Wohnung des Christen

©EPV
Wo ist die Wohnung des Christen
? BdH 1879

(Psalm 27, 4-6)
Eins habe ich von Jehova erbeten, nach diesem will ich trachten; zu wohnen im Hause Jehovas alle Tage meines Lebens, um anzuschauen die Lieblichkeit Jehovas, und nach ihm zu forschen in seinem Tempel. Denn er wird mich bergen in seiner Hütte am Tage des Übels, er wird nicht verbergen in dein Verborgenen seines Zeltes; auf einen Felsen wird er mich erhöhen. Und nun wird, mein Haupt erhöht sein über meine Feinde rings um mich her; und Opfer des Jubelschalls will ich opfern in Seinem Zelte; ich will singen und Psalmen singen Jehova" (Ps. 27, 4-6).

Diese Worte sind der einfache Ausdruck des Lebens Gottes in der Seele eines Menschen. Es gibt eine Sache, an die wir, wie ich glaube, nicht genug denken, nämlich daß wir, wenn wir überhaupt Christen sind, einen göttlichen Grundsatz in uns umhertragen. Es ist ganz wunderbar, zu wissen, daß wir das Leben Jesu besitzen; so wie der Apostel sagt: „Denn wir, die wir leben; werden allezeit dem Tode überliefert um Jesu willen, auf daß auch das L e b e n  J e s u an unserem sterblichen Fleische offenbar werde" (2. Kor 4, 11). Als Christ ist nicht nur mein Gewissen vor Gott zur Ruhe gebracht, so daß es mich nicht mehr verurteilt, sondern ich habe auch das L e b e n  J e s u in mir. Die wichtige Frage für uns alle Ist jetzt nur, inwieweit dieses Leben in uns wirkt und an uns wahrgenommen wird. Überhaupt ist diese Frage von großer Bedeutung in unseren Tagen, wo so wenig Tiefe und Wirklichkeit gefunden wird und darum auch so wenig Gefühl von der gesegneten und herrlichen Tatsache, ein Gefäß zu sein, in welches das „Leben Gottes" niedergelegt ist. Man denke, da wir ja nur mit einfachen, täglichen Dingen zu tun haben, z. B. an den heutigen Tag, und man lege sich die Fragen vor: Inwieweit hat sich dieses Leben in den Einzelheiten unserer täglichen Verrichtungen geoffenbart? Inwieweit verwirklichen wir das Leben in dem, was von einem Augenblick zum anderen vorkommt? Und wie vieles kommt dabei bis auf Rechnung der Wirkung der Kraft unserer eigenen Natur? Ach! oft, wenn der Ernst dieser Fragen mich trifft, muß ich stillstehen und mein Haupt vor Gott in den Staub niederbeugen.

Ich habe in Bezug auf diesen Gegenstand die oben angeführten Worte aus Psalm 27 gewählt, weil sie das eigenartige Kennzeichen des Lebens Gottes in uns darstellen. „Eines habe ich von Jehova erbeten usw". Das ist der einfache, regelrechte Zustand eines Christen - eines Menschen, der das Leben Jesu in sich hat.

Ich setze jedoch vor allen Dingen voraus, daß die Seelen der Leser dieser Zeilen zu vollkommener Ruhe gebracht sind und unbeweglich feststehen auf dem Boden, der die Grundlage des Christentums bildet. So lange noch zwischen einem Gewissen und Gott unaufgelöste Fragen da sind, ist es nicht am Platze, über andere Dinge zu sprechen; man hat dann dafür kein Verständnis. Diesem Übelstand kann man täglich begegnen. Es ist zum Erstaunen, wie gering die Zahl solcher ist, deren Gewissen auf dem unerschütterlichen Fundament des Christentums zu einer unwandelbaren Ruhe gekommen sind. Ich weiß wohl, daß viele die gegründete Hoffnung haben, daß, wenn der Herr sie durch den Tod abrufe, sie nichts zu fürchten haben würden, aber dies allein ist nicht genug. Wir hätten sicher große Ursache, Gott auch dann zu danken, wenn Er uns nichts anderes als dieses gegeben hätte. Aber da dies doch nur der Anfang von dem ist, was Gott für uns bereitet hat, so ist es gewiß nur die List Satans, wenn er uns etwas, das zur Wahrheit gehört, vorenthält, als ob wir nur jenes empfangen hätten. Es ist ein Hauptkennzeichen unserer Zeit, daß man den einfachen Ausgangspunkt, den Anfang des Christentums als den ganzen   B e g r i f f dessen bezeichnet, was uns durch die Gnade zuteil geworden ist. Aus diesem Grunde ist dann auch gewöhnlich das e i ge n e  I c h zum Mittelpunkt geworden, um welches sich jahraus, jahrein die Gedanken, Erfahrungen und Neigungen zu bewegen pflegen.

Ich muß daher voraussetzen, daß meine Leser sich nicht auf dieser gefährlichen Klippe bewegen, sondern das klare Bewußtsein haben, in der Gegenwart Gottes zu sein. Es handelt sich nicht darum, daß uns das eine und das andere zuteil geworden ist, sondern daß wir z u G o t t   g e b r a ch t  sind  und uns zu Ihm in einem Verhältnis befinden, in das Er uns nach Seinem Wohlgefallen in dem Sohne Seiner Liebe hingestellt hat. Und es war Sein Wohlgefallen, uns in Seine Gegenwart zu stellen, und zwar in der Vollkommenheit und Schönheit des Herrn Jesu Selbst. Von diesem Punkt aus wollen wir unsere Betrachtung beginnen.

Was muß nun aber, wenn dies so ist, der Ausdruck meines Lebens hier sein?
Zunächst finden wir dies gleich im Anfang der oben angeführten Schriftstelle, wo vor der Seele des Gläubigen ein Gegenstand steht, der seine Neigungen ganz einnimmt und beherrscht. „ E i n e s habe ich erbeten". Das ist der einfache Ausdruck eines Herzens, welches nur e i n e n Beweggrund, e i n Ziel hat, worauf der Herr Jesus anspielt, wenn Er sagt" dein Auge einfältig ist" - d. h. nur auf e i n e n Gegenstand schaut. Dann habe ich nur ein Begehren, das jedes andere Begehren in sich aufnimmt, nämlich, daß ich möge „wohnen im Hause Jehovas alle Tage meines Lebens". Es braucht hier vielleicht kaum erwähnt zu werden, daß in unserem Psalm ein jüdisches Bild gewählt worden ist und hier mithin die Rede von der Stiftshütte ist, dem Haise oder dem Tempel, wo die Zeichen der Gegenwart Gottes gefunden wurden. Jedoch dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren, daß das Leben Gottes, mag es sich bei einem alt-oder neutestamentlichen Gläubigen finden, stets zu der Quelle zurückfließt, aus welcher es entsprang; und diese Quelle ist Gott. „Eines habe ich von Jehova erbeten, nach diesem will ich trachten: zu wohnen im Hause Jehovas alle Tage meines Lebens".
Ist dies auch das Begehren d e i n e s Herzens, mein Leser? Inwieweit hat dieses Begehren Einfluß auf deine Neigungen? Welches ist das „Eine", das du suchst? Suchst du vielleicht die Gewißheit der Vergebung, die Befreiung von dem Zorn und dem Gericht? Das ist nicht das Begehren, „zu wohnen im Hause Jehovas alle Tage meines Lebens". Dieses allein drückt uns den Stempel auf. Sei versichert, daß der Platz, wo du wohnst, dich kennzeichnet.

Gehören wir der Erde oder dem Himmel an? Nun, niemand kann „himmlisch" sein, es sei denn, daß er im Himmel wohnt. Leider stellen viele Gläubige den Himmel beiseite, bis nach dem Tode. Sie denken an den Himmel als an die Stätte, wo Gott und wo Christus ist, und betrachten ihn als unseren Zufluchtsort, wexn wir diese Erde verlassen. Wenn wir hier nicht länger' „wohnen" können, wollen wir in den Himmel. Oder wir wenden uns auch wohl zum Himmel, wenn hier alles gegen unsere Wünche 'geht und die Beschwerden des Lebens uns zu überwältigen drohen, so wie jemand, der vor dem Sturm einen Zufluchtsort sucht, den er wieder verläßt, wenn 'der Sturm vorüber ist. Das ist die natürliche Gesinnung unserer. Herzeh. In diesem Falle sind unsere Herzen gar nicht oder doch nur in 'einem geringen Grade begierig, fortdauernd an dem wundervollen Platz zu sein, wo Gott nicht gehindert wird, Sich uns in der unendlichen Fülle Seiner Liebe zu offenbaren. Dieses kann Er nicht hienieden tun. Hienieden .gewährt Er uns Seine Sorgfalt, Seine Hilfe, Sein Mitgefühl, Seine Erquickung hienieden leitet Er uns an Seiner Hand auf jedem Schritt unserer 'Reise; aber nur droben und nicht hienieden känn Er Sich in der oben bezeichneten Weise offenbaren.

Wie notwendig ist es daher, ununterbrochen im Hause des Herrn zu Wohnen! Wie ganz anders würden die Erfahsungen sein, die wir machen, weni wir dort mit unseren Herzen stets verweilten! Es genügt nicht, dort dann sind wann einen Besuch zu machen oder dorthin zu flüchten, um vor ‚einem Sturm geschützt zu sein, sondern wir sollten das Haus ‚des Herrn mit all den damit verbundenen Lieblichkeiten als unsere „Heimat" kennen. Nicht die Not ist es, die uns in unsere Heimat zurücktreibt, sondern das Anziehende der Heimat selbst läßt uns dort so gerne verweilen. Kennst du die Vortrefflichkeit Dessen, Der dort wohnt? Es ist nicht eine Lehre oder ein System, sondern eine lebendige, göttliche, anbetungswürdige, erhabene Person, die auf unsere Neigungen Anspruch macht, eine Person, die durch ihr Vortrefflichkeit und Schönheit mein Herz an Sich zu ketten weiß. Nicht durch die Not werde ich aus allem, was mich hier umgibt, hinweggetrieben, sondern ich werde durch die Schönheit und Herrlichkeit jener Stätte angezogen, wo Christus vor Gott alles ist, und wo es das Wohlgefallen Gottes ist, Sich in Seiner ganzen Fülle zu erkennen zu geben. Das ist der Ort, wo ich zu wohnen, zu verweilen begehre, und den ich als meine Heimat zu kennen wünsche.
In Christo, als Er als Mensch auf dieser Erde wandelte, sehe ich diesen Grundsatz in seiner ganzen Vollkommenheit. In Joh 3, 13 lesen. wir: „Niemand ist hinaufgestiegen in den Himmel als nur der aus dem Himmel herabgestiegen ist, der Sohn des Menschen, der im Himml ist". Man beachte es wohl, daß es heißt: „der im Himmel i s t ", und nicht: „der im Himmel w a r ".

Dieser vollkommene Mensch, Der zugleich der mächtige Gott, der Schöpfer und Erhalter aller Dinge war, wandelte auf Seinm von Licht umstrahlten Pfade hienieden in fortdauernder Gemeinschaft mit allem, was jener gesegneten Stätte angehörte, von wo Er kam und wohin Er ging. Er sagte: „Ich weiß, woher ich gekoriimen bin und wohin ich gehe" (Joh 8. 14). Um dieser Hoffnung willen zeichnete sich Sein Wandel durch völlige Zurückgezogenheit und Abgeschiedenheit aus, woran es bei uns oft sehr mangelt. Oder wandeln auch wir unsere Pfade wie Menschen, die wissen, woher sie kottimen und wohin sie gehen? Zeigt sich dies t'älih in unseren Arbeiten, in unserem Hause, in unserem Verkehr untereinander? Wenn das der Fall ist, dann wird auf alles der Stempel des Himmels gedrückt sein, als eitl Beweis, da wir im Hause des Herrn wohnen, und daß wir wissen, woher wir gekommen sind und wohin wir gehen.
Der Herr Jesus hatte hienieden die Gefühle eines Menschen und wandelte, dem Vater gegenüber, in völliger Abhängigkeit und im vollkommenen Gehorsam; aber zugleich finden' wir bei Ihm die vollkommene Ruhe in den Umständen des Lebens. Man lese Mt 19, wo alles und jeder gegen Ihn war. Johannes der Täufer wankte in seinem Glauben an Ihn; die Städte, in denen Seine meisten Wunderwerke gescheherr. waren, verwarfen Ihn; kein Lichtpunkt war hienieden zu entdecken, an dem ein menschliches Herz sich hätte emporrichten können. Und dennoch hören wir Ihn sagen: „Ich preise dich, Vater!" Welch eine bewunderungswürdige Vollkommenheit! Während Er, umgeben von allem, was gegen Ihn war, mit Seinem Fuß die Erde berührte, weilte Sein Herz droben beim Vater, Dessen köstliche Gedanken und Ratschlüsse es zu Lob und Dank stimmen konnten.
Geliebter Leser! Wir sind zu nichts geringerem berufen; und wenn dieses Lebeh Gottes in u n s e r e n Seelen wirksam ist, dann ist auch dieselbe Gesinnung vorhanden. Möge.' der Herr diese bei uns bewirken und lebendig erhalten, damit von uns gezeugt werden kann: „Siehe, ein Volk, das sich inmitten aller Sorge und Mühe dieser Erde bewegt, bei dem dies alles jedoch nur dazu dient, jenes herrliche Leben Jesu in einem sterblichen Leibe umso heller hervorstrahlen zu lassen; wahrlich, sie wohnen alle Tage ihres Lebens im Hause des Herrn".
Wiederum richte ich an dich und an mich selbst die Frage: „Inwieweit haben wir dies heute verwirklicht?" Wird wohl einmal gesagt: „Ich danke Gott, daß ich mich außerhalb der irdischen Zustände bewegen darf?" Außerhalb? Inwiefern? Allein mit dem Leibe, oder auch mit dem Geiste und den Gedanken? Darauf kommt es an. Mancher befindet sich, was sein Bekenntnis betrifft, außerhalb der Welt; aber wenn mein Geist sich darin verirrt hat, meine Gedanken davon eingenommen sind, meine Neigungen davon angezogen werden, dann wohne ich nicht im Hause des Herrn. Ich kann dann sagen, daß ich hier und dort nicht hingehe; aber ich bin vielleicht nur dem Leibe nach nicht dort, wohl aber mit meinen Gedanken. Es gibt auch nichts, was mich von der Welt getrennt halten kann, als wenn ich mich an der Quelle befinde, aus der mein Leben entsprungen ist. Wenn das Leben nicht durch seine Quelle unterhalten und befriedigt wird, dann ist es ein kränkelndes, schwaches Leben, d. h. es ist verhindert, sich offenbaren zu können.

Es ist ein sehr bedeutsamer Ausdruck, wenn wir lesen: „Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen" (2. Kor 4, 7). Es ist etwas Wunderbares, daß Gott einen Schatz in ein so gebrechliches Gefäß legt. Doch wenn auch das Gefäß zerbricht, bleibt doch der Schatz gleich wertvoll. Durch nichts anderes aber kann dieser verborgene Schatz offenbar werden, als dadurch, daß ich im Hause des Herrn wohne. Dort finde ich Kraft und Frische, um allen Stürmen Widerstand zu bieten. Ja, die Stürme selbst sind das Mittel, um die Macht jener Ruhe ans Licht zu stellen, die ich in der Stätte besitze, wo es Gott gefällt, Sich mir zu erkennen zu geben. In diesem Fall kenne ich den Himmel j e t z t, und nicht erst nach meinem Tode. Geliebte Freunde! Würde es uns nicht eine Freude sein, sagen zu können: „Ich lebe je t z t jeden Tag mit dem Herrn inmitten aller Schwierigkeiten und Prüfungen, die zu dieser armen Erde gehören, und wodurch ich umso besser mit Ihm bekannt werde?" Möchten wir nicht gern ausrufen: „Ich kenne Ihn, habe Gemeinschaft mit Ihm, erfreue mich in Ihm in jener herrlichen Stätte, wo Ihn nichts hindert, mich zu segnen, und wo mich nichts hindert, gesegnet zu werden?" Ja, dort kann Gott mir in der Vollkommenheit Seiner Liebe begegnen, und dort kann ich in die Vollkommenheit Seiner Gerechtigkeit eingehen. Dort wohnt Gott, und auch ich wohne dort. Bedenken wir, daß Er, im Blick auf die durch Christum vollbrachte Erlösung, nichts anderes mit dem Ausdruck Seines eigenen Herzens im Einklang findet als daß wir „wohnen im Hause des Herrn". Er gebe, daß wir dieses Haus als unsere Heimat, als den Ruheplatz unserer Seelen, als unsere herrliche Wohnung erkennen, wo wir wirkliche Gemeinschaft haben.

Doch zu welchem Zwecke müssen wir dort wohnen? Etwa um dem Sturm, den Mühsalen, den Prüfungen und den Kämpfen dieser Welt. entrückt zu sein? Durchaus nicht. Der Zweck ist, „die Lieblichkeit des Herrn anzuschauen". Köstliche Wahrheit! E i n e Sache wird dort von meiner Seele angeschaut; eine  Sache zieht dort die Neigungen meines Herzens an, nämlich „Seine Lieblichkeit". Ich schaue Ihn an, Der dort wohnt. Mein Auge ruht dort auf einer Schönheit, die ich nicht eher in Wahrheit kenne, als bis ich sie durch den Glauben sehe. Schon ein flüchtiger Anblick dessen, was droben ist, verscheucht alle irdischen Dinge aus meinen Augen. Ein kurzes Anschauen der Lieblichkeit des Hochgelobten verwandelt das Herrlichste, was diese Erde darzubieten vermag, in etwas, das als arm und verwerflich an unserem Herzen vorüberzieht. Gewiß, jeder, der Christum droben anzuschauen versteht, kümmert sich wenig um die Dinge der Erde, mit denen er sich nicht mehr im Einklang fühlt. Er kann sagen: „Die Stätte, wo Gott Selbst ist, ist auch die Stätte, wo ich zu verweilen begehre, und wo ich meine Befriedigung finde".

Man denke sich den Fall, daß ein Engel in diese Welt herabstiege; würde er sich nicht in einer anderen Weise hienieden bewegen, als wir? Glaubst du nicht, geliebter Leser, daß, wenn ein Bote Gottes, einer jener dienstbaren Geister, die vor Gott stehen, auf die Erde käme, er hier verweilen würde wie jemand, der den Grundsätzen, den Gewohnheiten und Reizen dieser. Erde fremd ist? Ja, du glaubst es. Wohlan, ein Engel ist nicht, was wir sind. Ein Engel ist nicht ein Glied jenes Leibes, wovon der verherrlichte Jesus das Haupt ist. Ein Engel ist nicht ein Kind Gottes, ein Erbe Gottes und ein Miterbe Christi Ein Engel würde nicht sagen können: „Christus, der Sohn Gottes, liebt mich und Er hat Sich für mich dahingegeben". Ein Engel gehört nicht zu denen, die Jesus betrachtet als Seine Braut, die bei Ihm sein soll, um Seine Herrlichkeit zu schauen. Ist für unsere Herzen der Gedanke nicht anziehend, daß Gott an den Engeln vorüberging, und daß Er auf eine nichtige Erde hinabstieg und sich dort verachteter, elender und armer Geschöpfe annahm, um an ihnn die erhabene Herrlichkeit Seiner Gnade zur Schau zu stellen und in ihnen das Leben Seines Sohnes zu offenbaren: Kann es etwas Ergreifenderes geben, als zu denken, daß Er uns in Gnaden aufgenommen und uns, indem Er uns mit Christo in der Herrlichkeit vereinigte und uns mithin von der Welt absonderte, zu wirklichen Gliedern des Leibes Christi gemacht hat, um uns dann in die Welt zu senden, damit wir die Grundsätze des Himmels, dem wir angehören, darstellen sollten? Wunderbar!

Wandeln wir hier als solche, die einem anderen Lande angehören? Teilen wir den Wohlgeruch dieses Landes einem jeden mit, der mit uns in Berührung kommt? Ach! wie vieles, was von der Welt ist, erlauben wir uns oft! Wie vieles zeigt sich noch jeden Tag bei uns, das zu dem gehört, wovon wir nach unserm Bekenntnis abgesondert sind! In welch geringem Maße offenbaren wir die herrlichen Grundsätze des neuen Landes, der neuen Heimat, des neuen Genusses, wozu Gott uns gebracht hat! Wiesehr sehr werden oft die jüngeren Seelen unter uns durch die armseligsten, nichtigsten Dinge, die in dieser Welt gefunden werden, angezogen! Hätten sie nur ein wenig die Freude, das Glück und die Herrlichkeit droben, wo Christus ist, gekostet, so würden sie sicher, weil es nicht wert ist, betrachtet zu werden an allem vorübergehen, was der Teufel hier und dort zur Schau stellt um die Sinne zu reizen und zu befriedigen. Und wir‚ die wir schön älter sind, welches Beispiel geben wir ihnen? Können wir sagen: „Sehet auf uns, wie ihr uns zum Vorbilde habt"? Ach! auch wir zeigen nur zu wenig, daß unser Herz droben lebt und daß wir wissen, woher wir gekommen sind, und wohin wir gehen. Wenn wir aber hienieden nicht wandeln als solche, die von ihm ausgegangen sind und Ihm angehören, so können wir weder Seine Zeugen noch Seine Knechte sein. 0h möchte Er durch Sein Wort doch unser Gewissen treffen; denn, dadurch bringt Er uns in Seine Gegenwart und zieht uns zu Sich.

Doch der Psalmist wünscht nicht bloß, die Lieblichkeit Jehovas anzuschauen, sondern auch „zu forschen in seinem Tempel". Dies ist beachtenswert; denn ich glaube, daß es unter uns wenige Forscher dieser Art gibt. Wir lesen oft viel und vielerlei, jedoch vielleicht sehr wenig in dem Worte Gottes. Und nichts hat mehr zur Verarmung der Seelen unter den Kindern Gottes gedient, als wenn wir beiseite stellen, was Gott geschenkt hat. Der Teufel zeigt sich in dieser Beziehung sehr wirksam. Durch allerlei Kunstgriffe sucht er die Schärfe, die Kraft des Wortes Gottes abzustumpfen, und zwar nicht etwa dadurch, daß er uns .zu einer offenbaren Verachtung des Wortes Gottes verleitet, sondern dadurch, daß er unsere Gedanken und Neigungen mit etwas anderem beschäftigt und uns auf diese Weise dem Einfluß der Wahrheit 'entzieht. Unübersehbar"ist der Schaden, wenn es ihm gelingt, uns dahin zu bringen, daß wir aufhören, in den Mitteilungen und Offenbarungen Gottes zu fotschert und darüber nachzusinnen, um die gesegnete Person Dessen besser kennenzulernen, Der der Gegenstand, das Ziel und die Wonne Gottes ist. Wenn wir nicht lernen, bei allem stille zu stehen, was Gott uns in Güte über die Person Christi in Seinem Worte mitgeteilt hat, wenn wir nicht „forschen in seinem Tempel", dann wird sich in unseren Herzen bald eine große Dürre und Leere zeigen. 0 möge der Herr uns durch Seinen Geist schenken, daß wir mit' Begierde in Seinen Worten forschen!

Wie sehr sind solche Kinder Gottes zu beklagen, die von ihren Angelegenheiten so sehr in Anspruch genommen sind, daß sie ihre Zeit in dem Gewühl und Gejage weltlicher Dinge durchbringen müssen und ihnen fast kein freier Augenblick zum Forschen übrigbleibt! Wir fühlen in dieser Beziehung viel zu wenig füreinander. Es ist wirklich überraschend zu bemerken, wie wenig wir uns in Bezug auf diese Dinge umeinander bekümmern, als ob ein jeder auf sich allein angewiesen wäre, während uns doch die Schrift ermahnt: „Ein jedet nicht auf das Seinige sehend, sondern auch auf das der arderen". Wie wenig beten wir füreinander! Wie wenig trägt einer den anderen vor Gott auf dem Herzen! Viele Kinder Gottes befinden sich in einer dienstlichen Stellung und sind so völlig an ihre irdischen Berufe gekettet, daß wir wohltun, uns im Geiste in ihre Umstände zu versetzen. Laßt uns trachten, ihnen zu helfen, sie durch ursere Fürbitte auf ihren ungestümen Wegen zu stärkn und zu unterstützen; denn sicher leidet jede Seele Gefahr, die keine Zeit findet, um mit Gott allein zu sein und „in seinem Tempel zu forschen".
Nun noch ein kurzes Wort über die 'folgenden 'Verse. Wir lesen: „Er Wird mich bergen in seiner Hütte am Tage des Übels. Sicher würden wir alles Vorhergegangene mit den „Tagen des Übels" in Verbindung gebracht und etwa gesagt haben: „Wie herrlich •ist es •in dem Hause des Herrn zu wohnen, Seine Lieblichkeit anzuschauen und in Seinem Tempel zu forschen, wenn wir uns in den Tagen des Ubels befinden". Doch das ist nicht die Ordnung Gottes. Er stellt uns dies alles als den einzig richtigen Zustand des Lebens Gottes in uns vor Augen. Um die „Tage des Übels" haben wir uns dann nicht zu kümmern; denn „Er wird uns in Seiner Hütte verbergen". Wenn es mein einziges Begehren ist, im Hause des Herrn zu wohnen, dann kann ich in den Tagen des Übels ruhen. Er verbirgt mich. Wie herrlich! Was könnte ich besseres verlangen, als daß Er mich verbirgt „in dem Verborgenen Seines Zeltes? Beim Herannahen eines Sturmes renne ich nicht ängstlich umher, um Schutz zu suchen, sondern ich bin b e i  I h m sicher und ruhig; und Gott wirkt für mich. Er verbirgt mich, Er hält mich aufrecht, Er nimmt alles auf Sich, Er wird mich auf einen Felsen erhöhen.
Von Befreiung im Sinne von Beseitigung des Übels ist in diesem Verse nicht die Rede. Es heißt nicht: „Am Tage des Übels wird Gott mich befreien", sondern: „Er wird mich verbergen". Wenn Gott auch unter Israel zuweilen das Meer spaltete und die Felsen zerklüftete, so ist dies doch in unseren Tagen Seine Weise nicht. Er nimmt die Schwierigkeiten nicht weg; aber Er verbirgt mich in Seinem Zelte und erhöht mich auf einen Felsen. Ist nun jemand, der sich in Schwierigkeiten befindet, zu beklagen, wenn Gott ihn verbirgt? Bieten die Schwierigkeiten Ihm keine Gelegenheit, uns im Verborgenen Seiner Hütte zu verbergen? Erst dann folgt die Befreiung; denn wir lesen: „Und nun wird mein Haupt erhöht sein über meine Feinde rings um mich her; und Opfer des Jubelschalls will ich opfern i n s e i n e m Z e lt e ". Man beachte es wohl: der Gläubige verläßt nie das Haus des Herrn. Es ist seine Wohnung, die Stätte seiner Anbetung.
Dies alles finden wir in vollkommener Weise bei dem Herrn Jesu, dem vollkommenen Menschen, Der alle Eigenschaften eines Menschen Gottes in dieser Welt offenbarte, als Er die Welt durchwanderte. Wenn wir die Spuren Seines Lebens verfolgen, finden wir alles, was wir hier dargestellt haben, in ausgeprägter Weise. Er war der Sohn des Menschen, „der im Himmel ist". Mitten in den Mühsalen in dieser Welt. war Sein Zufluchtsort der Wille und das Wohlgefallen Seines Vaters. Er konnte sagen: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde!" und später, nachdem Er unter dem schrecklichen Gericht des Kreuzes gewesen war, bezeugte Er: „Inmitten der Versammlung will ich dir lobsingen". Dem Grundsatz nach sind wir, wenn auch in unserem Maße, in dieselbe Stellung berufen. Wir besitzen dasselbe Leben, dieselbe Wohnung, denselben Gott. Auf wunderbare Weise kann Gott einen Menschen unterstützen, der dies herrliche Leben in sich hat, wenn auch alles wider ihn ist, wie ein Christ in dieser argen Welt dies nicht anders erwarten kann. Hienieden wirkt uns alles entgegen. Es ist ein Glück, wenn wir gelernt haben, nichts anderes zu erwarten, und dennoch nicht weniger gewiß sind, daß unsere Sicherheit im Hause des Herrn zu finden ist.

Wenn wir in 2. Mo 16 und 17 die Geschichte des Volkes Israel lesen, dann wird es uns sofort klar werden, daß man das Leben des Gläubigen mit zwei Worten beschreiben könnte. Bei ihm handelt es sich um Speise und Kampf. Das aus dem Himmel kommende Manna mußte die Kräfte der Pilger in der Wüste erhalten; und ihre Kraft mußte im• Kampf geübt werden.. Und wie bei Israel, so ist dies auch bei den Christen der Fall. Christus muß das lebendige, vom Himmel gekommene Brot sein, um das neue Leben in uns zu unterhalten; und wir müssen bei Ihm wohnen in der Herrlichkeit, wo Er ist, um Seine Lieblichkeit anzuschauen. In diesem Fall können wir alles um uns her verstehen. Was kümmert mich all das Schöne, was hier ist, wenn Er mein Herz befriedigt? Indem ich Seine Schönheit anschaue, vermag mich nichts anzuziehen, was diese Erde bietet. Und indem ich in Seinem Tempel forsche, bin ich geborgen, wenn die Tage des Übels hereinbrechen, ja, ich werde „singen und Psalmen singen dem Herrn".
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