Glückliche Menschen

Francke ISBN: 3 88224 472 0
Glückliche Menschen Kristina Roy
Edition C, Nr. H 28
Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibet, der bleibt in Gott und Gott in ihm (1. Joh. 4,16)
1.
Zwischen Nimnitz und Topolova stand von altersher eine schmiede. Sie gehörte der Familie Biely und war durch mehrere Geschlechter hindurch stets vom Vater auf den Sohn vererbt worden. Doch der letzte Biely hatte keinen Sohn. Die Tochter Heiratete einen Schlosser in Budapest; ihre Söhne besuchten höhere Schulen, und so wurden aus ihnen Herren, die ihre Muttersprache, ihre Heimat und die Volkssitten vergaßen. Nur einmal erinnerten sie sich daran, nämlich als der alte Biely starb und sie seine Hinterlassenschaft verkaufen sollten.
Die Schmiede kaufte ein auswärtiger Schmied, ein junger stattlicher Mann, wie man nicht sogleich wieder einen hätte finden können. Bald merkten die Leute, daß er ein tüchtiger Handwerker war, besonders für Schneidewerkzeug. Man lobte ihn im Gebirge beim Mähen, und die Fuhrleute rühmten, daß er die Pferde gut beschlage. Nur eins tadelten sie an ihm, nämlich daß er heiraten wollte, und zwar ein armes Mädchen aus seinem Dorf.
«Was fällt ihm nur ein?» redeten die Leute; «bei uns hätte er manches reiche Mädchen kriegen können. Das Stückchen verwahrlostet Garten und das seit Jahren unbearbeitete Feld, das ihm gehört, damit kann er sich noch jahrelang herumplagen, bis es ihm etwas trägt. Vom Handwerk kann doch heutzutage niemand leben. Und da nimmt er sich eine arme Frau und noch einen alten Schwiegervater als Zugabe! » Als der Schmied mit seiner jungen Frau einzog, da schüttelten die Männer wohl die Köpfe, aber sie kritisierten ihn nicht mehr. Die Frauen zogen die Achseln hoch: «Hübsch ist sie, und sie passen zueinander; aber von der Schönheit wird man nicht satt.»
 
Da kamen von Topolova nach Nimnitz Nachrichten, über denen die Leute von Nimnitz für eine Zeitlang sogar ihren Schmied Adam Dubrawsky und seine Anitschka vergaßen. Vor einem Jahr war der letzte Herr von Topolova, der Besitzer des Schlosses und des ganzen Gebietes, gestorben. Er hatte eine einzige Tochter hinterlassen, die jetzt einen reichen Mann heiratete, der alles zurückkaufte, was der alte Herr den Händlern und den Bauern hatte verkaufen müssen. Er kaufte auch das Schloß Topolova, und die Leute setzten hinzu, daß er mit dem Besitztum auch die Frau gekauft habe. Anders konnte man es sich nicht erklären. Er war schon ein Vierziger, eine stattliche Erscheinung, aber kein Graf; er hatte früher Brücken und Eisenbahnen gebaut und war dabei reich geworden; sie eine neunzehnjährige Gräfin, aufgewachsen unter Grafen und Baronen, die nie einen solchen bürgerlichen Menschen beachtet hätten.
«Der Herr Baumeister Rudohorsky ist ein glücklicher Mann und ein kluger Herr», belehrten die Händler die Leute. «Den Reichtum hat er schon; jetzt wird ihm die Frau die vornehme Welt erschließen, seine Kinder werden einmal große Herren sein.»
Wenn jetzt die Leute am Schloß Topolova vorbeigingen, blieb jeder eine Weile stehen und dachte, was für ein glücklicher und kluger Mensch dort wohne.
«Ach, daß unser Herrgott manchen Leuten alles schenkt, was sie nur wünschen! Du betest und arbeitest und hast nichts davon! So einer betet nicht und arbeitet nicht und hat doch, was eine Seele», pflegte die alte Müllerin zu sagen. Wenn die Leute den Herrn Rudohorsky in seinem neuen Wagen mit der Frau Gräfin ausfahren sahen, dachten sie an die Worte der Müllerin und gaben ihr recht.
Herr Rudohorsky begann neben dem Schloß neue Wirtschaftgebäute zu bauen; er legte einen neuen Park an und einen großen Obstgarten.
In dem neuen Park wurde ein Teich ausgeschachtet; auf den Wiesen neben dem Schloß legte man Kanäle unter der Erde, damit durch diese das Wasser von den Sümpfen in den Teich abfließen konnte. So gab es Arbeit genug, und die Leute konnten viel verdienen.
Die Frauen brachten ihren Männern das Mittagessen nach Topolova und sahen mit eigenen Augen, wie viele Gaste die Frau Gräfin hatte.
In dem alten Park spazierten reichgekleidete Damen und Herren in Militäniniformen.
«Glückliche Menschen! » seufzten die Frauen und hatten zu Hause Stoff zum Erzählen.
Das junge Paar fing inzwischen an, sein Nest auszubessern, und wer in die Schmiede kam, wunderte sich, wie gut es ihnen ging.
Der alte Krischko besserte dem Schwiegersohn das Dach aus und reparierte ihm die Fenster; Anitschka holte mit dem Vater aus der Ziegelei gelben Lehm und flickte damit die Löcher im Hause; dann weißte sie die Wände. Sie reinigten zusammen den vernachlässigten Hof, gruben das Gärtchen und den Obstgarten um und später das Feld.
Wenn Adam nicht immer wieder abgerufen worden wäre, hätten sie das Feld an einem Tage fertigmachen können, aber das Handwerk ging doch vor, und Arbeit gab es viel.
Einer aus Nimnitz riilunte in Topolova, was für einen guten Schmied für Schneidehandwerkszeug sie hätten. Bald begannen alle Zimmerleute und die Arbeiter vom Schloß ihre Äxte, Beile, Hacken, Schaufeln hinzutragen, so daß unserem Adam die Zeit fast nicht mehr ausreichte.
«Wie gut ist es, daß ich Euch, Vater, hier habe!» pflegte er zu seinem Schwiegervater zu sagen. «Für nichts brauche ich zu sorgen; wenn ich mich um die Feldarbeit kümmern müßte, so würde ich bald meine Kundschaft verlieren; arbeitete ich aber nur für die Leute, so würde mir die Hütte überm Kopf zusammenfallen. Schont mir nur, bitte, meine Artitschka; ich möchte nicht, daß sie sich gleich überarbeitet, nachdem sie mich eben erst geheiratet hat.»
«Sei unbesorgt, mein Sohn! Wir werden mit des Herrn Hilfe schon alles fertigkriegen. Bleibe nur bei deinem Handwerk! Du bist von Gott dazu bestimmt, uns zu ernähren, und wir, dir behilflich zu sein,»
Es waren kaum acht Wochen vergangen, seitdem der junge Schmied Anitschka heimgeführt hatte, und schon war die alte Schmiede nicht mehr wiederzuerkennen. Die Hütte war weiß und blau getüncht; die Fenster trugen weiße Vorhänge und reichen Blumenschmuck. In der Kammer stand für den Vater dessen Webstuhl, Anitschkas Spinnrad und das alte Bücherbrett mit den Büchern, die schon den Großvätern Trost gebracht hatten. Auch Anitschka konnte lesen und schreiben, so gut wie jede Dame.
Die Nimnitzer ärgerten sich über den Schmied, daß er niemals mit ihnen ins Wirtshaus gehen wollte; sie sagten zum alten Krischko: «Ihr haftet ihn ja wie am Strick!»
«Meine Lieben», pflegte Krischko zu sagen, «aus dem Wirtshaus kommt kein Nutzen, weder für den Leib noch für die Seele; was du vertrinkst, das hast du nicht. Ein betrunkener Mensch macht sich, Gott und den Menschen nur Schande.»
«Es braucht sich ja nicht jeder gleich zu betrinken.»
«Er braucht nicht, aber er kann. Wir bitten Gott: Fuhre uns nicht in Versuchung! Warum sollten wir uns selbst hineinbegeben und den gnädigen Gott erzürnen?»
«Laßt ihn! » meinten die Männer achselzuckend. Andere dachten: «Der spricht eine große Wahrheit aus! Wenn man sich nur enthalten könnte! Aber wenn man nicht einmal ordentlich angeheitert sein darf, was hat man dann auf der Welt! » Sie redeten auch auf Adam ein.. Der runzelte die Stirn. «Die ganze Woche stecke ich in der Arbeit, und den Sonntag sollte ich im Wirtshaus zubringen? Wer sich mit mir unterhalten will, der soll zu uns kommen; wir heißen einen jeden gern willkommen.»
«Du bist ein großer Herr! » meinten sie beleidigt. «Glaubst du, daß alte Bauern dir nachlaufen werden?»
Und doch kamen etliche. Der alte Krischko wußte so zu erzählen, als ob es aus der Schrift wäre oder aus alten Chroniken; man hätte ihm den ganzen Tag zuhören mögen.
Der alte Krischko liebte Gott und den Herrn Jesus; er glaubt; daß es einen Himmel gäbe, auch daß er hineinkommen werde; er glaubte auch, daß es eine Hölle gäbe, und er warnte die Leute vor der Sünde, die die Tat zu ihr auftue. So hatte er auch seine Anitschka glauben gelehrt. Sie war ihm als das letzte von sieben Kindern geblieben; immer wenn er eins aufgezogen hatte, so war es gestorben. Zuletzt war ihm auch seine Frau gestorben. Er trauerte nicht; denn er glaubte, daß sie bei Gott seien und daß er sie dort wiederfinden werde.
Anitschka war seine Jüngste. Bis sie groß wurde, daß sie es verstehen konnte, hatte Gott ihn das meiste gelehrt, und so konnte er auch sie unterweisen.
Seit sie zusammenlebten, mußte der junge Schmied viel an die Seele denken. Früher hatte er, wie viele andere Leute, nie an Gott gedacht, obwohl er einst der beste Schüler gewesen war und bei der Konfirmation den Katechismus am besten gewußt hatte.
Solange er noch Lehrling war, hatte er das Beten aufgegeben, weil sie ihn deswegen verlachten. Als Geselle hörte er lauter Spott gegen Gott, und gar beim Militär, wer dachte da an Gott.
So oft er in die Heimat zurückkehrte, war er in die Kirche gegangen und hatte zugehört, was dort gepredigt wurde; aber er hatte nie weiter darüber nachgedacht.
Er war ein ordentlicher junger Mann gewesen, und er
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wollte auch ein ordentlicher Mensch bleiben. Als er nun hörte, daß Anitschka Krischko das bravste Mädchen im ganzen Dorfe sei, beschloß er hinzugehea Und wie er sie zum erstenmal sah, sagte er sich gleich: Die muß mein werden! Und sie wurde sein.
Sie kannten sich wenig; wie sie war, erkannte er erst jetzt von Tag zu Tag besser.
Nachdem Anitschka mit ihrem Vater hierher übergesiedelt war, richteten sie nach ihrer Gewohnheit ihr Leben ein; sie begannen und beendigten den Tag mit Gebet.
«Mein lieber Sohn», sagte der Schwiegervater, «den göttlichen Segen voran, dann die Arbeit. Was du dir nicht erbittest, das machst du nicht gut; und es ziemt sich nicht, nur zu empfangen, sondern man muß auch danken. Ohne göttlichen Schutz kein guter Schlaf.» Adam schämte sich, daß er aus der Heiligen Schrift nicht einmal soviel kannte wie Anitschka, trotzdem sie zehn Jahre jünger war als er. Sonntags in der Frühe, während sie das Mittagessen kochte, damit sie alle in die Kirche gehen konnten, nahm er die Bibel des Schwiegervaters, ging damit in die Schmiede und las. Je öfter er las, desto öfter mußte er an Gott und an seine Seele denken.
Wenn er etwas nicht verstand, fragte er den Vater, und wenn sie es beide nicht verstanden, pflegte Krischko zu sagen: «Lassen wir es, mein Sohn, vielleicht wird es uns Gott noch offenbaren; wenn nicht, so werden wir es erfahren, wenn wir zu ihm kommen.»
Als Adam seine Frau zum erstenmal mit in die Kirche nahm, verwunderten sich alle, wie schön sie sei, trotzdem sie nicht einmal hübsche Kleider anhatte.
Adam wußte, daß seine Frau schön war, und er war stolz darauf; aber nie erschien sie ihm so schön, als wenn sie vom Herd erhitzt und gerötet in die Schmiede kam, um nachzusehen, was er xnche und ob er nicht traurig sei in seiner Einsamkeit. Dann mußte er die Arbeit stehen lassen, sie mochte noch so dringend sein, und mit ihr plaudern.
Als das Haus ausgebessert und gereinigt war, dachte Anitschka darüber nach, wie sie ihrem Mann behilflich sein könnte, soviel zu ersparen, um eine Kuh kaufen zu können.
Eines Abends trat sie zu ihm in die Schmiede. Es war Samstag, und er räumte für den Sonntag auf. Sie half ihm und kehrte aus. Dann gingen sie zusammen in den Obstgarten. Adam hatte heute von früh an ununterbrochen gearbeitet und es gar nicht gemerkt, daß er müde war; erst jetzt, als er sich ein wenig auf die Bank setzte, spürte er es.
Auch Anitschka merkte es; sie setzte sich zu ihrem Mann und faßte seine Hand.
«Du bist müde, nicht wahr?»
Er sah sie an, und es wurde ihm warm ums Herz; bisher hatte ja niemand danach gefragt, ob er müde sei oder nicht. «Du mußt so viel arbeiten! » sagte sie.
«Das tut nichts; ich bin ja jung und gesund.» Er schloß sie fest in seine Arme.
«Adam, was kann ich jetzt anfangen?»
«Du? Tust du denn nicht genug?» meinte er verwundert. «Als ich dich heiratete, hattest du nicht so harte Hände wie jetzt.»
«Das ist vom Tünchen, Adam; aber jetzt haben wir ja schon alles fertig, und nächste Woche habe ich keine Arbeit mehr außer dem bißchen Kochen. In der Schmiede kann ich dir nicht helfen. Heute sagte mir die Ortsrichterin, daß sie ihre Betka ins Schloß schicken werde, Wasser für die Maurer zu tragen. Ich dachte mir, wenn ich mich auch meldete, vielleicht würden sie mich nehmen. In aller Frühe könnte ich für euch kochen, und das Nachtessen würde euch der Vater herrichten.»
Adam ließ Anitschka ausreden., aber eine Wolke lagerte auf seiner Stirne. «Nirgends wirst du hingehen. Habe ich denn deswegen geheiratet, daß meine Frau den Maurern Wasser zuträgt und in herrschaftlichen Tagelohn geht ohne mich?»
«Aber Adam, bist du böse? Ich will ja nur, daß wir uns
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