In der Stadt Soest, nahe dem Wall, der die Stadt umgibt, in der alten Straße, die »Stiefernberg« heißt, hat meine Wiege gestanden.
Zwei Gestalten sind es, die in meiner allerersten Erinnerung zusammenwirken wie in meiner ganzen Kindheitszeit. Das ist einmal: meine Mutter - und dann: der Herr Jesus.
Inmitten der Stadt liegt »der große Teich«, der auch im Winter nicht zufriert, weil er verborgene warme Quellen hat. Daran lagen im Sommer und Winter die Wäscherinnen, die mit flachen, hölzernen Hämmern auf die frischgewaschene Wäsche schlugen.
An diesem Teich stand eines Tages ein kleiner Junge, etwa drei Jahre alt. Die Mutter hatte ihn wohl der Fürsorge des älteren Bruders oder der Schwester übergeben, weil sie selber in den Garten gehen mußte, draußen vor der Stadt. Und nun haben die Geschwister nicht achtgegeben, der kleine Junge steht am großen Teich und weint nach seiner Mutter.
»Wem gehört das Kind?« fragen die Wäscherinnen, die auf ihn aufmerksam geworden sind. Man könnte meinen, es sei ein kleiner Neger, so schmutzig sieht er aus. Erst hat er im Staub der Straße gespielt und gewühlt und dann hat er sich mit den schmutzigen Händen die Tränen abzuwischen versucht. Aber endlich erkennt ihn doch eine der Wäscherinnen. »Der gehört in den Stiefernberg«, erklärt sie und nimmt den Jungen bei der Hand und bringt ihn nach Hause. Da kommt auch die Schwester gelaufen, in Sorge um den kleinen ' Bruder.
Dieser verlorene Sohn war ich. Dieses Verlorensein hat nicht lange gedauert. Aber eine Erinnerung daran habe ich doch fürs Leben behalten, als ich erkannte: »Ich bin verloren!«
Jahre später, da habe ich dieses Gefühl wieder gehabt. Aber da hat es nicht Stunden, da hat es Jahre gedauert. Das war zu der Zeit, als mir meine Professoren den Kinderglauben genommen und mir nichts dafür wiedergegeben hatten als das Bewußtsein, in die Wissenschaften eingedrungen zu sein. Aber davon wurde ich nicht satt. Davon konnte ich nicht leben.
Wie war da die Mutter erschrocken über ihren verlorenen Sohn! Wie hat sie da ihre Hände gefaltet, daß Gott ihren Jüngsten doch wieder zurechtbringen möchte! Und Gott hat es in großer Gnade und Barmherzigkeit getan. So ist auch dieses traurige Verlorensein vorübergegangen, genau wie damals am großen Teich.
Seitdem ist es mir zur Lebensaufgabe geworden, verlorene Söhne und verirrte Töchter zu suchen, um sie nach Hause zu bringen an das Vaterherz Gottes.
Mutter, daß ich kein verlorener Sohn mehr bin, das verdanke ich auch dir und deinem Gebet. Dafür danke ich dir, solange ich lebe und in Ewigkeit.
Sie stammte aus altem kleinbürgerlichem Geschlecht, das Heidebrink hieß. Ihre früh verwitwete Mutter ernährte sich und ihre Kinder dadurch, daß sie einen kleinen Laden aufmachte.
Daß sie aus echt deutschem Blute war, das bewiesen die rutilae comae, wie Tacitus von den alten Germanen sagt, womit er ihre »roten Haare« meint. Wenn der Vater besonders gut gelaunt war, dann nannte er die Mutter wohl »das vossige (fuchsige) Mädchen aus dem Osthofen«, wie er sie als Mädchen gekannt und liebgewonnen hatte. Sie vermachte ihren Söhnen als Erbschaft, daß wir alle drei rote Bärte hatten.
Und der Vater? Der stammte aus Lippstadt, wo noch heute der Name Modersohn sehr verbreitet ist. Er entstammte einer Lohgerberfamilie, die seit Jahren in Lippstadt wohnte. Ursprünglich saß die Familie in Münster in Westfalen. Zur Zeit der Wiedertäuferunruhen waren verschiedene Träger des Namens Ratsherren aus den Gilden. Eine der sechzehn Frauen Jan van Leydens, des »Königs von Zion«, hieß Margarete Modersohn. Als der Bischof die Stadt erobert hatte, wanderte die Familie aus und zog nach Geseke, von wo sie dann nach Lippstadt übersiedelte. -
Mein Vater hatte von Jugend an den Wunsch, Theologie zu studieren und Pastor zu werden. Aber er hatte eine schwache Lunge, darum riet der Arzt, den Plan aufzugeben. Das viele Sitzen würde ihm nicht zuträglich sein, er müsse einen Beruf
erwählen, bei dem er viel in der frischen Luft sein könne. So wählte denn mein Vater das Baufach, das er von unten auf erlernte. Er wurde Bauführer und Bauunternehmer, baute Häuser und, weil damals viele Bahnen gebaut wurden, auch Eisenbahnen und Bahnhöfe. Nachdem die Eltern im Anfang ihrer Ehe viel hin und her gezogen waren, lebten sie nun in Soest, der Heimat der Mutter, wo mein Vater als Baumeister tätig war.
Ich war der Jüngste. Drei Brüder und eine Schwester waren vor mir da. Von den drei Brüdern starb einer vor meiner Geburt als kleiner Junge an der Bräune. Nach diesem schmerzlichen Verlust war die Freude groß, als fünf Jahre nach meinem Bruder Otto der kleine Ernst als Nachkömmling geboren wurde.
Aber jüngste Kinder bekommen leicht eine Last mit ins Leben, die auch mir nicht erspart geblieben ist. Weil sie die Jüngsten sind, werden sie von den älteren Geschwistern oft geduckt, und so entsteht leicht ein Minderwertigkeitsgefühl, eine gewisse Schüchternheit. Die habe ich aus meiner Kindheit mit ins Leben genommen. Die habe ich, wie meine Kinder immer wieder klagen, auch ihnen vermacht.
Vielleicht hat gerade dies Minderwertigkeitsgefühl dazu mitgewirkt, daß ich mich um so eher und früher dem Herrn ergab. Gott weiß ja alles zu gebrauchen und uns zum Segen zu machen.
2, Erziehungsfragen
Meine Mutter war eine gute Erzieherin, das muß ich sagen. Ich habe viel von ihr für meine Kindererziehung gelernt.
Als ich vier Jahre alt war, übersiedelten meine Eltern in das »nordische Rom«, nach Münster, wo mir meine Mutter schon frühzeitig den ersten Unterricht geben mußte über die Unterscheidungslehren der beiden großen Konfessionen. Aber auch in kleinen Dingen des Alltags war sie eine großartige Erzieherin.-Jedes Jahr zu Ostern bekamen wir einen neuen Anzug. Der wurde ein Jahr lang als Sonntagsanzug getragen und dann ein Jahr lang als Werktags- und Schulanzug. Und mit diesem neuen Sonntagsanzug stieg mein Bruder Otto auf den alten Mispelbaum im Garten - und riß sich ein großes Loch
Gedruckt schlichen wir ins Haus, um der Mutter. den Schaden zu zeigen Die Mutter erschrak wohl auch über den bösen Riß. Aber sie sah, daß der Junge schon genug gestraft war. Mußte er doch nun e ganzes Jahr lang mit emem gefheinckten Sonntagsanzug gehen und dann noch ein ganzes Jahr lang mit einem geflickten Alltagsanzug! Sie nahm Nadel und Faden und besserte den Schaden aus. Das verstand sie so gut, daß der Vater gar nichts davon merkte.
So half uns manchmal die Mutter, daß es der Vater nicht merkte. Nicht, als ob sie in der Erziehung nicht eins mit ihm gewesen oder als ob sie in der Erziehung schwach gewesen wäre, o nein! Aber sie dachte: Wenn der Vater nach Hause kommt, dann möchte er doch gern ein behagliches, zufriedenes Heim haben. Was nutzt es, wenn ich ihm alles sage, was die Kinder heute getan haben? Die Sache ist ja schon gestraft!
Und so brachte sie zuwege, was viele Frauen nicht fertigbringen: daß es dem Vater nirgends so gut gefiel wie zu Hause, daß er sich allemal freute, wenn er das Dach seines Hauses aus dem Grün der Bäume auftauchen sah. So brachte sie es dahin, daß wir ein Familienleben hatten, wie es wohl nicht oft zu finden ist. Wenn meine Kindheit so sonnig war, dann danke ich das meiner geliebten Mutter.
Mein Vater war ein ernster und strenger Mann.. Eine Geschichte hat sich mir rief eingeprägt. Damals habe ich die Handlungsweise meines Vaters wohl schwer und schmerzlich •empfunden. Aber hinterher bin ich ihm auch dafür dankbar geworden.
Ich weiß nicht mehr, in welcher Klasse ich damals war. Ich hatte, kein gutes Weihnachtszeugnis bekommen, hatte wohl zu viel Zeit auf meine Briefmarkensammlung verwendet, die damals meine Hauptliebhaberei war. Nun waren die Leistungen in einigen Fächern zurückgegangen.
Das verdroß meinen Vater. Er gab mir das "Buch.'d.asr ich mir zu Weihnachten gewünscht hatte, noch geradesoeingewickelt, wie es von der Buchhandlung gekommen war, und sagte: »Das bringst du wieder fort in die. Buchhandlung von Obertüschen in der Ludgeristraße. Dieses Ja}i.rgibt's kein Buch zu Weihnachten!« Und ich mußte den sauren :Gang tun und selber das Buch wieder forttragen.
Er hatte kein hohes Gehalt, aber als sein ältester Sohn den Wunsch äußerte, Jura zu studieren, da erfüllte der Vater bereitwilhigst den Wunsch. Meine Schwester wollte gern Lehrerin werden. Auch das gewährte der Vater. Dann zeigte sich bei meinem zweiten Bruder, daß er für nichts anderes' so begabt war wie für die Malerei., dafür aber hervorragend. Da, reiste mein Vater mit ihm nach Düsseldorf und ging, zu dem' Professor für Landschaftsmalerei an der Kunstakademie. Als der die Studien meines Bruders sah, sagte er zu meinem Vater: »Sie können machen, was Sie wollen - Ihr Sohn wird, Maler. Dafür hat er ein ausgesprochenes Talent.« Und der Vater gab auch dazu seine Einwilligung. Es war ein sehr langes Studium, und er mußte meinen Bruder lange unterhalten, bis dieser dann mit einem Schlage ein bekannter und berühmter Mann wurde. Aber es wurde dem Vater nie zuviel, Opfer für die Ausbildung seines Sohnes zu bringen.
Und als ich dann die Schule durchgemacht hatte, war er auch damit einverstanden, daß ich studierte und das werden durfte, wozu Gott mich bestimmt hatte.
So hat er als 'ein weiser Vater all seine Kinder das werden lassen, wozu ihre Veranlagung sie berufen hatte. Und er hat jedes Opfer willig und gern gebracht, damit seine Kinder etwas würden.
Das haben wir ihm schon bei Lebzeiten immer wieder gedankt. Das danke ich ihm noch jetzt, da ‚er nun schon lange an der Seite meiner Mutter auf dem Friedhof zu Münster der Auferstehung entgegenschläft.
Und wenn ich so zurückblicke, dann muß ich Gott danken, der mir ein solches Elternhaus gegeben hat, in dem der Friede wohnte und die Liebe regierte.
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