirche gewesen, und die Knaben gingen ihm entgegen. Er hatte ihnen aufgegeben, das Evangelium des heutigen Sonntags auswendig zu lernen. Nun hörte einer den anderen ab. Plötzlich verstummte Peter, zog Ondrejko am Ärmel und zeigte mit einer stummen Bewegung auf einen gefällten Baumstamm im Walde. Darauf saß OhmFiina, den Kopf in beide Hände gestützt, als drücke Um etwas bis in die schwarze Erde hinab.
«Wir wollen nicht zu ihm geben», rief Peter, «er ist traurig.»
Ondrejko nickte. «Aber», sagte er nach ein paar Augenblicken, «vielleicht wird er wieder froh, wenn wir kommen!»
Das Reisig knisterte unter den bloßen Füßen der Knaben. Der Ohm hörte es und blickte auf. Die Kinder blieben stehen. Sollten sie zu ihm gehen oder nicht?
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«Wohin geht ihr? » rief er ihnen zu. Sie liefen herbei. «Ach, nur Euch entgegen, Ohm.»
«So? Warum seid ihr mir denn entgegengekommen? » Die sonst so rauhe Stimme klang heute ganz anders.
«Weil wir Angst um Euch hatten», bekannte Ondrejko schüchtern. Und schon setzten sie sich auf die moosigen Kissen zu des Mannes Füßen.
«Warum seid Ihr so traurig dagesessen, Ohm? » Peter blickte Ondrejko, der diese Frage gewagt hatte, ganz erschrocken an. Wie, wenn der Ohm nun böse werden würde?
«Du denkst, daß ich traurig war?» Der Ohm streichelte das blonde Haar des Knaben, das, von der Sonne beleuchtet, das 'blasse Kindergesicht gleich einem Heiligenschein umgab.
«Wart Ihr es nicht?» Die blauen Augen des Knaben versenkten sich 'in die schwarzen Adleraugen des Mannes.
«Nun ja, mein Kind, ich war traurig, und ihr habt gut daran getan, daß ihr mir entgegengekommen seid. Während wir hier ruhen, könnt ihr mir das Evangelium aufsagen, ob' ihr es auch ordentlich gelernt habt.»
Die Knaben sagten einer nach dem anderen die Geschichte von dem reichen Mann und dem armen Lazarus her.
«Ohm», fragte Peter, «warum hat der reiche Mann dem armen Lazarus nicht geholfen?»
«Warum? Weil er ein Herz von Stein hatte. Jene Hunde, waren besser als er. Kinder, merkt euch das, und tut niemals' einem Vöglein oder sonst irgendeinem Tier ein Leid an. Sie sind alle besser als wir. Aber nun kommt! »
Der Ohm nahm Ondrejko bei der Hand und gab Peter das Gesangbuch zu tragen, und so gingen sie durch den Wald' nach Hause. Von der Mm herab vernahm man die Herden-glücken und ab und zu ein ungeduldiges Bellen Belkos und', ein Heulen Zahrajs; und dazu erklang Stevos, des jüngsten 1 litten, Flöte. Er blies mit vollen Tönen ein slowakisches 1 icbeslied.
«Rühr dich nicht, Liebchen, und reg dich nicht, daß niemand mich bei dir erblickt;
finden sie mich allhier bei dir,
nehmen sie Hütlein und Ränz'lein mir.
Nehmen den Hut mit Federlein,
den Mantel mitsamt den Blümelein,
nehmen mir, Liebchen, am End auch dich -
und ohne dich, was mache ich? »
Und von den Felsen kam das Echo.
Den Knaben gefiel die Musik. Sie kannten auch die Worte ‚lcs Liedes. Aber der Ohm senkte sein Haupt, als drückte ihn eine schwere Last.
Nachdem das einfache Abendessen vorüber war, saßen sie wieder wie gewöhnlich vor der Sennhütte. Der Ohm saß auf einem Baumstamm, die Knaben zu seinen Füßen. Einer blickte den anderen an, ob sie es wagen sollten, ihn um eine Geschichte zu bitten. Er kannte 'gar viele Geschichten, und wenn er guter Laune war, konnte er sehr schön erzählen.
«Bitte, Ohm, wollt Ihr uns nicht etwas erzählen?» bat endlich Ondrejko und blickte den Alten so 'bittend an, daß er ein sehr harter Mensch hätte sein müssen, um es ihnen abzuschlagen.
Der Ohm fuhr aus seinem Hinbrüten auf und sah ein Weilchen in diese schönen, bittenden Augen. Dann seufte er tief auf und sagte:
«ihr habt mich gefragt, warum ich traurig sei? Nun, das, woran ich in den Tagen um Johanni herum bei Tag und Nacht denken muß, ist auch eine Geschichte, aber eine sehr traurige.»
«Erzählt, Ohm», baten die Knaben eifrig, und Fidel, der
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überall dabei sein mußte, legte den Kopf auf seines Herrt Knie.
«Ich war vor Jahren auch so ein Knabe wie ihr seid. Da mit ihr aber wißt, wie ihr niemals werden dürft, wenn ih den lieben Gott nicht sehr erzürnen wollt, will ich heut etwas von mir erzählen, was ich noch keinem Menschen au der Welt gesagt habe», begann Ohm Filina. Er hielt eir wenig inne, und die Knaben warteten gespannt auf die Fort setzung.
«Als ich fünf Jahre alt war, starb meine Mutter. Dei Vater brachte eine zweite Mutter ins Haus. Sie war eine nette junge Frau, eine Witwe. Mit ihr kam auch ihr Sohn aw erster Ehe; wir nannten ihn Istvanko. Wenn ich dich ansehe Ondrejko, dann habe ich ihn immer vor Augen, wie er zurr erstenmal in unsere Hütte eintrat: ein rundes Hütchen mii langen Bändern auf dem Kopf, den kleinen slowakischer Mantel über die Schulter geworfen, in buntgesticktem Hemd. chen und weiten Beinkleidern. Er hätte auch auf ein Heiligenbildchen gepaßt, so schön und lieb war er. Ich war Vaten Jüngster; alle älteren Kinder waren ihm gestorben. Ich hattt niemals einen Bruder gehabt, und nun war er gekommen - und sollte mein Bruder sein. -. Ihr habt euch lieb, das weill ich. Auch das erinnert mich an meine Kindheit. Aber so, wie ich ihn liebte, können sich selbst leibliche Brüder nicht lieben. Im Alter waren wir gleich; aber ich war stark, er schwach; ich wild, er sanft; ich häßlich, er hübsch. Trotzdem hatten wir uns sehr lieb, und unsere Eltern waren nicht wenig froh darüber. Ihn konnten sie unter meiner Obhut lassen; denn sie wußten, daß ich ihn beschützte; und mich ließen sie gern unter seiner Aufsicht, denn wenn er bei mir war, wurde ich gleich sanfter. 0 daß es doch immer so geblieben wäre! Aber ein Sprichwort sagt nicht mit Unrecht: ‚Wohin der
Teufel nicht kann, dorthin schickt er ein altes Weib.' Auch '.0 uns schickte er eins. Es war eine Verwandte meines Vaters, deine Urgroßmutter, Peter. Sie kam einmal zu uns, und dann nahm sie mich beiseite und fragte mich aus, ob mich die Mutter lieb hätte. Und dann bedauerte sie mich und nannte mich ein armes Waisenkind. Denn wer eine Stiefmutter habe, der habe zugleich einen Stiefvater, und Vater hatte mich nicht so lieb wie Istvanko. Sie war nicht lange bei uns. So plötzlich, wie sie gekommen, war sie verschwunden, aber sie hatte meine Liebe zu Istvanko mitgenommen. Da ich nämlich sehr wild war und viele lose Streiche machte, mußte mich mein Vater häufig strafen. Istvanko hingegen strafte er nicht, denn der tat alles, was er Vater und Mutter von den Augen ablesen konnte. Ich mußte immer an die Worte der alten Frau denken, daß der Vater mich strafte und ihn nicht, weil er ihn lieber hätte und weil die Mutter für ihn Fürsprache einlegte, während ich niemand hätte. Und dabei hatte die Mutter gar oft für mich gebeten. Sie war eine sehr gute Frau und hätte mir niemals etwas zuleide getan. Aber ich wollte, daß sie mich so lieb, ja noch lieber haben sollte als ihren Jungen, und das konnte eben nicht sein. Nun, so wuchs meine Bitterkeit und mein Neid mit den Jahren, bis wir so groß waren wie ihr beide. Und jetzt kommt das Traurige, das ich nie mehr vergessen kann und das mich heute noch zu Boden drückt.»
Der Ohm zeigte auf den gegenüberliegenden Hügel. «Seht ihr jene Höhe?»
Die Knaben nickten. «Dort unter jenem Hügel haben wir dereinst gewohnt. Und seht ihr, dort im Westen, wo gerade die Sonne untergeht, dort auf jener Alm wohnten die Webersleute, zu denen sie aus allen umliegenden Hütten die Wolle zum Weben trugen. Zu dieser Mm führten zwei
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Wege; einer führte über eine Lichtung an hohen Felsen vor bei, bergauf und bergab. Der andere ging durch ein tiefes Tal und war bequemer, aber auch gefährlicher, denn dort befand sich ein Moor, aus dem ein Wanderer, wenn er da hineingeriet, allein nicht wieder herausfinden konnte. Au dem Moor ragten einzelne moosbewachsene Felsblöcke her. aus, und wer den Weg ganz genau kannte und geschickt und leichtfüßig genug war, der konnte auf diesen Steinen hinüberkommen, obwohl es jedem war, als zöge ihn eine unheimliche Macht hinab in die Tiefe. Eines Tages sandten uns unsere Eltern mit Wolle zum Weber. Beim Hinweg gingen wir über die Lichtung, wie uns befohlen war. Als wir unsere Sache beim Weber ausgerichtet hatten, gab mir Istvanko einen Apfel, den ihm die Webersfrau geschenkt hatte, und bemerkte, daß er ja noch einen von der Mutter in der Tasche hätte. Mir hatte die Mutter nichts auf den Weg mitgegeben, denn ich hatte mich nicht von ihr verabschiedet und sie hatte mich gar nicht gesehen, als ich mit meinem Bündel aufbrach. Aber nun, wo mir die Webersfrau auch nichts gegeben hatte, tat es mir so weh, und ich wurde so zornig, daß ich den Apfel wegwarf und am liebsten geweint hätte. Also hatte die alte Frau doch recht gehabt, aus mir machte sich niemand etwas, weder daheim noch sonstwo. Jeder hatte nur Istvanko lieb, und SQ würde es immer sein. Ich habe sagen hören, daß der Teufel in der Welt ufnhergeht, obwohl wir ihn nicht sehen, und uns zuflüstert, was wir denken und tun sollen. Ob das wahr ist, weiß ich nicht. Aber bei mir war er damals, und er gab mir einen schändlichen, satanischen Rat, das weiß ich. Nur er konnte mir ihn geben. Als wir weitergingen, sagte ich zu Isrvanko: ‚Über den Berg ist es zu weit; wir wollen den unteren Weg gehen, der ist näher.'
‚Aber die Mutter hat gesagt, daß wir über die Lichtung MrI1c11 sollen', wehrte er, ‚und der Vater hat noch aus dem 1 lof gerufen: Daß ihr mir nicht durch die Wiesen geht!' - Aher als wir an den Kreuzweg kamen, schlugen wir dennoch iku unteren Weg ein. Ich hatte ihm geklagt, daß mir der VtiR weh täte, daß ich mir die große Zehe verletzt und einen 1 oiii eingetreten hätte. Istvanko bedauerte mich und meinte, wt'nn wir das den Eltern sagten, würden sie uns gewiß nicht NC liciten, daß wir unten gegangen seien. Und auf dem weit eti Moos ging es gar fein, bis wir an das Moor kamen.
‚Siehst du, du mußt so von Fels zu Fels springen', rief ich und, eilte voraus; er eilte mir nach bis fast ans Ufer. Dort kam nur noch ein Fels. Ich war größer, meine langen Beine ugen mich hinüber. Daß er nicht hinübersprirlgen konnte, wußte ich. Aber es waren ja noch die schwimmenden GrasI,iichel da; ich rief ihm, über diese hinüberzugehen. Er gelnwchte und ging über zwei; das dritte begann unter seinen !'iißvn nachzugeben. Er sprang wieder auf den Felsen zurück.
‚Bleib stehen!' rief ich ihm zu. ‚Hier in der Nähe wohnt tlt'r. Waldhüter. Ich hole ihn; er wird dir helfen.' Und ich lirf davon, so schnell ich nur konnte, - aber nicht zum 1 lause des 'Waldhüters.
‚1.eterchen, geh mir nicht fort, ich fürchte mich!' rief Istvutuko mir nach, und gleich darauf ertönte der Aufschrei: ,Mütterchen!'
1)iesen Schrei habe ich Jahre hindurch Tag und Nacht rIiört, ich höre ihn heute noch und werde ihn wohl noch in der Todesstunde, ja in der Ewigkeit hören. Ich war noch ein kleiner, aber ein böser Junge und in jener Stunde hart wie ein Stein. ‚Er ist sicher hineingefallen und ertrunken', Nagte ich mir. ‚Nun wird ihm niemand mehr Apfel geben, und die Leute werden mich und nur mich liebhaben.' Ich
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begann zu laufen, bis mir der Atem ausging und die FiJ den Dienst versagten. Einsam und verlassen lief ich dun die Berge, wie einst Kam, der seinen Bruder erschlagen hat und vor Gottes Angesicht floh. Aber mit einem Mal b mächtigte sich meiner ein wilder, unaussprechlicher Schmer denn dieselbe Stimme, die mir zuvor ins Ohr geflüstert hatt ‚Ertränke ihn dort im Sumpf, die raunte mir jetzt zu: ‚E kannst nicht nach Hause - was willst du sagen, wenn s dich nach Istvanko fragen?'
Erschöpft und hungrig warf ich mich zu Boden und bra< in bitterliches Weinen aus, und endlich schlief ich ein. 1: Morgengrauen kamen Holzfuhrleute; die fanden mich, c kannten mich, luden mich auf ihren Wagen und bracht< mich bis vor unser Haus. Als sie mich dort aufrüttelten ur absetzten, war ich so verschlafen, daß ich mich nicht glei auf das besinnen konnte, was gestern geschehen war. Ich ii in den Hausflur und öffnete die Tür. So oft die Sonne au ging, schien sie immer zuerst in unsere Stube, - so war, auch heute. Sie schien auf Vaters Beet - und - -» Der 0h hielt inne, die Tränen liefen ihm über die Wangen herab.
«Weiter, Ohm, was war da?» baten die Knaben.
«Dort auf dem Bett, von der Sonne beleuchtet, lag w ein Engelchen unser Istvanko und schlief. Die Mutter so am Bett. Mir sauste es in den Ohren, dann wurde mir schwai vor den Augen, und wäre Vater nicht herbeigesprungen, ui mich aufzufangen, so wäre ich zu Boden gesunken. Es daueri lange, bis ich aus meiner Ohnmacht erwachte.»
«Also war er nicht ertrunken?» jubelten die überraschte
Knaben. «Er war nicht in den schwarzen Sumpf gefallen?
«Doch, Kinder, er war hineingefallen, und es war kei
Mensch da, der ihn hätte retten können. Aber wir hatte
einen großen Hund namens Belko, der, so wie Fidel m
euch, immer mit uns herumlief. An dem Tag hatten wir ihn ii Hause gelassen, aber er war uns nachgelaufen, hatte unNere Spur gefunden, und Gott selbst hatte ihn in dem Augenblick gesandt, als der Stein unter Istvanko nachgab und er kts Gleichgewicht verlor und hineinstürzte. Belko hatte ihn bei den Haaren gefaßt, ans Ufer gezogen und so lange gebellt und geheult, bis er den Waldhüter herbeigerufen hatte. Die-er hatte [stvanko zum Bach getragen, ihn abgewaschen und tliunit aus seiner Ohnmacht erweckt und dann nach Hause gebracht.
Ich erwartete, daß Vater mich strafen würde; aber er Strafte mich nicht. Mütterchen küßte mich unter Tränen und brachte mir ein Frühstück. Die Eltern waren um mich in großer Sorge gewesen. Sie dachten, ich wäre ertrunken, weil ih nirgends zu finden war. Ich konnte sehen, daß sie mich beide sehr lieb hatten, aber es freute mich nicht. Immer furchtete ich, daß es an den Tag kommen könnte, was ich hatte tun wollen. Sie sind schon in der Ewigkeit; sie haben schon alles erfahren, und ich kann ihnen nicht mehr abbitten, denn nach dem Tod gibt es keine Vergebung. Istvanko IluLt niemals verraten, daß ich ihn verleitet hatte, jenen Weg zu gehen. Und wir hatten uns seit jener Zeit wieder so lieb wie zu Anfang. Ich beneidete ihn weder um Vaters noch um Mutters Liebe mehr. Ich wußte und fühlte ja, daß sie mich lieb hatten, aber ebenso auch, daß ich ihre Liebe nicht verdiente.
Belko konnte ich nicht einmal ansehen; immer quälte es mich, daß er, der Hund, Istvanko gerettet harte und daß ich ihn hatte ertränken wollen. Aber obwohl er damals nicht ertrunken ist, hat der heilige Gott ihn weggenommen, und über mir ist sein Zorn heute noch. Darum sage ich: Tut niemals den Tieren ein Leid, sie sind besser als die Menschen.
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Sie sind Gottes Geschöpfe, die Gott niemals erzürnen, s dern ihm gehorchen. - Aber nun geht schlafen! »
Obwohl die Knaben noch viele Fragen auf dem Her hatten, sagten sie gehorsam «Gute Nacht!». Aber als auf ihrem Heuboden lagen, erzählten sie sich von Istvan wie er über das schlüpfrige Moor gegangen war, wie Stein nachgab, wie er hineinstürzte, und wie Belko ihn rett
«Aber mir ist es um Ohm Filina noch mehr leid», sa Ondrejko. «Er kann das niemals vergessen; immer schm es ihn - und daß der liebe Gott ihm zürne.»
«Und wo mag nur Istvanko sein?» fragte Peter. «Wt er damals so groß war wie der Ohm, muß er auch schon alt sein wie er! »
«Vielleicht wird er uns noch ein anderes Mal von il erzählen.»
Der neue Freund
In dieser Woche hatte Ohm Fiina viel Arbeit, und obwohl tr sich um die Knaben nicht zu kümmern schien, taten diese iillcs, was sie ihm nur an den Augen absehen konnten. Am Dienstag kam der Herr Doktor, um nach Ondrejko zu sehen. Lind als dieser ihm erzählte, daß er nun mit Peter auf dem 1 kuboden schlafe, freute sich der alte Herr:
«Recht so, Junge, das kann dir nur gesund sein; dein Vater i« zwar ein großer Herr und ein großer Magyar, aber alles hin seine Zeit. Wir werden es noch erleben, daß die Tatra und diese Berge wieder slowakisch werden und daß du da, wo dein Urahne als guter Slowak gelebt hat, auch als Siowak hausen wirst. Lerne nur die Sprache deiner Väter und behalte ikn Heimatboden lieb, den sie einst bebauten.»
Die Knaben verstanden ihn nicht, aber sie fühlten, daß er riu gut mit ihnen meinte.
Der Abend kam. Der Doktor wollte bei ihnen im Heu %(-lilafen. Am Morgen trank er Molke, aß guten Käse und forderte die Knaben auf, ihn bis zum Frauenfelsen zu beMietten. Unterwegs fragte Ondrejko nach seinem Vater. Er liSrte, daß dieser jetzt in Paris wohne und dieses Jahr nicht zur Sommerfrische herkommen wolle. Der Knabe atmete unif, denn er ahnte, wenn sein Vater käme, dann müßte er fort von Ohm Filina, fort von Peter, und dazu hatte er nicht
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Inhalts-Verzeichnis
Seite
Bei Ohm Filina    5
Des Teufels Rat    9
Der neue Freund    19
Das Bekenntnis    24
Ein guter Gedanke    34
Fröhliche Helfer    45
Das Erkennen    51
Suchende und Gefundene    68
Lieder der Vergangenheit    7
Die Wahrheit komint an den Tag    84
Das Wiedersehen    93
Große Pläne    104
Er macht alles gut    110
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